Gerald Fiebig – New Enamel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. November – Vor einiger Zeit erreichte uns das freundliche Angebot des Augsburger Autors und Klangkünstlers Gerald Fiebig, sein Radiostück “New Enamel – Vom Karl-Marx-Hof zum Utopiaweg” in unserem etwas anderen Kunnst-Biotop auszustrahlen. Es handelt sich dabei um den finalen Teil einer für das Ö1 Kunstradio produzierten Trilogie rund um die Februarkämpfe 1934. Das zentrale Element der Komposition sind die Lebenserinnerungen seiner Großmutter, deren Vater Hermann Wurmbrand im Republikanischen Schutzbund gegen den Austrofaschismus kämpfte. Die damaligen Ereignisse sind inzwischen auch als Österreichischer Bürgerkrieg bekannt. Weshalb jedoch bringen wir diese gespenstische Zeitreise ausgerechnet jetzt im November – und nicht im Februar?

Gerald Fiebig - Karl Marx HofUnd warum hat der ORF, der den ersten Teil dieser Trilogie heute noch feiert, deren Schlussstück nicht gesendet? Das hat wohl mit einem “ersten Eindruck” zu tun, den die radiophone Komposition zunächst beim Zuhören bewirkt: Weil viel erzählt und zitiert wird, kommt einem das Stück wie ein klassisches Feature entgegen. So erlebte ich das beim ersten Mal. Zumindest die erste halbe Stunde lang. Doch dann springt mich die Hörwelt plötzlich lauthals an und wiederholt monoton das Geplärr der Kristallnacht. Von dem Punkt an war klar: Die Dramaturgie des “Hörspiels” ist viel hintergründiger als eingangs vermutet – und: Das müssen wir zum Gedenken an die Novemberpogrome des 10. November 1938 öffentlich machen. Gerade jetzt, wo unser ältester KZ-Überlebender und Zeitzeuge Marko Feingold gestorben ist – und das grölpöbelnde Dumpftum der neurechten Rattenfänger schon wieder grausige Urständ feiert, ist emotional berührende Zeitgeschichte fast schon lebensrettend. Gerald Fiebig verdichtet hier die Erinnerungen seiner Großmutter mit thematisch passenden Geräuschen und literarischen Einschüben zu einem Erlebnisraum mit starker Anziehungskraft. Genau das macht das Gelingen der erwähnten Zeitreise erst aus, die Begegnung mit den Gespenstern, leben sie denn – oder bin ich dort?

Welch ausgefeilte Arbeit hinter dieser Produktion steckt, könnt ihr im Konzept & Manuskript dazu nachlesen – und weiterführend auf seiner Homepage erforschen…

Der Bezug zum Projekt Hörstolpersteine (in unserer Signation) ist bestimmt KEIN Zufall. Genauso wie die Reverenz an den großen Georg Danzer: Der alte Wessely

 

Als der eiserne Vorhang fiel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Oktober“Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten”, sprach einst Walter Ulbricht. Kurz darauf mauerte und zäunte sich die DDR erst so richtig ein. Von 1961 bis 1989 erhob sich die Berliner Mauer als (fast) unüberwindbare Barriere zwischen Ost und West, dazu noch ein ebenso (fast) undurchdringlicher Zaun entlang der gesamten innerdeutschen Zonengrenze als Teil des eisernen Vorhangs zwischen kommunistischen und kapitalistischen Ländern. Am 9. November 1989 (also vor 30 Jahren) wurde die Berliner Mauer wieder geöffnet, und mit ihr “fiel“ nach und nach auch der restliche “eiserne Vorhang”. Aber auch vor diesem “Fall” versuchten Menschen aus verschiedenen Gründen, die Systemgrenze durchlässig zu machen. Und das waren in den meisten Fällen keine Berühmtheiten…

Als der eiserne Vorhang fielZum 30. Jubiläum dieses Vorgangs überschlagen sich die Amtsmedien wieder mal mit Gedenksendungen, dass einem dabei schwindlig wird. Mich verdrießt aber bei dem ganzen Tohuwadoku, wie Jahr für Jahr die immergleichen Prominent*innen ihre längst bekannten Erinnerungen in alle verfügbaren Kameras sülzen, wohingegen die “einfachen Leute” dabei so gut wie nie vorkommen. Als ein braves freies Medium, in dem vorzugsweise auch jene zu Wort gelangen, “die in den sonstigen Medien unterrepräsentiert sind”, bringen wir diesmal eine der vielen “kleinen” Geschichten zu Gehör, aus denen die “große” Geschichte ja ursprünglich besteht, bevor sie von den “Siegern” für ihre Zwecke interpretiert werden kann. Und diese “erzählte Wirklichkeit”, umrahmt von künstlerischen Darstellungen ihrer Zeit, soll einen geistigen Freiraum bewirken, in dem sich vortrefflich vorstellen lässt, wie es auch noch ganz anders sein könnte. Beziehungsweise, was Grenzen bedeuten. So wollen wir auch auf die etwas andere Gedenkveranstaltung “mauern MAUERN” der SAG am 4. 11. im Salzburger Literaturhaus hinweisen, bei der Mauerfall sowie eiserner Vorhang der Befragung durch dichterische Phantasie unterzogen werden.

Eine große Inspiration war und ist uns der Song “Sommer 89” von Kettcar. Danke!

Zur Einstimmung gäbs hier noch zwei Zeitzeugenberichte: “Flucht in die Zukunft” aus der Perspektive burgenländischer Fluchthelfer- und Unterstützer*innen sowie “Tausend Augen auf dem Kassettenabspielgerät” aus Erinnerungen der Rockband Silly im Hinblick auf Songtexte und Zensur in der DDR.

 

Jedermann Reloaded (Teil zwei)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Oktober – Wie wir in der letzten Sendung versprochen haben, gibts diesmal den zweiten Teil von Jedermann Reloaded gut zu hören. Philipp Hochmair & Die Elektrohand Gottes haben das altehrwürdige Stück des Hugo von Hofmannsthal in eine sehr zeitgemäße Fassung gebracht und neben zahlreichen furiosen Liveauftritten nun auch als Studioalbum aufgenommen. Dessen Länge von eineinviertel Stunden hat uns zur Zweiteilung dieses “ganzen Albums” bewogen, und so beginnen wir diesmal mit derselben Tischgesellschaft, mit der die vorherige Sendung (hier nachzuhören) endete. Und wir begleiten das Sterben des reichen Mannes vom ersten Gewahrwerden des nahenden Todes bis zu seinem unvermeidlichen Ende. Irgendwer ruft: “Jedermann, deine Tage sind gezählt…”

Philipp Hochmair Jedermann Reloaded 2Philipp Hochmair verkörpert bei dieser Reloaded-Version sämtliche Rollen selbst und interpretiert den (fast) unredigierten Originaltext in kongenialer Zusammenarbeit mit den entfesselten Klangkünstlern der Elektrohand Gottes als einen derart dichten Monolog, dem wir sogleich das Prädikat “Kopfkino” zuerkennen. Denn noch nie war der Jedermann deutlicher und zugleich freier aufzufassen als in der Gestalt dieses fulminösen Hörtheaters. Da gab es bislang nur eine (sehr freie) Nachdichtung, die das von vielen als gar zu christlich-konservativ erlebte Mysterienspiel radikal entstaubte und aus seinem historischen Kontext in die Gegenwart der Globalfinanz schmiss, nämlich “Ein Jedermann” von Felix Mitterer. Den ursprünglichen Text jedoch beizubehalten und ihn dabei so darzustellen, dass er auch vom katholischen Diktat abweichende Interpretationen zulässt, das gelingt diesem Jedermann-Reloaded-Projekt auf ganz beeindruckende Weise. Oder? Jedenfalls in unseren Ohren ist das der Fall, und es ist auch bestimmt sinnvoll, sich in weiterer Folge eigene Gedanken dazu zu erlauben…

Elektrohand Gottes_Elisabeth Fuchs_Philipp Hochmair © Stephan BrücklerDie nächste Erscheinungsform des postpsychedelischen Spektakels wird jetzt am 24. und 25. Oktober (jeweils um 19:30 Uhr im großen Festspielhaus) ans Licht kommen: Jedermann Reloaded Symphonic zusammen mit der Philharmonie Salzburg und der Chefdirigentin Elisabeth Fuchs. Für den Termin am 24. Oktober (Zusatzvorstellung) sind derzeit noch Eintrittskarten erhältlich. Die Fotos zu unseren Artikeln (sofern nicht anders vermerkt) stammen aus der Galerie der Projekthomepage und wurden uns von Heike Blenk zur Verfügung gestellt. Der Jedermann (ein fester Festspielflash) wird uns auch im nächsten Jahr heimsuchen, da feiert das Establishment seine hundertste Wiederkehr am Domplatz. Und wenn wir nicht gestorben sind, dann verabschieden wir die Frau Präsidentin geräuschvoll in den Ruhestand. Wer anderen auf die Hose klopft – aber seht es euch selbst an.

 

Jedermann Reloaded (Teil eins)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Oktober – Man kommt ihm einfach nicht aus, dem Jedermann. Jahr für Jahr zur Festspielzeit schallt es von der Höh und jedem hier aufgewachsenen Kind ist dieser seltsam schaurige Ruf schon bald genauso vertraut wie das Läuten der Kirchenglocken oder das Böllern der Prangerstutzen. Ein Teil des Klangbilds dieser Stadt. Und ein Teil der kulturellen Identität. Oder des Marketings? Geht es hier um Sein oder Schein? Auch wenn uns die Vermarktstandelung unserer Heimat durch Nutz und Zweck zutiefst abstößt, und auch wenn wir uns der geistigen Eingemeindung in ein prosperierendes Verkaufsimage als “Mozartstadt” entziehen, wenn irgendwer das hier angeschwemmte Kulturerbe so erfrischend aufbereitet wie Philipp Hochmair & Die Elektrohand Gottes – dann macht uns das schon hellhörig.

Jedermann ReloadedDieses Jedermann-Projekt wird als ein Work-In-Progress fortwährend weiter entwickelt, nachdem es 2013 im Rahmen der YDP-Inszenierung von Bastian Kraft seinen Anfang nahm. Die inzwischen entstandene Rock-Performance ist seit Jahren erfolgreich auf Tournee und auch als CD-Album verfügbar. Am 24. und 25. Oktober (jeweils um 19:30 Uhr) wird jetzt eine weitere Stufe atemberaubender Verbearbeitung erklommen, nämlich “Jedermann Reloaded Symphonic” zusammen mit der Philharmonie Salzburg. In deren Presseaussendung heißt es: “Die Philharmonie Salzburg wird mit Jedermann musikalisch in Dialog treten. Wir werden die bestehenden Elektrosounds der Band klanglich verstärken und verändern, Zitate aus der klassischen Musikwelt mitbringen, frei improvisieren und auch als Orchester szenisch in Aktion treten.” Wenngleich das Konzert im großen Festspielhaus stattfindet, wird dabei ein recht gemischtes, zum Teil auch junges Publikum erwartet. Oder wie Dirigentin Elisabeth Fuchs es vor der gemeinsamen Arbeit formuliert hat: “Wenn die Energie passt, funktioniert Crossover, und das mag ich.” Man darf also durchaus gespannt sein, nicht nur als Freund*in des klassischen Schauspiels, der symphonischen Musik oder des Post-Industrial an sich – sondern über alle Genregrenzen hinweg – und überhaupt: Viel Vergnügen!

Wir spielen in dieser Sendung den ersten Teil des Studioalbums (vom Prolog bis zur Tischgesellschaft). Den zweiten Teil (von der Tischgesellschaft bis zum Ende) gibt es dann in unserer nächsten Sendung.

 

Wer die Qual hat

> Sendung: Artarium vom Wahlsonntag, 29. September – Es ist halt schon so, dass sich die “Wirklichkeit da draußen” auch auf unsere inneren Wirklichkeiten auswirkt. “Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.” Wenn Friedrich Nietzsche damals schon von Fernsehen und Social Media gewusst hätte, dann würde er über einen “Abgrund, der einem ins Gesicht springt” nachgedacht haben. Und wäre ihm Edward Bernays‘ Propaganda bekannt gewesen (von Joseph Goebbels bis zu den Werbespots unserer Tage), dann hätte er wohl gemeinsam mit uns “gefickt eingeschädelt” gesagt. Die Qual der Wahl ist nämlich, dass wir keine haben. Denn ganz egal, für welches Produkt wir uns (angeblich so frei) entscheiden, es stammt (so wie alle anderen auch) aus dem gleichen Geschäft, dem Supermarkt.

Wer die Qual hatEine geniale Wortschöpfung, dadurch finden dann alle, die dort einkaufen, den Markt super. Und dass sich die meisten von uns Begriffe wie Demokratie oder Meinungsfreiheit nur mehr in Verbindung mit einem marktwirtschaftlichen System (eigentlich Kapitalismus) vorstellen können, auch das ist Ergebnis einer smarten PR-Aktion von Edward Bernays – im Auftrag von US-amerikanischen Wirtschaftsverbänden. Dass der Nazipropagandist Goebbels seine Methoden zur Beeinflussung der Deutschen ausgerechnet von einem Juden abgekupfert hat, ist eine spezielle Fußnote der Geschichte. Edward Bernays war nämlich Nachfahre eines berühmten Rabbiners und zudem in zweifacher Hinsicht Neffe von Sigmund Freud, dessen Bücher der hatscherte Brüllaff Goebbels wiederum verbrennen ließ. Was lernen wir daraus? Dass Politik generell nichts mit Wahrheit zu tun haben muss, um erfolgreich (pfuigack) zu sein. Oder schauen wir uns einmal in der politischen Gegenwart um: Microtargeting, Cambridge Analytica, Social Engineering, unsere Welt ist voll von inhaltsleeren Politdarstellern, die sich mit miesen Tricks an die Macht schwindeln. Auch unsere kleine Welt Österreich. Wer über die richtigen Methoden (schlag nach bei Bernays) und genügend Geld verfügt, kann die Massen zum gewünschten (Wahl)ergebnis manipulieren. “Manufacturing Consent” oder “Du hast keine Wahl, also nutze sie!” Wer die Qual hat, hat die Qual.

“Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh” Das ist der Titel der Lebens- und Überlebenserinnerungen von Marko Feingold, der am 19. September von uns gegangen ist. Wir haben ihn bei einigen Sendungen und Projekten kennen gelernt und wollen sein Vermächtnis (vor allem seinen legendären Humor) in einem kurzen Nachruf würdigen. Etwas Wesentliches jenseits des aufgeregten Politbimbams

 

The Young Gods play Woodstock

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. September – Jetzt ist es dann aber auch wieder einmal gut mit der ganzen 50-Jahre-Woodstock-Revivalerei. Wiewohl sich einige unserer Kolleg_innen erfrischend anders als der sonstige Medienmainstream mit diesem Jubiläum befasst haben, so etwa Erwin Müller in Flower Power Radio (der gleich in mehreren Folgen den Konzertmitschnitt mit allerlei Anekdoten und Hintergrund-Informationen garnierte) oder Karl Krenner in Karls Roaring Sixties (der auch Liveaufnahmen vom Festival präsentierte, die weder im bekannten Film noch auf den ebenso populären Live-Tonträgern zu hören waren), so ist uns doch insgesamt eine ziemliche Überdosis an Woodstock-Sentimentalität um die Ohren geflogen. Also, machen wir Schluss damit: “Woodstock in die Wurschtmaschin!”

the young gods play woodstockDoch wer uns kennt, weiß längst, dass derlei Verwurschtung und Zertrümmerung hierzuohrs stets nur würdigend und künstlerisch anspruchsvoll sein kann, niemals flach verächtlich machend oder gar plump herablassend. Dazu haben wir sodann auch tatsächlich ein passendes Gesamtkunstwerk gefunden, und zwar “The Young Gods play Woodstock”, die nicht mehr ganz so offizielle Aufnahme vom Willisau-Jazzfestival 2005. Das schweizerische Post-Industrial-Kollektiv rund um Franz Treichler führt diese wegweisende multimediale Ver(be)arbeitung des Woodstock-Mythos in Gestalt einer Verschmelzung von Originalfilmsequenzen und Originalsound mit bearbeiteten Samples sowie ihrer eigenen Livemusik auf. Das dabei entstandene Werk ist gleichzeitig eine Verbeugung vor der damaligen Ideenwelt – und eine gelungene Übertragung des damaligen Kreativgeists in die gegenwärtige Zukunft. Und das nicht ohne Ironie! Ein Höhepunkt ist zum Beispiel Erika Stucky als Roger Daltrey (See me, feel me) oder als Joe Cocker (With a little help from my friends). Ein weiterer sind die subtilen Anspielungen auf jene Bands, die nicht oder nur fast am Festival teilnahmen (The Rolling Stones, The Doors)…

Leider gibt es von diesem Projekt kaum noch brauchbare Aufnahmen im Internet. Dieses Video vom Paleo Festival Nyon 2009 kann allerdings einen ersten Eindruck von der Bühnenshow vermitteln. Und das von mir ausgewählte (ich habe mir erlaubt, den gut eineinhalbstündigen Willisau-Bootleg auf etwas über 40 Minuten zu kürzen) “Star Spangled Banner” kommt dem feuchten Traum vieler Gitarristen, einmal mit Jimi Hendrix gemeinsam auf der Bühne zu spielen, noch am nähesten (zumal man den Verblichenen ja nur schwer wieder zum Leben aufblasen kann). In diesem Sinn also “Purple Haze” – in der Young-Gods-Version – zur geneigten Einstimmung.

 

The Wall zum Geburtstag

Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. September (Doppelstunde) – Haben wir jetzt endlich alle Jubiläen beinand? Neben Woodstock und dem 2. Weltkrieg gäbs da noch Roger Waters und The Wall. Das legendäre Pink-Floyd-Konzept-Doppelalbum kam im Herbst 1979 erstmals als Studioversion über uns – und entwickelte sich schon bald zu einer interdisziplinären Darstellungsvielheit, die bis heute immer wieder zu neuen Wegen des Musik- und Geschichtenerlebens inspiriert. So entstand etwa 1982 unter der Regie von Alan Parker ein wahrhaft genresprengender Film (Ausschnitt) zu The Wall, in den Jahren zuvor war die Rockoper noch von Pink Floyd selbst gelegentlich als Livekonzertspektakel aufgeführt worden, und 1990 inszenierte sie Roger Waters anlässlich des Falls der Berliner Mauer noch einmal neu – am Brandenburger Tor

Roger Waters - The Wall Live (Film)Doch damit nicht genug ging der inzwischen in Ehren ergraute und nichtsdestotrotz nimmermüde Pink-Floyd-Miterfinder noch von 2010 bis 2013 mit einer behutsam weiter entwickelten Version von “The Wall Live” auf Welttournee. Der Fokus seines schier unendlichen Work-In-Progress verschob sich dabei mit der Zeit vom bloßen Beobachten allgemeiner Entfremdung hin zu einer furiosen Kritik an den dafür ursächlichen Verhältnissen. Der heute 76-jährige Roger Waters ist zu Recht zornig und weist mit dem Finger des Propheten in die klaffenden Wunden unserer Welt: Krieg als ultimative Erscheinung staatlicher Gewalt gegen den Einzelnen. Bei ihm heißt das zugrunde liegende Prinzip Staatsterrorismus – und speist sich auch aus seinem Nichterinnern an den Verlust seines Vaters Eric Fletcher Waters, welcher 5 Monate nach Rogers Geburt in der völlig verunglückten allierten Landeoperation bei Anzio zu Tode kam. Sein lebenslanges Abmühen an diesem so umfassenden Grundtrauma, und dass er es bis heute in künstlerische Ausdrucksformen zu übersetzen versteht – das macht uns den Mann einfach sympathisch. Man höre etwa “The Fletcher Memorial Home”

Roger Waters - mehr als nur der Schöpfer von The Wall

Nachdem wir uns jetzt jahrelang durch (oft recht räudige) Live-Bootlegs und obskure Audience-Videos (bis hin zur leider nicht mehr auffindbaren Konzert-Reconstruction vom Mai 2012 in San Francisco, bestehend aus ebensolchen) durchgequält haben, ist mittlerweile ein ordentlicher Konzertfilm erschienen, der am 6. September 2014 (dem 71. Geburtstag des Künstlers) erstmals gezeigt wurde. Wir spielen den Sound-Rip des Spektakels heute zu seinem 76. Geburtstag (sowie zum 58. des Hundes) und erinnern an das erstmalige Auftauchen von verstörenden Bildern: “Another Brick in the Wall”

So you thought you might like to go to the show

PS. Hier noch die berührende Geschichte, wie Roger Waters nach über 70 Jahren vom Anzio-Veteranen Harry Shindler Genaueres über den Tod seines Vaters erfuhr.

 

Die Menschheit schafft sich ab (Vortrag von Harald Lesch)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. August – Nachdem wir nun bereits das gleichnamige Buch von Harald Lesch vorgestellt haben, bringen wir diesmal noch einen ganzen Vortrag von ihm zu Gehör, den er 2017 in der Stadthalle Heidelberg gehalten hat, und der dort vom SWR für deren “Teleakademie” aufgezeichnet ward. Für die Genehmigung zur Verwendung im Radio bedanken wir uns also jetzt bei der Teleakademie-Redaktion, beim Autor und Vortragenden sowie beim Veranstalter dieses sehr speziellen Auftritts, dem Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg. Und weil es für uns ehrenamtliche Freizeitradioten kein Nebenbeispaziergang ist, sich all die für eine Sendung erforderlichen Rechte zu verschaffen, bleibt die Frage, warum wir einen Vortrag “hörbar machen” wollen, der eh schon im Internet umgeht.

Harald Lesch - VortragZum ersten erinnern wir da gern (und immer wieder einmal) an die Betrachtungen von John Peel über die Vorzüge des Radios gegenüber dem Fernsehen: “Radio is and always will be a more powerful medium than television because it allows the imagination of the listener to flourish.” So drückt es jedenfalls Justin Sullivan in einem Nachruf aus. Und so verstehen wir das auch: Gerade bei längeren Sprechstücken von hoher gedanklicher Dichte kann es förderlich sein, sie auch einmal ohne Mimik und Gestik des Vortragenden zu sich zu nehmen. Dabei werden Empathie und Phantasie angeregt, emotionale Nuancen können deutlicher erkannt werden, und das Gehirn beschüttet sich mit allerlei netten Chemikalien, die uns allgemein mit Wohlsein belohnen. Das Hören ohne zugleich zu sehen konzentriert die Wahrnehmung – und verstärkt dadurch die Aufmerksamkeit.

Nun ist Harald Lesch auch kein weithin Unbekannter, vielmehr ist er in zahlreichen Fernsehformaten beinah täglich zugange (alpha-Centauri, Terra X, Lesch’s Kosmos, Frag den Lesch). Die meisten, die ihn von daher kennen, haben eine gute Meinung von ihm: Er sei glaubwürdig, höchst kompetent und vor allem humorvoll. Jemand, der seine Gefühle zeigt (und sie nicht abspaltet), so einen Lehrer hätten sich viele in ihrer Schulzeit oder an der Uni gewünscht, einen, der auch “eher trockene Fächer” mit Saft und Kraft vermitteln kann – und der die “oft eng gefassten Spezialgebiete” in einem übergeordneten Zusammenhang darstellt.

Und so freuen wir uns auf eine echte Sternstunde von Harald Leschs Vortragskunst, in der wissenschaftliche Fakten rund um Naturzerstörung und Klimakrise auf die berechtigte Empörung über die “Durchökonomisierung aller Lebensbereiche” oder den “grenzdebilen Zustand gehorteten Vermögens” treffen. Dieses im besten Sinn poetisch wie prophetisch verdichtete Hörtheater wird abgerundet durch ein dazu passendes Lied von Paul Simon und Art Garfukel:

A Poem on the Underground Wall

 

Die Menschheit schafft sich ab (Buchvorstellung)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. AugustDer Herr Professor von der Universitätssternwarte in München hat ein vielbeachtetes Sachbuch geschrieben, dessen harter Titel uns sogleich sympathisch war: “Die Menschheit schafft sich ab – Die Erde im Griff des Anthropozän – Zum Stand der Dinge”. Das Besondere daran ist, dass hier ein anerkannter Wissenschafter den Weltbildern der Wunschdenker “an den Karren fährt”, wie es der geschätzte Gunkl ausdrückt, der im übrigen sogar gelegentlich gemeinsam mit ihm auftritt. Wir verwenden in dieser Sendung das Buch, das uns der Komplett-Media-Verlag zur Verfügung gestellt hat, und Ausschnitte einer Lesung des Autors (mit Publikumsgespräch) in der Buchhandlung Hugendubel. Am nächsten Sonntag gibts dann Harald Leschs gleichnamigen Vortrag auf die Ohren.

Harald Lesch - Die Menschheit schafft sich abDer Themenkreis “Überleben der Menschheit” ist ja tatsächlich seit vielen Jahren ein Dauerbrenner. Doch zum Glück spitzt sich die Frage, ob und wie wir als Spezies Mensch die weltweit zunehmende Zerstörung unseres Planeten überstehen können, in letzter Zeit ebenso zunehmend zu. Themen wie Erderwärmung, industrialisierte Landwirtschaft, Artensterben, Plastikmüll, Überbevölkerung und Ressourcenknappheit drängen trotz vehementer Abwiegelungen vermehrt in unser Bewusstsein. Die Allianzen derer, die “eine gedeihliche Zukunft für alle” etablieren wollen, werden ebenfalls immer bunter und vielfältiger. Da ist eine Krisis in Sicht, die diesen Namen endlich verdient. Wie aber kann eine darauf folgende Katharsis beschaffen sein?

Hier stehen wir nun genau an der feinen Grenze zwischen Wissen und Handeln, die dieses Buch auszeichnet, und die darin auch nicht ratgeberdumm überschritten wird. Der geheimnisvolle Übergang zwischen seinem Inhalt und dessen Auswirkung in der Lebenswelt der Leser*innen bleibt respektvoll gewahrt. Der liminale Zustand muss auch beschützt werden, sonst gelingt die Transformation der Reisenden in etwas Neues nämlich nicht. Genau darum geht es aber derzeit für die gesamte Menschheit: Eine radikale Verwandlung der gesellschaftlichen Strukturen, weg von der Herrschaft der Wenigen und ihrer Profitmaximierung auf Kosten der Allgemeinheit, und hin zu einem “gedeihlichen Gemeinwesen”, das die Reichtümer der Erde gerecht aufteilt, und das so auch die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten sicherstellen kann.

Nicht umsonst trägt ein Kapitel die Überschrift “Empört euch!”, just dieselbe wie eine Vermächtnisschrift von Stéphane Hessel oder ein mit dieser zusammenhängendes Lied von Konstantin Wecker. In diesem Sinne

 

Gender Marie*chen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. JuliGendarmerie versus Gender-Marie oder Bauhaus und Missfits – wie passen die überhaupt zusammen? Zugegeben, die Auswahl dieser aparten Kombination verdankt sich meiner persönlichen Erinnerung an die 80er Jahre – und vor allem daran, wie sich Zukunft und Möglichkeit dazumals anfühlten. Jedwede Art von Aufbruch, Emanzipation aus der hergebrachten Rollen- und Genrezuschreibung, Selbstbestimmung von Klangfarbe, Identität, Verhalten – es erschien demnächst erreichbar, alles nur eine Frage der Zeit (und des Bemühens um authentischen Ausdruck, mit Nachdruck). Heute sind viele von uns desillusioniert, gerade im Hinblick auf die substanzielle Veränderung der Gesellschaft hin zu mehr Toleranz und Gerechtigkeit. Wir fragen uns, ob das wirklich schon alles gewesen ist…

Gender MariechenZum Beispiel finden sich inzwischen auch die Töchter prominent im Text der Bundeshymne – der Unterschied in der Bezahlung von gleichwertiger Arbeit ist allerdings nach wie vor oft erheblich (zwischen Männern und Frauen). Gehts denn noch? Und anstatt Gleichheit der Geschlechter endlich zu etablieren, werden jetzt auch noch andere Gruppen in der Gesellschaft fröhlich gegeneinander aufgehetzt – und ausgespielt. Juhu! Wo leben wir eigentlich – in Geldmachtwirtschaftshausen? Es ist echt zum Speiben. Da greifen wir dann (durchaus zum Trost, jedoch auch zum Wiedererinnern an jene richtige Richtung, die längst eingeschlagen war) gern auf die Heterofeministinnen Gerburg Jahnke und Stefanie Überall zurück, die ja schon in den 80ern das Genre “Frauenkabarett” von sich wiesen: “Wieso? Es gibt doch auch kein Männerkabarett.” Oder auf die Avantgardisten des Dark Wave, die es auch vehement ablehnten, dem Genre “Gothic” einverleibt zu werden, wiewohl viele Schachterlscheißer sie genau als “Begründer desselben” bezeichnen. Wenn man einmal genauer betrachtet, was Gitarrist Daniel Ash alles unternahm, um seine Gitarre eben nicht wie eine Gitarre klingen zu lassen, dann möchte man fragen: “Was für ein Gender hat dein Sound?

Ein Wiederhören mit den Provokantinnen und den Nebelverhüllten, die jeweils auf ihre eigene Art und Weise Spuren in unserem Sendungsleben hinterlassen haben, gänzlich neu (re)kombiniert – naturgemäß für den guten Zweck.