Frische Texte! Frische Texte!

> Sendung: Artarium am Sonntag, 25. Oktober – Frische Texte aus dem Salzburger Untergrund, dass es Mozart schwindlig und Gott seltsam warm ums Herz wird. Gibt es noch Gefühlsmenschen, die mit der Macht ihrer Worte gegen die widerlichen Umstände antrotzen? Die mit Sprachkunst ihr eigenes Selbst verteidigen – und nicht einem immer gefälliger werdenden Literaturmarkt hinterher hoppeln? Aber ja doch, auch und gerade in diesem zur Kunsthochburg aufgeblasenen Provinzflecken, wo sich Jedermann bereitwillig bückt, wenn der jährliche Umsatz zum Pudern kommt. Aber hier gibts jetzt die allerfrischesten Texte gegen altväterliche Zeremonialhierarchie, eventorientiertes Tourismusmarketing und nationalsozialistisch-katholische Jugenddepression. Die Wurzel allen Übens ist also die Lust an der eigenen Aussage. Im Namen des Lebens…

sophieSo sind wir denn auch besonders beglückt, mit Sophie Lustig eine der drei Autorinnen von Women at Work (Dienstag, 27. 10. um 19:30 Uhr im Literaturhaus Salzburg) bei uns zu Gästin zu haben. Zumal sie ihre eigens für diese Veranstaltung in Vorbereitung befindliche Textcollage “Jugend ohne Gott” vorstellen wird, was soviel heißt wie live performen! Kleiner Vorgeschmack gefällig?

Im Anfang war nicht das Wort, sondern der Lebenslauf. Gott hat sich zwischen den Zeilen zu verstecken – als codiertes Zeichen. Er ist nicht mehr da, und schon gar nicht, wenn man ihn gerade braucht. Er ist nicht mehr da. Er ist nicht mehr. Er ist nicht. Er ist.

Er ist in den Regentropfen, er ist in den Blättern, in den Bäumen. Er ist du und er ist ich. Und egal, ob wir ihn oder sie oder es Gott, Allah oder Hans-Peter nenen, will er nicht, dass wir unser Leben nach vorgegebenen Büchern oder Gesetzen leben, sondern erzählt uns über alles und nichts gleichzeitig.

unsere herzenMit nebenstehendem Denk-Satz aus “Jugend ohne Gott” möchte ich nun zu einem weiteren Projekt überleiten, welches unsere friedensbewegte Textschau nachhaltig befruchtet: Peer de Beer von Stoned Poets – Dichte Dichter hat einen Beitrag der Radiofabrik zu Aufgeblättert – Literatur aus der Gegend gestaltet, der am Nationalfeiertagsmontag, 26. Oktober österreichweit um 17 Uhr ausgestrahlt wird. Und darin kommen neben Lisa-Viktoria Niederberger, Marko Dinic und Peter.W. auch Chriss sowie ich selbst zu Wort – und somit eben zur Geltung – das ist für sich sprachlich ausdrückende Menschen eine soziale Grundnahrung. Um aber unserem Anspruch auf das Hörbarmachen von Schaffensprozessen in der Wortwerkstatt ebenfalls gerecht zu werden, wollen wir einen weiteren „Text in Produktion“ zu Gehör bringen, und zwar einen bislang noch nirgendwo vorgetragenen aus der Verbearbeitung von Christopher Schmalls Frohnleitner Schreibklausur-Aufzeichnungen mit dem Arbeitstitel “Dort”

Wie aber jetzt den Sack zubinden, allein die hier angerissenen Themen und Verweise zusammenführen, vielleicht unter einem Überbegriff wie Texte gegen das Monopol? Dann grab ich halt auch noch einen aus, der heißt Neues von Gott” und ist zum Lachen böse – schon beißt sich der Hund (endlich) in den Schwanz. Bitte. Danke!

 

Möblichkeit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Oktober – Wir begrüßen zwei (beileibe nicht nur) Graffiti-Künstler bei uns im Biotop und sprechen mit ihnen über ihre und überhaupt Kunst. Oder doch Kunnst? Anlass dafür ist die unlängst eröffnete Verkausausstellung ihrer eigens für Interior Design möblich im Rahmen eines Praktikums gestalteten – ähm, ja, doch, wirklich – Möbel. Worin die Gemeinsamkeit von Graffiti, Gebrauchskunst und Bildhauerei besteht, das wollen wir in diesem Gespräch ergründen. Was naheliegt, besuchen die beiden doch auch eine sehr spezielle Schule, nämlich die Fachschule für Kunsthandwerk und Design (Ausbildungszweig Bildhauerei) an der HTL-Hallein. Worin unterscheidet sich diese eigentlich von anderen Lehranstalten? Und was ist das Besondere am praktischen Arbeiten bei möblich? Für jemand, der Street-Art lebt?

MöblichkeitAbgesehen davon, kommt Kunst wirklich vom Können – oder muss sie schon vorher da sein? Ist da ein Unterschied zwischen Kunst und Selbsttherapie – oder hättens den gern? Wie entsteht ein guter Tag (Writer-Name) und warum ist es oft schwer, einen genialen Bandnamen, Buchtitel etc. zu (er)finden? Was kostet ein Kilo Kunst? Ungefähr. Diese und ähnliche Fragen können uns beschäftigen – doch schauen wir einmal, was uns da so anspringt oder über uns hereinbricht. Ein Thema, das uns wohl alle verbindet, ist die seltsame Vernageltheit einer gewissen Unterführung – oder die seltsame Vernageltheit derer, die sie zusperren ließen? Wir können zum Beispiel über Sinn und Unsinn von freien Malflächen oder überhaupt Kunstausübungszonen sprechen. Und uns überlegen, inwieweit Kunst einen Wert an sich besitzt, so ganz ohne Preis?

Zezao UndergroundsSchnitt. Wenden wir uns einem der untergrindigsten Wandmalkünstler zu, den die Street-Art-Kultur bis dato ausgespuckt hat, dem wunderlichen Autodidakten Zezão aus Brasilien, der seine öffentlichen Interventionen zur Selbst- sowie Sozialtherapie ausübt – und der mit seinen Bildern und Objekten inzwischen auch den Kunstmarkt belebt (Schirn-Video). Oder dem abgefahrensten Aktionskünstler, den das Salzburger Land nach wie vor stöhnend ertragen muss (und das geschieht ihm recht), dem mittlerweile 95-jährigen Anton Thuswaldner, der sich selbst „Maler und Landstreicher“ nennt, und der auch (in der Zeit des 2. Weltkriegs) die Bildhauerschule in Hallein besucht hat. Im Jahr 1991 möblierte er das Mozartdenkmal offiziell mit einer Pyramide aus Einkaufswagerln, was ihm jede Menge Kronenzeitungshetze und Gewaltandrohungen einbrachte…

De Leit homs olle glaubt
und schon is wieda soweit
Angst, Gewalt und Hass
san mehra wert wia Menschlichkeit
Jo so kannt ma oiwei weida doa
und es werd koan interessieren,
weil es regieren uns doch seit Ewigkeiten
Menschen ohne Hirn
Bledheit siegt – dumm fickt guat
Wer woas wos des beweist
I pfeif ma nu an Döner nei
und hoff, dass mi boid z’reißt

Um es auch noch mit Christoph Weiherer zu sagen…

 

Die Kleingeldprinzessin

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Oktober – Politisch, kritisch, Jazz, Folk, Klezmer, Liedermacherin, geile Texte, eigenes Label, im Duett mit Max Prosa – die Zuschreibungen sind so mannigfach wie die Zwischentöne dieser sehr speziellen Künstlerin, die mal solo, mal mit Band unterwegs ist. Nach ihrem Kurznamen DOTA heißt inzwischen auch das Gesamtprojekt so – und präsentiert sich vermittels einer erfreulich aufgeräumten Homepage. Von Dota Kehr ist hier natürlich die Rede, auch bekannt als Die Kleingeldprinzessin mit oder ohne Die Stadtpiraten. Wir spielen im Rahmen unserer Reihe Das ganze Album diesmal ihre CD „Immer nur Rosinen“, die uns im Ganzen als „die Rundeste“ – und vor allem textlich wesentlich erscheint. Aber ich lass jetzt lieber mal den Fachmann fürs „Eindrücke vermitteln“ ans Werk gehn:

immer nur rosinenEndlich!, rufe ich in die Nacht hinaus, in diese regenträge Nacht, und räume das Zimmer leer um Platz zu schaffen für die tausend Dinge, die ich schreiben möchte über dieses Album, welches schon viel zu lange auf der Vielleichtbank, der Irgendwanneinmalbank sitzt und der Gespieltwerdung harrt. Ich höre Dota Kehr, der Kleingeldprinzessin und ihren Stadtpiraten schon Jahre zu, ob es In anderen Räumen Blech + Plastik oder Immer nur Rosinen gibt, die jazzigen Klanggalaxien mit Bossa Nova und Klezmer-Einflüssen, umschließen mein Hörleben und zeigen immer wieder wie lebendig, wie lebhaft Liedermachen sein kann. Und wie so oft sind es die Texte, die mich von Anfang an aufhorchen ließen; die feinfühligen Beobachtungen, die zeitkritisch ziselierten Zusammenhänge in den vielschichtigen Geschichten, die umwerfende Umwälzung alltäglicher Wahrnehmungen, die Poesie flüchtiger Augenblicke, die Worte – hinter dem Sinn.

dotaIch warte hier, und mein Schreibtisch, Zeittisch, bloß von einer Wandlampe erhellt, so dass er zu meinem Mittelpunkt wird, meinem einzigen Bezugspunkt im grenzenlosen Schwarz, und ich höre Dotas Stimme, diese freundliche, einladende Stimme, folge der Musik, wohin auch immer; nach Berlin, in die Erdumlaufbahn, hinter die Lider, durchs Schlaraffenland. Für Proviant ist gesorgt, für Gesprächsthemen und Konversationsfunken sowieso, meine Siebenmeilenstiefel tragen mich weiter als gedacht; eine Motte wirft ihre Schatten auf die Tastatur, von draußen kein Geräusch, hier drinnen nur das Klimpern meiner Finger, nur mein stetes Flattern beim Formulieren, das Annähern, Andeuten, Skizzieren einer ganz eigenen Welt, die vertrauter nicht sein könnte.

Am Ende bleibt nur zu sagen: Höret selbst und begebt euch mit uns auf eine Reise in die Zwischentöne, Zwischenzeilen und Zwischenschluchten dieser facettenreichen, phantasievollen, verbindungsstiftenden – immer unvollendeten Symphonie.

 

Sumpfblüten

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9 OktoberSumpf ist ja im allgemeinen Sprachverbrauch zumeist höchst zwiespältig konnotiert. Bist du deppad, des hob i jetz owa uandlich gscheid gsogt! Also irgendwo zwischen Feuchtwiesen, die für die Erhaltung der Artenvielfalt unerlässlich sind, und Korruptionssümpfen, die trockengelegt werden sollen, damit der geschmeidige Warenverkehr nicht darin steckenbleibt, gibt es hoffentlich noch weitere Stimmungen und Gerüche für unser Orchideenstudium. Bei anderen Radiosendern existieren ebenfalls gatschartige Genussmittel mit lustigen Titeln wie Im Senf oder so ähnlich, die sich wie wir auch der Monoklonkultur industrialisierter Behupfdudelung widersetzen. Bravo! Lasset uns also jenseits der erwartbaren (und ausgelutschten) Assoziationen Überraschenderes entdecken – in, durch und rund um diesen Sumpf.

HC ArtmannplatzSchon ist Schluss mit lauschigen Gastgärten und nächtlichem Herumflanieren (zumindest ohne Mütze und Schal). Die öffentlichen Plätze sind verwaist, die Sitzmöbel werden bald wieder verräumt – und die Stadt klappt ihre Sommersaison zu wie ein ausgelesenes Buch. Wieder lockt dich der Ofen, hinter dem du doch sonst keinen Hund hervor… Was solls! In uns wuchern nichtsdestotrotz noch dieselben Tropenträume wie frühsommers oder schwüls. Um ebendiesen auch herbstbeginns zu obliegen, begehen wir nun gluckernd, rülpsend und schmatzend diese sumpfige Sendung. Was sich da unter der schleimigen Oberfläche unseres schönen Scheins an Musik zusammenbraut, kann sich durchaus hören lassen. Und was dem fruchtbaren Feuchtbiotop unserer Phantasien und Wünsche an Texten entquillt und entsprießt, das braucht weder Mondlicht noch Finsternis zu scheuen. Ein buntböses Potpourri aus Diven und Abgründen, gefährlich und schön wie ein Leben.

BlutmondLoveGrave treffen auf The Cure, Crude (aus Salzburg) begegnen Creed (aus den 90ern), der Keller Steff hat einiges mit Motörhead gemeinsam – und Wolfgang Ambros singt auf Englisch. B. Traven ist deutlich, Francois Villon natürlich derb, Vladimir Kaminer dem Sport verfallen – und Virginia Woolf bleibt geheimnisvoll. Konstantin Wecker zuletzt stiftete den Text zum Titel:

Das ist die hohe Zeit der Tropenträume,
ein Flügelschlag nur bis zum Meer,
und alles, was ich jetzt versäume,
erreicht mich bis ins Grab nicht mehr.

Versoffner Mond und dunkle Weine,
das Leben schlägt die Phantasie!
Ein schwuler Priester schwingt die Beine,
er ist der Star der Travestie.

Da wuchern wieder Kindheitsträume,
das Wunderland Calafia,
das ich erst spät durch dunkle Räume
im Rausch und Taumel wiedersah.

Der Tod hat viel zu schwere Flügel,
ihn hält es nicht in meinen Höhn.
Er ist das Pferd. Ich halt die Zügel.
Er überdauert. Ich werd überstehn.

Nur weiter, wo die Schiffe dösen,
dem letzten Hafen hinterher,
dort, wo die Blumen alles Bösen
dem Sumpf entblühen, bunt und schwer,
bunt und schwer.

Zum vollständigen Text auf www.wecker.de

 

Dicht & Doof

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. SeptemberIn Salzburg gab es noch nie eine deutschssprachige Punkband namens Thomas Bernhard. Und genau das ist einer der größten Fehler dieser Stadt. Denn während in Wien seit Jahrhunderten (von Nestroy bis Neuwirth) auch brutal selbstkritisches Liedgut zum guten wie zum schlechten Ton gehört, ergeht sich unser katholischer Kunstmarktflecken in der propagandistischen Beweihräucherung eigenen Schönscheins und Wichtigtums, dass einem so richtig schön schiach wird. Diese Stadt gehört schon längst nicht mehr uns. Im Musikvideo der zwei Wiener (!) Christoph & Lollo fehlen durchaus die Salzburger Örtlichkeiten im Abspann. Und das furchtbar süßliche (allerdings bitterböse) Grüß Gott Salzburg des Wieners (!) Ludwig Hirsch hat inzwischen auch schon 25 Jahre auf dem Buckel.

hombuchdandlungAuch aus Salzburg sind ja seit Thomas Bernhards „Friedhof der Wünsche und Phantasien“ kaum noch kritische Töne zu vernehmen. Stattdessen Hofberichterstattung von Festspielhelgas Fetzenspielen oder vom volksbrauchbesoffenen Trachtenanfall Rupertikirtag quer durch alle Medien – vor allem aus dem devotionalen Landesstudio des österreichischen Unfugs

Da müssen halt auch wir auf die Altwiener Tradition des gepflegten Protestsongs zurückgreifen und den Wolfgang-Ambros-Text von Hoiba Zwöfe aus dem Jahr 1976 nachträglich versalzburgern, um dem hier vorherrschenden Dultdunst aus Bier und Bratwurst (der hier alles niederquatschenden Geldkunst aus Gier und Staatswurst) etwas halbwegs Ketzerisches entgegen zu theatern. Und das hört sich dann so an:

Von ana Szene kann ma bei uns übahaupt ned sprech’n,
ollas dasauft im Stieglbier, es is zum Erbrech’n.
In dera Beziehung is‘ bei uns zum Scheiß’n
und es schaut ned so aus ois ob’s es irgendwann g’neiss’n.
Oba wozu wüst di aufreg’n, so is des hoid,
am Best’n is‘ du schaust dazua und wirst recht schnö oid.
Stöh da amoi vua, dass bei uns a Konzert is
wo’st fia de Koat’n nur sovü zoist, wos a wert is!
Des tät uns jo des ganze Image vaderb’n
weu Soizbuag is und bleibt…
de Stodt zum Sterb’n!

 

Howling Wuif Project

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. SeptemberZu Gast im Studio ist diesmal Wolfgang Maria Gran, und zwar als namensgebender Frontman der Bluesformation Howling Wuif Project, welche am Freitag, 25. 9. um 19:30 im Oval ihr brandneues Album “Gspusi mitn Teufl” darbieten wird, als Auftakt einer gröberen CD-Release-Tour. Wir haben es uns schon vorab angehört – und sprechen mit dem Wuif über allerlei Hintergründe, etwa die Entstehung von aufhorchenmachenden Dialektpassagen wie „Zündts mi on und rauchts mi, wonn i geh” oder “Des F konn wirklich nix dafia, dass es im Land so strachelt, und dass des F vom Faymann mit da weißen Fahne wachelt”. Letzteres Zitat stammt aus dem bereits veröffentlichten “Wenn die Effen kläffen”, einem bissigen Stück Strachsprachkritik in der Mundartblues-Tradition von Dr. Kurt Ostbahn & Co.

Howling Wuif GspusiDie allhier amtierenden Herren Blueswürdens des Howling Wuif Projects verfügen allesamt über bemerkenswerte Musikerfahrungund das hört man auch! Unter den Collaborations der Bandmitglieder finden sich so unterschiedliche Namen wie zum Beispiel: Willi Resetarits, Ray Charles, Göteborg Symphonie Orchester, Shakira, James Brown, Roger Chapman (um nur ein paar zu nennen) und – wie könnte es denn anders sein – der “Godfather des Austro-Blues“ Heli Deinboek. Der hat, wie man hört, wiederum einiges mit der Gründung des gegenwärtigen Wuifsrudels zu tun. Aber mindestens genauso interessant wie die musikalische Qualität der Mitwirkenden (vor allem für die nicht allzu eingefleischten Blues-Fans unter unseren Hörer_innen) dürfte die gesellschaftskritische Ausrichtung dieser Produktion sein. Hier wird der traditionelle Individualjammer eines an sich oft eher traditionslastig verhandelten Genres in den Spiegelwelten der uns umgebenden (familiären, medialen, politischen) Einwirkungen gebrochen, was sich speziell in der stilistischen Vielfältigkeit der Arrangements angenehm auswirkt. Schon Arno Gruen betonte ja, dass jedwede Therapie immer auch die Ursache des Leidens im sozialen Umfeld zu benennen habe. In diesem Sinne also – eine gute Katharsis!

 

Mey Wader Wecker – Das Konzert

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. September – Es haben ja andauernd irgendwelche Menschen oder Sendungen Geburtstag (Sieben auf einen Streich). Warum also nicht gleich auch noch ein „Happy Birthday, lieber Hannes“13 Jahre nach jenem legendären Konzert zu Hannes Waders 60. Geburtstag (gemeinsam mit Reinhard Mey, Konstantin Wecker und Jo Barnikel), das 2003 als über 2-stündiges Live-Doppelalbum erschienen ist – und einen einzigartigen Höhepunkt im Wirken der drei unverwüstlichen Veteranen darstellt. Denn in dieser Konstellation wächst nicht bloß jeder für sich über sich hinaus, sondern alle zusammen über das Gemeinsame. Da jammen an die 150 Jahre Bühnenerfahrung in einer harmonischen Vielstimmigkeit, dass es eine helle Freude ist! Wir spielen das Schlussdrittel einer Ausnahmesession:

albumcoverJetzt eine Insel finden, einen stillen Ort, mich zurückziehen können, vergessen welche Stürme mein Leben umgiften, und einfach schreiben – über dieses Album, dieses Konzert dreier Poeten, dreier so wichtiger Menschen, dreier grandioser Denker unserer Zeit. Was könnte ich sagen, was gäbe es zu berichten, wie könnte ich die Atmosphäre in Worte kleiden, was bewegte mich, was regte sich in mir beim Lauschen der handgemachten Klänge? Im Dunkel meines Zimmers schläft meine Nichte, die externe Festplatte summt, ich höre die Stimmen meiner Familie im Wohnzimmer über all das reden, diskutieren was heute binnen weniger Stunden über uns kam wie aus dem Nichts, während ich nur an die Musik denken kann, die mich so eigentümlich berührte, mich ruhig werden ließ, verträumt – und die mir manchmal eine Träne entlockte.

Ich möchte mich nicht ergehen in analytischem Gebrabbel oder unzulänglichen Beschreibungen, die niemals einfangen können worum es wirklich geht, möchte lieber über den Flügelschlag einer Libelle erzählen oder das Aufhorchen meiner Seele als der erste Akkord verklang, vielleicht sind es die Gedanken und Erinnerungen, die eruptiv in mir hervor traten, während Wader über seine Jugend sang, oder die Erkenntnis, dass es da draußen ja doch noch Menschen gibt, die Nein sagen oder authentisch über Liebe dichten, und mein Bauch vibriert, Ganzkörpergänsehaut, einmaliger Dreisang jener sprachverliebten Art, Eingesaugtwerden in einen Strom von Emotionen, eine Reise durch Schluchten der menschlichen Existenz, über Berge politischer Absurditäten, vorbei an den Häusern innerer Einkehr, hinein in die Boote, die uns tragen über stürmische Zeiten – und vielleicht singt Orpheus dann vom Frieden.

Ich weiß nicht, worüber ich schreiben möchte, doch eines ist klar: Selten hat mich ein Album so in seinen Bann gezogen, selten haben es Künstler vermocht, mich so allumfassend zu rühren, selten hat Musik in mir so bleibende Spuren hinterlassen, farbenfrohe Narben voll Poesie.

Überzeugt euch sebst! Hier gibts nun Das Konzert CD1 sowie Das Konzert CD2

 

Sieben auf einen Streich

Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. September Part 1 und Part 2 – Die Herren Chrissobert & Schmallhund feiern den 7. Geburtstag der Nachtfahrt und versuchen sich an einer Sendung über ihre Sendereihe. Ein schier unmögliches Unterfangen, welches nichtsdestotrotz in bewährter Weise livedialogisch und spontan-assoziativ zu Gehör gebracht wird. Denn wiewohl diese Perlentaucherei nunmehr die 60. Ausgabe ihres Namens darstellt (genau, deshalb auch die fortlaufende Nummerierung), existieren auch noch 24 Nachtfahrt-Episoden aus den Jahren 2008 bis 2010, die ebenso erwähnt werden möchten. Ein Archiv mit gut 200 Sendungsstunden fliegt uns daher förmlich um die Ohren. Falls also noch jemand ein Thema brauchen solltte, für eine Diplom- oder Doktorarbeit in Kommunikationswissenschaften, bitteschön, allerherzlichst, gern…

schwarz weißWir machen ja keine Sendungen über Musik, Literatur, Themen etc. Nein, daraus bestehen unsere Sendungen – sowie aus allerlei Gefühlszuständen, spontanen Gesprächssituationen und noch anderen Plötzlichkeiten. Sie bilden in ihrer Gesamtheit selbst Bilder, Collagen, Gedichte, Hörwelten – manchmal ausufernd, manchmal konzentriert, immer unvorhersehbar – und vor allem nie so, wie das, was es eh schon irgendwo anders zu hören gibt! Wenn man diese Sendungsidee und ihre mittlerweile siebenjährigen Entwicklung, dieses Work with a Work in Progress mit einem Motto betiteln wollte, dann wohl am besten mit: „Anders als alle anderen“ aber auch „Anders als alle anderen Anderen“ zumal hierohrs eine Gestaltungsform gepflegt wird, die bisher noch nirgendwo als Beschreibung eines Sendungsformats aufgetaucht ist. Zumindest in keiner der uns bekannten, halbwegs offiziellen Systematiken. Eine gewisse unterschwellige Intention ist dabei nicht zu verleugnen. Doch eigentlich hat sich dieses einstweilige Endprodukt in stets verwandelnder Erscheinung durch seine fortwährende Anwendung einfach so – ergeben. Zur weiteren Verwirrung ein paar sich verdichtende Sendungstitel:

finstere figurenNachtfahrt (2008 – 2010)

Würdigung

HassLiebe

Die toten Posen

Heavy Perfume

Die genialphantastische Beachparty

Rio Reiser Radionacht (zum 13. Todestag)

Thomas Bernhard Gefühle

No Revolutions in Salzburg (Jugendkultur)

Internationales (in memoriam Johanna Dohnal)

Meet the Angels

geistergästePerlentaucher (2010 – 2012)

Ein Salzburger Adventsingen

Zwischeninselpoesie

Weites Land (über Schwermut)

Les Coeurs des Vampires

Female. Feel Male.

Poesie und Engagement (Live im Studio: the who the what the yeah)

Experlimental (ernst jandl gewidmet)

The Soul is a Bird (Apocalypse Now!)

Strange Straight Special

Christgsindlmarkt

copy riotPerlentaucher (2013 – 2014)

Beyond Fantasy

Déviation Erotique

Dichterwerdung

Überwinden Verwandeln

On the inner road

Ein lyrischer Kosmos (mit eigenen Texten)

Heimat under construction (mit Radio Študent Ljubljana)

Turn on, tune in, drop out (mit echten Hippies)

Auf der Flucht (Grundtvig Lernpartnerschaft)

Poem – Leonard Cohen auf Deutsch (mit Misha Schoeneberg)

chrissobert schmallniggPerlentaucher (bis August 2015)

Gepflegte Koinzidenz

Musenschmusen

COPY RIOT (Civilmedia 15)

Sommernachtstraum

Surreale Sendung

Womit sich schlußendlich der Schleiß grüßt. Zu was sollten wir euch diese Sendung noch interpretativ ins Gehirn tragen, die sich durch spontanes Zusammenfügen von Musikauswahl und Textbeispielen elementar ereignet – so wie wir uns eben auch. Schreibts lieber ein lautmalerisches Gedicht zur jeweiligen Klangkulisse oder, noch besser, machts gleich eine Sendung über die Sendung über die Sendung. Zuhören heißt bei uns mitleben – doch eben nichts Fertiges, sondern sich im eigenen Erleben weiter Spinnendes. Das eigene Spinnerte halt, so wie unser Selbstgesponnenes. Und in diesem Sinne ist “etwas aus dem machen, was wir da machen“ für uns auch das höchste der Gefühle. Alles andere kann man nachhören, und zwar hier. Lechajim!

 

Abie Nathan – The Voice of Peace

> Artarium vom Sonntag, 30. August – Das Double-Feature hier zum Nachhören:

Erster Teil: From somewhere in the Mediterranean (Playing the Peace-Ship today)

Zweiter Teil: Abie Nathan – The Voice of Peace (Feature-Collage – Ein Vermächtnis)

Ein Mann und sein Lebenswerk, heute fast nur noch Eingeweihten oder Zeitzeugen bekannt, erfahren hier eine längst überfällige Würdigung. Denn der israelische Radiopirat und Friedensaktivist Abie Nathan betrieb zwischen 1973 und 1993 von seinem Sendeschiff aus die coolste Musikstation im östlichen Mittelmeer. The Voice of Peace hatte zu Spitzenzeiten über 30 Millionen Hörer_innen und wurde so schnell zum Soundtrack einer ganzen Generation. Ganz nebenbei pflanzte ihr umtriebiger Gründer auch seine Friedensvisionen in deren Ohren – und Herzen. Dies alles wäre wohl auch uns weithin unentdeckt geblieben, wenn nicht Eric Friedler 2014 den Grimme-Publikumspreis der Marler Gruppe erhalten hätte, für seinen genialen Dokumentarfilm The Voice of Peace – Der Traum des Abie Nathan:

The Voice of PeaceDadurch fand das für den NDR produzierte eineinhalbstündige Portrait seinen Weg in die üblich verdächtigen Fernsehkanäle und gelangte so letzten Endes auch zu uns. „Ich hätte Abie gern persönlich kennengelernt und wäre am liebsten auch beim Radiosender mit dabei gewesen.“ erklärt Eric Friedler in dem sehenswerten Interview zur Entstehung seines Films mehr als nur einmal. Dem haben wir nichts hinzuzufügen – das unterschreiben wir sofort – mit unserem Herzblut! Also verwandeln wir uns in der ersten Stunde unserer Hommage an den versenkten Sender einer nicht totzukriegenden Botschaft zeitlos in zwei Voice-of-Peace-DJs und senden aus dem Dampfraum der Radiofabrik als wärs im Hochsommer vor Tel Aviv. Dabei wollen wir aber nicht mit der Musik von damals dem Geist jener verflossenen Zeit nachweinen, sondern uns mit Phantasie in die Situation versetzen, wir seien ungeachtet jedweder Realität wirklich auf dem Friedensschiff und spielten die Musik, die uns dazu einfällt. So entsteht eine Verbindung aus historischen Jingles und Songs mit ganz neuen thematischen Assoziationen rund um die eisernen Vorhänge in unserer Vorstellung. Und eine Atmosphäre von Zeitlosigkeit, die es uns ermöglicht, das Wesentliche an Abie Nathans Peace-Messages zu erspüren – von gestern – für heute – und morgen

Abie Nathan 1961In der zweiten Stunde stellen wir den Menschen hinter seinem Projekt vor – und wundern uns, weshalb dieser radikale Visionär einer friedlicheren Welt heute fast schon mit Vehemenz verdrängt und vergessen wird. Es ist mit Sicherheit der überragende Verdienst von Eric Friedlers Dokumentation, dass sie den Politpoeten, den Provokations- und Aktionskünstler Abie Nathan solchem Vergessen entreißt und darüber hinaus dessen Lebenswerk einem erweiterten Kreis von potenziellen Mitstreiter_innen nachvollziehbar macht. Auch wir im Freien Radio können uns zum Beispiel fragen, was uns dieser verspielte Bruder eines glückhaften Zeitfensters so hinterlassen hat. Kann es genügen, um die eigene Existenz zu kämpfen, damit es einen halt gibt? Was ist unsere Botschaft? Wovon sind wir besessen, wofür sind wir bereit, im Wortsinn alles zu riskieren? Worin besteht die große Spaltung unserer Gesellschaft? Ist unsere Wirtschaft nicht längst Krieg? Krieg zwischen Arm und Reich? Die einen gehen daran zugrunde, die anderen gewinnen alles? Und dann? Wenn wir nicht über das scheinbar Unhinterfragbare hinaus zu denken wagen, dann wird uns das tatsächlich Unvermeidliche einholen. Alternativlos! Fragen zu stellen ist also schon mal ein guter Anfang. Und auch, etwas zu hören, das nicht in unseren Geschichtsbüchern steht.

Abie Nathan starb am 27. August 2008. We give voice to forgotten memory. Shalom!

Eine ausführliche Artikelserie von Hans Knot beleuchtet noch weitere Hintergründe…

 

The Pervert’s Guide to Slavoj Žižek

> Sendung: Artarium vom Sonntsg, 23. August Ein Film über Filme für die Menschen, die dem herrschenden Konsumismus kritisch gegenüber stehen – und die den dahinter steckenden Ideologien umfassend auf die Spur kommen wollen. Das Portrait eines Philosophen, dessen provokant zugespitzte Thesen oft in der schieren Masse seiner Veröffentlichungen untergehen. Und dessen unterhaltsame Ideologiekritik gern hinter Jaques Lacans einigermaßen vertrackter Psychoanalyse verschwindet. Wir wollen euch jedoch diesen Film gerade deshalb empfehlen, weil er es auf höchst kunstvolle Weise bewerkstelligtt, etliche der Höhepunkte aus dem atemlosen Schaffen des Slavoj Žižek verständlich zu machen. Zunächst ein Auszug aus unserem Artikel zur Reisen-Nachtfahrt vom Freitag, 14. August als eine erste Inhaltsandeutung:

perverts guideBeim gegenständlichen Filmtipp der Artarium-Redaktion handelt es sich um: The Pervert’s Guide to Ideology von Sophie Fiennes. Wer sich, mit oder ohne sonstige Drogen (siehe Artwork) Slavoj Žižek, einen der letzten freifliegenden Philosophen der Popkultur, in die Pfeife stopfen will, wird und ist hiermit wunschgemäß bedient! Auf seinem Parforceritt durch die Geschichte populärer Filmwerke entlarvt er einige der uns innewohnenden Scheinwelten als das, was sie letztendlich sind – und immer schon waren – Ideologien! Von Leni Riefenstahls “Triumph des Willens” (1936) über den Salzburgschwachsinn The Sond of Music” (1965) oder Michelangelo Antonionis Zabriskie Point” (1970 & geniale Filmmusik von Pink Floyd) bis zu neueren Kinoerfolgen wie James Camerons “Titanic” (1997) sowie Christopher Nolans “The Dark Knight” (2008) zerpflückt er 25 Spielfilme – und einige Werbespots. Besonders gelungen und hier zum Appetitmachen verlinkt: John Carpenters “They Live” (1988). Und jetzt setz die Sonnenbrille auf! Aber auch die Hinterfragung der christlichen Heilslehre anhand von Martin Scorseses „The Last Temptation of Christ“ ist ein paar eigene Überlegungen wert. Hierbei möge die folgende deutsche Übertragung helfen:

„Ich denke aber, man kann die Haltung des Christentums noch viel radikaler verstehen. Genau das vermittelt uns die Kreuzigungsszene in Scorseses Film: Was da am Kreuz stirbt, ist die Sicherheit (der Existenz) eines „großen Anderen“. Hier ist die christliche Botschaft also radikal gottlos, sprich atheistisch. Sie bedeutet, der Tod Christi ist kein Freikauf oder Handel, in dem Sinn, dass er durch sein Leiden für unsere Sünden bezahlt. (Wem bezahlen? Wofür genau? Und so fort…) Sie bedeutet schlichtweg die Auflösung des Gottes, der uns den Sinn unseres Lebens sicherstellt. Das bedeutet auch der bekannte Ausspruch: „Eli, eli, lama sabachthani – Vater, warum hast du mich verlassen?“

analyze slavojIm Augenblick vor seinem Tod erfassen wir, was man in der (Lacan’schen) Psychoanalyse „subjective destitution“ oder „Entmachtung des Ich“ nennt – das vollkommene Heraustreten aus der Herrschaft der symbolischen Autorität, aus dem gesamten Bereich des „großen Anderen“. Naturgemäß kann niemand wissen, was „Gott“ von einem will – weil es keinen Gott gibt. Das ist jetzt der Jesus Christus, der unter anderem sagt: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Wer nicht seinen Vater, seine Mutter,.. hasst, der kann nicht mein Jünger sein.“ Freilich heißt das nicht, man soll seine Eltern jetzt aktiv hassen oder töten. Ich denke, dass „Famile“ hier alle hierarchischen sozialen Beziehungen repräsentiert. Die Botschaft von Jesus Christus lautet also: „Ich sterbe, aber mein Tod selbst ist die gute Nachricht. Er bedeutet, dass ihr jetzt allein seid – und euch frei entscheiden könnt. Bleibt in diesem heiligen Geist, der eben die Gemeinschaft der Glaubenden ist.“

Es ist falsch, zu meinen, die „Wiederkunft Christi“ würde in der Form stattfinden, dass der irgendwie als menschliche Gestalt in Erscheinung tritt. Christus ist längst anwesend, sobald Glaubende eine emanzipative Gemeinschaft bilden. Deshalb behaupte ich auch, dass der einzige Weg, wirklich Atheist zu sein, derjenige durch das Christentum hindurch ist. Das Christentum nämlich ist viel atheistischer als der übliche Atheismus, der zwar dafür eintreten mag, dass Gott nicht existiert, dessen ungeachtet aber immer ein gewisses Vertrauen in ein „großes Anderes“ beibehält. Dieser oder dieses „große Andere“ kann entweder natürliche Notwendigkeit heißen oder Evolution oder was auch immer. Als Menschen bleiben wir nichtsdestoweniger reduziert auf unsere Stellung innerhalb einer „zusammenstimmenden Aufforderung zur Entwicklung“ oder so etwas ähnlichem. Wirklich schwierig zu akzeptieren ist jedoch – noch einmal – dass es überhaupt nichts „großes Anderes“ gibt, und somit keinerlei Bezugspunkt, der uns Sinn und Bedeutung garantiert.“

Nicht einmal Slavoj Žižek 😉