Ein fester Festspielflash

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. August – Seit inzwischen 101 Jahren sind “die Festspiele” ein fester Bestandteil des Salzburger Selbstbilds. “Die ganze Stadt ist Bühne”, soll einer ihrer altvorderen Gründer einmal gesagt haben. Fest, fester, am festspielsten. Nun, wenn alles ein einziges Theater ist (und noch dazu auf höchstem Niveau), welches Stück wird da gegeben? Jahr für Jahr für Jahr wird vom “Sterben des reichen Mannes” erzählt – wo ist das “Leben der armen Leute” in eurer Selbst-Inszenierung? Die werden seit der Erfindung des großen Welttheaters in der kleinen Provinzhauptstadt mit Lebensmitteln aus Wien beschwichtigt – und dürfen heutzutage als mehr oder weniger freundliche Volksdarsteller auf Umwegen rentabel sein. “Die Festspiele sind für uns ein Reibebaum, und wir sind die Sau, die sich an ihnen reibt.”

Ein fester FestspielflashDenn einerseits wird hier wirklich erhellendes Theater auf die Wege gebracht, werden weltbewegende Themen in ergreifender Gestalt bis ins Tiefste und Innerste verhandelt und echter Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur neue Räume eröffnet. Andererseits bleiben die bleierne Blödheit des Weiter-So und Immer-Noch-Mehr und auch die unhinterfragbare Herrschaft von Geldmacht und Grundbesitz als die treibenden Kräfte hinter dem sommerlichen Spektakel. Jedermann? Ich bitt’ sie – Jedermann, der es sich leisten kann! Der sich für gutes Geld gern gruselt in Hofmannsthals kuschlig morbidem Katholizistentum. “Eine Triumphpforte österreichischer Kunst” – Die Umwidmung des Untergangs der Donaumonarchie in ein europäisches Erfolgsprojekt für eine exklusive Elite? Genau deshalb haben wir unsere Begegnung mit Thomas Oberender vor 10 Jahren mit “Das Salzburg Syndrom” betitelt. Denn – wer zahlt, schafft an. Oder doch nicht?

Er bescherte den Festspielen ihre bislang erfolgreichste Theatersaison und brachte Jan Lauwers & Needcompany nach Salzburg (unvergessen Sad Face | Happy Face 2008 auf der Pernerinsel). Und er öffnete die Stadt als Spielraum für immersive Kunst, die teilweise sogar allgemein zugänglich war, wie zum Beispiel A Game Of You von Ontroerend Goed. Auch Philipp Hochmairs Jedermann Reloaded entwickelte sich aus dem Young Directors Project, das einst von Thomas Oberender betreut wurde. Vielleicht ein Sämann, dessen Saaten den Satten zum Steinbrech geraten? Und:

“Ein genialer Spagatkünstler“, der sich zwischen dem Aggressor (mit dem Geldkoffer) und den Abgründen des eigenen Selbst vor allem mit der Wirkmacht des Theaters (und der möglichen Katharsis) identifiziert. Das ist ein besserer Gründungsmythos als die ständige Selbstlobpreisung einer längst unfruchtbar gewordenen “besseren” Gesellschaft. Das etwas andere Kunnst-Biotop verleiht jenen eine Stimme, die sonst nichts zu sagen haben: “Die Festspiele sind für uns ein Heiliger Bimbam, bei dessen Gedröhn uns unweigerlich Hören und Sehen – und Reden – vergehen …”

Es ist uns ein fester Festspielflash

PS. Mehr dazu gibts bei den Perlentauchern

 

Das ist doch nicht normal

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. Mai – Das Gesunde Volksempfinden ist wieder da! Die Entscheidung darüber, was normal (und daher erlaubt) ist, wurde an den Volksgerichtshof der Sozialen Medien ausgelagert. Fürderhin urteilt Richterin Shitstorm darüber, was geht – und was ganz sicher nicht. Solches dem schnöden Pöbel dann auch noch als demokratisch zu verkaufen, das riecht nach Stephen Bannon und den Neuen Rechten. Deren Strategie heißt: Flood the Zone with Shit! Und die breite Masse besorgt sichs selbst. So schnö kaust goa ned schaun”. Da wird gejubelt und vernichtet wie bei den Gladiatoren. Das ist doch nicht normal! Was jetzt? Sprechen sie Sprache? Können sie Kontext? Gibt es nicht sowas wie Übertreibung als Stilmittel? Scherz? Satire gar? Ironie und tiefere Bedeutung?

Das ist doch nicht normalDerzeit haben es sogar Menschen mit Kommunikationshintergrund nicht leicht, ihre Aussagen ins Ziel des Verstandenseins zu bringen, bevor irgendeine Meinungsflut sie nach völlig Woandershin umlenkt. Noch viel schwerer haben es aber jene Menschen, die aufgrund einer schon vorhandenen Überflutetheit durch innerseelische Vorgänge gar keine Möglichkeit zu so etwas wie regelkonformer Ausdrucksweise mehr haben. Sie sind auf unser aller Verständnis der jeweiligen Situation wie deren Begleitumstände angewiesen. Und bekommen sie das auch – etwa wenn sie vor Gericht stehen? Da treffen sie nur allzu oft auf Richter oder Richterin Gnadenlos und werden flugs in den Maßnahmenvollzug abgeschoben. Potentiell lebenslänglich. Like, Dislike, erledigt, R. Ächzstaat. Du sollst normal sein. Abweichler an die Wand! Wir wenden uns daher lieber der “experimentellen Psychose” zu, wie sie im Rausch, in der Kunst, überhaupt im Exzess (und sei der auch noch so leise) anzutreffen ist.

Der bekannte deutsche Raptilienforscher Danger Dan (Antilopen Gang) hat, ganz in der Tradition des großen Satirikers Georg Kreisler, einen Beitrag zur Kunstfreiheit gestaltet, den wir euch ungeachtet der zu erwartenden Online-Meinungsrülpser nicht vorenthalten möchten. Und ich wär nicht wirklich Norbert K.Hund, wenn ich nicht Lust hätte auf ein Publikum, das die Grenzen auszuloten, was erlaubt und was verboten ist, als Einladung versteht, dies auch zu tun

Satire ist, die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit zu entstellen. Das linke Hosenbein ist weiter, hat ein weiser Schneider gesagt (oder wer auch immer). Im Namen des Wahnsinns, sie sind verhaftet! Sie haben zu laut und zu weit gedacht. Verzieren wir die Apokalypse mit einer dezenten Provokation. Pro-vocare, das heißt hervor rufen”. Das ist doch ein geeigneter roter Faden für dieses querassoziative Sammelsurium zum neoliberalen Status Quo. Dankwart ist Tankwart. Exzentrisch betrachtet.

 

Heather Nova – Pearl

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. August – Liebe Musikfreunde (und *innen naturgemäß ebenfalls), es ist uns ein zutiefstes Bedürfnis, dem unlängst erschienenen Album Pearl von Heather Nova über die gewöhnliche Wahrnehmung hinaus zu Gehör zu verhelfen. Es ist nämlich an einem besonderen Punkt in ihrem Leben entstanden, an dem ihre langjährige künstlerische Erfahrung und ihre ursprüngliche Einstellung (zum Leben, zum Gefühl, zur Musik) kostbar kraftvoll zu neuer Gestalt verschmelzen. Mehr dazu auf ihrer Homepage unter Bio > Show More – “Eine Perle ist idealerweise das, was sich nach all den Jahren in einer Auster bildet.” So beschreibt Heather Nova nicht nur den äußeren Anknüpfungspunkt (zu ihrem Album Oyster von 1994), sondern auch das innere Geheimnis der Entwicklung eines Kleinods aus etwas Lebendigem.

Heather Nova - PearlEinst haben wir euch ihre Musik zur Entspannung vom feuchten Fußball kredenzt. Auch das Album Redbird, das von ihrer Schwangerschaft und der Geburt ihres Sohns Sebastian geprägt war, kam bei uns schon vor. Und in der Nachtfahrt zum Thema female. feel male. veranschaulichte ihre Performance (mit Berit Fridahl an der Gitarre) das Zusammenspiel weiblicher und männlicher Energien, weit jenseits von Zuschreibungen oder Rollenklischees. Sie begleitet uns also seit geraumer Zeit und hat uns dabei immer wieder angerührt, erstaunt, überrascht – sei es nun unplugged mit Cello, als Lyrikerin (The Sorrowjoy), beim Interview im Gibson Room Amsterdam, als Sendungsthema bei den Kolleg*innen vom Deutschlandfunk oder als verträumt verliebtes Gutelaunekind (London Rain) für die planlosen Nebeltage der Sehnsucht. Es ist diese ausgehaltene Spannung in vielerlei Gestalt, die uns an ihrem Schaffen nach wie vor fasziniert, diese Gratwanderung zwischen den Gegensätzen festhalten und freilassen, Freude und Verzweiflung, Rastlosigkeit und bei sich sein, dieses bedingungslose Auskosten eines weit ausgespannten Gefühlsspektrums. Einfach unverfälscht leben – und das alles mitnehmen: “A pearl is hopefully what forms inside an Oyster after all the years, the accumulation of experience, the saltwater, the sand…”

Sister all the ways I adore you
Why can’t you see yourself?
Why can’t you see yourself?
Sister shine a light on your grace and beauty
Why can’t you see yourself?
Why can’t you?
You were just a child holding tight
In those ocean swells
Why can’t you see yourself?

You think everybody else has got it made
But can’t you see we’re all in pieces

Cause when you’re broken then you’re open
When you’re open then you’re living
When you’re living you are light
And it’s alright, and it’s alright, and it’s alright

See Yourself

 

Verdutzend

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. März – Die wortkreative Entsprechung zu Salzteigprothese muss einfach Vollkornschraubenschlüssel sein. Verdutzend? Den Ein- und Ausgeweihten wird schnell bewusst, worum es hier geht: Vor inzwischen zwölf Jahren (in Worten 12) erschuf der nimmermüde Querkünstler Peter.W. die Sendereihe Artarium und somit ist das Dutzend voll. Uns verdutzen seitdem die schöpferischen Spätfolgen dieser Unternehmung aufs vortrefflichste – und immer wieder aufs neue! Zur Würdigung dieses Umstands, liebe Schlagerfreunde, wollen wir diesmal einem ebenso umtriebigen Wortschwurbler und Zusammenhangstifter unser Gehör leihen, nämlich Rainald Grebe, dieser Allroundrampensau zwischen Wahnsinn und Erfolg. Und wir wollen ihm dabei sogar sein abgeschlossenes Studium verzeihen. Kunnst!

Im Verdutzend billigerVolksbildnerischer Exkurs: Verdutzend als titelspendende Wortvermischung aus Dutzend und verdutzt vereint zwei etymologisch nicht verwandte Begriffe zu einer bisher dergestalt noch nicht dagewesenen Bedeutungsebene. Durch die absichtliche Legierung der beiden Wortelemente entsteht ein Kunstsinngehalt, der wiederum zu selbsteigenem Sprachspiel weiter entwickelt werden kann. Womit wir bei den philosophischen Grundfragen angelangt wären: Was ist ein Künstler? Warum gibt es kein bedingungsfreies Grundeinkommen? Und wann gibts endlich Mittagessen? Diese höchst ernsten Probleme der Zivilisation (und der mit ihr verbundenen Müdigkeit) werden wir hier in gewohnt ironischer Weise verhandeln, indem wir die Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit entstellen. Damit sie uns nicht allzusehr verwirrt, die Verwirrklichkeit. Ein Kunstuniversum ist eben keine Hochschulvorlesung übers Reimeschmieden.

Höchst hörenswert ist jedenfalls die bei Freirad in Innsbruck produzierte Sendereihe Ethnoskop – Kultur für die Ohren, die zudem an jedem zweiten Sonntag im Monat um 18 Uhr (also gleich nach dem Artarium) auf den Frequenzen der Radiofabrik gut zu hören ist. Wir freuen uns immer wieder über deren thematische und gestalterische Vielschichtigkeit – und eben auch darüber, dass der von uns so geschätzte Rainald Grebe dortselbst des öfteren zu (meist gesungenem) Wort kommt. Ein vielfaches Hoch also auf die gepflegte Collage aus Strandgut und Kultur. Zur Einstimmung wie auch zur Abrundung ein Amuse Geule zur anregenden Verdauung des 20. Jahrhunderts

 

Wilfried, Gut Lack!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. FebruarIn unserer beleibten Reihe “Irgend so was wie ein Nachruf” würdigen wir diesmal Wilfried Scheutz, der vor nicht allzulanger Zeit “von uns gegangen” ist (wie man zu sagen pflegt). Mit seiner unverwechselbaren Reibeisenstimme durchpflügte er seit den frühen 70ern eine Vielzahl von musikalischen Genres. Dabei oblag er nie der bloßen Nachahmerei, sondern interpretierte jedes noch so geläufige Thema in seiner ganz eigenen, oft auch eigenwilligen Art und Weise. Das Reinheitsgebot des Hergebrachten blieb dem Urviech zeitlebens erfrischend fremd, und so ist es kein Wunder, dass Wilfried, in den mehr als 45 Jahren seiner aktiven Laufbahn, aus allem nur Erdenklichen wie etwa A Capella, Rock, Volksmusik, Dichtung und Pop fortwährend Neues erschuf.

Gut Lack WilfriedAngenehmerweise immer mit dem selbstironischen Augenzwinkern des sich selbst Spürens in einer Welt, die unvollkommen bleiben wird, aber zum Gestalten einlädt. Dies möge sich selbst erklären, zum Beispiel durch die Frühwerke “Ziwui Ziwui” oder “Orange”… Naturgemäß war für uns zwei die Hymne “Lauf Hase Lauf” ganz besonders bedeutsam, stellt sie doch die gewohnte Weltsicht auf den Kopf, indem sie den verfolgten Hasen zum Helden der Geschichte erhebt. Hier noch die Altersversion davon, dargeboten gemeinsam mit seinem Sohn Hanibal Scheutz (der im Hauptberuf Bassist bei 5/8erl in Ehr’n ist). Die Kunst der gepflegten Parodie (wofür Selbstironie ja die Voraussetzung ist) führte Wilfried schließlich mit dem A-Capella-Projekt 4Xang zu bislang unerhörten Höhen (und Bässen). Hierzu das rare Live-Video ihrer Version von Queens zeitlosem Mitgröhlhit “We Will Rock You”. Diese vier Wildererbuam brachten so ziemlich alles zu Gehirn und Hör, was nicht rechtzeitig (so ca. bis 3) vor ihnen auf den Baum floh. Und das war fürwahr nicht viel. Unter anderem verdanken wir den Herren eine grandiose Interpretation von Georg Kreislers Telefonbuchpolka, von welcher ich erstmals alle Namen mit V herunter transkribierte…

Zu guter Letzt erschien bei Monkey das Album “Gut Lack”, das wir hier und jetzt vorstellen und sehr empfehlen. Mit diesem im Wissen um den nahen Tod gezeugten Opus Ultimum begibt sich der Österreicher Wilfried in die Wesensnachbarschaft von Leonard Cohen und David Bowie. Die Würde des Menschen umfasst durchaus auch sein Leidenund Sterben.

Was wird?

 

Abrahams Nebenwirkungen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. Januar – Diesmal gehts um religiöse Schriften und ihre Auswirkungen auf die Weltpolitik. Speziell um eine Geschichte, die wir aus dem christlichen Alten Testament, der jüdischen Tora sowie dem heiligen Buch der Muslime, dem Koran kennen. Sie ist in der bildenden Kunst weit verbreitet und wird meist als Abrahams Prüfung oder Opferung Isaaks bezeichnet. Dazu hat das Jüdische Museum Berlin vor einiger Zeit eine mutige Ausstellung mit dem Titel “GEHORSAM” ausgerichtet, in der auch den verschiedenen Interpretationen durch die drei “abrahamitischen” Religionen nachgespürt wird. Mutig war dabei vor allem die Berufung des bildgewaltigen Filmregisseurs und ausgewiesenen Atheisten Peter Greenaway, dieses Thema  gemeinsam mit Saskia Boddeke zu bearbeiten.

Adi Holzer - Abrahams OpferNun ist wieder einmal die Dokumentation jenes Zusammenwirkens aufgetaucht: “Der grausame Gott? – Gewalt, Religion und Kunst” Sie hat mich persönlich mit einigen neuen Erkenntnissen überrascht, weshalb ich sie unbedingt weiterempfehlen möchte. Derlei fundamentalistischer Wahnsinn wie zum Beispiel Menschen auf Gottes Befehl zu opfern war mir schon immer ein Gräuel. Und diese merkwürdige Hochjubelung von Abrahams blindem Kadavergehorsam zum Heldentum der christlichen Tradition fand ich ebenfalls schon lange extrem stinkert … Riecht verdächtig nach Kirchengeschichte, nach “Gott mit uns” und Waffensegnung! Umso erstaunter war ich, zu erfahren, dass im Judentum das Nichtgeopfertwerden Isaaks im Vordergrund steht, Abrahams nebulöse Gehorsamkeit hingegen Anlass zu Hinterfragung und Widerrede ist. Ja da schau her! Den Gipfel der Erleuchtung bescherte mir dann jedoch der Imam Tareq Oubrou, der die entsprechende Passage aus dem Koran interpretierte. Dort TRÄUMT Abraham (Ibrahim) von einem göttlichen Auftrag, seinen Sohn zu opfern, und erzählt diesem am nächsten Morgen verwundert darüber. Der Korangelehrte legt diese Sure dahingehend aus, dass Eltern mit ihren Kindern über alle Themen, die deren Zukunft angehen, reden sollten – und auch mit ihnen zusammen entscheiden, was zu dann tun sei. Respekt! Und das in Zeiten, in denen wir ja gemeinhin fast ausschließlich mit Islamophobie vollgeschwallt werden.

In dem Zusammenhang wollen wir nachdrücklich die Position der Bedrohten und Verfolgten einnehmen, und zwar im Hinblick auf die totalitären Ansprüche in allen Religionen und Ideologien. Gerade rund um den Holocaustgedenktag (Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar) muss uns bewusst werden, wohin so etwas wie “Der Glaube des österreichischen Katholiken Adolf Hitler” geführt hat, und wohin uns der blinde Gehorsam gegenüber jedweder “Obrigkeit” jederzeit wieder führt.

Als Hirnfutter fürs immerwährende Niewieder gibts auch unsere Hörstolpersteine

 

Herabwürgung religiöser Lehren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. JuliEine intelligente Sendung über das, was geht – und das, was nicht geht. Und darüber, wie man es doch machen und dabei auf der sicheren Seite bleiben kann. Es geht natürlich um die sogenannten No-Gos der Programmgestaltung wie etwa Sexismus, Rassismus, Aufrufe zur Gewalt und das elegante Beleidigen von Religionsvertretern sowie sonstigen Oberhäuptern. Ganz offensichtlich (das legt ja schon der Titel nahe) handelt es sich hierbei um einen satirischen Beitrag, der im Brecht’schen Sinn (unter anderem durch Übertreibung) “die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit entstellt“. Oder wie beschrieb einst Karl Kraus den Salzburger Jedermann?“Der aberwitzigste Dreck” – und trat umgehend aus der katholischen Kirche aus. Na also, geht doch. Und jetzt wir: ACHTUNG SATIRE!

HerabwürgungRufen wir also zunächst einmal zum Oralverkehr mit einem Gangsta-Rapper sowie zur Tötung eines populären TV-Moderators auf, verhöhnen wir sodann pauschal alle männlichen Journalisten (das ist doch sowas von sexistisch), bevor wir die christliche Religion schmähen und dabei die geistige Gesundheit des Papstes in Frage stellen, Angela Merkel “ficken” sagen lassen – und darüber nachdenken, warum sich Kurz auf Furz reimt. Alles ganz schön gefährlich – doch im geigneten Kontext, in indirekter Rede, als Satire kenntlich gemacht oder einfach nur mit dem richtigen Konjunktiv geht viel mehr, als man glaubt, können zu dürfen. Denn unsere Inhaltsregeln sind nicht dazu da, bestimmte Themenbereiche insgesamt aus dem Programm zu verbannen. Sie dienen vielmehr dazu, bestimmte Haltungen wie Hetze, Kommerz, Propaganda und überhaupt das Fürdummverkaufen der Hörer_innen hintan zu halten. Genau dafür gibt es auch die Programmkommission. Und nicht dafür, dass hier alle so schön sprechen, wie es einige Wichtigkeiten wohl gern hätten, dass wir ihnen Honig ums Maul brunzen.

Herabwürgung WarnhinweisAuf jeden Fall werden wir in dieser Sendung einige Möglichkeiten des Umgangs mit “schwierigen Themen” exemplarisch anleuchten, naturgemäß auf die uns eigene Art der augenzwinkernden Zwischentöne. Denn zwischen Warz und Schweiß existieren ja unzählbare Schattierungen von Gunkel und Heil. Womit wir beim Antisemitismus angelangt wären, einer der zahllosen Varianten des Rassismus (den wir nicht mögen). Und somit bei einem weiteren Grund, weshalb diese Darbietung keine (nach § 188 StGB strafbare) Herabwürdigung religiöser Lehren ist, sondern die Darstellung genau jener Herabwürgung, die viele Menschen guten Willens Tag für Tag so unsäglich schlucken macht, wenn sie versuchen, zu verdauen, was ringsum vorgeht. Die fortwährende Herabwürgung des Brechreizes, den uns die Hirnblasen der religiösen Leeren verursachen. (Siehe “Die Ursache” von Thomas Bernhard).

Deppert sein sollte man dabei lieber nicht. Aber hört selbst …

 

Querschläger – Schåttseitnkind

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. JuliDie Kultband aus dem Lungau, QUERSCHLÄGER, betreibt die umfangreichste Musikerwebsite Österreichs.” Zumindest laut ihrer Selbstbeschreibung im Suchmaschineneintrag. Wir können ja (Gott und der Tante Jolesch sei Dank) nicht deren sämtliche vergleichend nachmessen. Nichtsdestoweniger endlich einmal ein umfängliches Archiv mit Hintergründen und Hörbeispielen, das einem alle wesentlichen Informationen verabreicht, so dass man nicht stundenlang deppert das halbe Internet durchforsten muss – und sich dabei an aberzig blitzdröhnen Aufdringeln erschöpfendes Hirnbluten einfangt. Chapeau! Wie schon in Schattseitnliacht gesagt: “Deut… nein: Lungauerisch! Dieses Land bietet viel mehr an herauftauchbaren Perlen im Schlamm des Konsumstreams als man glauben mag.”

Querschläger LiveDas Album Schåttseitnkind, das wir in dieser Sendung zur Gänze spielen, ist unter diesen Perlen noch einmal etwas ganz besonderes. Und zwar, weil es derzeit nicht lieferbar ist (wir regen dringend seine Neuauflage an) UND weil es ein rundes, stimmiges Konzeptalbum der Querschläger ist, entstanden aus dem Bühnenprojekt “Die Bettlerhochzeit” (gemeinsam mit der Theatergruppe MOKRIT). Sämtliche Lieder auf diesem Album wurden eigens für das 2004 realisierte Stück entwickelt und erst nachträglich auf CD veröffentlicht. “Ziel der Produktion war es, jenen, die das Stück gesehen haben, einen Anhaltspunkt zur Erinnerung und Wiederentdeckung zu bieten und jenen, die das Stück nicht gesehen haben, einen eigenen Zugang zu ermöglichen.” Letzteres funktioniert beim Zuhören im Kopftheater dergestalt vorzüglich, dass es einem nicht nur alle möglichen Ebenen der Zauberer-Jåggl-Zeit aufklappt, sondern zudem verständlich macht, auf welchem Weg die notorischen Querschläger “der Landesgabi ihre Lieblingsband” geworden sind:

“Da gibt es die historische Ebene des Prozesses von 1688/89, die Ausgrenzung, im wahrsten Sinne des Wortes Verteufelung und Verurteilung einer gesellschaftlichen Randgruppe in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit, die aber sofort und unweigerlich eine weitere Ebene öffnet, nämlich die des aktuellen Gegenwartsbezugs. Da gibt es die allgemeine, gesellschaftliche Spannungsfelder wie Machtausübung und Machtmissbrauch, Recht und Gerechtigkeit behandelnde Ebene, die wieder im direkten Zusammenhang mit einer weiteren, nämlich der persönlichen Ebene der Schicksale der einzelnen Charaktere des Stücks steht. Da gibt es die rationale Ebene des täglichen Lebens und Überlebens und die Flucht (davor) in die irrationale Welt von Aberglauben und Hexerei. Die Verknüpfung all dieser Schichten in überleitenden oder unterstützenden Liedern oder Stücken ist eine große Herausforderung, macht aber auch großen Spaß, eben weil es eine so große Palette von Assoziationsmöglichkeiten gibt.” Sänger und Texter Fritz Messner, August 2004

 

Fever Ray

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Juni Karin Dreijer Andersson ist eben anders – und macht seit jeher auch solche Musik. Ganz besonders anders ist das gleichnamige Debutalbum ihres Soloprojekts Fever Ray, das wir mit Ausnahme des Schlusstracks Coconut (hier zu genießen) in dieser Sendung vorstellen. Sozusagen fast ein ganzes Album, aus Gründen, die alle irgendwie etwas mit Zeit zu tun haben. Jenseits von Zeit und Raum hingegen scheint sich die eigenartige Musikwelt von Fever Ray aufzutun, die sich im besten Sinn mit geheimnisvoll, hypnotisierend und mehr noch als vielschichtig beschreiben ließe. “Wenn Terror ins Vertrauen kippt” oder die gepflegte Verstörung. Von da ist es auch zum Meister des Mehrdeutigen nicht mehr weit – zu Peter Gabriel nämlich und den Fourteen Black Paintings.

Fever Ray AlbumFrom the pain come the dream
From the dream come the vision
From the vision come the people
From the people come the power
From this power come the change

Völlig folgerichtig hat Fever Ray einen Gabriel-Klassiker aus den 80ern in einer Art und Weise gecovert, dass einem die liebe Gänsehaut besonders wohltuend über den Rücken rinnt. Nämlich Mercy Street, das auch in unserer Signation verstörensvoll anklingt.

Und so klingt auch die eine oder andere Stimmung ihres Albums im folgenden Gedicht nach, welches ein etwas anderer Musikredakteur aus unserem etwas anderen Kunnst-Biotop wohl noch unter dem Eindruck desselben verfasst hat:

deine hand weiß
die nackten nächte
am strand am rand
des walds unter sternen
die suchen nach dunkel
im dämmern im glühen
tropfender worte einer
noch zu erdenkenden welt

 

Wirsing Helden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. MaiGesetzt den Fall, nur die Allerwenigsten kommen als Arschloch auf die Welt – wo um alles in der Welt kommen die dann aber alle her? Hier muss angesetzt werden! Und Bildung ist auch hier das Zauberwort. Bildung macht nämlich auch klug. Ja! Und wir bräuchten natürlich Helden, Helden wie in den Geschichten, Helden, die es richten – wenn die Verantwortlichen schon so schmählich scheitern. Helden – aber woher nehmen? – So formuliert es der von uns immerdar hoch geschätzte Wortakrobat Jochen Malmsheimer in seinem Programm Dogensuppe Herzogin – Ein Austopf mit Einlage, in dem eine Busfahrt nach Venedig naturgemäß psychedelisch entgleist und in letzter Kulmination zum Auflauf sämtlicher Helden aus Jochens literarischen Frühzeit ausufert. Da fragt sich sogar der Doge: “Chi è quello?”

WirsingWirr singt das Volk oder doch das verunglückte Abschiedswort einer Marketenderin: Auf Wirsing (wie in Warschau!), vielleicht ja sogar eine Anspielung auf Judith Holofernes? Wirrsinghelden? Und just darüber werden wir euch selbstredend nicht im Klaren lassen, sondern euch mit An-, Um- und Verdeutungen derart zerwirren, dass ihr sogleich fürs Kilo Wirsing 80 Mark verlangt und dabei auch noch schnippisch guckt!

“Ich schloss für einen Moment entmutigt die Augen. Und riss sie sofort wieder auf. Jetzt nur nicht einschlafen! Es schlug eben 8 Glasen. Was?” Wie gesagt, wir befinden uns in einem vollbesetzten Bus auf der Nachtfahrt nach Venedig – und die Phantasie beginnt soeben all das, was wir uns als sogenannte Realität haben einpflanzen lassen, mehr und mehr zu durchdringen – und aufzulösen: Ein wortlos geblinzelter Befehl, und schon schallen die vertrauten Kommandos zum augenblicklichen Ablegen über das Deck: “Los Männer, entert auf in die Wanten! Hisst Rah- und Topsegel! Setzt Klüver und Fock! Bratzt die Zossen, lüpft die Brunzen! Vergesst mir auch den Rimper nicht, den Stramel und die Pölm! Spieht die Mampfen! Klofzt die Klöten an den Sparrer und versäumt mir ja das Riepelzulpen nicht! Und bimst mir brav auch den Besan! Hepp, hopp, ans Werk!”