Satt Irre

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Juni“Es gibt also doch noch Satire”, “ORFloch” oder “Fuck the Biedermeier” waren alternative Arbeitsitel. Nun also doch “Satt Irre” weil wegen dem Wortspiel und Peter.W.s Satirejingle von damals. Denn Satire, im besten Sinn “Entstellen der Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit” oder eben durch Übertreiben und Verfremden erst so richtig verstehbare Darstellung, ist für einen gesellschaftlichen Dialog auf Augenhöhe notwendig. Weshalb sie auch von denen verfolgt und unterdrückt wird, die keinen solchen Dialog zwischen den “zum Herrschen Auserwählten” und dem “gefälligst zu funktionieren habenden Pöbel” zulassen möchten. Satire ist eine Schutzimpfung gegen den Schwindel – in dieser Polit-Pandemie. Die einen bekommen sie – und die anderen nicht. Das ist doch irre!

Satt Irre Eck HartUnd immer dort, wo sich irgendein Depp berufen wähnt, autoritär zu regieren, wird Satire ganz schnell zur Majestätsbeleidigung. Hallo? Wir sollen einen Hut grüßen, aber nicht verstehen, was es bedeutet, dass man ihn da hingehängt hat? (Friedrich Schiller, Wilhelm Tell) So ging es Carolin Kebekus mit “der Kirche” (gemeint ist die katholische), als sie deren vorgestriges Selbstbild im WDR anprangern wollte. Schwuppdiwupp, war “Dunk dem Herrn” im Nirgendwo verschwunden. Und ihre Sendung gleich mit. Ist das nicht irre – oder irre ich mich? Dabei verwenden die öffentlich rechtlichen Sender in Deutschland einen durchaus erheblichen Teil ihrer Sendezeit für satirische Beiträge, die eben auch oft politisch brisant sind. Übersetzung: die eben auch oft jemand Einflussreichem nicht so gut gefallen könnten. Und in Österreich? Da verschwindet ein Beitrag von Peter Klien über “Das Kurz-Netzwerk” (hier trotz alledem zu sehen) schwuppdiwupp aus dem Programm des ORF – und seine Sendung “Gute Nacht Österreich” gleich mit. Da hilft nur noch Jan Böhmermanngrenzübergreifend – mit dem “Penatenkanzler”

Moment – ist hier womöglich schon wieder ein “Anschluss” im Gange? Nur weil der Österreichische Unfug zu untertänig oder einfach nur zu kleinkariert ist, um seinem Bildungsauftrag nachzukommen? Kurzifix nu amoi! Da möchte man sich doch zur Kaiserin des Ostreichs krönen lassen. Lisa Eckhart – auch so eine heiße Kartoffel, die im heimischen Medienzoo von St. Betulichgund kein Sendeplatzerl gefunden hat, weil ORFkriecherei hierzulande Staatsraison ist. Und “man” auch nie “jemand Mächtigem” auf die Zehen treten möchte. Schon gar nicht den Empörkömmlingen aus dem Hinternet, dem Gebubble aus der Shitcrowd, den Wutwürsteln aus dem Volkseintopf der Rächthaberei. Ein epigenetisch weitervererbter Totstellreflex

“Ob Hakenkreuz, ob Hände falten – nur eins ist wichtig: Goschen halten!”

 

 

Erich Mühsam Requiem

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Juni – Inzwischen beinah regelmäßig einmal im Monat präsentieren wir im Rahmen der Reihe “Das ganze Album” jeweils ein ganz spezielles Ohrwerk, das unserer Meinung nach gehört gehört. Dazu bringen wir dieses Mal das Vermächtnis mehrerer “Unbequemer” (endlich wieder) zu gefälligem Gehör: “Ich lade euch zum Requiem” Eine Hommage an den anarchistischen Dichter und Freiheitskämpfer Erich Mühsam – gemeinschaftlich zubereitet von Dieter Süverkrüp und Walter Andreas Schwarz. Ein lebenslang linker Liedermacher, dem wir Titel wie “Der Kapitalismus, ein eiserner Engel scheißend Bomben und Napalm” verdanken, und ein KZ-überlebender Hörspielautor, der 1956 beim allerersten Eurovisions-Grand-Prix mit “Im Wartesaal zum großen Glück” das deutsche Nachkriegsidyll torpedierte,

Erich Mühsamsie würdigen hier einen, der immer und überall auszog, um sich selbst treu zu bleiben. Das kann nur dicht werden im besten aller Sinne! Die 31 auf diesem Album versammelten Sprechtexte und Vertonungen des unendlich vielfältigen Erich Mühsam bieten einen tiefen Einblick in Leben und Werk dieses Revolutionärs und Pazifisten, der seine Idee von der herrschaftsfreien Gesellschaft im deutschen Kaiserreich, im ersten Weltkrieg, in der Räterepublik in München und in der sogenannten Weimarer Republik ständig weiter entwickelte – bis ihm 1934 die Grausamkeit des Nazi-Terrors den Garaus machte. Er wurde im KZ Oranienburg auf bestialische Weise beinah zu Tode gefoltert – und anschließend von den SS-Schergen im Scheißhaus erhängt. Apropos Scheißhaus: Ich scheiß dir ins Geschichtsbuch, Gauland, du Vogel! Zurück zu Erich Mühsam – und was die Umstände seines Todes betrifft, war sein Name (tschuldigung) Programm – man legte ihm nämlich nahe, dass er sich gefälligst selbst umbringen möge. Darauf soll er gesagt haben: “Die werden nicht erleben, dass ich mir das Leben nehme.”

Gedenktafel Erich MühsamErich Mühsam war ein Mensch, der seine Stimme bis zuletzt für den Wert jedes einzelnen Lebens wie für das Leben an sich erhob. Sein Tod ist tragisch und ein viel zu früher Verlust. Über seinen so wie er zur Unzeit aus dem Leben gemordeten Mitstreiter Gustav Landauer sagte er in einem Brief:

“Du hast deinen Menschen herausgeschrien, und es ist ein wertvoller Mensch.”

Von seiner Hoffnung, auch über den Tod hinaus, zeugt ein Gedicht, das Konstantin Wecker in der Sendungs-Signation vorträgt: “Sei’s in Jahren, Sei’s schon morgen”

Sei’s in Jahren, sei’s schon morgen,
dass das Glück sich wende,
einmal nehmen Leid und Sorgen
sicherlich ein Ende.

Mensch, vertraue deinem Wollen,
wirk es aus zu Taten!
Ströme fließen, Wolken rollen,
Frucht entkeimt den Saaten.

Über Nöten und Gefahren
wird die Freude thronen.
Sei’s schon morgen, sei’s in Jahren
oder in Äonen.

PS. Eine kurze Biographie zu Erich Mühsam mit Schwerpunkt auf seine überaus vielfältigen Unternehmungen, Bekanntschaften und Liebesabenteuer. Gute Reise!

 

Unvollendete Symphonie …

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. JuniFertig ist man nie. Das Unvollendete bleibt noch in der stimmigsten Schnittmenge der Zweisamkeit. Wer da behauptet, fertig zu sein – mit seiner Entwicklung, mit seinen Arbeiten, mit seinem Leben – der ist nichts anderes als genau das: “Du bist voll fertig, Oida.” Fix und fertig im Sinn von erledigt, erschöpft, verbraucht. Das Leben an sich ist immer unterwegs und erschafft sich selbst ständig wiederkehrend in jeweils neuer Gestalt. Das Lebendige, das diesem immer unfertigen Vorgang innewohnt, ist seinem Wesen nach unendlich. Vielleicht vollkommen vollendet. Unsere Aussagen darüber sind hingegen immer vorläufig. Einstweilige Verfügungen zur Herstellung eines fragilen Gleichgewichts mit uns selbst. Unvollendete Kompositionen, ständig im Entstehen.

Unvollendete AssoziationenEin wunderbares Beispiel für dieses dauerhaft Einstweilige in seinem Leben und Werk ist der Komponist Anton Bruckner. Der hat nicht nur eine unvollendete 9. Symphonie hinterlassen, nein, er bearbeitete seine Schöpfungen sogar nach ihrer Veröffentlichung beständig weiter, so dass man heute oft gar nicht mehr sagen kann, “welche” Fassung man da gerade serviert bekommt. Was für ein grandioser Lebenswitz! Das würdigen wir mit einer ebenso unvollendeten Geschichte, die nie aufgeschrieben wurde und die sich daher immer wieder vollkommen neu erzählen kann, nämlich mit “Bruckners Buchtel”. Naturgemäß wollen wir danach auch einen Ausschnitt aus dem rekonstruierten Finale der 9. Symphonie anhören. Überhaupt war Anton Bruckner viel lustiger, als uns das die “offizielle Geschichtsschreibung” weismachen will, die ihn allgemein als einen verklemmt katholischen Bierernst voll staatsamtlicher Gottesschau darstellt. Aber das ist eben auch nur eine Möglichkeit.

Unvollendete OrientierungNicht weniger unvollendet ist das Lebenswerk von Hans Hölzl aka Falco, den Christian Ide Hintze einst als Lehrer fürs Songtexten zur Wiener Schule für Dichtung holte. Letzterer lebte einen derart “weit gefassten Poesiebegriff”, dass ihm noch die versammelten Gesichtsausdrücke von Pierluigi Collina ein Gedichtzyklus waren. Jedenfalls hat er Falcos Texte als das verstanden, was sie zutiefst sind: Sehr ernst zu nehmende Dichtkunst in vollendet unvollendeter Konstruktion. Und – wie jede gute Kunst – zeitlos. Daher ebenfalls prophetisch, wie wir am Beispiel “Europa” erfahren können. Was da beschrieben wird, die unvollendete Integration, sehen wir heute um vieles deutlicher als 1995. Wie Falco es damals beschrieben hat, das erscheint uns heute hellsichtig, vorausblickend, visionär. Vergleichen wir das mit der 2014 erschienenen “Eurovision” von Laibach, so entstehen Assoziationen und Zusammenhänge, die für Personen ohne eigenes Denken nicht geeignet sind.

Unvollendeter RomanWenn wir schon mit Dichtung und Wahrheit umgehen, dann soll hier auch der unvollendete Roman von Wolfgang Herrndorf gewiss nicht unempfohlen sein: “Bilder deiner großen Liebe” heißt das posthum veröffentliche Fragmentarium des legendären Autors von “Tschick”, dem wir an dieser Stelle Dirk von Lowtzow einen passenden Song nachrufen lassen. Und weil wir uns ganz absichtlich “Musikliterarische Gefühlsweltreise” nennen, wird diese Sendung in viel mehr Musik gebettet sein, als das die angeführten Empfehlungen vermuten lassen. Wobei, da wäre noch PeterLicht zu erwähnen, der auf seinem jüngsten Album “Beton und Ibuprofen” wieder ein sehr spezielles Stück “Spoken Word over Music” mit dem Titel “Lost Lost Lost World” dargereicht hat. Zu Riesen und Nebenwirkungen fragen sie ihre Maria – oder werfen sie sich ihr durch die Wand. Jetzt müsste man sich nur noch einen “weit gefassten Symphoniebegriff” zulegen – und schon geht es um jedweden “Zusammenklang”.

Sind wir nicht alle irgendwie unvollendete Menschen?

 

Melting Palms aus Hamburg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. Mai“Moin!” oder in diesem Fall noch besser “Bitte. Danke. Guten Morgen!” Denn so hat sich die heutige Entdeckung zugetragen. Frühmorgens war ich im Fernsehkabel unterwegs und flehte beinah: Bitte, gibts da nicht irgendwas, das kein Schas ist?” Und siehe, auf OKTO TV sah man die Wiederholung einer TIDE Session aus Hamburg. Da orgelte eine Band mit drei Gitarren (nebst Bass und Schlagzeug), die sich ganz wunderbar nicht nach dem sonstüblichen Kommerzlulu anhörte. Danke, das ist endlich mal was Eigenes zum gedeihlich Wegschweben.” Und so bescherte mir die Begegnung mit dieser bislang noch nicht gekannten Musikkapelle einen von innen heraus guten Morgen. Übrigens, die Band nennt sich Melting Palms – und gehört, so finden wir, noch viel öfter gehört.

Melting Palms LiveZu diesem Behufe bringen wir euch dieses angenehm anders klingende Musikprojekt zum Maiausklang zu Gehör. Da werden eure Ohren aber Augen machen! Seht einfach mal selbst, was ihr beim Zuhören alles spürt. Uns sind bekanntlich die weit ausgespannten Klangweltreisen in jegliche Sphären und Dimensionen stets ein besonderer Genuss. Und genau das lässt sich mit den Melting Palms erleben (wenn man die Grundstruktur des Rock schätzt und zu Sphärenklang nicht ausdrücklich elektronische Maschinenmusik assoziiert). Darüber hinaus ist die Zeitlosigkeit dessen, was da geschaffen wird, bemerkenswert. Denn wiewohl sich in den diversen Schichtungen und Collagen der Band zahlreiche Anklänge und Zitate entdecken lassen, klingen sie nie wie Nachgespieltes aus vergangener Zeit, sondern wie neue Schöpfungen aus gediegenen Materialien. Dadurch stimmen die üblichen Genreschachterln der Musikstilzuschreibung aber auch nur bedingt, beziehen sie sich doch bestenfalls auf das Ausgangsmaterial und nicht auf dessen Verbeabeitung zur hier vorliegenden Gesamtkunst. So fand ich im Titel “Illusion” (den ich für unsere Signation verwendete) einige Elemente der Band x-beliebig aus den frühen 80ern, allerdings ohne den faden Beigeschmack, es handle sich um bloße Pose und Kopie.

Viel wichtiger als jede Analyse (und damit verbunden meist Einteilung in dieses oder jenes) ist doch das direkte Erleben dessen, was da vor sich geht. Die Spielfreude, die Hand- wie Mundwerkskunst, die Hingegebenheit an etwas Größeres, Ganzes. Das Überzeugtsein von der eigenen Aufgabe, vom eigenen Daseinsgrund, noch dazu in Gemeinschaft. Die Stimmigkeit der Schnittmenge. Manches davon mag als Video deutlicher zu Tage treten – und manches mag sich ohne Bild den Ohren offenbaren.

Wir sind ein geiles Institut.

 

Rettet dem Alternativ

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Mai“Sprache ist eine große Quelle für Missverständnisse.” Diesen Satz, den Saint-Exupéry in “Der kleine Prinz” dem weltweisen Fuchs in den Mund legt, habe ich viele Jahre lang mit einem anderen ergänzt: “Sprache ist auch eine Quelle für viele Verständnisse.” Inzwischen hat sich vieles verändert – man bleibt jedoch für das verantwortlich, was man sich vertraut gemacht hat. Wollen wir uns also diesmal das Verändern einzelner Bedeutungen anschauen – und uns überlegen, wie und warum es dazu kommen mag. Die großen Leute sind nämlich wirklich sehr sonderbar. Alternativ etwa (aus anderem geboren) galt lange Zeit als positiver Begriff für das Entwickeln neuer Lebensmodelle, die nicht zu den bekannten Ergebnissen wie Weltkrieg und Zerstörung führen sollten.

AlternativHeute wird ein politisches System, das Wortgetüme wie zum Beispiel Wachstumsbeschleunigungsgesetz hervorbringt, gern als alternativlos bezeichnet, während extrem rechts von allem und jedem eine “Partei” vorkommt, die sich “Alternative für Deutschland” nennt. Alternativ zur Zerstörung durch den entfesselten Kapitalismus bietet sich somit die Zerstörung durch den entfesselten Nationalismus an. Wie schön! Ein echter Fortschritt – ins ewiggestrige Jahrhundert. Die Querulantenpartie als Ausweg aus dem Untergang – in den Untergang. Und unsereins wird zerquetscht zwischen den Bedeutungen, die einigen einst brauchbaren Begriffen tückisch eingeflößt wurden. Pejorisierung (diese Bedeutungsverschlechterung der Worte im Lauf der Zeit) schön und gut, aber hier scheinen uns allerhand Propagandawichtel mit Brandbeschleunigern zugange zu sein. Wie sonst könnten unschuldige Worte wie alternativ” oder “quer” in kürzester Zeit zu verdächtigen Begriffen degenerieren? Oder “Utopie”, das im Altgriechischen den Nicht-Ort (Ou-Topos) wie den guten Ort (Eu-Topos) beschreibt, also die Vorstellung von etwas (noch) nicht Vorhandenem, wie es gut, richtig und schön beschaffen sein müsste (die Vorstellung von einer “besseren Welt”) – wie kann dieser an sich positive Begriff dermaßen zum Vorwurf der irrealen Phantasterei entgleist sein? Also, WIE?

Sprache als Dialog zwischen Menschen ist unendlich viel mehr als das Erteilen von Anweisungen zum jeweils gewollten Funktionieren. Und ebenso unendlich viel mehr als das Grunzen von Gefühlsrülpsern zur jeweils herrschenden Befindlichkeit. Und noch einmal unendlich viel mehr als das Ausführen von Kommandozeilenbefehlen zur jeweils programmentsprechenden Vorschriftsgerechtigkeit. Der Mensch wird nie eine Maschine sein, Softpower hin und Socialmedia her. Programmierts euch DAS in eure Weltherrschaft – und schon ist sie abgestürzt. HERRLICH. Wir sind für das verantwortlich, was wir uns vertraut gemacht haben.

Vertrauen wir unserer Sprache?

 

The Young Gods XXY

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Mai“Ein Fragezeichen zu hinterlassen war immer unser Ziel – sowohl in musikalischer als auch sprachlicher Hinsicht. Ebenso bezüglich der Attitüde. Ich denke, darum geht es auch im Großen und Ganzen in der Rockmusik: mehr zu hinterfragen als zu akzeptieren und die Augen zu schließen.” Franz Treichler (The Young Gods). Die außergewöhnliche Band aus der Suisse romande veröffentlichte 2005 ein Best-Of-Album ihrer ersten 20 Schaffensjahre: XXY. Und eben dieses spielen wir heute. Genau genommen einen Großteil aus der ersten Hälfte des Doppelalbums, dessen zweiter Teil auch noch diverse Remixe und Raritäten enthielt. Der Standard berichtete darüber im Erscheinungsjahr. The Young Gods“der unverwechselbare, lärmende Sound eines musikalischen Vulkans”.

The Young Gods XXYElementar entfesselt und frontal “in your face” (Franz Treichler), so empfahl sich die schillernd brutale Klangkunst der genialen Zerleger und Rekombinierer auch unseren Gehörgehirnen, woselbst sie sofort zur Ausschüttung von erfreulichen Körperdrogen beitrug. Willkommen in der Postmoderne des Mai 2021! Endlich besteht zumindest Aussicht auf einen gewissen Neubeginn von vertrauten Lebensäußerungen. Das während des langen Ausnahmezustands in uns Fragmentierte muss wieder aufgeräumt, neu bewertet und neu kombiniert werden. Wie nach einer langen psychedelischen Reise oder einer Nacht extremer Exzesse. Guten Morgen, wer ist das da im Spiegel? Egal, ich putz dir trotzdem die Zähne. So geht Versöhnung mit sich selbst. Es wird zwar nie ein Licht am Ende des Dummerls geben, doch inwendig hauen wir auf den Tisch, dass die Lebensgeister ausfahren. Dass es die Genreschachterln zerfetzt! XXY ist DER Soundtrack zum Sprichwort “Alles neu macht der Mai.” Auch die Standard-Redaktion hat das damals begriffen:

“Als eine der ersten Bands wagte das Schweizer Trio The Young Gods Mitte der 80er, der Rockmusik ihr historisches Gepäck zu entreißen: reine Gitarrenklänge wurden gemischt und neu zusammengefügt – der unverwechselbare, lärmende Sound ihres musikalischen Vulkans war geschaffen … Sound, Rhythmus, ihre Symbiose zwischen Organischem und Mechanischem, meist eingepfercht in die Schubladen von Ambient, Techno, Industrial und (Post-) Rock, vieles manchmal klassisch angehaucht, drehen sich seit Anbeginn immer um das Neue.”

Amen!

PS. Ein legendäres Konzert der Young Gods mit Erika Stucky (den Willisau-Bootleg) haben wir zum 50-jährigen Woodstock-Jubiläum bereits in dieser Sendung gefeiert.

 

Alt und Jung und Jung und Alt

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Mai“Aber ihr seid beides!” Dieses Apocalypse-Now-Zitat veranschaulicht unser aller Zwischenheit trefflich. Von Beginn an vergehen wir. Und bis zuletzt leben wir. Da ist immer beides zugleich. Alt und Jung sind untrennbar miteinander verbunden. Auch wenn das im Jugendclub wie auch im Altersheim zunächst anders ausschaut. Apropos, geht es alten Menschen besser, wenn sie plötzlich Senioren heißen? Oder Senior*innen? Best-Ager gar? Na also. Bitte. Danke. Pubertäter aller Länder, begreifet euch! Und Insass*innen aller Altersendlager, werdet euch bewusst: Jung ist der, der Junges tut. “Ihr seid am Leben. Das ist alles, was zählt. Ihr seid am Leben!” Darauf lässt sich dann, egal ob alt oder jung, nur noch eins erwidern: “Das ist die Wahrheit.”

Alt und Jung und Jung und Alt AusblickNaturgemäß blicken Menschen unterschiedlichen Lebensalters jeweils anders in die Welt. Sie haben ja auch verschiene Interessen und Schwerpunkte. Kein Jugendlicher wird jemals abgeklärt und reich an Lebenserfahrung die Entwicklung des Weltgeschehens im Rückblick kritisch würdigen. Kein noch so agiler Herangereifter wird jemals mit Entwürfen für seine Zukunft schwanger gehen und dabei auch noch berauscht die Nacht durchtanzen. Drecksbiologie! Da kann man möchten was man will. Was man aber kann, ist in einen Dialog treten, über die genannten Grenzen hinaus. Was man auch kann, ist miteinander in Resonanz geraten, da lösen sich ja viele dieser Genregrenzen, Geschlechtergrenzen, Generationengrenzen auf, ohne dass man sie künstlich unterdrücken, wegverdrängen oder zuschütten muss. Das ist ein Anflug von Demokratie – gegenläufige Interessen unter einen Hut zu bringen.

Alt und Jung und Jung und Alt GezeitenDem Anfang wie dem Ende wohnt ein Leben inne. Und wie sehr erst dem Dazwischen! Kein Funktionieren, keine Staatsbürgerschaft, kein verregeltes Verrinnen von Lebenszeit. Staat dessen Denken und Fühlen und Fragen und Ergründenwollen. Neugier und Forschergeist und unstillbare Sehnsucht nach lebendiger Antwort. Nach Wahrnehmung. Als Mensch, nicht als Molekül. Das Grundbedürfnis, den elementaren Prozess des eigenen in die Welt Wachsens “zu einem guten Ende” zu bringen. Das in jedem einzelnen Vorgang des Lebens tobende Verlangen, von etwas, von jemand, überhaupt angesprochen zu werden. Und die Reaktion zu erfahren, die der Fragestellung entspricht. Wenn das nicht geschieht, stirbt etwas ab im Lebendigen. Noch bevor es hinreichend alt geworden ist, um wiederum Junges zu inspirieren. Noch bevor es jung genug ist, um überhaupt alt zu werden. Die herrschenden Weltverhältnisse der Macht zerstören nicht nur das bereits vorhandene Leben – sie vernichten es schon vor seiner eigentlichen Entstehung. Das Menschsein wird wortwörtlich “im Keim erstickt”. Wem das nicht mehr weh tut, der/die ist zu einem Teil der Banalität des Bösen” geworden.

Alt und Jung und Jung und Alt MusikBöses zerteilt und zertrennt das Große und Ganze nämlich so weit, bis die Lebensfrage nach Antwort genau gar nichts mehr vorfindet, sich daran zu verstehen. Das ist, was Hannah Arendt insgesamt mit dem Begriff meint: Die Weigerung, selbst Verantwortung zu tragen, zerbröselt jedes Verstehenwollen ins schiere Nichts, ist also seinem Wesen nach Vernichtung. Ist also selbst nichts anderes als Nichts. Auf Nichts lässt sich auch nichts antworten, es sei denn man ist ein Hupfhans und Hampelzwerg im Scheinweltgedümmel der Imageindustrie. Nichts als Etwas zu verkaufen, noch dazu für echte Arbeit, echten Schweiß und echte Lebenszeit, das hat wiederum durchaus was Diabolisches. Ist das die große Weltverschwörung zum Untergang und zum Zerfall des Lebendigen? In Abwandlung von Jan Josef Liefers könnte man sagen: “Verzweifeln sie nicht. Aber zweifeln sie bitte weiter!”

Oder auch: “Werden sie ruhig alt. Aber bleiben sie jung dabei!”

 

Demokratie? Rainer Mausfeld

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. April – In dem von uns bereits mehrfach empfohlenen ARTE-Dokumentarfilm “Corona – Sand im Weltgetriebe” (worin der Virus selbst als hinterfragender Erzähler durch die Geschichte führt) kommt auch ein gewisser Prof. Rainer Mausfeld zu Wort – und spricht über die “Verschleierung der Machtverhältnisse”. Und zwar in dem System, in dem wir hier und jetzt leben – und das wir politisch als Demokratie begreifen. Der Virus erzählt uns von Demokratie als Impfstoff gegen “die Maschine” – und das ist eine wunderbare Metapher für jenen menschgemachten Moloch, der unsere Lebensgrundlagen schon bald vollends zu zerstören droht. Wir wollen mehr über den emeritierten Psychologieprofessor aus Kiel erfahren, dessen Bücher und Vorträge derzeit so viel Aufmerksamkeit genießen.

Demokratie? Illusion?Und kontrovers diskutiert werden: Ist das noch Erkenntnis oder schon Verschwörungstheorie? Ich sehe das so: Nicht für jedes erkennbare Zusammenwirken Mehrerer zum Nachteil von Vielen bedarf es einer realen Verabredung von fassbaren Personen (einer Verschwörung). Oft reichen dafür Gruppendruck oder andere menschliche Schwächen, Sachzwänge, Abhängigkeiten … Psychische Mechanismen also, welche gerade ein lebenslang mit “Wahrnehmungserforschung” beschäftigter Professor erklären können sollte. Und das tut er auch, etwa im Rahmen des zweitägigen Symposions “Demokratie erneuern!” im DAI Heidelberg, aus dem wir, um euch Appetit auf mehr davon zu machen, hier einige Ausschnitte vorstellen können. Der Einführungsvortrag dazu steht in voller Länge auf YouTube zur Verfügung. Des weiteren haben wir dort auch die Vorträge “Warum schweigen die Lämmer” (mit Bezug auf sein bekanntes Buch mit dem nämlichen Titel) sowie seine Rede in der Kreuzkirche Dresden zum Thema “30 Jahre Mauerfall” angefunden – und wir empfehlen selbige ausdrücklich denjenigen, die sich dazu entschieden ihre eigene Anschauung gestalten wollen.

Die aktuellen Erscheinungsformen von “Demokratie” zu hinterfragen ist wahrlich nicht antidemokratisch. Vielmehr ist es der Verwirklichung von Demokratie förderlich, sich ihre grundlegenden Ideen und Ideale immer wieder ins Bewusstsein zu rufen – und diese sodann mit den Realitäten unserer jeweiligen Verfassung zu vergleichen. Nur wenn wir wissen, was (noch) nicht so funktioniert wie es sollte, können wir den “Impfstoff Demokratie” (gegen Machtmissbrauch und Gewaltexzess) ständig weiter entwickeln, so dass er auch gegen die neoliberale Mutante des Machtvirus wirkt.

Um unser eigenes Denken, Fühlen und Verstehen kommen wir dabei sowieso nicht herum. Entweder werden wir in Resonanz gehen und uns die Welt “anverwandeln” – oder das vorgekaut Verordnete nachbeten, nur damit wir nicht ungut auffallen

 

Mensch Masse Material

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. April – Wo hört Mensch auf? Und wo fängt Masse an? Eine entscheidende Voraussetzung für die herrschende Weltreligion vom unendlichen Immernochmehr ist die Vorstellung von Menschen (in unüberschaubar großer Anzahl) als Masse. Wie das Verhältnis von Masse und Macht funktioniert, hat zum Beispiel der große kleine Elias Canetti eingehend untersucht. Und wie sich eine Masse emotional steuern und so den jeweiligen Interessen der Wirtschaft und/oder der Regierung nutzbar machen lässt, das hat Edward Bernays in seinem Hauptwerk “Propaganda” ausführlich erklärt. Nachdem aber Joseph Goebbels als diabolischer Rumpelzwerg der Nazidiktatur andauernd mit dieser Technik (und auf diesem Begriff) herumgehupft ist, benannte man ihn flugs um – in “Public Relations”, abgekürzt PR.

Mensch Masse MaterialDabei gehen die Beobachtung und Erforschung von Masse und Macht weit zurück, so machte sich bereits im 5. vorchristlichen Jahrhundert Thukydides darüber Gedanken.

Wir ergänzen hierzu die Gefühle und Wahrnehmungen einzelner Menschen, die sehr unangenehm ausfallen können, sobald sich die manipulative Absicht hinter der Massenmenschhaltung offenbart. Hierbei untersuchen wir aber nicht die zeitlich befristete Entgrenzung durch “Aufgehen in der Menge” (oder eben “Masse”), wie sie bei Demonstrationen, Fußballspielen, Livekonzerten oder auf Musikfestivals stattzufinden pflegt. Nein, uns interessiert das dauerhafte Betrachtet- und somit Behandeltwerden des Individuums Mensch als anonymer Teil einer anonymen Masse. Entfremdung, Entmachtung, Entpersönlichung im industriellen Maßstab – durch ein neoliberales globalkapitalistisches System.

Dazu dienen uns drei Ausgangspunkte: Erstens das Empfinden, als individuelle Menschen zunehmend (von unbekannten Mächten – oder kennt man die doch?) wie maßstabgetreue Modellbaufiguren behandelt zu werden. “Ein Sackerl Fahrgäste”, hieß das früher bei der Märklin-Eisenbahn. Inzwischen finden sich die lebensecht dekorativen Plastikwichtel in allen Lebenslagen allüberall, wo die schöne neue Bevölkerung dargestellt werden soll. “And the’re all made out of Ticky-Tacky …”

Zweitens die Darstellung von “modernen Siedlungsformen” für die “breite Masse der Werktätigen”, wie sie in dem Malvina-Reynolds-Song “Little Boxes” (hier die Pete-Seeger-Version mit Bildern) punktgenau kritisch hinterfragt wird. Zu jeder Zeit wird der jeweils aktuelle Fortschritt zunächst begeistert bejubelt. Der Horror eines derart generalstabsmäßig geplanten (und verordneten) Glücks schleicht sich später ins gründlich getäuschte Gemüt. Noisy Pride – Little Boxes & Working Class Hero

Und drittens die doch wirklich vieles entlarvende Sprache oder wie Christopher Schmall bei seinem lyrischen Statement “Demaskieren der Gesinnung” auf die Begriffe “Humanressource” und Humankapital” kommen MUSSTE. Unternehmen wir den Selbstversuch: Was macht das mit uns, wenn wir so als die breite Masse, Marktteilnehmer, Wirtschaftsfaktor, ZielgruppeHilfsempfänger, Leistungsträger, als systemrelevant oder statistisch vernachlässigbar angesprochen werden?

Menschenmaterial

 

Georg Danzer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. April“Wie i so drüber nachdacht hab, dass i jetzt ja bald 60 sein werd, und ob so meine Wunschträume und meine Träume, die ja jeder Mensch im Leben hat, ob des a bissal aufgangen is – und auf a gewisse Art und Weise hab i ma dann dacht, is es ned aufgangen – aber andererseits doch.” Mit diesen weisen Worten kündigte Georg Danzer bei seinem letzten Konzert mit Freunden (am 16. April 2007 in der Wiener Stadthalle) das für ihn geradezu programmatische Lied “Träumer” an, dem er dazu noch eine Betrachtung der verschiedenen Bedeutung des Wortes Träumer im Deutschen und im Englischen sowie eine spezielle Würdigung von John Lennons “Imagine” voranstellte: “You may say that I’m a dreamer …”, halt im Sinne von Menschen, die Utopien haben – wie etwa vom Frieden auf der Welt.

Georg DanzerWir haben uns jedenfalls dazu entschlossen, Georg Danzer nicht durch einen Ausschnitt aus jenem “letzten Konzert” ins Gedächtnis zu rufen, zumal das ja einerseits als Geburtstagsfest mit Freundys (zum 60er) – und andererseits schon als Hommage an einen Todgeweihten konzipiert war. Der hierbei gefeierte Künstler verstarb bekanntermaßen nur gut 2 Monate später. Nein, wir wollen Georg Danzer in der Gestalt aufleben lassen, in der er Anfang der 90er als nach Auslandsreisen weltläufiger Dichter, Musiker und Aktivist die österreichische Geräuschkulisse mit seinen unverwechselbaren Beiträgen zu einem etwas helleren, menschlicheren und ja, utopiefähigeren Gesamtklang erweitert hat. So haben wir einige Musikstücke und Erzählungen aus seiner Solo-Tournee 90/91 ausgewählt, deren Höhepunkte auf dem Album “Echt Danzer!” veröffentlicht sind. Dabei war es uns ein Anliegen, besonders die Vielseitigkeit des unbeugsam engagierten, schonungslos liebenden und stets humorvoll selbst- wie sozialkritischen Dialektdichters zur Geltung zu bringen, der eben auch die Hochsprache bei Bedarf nicht verschmähte. Wir möchten etwas davon in unsere heutige Zeit mitnehmen – als Besinnungsinsel im schwindligen Getreibe einer immer unwirklicher zubereiteten “Realität”, die uns in Wirklichkeit nur verwirrt:

I hoits jetz nimma länga aus
und die Entscheidung foid ned schwer,
da Boch hod Sehnsucht noch am Fluss,
da Fluss hod Sehnsucht noch’m Meer.

Mei Lebn – is mei Lebn.
Mei Lebn – des ghead mir.
Keinem Vater, keinem Lehrer,
keinem Meister, keinem Staat.

Mei Lebn – ghead mir!

Georg Danzer – Mein Lebn (1990 Solo-Version)