Wirsing Helden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. MaiGesetzt den Fall, nur die Allerwenigsten kommen als Arschloch auf die Welt – wo um alles in der Welt kommen die dann aber alle her? Hier muss angesetzt werden! Und Bildung ist auch hier das Zauberwort. Bildung macht nämlich auch klug. Ja! Und wir bräuchten natürlich Helden, Helden wie in den Geschichten, Helden, die es richten – wenn die Verantwortlichen schon so schmählich scheitern. Helden – aber woher nehmen? – So formuliert es der von uns immerdar hoch geschätzte Wortakrobat Jochen Malmsheimer in seinem Programm Dogensuppe Herzogin – Ein Austopf mit Einlage, in dem eine Busfahrt nach Venedig naturgemäß psychedelisch entgleist und in letzter Kulmination zum Auflauf sämtlicher Helden aus Jochens literarischen Frühzeit ausufert. Da fragt sich sogar der Doge: “Chi è quello?”

WirsingWirr singt das Volk oder doch das verunglückte Abschiedswort einer Marketenderin: Auf Wirsing (wie in Warschau!), vielleicht ja sogar eine Anspielung auf Judith Holofernes? Wirrsinghelden? Und just darüber werden wir euch selbstredend nicht im Klaren lassen, sondern euch mit An-, Um- und Verdeutungen derart zerwirren, dass ihr sogleich fürs Kilo Wirsing 80 Mark verlangt und dabei auch noch schnippisch guckt!

“Ich schloss für einen Moment entmutigt die Augen. Und riss sie sofort wieder auf. Jetzt nur nicht einschlafen! Es schlug eben 8 Glasen. Was?” Wie gesagt, wir befinden uns in einem vollbesetzten Bus auf der Nachtfahrt nach Venedig – und die Phantasie beginnt soeben all das, was wir uns als sogenannte Realität haben einpflanzen lassen, mehr und mehr zu durchdringen – und aufzulösen: Ein wortlos geblinzelter Befehl, und schon schallen die vertrauten Kommandos zum augenblicklichen Ablegen über das Deck: “Los Männer, entert auf in die Wanten! Hisst Rah- und Topsegel! Setzt Klüver und Fock! Bratzt die Zossen, lüpft die Brunzen! Vergesst mir auch den Rimper nicht, den Stramel und die Pölm! Spieht die Mampfen! Klofzt die Klöten an den Sparrer und versäumt mir ja das Riepelzulpen nicht! Und bimst mir brav auch den Besan! Hepp, hopp, ans Werk!”

 

was für beschissen ist das

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Mai – Zu außerirdischer Verschwörung wie innerseelischer Verblödung stellt sich gern die Frage: “Was für beschissen ist das?” Doch diese Antwort wird kein Leichter sein, es sei denn geistreich – und sprachgewitzt. Dessen geachtet drücken wir unsere persönliche Empörung wie Betroffenheit durch Darbietungen von Günther Paal (Gunkl) sowie Jochen Malmsheimer wortvoll aus. War die Mondlandung eine großangelegte betrügerische Inszenierung, mittels der von den eigentlichen über- und außerirdischen Aktivitäten abgelenkt werden soll? Wie ließe sich das überprüfen? Weshalb sollte man das überhaupt hinterfragen wollen? Sind wir nicht längst beschissen worden, etwa mit sogenannter Bildung, die nichts weiter bezweckt, als uns zu verwirren, damit wir besser regiert werden können?

was für beschissen ist dasDer Verschwörungsverein grüßt und lädt ein zur Dooferneuerung! Wir indes locken zu den eigensten Geistesübungen wider das Dumm- und Ferngedachtsein. “Weicht auf, Verkrampfte dieser Erde!” Unseres Erachtens ist der Gefühlsbefund, andauernd von allen Seiten belogen und betrogen zu werden, durchaus zutreffend. Er hat seine Ursache in einer “Erziehung”, deren Hauptziel die Anpassung ist, und zwar durch das verordnete Hervorbringen von erwünschten Gefühlen, gleichzeitig durch das ebenso vorgeschriebene Unterdrücken von unerwünschten. Diese erlernte Selbstverstümmelung führt unweigerlich zu Verdrängung und Verleugnung, ja sogar zu regelrechtem Selbsthass. Diese allgegenwärtige Deformation menschlichen Seins pflanzt sich zudem noch in allen gesellschaftlichen Strukturen wie eine ansteckende Krankheit fort und erzeugt bei allen von derlei Gewalterfahrungen Betroffenen ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Empfinden von Ohnmacht und Ausgeliefertsein. Die nun mögliche Wahrnehmung, dass man ein Opfer der ungerechten Verhältnisse ist, kann kaum je anerkannt werden, zumal sie mit Scham- und Schuldgefühlen einher geht, und es überdies als allgemein anerkannter Ausweg vorgezeichnet ist, selbst zum Täter zu werden, damit man das eigene Opfersein nicht mehr so spüren muss

Die Hinwendung zu “höheren Wesen” hingegen, die Heilserwartung gegenüber einem “Erlöser” oder die Hoffnung auf den “Endsieg des Guten über das Böse” halten wir schlicht für Projektionen des Verdrängten. Richtiger Ausgangspunkt, falsche Schlussfolgerung. Da wird man schon eher die eigenen “unerwünschten” (gefickt als “negativ” eingeschädelten) Gefühle aushalten – und sich dann ohne Abspaltung des Empfindens zu Fuß auf die Suche nach der eigenen Wahrheit (?) machen müssen. Was unsere Beiträge auch befördern wollen. “Ey, was für beschissen ist das?”

 

ERINNERN VERGESSEN

> Die Sendungen: Artarium Double Feature vom Sonntag, 1. Mai – Wir erinnern an die Salzburger Bücherverbrennung von 1938 und wundern uns über das seltsame Vergessen, das im Hinblick auf die NS-Vergangenheit dieser Stadt jahrzehntelang wie der Sarkophag von Tschernobyl auf dem Gedächtnis ihrer Einwohner lastete – und das nach wie vor erstaunlich weit verbreitet ist. Zu diesem Behufe senden wir 2 (in Worten ZWEI) Stunden ins Gewissen dieser kleinen Welt (in der die große ihre Probe hält). Und freuen uns auf so unterschiedliche Beiträge wie die Live-Statements jugendlicher Radiokollegen von SwitchON oder ein Hörbild zur Literatur von Ö1-Programmchef Peter Klein (welches er uns für diesen Anlass zur Verfügung gestellt hat). Naturgemäß alles fein garniert mit schräger Musik und ein paar selbstgesägten Hörcollagen

 

SPURENSUCHE IN SALZBURG   (zur 1. Sendungsstunde)

 

Berlin Mahnmal
ICH
MAHN
MAL

 

DU
DENK
MAL

 

HEUTE SCHON GELEBT ?

 

Es ist also wieder mal soweit (zum unendlichsten), die Stadt Salzburg (wer sind das eigentlich?) will den Residenzplatz neu gestalten und im Zuge dessen auch ein “in den Boden integriertes” Mahnmal errichten (lassen). Also eines (so steht zu befürchten), das niemanden stören wird, weil es nicht im Weg steht, und das man auch nur dann findet, wenn man eh schon Bescheid weiß. So ähnlich, wie das oben abgebildete Mahnmal zur Bücherverbrennung 1933 in Berlin. Na ja, vielleicht ganz passend zum Begriff des “Unterbewussten” – oder anders ausgedrückt, unser Staatsfeiertag heißt sowieso längst “Maria Verdrängnis” und findet seit 1945 an genau 365 Tagen im Jahr statt. Was? Nationalsozialismus?  Das hat doch hier niemand wollen, das ist uns mit dem Anschluss alles aufgezwungen worden, Österreich ist das erste Opfer und blablabla.”

ICHMAHNMALIn einer vielsagenden Kurzdoku von Raphael Steiner zur Salzburger Bücherverbrennung sowie zur Frage nach einem entsprechenden Gedenk-Mahnmal kommentiert der Historiker Gert Kerschbaumer souverän die üblichsten Argumente gegen ein solches. So auch jenes einer Schülerin: “Ich fänds traurig, wenn es in unserer Gesellschaft heutzutage noch notwendig wäre, so etwas aufzustellen. Weils jeder wissen sollte. Und in der Schule lernen wir auch über diese Zeit.” Gert Kerschbaumer: “Sowas sollte man eigentlich wissen. Doch wissen wir, dass das nicht so ist.” Echt jetzt? Was haben unsere jungen Sendungsgäste im Schulunterricht erfahren? Betrüblich finden wir es auf jeden Fall, dass selbst in spezialisierten Kunstschulen keinerlei Projektarbeiten zum Thema Mahnmal stattfinden. Ausgehend etwa von Max Rieders Entwurf einer Lichtskulptur könnte man doch aus dem kreativen Potenzial Heranwachsender geradezu eine Vielzahl an Ideen schöpfen – und somit auch diesen hoffnungsfrohen Zukunftgestaltern die Aufgabenstellung der Erinnerungskultur im öffentlichen Raum nahebringen. Dazu müsste man sie allerdings als ebenbürtige Projektpartner ernst nehmen – und sie nicht wie kleine Kinder behandeln, die mit den “ach so erfolgreichen” internationalen Künstler_innen überhaupt nicht mitreden können. So scheißt die Politik laufend auf eine Generation nach der anderen und opfert sie zum eigenen Machterhalt dem Moloch einer fragwürdigen Hierarchie.

 

DER VATER UND DER SOHN (SPRINGENSCHMID)   (zur 2. Sendungsstunde)

 

GRABMALUnd während die Stadt Salzburg sich wieder einmal in ihrem Herumgezicke ergeht (und es noch immer keinen Ort des Gedenkens für die Opfer dieser NS-Ausmerzung gibt), thront das Grabmal des Täters Karl Springenschmid als prominenter Ort des Erinnerns an ihn hoch über dem Aigner Friedhof. Dabei ging es den Veranstaltern des ersten Gedenkens (Ludwig Laher, Christine Haidegger und anderen von der Salzburger Autor_innen Gruppe) 49 Jahre nach dem Anschluss in erster Linie nicht um ein statisches Erinnern und Mahnen, sondern vielmehr um die Herstellung eines Bezugs zur jeweiligen Gegenwart. Das zeigte schon 1987 die berühmte Rede von Erich Fried über das Verbrennen der Welt, gehalten ganz im Eindruck der Atomkatastrophe von Tschernobyl, die sich heuer zum 30. Male jährt. In diesem Sinn wollen auch wir in der Sendung einen Zusammenhang spürbar machen, zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem. Wer sind etwa heute die “zum Schweigen Gebrachten”? Wie funktioniert Volksverblendung und Massenaufhetzung im großen Stil? Gegen wen richten sich die selben Mechanismen, derer sich die Nazis vor 80 Jahren bedienten, in unserer Zeit? Und welche innerfamiliären Probleme mit der Generation der zumeist schweigenden Kriegsteilnehmer wirken heute wie damals auf Politik und Gesellschaft ein? Dies zeigen vor allem die radikalen Selbstzeugnisse des Künstlers und Schriftstellers Ingo Springenschmid (des Sohnes vom oben erwähnten Karl).

ingo springenschmidHier lassen wir ihn im historischen Feature von Peter Klein selbst zu Wort kommen, kontrastiert von den Zitaten seines Vaters und von der Erzählung ihrer beider Biographien. Zwischen den Zeilen wird das Ringen um seine eigene Identität – und mit den Illusionen des übermächtigen Vaters verständlich. Ausgezeichnet! Und im Zitat spiegelt sich auch die Vergiftung der Heimat durch die Verstopfung der Zwiesprache. “Das hängt für mich auch mit dem Problem Salzburg zusammen, mit der Struktur Salzburg, das ist ja auch genügend dokumentiert, bis zu Trakl, wenn man so will bis zu Mozart. Diese Hierarchien, die auf der Stadt lasten wie eine Hypothek in Form der Festung. Und immer diese künstliche Situation des Aufschauens und Aufblickens, dann die Festspiele, und so wie man früher zu den Bischöfen (aufsah), so war es dann der Karajan, immer diese Künstlichkeit. (…) Und ich empfinde die Stadt also als sehr hinterhältig.” Seine ehemaligen Schüler sagen: “Ingo hat mir das sprichwörtliche Brett vom Kopf wegmontiert.” Oder: “Er hat Schüler gefördert, wo er gemerkt hat, die haben ein Talent. Es war eine totale Freiheit.” – Ein weites Land, dieses Thema, so fest steht viel!

 

Happy Birthday, Lemmy

> Sendung: Artarium Weihnachtsspecial 24. Dezember – Ist uns heute der Heiland geboren? Damit es nicht allzu heilig (und zu still und zu leise) wird an diesem Abend, bescheren wir uns eine Geburtstagsfeier der etwas spezielleren Art: Lemmy Kilmister, Bassist und Sänger (sowie Erfinder und überhaupt Mastermind) der einigermaßen sehr harten Rockgruppe Motörhead, wird haargenau heute 70 Jahre alt. Oder auch jung, je nachdem. Wir gratulieren jedenfalls schon mal heftiglich – und bedröhnen euch mit Auszügen aus seiner Autobiographie “White Line Fever” nebst insgesamt 6 (in Worten Sex) launigen Musikstückerln aus Lemmys frohem Schaffen sowie seinem lauthalsen Umfeld. Es darf also gekracht und gescheppert werden, liebe Heiligabendgemeinde der aufmüpfigen Kinder und junggebliebenen Großeltern. Lassen wir die Sau raus!

lemmy christLemmy Christ by Carny-Kapturek. Die Zeichnung ist nebenbei das einzig wahre Bild für den heutigen Anlass, nämlich den zufällig auch am 24. Dezember geborenen Religionsverweigerer namens Ian Fraser Kilmister hochleben zu lassen, der für nicht wenige Hardrock- und Metal-Afficionados selbst so etwas wie Heilandsstatus besitzt. Und ein guter Hirte seiner Schäfchen ist er allemal, wie die Anekdoten aus seinem bewegten und kaum jemals nüchternen Leben uns beweisen. Zudem gibts die Fortsetzung (den Schluss) der Artarium-Weihnachtsgeschichte vom “barmherzigen Rumänen” zu hören, was also will das bescherungsschwangere Herz zur Feier des christlich-alpenländischen Eilighabens mehr? Vielleicht einen kleinen Vorgeschmack auf die heiligabends zu hörenden Musikalien? Also gut, dann will ich mal nicht so sein – und ergehe mich knietief im Kryptischen. Auf 3 von 6 (Sex!) Liedern singt Lemmy selbst, aber nur 2 gemeinsam mit Motörhead, eins davon ist noch dazu ein Cover. Hähähä, weiter mit der Verwirrung! Apropos, 3 von 6 (you know) Musiktiteln heißen aus Anlass des Abends “Sympathy for the Devil”, doch keinen davon spielen die Rolling Stones. Einen jedoch (sowieso das genialste Cover) Daniel Kahn, Psoy Korolenko & Oy Division (aus ihrem Album The Unternationale). Hähähähähä! Den könnt ihr euch gleich reinziehen. Und Lemmy singt wieder einmal (no, na!) vom Ende der Welt. Dann passt doch alles wunderbar zum Thema, oder?

 

Frauentag im Hasenstall

> Sendung: DIE ARTARIA vom Sonntag, 8. März (zum Internationalen Frauentag) – Wir sind nach wie vor die Hasen, doch heut gehn wir als Mädchen! 😉 Wieso nicht einmal andere Assoziationen erzeugen? Ein Neutrum Artarium bleibt zwischen Atrium und Aquarium doch immer „der Raum für“ und „das Ding mit“„Kunnst“, allerdings mit zwei „n“ wie in „Könntestform und Möglichkeit“. Eine Femina Artaria hingegen bewegt den Lufthauch ihres Ausdrucks vom Kunstlied über den Musenkuss bis hin zum Opernsolo. Wohlan, das will uns doch durchaus gefallen! Zumal das Artarium just seinen 8. Geburtstag feiert (es ging am 7. März 2007 mit Peter.W. erstmals On Air) und seither noch dazu bereits in 300 Ausgaben zu hören war. Unsere nunmehr 301. Artarium-Sendung soll deshalb etwas ganz Besonderes sein…

KopflosDazu haben wir als Mitgestalterin unsere höchst umtriebige Kollegin Sabaha Sinanovic eingeladen, die unter anderem seit 2005 im Rahmen der angesehenenen Sendereihe Radiofabrik-Frauenzimmer (CBA) das oft zweisprachige zenska soba betreibt. Sie wird uns etwas über die beklemmenderen Hintergründe dieses eigentlich ganz „normal“ wirkenden Begriffs erzählen, der ja wörtlich übersetzt einfach „Frauenzimmer“ oder „Raum für Frauen“ bedeutet. Dazu passend ein Live-Telefonbericht zur gleichzeitig stattfindenden Frauendemo unter dem Motto „My Body is not your Battleground“ von den Kampfschwimmerinnen des feministischen Frauenkollektivs sisterresist. Das gleichnamige radio ist eine weitere Sendung aus dem Frauenzimmer und widmet sich inzwischen sogar der gepflegten Sportreportage auf unterhaltsamste Weise  > Frauenfußball Sondersendung. 🙂

Kim Gordon

Kim Gordon 2007 wikimedia commons

Doch was ist jetzt das ureigene Interesse von uns zwei Hasen –  am Thema Emanzipation im Sinne von Selbstermächtigung?  Women aren’t allowed to be kick-ass. I refused to play the game.“ Das Zitat aus der soeben erschienenen Autobiographie von Kim Gordon (Sonic Youth) gilt doch gewiss genauso für all die anderen Mitglieder 😛 die sich gegen das Eingepresstsein in gesellschaftliche Stereotype, Normen und Klischees wehren müssen, weil ihnen sonst noch alles Leben abstirbt! Und auch aus dem wunderbaren Gedicht „My Body is not your Battleground“ der syrisch-amerikanischen Autorin Mohja Kahf kann Mann der Befreiung so einiges von den Gewaltbildern „heiliger“ Schriften erfahren, die uns so gern untertan machen. Die Verwandtschaft von Tora, Bibel und Koran tritt hier offen zu Tage, ebenso wie die sexualisierten Besitzphrasen aus den vielen Hoheliedern der Vaterlandsschwüre.

My body is not your battleground
How dare you put your hand
where I have not given permission
Has God, then, given you permission
to put your hand there?

Sich emanzipieren heißt ja im Wortsinn „sich aus der Hand, die Macht hat und somit Gewalt ausübt, heraus zu nehmen“ Allein schon deshalb ist „die Emanzipation“ eine Aufgabenstellung für uns alle. Die Kunnst der Selbstbefreiung hieß denn auch eine frühere Radiosendung zum Internationalen Frauentag 2009. Wollen wir einander dabei weiterhin (und jetzt erst recht) auf Augenhöhe begegnen – und beistehen!

 

Krieg und Frieden – Eine Andeutung

> Download: Artarium vom Sonntag, 9. März – Erste Einstimmung auf das heuer noch öfter wiederkehrende Schwerpunktthema “100 Jahre Erster Weltkrieg” und die damit einhergehenden Fragestellungen: Was ist eigentlich Krieg – und wenn ja, gibt es überhaupt Frieden? Ist nicht gerade der erste Weltkrieg (die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts und zugleich die ursächliche Wegbereitung des Nationalsozialismus) österreichischerseits noch um einiges gründlicher verdrängt als die Mitverantwortung am 3. Reich? Können wir mit unserer Gegenwartssprache die literarischen Zeugnisse von vor 100 Jahren noch direkt verstehen – etwa Die letzten Tage der Menschheit” von Karl Kraus oder die depressiven Gedichte von Georg Trakl? Sein Todestag jährt sich heuer ja auch zum 100. Mal – und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen traumatischen Kriegserlebnissen. Eine Überdosis Grauen wird nach wie vor als verkraftbar angesehen, der Ausweg in den Freitod bleibt ebenfalls skandalisiert …

profil 2014Das Nachrichtenmagazin profil begann im Januar mit einer bemerkenswerten Serie: Woche für Woche werden unter dem speziellen Titel “Countdown zum Krieg” Zeitungsmeldungen und Dokumente von 1914 veröffentlicht, so dass bis zur Berichterstattung über jenen 28. Juni (Attentat in Sarajevo) sowie dem daraus folgenden Beginn des ersten industriellen Kriegs im Juli/August ein atmosphärisches Grundverständnis für die vorherrschenden gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse im damaligen Kaiserreich Österreich-Ungarn entsteht. Eine solche Aufbereitung finden wir höchst anregend, entspricht sie doch unserer eigenen Arbeitsweise, durch Audiocollagen komplexe Stimmungen hervorzurufen und sie dadurch (wieder) erlebbar zu machen:

So wollen wir die Idee eines (wenn auch unregelmäßigen) Countdowns aufgreifen und in dieser Sendung eine assoziative Text- und Musiksammlung zum Thema „Krieg und Frieden“ vorstellen. Wir bedienen uns dabei zweier wesentlicher Sprach- und Vortragskünstler, die in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg die Schrecken und Absurditäten jedweder militärischer Konfrontation beispielhaft bearbeitet haben: Nämlich erstens Ernst Jandl, der durch seine sprachkreativen Innovationen den emotionalen Gehalt von kriegerischer Denk- und Sprechweise in unmittelbares Erleben zu übersetzen vermochte – und zweitens Helmut Qualtinger, der in seinem unnachahmlich lebhaften Vortragsstil einen der sprachmächtigsten Kritiker des ersten Weltkriegs (eben den genialen Satiriker Karl Kraus) wieder in ein breiteres Österreichbewusstsein beförderte. Zudem lesen wir selbst letzte Gedichte von Georg Trakl und begeben uns auf die Suche nach den “veralteten” Ausdrücken jener Epoche. Alles in allem dient diese Andeutung auch zur Einstimmung auf unsere 3-stündige Perlentaucher-Nachtfahrt am Freitag, 14. März, die gleichfalls dem Thema “Krieg und Frieden” gewidmet sein wird … 😉

 

Gunkl – Ein ganzes Album

-> Download: Artarium vom Sonntag, 16. Februar – „Die großen Kränkungen der Menschheit – auch schon nicht leicht“ heißt das neueste Programm des Kabarettisten, Musikers, Philosophen und leider dann doch nicht Lehrers Günther Paal (Gunkl). Letzterer Umstand hat den versessenen Wissensvermittler allerdings einem viel größeren Publikum zugänglich gemacht, als dies jemals in einem Klassenraum oder Hörsaal möglich gewesen wäre. Gern hätte er ja schon interessierte und mitdenkende Jungmenschen beim eigenständigen Forschen geistig auf Hochtouren gebracht, wie er uns einmal in einem Interview verriet. Doch nebst seinem unleugbaren Drang zur freien Themenwahl stand diesem Lebensweg auch ein Bildungssystem dawider, welches mit „verknöchert“ noch recht euphemistisch umschrieben ist. Daher freut es uns ganz besonders, dass der rastlose Aufklärungsapologet bald auch wieder in Salzburg live zu erleben sein wird – nämlich am 20. März um 20 Uhr in der ARGEkultur. 🙂

GunklWas an Gunkls aktuellem Programm auffällt, ist die Konzentration auf das Vermitteln von Wissen. Diesen Lehrer hätte man sich in allen nur erdenklichen Lerngegenständen gewünscht – eloquent vortragend, eine Assoziation nach der anderen erweckend, dabei jedoch immer nachvollziehbar und der besseren Verständlichkeit halber nachgerade hochmusikalisch pantomim. Seine altbekannten Abschweifungen ins Spaßettlhafte (wie etwa multiple Persönlichkeiten und anderes virtuelles Bühnenpersonal) bleiben hier zur Gänze aus, besser gesagt, sie treten dergestalt in den Hintergrund, dass sie gerade noch erkennbar den Vortrag bebildern, eben so, wie bei einem begnadeten Pädagogen anschauliche Anekdoten und lebensnahe Beispiele den Informationsgehalt mit der Wirklichkeit verbinden können. Ein durchaus empfehlenswerter Abend vor allem für Menschen, die mit Wissensvermittlung in welcher Weise auch immer zu tun haben, denn er ersetzt meines Erachtens eine ganze Reihe von didaktischen und dramaturgischen Lehrveranstaltungen. Praxisnäher wäre da eigentlich nur noch die Gastronomie 😉

Doch damit wir hier nicht bloß über zu habende Mahlzeiten schwadronieren, seid herzlichst zum hörenden Vorkosten in unserer Sendung eingeladen! Wir präsentieren ein mehrgängiges Menü, bestehend aus einem Interview-Ausschnitt, zwei Highlights des Programms „Grundsätzliche Betrachtungen“ sowie gut 20 Minuten aus den „Großen Kränkungen“. Den Hauptgang bildet jedenfalls das Finale furioso dieses Bildungswerks, das mit den folgenden Worten beginnt: „Dass wir Religion immer noch brauchen, das kränkt mich. Was mich aber stört, ist, dass das schon wieder so ein Thema ist.“ Dem haben wir jetzt auch wirklich nichts mehr hinzuzufügen. Außer der musikalischen Garnierung, um unsere Verdauung anzuregen.

Bon Appetit!

 

 

Stimmen aus dem Massengrab

Podcast/Download: Artarium vom Sonntag, 28. April (wird als Themensendung am 30. April um 14:06 Uhr wiederholt!) Zur Würdigung des Gedenktags 75 Jahre Salzburger Bücherverbrennung am Residenzplatz. Am Abend des 30. April 1938 fand daselbst nämlich schon kurz nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich die einzige öffentliche Feuervernichtung von im Nationalsozialismus unerwünschtem Schriftwerk und Gedankengut statt. Die „Initiative Freies Wort“ bietet allerdings heuer eine Reihe von Veranstaltungen rund um die nunmehr schon 75. Wiederkehr dieses schaurigen Ereignisses, dessen offizelles Erinnern sich jedoch peinlicherweise erst 2011 (!) in der Anbringung einer schlichten Gedenktafel manifestierte. 😛 Das detaillierte Programm findet sich hier auf der Homepage des Literaturhauses. Und auch wir knüpfen aus gutem Grund bei Erich Kästner an – nicht nur den Sendungstitel betreffend…

Mahnmal 1Denn Erich Kästner war 1933 persönlich beim Verbrennen seiner Bücher in Berlin anwesend und berichtete schon bald nach Kriegsende darüber:

„Dann tauchte Goebbels auf. Er stand auf einer von Mikrofonen belagerten Estrade und gestikulierte vor dem Feuerschein wie ein Teufelchen vor der Hölle. Er zeterte, salbaderte, rief Schriftsteller bei Namen und überantwortete ihre Bücher den Flammen und dem Vergessen. Das war kein Großinquisitor sondern ein kleiner pöbelnder Feuerwerker. Hier rächte sich ein durchgefallener Literat an der Literatur. Hier beseitigte ein durchtriebener Politiker für viele Jahre jede intellektuelle Opposition.“ (9. Mai 1947) Derartig Mundtotmachendes soll aber auch künstlerisch keinesfalls unbeantwortet bleiben. Und vor allem niemals ununtersucht! Bedienen wir uns diesfalls bei einem Liedtext von Erblast, einem weiteren Musikprojekt vom Goethes Erben Gründer Oswald Henke:

Pure Aggression (-> YouTube)

Keiner sucht
Keiner weiß
Es ist vorbei
Das Allerlei
Deiner Worte
Falsche Münzen
Spricht dein Mund

Formt er Lügen
Triffst du mich
Treff ich dich
Mit dem Spiegel
Deiner Taten
Jede Wahrheit
Ist mein Preis

Es ist pure Aggression
Pure Aggression
Zu schweigen

Mahnmal 2Erich Kästners Bücher wurden sogar noch ein weiteres Mal öffentlich verbrannt, diesmal 1965 von einer Jugendgruppe des „Bundes entschiedener Christen“ – und wie sichs für solche braven Bürger und anständigen Rechthaber gehört, auch mit einer ornungsgemäßen Genehmigung vom zuständigen Ordnungsamt! Wenn wir also der von den Nazis ausgemerzten Dichter gedenken, dann fragen wir uns schon, inwieweit es nicht heute auch Mechanismen des Zumschweigenbringens gibt – wenn auch etwas andere! Denn der jeweils herrschende Mainstream ist immer und überall. So errichten wir hiermit ein Hördenkmal der Vielen, die innerlich verbrennen, ohne überhaupt jemals gehört zu werden oder irgendwie zur Geltung kommen zu können. Und üben ebenso Kritik an den Konzepten des Gedenkens, die allerlei prominente und etablierte Autor_innen medienwirksam zu Gedächtnislesungen aufmarschieren lassen – und die dabei viel zu wenig Gespür für die Opfer gegenwärtiger Gewalt aufbringen.

Die in der Sendung gelesenen Texte von Christopher Schmall und Norbert K.Hund sind auch als PDF auf der CBA-Seite zum Download verfügbar ( -> „Dokumente“) 😉

 

The Freelancers – N’Kuti (Das ganze Album)

Podcast/Download: Das Artarium vom Sonntag, 10. Juni serviert eine echte Balkanplatte aus dem Fundus unserer speziellen Freundin Teresa Reiter, und zwar das beachtliche Debut-Album „N’Kuti“ von The Freelancers aus Prishtina/Kosovo. Nicht gerade eine der Weltgegenden, aus denen man wegweisend innovatives Soundschaffen üblicherweise erwarten würde. Nichtsdestoweniger bestechen die Songs der Herren Freelancers (Soundcloud) durch höchst eigenwillige Klangwelten zwischen Resignation und Auflehnung und geben dadurch ein vielschichtiges Stimmungsbild ihrer ambivalenten Umgebungen wieder. Eine echte Spezialität also für all jene, die ihrer Neugierigkeit gern auch ihr Ohr leihen und nicht nur in gewohnten Gehörgängen herum hängen…

Was uns beim ersten Anhören ganz besonders beeindruckt hat, war die hoch professionelle Produktion sowohl des Albums als auch der diversen Videos von Pinkmoon Creative, wie etwa des wunderbar umgesetzten Tracks „Pse?“ (YouTube) den wir ja bereits bei unserer gemeinsamen Live-Sendung mit Teresa vorgestellt haben. Ist irgendwie ist das unser persönlicher Liebling, Ohrwurm (Earcatcher) geworden 🙂 doch lohnt es sich unbedingt, auch die anderen Titel dieses Kunstwerks zu erleben – erst in ihrer lyrischen Gesamtheit entsteht der elementare Eindruck einer Kamerafahrt durch Innen- und Außenwelten einer absurden Realität. Großes Kino für Reisende und Genießer! Und die Texte dazu – auf Albanisch und Englisch – sind sowieso nochmal eine ganz eigene Welt.

Soll noch einer sagen, rund um unsere Sendungen komme nichts Neues und Aufregendes zu Tage, so wie hier „Backstage“ in Raschhofers Ideentauschbörse nach unserem letzten Radio-Auftritt. Hey, wir sind doch im wahrsten Wortsinn die Perlentaucher und können auch gar nichts dafür! Neugierig, kindsköpfisch und immer interessiert an irgendwelchen kreativen Ausdrucksmöglichkeiten, die in dieser oder jener Form noch nicht dergestalt dargestellt, gesagt oder gedacht worden sein könnten. In diesem Zusammenhang seien euch ebenfalls Teresas feinsinnige Arbeiten für Kosovo 2.0 (Englisch) ans Herz gelegt – sowie Chrissobert Schmallniggs sprachkritische Nachtfahrt-Sendung „Originale Kopien“ aus der Radiofabrik ihres Vertrauens. Wir sind – in jedem Fall – ein geiles Institut 😉 und gut zu hören.

Alternative kulturelle Schutzgebiete

Podcast/Download: Artarium vom Sonntag, 19. Februar – Wir begrüßen nun auch die Hörer_innen von Radio B 138 im Raum Kirchdorf an der Krems (OÖ) als regelmäßige Sendungsgäste! Grund genug, mit einigen persönlichen Anekdoten an Bernhard “Bez” Samitz, den Mitbegründer der Literarischen Nahversorger, und an sein einstmals legendäres Kunnst- und Kulturbiotop, die Käfergrabenmühle in Schlierbach, zu erinnern. Der in vielerlei Hinsicht engagierte und umtriebige Kreativmensch ist leider schon im Jahr 2008 und viel zu jung verstorben. Er hat uns allerdings mit seinem – im wahrsten Sinne des Wortes – Lebenswerk ein Vermächtnis hinterlassen, das es zu bewahren gilt …

Ich selbst lernte den Bez anlässlich eines fröhlichen Flohmarkts in der Käfergrabenmühle 1996 kennen und fühlte mich in seiner sehr besonderen und durchgestalteten Wirkungsstätte von Anfang an wohl. Bald war ich auch an verschiedenen Wochenenden bei Veranstaltungen zu Gast, die man als eine überaus gelungene Mischung aus Grillabend, Jugendparty, Livekonzert und Symposion bezeichnen könnte, was allerdings der hinter diesen Äußerlichkeiten stattfindenden menschlichen Atmosphäre begrifflich nicht wirklich genügt. Vielmehr fand hier tatsächlich etwas von jener Idee eine einstweilige Verwirklichung, die wir alle schon einmal als gut” empfunden haben.

Ein liebenswertes Beispiel dafür war die Getränkebar mit Selbstbedienung – in der kleinen Küche unter seinem Balkon. Dort holten sich die oftmals sehr zahlreichen und zunehmend illuminierten Besucher ihre jeweiligen Flüssigkeiten ab – und bezahlten selbige sodann selbständig in die Küchenlade, in welcher ebenfalls das Wechselgeld aufbewahrt war, und davon zumeist auch nicht eben wenig. Auf meine Nachfrage, ob denn dergestalt nicht ganz leicht Diebstahl und Betrügerei vorkommen könnten, erklärte mir Bez sogleich – und nicht ohne Stolz – dass es eine allgemein anerkannte Ehrensache sei, hier nicht zu übervorteilen. Ich war beeindruckt – und darin bestärkt, dass meine allerverwegensten Phantasien und Wünsche womöglich doch wirklicher sein könnten als die angeblich allgemeingültige gesellschaftliche Realität. Chapeau!

Und so habe ich in den folgenden Jahren bis 2004 immer wieder einmal gern beim Bez Station gemacht zwischen Steiermark und Salzburg, mit ihm und seinen Freund_innen, Gästen, Mitbewohnern diskutiert und gegessen, philosophiert und getrunken, spontan gedichtet und gebadet, ein klein wenig gut” gelebt …

Ein paar meiner Erinnerungen an ihn und an die speziellen Momente in seinem sympathischen Kunnst-Biotop werde ich also in dieser Sendung erzählen und gemeinsam mit dem Chriss reflektieren. Mit der Moral von den Geschichten sollten wir danach aber alle selbst schwanger nach Hause gehen – vielleicht sei jedoch soviel hier noch angemerkt: Derartige Myzelstifter und Synapsenknüpfer, wie der Bez einer war, sind überaus kostbar – und selten! Jedes Gemeinwesen ist wohl gut beraten, ihr fruchtbares Wirken anzuerkennen und nach Kräften zu fördern. Und von solchen Menschen belebte, frei kreative Gestaltungsräume müssen vor Vernutzzweckung geschützt werden und dem Erhalt geistig-seelischer Artenvielvalt gewidmet bleiben.

Zum Wohl!