Über artarium

Seit Herbst 07 "das etwas andere Kunnst-Biotop" in der Radiofabrik und seit Anfang 09 daselbst "im Schatten der Mozartkugel" als Artarium unterwegs. Immer auf der Suche nach neuen Gästen, Themen und Gestaltungsformen... Hochfrequenter Wortwetz- und Mundwerksmeister zwischen Live-Unmoderation und Poesie-Performance. Psychodelikate Audiocollagenkunst, stimmungsexzessive Hörweltendramaturgie, subversiver Seelenstriptease, unverzichtbares Urgewürz und... In diesem Unsinn zeig ich euch hier einen tieferen! Ab- und hintergründige Neu- und Nettigkeiten aus der wundersamen Welt des Artarium, seinen Gästinnen und Hörerichen. Kunnst mi eigntlich gern ham. So do mi - i di a! Bussal...

Abseits Andacht

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. NovemberHerzlich willkommen beim Adventfest der Außenseiter. Nicht beim Modelabel “Rebellische Pose”, vielmehr bei den wirklichen Grenz- und Einzelgängern der Gruppendynamik, denen schon das Vorgebetetkriegen des jeweiligen Insiderschmähs die allerheftigsten allergischen Reaktionen verursacht. Egal, ob Gott gesag haben soll, die Germanisten Bescheid wissen, der Markt verlangt oder die Presse verbeurteilt – jegliche “Szene” ist tödlich, sobald sie ihre Abweichler inquisitorisch ausgrenzt. Wir feiern die Nichtanpassung und scheißen auf gesellschaftliche Übereinkunst (diese ungeheuerliche Verblödung, die jede kreative Entwicklung durch gemeines Rechthaben abwürgt und erstickt). Eine Stellungnahme in eigener Sprache – zwischen Selbstsinn und Herdentrieb.

Herde HeinOligarch
leck mich am Arsch
Separatist
hat sich verpisst
Migrant
ist völlig abgebrannt
Autochton
muss auch irgendwo wohnen

Stärker als der Regen ist die Flut
Stärker als die Angst ist nur der Mut

Patriarch
der gar nix mehr darf
Aktivist
der nur Gemüse frisst
Friedensgarant
fährt das Land an die Wand
Homophon
klingt dem Papst sein Sohn

Schon ein komischer Heini, dieser Peter Hein (Fehlfarben). Was das jetzt alles mit dem Augustin, dem ersten Advent, der Mehrheitsmeinung oder Deutschboden zu tun hat, das müsst ihr in dieser Sendung selbst herausfinden. Wir sagen nur soviel:

Platz da!

 

ein so ein riesen haufen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. November – Über die Fremdbeeinflussung zur Selbstbestimmung oder die Macht der Worte zu Christophers Geburtstag. Ein Überraschungspaket. Vervollständige die Gedichtzeile aus folgenden Vorschlägen: Ein so ein riesen Haufen – Knabbergebäck, Scheißdreck, Volltrotteln, Gedanken, Ideen – ist mir noch nie untergekommen, muss erst einmal geschissen sein, verlangt nach guter Bearbeitung, hat seine ganz eigene Dynamik, geht sich jedenfalls nicht auf einmal aus! Der Titel ist immerhin Programm, und so stellen wir wieder einmal experimentelle Texte in einen entsprechenden Zusammenhang, auf dass sich ein Riesenhaufen Inspiration zusammenbraue. Dazu verhelfen uns diesmal die Industrie-Kapelle Laibach sowie die Electronic-Poesie-Pioniere des DJ-Kollektivs Scheiterhaufen aus dem Pinzgau…

riesen haufenUnd naturgemäß Ernst Jandl, der Großmeister der Wortbildgedichte und Klangraumpoeme hinterlistiger Sinnstiftung – sowie Elfriede Gerstl, deren wunderbare Werkausgabe von Christa Gürtler und Helga Mitterbauer zum Wiederentdecken der elegant formulierten Aufmüpfigkeit einlädt. Außen dran, als ein schönes Motto:

„nur wer die unattraktivität des fragmentarischen wählt scheint mir noch glaubwürdig – man muss alles tun um sich die marktchancen zu vermasseln“

Und innen Kulturkritisches von der Hellsicht und Zuspitzung eines Pier Paolo Pasolini:

„Das Potential an Phantasie, Ärger, Widerspruchsgeist der Auftretenden wurde nicht zensiert und beschnitten, doch mussten sie sich an einen vom Subventionsgeber gewählten Ort begeben, zu einer von ihm bestimmten Zeit, das heißt, man hatte sie samt Konsulenten und Klientel unter Kontrolle. ….. Für ein kleines Honorar und ausgestattet mit dem Privileg der Darstellung ihres Abweichens betreiben sie, sich herausgehoben fühlend, ein merkwürdiges Geschäft: die Zähmung Widerspenstiger durch Verlautbarung von Widerspenstigkeit.“

 

Viva! Roxy Music

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. November – Dass wir bei der Frage, was wir für gut und somit auch in ganzer Albumlänge spielenswert befinden, einen Scheiß auf irgendwelche Verkaufsrankings geben, das müssen wir eigentlich nicht mehr explizit dazu sagen. Und dass wir es nicht mit der Grundidee des freien Radios in Einklang bringen, auf mehrheitliche Musikvorlieben oder hergebrachte Hörgewohnheiten abzuzielen, weil uns der Quotenkasperl im Hinterkopf hockt, dürfte ebenfalls klar sein. Es gibt jedoch trotz alledem auch für uns bestimmte Kriterien, die wir bei der Auswahl eines Albums berücksichtigen. Im Fall von Viva! Roxy Music, einer Live-Compilation aus dem Jahr 1976, könnten wir es als “Vermittelbarkeit” bezeichnen. Oder, ob so ein Musikwerk aus längst vergangenen Zeiten eben auch heute noch – funktioniert

viva roxy musicGerade über Roxy Music ließe sich detailverliebt jede Menge obskures musikgeschichtliches Fachwissen zusammenschwadronieren, so dass einen der akademische Schwindel packt. Über Brian Eno zum Beispiel und seine stilbildenden Arbeiten mit dem VCS3 Synthesizer auf den ersten beiden Studioalben der Band. Oder überhaupt deren Einfluss auf Musiker_innen unterschiedlichster Genres, so etwa David Bowie, Kate Bush, Depeche Mode, Morrissey, Annie Lennox oder Grace Jones. Eh interessant, so wie vieles anderes auch noch, aber halt nicht wirklich emotional die Zeitbarriere überwindend. Denn um aufzeigen zu können, wie eine Band, ihre Musik und ihr Stil sich auf eine ganze Generation ausgewirkt haben, sollte man doch etwas intensiv Erlebbares anwenden. Etwas, das die Eigenart jener mit androgyner Symbolik spielenden Epoche zwischen Glamrock und Punk zu vermitteln vermag, so wie diese auch in dem Film Velvet Goldmine (1998) meisterhaft dargestellt wird. Zum Soundtrack dieses Films haben übrigens nicht nur Roxy Music als Band, sondern auch Bryan Ferry und Brian Eno als Solokünstler beigetragen. Es ist also wirklich ein Gefühlskriterium, das zur Auswahl des sehr rockigen Livemoments von Viva! geführt hat. Und vielleicht eine Gefühlserinnerung, die mit dem folgenden Song und dessen Text zu tun hat:

Inflatable doll
My role is to serve you
Disposable darling
Can’t throw you away now
Immortal and life size
My breath is inside you
I’ll dress you up daily
And keep you till death sighs
Inflatable doll
Lover ungrateful
I blew up your body
But you blew my mind

Roxy Music – In every dream home a heartache

 

Wohlfühlfriedhof

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. NovemberDer Tod ist kein Beinbruch oder Schöner Sterben in Salzburg. Zwischen kuscheln und gruseln am Friedhof der Phantasien und Wünsche. Unterhalten wir uns einmal mit den Toten und erleben wir die Auferstehung der verdrängten Geschichte(n). Zelebrieren wir die Poesie der scheppernden Weinheizung in einer nebelschwangeren Novembernacht. Entreißen wir dem Memento mori unserer nazikatholischen Abendlandsheimat etwas lebendige Lyrik – von gegen den Strom des Vergehens andichtenden, sinnsuchenden Selbstmenschen. Lassen wir uns hineingleiten in dieses seltsame Schattenreich aus Erinnern und Loslassen, diese eigenartige Übergangswelt zwischen Sommerlust und Winterschlaf, diesen doch illegalen Grenzwechsel von Tod, Leben und – was?

georg kreislerVor allem sei eines,
sei unzufrieden jederzeit,
denn Gleichmut ist schädlich,
Bescheidenheit macht dick.

Sei zornig, sei giftig,
vertraue nie der Obrigkeit,
sonst bist du verraten,
sonst bricht man dirs Genick!

Georg Kreisler Das Finale

Hier auf dem Aigner Friedhof befindet sich nun die Grabstätte dieses großen Unbequemen, gleich neben der von Rafi Chaimowicz übrigens, was wir ja bereits in unserem Artarium mit dem Titel Schuldig! (über Feindbilder, Judenhass und den Kapitalismus als Religion) beleuchtet haben. Doch auch in dieser Sendung wollen wir Geniales vom Grantgroßvater des Widerborstigen zu Gehör bringen, etwa das oben zitierte vielstimmige Protestlied aus dem Programm “Hurra, wir sterben!”

Wer sich nicht gefallen lässt, dass man ihn schikaniert,
muss es unterstützen, dass die Jugend rebelliert,
ihr seid mit verantwortlich, drum legt euch nicht aufs Ohr,
helft uns mit der neuen Welt, machts besser als zuvor!

gruseligDoch was ist das? Nur einen Steinwurf vom Grab Georg Kreislers entfernt erheben sich sonderbare Silhouetten gegen das Braun dieses herbstlichen Nachtlichthimmels. Riesenhaft wirkende Statuen und Stelen thronen am höchsten Punkt des Friedhofs und verströmen von dort eine unbestimmte, irgendwie unheimliche Atmosphäre

Draußt is koid und drunt is woam,
nua monchmoi a bissl feicht,
und wonn ma so drunt liegt, gfreid ma si,
wonns Groblaterndal leicht…

gruseligerTatsächlich, es ist das wuchtige Grabmal des NS-Lehrers und Organisators der Salzburger Bücherverbrennung Karl Springenschmid, nebstbei noch Autor des Lamprechtshausner Weihespiels, einer textlich üblen, dafür umso schwülstigeren Lobpreisung des Opfertods für Führer und Vaterland, die er aus Anlass der dortigen Schießereien während des NS-Juliputsches 1934 verbrach. Ekelweh!

Auf amoi is di Musi stü,
und olle Augn glänzn
wei duat drübn steht da Knochnmonn
und winkt mit seina Sensn

Recherchen zu den damaligen Ereignissen fördern die Geschichte des von den Nazis noch kurz vor Kriegsende ermordeten Bundesheer-Hauptmanns Franz Rosenkranz zu Tage – sowie die skandalös unbehelligten Nachkriegskarrieren seiner Ankläger und Denunzianten (allesamt üble Hetzer und Schergen), in einem Fall sogar auf Intervention des damaligen Erzbischofs Rohracher. Siehe auch: Stolperstein Franz Rosenkranz Über den dort erwähnten Dr. Stefan Balthasar heißt es andernorts: “…(1938) wurde er leitender Staatsanwalt und verfolgte nun die Repräsentanten der Vaterländischen Front ebenso vehement wie er vorher illegale Nationalsozialisten verfolgt hatte, als er selbst noch Mitglied der Vaterländischen Front gewesen war.” (Hubert Stock, Böhlau 2010)

nazikatholisch

Hier passt Thomas Bernhards Wendung vom “architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden wieder einmal wie die Faust aufs Auge. Und auch: “Die Stadt ist für den, der sie und ihre Bewohner kennt, ein auf der Oberfläche schöner, aber unter dieser Oberfläche tatsächlich fürchterlicher Friedhof der Phantasien und Wünsche.”

Doch einmal abgesehen von diesen einigermaßen gespenstischen “Zufällen” und Zusammenhängen werden wir uns naturgemäß in der allgemeinen Ambivalenz der Friedhofgefühle ergehen. Denn, so tröstlich es einerseits sein mag, dass die ganzen Arschlöcher tot sind und einem folglich nichts mehr anhaben können, so schmerzlich ist es andererseits, dass die hier an- und verwesenden (man verzeihe mir das sich aufdrängende Wortspiel) Weggefährten bestimmt kein Bier mehr mit einem trinken. Oder ähnliches. So beschweben wir jedenfalls ungeurteilt das Zwiespältige eines Verweilens im Unaufgelösten und assoziieren unser Eigenes drum herum

“Is there a heaven? I’d like to think so!”

Roxy MusicIn every dream home a heartache

 

Schuldig!

Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. November – Zwischen ewiggestrigen und brandaktuellen Feindbildern stehen wir fassungslos da – inmitten einer Gesellschaft, die ihren Zusammenhalt nach wie vor durch die Ausgrenzung alles Artfremden zu bewerkstelligen sucht. Wie kann es sein, dass in unserer angeblich so aufgeklärten Zivilisationskultur des 21. Jahrhunderts noch immer entweder einzelne Menschen oder ganze Bevölkerungsgruppen zu Sündenböcken gemacht werden? Riecht das nicht sehr nach Religion, nach der bizarren Glaubenswelt des alten Testaments, nach Kreuzzug und Inquisition? Oder doch mehr nach Kronenzeitung, Stammtisch und Susanne Winters Aluhut? Womöglich ist die Pestilenz ja auch dieselbe, nur die Geruchsnuancen sind unterschiedlich. Halten wir zunächst Einkehr am Friedhof

ein junger dichterIch selbst war heuer zur allerseeligsten Jahreszeit am Aigner Friedhof, wo nur ein paar Meter voneinander entfernt der jüdische Kabarettist und Chansonnier Georg Kreisler sowie der deutschtümelnde NS-Lehrer und Schriftsteller Karl Springenschmid beerdigt sind. Und auch ein alter Freund von mir, der viel zu früh verstorbene Rafi Chaimowicz, ein (im krassen Gegensatz zu dem Vorgenannten) musisches Talent vielfältiger Ausprägung. Ungefähr 1990 erzählte er mir die Geschichte, wie er im Akademischen Gymnasium von zwei älteren Mitschülern kopfüber ins Klo gesteckt wurde. „Sauf des, du Judensau!“ riefen sie dabei immer wieder. Doch als er, auf mein empörtes Drängen hin, diesen Vorfall bei der Schuldirektion meldete, nötigte man ihn dort allen Ernstes dazu, die Angelegenheit zu vergessen, damit der gute Ruf der Schule nicht zu Schaden käme. Ein Wahnsinn! Diese Episode zeigt uns überdeutlich, wie ein Feindbild über Generationen hinweg weitergereicht und verfestigt wird – und wie die Opfer der Gewalt zu möglichen Tätern umgelogen werden, damit der gute Ruf der Gesellschaft nicht leidet. Ich bin ja auch einmal in diese hoch angesehene Schule gegangen worden – da weiß man, was man hat!

ein alter sängerJahrzehntelang hat er angesungen gegen den Unsinn jeder Obrigkeit, die uns mit allerlei Mythen Gläubigkeit, Patriotismus und blinden Staatsgehorsam einzutrichtern versucht. Der große ungewollte Sohn dieses neurotischen Lands der Hämmer, in dem stets derjenige als Nestbeschmutzer verfemt wird, der einen Übelstand aufzeigt – und nicht etwa derjenige, der ihn verursacht hat. Das nächste Feindbild also, dem wir uns – zusammen mit Thomas Bernhard – auch nur allzu verwandt wissen. Störer der herrschenden Ruhe und Ordnung, Asozialer, Schmarotzer, Volksschädling und Ungläubiger! Schnell kippt die Vorurteilung wieder ins Religiöse, genau, “der Nationalsozialismus war eine politische Religion” (Friedrich Heer). Und der globale Kapitalismus mit seiner Diktatur der Finanzmärkte, trägt er nicht auch die Züge eines alleinseligmachenden Glaubenssystems mit dem Anspruch auf Weltherrschaft? In Zeiten wie diesen, in denen das Kabarett fast schon wieder allein gegen die Zuschwallerung mit Machtschwatz und Glauberei anstänkert, wollen wir Georg Kreisler einmal gemeinsam mit Max Uthoff hören, der in seinem Programm “Gegendarstellung” (Video) das neuste Feindbild “Die Armen” erklärt.

Vergesst unverzüglich die großen Siege und fahrt fort, unerschütterlich, hartnäckig, ewig in Opposition, zu fordern: fahrt fort, euch mit dem Andersartigen zu identifizieren, Skandal zu machen, zu lästern!    Pier Paolo Pasolini

 

Emotional Soundtrack

Nachtfahrt Spezialausgabe von Freitag, 30. Oktober und Samstag, 31. Oktober: Dieser Sendung erster Teil (1968-1984) sowie derselben zweiter Teil (1985-2015)

Den Soundtrack meines ganzen Lebens in 4 Stunden verhandeln? Meine musikalische Gefühls- und Geschmacksbildung anhand von knapp 40 Songs/Titeln darstellen? Ja, geht das denn? Ich glaube, nur sehr bedingt. Es könnten ja einerseits noch viel mehr sein, andererseits aber auch wiederum ganz andere. Auf jeden Fall gibt es sie, diese ganz speziellen Nummern, die einem lebenslang in Erinnerung bleiben, weil sie mit starken Emotionen verbunden sind. Sie können Aufbrüche, Einschnitte, Höhepunkte oder Weichenstellungen bedeuten. Sie können diese sogar mit ausgelöst – oder einfach nur begleitet haben. Das Leben ein Film, kongenial mit dem dazu passenden Soundtrack versehen. Der Selbstversuch einer Chronologie aus Gänsehaut, Nießreiz und Weite

norbert 74Pubertäre Prototypie (1968-1978) Von einigen noch in den Radios der Altvorderen aufgeschnappten oder von bereits in die Weltrevolution aufgebrochenen Verwandten zur Verfügung gestellten Hörstücken entspinnt sich die Lustreise des heranwichsenden Pubertiers zu allerlei selbstentdecktem Soundgut alternativ-emotionaler Ausprägung. Von Sandy Shaw bis Nina Hagen, um es verschärft auszudrücken. Von Wolfgang Ambros bis Pink Floyd. Kann Spuren von Lou Reed, The Byrds, aber auch Schobert & Black enthalten. Zwischen Sex und Selbstmord pendeln die Gefühle in dieser wichtigen Zeit des Ausbrechenwollens aus den überkommenen Verhältnissen. Feuchtfröhliche Erforschung des eigenen Selbst, anschließend Verschleuderung aller Möglichkeitsformen. Here comes the story of the Hurricane, the man the authorities came to blame.

rememberPsychedelisches Panoptikum (1979-1984) Vom Konzeptalbum Spartacus (gern gehört während meiner Unzeit beim Bundesheer) über diverse (im wahrsten Sinn) Film- und Reisemusiken bis zu sozialkritischen Kampfliedern sowie Verdichtungshymnen gegen zernüchternde Salzburgrealität prägten ur- und untypische Titel diese Zeit ersten Berufstätertums inmitten der ARGE Rainberg Proteste. Die Schroeder Roadshow war mit Anarchie in Germoney im Petersbrunnhof zu Gast. Nina Hagen, Herman Brood und Lene Lovich gab es als abgefahrene Punkrockpartie in dem genialen Film “Cha Cha” zu sehen. Mike Batt lieferte mit Tarot Suite den Soundtrack zu den verbreiteten spiritistischen Spinnereien der Späthippiezeit. Überall keimte Hoffnung, und eine offene Gesellschaft schien für kurze Zeit wirklich möglich zu sein. Bierjodlgasse? Hanfjodlgasse!

septemberPostpunkoide Projektpoesie (1985-1999) Oft sind es ja Freunde, Mitbewohner, Bandkollegen, die einen mit für den Lebenssoundtrack unverzichtbaren Musiktiteln versorgen und so die Entwicklung zum eigenen Stil und Geschmack vorantreiben. Von der Wiener Kunststudienzeit über die Kulturfreizone und das Streiklager gegen Schubhaft in Salzburg bis zum Jugendtreff in Mariazell erfuhr ich so immer wieder Anregungen, die bis heute bestimmend blieben. Dazu gehören Manfred Mann’s Somewhere in Afrika ebenso wie Hansi Lang oder x-beliebig. Manchmal bringt einen dazwischen das Interviewtwerden auf den Punkt: Was wir unter Kultur verstehen, ist vergleichbar mit einem Biotop. Irgendwann einmal zwischen Nachmittag und Abend kommen dort zwei Verliebte vorbei oder ein Dichterling oder sonst jemand, einfach Menschen. Und die genießen das, denen sagt das was.

unterführungPerlentaucher Performances (2000-2015) Je kürzer der zeitliche Abstand zu beeindruckender Musik ist, desto schwerer ist es natürlich auch einzuschätzen, ob sie wirklich prägende, bleibende Qualitäten haben wird, denn dies erweist sich eben erst rückblickend und über die Jahre hinweg. Aber stellen wir halt einfach einmal ein paar begründete Behauptungen in die Welt. Denn was sich auf der Anreise zu dieser Nachtfahrt sowie in den Kunnst-Biotop oder Perlentaucher geheißenen Sendungen als wirkungsvoll erwiesen hat, dem dürfte durchaus ein gewisses Potenzial zum Dauerhaften innesein. So beschließe ich meinen Einhandsegler-Runfunkenflug noch mit einigen schönen Entdeckungen von Rotz, Panik, The Waterboys und Wir sind Helden. Habe die Ehre! Die Verletzten sollen die Ärzte sein. Die Letzten sollen die Ersten sein. Sieh‘ es ein…

…the meek shall inherit the earth.

 

Frische Texte! Frische Texte!

> Sendung: Artarium am Sonntag, 25. Oktober – Frische Texte aus dem Salzburger Untergrund, dass es Mozart schwindlig und Gott seltsam warm ums Herz wird. Gibt es noch Gefühlsmenschen, die mit der Macht ihrer Worte gegen die widerlichen Umstände antrotzen? Die mit Sprachkunst ihr eigenes Selbst verteidigen – und nicht einem immer gefälliger werdenden Literaturmarkt hinterher hoppeln? Aber ja doch, auch und gerade in diesem zur Kunsthochburg aufgeblasenen Provinzflecken, wo sich Jedermann bereitwillig bückt, wenn der jährliche Umsatz zum Pudern kommt. Aber hier gibts jetzt die allerfrischesten Texte gegen altväterliche Zeremonialhierarchie, eventorientiertes Tourismusmarketing und nationalsozialistisch-katholische Jugenddepression. Die Wurzel allen Übens ist also die Lust an der eigenen Aussage. Im Namen des Lebens…

sophieSo sind wir denn auch besonders beglückt, mit Sophie Lustig eine der drei Autorinnen von Women at Work (Dienstag, 27. 10. um 19:30 Uhr im Literaturhaus Salzburg) bei uns zu Gästin zu haben. Zumal sie ihre eigens für diese Veranstaltung in Vorbereitung befindliche Textcollage “Jugend ohne Gott” vorstellen wird, was soviel heißt wie live performen! Kleiner Vorgeschmack gefällig?

Im Anfang war nicht das Wort, sondern der Lebenslauf. Gott hat sich zwischen den Zeilen zu verstecken – als codiertes Zeichen. Er ist nicht mehr da, und schon gar nicht, wenn man ihn gerade braucht. Er ist nicht mehr da. Er ist nicht mehr. Er ist nicht. Er ist.

Er ist in den Regentropfen, er ist in den Blättern, in den Bäumen. Er ist du und er ist ich. Und egal, ob wir ihn oder sie oder es Gott, Allah oder Hans-Peter nenen, will er nicht, dass wir unser Leben nach vorgegebenen Büchern oder Gesetzen leben, sondern erzählt uns über alles und nichts gleichzeitig.

unsere herzenMit nebenstehendem Denk-Satz aus “Jugend ohne Gott” möchte ich nun zu einem weiteren Projekt überleiten, welches unsere friedensbewegte Textschau nachhaltig befruchtet: Peer de Beer von Stoned Poets – Dichte Dichter hat einen Beitrag der Radiofabrik zu Aufgeblättert – Literatur aus der Gegend gestaltet, der am Nationalfeiertagsmontag, 26. Oktober österreichweit um 17 Uhr ausgestrahlt wird. Und darin kommen neben Lisa-Viktoria Niederberger, Marko Dinic und Peter.W. auch Chriss sowie ich selbst zu Wort – und somit eben zur Geltung – das ist für sich sprachlich ausdrückende Menschen eine soziale Grundnahrung. Um aber unserem Anspruch auf das Hörbarmachen von Schaffensprozessen in der Wortwerkstatt ebenfalls gerecht zu werden, wollen wir einen weiteren „Text in Produktion“ zu Gehör bringen, und zwar einen bislang noch nirgendwo vorgetragenen aus der Verbearbeitung von Christopher Schmalls Frohnleitner Schreibklausur-Aufzeichnungen mit dem Arbeitstitel “Dort”

Wie aber jetzt den Sack zubinden, allein die hier angerissenen Themen und Verweise zusammenführen, vielleicht unter einem Überbegriff wie Texte gegen das Monopol? Dann grab ich halt auch noch einen aus, der heißt Neues von Gott” und ist zum Lachen böse – schon beißt sich der Hund (endlich) in den Schwanz. Bitte. Danke!

 

Möblichkeit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Oktober – Wir begrüßen zwei (beileibe nicht nur) Graffiti-Künstler bei uns im Biotop und sprechen mit ihnen über ihre und überhaupt Kunst. Oder doch Kunnst? Anlass dafür ist die unlängst eröffnete Verkausausstellung ihrer eigens für Interior Design möblich im Rahmen eines Praktikums gestalteten – ähm, ja, doch, wirklich – Möbel. Worin die Gemeinsamkeit von Graffiti, Gebrauchskunst und Bildhauerei besteht, das wollen wir in diesem Gespräch ergründen. Was naheliegt, besuchen die beiden doch auch eine sehr spezielle Schule, nämlich die Fachschule für Kunsthandwerk und Design (Ausbildungszweig Bildhauerei) an der HTL-Hallein. Worin unterscheidet sich diese eigentlich von anderen Lehranstalten? Und was ist das Besondere am praktischen Arbeiten bei möblich? Für jemand, der Street-Art lebt?

MöblichkeitAbgesehen davon, kommt Kunst wirklich vom Können – oder muss sie schon vorher da sein? Ist da ein Unterschied zwischen Kunst und Selbsttherapie – oder hättens den gern? Wie entsteht ein guter Tag (Writer-Name) und warum ist es oft schwer, einen genialen Bandnamen, Buchtitel etc. zu (er)finden? Was kostet ein Kilo Kunst? Ungefähr. Diese und ähnliche Fragen können uns beschäftigen – doch schauen wir einmal, was uns da so anspringt oder über uns hereinbricht. Ein Thema, das uns wohl alle verbindet, ist die seltsame Vernageltheit einer gewissen Unterführung – oder die seltsame Vernageltheit derer, die sie zusperren ließen? Wir können zum Beispiel über Sinn und Unsinn von freien Malflächen oder überhaupt Kunstausübungszonen sprechen. Und uns überlegen, inwieweit Kunst einen Wert an sich besitzt, so ganz ohne Preis?

Zezao UndergroundsSchnitt. Wenden wir uns einem der untergrindigsten Wandmalkünstler zu, den die Street-Art-Kultur bis dato ausgespuckt hat, dem wunderlichen Autodidakten Zezão aus Brasilien, der seine öffentlichen Interventionen zur Selbst- sowie Sozialtherapie ausübt – und der mit seinen Bildern und Objekten inzwischen auch den Kunstmarkt belebt (Schirn-Video). Oder dem abgefahrensten Aktionskünstler, den das Salzburger Land nach wie vor stöhnend ertragen muss (und das geschieht ihm recht), dem mittlerweile 95-jährigen Anton Thuswaldner, der sich selbst „Maler und Landstreicher“ nennt, und der auch (in der Zeit des 2. Weltkriegs) die Bildhauerschule in Hallein besucht hat. Im Jahr 1991 möblierte er das Mozartdenkmal offiziell mit einer Pyramide aus Einkaufswagerln, was ihm jede Menge Kronenzeitungshetze und Gewaltandrohungen einbrachte…

De Leit homs olle glaubt
und schon is wieda soweit
Angst, Gewalt und Hass
san mehra wert wia Menschlichkeit
Jo so kannt ma oiwei weida doa
und es werd koan interessieren,
weil es regieren uns doch seit Ewigkeiten
Menschen ohne Hirn
Bledheit siegt – dumm fickt guat
Wer woas wos des beweist
I pfeif ma nu an Döner nei
und hoff, dass mi boid z’reißt

Um es auch noch mit Christoph Weiherer zu sagen…

 

Die Kleingeldprinzessin

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Oktober – Politisch, kritisch, Jazz, Folk, Klezmer, Liedermacherin, geile Texte, eigenes Label, im Duett mit Max Prosa – die Zuschreibungen sind so mannigfach wie die Zwischentöne dieser sehr speziellen Künstlerin, die mal solo, mal mit Band unterwegs ist. Nach ihrem Kurznamen DOTA heißt inzwischen auch das Gesamtprojekt so – und präsentiert sich vermittels einer erfreulich aufgeräumten Homepage. Von Dota Kehr ist hier natürlich die Rede, auch bekannt als Die Kleingeldprinzessin mit oder ohne Die Stadtpiraten. Wir spielen im Rahmen unserer Reihe Das ganze Album diesmal ihre CD „Immer nur Rosinen“, die uns im Ganzen als „die Rundeste“ – und vor allem textlich wesentlich erscheint. Aber ich lass jetzt lieber mal den Fachmann fürs „Eindrücke vermitteln“ ans Werk gehn:

immer nur rosinenEndlich!, rufe ich in die Nacht hinaus, in diese regenträge Nacht, und räume das Zimmer leer um Platz zu schaffen für die tausend Dinge, die ich schreiben möchte über dieses Album, welches schon viel zu lange auf der Vielleichtbank, der Irgendwanneinmalbank sitzt und der Gespieltwerdung harrt. Ich höre Dota Kehr, der Kleingeldprinzessin und ihren Stadtpiraten schon Jahre zu, ob es In anderen Räumen Blech + Plastik oder Immer nur Rosinen gibt, die jazzigen Klanggalaxien mit Bossa Nova und Klezmer-Einflüssen, umschließen mein Hörleben und zeigen immer wieder wie lebendig, wie lebhaft Liedermachen sein kann. Und wie so oft sind es die Texte, die mich von Anfang an aufhorchen ließen; die feinfühligen Beobachtungen, die zeitkritisch ziselierten Zusammenhänge in den vielschichtigen Geschichten, die umwerfende Umwälzung alltäglicher Wahrnehmungen, die Poesie flüchtiger Augenblicke, die Worte – hinter dem Sinn.

dotaIch warte hier, und mein Schreibtisch, Zeittisch, bloß von einer Wandlampe erhellt, so dass er zu meinem Mittelpunkt wird, meinem einzigen Bezugspunkt im grenzenlosen Schwarz, und ich höre Dotas Stimme, diese freundliche, einladende Stimme, folge der Musik, wohin auch immer; nach Berlin, in die Erdumlaufbahn, hinter die Lider, durchs Schlaraffenland. Für Proviant ist gesorgt, für Gesprächsthemen und Konversationsfunken sowieso, meine Siebenmeilenstiefel tragen mich weiter als gedacht; eine Motte wirft ihre Schatten auf die Tastatur, von draußen kein Geräusch, hier drinnen nur das Klimpern meiner Finger, nur mein stetes Flattern beim Formulieren, das Annähern, Andeuten, Skizzieren einer ganz eigenen Welt, die vertrauter nicht sein könnte.

Am Ende bleibt nur zu sagen: Höret selbst und begebt euch mit uns auf eine Reise in die Zwischentöne, Zwischenzeilen und Zwischenschluchten dieser facettenreichen, phantasievollen, verbindungsstiftenden – immer unvollendeten Symphonie.

 

Sumpfblüten

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9 OktoberSumpf ist ja im allgemeinen Sprachverbrauch zumeist höchst zwiespältig konnotiert. Bist du deppad, des hob i jetz owa uandlich gscheid gsogt! Also irgendwo zwischen Feuchtwiesen, die für die Erhaltung der Artenvielfalt unerlässlich sind, und Korruptionssümpfen, die trockengelegt werden sollen, damit der geschmeidige Warenverkehr nicht darin steckenbleibt, gibt es hoffentlich noch weitere Stimmungen und Gerüche für unser Orchideenstudium. Bei anderen Radiosendern existieren ebenfalls gatschartige Genussmittel mit lustigen Titeln wie Im Senf oder so ähnlich, die sich wie wir auch der Monoklonkultur industrialisierter Behupfdudelung widersetzen. Bravo! Lasset uns also jenseits der erwartbaren (und ausgelutschten) Assoziationen Überraschenderes entdecken – in, durch und rund um diesen Sumpf.

HC ArtmannplatzSchon ist Schluss mit lauschigen Gastgärten und nächtlichem Herumflanieren (zumindest ohne Mütze und Schal). Die öffentlichen Plätze sind verwaist, die Sitzmöbel werden bald wieder verräumt – und die Stadt klappt ihre Sommersaison zu wie ein ausgelesenes Buch. Wieder lockt dich der Ofen, hinter dem du doch sonst keinen Hund hervor… Was solls! In uns wuchern nichtsdestotrotz noch dieselben Tropenträume wie frühsommers oder schwüls. Um ebendiesen auch herbstbeginns zu obliegen, begehen wir nun gluckernd, rülpsend und schmatzend diese sumpfige Sendung. Was sich da unter der schleimigen Oberfläche unseres schönen Scheins an Musik zusammenbraut, kann sich durchaus hören lassen. Und was dem fruchtbaren Feuchtbiotop unserer Phantasien und Wünsche an Texten entquillt und entsprießt, das braucht weder Mondlicht noch Finsternis zu scheuen. Ein buntböses Potpourri aus Diven und Abgründen, gefährlich und schön wie ein Leben.

BlutmondLoveGrave treffen auf The Cure, Crude (aus Salzburg) begegnen Creed (aus den 90ern), der Keller Steff hat einiges mit Motörhead gemeinsam – und Wolfgang Ambros singt auf Englisch. B. Traven ist deutlich, Francois Villon natürlich derb, Vladimir Kaminer dem Sport verfallen – und Virginia Woolf bleibt geheimnisvoll. Konstantin Wecker zuletzt stiftete den Text zum Titel:

Das ist die hohe Zeit der Tropenträume,
ein Flügelschlag nur bis zum Meer,
und alles, was ich jetzt versäume,
erreicht mich bis ins Grab nicht mehr.

Versoffner Mond und dunkle Weine,
das Leben schlägt die Phantasie!
Ein schwuler Priester schwingt die Beine,
er ist der Star der Travestie.

Da wuchern wieder Kindheitsträume,
das Wunderland Calafia,
das ich erst spät durch dunkle Räume
im Rausch und Taumel wiedersah.

Der Tod hat viel zu schwere Flügel,
ihn hält es nicht in meinen Höhn.
Er ist das Pferd. Ich halt die Zügel.
Er überdauert. Ich werd überstehn.

Nur weiter, wo die Schiffe dösen,
dem letzten Hafen hinterher,
dort, wo die Blumen alles Bösen
dem Sumpf entblühen, bunt und schwer,
bunt und schwer.

Zum vollständigen Text auf www.wecker.de