The Wall zum Geburtstag

Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. September (Doppelstunde) – Haben wir jetzt endlich alle Jubiläen beinand? Neben Woodstock und dem 2. Weltkrieg gäbs da noch Roger Waters und The Wall. Das legendäre Pink-Floyd-Konzept-Doppelalbum kam im Herbst 1979 erstmals als Studioversion über uns – und entwickelte sich schon bald zu einer interdisziplinären Darstellungsvielheit, die bis heute immer wieder zu neuen Wegen des Musik- und Geschichtenerlebens inspiriert. So entstand etwa 1982 unter der Regie von Alan Parker ein wahrhaft genresprengender Film (Ausschnitt) zu The Wall, in den Jahren zuvor war die Rockoper noch von Pink Floyd selbst gelegentlich als Livekonzertspektakel aufgeführt worden, und 1990 inszenierte sie Roger Waters anlässlich des Falls der Berliner Mauer noch einmal neu – am Brandenburger Tor

Roger Waters - The Wall Live (Film)Doch damit nicht genug ging der inzwischen in Ehren ergraute und nichtsdestotrotz nimmermüde Pink-Floyd-Miterfinder noch von 2010 bis 2013 mit einer behutsam weiter entwickelten Version von “The Wall Live” auf Welttournee. Der Fokus seines schier unendlichen Work-In-Progress verschob sich dabei mit der Zeit vom bloßen Beobachten allgemeiner Entfremdung hin zu einer furiosen Kritik an den dafür ursächlichen Verhältnissen. Der heute 76-jährige Roger Waters ist zu Recht zornig und weist mit dem Finger des Propheten in die klaffenden Wunden unserer Welt: Krieg als ultimative Erscheinung staatlicher Gewalt gegen den Einzelnen. Bei ihm heißt das zugrunde liegende Prinzip Staatsterrorismus – und speist sich auch aus seinem Nichterinnern an den Verlust seines Vaters Eric Fletcher Waters, welcher 5 Monate nach Rogers Geburt in der völlig verunglückten allierten Landeoperation bei Anzio zu Tode kam. Sein lebenslanges Abmühen an diesem so umfassenden Grundtrauma, und dass er es bis heute in künstlerische Ausdrucksformen zu übersetzen versteht – das macht uns den Mann einfach sympathisch. Man höre etwa “The Fletcher Memorial Home”

Roger Waters - mehr als nur der Schöpfer von The Wall

Nachdem wir uns jetzt jahrelang durch (oft recht räudige) Live-Bootlegs und obskure Audience-Videos (bis hin zur leider nicht mehr auffindbaren Konzert-Reconstruction vom Mai 2012 in San Francisco, bestehend aus ebensolchen) durchgequält haben, ist mittlerweile ein ordentlicher Konzertfilm erschienen, der am 6. September 2014 (dem 71. Geburtstag des Künstlers) erstmals gezeigt wurde. Wir spielen den Sound-Rip des Spektakels heute zu seinem 76. Geburtstag (sowie zum 58. des Hundes) und erinnern an das erstmalige Auftauchen von verstörenden Bildern: “Another Brick in the Wall”

So you thought you might like to go to the show

PS. Hier noch die berührende Geschichte, wie Roger Waters nach über 70 Jahren vom Anzio-Veteranen Harry Shindler Genaueres über den Tod seines Vaters erfuhr.

 

Die Menschheit schafft sich ab (Vortrag von Harald Lesch)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. August – Nachdem wir nun bereits das gleichnamige Buch von Harald Lesch vorgestellt haben, bringen wir diesmal noch einen ganzen Vortrag von ihm zu Gehör, den er 2017 in der Stadthalle Heidelberg gehalten hat, und der dort vom SWR für deren “Teleakademie” aufgezeichnet ward. Für die Genehmigung zur Verwendung im Radio bedanken wir uns also jetzt bei der Teleakademie-Redaktion, beim Autor und Vortragenden sowie beim Veranstalter dieses sehr speziellen Auftritts, dem Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg. Und weil es für uns ehrenamtliche Freizeitradioten kein Nebenbeispaziergang ist, sich all die für eine Sendung erforderlichen Rechte zu verschaffen, bleibt die Frage, warum wir einen Vortrag “hörbar machen” wollen, der eh schon im Internet umgeht.

Harald Lesch - VortragZum ersten erinnern wir da gern (und immer wieder einmal) an die Betrachtungen von John Peel über die Vorzüge des Radios gegenüber dem Fernsehen: “Radio is and always will be a more powerful medium than television because it allows the imagination of the listener to flourish.” So drückt es jedenfalls Justin Sullivan in einem Nachruf aus. Und so verstehen wir das auch: Gerade bei längeren Sprechstücken von hoher gedanklicher Dichte kann es förderlich sein, sie auch einmal ohne Mimik und Gestik des Vortragenden zu sich zu nehmen. Dabei werden Empathie und Phantasie angeregt, emotionale Nuancen können deutlicher erkannt werden, und das Gehirn beschüttet sich mit allerlei netten Chemikalien, die uns allgemein mit Wohlsein belohnen. Das Hören ohne zugleich zu sehen konzentriert die Wahrnehmung – und verstärkt dadurch die Aufmerksamkeit.

Nun ist Harald Lesch auch kein weithin Unbekannter, vielmehr ist er in zahlreichen Fernsehformaten beinah täglich zugange (alpha-Centauri, Terra X, Lesch’s Kosmos, Frag den Lesch). Die meisten, die ihn von daher kennen, haben eine gute Meinung von ihm: Er sei glaubwürdig, höchst kompetent und vor allem humorvoll. Jemand, der seine Gefühle zeigt (und sie nicht abspaltet), so einen Lehrer hätten sich viele in ihrer Schulzeit oder an der Uni gewünscht, einen, der auch “eher trockene Fächer” mit Saft und Kraft vermitteln kann – und der die “oft eng gefassten Spezialgebiete” in einem übergeordneten Zusammenhang darstellt.

Und so freuen wir uns auf eine echte Sternstunde von Harald Leschs Vortragskunst, in der wissenschaftliche Fakten rund um Naturzerstörung und Klimakrise auf die berechtigte Empörung über die “Durchökonomisierung aller Lebensbereiche” oder den “grenzdebilen Zustand gehorteten Vermögens” treffen. Dieses im besten Sinn poetisch wie prophetisch verdichtete Hörtheater wird abgerundet durch ein dazu passendes Lied von Paul Simon und Art Garfukel:

A Poem on the Underground Wall

 

Tocotronic – Schall & Wahn

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. AugustSeit dem Erscheinen des Tocotronic-Albums “Schall & Wahn” anno domino 2010 juckt es mich speziell zur Festspielzeit immer wieder, dieses wahre Meisterwerk in seiner vollen Länge von über 55 Minuten zu spielen. Jetzt ist es endlich soweit, zumal der Herr Hase und ich heuer eine entsprechend vertrackte Nachtfahrt namens “Wallfahrt nach St. Moloch” gestalten, in welcher wir die sonderbare Vorherrschaft der “Hochkultur” aufs Korn nehmen. Und was könnte dazu besser passen als ein paar dieser unverwechselbaren Dirk-von-Lowtzow-Texte, kunstvoll eingebettet in symphonische Noise-Gitarren? Bei Songtiteln wie “Schall & Wahn” oder “Keine Meisterwerke mehr” ziehts mir ja gleich den ganzen salzburgischen Festspielmoloch aus dem Verdrängungskerker.

Tocotronic - Schall & WahnZwar waren Tocotronic (wie eben so vieles) in meinem Bewusstsein schon seit einiger Zeit nicht mehr so frontal vorhanden wie anno damals, doch dann hörte ich plötzlich wieder die wunderbare Abspannmusik zu Fatih Akins Film “Tschick”Dirk von Lowtzow und Beatsteaks mit “French Disko” – und konnte mich der Hypnose dieser Stimme nicht mehr entziehen. So wie “Gift” eben auch verschiedenste Bedeutungen wiederspiegelt: Ein süßer Rausch aus Wortwitz und Poesie erhellt uns die Welt vor der Katerstrophe, dem Untergang, der dann auch nur vielleicht stattfindet. Unsere Kapitulation IST schon der Sieg. Ätsch! Bilddenkmenschen unter sich oder Warum Diskurswerfen keine olympische Disziplin darstelltZurück zu meinem persönlichen Festspieltrauma: “Die Folter endet nie” und “Gesang des Tyrannen” stehen hier prototypisch für jede ungewollt erlittene Unterdrückung. Und auch die Identifikation mit dem Aggressor (das Stockholm-Syndrom) findet hier seine Entsprechung, oder, wie es Arno Gruen ausdrückt, der Augenblick, “in dem das Vertrauen in den Terror kippt”. “Eure Liebe tötet mich” entlarvt nicht nur die Lüge von den guten Eltern (sowie überhaupt jeder “Obrigkeit, die es nur gut mit uns meint”), sondern zeigt auch die Ambivalenz der mit dem Erkennen dieses Betrugs verbundenen Gefühle. “Ein leiser Hauch von Terror”

Womit also beginnen, in dieser Zweckmühle, wo die verordnete Heimatliebe zugleich Widerstand und Geborgeheit auslöst? “Im Zweifel für den Zweifel” wäre ein Anfang. Oder hörts euch einfach die ganze Playlist an – und denkts euch selber was dabei…

 

Gender Marie*chen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. JuliGendarmerie versus Gender-Marie oder Bauhaus und Missfits – wie passen die überhaupt zusammen? Zugegeben, die Auswahl dieser aparten Kombination verdankt sich meiner persönlichen Erinnerung an die 80er Jahre – und vor allem daran, wie sich Zukunft und Möglichkeit dazumals anfühlten. Jedwede Art von Aufbruch, Emanzipation aus der hergebrachten Rollen- und Genrezuschreibung, Selbstbestimmung von Klangfarbe, Identität, Verhalten – es erschien demnächst erreichbar, alles nur eine Frage der Zeit (und des Bemühens um authentischen Ausdruck, mit Nachdruck). Heute sind viele von uns desillusioniert, gerade im Hinblick auf die substanzielle Veränderung der Gesellschaft hin zu mehr Toleranz und Gerechtigkeit. Wir fragen uns, ob das wirklich schon alles gewesen ist…

Gender MariechenZum Beispiel finden sich inzwischen auch die Töchter prominent im Text der Bundeshymne – der Unterschied in der Bezahlung von gleichwertiger Arbeit ist allerdings nach wie vor oft erheblich (zwischen Männern und Frauen). Gehts denn noch? Und anstatt Gleichheit der Geschlechter endlich zu etablieren, werden jetzt auch noch andere Gruppen in der Gesellschaft fröhlich gegeneinander aufgehetzt – und ausgespielt. Juhu! Wo leben wir eigentlich – in Geldmachtwirtschaftshausen? Es ist echt zum Speiben. Da greifen wir dann (durchaus zum Trost, jedoch auch zum Wiedererinnern an jene richtige Richtung, die längst eingeschlagen war) gern auf die Heterofeministinnen Gerburg Jahnke und Stefanie Überall zurück, die ja schon in den 80ern das Genre “Frauenkabarett” von sich wiesen: “Wieso? Es gibt doch auch kein Männerkabarett.” Oder auf die Avantgardisten des Dark Wave, die es auch vehement ablehnten, dem Genre “Gothic” einverleibt zu werden, wiewohl viele Schachterlscheißer sie genau als “Begründer desselben” bezeichnen. Wenn man einmal genauer betrachtet, was Gitarrist Daniel Ash alles unternahm, um seine Gitarre eben nicht wie eine Gitarre klingen zu lassen, dann möchte man fragen: “Was für ein Gender hat dein Sound?

Ein Wiederhören mit den Provokantinnen und den Nebelverhüllten, die jeweils auf ihre eigene Art und Weise Spuren in unserem Sendungsleben hinterlassen haben, gänzlich neu (re)kombiniert – naturgemäß für den guten Zweck.

 

Musik aus Salzburg in Aserbaidschan

> Sendung: Artarium am Sonntag, 21. Juli – Der Salzburger Minnesänger und Multiinstrumentalist Thomas Schallaböck war unlängst zu Gast in Aserbaidschan. Als ausgewiesener Spezialist für die Musik des Mittelalters stellte er dort nicht nur – etwa an der Universität – authentisches Liedgut auf historischen Instrumenten vor, sondern spielte auch in Baku zusammen mit dem Ensemble “Əsrlərin sədası” ein vielbeachtetes Konzert, das die elementare Verwandtschaft östlicher und westlicher Musiktradition aufzeigte. Dieses Konzert, das später sogar im aserbaidschanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, wollen wir euch heute ganz und gar zu gedeihlichem Gehör bringen. Da unsere Aufnahme einen recht weiten Weg hinter sich hat, haben wir sie für die Radiofabrik unseres Vertrauens noch ein klein wenig “aufpoliert”

Thomas Schallaböck spielte jüngst auch in AserbaidschanIn Aserbaidschan wird eine uralte und sehr spezielle Musiktradition namens Mugham gepflegt. Was ist das genau? Hier gibt es für Spezialist*innen eine kleine Vertiefung. “Erstaunlicherweise haben diese uralte aserbaidschanische Musik und die mittelalterliche Musik Europas gemeinsame Wurzeln in der persischen und arabischen Musik.” So erklärt Thomas Schallaböck auch die besondere Wirkung seines “Incontro Culturale” (Kulturbegegnung), worüber sowohl DrehPunktKultur als auch der ORF berichtet haben. Und so versteht er auch sein künstlerisches Engagement an den Ufern des kaspischen Meeres: “Es ist eine Begegnung von Ost und West, eine Begegnung verschiedener Religionen und Kulturen, ein kleiner Baustein für eine Welt der Toleranz und des gegenseitigen Respekts.” Inmitten einer Weltpolitik, die sich im medialen Mainstream zunehmend auf Krisen, Krieg und Kriminalität fokussiert, ein sympathischer gegenkultureller Beitrag zur zwischenmenschlichen Berührung. Was wir in unserer Arbeit als Inselstiften und Perlentauchen inmitten des Unkultursumpfs der beschleunigten Kommerzdiktatur beschreiben, läuft auf etwas Ähnliches hinaus: Kleine Freizonen für die Wertschätzung des Lebens zu errichten. In ihnen kann die Phantasie wuchern, die Liebe zum Schönen erblühen – und die Getriebenheit des Immermehrmüssens zur Ruhe kommen. Über alle Zeiten und Kulturen hinweg…

Wer gern mehr über das Lebenswerk dieses besonderen Kunstschaffenden erfahren möchte, der/dem sei Dulamans Vröudenton – oder sein derzeitiges Projekt Harmonia Variabilis ans Herz gelegt. Ernsthaft.

 

Steve Westfield Album

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. Juli – Obzwar keine Musik aus Salzburg, so doch immerhin Musik, die einen gewissen Salzburgbezug vorzuweisen hat. Nicht nur, dass Günther Binder (The Seesaw, Jekyl & Hyde Park Band) eine Zeit lang bei Steve Westfield das Schlagwerk rührt, auch das heimische Musikurgestein Stootsie (der heute den schönen Shop Riverside Guitars betreibt) spielt sich in den 90ern bei legendären Konzertsessions mit Steve Westfield and The Slow Band in den Rausch der Sinne. Und sogar in der historischen Werkschau wird die Stadt an der Salzach explizit erwähnt: “Austria becomes a haven for the band, normally playing 3-5 hour gigs, with much improvisation. One gig in Salzburg ends at 5:00 am with only Steve W and Steve M lying on the floor still singing, to 3 or 4 people wandering around.” Well said.

steve westfield underwhelmedFür diese Sendung haben wir einige typische Songs aus zwei Alben jener Zeit ausgewählt, aus “Reject me…First” (1995) und aus “Underwhelmed” (1997). Letzteres gibt sowohl in seinem Albumcover als auch durch seinen Titel (eine der allergelungensten Wortschöpfungen überhaupt) die Stimmungswelt der hier versammelten Lieder und Texte vortrefflich wieder. Das ist Kunst für Außenseiter und Deprimierte und zugleich auch ein tiefes Verlangen nach Gerechtigkeit für all jene, die sich nicht mit dem dauergrinsenden Funktionieren einer immer fragwürdigeren Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft anfreunden können oder wollen. Ein gutes Drittel der Bevölkerung, wie man hört, das doch nicht einfach nur hinten runter oder unten raus fallen darf, indem alles so weiter geht wie bisher. Oder? Der Ohrenarsch von Schasplappersdorf und die glitschigen Produktmanager der Digitaldiktatur. Dazu ein Grölpöbel von Volkszornstammlern unter der Kronenheizung. Wunderts noch irgendwen, nach einem Vierteljahrhundert Kommerzfernsehen und Geiz-ist-geil-Marketing, wenn verordnetem Leistungsdruck nicht Entsprechende als bald “überflüssige Menschen” ihrer Abschaffung entgegen dämmern? Der Untergang. Eine Erregung. Von Thomas Burnout. Zurück zur Musik:

“Westfield betreibt ein ziemlich heimtückisches Songwriting, das sich zuerst im Sinne eines Vic Chesnutt langsam melancholisch vor dem Zuhörer ausbreitet, um diesem dann wie ein verspätet zündendenes Tischfeuerwerk unverhofft heftig krachend um die Ohren zu fliegen.” Thomas Kerpen im Ox-Fanzine.

“I expected something pathological, but I did not expect the depth, the violence, and the almost intolerable beauty of the disease. They improvised around the music, went from liquid lyricism, to rasping lechery to the shrill skittishness of a frightened child, to a heroin nightmare.” Kommentar auf “cdbaby”

 

Das große Rauschen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juli – Ringsum nichts als Rauschen und im Kopf der Tinnitus. Die Summe aller Signale und Informationen, die sich zunehmend gleichzeits ins Gehirn multiplizieren und in ihrer gegenseitigen Überlagerung einen undurchdringbaren Brei bilden. Lärm, Logorrhoe, semantischer Gatsch, Marketingdong, Bejinglegebell, Radio BILLA – in meinem Kopf toben zwölf blecherne Duracellaffen – und hören nimmermehr auf. Das mentale Zustandsbild des durchschnittlichen Konsumdeppen (und der Deppin selbstauch) entspricht so ziemlich der Zugeschissenheit des Planeten. Das gilt leider nicht nur für die Mithupfer und Gernknödel, sondern auch für alle Ruhebedürftigen und Verweiglinge. Denn in uns und um uns lagern sich der Industriemüll und seine Zerfallsprodukte gnadenlos ab.

Rauschen kann tödlich seinIn unseren Sendungen geht es dabei meist nicht um den Abfall in der Außenwelt, also die Zerstörung der uns umgebenden Natur durch rücksichtsloses und profitgieriges Ausplündern der Erde, was für sich genommen schon lebensgefährlich genug ist. “Die Menschheit schafft sich ab” heißt es demgemäß auch bei Harald Lesch. Wir jedoch sind Trüffelhasen hier im Medienwald und widmen unser Gespür mehr den Innenwelten und deren Zuständen. Weil wir ja “nach Perlen tauchen” in diesen trüben Gewässern des Konsum-, Leistungs- und Wegwerfschwindels. Genau da zeigt sich das wahre Unwesen dieser Zuvielisation, die sich zwar Kultur nennt, in Wirklichkeit jedoch nichts anderes ist als Verstopfung. Die sogenannte “Informationsgesellschaft” erzeugt eine fortwährende Anhäufung von immer noch mehr nicht mehr abbaubaren Überresten ihrer eigenen Behauptung. Meinungsvielflat, Übelforderung und Wahlfeilheit. Flächendeckendes Rauschen

Rauschen verbotenInmitten dieser Schlammlawine an Reizüberflut und Signalstörerei, ganz zu schweigen vom stetigen Beschwallertwerden mit Umpfz und lauthalsem Schas, stiften wir eine Insel, die dem Untergang im Kommerz nach wie vor widersteht. Erhört, erlesen und erbaulich sind unsere Beutestücke des täg- und nächtlichen Überlebens im Sumpf umbrandender Zergrunzung. Wir mögen ihm nicht entrinnen, dem Technolügietsunami der depperten Massenzucht, aaaber wir geben niemals auf, ein kleines gallisches Dorf zu sein, mit unserer ganz eigenen Weltsicht und Lebensart. Zaubertrank hin oder her, soviel steht für uns fest: Die spinnen, die Römer! Und deshalb laden wir auch alle Menschen guten Willens auf unsere Überlebensinsel ein, denn wie schon der bekannte Druide Peter Gabriel einst vorhersah: “If again the seas are silent, in any still alive – it’ll be those who gave their island to survive.” Here comes the Flood – und wir basteln uns eine Hoffnung.

Rauschen vermindert ihre FurchtbarkeitVerklebt, verschleimt, verschroben, beplempert, waach, zerschleunigt, Zeitraffer, Zeitlupe, Zeiz, zeränderte Geschwindligkeit, YouTuba, Masse und Matsch, Mein Krampf, döppelte der Gottelbock, Wien : Hendlplatz, Volkszornbrot, Unz, Untenhaltung, Untengack, unzerm Wetterbercht, Börsendoofer, Red ned so an Bull, Fußbad, Fußblah, panta rhei, Quod licet Jovi non olet – oder einfach nur Bestelln

Baby lass uns was zusamm bestelln
Baby lass uns zusamm was bestelln
Baby lass uns was bestelln zusamm
dass wir dann hinterher was zusamm bestellt ham

Hörst du es schon rauschen?

 

Guten Morgen ihr Vögel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. Juni – Dem Erwachen der Vögel zu lauschen, in jener so speziellen “blauen Stunde” des Übergangs zwischen Nacht und Tag, das wollten wir schon längst einmal fürs Radio aufbereiten. Diese Klänge der Natur, mit denen wir alle (meist unbewusst) von klein auf vertraut sind – und die somit auch den Ursprung unserer Musikalität bilden, bewusst zu Gehör zu bringen und dem elemetaren Erinnern wieder neu zugänglich zu machen. So wie dies schon in unserer Sendung über Kurt Schwitters’ Ursonate (Excellent Birds) angeklungen ist. Und wo stehen wir heute? Wir hören ernste Nachrichten vom Aussterben vieler Tierarten, wie sie etwa der Ornithologe Peter Berthold formuliert – und leben dabei selbst in gefährlichen Verhältnissen, wie uns etwa Harald Lesch zu erklären weiß.

Im Reich der VögelWas aber macht das mit einem, wenn man sich eigenfüßig auf den Weg begibt, so eine Morgenstund in der Gemeinschaft der Vögel zu verbringen – und derlei in Gestalt einer Tonaufnahme festzuhalten? Letzteres Vorhaben verändert die Hörwahrnehmung jedenfalls ganz beträchtlich: Man glaubt ja nicht, wie LAUT die gewohnte Hörumgebung gerade in der vermeintlich “stillen” Nacht sein kann. Verkehrslärm von fern, röhrende Klimaanlagen oder irgendwelche Deppen, die ihre Umpfmusik durchs geöffnete Fenster in die Landschaft blasen. Die Unternehmung schärft also schon auf dieser Ebene ordentlich die Sinne. Hat man dann doch endlich einen Platz gefunden, wo möglichst wenig Störgeräusche zu hören UND zudem auch noch hinreichend viele verschiedene Vogelarten zugange sind, kommt die optische Dimension dieser Stunde zum Tragen. Langsam verändert sich dabei die Sicht von düsterem Graublau hin zu kräftigeren Farbtönen, ein Effekt wie auf LSD oder bei einer Sonnenfinsternis. Das Dreh- und Angelwort ist LANGSAM und der sich dadurch einstellende Zustand ist der einer umfassenden Entschleunigung. Ganz abgesehen sowieso von den Vögeln, die einem unfassbar nahe sind – so wie man mit dem Ort des Geschehens verschmilzt.

Wir empfehlen dringend, sich diesem Ereignis LIVE (gern auch ohne Aufnahmegerät) hinzugeben. Euer Bewusstsein wird euch für seine Veränderung danken! Und wir empfehlen ebensosehr die Musik von Leo Tischendorf, die in all ihrer expressiven Innerlichkeit ganz vortrefflich zu unserem Thema passt: Guten Morgen, ihr Vögel…

 

Mikroaggression

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Juni“Beim Reden kommen die Leut zamm.” So auch Slavoj Žižek und Jordan Peterson, als deren Gemeinsamkeit die Kritik am Konzept der “Political Correctness” gilt, just am Karfreitag, und dann auch noch zum Thema “Happiness: Capitalism vs. Marxism”. Eine stets hektisch nach Aktualität hechelnde Medienwelt hat diesen professionell vermarkteten Event schon im Vorfeld zu einem “Philosophenduell” hochgejodelt – und bespricht ihn im nachhinein auch wie einen Boxkampf oder Ähnliches. “Wer hat gewonnen?” Derlei geht uns naturgemäß am Arsch vorbei. Doch das Wort Mikroaggression (und wie Jordan Peterson dessen aktuellen Gebrauch wahrnimmt) ist im Kulturoskop der Artarium-Redaktion hängen geblieben, und so wollen wir es gern näher betrachten…

Mikroaggression ist ein sozialpsychogischer Begriff aus den 70er Jahren, der speziell an Universitäten des englischen Sprachraums derzeit ein fragwürdiges Revival durchmacht. Apropos Macht, ich verstand damals darunter ein Erscheinungsbild struktureller Gewalt und finde es daher heute mehr als zweifelhaft, die Verantwortung dafür wiederum dem Verhalten einzelner Individuen zuzuschieben. Sowas ist doch reaktionär. Oder christlich konservativ. Weltfinanzquadratfundamentalistisch. Genau andersrum würde ein linker Schuh draus, liebe Genoss*innen. Oder? Wenn ich das “Konzept Mikroaggression” im Kontext von “politischer Korrektheit” einmal logisch durchdenke, dann dürfte ich keinen schwarzen Taxifahrer mehr fragen, wo er her kommt (weil er sich dadurch abgewertet fühlen könnte) – und so würde ich weder Interessantes über zum Beispiel Somalia erfahren, geschweige denn Nähe und menschliche Verbundenheit herstellen können. Aber die fortschreitende Entfremdung der humanoiden Plemplems von einander (und somit vom Leben an sich) ist ja eh kein besonderes Problem unserer Gesellschaft. Viel mehr, ob und wie man nicht Neger sagt. Da hat Žižek wohl recht, wenn er hier das visionäre Versagen der gesamten Linken konstatiert. Und Peterson ist vielleicht nicht “der Stichwortgeber” der neuen Rechten, als der er gern verkauft (oder vereinnahmt?) wird. Zwischen dem Bericht über das “Showduell” (im “Zeit”-Feuilleton) und der inhaltlichen Analyse des Gesprächs (von Benjamin Studebaker) liegen jedenfalls Welten an Wirklichkeit.

Reden wir drüber.

Slavoj Žižek hat wie immer seinen ganz eigenen Zugang and so on and so on…

So wie übrigens auch Jordan Peterson, hier im norwegischen Fernsehen

 

And then there were three…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Juni – “Da waren es nur noch drei” wäre wohl etwa der deutsche Titel des 1978 erschienenen Studioalbums von Genesis, durchaus selbstironisch “…And Then There Were Three…” geheißen. Nachdem wir nun schon dem üppigen Gesamtwerk von Peter Gabriel eine ganze vierstündige Nachtsendung gewidmet haben, soll hier auch noch eine frühe Arbeit von Genesis gut zu hören sein, und zwar das erste Album, das nach dem Aussteigen von Sänger Peter Gabriel (1975) und Gitarrist Steve Hackett (1977) entstand, als die Band also tatsächlich zu einem Trio geschrumpft war, in dem zunehmend Phil Collins den Ton angab (nicht zuletzt weil er ja jetzt anstelle von Gabriel sang). Ein Album, auf dem ihr etablierter Art-Rock und ihr künftiger Mainstream-Rock noch miteinander können.

GENESIS - And then there were threeEs ist unbestreitbar, dass mit dem Fortschreiten ihrer Weltkarriere und dem immer stärker werdenden Einfluss von Phil Collins (von dem noch eigens ein reden sein soll) die versponnenen Surrealitäten und dramaturgischen Arrangements der Peter-Gabriel-Ära zunehmend verschwanden. An ihre Stelle traten griffige radio- wie stadiontaugliche Popismen, die ein Mitschwelgen breiterer Massen möglich machten. “…And Then There Were Three…” versammelt noch beide Seiten der Musikmedaille – auf einem Album: Das opulent symphonische “Burning Rope” erinnert vom Aufbau her stark an Stücke aus “The Lamb lies down on Broadway”, das flott gespielte “Scenes from a Night’s Dream” gibt inhaltlich die phantastischen Abenteuer von Little Nemo wieder und im abschließenden “Follow You, Follow Me” taucht bereits der später so omnipräsente “Charts-Collins” auf, von dem Peter Huth sinngemäß schreibt: “In den späten 80ern und frühen 90ern konnte man fast keinen Fahrstuhl betreten, in dem Phil Collins nicht längst drin war.” Da sollte man jetzt allerdings schon wissen, was Fahrstuhlmusik als Synonym für penetrant-kommerzielles Hintergrundbedudel bedeuten kann. Oder, wie es das trojanische Pferd ausdrückt: “Der nächste, der Kunst sagt, kriegt eine aufs Maul.”

Da schau her – die F-Musik (Funktionale Musik) gibt es wirklich. Fahrstuhlmusik, für viele im wahrsten Sinn Musik zum Weghören.