Deine Stimme, die zählt!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. MaiJournalismus und Märchenwelt, passt sowas denn zusammen? Romana Stücklschweiger geht diesmal mit uns auf die Suche nach ein paar magischen Geheimnissen zwischen Phantasie und Professionalität, die das Selbstsenden im freien Medium gar wundersam verzaubern. Denn das, was uns als Community der vielen verschiedenen Stimmen ausmacht, das entzieht sich seiner systematischen Dingfestmachung oft ähnlich wie die überraschenden Wendung eines Märchens – oder Traums. Sind wir also auch so etwas wie eine andersweltliche Erscheinung inmitten des Realitätsalltags, die sich nur durch ihr Dazwischensein definieren – und so von den anderen Erscheinungsformen abgrenzen kann?

Machtkunst„Wer kann beweisen, dass der sogenannte normale Zustand nicht ein Wahn ist – ein süßer Wahn vielleicht, aber ein Wahn. Dass ich in Wahrheit verzaubert oder gar verflucht bin. Dass ich weit von mir selbst entfernt, also verwandelt, bin?“ So formuliert es Michael Köhlmeier im Vorwort zu einem Kapitel seiner „Märchenwelt“. Und wie definieren wir „Wirklichkeit“? Etwa als Sachzwang oder Gewohnheit, als das normative Gewicht des Faktischen? In dem Zusammenhang fragen wir uns zum Beispiel auch, ob nicht mit dem Begriff „Journalismus“ im freien Radio noch etwas Anderes gemeint sein könnte als das im allgemeinen Sprachverbrauch weithin Übliche. Oder wie das engagierte Eintreten für lokale Musiksschaffende hinter den Kulissen funktioniert. Zwischen Handwerk und Idealismus. Zwischen Tagtraum und Technik. Zwischen Weltverbesserung.

KunstmachtDazu wollen wir von Romana einiges erfahren, ist sie doch ihres Zeichens Mitgestalterin des ab Oktober in der Radiofabrik angebotenen Lehrgangs für Musikjournalismus. Überhaupt ist sie ja auch selbst eine seit Jahren erfahrene Musikredakteurin und als solche der geneigten Gehörschaft aus diversen Sendungen stimmlich wohlbekannt. Ja, diese Stimme… Damit kommen wir zurück zu einem wesentlichen Merkmal der freien und selbstbestimmten Community-Radios: Hier ist die Vielfalt der unterschiedlichsten Stimmen in ihrer ganzen Bandbreite zu erleben. Und man merkt, es sind die Stimmen der Menschen, die man auch beim Einkaufen und beim Spazierengehen antreffen kann. Deine Stimme, meine Stimme, unsere Stimmen. Echtheit, nicht Verkaufsprodukt. Das ist das Geheimnis. Denn „Something is happening here, but you don’t know what it is. Do you, Mister Jones?“ (Bob Dylan)

 

Wos i (ned) gern hör

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. Mai – Wenn man immer wüsste, was die lieben Kolleg_innen mit unserer Studioeirichtung so alles aufführen – dann würde man sich womöglich gar nicht mehr soo unbefangen ans Mikrofongitter schmiegen, wie man das eigentlich gern gewohnt wäre. Gut, die wirklich abseitigen Sachen finden wohl wegen der Videoüberwachung überhaupt nicht statt (und das wär mir hier jetzt viel zu unappetitlich). Nichtsdestoweniger geschehen in unserem Sendestudio und somit auch auf unseren Frequenzen immer wieder recht denkwürdige Seltsamkeiten, wo ich mich dann eigentlich schon frage, wie ich die atmosphärischen Überreste von derlei sagen wir mal spirituellen Sozialorgien wieder aus der diversen Hardware heraus bekomme. Die Stimmen der Anderen, einmal kritisch hinterfragt. Ein Reinigungsritual

Kommissar HundGerade überlegen wir etwa in der Programmkommission, welche Sendereihen wir in den beiden Sparten Kunst/Kultur sowie Gesellschaft/Politik mit dem Radioschorsch 2015 dafür auszeichnen, dass sie den im Radiofabrik-Leitbild formulierten Grundwert des Offenen Zugangs beispielhaft, engagiert und zukunftsweisend verwirklichen. Wörtlich heißt es dort: „Bei uns kann jede und jeder Radio machen, besonders jene, die in anderen Medien unterrepräsentiert sind.“ Das ist eine vorzügliche Zielsetzung, hinter der zu stehen für mich als Sendungsgestalter mehr als nur selbstverständlich ist, nämlich im wesentlichsten Sinn identitätsstiftend. Und das gilt insgesamt für die Institution der Freien Radios an und für sich. „Personen und Gruppen bewusst zu bevorzugen, die beispielsweise aufgrund ihrer Abstammung, ihrer Denkweise, ihrer Hautfarbe, ihrer politischen Einstellung, ihrer Sexualität etc. in anderen Medien diskriminiert werden“ – das ist doch die Grundsubstanz für unser Selbstverständnis. (Zitat sinngemäß wiedergegeben aus der Charta der Freien Radios in Österreich)

ZwischenfragenEs sind also diese Menschen und Gruppen, für die wir einstehen (und die wir ja großteils auch selbst sind), die in den vom gesellschaftlichen Mainstream geprägten Medien gar nicht, und wenn, dann nur am Rande oder verzerrt dargestellt vorkommen. Dies gilt sowohl für den öffentlich-rechtlichen wie auch den privat-kommerziellen Sektor in gleicher Weise, da sie beide dem Einfluss mächtiger Interessensgruppen ausgesetzt sind (Wirtschaft, Parteien, Kirchen…) und diesem auch nachgeben müssen, weil sie ihre jeweilige Position behaupten wollen. Was aber geschieht mit unserem, sich davon in so angenehmer Weise abhebenden Selbstverständnis, wenn sich quasi durch die Hintertür der Meinungsfreiheit genau die selben gesellschaftsprägenden Einflussnahmen auch bei uns einschleichen? Wenn vielleicht esoterische Zirkel den Besuch ihrer eindeutig privatwirtschaftlichen und knallhart kostenpflichtigen „Lebenshilfe“-Seminare im Freien Radio anpreisen? Oder wenn sich gar ein bekannt homophober Hilfsbischof mit seinem ewiggestrigen Menschenbild bei uns ganz nach Laune Witz erzählend und segnend ausbreitet?

Hallo? Was hör ich da? Der hat in MEIN Mikrofon hinein gesegnet? Na, dem werden wir den Teufel schon mit dem Brezelbub austreiben! Holt sofort einen Sexorzisten!

 

Urheber rechts!

Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. April – Am 1. 1. 2016 endet die Regelschutzfrist von Adolf Hitlers “Mein Kampf” (üblich sind 70 Jahre nach dem Tod des Autors). Dann gilt der sonderliche Text nämlich als gemeinfrei und kann ohne Einspruchsmöglichkeit seiner derzeitigen Rechteinhaber (diesfalls nicht unlustigerweise des bayerischen Finanzministerums) von jederwem nachgedruckt oder sonstwie verwurstet werden. Entgegen weit verbreiteter Meinung ist der bizarre Pseudobestseller aus den 20er Jahren weder in Deutschland noch in Österreich gesetzlich verboten, es wurden nur nach geltendem Urheberrecht illegale Nachdrucke/Neuauflagen gerichtlich verhindert. Ein jahrzehntelanger Eiertanz der bayerischen Staatsregierung steigert sich angesichts des nahenden Ablaufdatums zu einem bigott-absurden Insichselbstwiderspruch. Die ARD-Doku “Countdown zu einem Tabubruch” bietet (soweit das geht) Überblick.

futsches reichWir erreichen hier offenbar die Grenzen und Fragwürdigkeiten geltender Gesetze. Soll das Buch des Braunauer Volksverdrehers (das ja ohnehin jederzeit im Internet gelesen werden kann) wieder offiziell in den Handel kommen – oder sollen sich die Nazinachfolgestaaten dafür einsetzen, dass man es möglichst nur in entsprechend antiquarischen Hinterzimmern zu kaufen bekommt? Mit dem „Schutz der Jugend“ wird hierbei argumentiert und mit dem „Ansehen der Deutschen im Ausland“, auch mit „Volksverhetzung“ oder „nationalsozialistischer Wiederbetätigung“, denen man keinen Vorschub leisten möchte. Andererseits ist aber auch zu hören, dasss man es uns durchaus zutrauen kann, uns selbst eine Meinung über die Inhalte dieses Mach(t)werks zu bilden. Sogar Neonazi-Aussteiger („die saufen doch lieber, bevor sie so ein Buch lesen“) und einzelne Holocaust-Überlebende („die sollen nur begreifen, was das für einer war, der ihre Großeltern zu Mördern gemacht hat“) befürworten die freie Verfügbarkeit des – mir fehlen grad die beschreibenden Worte…

Vergleichen wir in dieser Sendung einmal zwei Vorträge von Auszügen aus dem Originaltext: Erstens Helmut Qualtingers genial unterschwellige Lesung aus den 70ern sowie zweitens Serdar Somuncus brachial überbordende szenische Version von 1996. Und hinterfragen wir eine gern mit Urheberrechtsgesetzen bemäntelte Machtpolitik. „Es gibt ja diverse kommentierte Ausgaben seit 1945, die Aufklärung geleistet haben. Hier geht es doch auch um das Monopol des Freistaats Bayern, für uns, die wir nicht Bayern sind, stellvertretend Gedankenpolizei zu spielen.“ (Serdar Somuncu in einer Diskussion).

Das gegenständliche Buch ist sowieso das abgrundtief Schlechteste, in dem ich jemals ein Kapitel auch nur zu lesen versucht habe. (Was ich heute im Rahmen der Vorbereitung getan habe – und was mindestens eine Woche Krankenstand zur Genesung erfordert). Die Sprache unfertig, klobig, verkrampft. Die Gedankengänge sprunghaft, abgehackt, sich in einem Absatz gleich mehrfach selbst widersprechend. Der Sinngehalt willkürlich, inkonsistent, mit Gewalt zusammengezwängt, dabei wackelig. Und der Inhalt ein Gebräu aus esoterischem Plagiat (Blavatsky, Liebenfels) und unsympathischem Hausmeister

WÜÜÜRRRG

 

Kaiser Wilhelms Rosa Winkel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. April – Unlängst stolperte ich fernsehend (endlich wieder einmal) über eine etwas SEHR andere Dokumentation. „Des Kaisers schmutzige Wäsche“ beleuchtet die Harden-Eulenburg-Affäre (Eine Medienkampagne mit daraus folgenden Gerichtsverfahren rund um einige homosexuelle Freunde und Berater des deutschen Kaisers Wilhelm II. kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs). Dies gelingt Autor und Regisseur Claus Bredenbrock hier allerdings auf so spektakulär unbelehrende und zum eigenen Weiterdenken anregende Weise, dass er gleich vom Bund Lesbischer & Schwuler JournalistInnen mit dem Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet wurde. Über diese in vielerlei Hirnsicht [sic] Aufsehen erregende Produktion möchte ich also zu Beginn unserer Sendung berichten:

Des KaisersIm deutschen Kaiserreich waren (anders als in anderen Ländern zu dieser Zeit) homosexuelle Handlungen seit 1872 wieder durch den § 175 des Strafgesetzbuchs kriminalisiert. Aufgrund dieser Rechtslage musste sich Wilhelm II. nach wiederholten öffentlichen Bezichtigungen (siehe nebenstehende Karikatur) von vielen seiner bis dahin einflussreichen Berater trennen, um nicht selbst solcher „sodomitischer Schmutzereien“ verdächtigt zu werden. Die geradezu hysterische Abgrenzung von allen auch nur entfernt im Geruch der Unmännlichkeit stehenden Personen führte mittelbar bis zur Abberufung des Reichskanzlers Bernhard von Bülow, übrigens ein Verwandter des von uns hoch geschätzten Loriot (Krawehl, Krawehl). Und schon sind wir mitten in der spannenden These der Dokumentation: Die (zum Teil tatsächlich) homosexuellen Schöngeister aus dem „Liebenberger Kreis“ waren allesamt Teil einer informellen Friedenspartei und strebten die Aussöhnung mit Frankreich sowie ein geeintes Europa an. Durch deren Entmachtung gewannen die Militärs der Kriegspartei nun die Oberhand im Einflussbereich des Kaisers – und steuerten Deutschland zielstrebig in den Ersten Weltkrieg. Doch dieser hätte womöglich überhaupt nicht stattgefundenwenn Homosexualität damals eben nicht strafbar gewesen wäre!

KZ MauthausenWas wir uns da nicht alles erspart hätten! Den zweiten Weltkrieg gleich noch dazu, den Hitler, den Holocaust, überhaupt die Nazidiktatur – und mit ihr die krankhafte Verfolgung von allem und jedem, was nicht in ihre Normvorstellung paste. Nicht zuletzt – und hier schließt sich der Kreis – die Ermordung der sexuell normabweichenden Männer in den Konzentrationslagern. Das Klima gegenüber dieser NS-Opfergruppe ist in unserer Gesellschaft auch 70 Jahre nach Ende dieses speziellen Wahnsinns immer noch verstörend gleichgültig. Am Gelände des ehemaligen KZ Mauthausen wurde immerhin „schon“ 1984 die abgebildete Gedenktafel angebracht. Ein freistehendes Denkmal im öffentlichen Raum für die wegen ihrer Homosexualität Verfolgten ist hingegen nach wie vor nicht verwirklicht (Artikel Verein Gedenkdienst). Und in Salzburg wurden gar erst seit 2012 inzwischen 7 „rosa“ Stolpersteine verlegt. Rosa, weil „Rosa Winkel“ die KZ-Kennzeichen für inhaftierte Homosexuelle waren. Davon berichtet abschließend das gleichnamige Radiofeature von Georg Wimmer, das wir hier auch wegen seines journalistischen Engagements sehr gern wiederholen.

Ach, hätte Wilhelm II. doch nur sagen können: „Das Sexuelle ist reine Privatsache!“

 

Ottos Most

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. MärzAus den Bastelschachteln der Wiederverwurstung. Salzburg biedert sich an – wie eigentlich immer. Aber Achtung: Ab heute herrscht die Sommerzeit und seit zwei Uhr früh wird alles zurück geschossen, was die Technik nur hergibt! „I hea eich scho, es durchrationalisierte Leichenzüg, es Geldfratzen, klapper di klimper di klapper…“ Wobei – vom Schatten der Mozartkugel (demnächst auch der Thomas-Bernhard-Schnitte) aus betrachtet, ist es schon eine Überlegung wert, welche Art von Interpretation bloß der feilen Geldmehrung dient – und welche sich auch in Form des Zitierens vor der Kunnst ihres Schöpfers verneigt. Eine Sendung über Beiträge und Collagen aus dem öffentlichen Allgemeingut unserer Hör-, Seh- und Sprachwelten sowie über Urheberunrecht und Zernutzungszwang.

AnbiederungDie gewählten Formulierungen sagen im Grunde auch schon alles zum Thema aus, was sich durch widmungsgemäßen Gebrauch seines Denkkübels zurechtdichten lässt. Wer allerdings nicht selbst (und somit selbstständig) zu solch eigener Anschauung über die Verfasstheit der Welt kommen möchte, der soll sich doch bitte vom oberen Huhu irgendeine absolute Wahrheit auf den Kopf scheißen lassen! Die gibts bei uns nämlich nach wie vor nicht – und das finden wir auch ganz ausgezeichnet. Vielmehr stellen wir hier wieder einmal eine Reihe von Beispielen zur geneigten Beselbstung in den Ohrzwischenraum, so etwa Remixe, Soundscapes und Spoken-Word-Music aus Berit Fridahls Klangwerkstatt. Oder hausgemachte Bearbeitungen aus Eigenem und Fremdem. Ein festfröhlicher Existenzess am Abgrund des Widerspruchs in sich 😉 Wer hats erfunden? Ja, genau! Aber deshalb der freien Menschheit besitzverkaufen? Schon ertönt inmitten unserer ach so putzigen Marktwirtschaft lauthals Dr. Joseph Klumpfuß-Hupfkasper mit dem knöchernen Jedermannruf: „Wollt ihr den totalen Kommerz?“ Wir halten entgegen: „Des geht überhaupst ned!“ Alles eine Frage des guten Geschmacks. Und pfui 😛

Link zu Berit Fridahls SigneyLimeRemix von Games without Frontiers (Peter Gabriel)

 

Neben dem Thron

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. MärzVon der Schwierigkeit, eigene Sendungen für einen Wettbewerb auszuwählen. Ein Präsidentsfall. Irgendwann einmal fliegt einem im Zuge der mehrjährigen Radiomacherei zwangsläufig jeder Überblick um die Ohren. Auch wenn man gerade noch wiedergeben kann, worum es im Gesamtkonzept seiner Sendereihe eigentlich geht, so ist es doch ein annähernd unmögliches Unterfangen, dahingehend eine Entscheidung zu treffen, welche spezielle Ausgabe diesen Sinn und Gehalt am vortrefflichsten darzustellen vermag. Wir sind eben ein etwas anderes Kunnst-Biotop, dessen einzelne Beiträge sich fortwährend collagenhaft in einem Work in Progress zu einer Aussage verdichten. Und die ist naturgemäß wiederum mehr als die Summe ihrer Bestandteile. Was also tun? 😛

not just anotherMachen wir auch noch aus dieser Not eine Tugend – und entsprechen wir so unserem Selbstverständnis: Berichten wir also über das, was uns gerade beschäftigt – wir sind schließlich weder langweilig noch uninteressant, nur weil wir nie Teil jenes ekelhaft pseudowichtigen Kommerzkasperltums sein wollten, das tagtäglich den Breischleudern der gemainstreamten Medienwelt entschlatzt. Ganz im Gegendings! Bumms! Guten Morgähn 😀 wünsch ich! Aber jetzt mal Ernst beiseite und in medias Residenz – warum die ganze Aufregung mit der Qual der Wahl? Es ist nämlich so: Die CIVILMEDIA – UnConference for Community Media & Civil Society vergibt heuer erstmals den (noch dazu dotierten!) Civilmedia Award für Programme aus den freien österreichischen Radio- und TV-Stationen, und zwar in den Kategorien „Access & Empowerment“ sowie „Entertainment & Arts“. Hier schließt sich der Kreis wieder – mit den oberbei angestellten Überlegungen 😉 Denn beide Begriffspaare beschreiben Wesentliches aus den inhaltlichen Zielsetzungen unserer Sendereihen Artarium und Nachtfahrt/Perlentaucher. Doch in welcher der über 60 möglichen Sendungen kommt das wohl am Besten zum Ausdruck? Eben…

 

Best Of Zeitzeuge

>  Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Februar – Die deutsche, nein, bayerische Band Zeitzeuge beeindruckt uns vor allem durch die lyrische Kraft ihrer Songtexte. Darum wählen wir diesmal für unsere Reihe „Das ganze Album“ gleich aus zwei CDs dieses wundervollen Musikprojekts aus – und zwar jene Lieder, die sich aufgrund ihrer besonderen sprachlichen Stimmungsbilder am besten in unser etwas anderes Hörwelttheater einfügen. Sowohl „Man singt, man weint, man schreit dafür“ (2008) als auch „Bürgerkrieg im Herzland“ (2011) tragen ja schon dafür programmatische Titel – also erfreuen wir uns (und euch an den Empfängnisgeräten) mit einer spontan-assoziativen Zusammenstellung von 9 Tracks aus diesen beiden denkwürdigen Werken. Des weiteren gibts noch den Sound von ihrem sehr inwendigen Video „Wie schwer es ist zu gehen“

Zeitzeuge Band LiveDass Songtexte auch ohne Musik, quasi trocken gelesen, funktionieren können, das zeigen wir anhand von zwei Beispielen, nämlich indem wir selbst „Gegen den Wind“ und „Wenn der Löwe fällt“ (auszugsweise) als Gedichte vortragen. Dabei zeigt sich eben die Intensität der offenbar auch hinter dem Zeitzeuge-Musikschaffen steckenden Aussagen und Auseinandersetzungen. Chapeau! Wir gratulieren, allerdings schon mit zwei weinenden Augen, zumal sich diese in ihren Botschaften so erfrischend eigensinnige Kapelle inzwischen auch aufgelöst hat. Bedauerlicherweise – wie etwa auch Rotz aus Salzburg oder Tagtraum aus Schweinfurt (sic!) – es betrifft immer wieder die Bands, die sich nicht dem geklonten Gleichklang der Industrie und ihrer Verwertstopfung anbiedern. Doch wie dem auch sei, Zeitzeuge erfreuen sich in ihrer Zuhörerschaft jedenfalls bleibender Bedeutung, vovon gerade auch die per Homepage angekündigte DVD ihres Abschiedskonzerts (2013) ein überaus lebendiges Zeugnis ablegt. Und wenn wir schon beim Zitatwortspiel sind, so wünschen wir uns und ihnen doch noch viele kraftvolle Lebenszeichen, denn, wie sie es selber so schön sagen: „Du kannst nicht davonrennen. Du bist ein Zeuge deiner Zeit.“ In diesem Sinne hier der in der Sendung gelesene Text „Gegen den Wind“:

Du schweifst ab in die Ferne
und ich folg dir dahin
Ach, Kind was hab ich dich gerne
ruf nicht gegen den Wind

Ohooo
nicht mehr rot
spring aufs Boot
und auf Los
auf Los gehts los

Und ich spiel die Akkorde
hier im Westen nichts Neues
ein Lied von vielen
hörs dir an und bereu es

Doch es ist unser Weg
unsere neue Tür
unser kleines Etwas
man singt, man weint, man schreit dafür

Unser großes Schifflein
es ist nicht mehr weit
wir sind die Zeugen
unserer eigenen Zeit

Und wir fahren nicht geradeaus
nicht nach oben, nicht zurück
unser Ziel ist ein Gefühl
und ich nenn es nicht mal Glück

Sondern da wo man hin will
da wo man hin will, also da,
also was Ähnliches wie zuhaus
wie zuhaus

PS. Mein Einspruch bezüglich „BR2 Zündfunk Montagsdemo“ als Download 😉

 

Über Sport reden?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. Februar – Lässt sich Sport überhaupt sprachlich kommunizieren – und wenn ja, wie lieber nicht? Wo eingeweihte Fachidiome allsendunglich durch die Berichterstatter wuchern, beginnt für den Außenbleibenden oft schon die wunderbare Welt des angewandten Kannitverstahns. Und einmal ganz ehrlich – wenn ich mich für diese Sportart oder jene Sportveranstaltung von vornherein schon nicht begeistern mag, was soll mir dann das unbegabt euphorische Gephrasel irgendeines Sportberichts? Ob es sich jedoch, jenseits von Langeweile oder Lärmerregung, nicht doch vielleicht auch anders anfühlen und anhören kann, wenn „in den Medien“ über Sportliches gesprochen wird, das wollen wir als drei Männer im Artarium diesmal untersuchen: ein Kulturkritiker, ein Passivsportler, ein Totalverweigerer.

Hört, hörtEine solche etwas andere Betrachtungsweise pflegt zum Beispiel die von Pirmin Styrnol und Christian Weiner für Radio Orange produzierte Sendereihe „Momente des Sports“. Auf deren erweiterter Homepage finden sich erfreulich hintergründige Features und Reportagen zu allerlei Sportthemen für den feineren Geist abseits des Interessenmainstreams der quotenorgelnden Zeitgeistsurfer. So unter anderem die heuer mit dem Radiopreis der Erwachsenenbildung ausgezeichnete Sendung „Vollkontakt auf 40 Rollen – Die Mädels vom Vienna Rollerderby“, aus welcher wir uns einen Zusammenschnitt zu Gemüte führen. Wie diese jungen Frauen (und ihre männlichen Cheerleader!) hier nämlich lustvoll mit Geschlechterklischees jonglieren und sich an Begrifflichkeiten wie Aggression und Feminismus abarbeiten, das verschafft auch dem gewachsenen Sportmuffel noch ein erfrischendes Sporterlebnis.

Der etwas andere TurnvereinDem Fußballmuffel hinwiederum erschließt sich beim Betrachten der löblichen WDR-Sportsendung „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ eben genau diese. Denn der sprachverliebte Stadionsprecher (Werder) und Radiokommentator (Bremen-Vier) Arnd Zeigler schafft es scheinbar spielerisch, noch dem biersten Ernst deutscher Bundesliga einen dergestalten Wortwitz abzuringen, dass selbst dem Fernstehendsten dieses Fußballchinesisch noch zur zweiten Muttersprache wird. Wir gratulieren also dem Friedensstifter unter den sportdeutschen Kulturvermittlern aus Anlass seiner 250. Fernsehsendung – Zeigler gibts übrigens auch als Radiokolumne – und empfehlen ihn vorsorglich schon mal für den Literaturnobelpreis. Balleluja! Inwieweit uns diese Sendung gelingen wird, das wird sich in ihrer Stattfindung zeigen. Wir haben keinen Plan – doch wir werden ihn ausführen!

Und – wir sind ein geiler Turnverein! Diesesmal jedenfalls 😉

 

SoundDiary – A Book In My Hand

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Januar – Das komplette brandneue Album der Wiener Band SoundDiary – eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Abenteuerfahrt durch die Glücksgefühle und Gefährdungen des postmodernen Nomadentums auf der Suche nach der Seinsinsel zwischen Sinn und Zusammenhang. Meine Reaktion aufs erste Durchhören dieses akustischen Bewusstseins-Roadmovies erfand sich in folgenden Worten: „Ich kenne zur Zeit keine österreichische Band – Blank Manuskript einmal ausgenommen – die den nötigen Scheißdrauf hat, ein derart authentisches Progressive-Rock-Konzeptalbum herauszubringen, dem man zwar immer anhört, dass es 2014 produziert wurde, von dem man aber meinen möchte, seine Kompositionen stammten aus der Blütezeit von Genesis & Co.“ Allein das schon eine Empfehlung 😉

A Book In My HandDoch es verbirgt sich noch weit mehr hinter der gefälligen Oberfläche eines stimmigen Musikalbums, das auch durch gelungenes Crowd-Funding produziert und im Eigenverlag fairöffentlicht werden konnte:

Philosophische Fragestellungen zum Beispiel – und Reflexionen über das Verhältnis des Individuums zur Welt – in Gestalt einzelner Mitmenschen, gesellschaftlicher Gegebenheiten oder verinnerlichter Moralgebote, die Songtexte sprechen da für sich.

Where You Lead MeIch in Beziehung UND unabhängig – dieser rote Faden ist das Konzept des Albums und zugleich wohl auch programmatisch für die Interessen der Bandmitglieder. Nicht nur, was kommunikative Publikumsberührung in Verbindung mit größtmöglicher künstlerischer Freiheit anbelangt, sondern gewiss auch in persönlich erlebten Versuchen, neue Formen zu entwickeln fürs Zusammensein der Gegensätze – mit einander, in der Welt – und – zwischen sich selbst! Aufbrüche ins Ungewisse…

Obiedient To IIndifferenceEndlich wieder einmal, textlich wie musikalisch, ein Gesamtkunstwerk, dem man die emotionale Echtheit und das individuelle Engagement seiner Schöpfer_innen (!) abnehmen kann, möcht man lauthals aufjubeln. In Zeiten wie diesen, wo fast jede Neuerscheinung allzu affensichtlich aufs Arschloch des Marktes schielt, um sich sogleich in irgendeiner Pose zu verfieberzapferln zwecks ihres besseren Verkaufs. So erbrechenbar wie Fastfood, Fernsehen und jede andere Mainstream-Prostitution. 😛 Hallelujah! Oder so. Jedenfalls wissen wir jetzt wieder, warum wir ein Konzeptalbum wie dieses lieben. Weil es uns auf eine handwerklich gut zubereitete Zauberreise mitnimmt – durch die wechselvollen Zustände und Zwischenwelten unseres Daseins. Weil wir uns in ihm wiederspiegeln, in unserem Kampf um die eigene Sinnstiftung, inmitten von Größenwahn, Niedertracht und Volksverhumpfung. Eben weil es etwas zu sagen hat – und das auch tut. Eine Message (jawohl), die Fragen und Antworten im Zwiegespräch mit sich selber belässt – und die einen so auch zum Selbstdenken der eigenen Welt anregt. Was ließe sich über ein Kunstwerk wohl Schöneres sagen? Lehnen wir uns also zurück in unsere Leben und genießen wir diese Erfahrung: „What counts and what matters can neither be said nor written, composed, performed or played.“

 > Hinweis: Einen Vorgeschmack auf dieses Kunnstwerk (nebst allerlei musikalischen Assoziationen) gibt es in unserer illustren Nachtfahrt-Sendung „Winterschlaftraum“ 😉

 

Krampuslauf Disintegration

> Sendung: Artarium vom dritten Adventsonntag, 14. Dezember – Zwei Stunden Sendung zwischen Teufelszauber und dem überlangen Album von The Cure. Eine Spurensuche durch die verhangenen Welten dieser irgendwie magischen Jahreszeit. Schon längst einmal wollten wir Disintegration (inklusive aller Bonustracks) ungekürzt spielen, doch bei dessen Gesamtlänge von fast eineinviertel Stunden können wir das nur im Rahmen einer genauso überlangen Sonderausgabe bewerkstelligen. Daraus ergibt sich natürlich die Frage, womit wir die übrigen 45 Minuten zubringen möchten. Es sollte ja immerhin zur Stimmung und zum Thema passen, schaurig und schön zugleich, sich rituell geheimnisvoll offenbarend, Kunnst einfach! Da schau her, wir sind in Bildern fündig geworden – und haben den Hersteller dieser Arbeiten ins Studio eingeladen:

S.Koidl2014_ScreamStefan Koidl aus Hallein ist aber nicht nur ein aufregender Zeichner (hier ein Album) mit dem Ziel, sich dem Fotorealismus technisch so weit es geht anzunähern – er ist auch ein inzwischen ziemlich erfolgreicher Krampusmaskenschnitzer (einige davon sind hier zu sehen). Passt doch perfekt zur Jahreszeit! 😈 Zudem führt er seine eigenen Kreationen neuerdings sogar selbst auf – in der von ihm mitbegründeten Krampuspass Schergen des Kronos. Da wollen wir doch einmal hinter der Maskierung nachschauen – und ergründen, was das wohl für ein Mensch ist, der mit solch einer schon an Besessenheit grenzenden Leidenschaft derart düstere Themen bearbeitet. Vor allem interessiert uns, aus welchen Inspirationsquellen sich seine Motive speisen, und was für kreative Prozesse da im Hintergrund ablaufen, während so ein Bild seinen Weg vom Kopf aufs Papier findet (oder so eine Maske eben in die fertige Gestalt). Wie hat das angefangen, wie fühlt sich das an – und wo will es hin? Wir ergehen uns in höllischen Phantasien und nachtkalten Krampusläufen, während wir im warmen Radiostudio gemütlich beisammen sitzen. Dazu gibts die gewohnt geeignete Musik…

DisintegrationAnschließend an unser Gespräch, wie angedroht und versprochen, das ganze Album Disintegration von The Cure in vollster Länge und ohne jedweden Hineinquatsch. Warum just dieses doch 72-minütige Ohrwerk im tiefsten Mittwinter lauthals zu Gehör gebracht wird? Weil es ein Innehalten ist inmitten schleunigen Lärms, ein Inzwischen aus leisen Tönen und dröhnendem Bombast. Weil ihm aufregende Stille ebenso innewohnt wie beruhigender Wahn, weil rauschhaftes Einvernehmen hier so grenzgenial in angepasstes Widerstreiten übergeht, dass Revolution nur noch innerlich stattfinden kann – aber stattfinden muss! Weil es genau die Medizin ist, die wir in den längsten Nächten des Jahres brauchen, eine psychedelische Filmkulisse zum Sterben und Erwachen – mit unserem Selbst als erlebendem Darsteller und handelndem Zuschauer in ein und derselben Person: Ich bin viele – und wir sind eins. Alles klar?„The Cure waren zu dem Zeitpunkt, als Disintegration entstand, keine verzweifelte Depri-Band, genausowenig, wie sie das heute sind. Disintegration ist happy-sad, vielschichtig, manchmal hymnisch und manchmal düster, the best album ever und will in meinen Augen irgendwie nicht mit der ganzen Cure-Klischee-Anhäufung zusammenpassen.“ (Cure-Fan-Replik auf obiges Review)