Anamnesis – Letter in a Bottle

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. MaiZum Fest der Freude am Muttertag und zum 12jährigen Jubiläum unserer monatlichen Musikreihe “Das ganze Album”, (einer Idee der legendären Ö3-Musicbox aus den 70ern geschuldet) kulminieren wir diesmal mit einer zweistündigen Sondersendung in einer veritablen Weltpremiere: Das Konzeptdoppelalbum “Anamnesis – Message in a Bottle” der österreichischen Art-Rock-Band SoundDiary geht sich mit seinen über 73 Minuten nämlich nicht in einer einzelnen Sendestunde aus – doch sollte es unbedingt in seiner Gesamtheit zu hören sein, um der romanhaft ausladenden Geschichte gerecht zu werden, die uns da erzählt wird, und um den vielschichtig verwobenen Details ihrer Darstellung den nötigen Freiraum zur Entfaltung zu bieten. Wir dekantieren also jetzt erstmals

Anamnesis - Letter in a Bottle“Anamnesis – Letter in a Bottle”, und wie wir aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen erfahren, hat das bislang noch kein anderer Radiosender zustande gebracht. Zeit wirds! Auch für den Hinweis zur sicheren Anwendung: Solltet ihr diese Präsentation auf einem Sender hören, der das Album aus Gründen der Programmplanung nach nur einer Stunde “abreißen” lässt, dann kommt bitte in unser Sendungsarchiv und hört es euch dort in voller Länge und Breite und Vollmundigkeit und harmonischen TexturenAnklängen anlang anhaltend im Abgangan. Gern auch mehrmals, die Sendungen sind dort als Stream dauerhaft (ohne zeitliche Beschränkung) verfügbar. So empfiehlt etwa Horst-Werner Riedel auf Betreutes Proggen (genau, Progressive Rock war und ist das Schachterl, in welches derlei konzeptive Vielschicht einsortiert werden kann), sich unbedingt etwas mehr Zeit zu nehmen, um dieses Werk in seinen vielfältigen gefühlserzählerischen und musikdramaturgischen Facetten zu erfahren:

“Das Album sollte unbedingt lückenlos angehört werden, da wie gesagt die meisten Tracks nahtlos ineinander verschmelzen und durch das progressive Songwriting und die komplexen Arrangements Hörern durchaus ein wenig abverlangt wird. Ein wiederholtes Beschäftigen mit diesem Album ist auf jeden Fall empfehlenswert, um einen intensiveren Zugang zu erhalten.”

Und Hans Unteregger findet in seiner Rezension auf Stormbringer (dem Heavyzine): “Für dieses Album muss man sich Zeit nehmen. Ähnlich wie bei einem guten Buch oder einem guten Film, sollte man es sich bequem machen und sich voll und ganz auf die Musik und die Geschichte, die erzählt wird, einlassen. Dann kann man abtauchen und gemeinsam mit dem Protagonisten seinen Lebensweg beschreiten. Auch ähnlich wie bei einem Buch oder Film, wo man auch nach mehrmaligem Konsum immer wieder Neues entdeckt, sind auch hier sehr viele Nuancen versteckt, die es zu entdecken gilt.”

“Ohne nach Links oder Rechts zu schauen oder sich in irgendeiner Form dem vielzitierten Mainstream anzubiedern, wird hier ein Album auf die Beine gestellt, das mit Sicherheit keinen internationalen Vergleich in der Progressive-Szene zu scheuen braucht. Als Fazit bleibt nicht mehr zu sagen als dass SOUNDDIARY hier ganz großes Kino bieten und ein grandioses Konzeptalbum vorgelegt haben, das diesen Namen auch verdient.”

Uns bleibt dann noch, etwas von den Eindrücken zu berichten, die wir beim Erleben dieses abendfüllenden Gehör-, Gehirn- und Seelentheaters gehabt haben, etwas von der genialen Entstehungs- und Umsetzungsgeschichte dieses Albums zu erzählen, die wir aus erster Hand empfangen durften – und etwas dazu zu sagen, weshalb wir die Musik von SoundDiary als wesentlich “wärmer” wahrnehmen als zum Beispiel die von Steven Wilson. Aber das sollten wir Live in der Sendung tun, auf dass die Spannung erhalten bleibe

 

Gibt es Osterhasen?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. April  Zuerst der päpstliche Ostersegen – und jede Menge christlichen Mullah-Tschack noch dazu: Homosexualität ist vom Teufel! Und Osterhasen gibt es nicht! Stattdessen Krieg und Weltzerstörung im Namen der Realität: Die Ernste des Lebens oder Die Realitäter mit Werbeagentur. “Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie Erwachsene, aber was sind sie jetzt? Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.” Erich Kästner. Tief im eigenen Ich versteckt ist dieses Menschenkind, das wir alle einmal waren und mit dem gemeinsam wir Mensch sein könnten – wenn wir das, woran es in uns glaubt, wichtiger nähmen als eine schwindlige Weltpolitik.

Osterhasen, Jesus und die Kunst von Erik Ravelo SuarezEtwa den Brief, den es mit 5 Jahren an den Osterhasen geschrieben hat. Vor allem das, was es damals als seinen Wunsch für sein gedeihlich aufkeimendes Leben formuliert hat – passend zur Frühlingsstimmung. Das hätte uns durch die Jahre begleiten sollen – nicht rationalisiertes Erklärgeschwafel von wegen Erziehung zur Anpassung” an die “Realität der herrschenden Verhältnisse”. Und auch wenn Werbeagenturen gemeinhin dafür bekannt sind, als feindliche Invasoren in unser Unterbewusstsein einzudringen, so zeigen doch einzelne Beispiele gelegentlich echten Kunnstverstand jenseits von Markt und Manipulation. So wie dieses Foto von Erik Ravelo Suarez, der unter anderem in der Benetton-Fabrica arbeitete und dessen provokative Installationen sich inzwischen zu einem globalen Street-Art-Phänomen entwickelt haben. Oder auch eins unserer früheren Lieblingsbeispiele, das Video “Get Closer”, das Jung von Matt/Limmat 2011 für Pro Infirmis in der Schweiz produziert haben. Jedes wem auch immer innewohnende Kind, das sich noch immer ausdrücken darf und das noch dazu wahrgenommen wird, reagiert auf derartige Darstellungen mit wachem Interesse. Wir sollten ihm den Frühling nicht verderben. Und uns selbst

Du kannst deine Gefühle nämlich nicht abspalten – auf jeden Fall nicht auf Dauer. Im Angesicht des Todes mag wohl alles nichtig und lächerlich sein, aber spüren werden wir es, dass wir sterben. Da hilft kein Morphium und auch kein Erwachsensein. Und schon gar keine lebenslang eingeübte Gefühlsstarre. Und Pseudogefühle, die bloß reizausgelöste Reaktionsgebärden zur Vorspiegelung erwünschter Verhaltensweisen sind, haben da schon gar keine Gültigkeit. Es geht um den Mut zum Mitgefühl, auch mit sich selbst. Und mit dem Anderen, auch in sich selbst. Denn, ja da schau her:

Auch der andere, der bist du

 

Unter der Oberfläche

Artarium am Sonntag, 12. Dezember um 17:00 Uhr – Nach all dem Zeitlosen in der Musik spielen wir diesmal ein weitgehend verschollenes Album, dem man die Zeit seiner Entstehung durchaus anhört, nämlich Unter der Oberfläche von Hans Koval aus dem Jahr 1986. Mir widerfuhr sein als LP auf schwarzem Vinyl gepresstes Werk Mitte der 90er durch einen Flohmarkt in der legendären Käfergrabenmühle (deren Hausvater Bernhard Samitz vulgo Bez wir bereits eine Sendung widmeten und der danach auch einen schönen Roman von Brita Steinwendtner inspirierte). Dass wir dieses Zeitdokument gerade jetzt wieder ausgraben und zu Gehör bringen, hängt mit den Umständen seiner Entstehung zusammen – und mit dem, was es in unsere Gegenwart hinein berichtet, wenn wir es aus seinem Kontext heraus verstehen

Unter der OberflächeSeit Mitte der 70er war das Duo Koval & Klingenbrunner in der Tradition kritischer Liedermacher unterwegs und begleitete so die Generation der Hoffnungsvollen und Verändernwollenden durch eine sich abzeichnende Endzeit des grenzenlosen Wachstums. Zwentendorf, Hainburg und die Katastrophe von Tschernobyl schienen “letzte Warnungen” zu sein, die ein globales Umdenken und Umsteuern erfordern würden, um dem Untergang zu entgehen. Doch hat sich seit damals wirklich Entscheidendes geändert? Haben also Naturzerstörung, Ressourcenraubbau, die Ausbeutung von Mensch und Tier, Meinungsmanipulation durch Massenmedien, kurz, die Zerbraucherung unser aller Leben durch die jeweiligen Beherrscher, die von Geldes Gnaden Kaiser von Hinterfotz und St. Nimmerlein, plötzlich aufgehört? Oder wenigstens nachgelassen? Ganz im Gegentum! Jetzt auch in türkis und mit Klimawandel. Immer noch schneller, noch mehr, noch rücksichtsloser. Und mitten im neualten Weltgedümmel taucht Hans Koval mit Band wieder auf – prophetisch.

Mit verschiedenen musikalischen Stilmitteln wie (damals) radiotauglichen Balladen, Anleihen aus Folk- und Volksmusik, geerdet fettigem Blues-Rock oder satirischen Couplets gelingt ihm eine sympathische Synthese aus persönlicher Hinterfragung und Kritik an den Verhältnissen. Eine Sicht auf die erschreckenden Entwicklungen mit genau dem Sowohl-als-auch, das wir in der heutigen “gespaltenen Gesellschaft” so schmerzlich vermissen. Und genau das wäre auch eine der Botschaften aus der damaligen “Zeit des Umbruchs”, die wir uns im Heute zu Herzen nehmen könnten.

“Wissen sie, warum es diese sozialen Medien gibt? Die Menschen halten es nicht aus, still zu sein, wenn es nichts mehr zu sagen gibt.” Ferdinand von Schirach (Glauben)

 

Palila – Rock’n’Roll Sadness

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. November“Es gibt drei Arten von Musik, die das Rad nicht komplett neu erfindet: die total egale (die klare Mehrheit), die gestrige (Nostalgie!) und die zeitlose (selten). Es ist fürchterlich schwer, die letzten beiden auseinanderzuhalten. Vor allem wenn einen Musik berührt.” So bringt es der Kollege Jochen Schliemann hier über das Debütalbum von Palila zum Ausdruck. Und weiter: “Das hier ist nicht gestrig. Und egal sowieso nicht. Das hier ist JETZT.” Hier und jetzt erleben wir also das soeben bei Kapitän Platte erscheinende Album “Rock’n’Roll Sadness” des Hamburger Triumvirats Palila. Denn, wie wir zu sagen pflegen, der emotionale Nährwert jeglicher Darreichung lässt sich ausschließlich durch eigenes Hinspüren feststellen. Und alles andere wäre Betrug am Hören …

PalilaEine Formulierung aus obigem Artikel fand ich speziell erfrischend, gibt sie doch zugleich Antwort auf eine der letzten Fragen unserer Musikgeschichte: “Und wenn ein ganz alter Sack mich noch fragen würde: „Beatles oder Stones?“ – „Beatles. Es geht um Songs, nicht um Attitüde.“ So hab ich das noch nie einsortiertaber klar war mir das vom Hinspüren her eh schon immer. Und so lässt sich auch die unmittelbare Berührungskraft der Musik von Palila erklären, die dem erwähnten Herrn recht pathetische Worte entströmen lassen: “Bin ich jetzt hoffnungslos subjektiv (und/oder nostalgisch), weil Palila aus Hamburg auf ihrem Debütalbum einfach ihr Herz rausreißen und genauso hochhalten, dass es aussieht wie meines? Es ist jedenfalls wohltuend, auch wieder einmal so hoffnungsvoll subjektiv über Musik zu sprechen, wo uns doch ringsumher fast nur noch das inhaltsleere PR-Gephrasel der Marktalchemisten (die jeden Dreck zu Geld machen, angeblich) umdröhnt. Die aber sicher all unsere Sinne mit wohlfeilem Sondermüll zuscheißen – was sie dann “Kunst und Kultur” nennen.

Es mag durchaus verschiedene Stilrichtungen geben, genauso wie verschiedene Geschmacksvorlieben. Akustisch oder elektrisch, Synthesizer oder Gitarren oder alles zusammen. Klavierkonzert, Kammermusik, großes Orchester, klassisch oder elektronisch – oder eben Rockband. Und Genre- oder Untergenrezuschreibungen können da auch durchaus sinnvoll sein – zur groben Orientierung. Darauf dauernd herumzureiten jedoch hilft bei der Frage nach persönlicher Berührung generell nicht. “Indie-Rock” etwa wird dem, was Palila in uns auslösen können, keinesfalls gerecht.

Wer die Hörfahrung gern noch etwas roher möchte als im gegenständlichen Album, dem/der sei die Doppel-EP mit dem herausragenden Titel “Tomorrow I’ll come visit you and return your records” herzlich ans Ohr gelegt – und das heißt empfohlen!

Palila – NY Family Plans

 

Erinnerung an Elke Mader

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. September – Nicht nur Martin Blumenau und Caspar Einem sind unlängst verstorben (was ohnehin schon Löcher in unserem Geistesleben hinterlässt) – nun ist auch Elke Mader von uns gegangen, die unsere Radioarbeiten immer wieder konkret inspiriert und gefördert hat. Sie war nicht nur Professorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien, sondern darüber hinaus eine mit Hingabe neugierige, forschende, an Entwicklung interessierte und so den Wissenschaftsvermittlungsbetrieb stark belebende Frau – überhaupt die erste Frau, die sich in ihrem Fachbereich in Wien habilitiert hat. Ha! Nachzulesen im Nachruf des Instituts. Vor allem aber war Elke Mader mir als meine Cousine verbunden – und so soll die persönliche Erinnerung an sie hier aufleben.

Erinnerung an Elke MaderNicht nur Musik, die sie in ihren Vorlesungen verwendete, wie das legendäre No No Keshagesh von Buffy Sainte-Marie, sondern auch Musik, die sie mir in früheren Zeiten zugänglich machte, Frank Zappas Sofa No 2 und auch Peter Gabriels Walk Through The Fire soll dabei erklingen – oder überhaupt Musik, auf die wir uns geeinigt hätten, wie People Have The Power von Patti Smith. Nein – Kreatives Erzählen von all dem, was beim Verlust eines lieben Menschen als Wellen der Erinnerung ins Bewusstsein drängt – naturgemäß dramaturgisch strukturiert in 3 Themenbereichen – das wollen wir hier in aller Unfertigkeit darleben. Wie Leben an sich, auch über den Tod hinaus, ewig unfertig bleibt. Die einstweilige Verfügung unserer Zwischenbilanz. Eine Momentaufnahme der Entwicklung vom vom zum zum – und wieder zurück:

1) Die legendäre Porzellangasse. Ich hatte das große Vergnügen, in den seligen 70er Jahren öfters in jener Wohngemeinschaft zu Gast zu sein, in der Elke Mader und Richard Gippelhauser damals lebten und in der Geistesgrößen wie Christoph Ransmayr oder Konrad Paul Liessmann umgingen. Von wo man zu Vernissagen aufbrach, bei denen sich noch die Tische bogen und also Hunger und Durst gestillt werden konnten. Wo man noch Feste feierte, die man heute so gar nicht mehr

2) Teilnehmendes Beobachten. Eine vorurteilsfreie Grundhaltung, die Elke nicht nur in ihren Feldforschungen einnahm, sondern die ihr gesamtes Leben prägte. Mir in jedweder Lebenslage sowie uns in unserer Freundschaft und Arbeit gegenüber hat sie stets diese eigentlich ambivalent anmutende und dabei so überaus angenehme Haltung eingenommen. So sollte generell jede zwischenmenschliche Begegnung sein: Dass man zur Begrüßung freigesprochen wird von der Schuld des Rollenspielens.

3) Freundin und Förderin. Betrachten wir die Beziehung von uns zwei Radiohasen zueinander wie auch zu unseren Sendungen und Projekten als eine eigene Kultur (wie “das etwas andere Kunnst-Biotop” ja auch gemeint ist) – dann war Elke in ihrem ersten Begegnen wie in ihrem weiteren Mitleben mit unserer eigenartigen Seinsform ganz und gar Kulturforscherin und hat sofort verstanden, was uns das Artarium und die Nachtfahrt bedeuten. Und immer, wenn diese für uns “höchsten Werte” gefährdet waren und es in ihrer Macht stand, hat sie uns freimütig geholfen.

Dafür danken wir!

Zur Erinnerung: The Chequered Flag (Dead or Alive)

 

Anrufer … Martin Blumenau …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. August“Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.” Mit diesem Satz von Bazon Brock hätte ein nächtlicher Anrufer bei FM4-Bonustrack gute Chancen gehabt, dem dort obwaltenden Martin Blumenau ein weiterführendes Gespräch zu entlocken. Doch unter dieser Nummer wird der nun niemand mehr mit seinem legendären “Anrufer” begrüßen. Die Anrede wäre jeder bemühten Gender-Neutralität um kreative Lichtjahre voraus. “Wer sich Regeln unterwirft, kann trotzdem Anarchie walten lassen. Es müssen halt die eigenen sein.” Nur eine Weisheit aus jener umfänglichen Enzyklopädie der Popkultur, die Martin Blumenau wie kaum ein anderer verkörpert hatund die uns jetzt fehlt

Anrufer?Anlässlich unserer Wiederausgrabung und Ohrbarmachung eines längst verschollen geglaubten Albums (und er schätzte ja die etwas spezielleren Raritäten) schrieb er einen Artikel mit dem Titel “Zufällige Erinnerung an die allerbeste österreichische Band von „früher“, die keiner kennt: X-Beliebig”, der sein musikhistorisches Spezialwissen und seinen detailverliebten Hang zur Perfektion in vollster Blüte dokumentiert. Darin verlinkt eine “Menge Fotos”, die inzwischen hier zu betrachten sind. Und der von ihm taktvoll als “mein alter Print-Kollege” bezeichnete Georg Wimmer (er war damals unser Radiofabrik-Programmleiter) kannte ihn tatsächlich noch aus ihrer gemeinsamen Zeit bei der Arbeiter-Zeitung. Kennt die eigentlich noch wer? Egal, lernens halt Geschichte! Jedenfalls war Martin Blumenau in der Spätphase (80er-Jahre) des einstigen “Zentralorgans der Österreichischen Sozialdemokratie” für jugendliche Musikkultur(en) zuständig – und erwarb sich bald einige Berühmtheit ob seiner eloquent zugespitzten Kritiken. Wie er sich dadurch auf die nachwachsende Generation von Musikschaffenden und Beitragstäter*innen ausgewirkt hat, davon erzählt Robert Rotifer in seinen emotionalen Erinnerungen an “Die Revox-Queen”

Wenn wir versuchen, einen so vielschichtigen und oft polarisierenden Menschen wie Martin Blumenau zu verstehen, indem wir ihm nachspüren, mit ihm mitdenken, ihm auch innerlich widersprechen, dann drängt sich uns unvermeidlich das Thema Fußball auf. Auf keinem anderen Spielfeld (!) konnte er seine Leidenschaft und sein spontanrhetorisches Talent besser ausleben, als wenn er mit anderen Ergriffenen über die zahllosen Ableitungen des ihn faszinierenden Phänomens philosophierte. Hören wir Ausschnitte seiner Gespräche zum Fußball aus dem BELLEVUE in Linz

und befruchten wir uns.

Anrufer?

ANMERKUNG: Die am Anfang des Artikels verlinkte “Sendung” ist eine Rekonstruktion, bestehend aus vorbereiteten Musikstücken und Audiocollagen sowie der überarbeiteten Notaufzeichnung der Livemoderation. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass ausgerechnet während ihrer Stattfindung der Sendeserver der Radiofabrik seinen letzten Seufzer tat – und verschied. Eigentlich sehr (zum Thema) passend. Wie war das nochmal mit der Koinzidenz

PS. Hier findet sich übrigens auch die erwähnte legendäre Aufzeichnung von „Salon Helga – Von hinten“

 

Ein fester Festspielflash

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. August – Seit inzwischen 101 Jahren sind “die Festspiele” ein fester Bestandteil des Salzburger Selbstbilds. “Die ganze Stadt ist Bühne”, soll einer ihrer altvorderen Gründer einmal gesagt haben. Fest, fester, am festspielsten. Nun, wenn alles ein einziges Theater ist (und noch dazu auf höchstem Niveau), welches Stück wird da gegeben? Jahr für Jahr für Jahr wird vom “Sterben des reichen Mannes” erzählt – wo ist das “Leben der armen Leute” in eurer Selbst-Inszenierung? Die werden seit der Erfindung des großen Welttheaters in der kleinen Provinzhauptstadt mit Lebensmitteln aus Wien beschwichtigt – und dürfen heutzutage als mehr oder weniger freundliche Volksdarsteller auf Umwegen rentabel sein. “Die Festspiele sind für uns ein Reibebaum, und wir sind die Sau, die sich an ihnen reibt.”

Ein fester FestspielflashDenn einerseits wird hier wirklich erhellendes Theater auf die Wege gebracht, werden weltbewegende Themen in ergreifender Gestalt bis ins Tiefste und Innerste verhandelt und echter Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur neue Räume eröffnet. Andererseits bleiben die bleierne Blödheit des Weiter-So und Immer-Noch-Mehr und auch die unhinterfragbare Herrschaft von Geldmacht und Grundbesitz als die treibenden Kräfte hinter dem sommerlichen Spektakel. Jedermann? Ich bitt’ sie – Jedermann, der es sich leisten kann! Der sich für gutes Geld gern gruselt in Hofmannsthals kuschlig morbidem Katholizistentum. “Eine Triumphpforte österreichischer Kunst” – Die Umwidmung des Untergangs der Donaumonarchie in ein europäisches Erfolgsprojekt für eine exklusive Elite? Genau deshalb haben wir unsere Begegnung mit Thomas Oberender vor 10 Jahren mit “Das Salzburg Syndrom” betitelt. Denn – wer zahlt, schafft an. Oder doch nicht?

Er bescherte den Festspielen ihre bislang erfolgreichste Theatersaison und brachte Jan Lauwers & Needcompany nach Salzburg (unvergessen Sad Face | Happy Face 2008 auf der Pernerinsel). Und er öffnete die Stadt als Spielraum für immersive Kunst, die teilweise sogar allgemein zugänglich war, wie zum Beispiel A Game Of You von Ontroerend Goed. Auch Philipp Hochmairs Jedermann Reloaded entwickelte sich aus dem Young Directors Project, das einst von Thomas Oberender betreut wurde. Vielleicht ein Sämann, dessen Saaten den Satten zum Steinbrech geraten? Und:

“Ein genialer Spagatkünstler“, der sich zwischen dem Aggressor (mit dem Geldkoffer) und den Abgründen des eigenen Selbst vor allem mit der Wirkmacht des Theaters (und der möglichen Katharsis) identifiziert. Das ist ein besserer Gründungsmythos als die ständige Selbstlobpreisung einer längst unfruchtbar gewordenen “besseren” Gesellschaft. Das etwas andere Kunnst-Biotop verleiht jenen eine Stimme, die sonst nichts zu sagen haben: “Die Festspiele sind für uns ein Heiliger Bimbam, bei dessen Gedröhn uns unweigerlich Hören und Sehen – und Reden – vergehen …”

Es ist uns ein fester Festspielflash

PS. Mehr dazu gibts bei den Perlentauchern

 

Im Fluss

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. JuliEin nachhaltiges Plädoyer fürs Baden in der freien Natur (ist die eh noch da?), fürs Plantschen und Schwimmen und Zeitvergehenlassen in Flüssen, Bächen oder Seen. Gehts euch doch brausenaber bitte im Wasserfall! Nie war es so wertvoll wie heute, sich den Elementen der nicht verwalteten Welt hinzugeben. Ringsumher regieren Künstlichkeit und Zwang, doch der Mensch erinnert sich stets seiner Natürlichkeit, sobald er wieder eintaucht ins Fließende. Hier und Jetzt. In den wohltuenden Fluss irgendwo da draußen, wo kein Business das Sein verschandelt und kein Bademeister sich ins Mein oder Dein einmischt. Wo das lange Eingesperrtsein von einem abfällt wie ein böser Traum und das Leben feuchtfröhliche Urständ feiern kann – sofern sich Sonnenschein ausgeht.

Im FlussWie umfassend bereichernd so eine Erfahrung im naturbelassenen Fluss werden kann, das beschrieb schon Bertolt Brecht im von Konstantin Wecker kongenial vertonten Poem “Vom Schwimmen in Seen und Flüssen“, das wir unserer heutigen textmusikalischen Hörbildcollage voranstellen, und in deren Mitte wir den vielschichtig interpretierbaren Sommersong “Im Fluss” unseres aus der ach so schönen Stadt Salzburg erfolgreich entsprungenen Kollegen Marwin Tea vorstellen. Und ungeachtet unserer Bekanntschaft, das hier verlinkte Video ist ausgezeichnet gemacht. Es lädt auf mehreren Ebenen dazu ein, sich auch der Metaphernwelt des “Im Fluss Seins” ebenso verspielt wie spaßernst anzuvertrauen. So wie das sich mit der Zeit immer besser anfühlende “den Fluss des Lebens hinunter treiben lassen”.

Denn, seien wir mal ehrlich, genau das macht das Leben von uns Menschen aus.

So verläuft es – von der Quelle bis zur Mündung – nie langsamer und nie schneller. Einfach immer seine Strecke lang, eingebettet in einen erstaunlichen Kreislauf aus Werden und Vergehen, aus Verwandlung und Wiederkehr. Wozu sich also mit dem angestrengten Turmbau zu Immernochhöher, Immernochbesser und Immernochmehr aufhalten, wo doch das Leben des gesamten Planeten ein einziges Immernurfließen ist, das keine noch so aberwitzige Konstruktion je verändern kann? Let it flow …

Das Leben lebt, es ist ein wunderschöner Sommertag (Gisbert zu Knyphausen)

 

Babylon Salzburg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. JuniZwei Musikstücke mögen unseren heutigen Ausritt in den Abgrund umrahmen: “Apocalypse or Revolution” aus dem neuen Album von Ja, Panik – und “Zu Asche, zu Staub” aus der bemerkenswerten TV-Serie “Babylon Berlin”. Dazwischen liegen knapp 100 Jahre Weltgeschehen, in denen sich zahllose Schrecknisse, Verwundungen und Überlebensreflexe zu einer epigenetischen Kakophonie ungeheuren Ausmaßes ineinander türmen. Geborgen und verfolgt zugleich versuchen wir diesen unüberschaubaren Partituren unseres Generationenlebens irgend einen Sinn zu entreißen – und uns wieder zu entdecken in den durcheinander fliegenden Fragmenten von Ursache, Wirkung und Synthese. Und scheint auch Salzburg hier (vergleichbar) banalzum Babylon reichts allemal.

Babylon SalzburgSo versinnbildlicht etwa der “Turmbau zu Babel” allerorts die Großmannsucht (womit wir nicht die großartige Mechthild meinen) sondern zwanghaftes Wachstum über die Grenzen der Natur hinaus. “Babylonische Sprachverwirrung” bezeichnet die sich unvermeidlich daraus ergebende Zerstörung der “menschlichen” Kommunikation. Und mit “menschlich” meinen wir hier durchaus “menschenwürdig”. “etwas wie babel” nennt Christopher Schmall folgerichtig sein lyrisch-akustisches Work in Progress, mit dem er das Scheitern zwischenmenschlicher Sprachform erforscht, und das er über die Jahre hinweg ständig weiter entwickelt, derzeit unter Einbeziehung einiger Ausschnitte aus “Fluchtstück” von PeterLicht. Das bildet die zweite Umrahmung (womit wir nicht das Milchprodukt meinen) sondern das Gewirr von inneren und äußeren Stimmen, die uns beeinflussen, Anklage und Verteidigung im inwendigen Strafgericht wie bei “Mea Culpa” von David Byrne und Brian Eno.

Kommen wir jetzt zu einem weiteren Sinnbild: “Die Hure Babylon” illustriert ein zum nicht mehr hinterfragbaren System gewordenes “Sich prostituieren”. Sich verkaufen, die eigene Haut zu Markte tragen, sich dem Meistbietenden andienen, sich für Geld ficken lassen – der Sprichwörtlichkeiten hierzu sind einige, und wir alle wissen, was damit gemeint ist. Globale Zwangswirtschaft und Arbeitsstrichservice sind weitere Wortentwicklungen zu diesem weltweiten Machtklotz, der uns allen aufsitzt und uns innen wie außen die Türen zur Freiheit zuhält. Der Zuhälter in vielerlei Gestalten

Den letzten Rahmen (die finale Zwiebelschicht) einer Verbindung von Ja, Panik mit Babylon Berlin muss nun ein Großmeister des Dandytums herstellen: Bryan Ferry, dessen Roxy-Music-Klassiker “Bitter-Sweet” sie einst auf DMD KIU LIDT gecovert haben, und der, nunmehr gepflegt gealtert, in besagter Serie den zeitlosen Song im Stil der 20er Jahre zum Allerbesten gibt. Nur, welche Version passt in die Sendung?

PS. Wir beglückwünschen unsere wackere Kollegin Mirjam Winter (bei der wir beide das Radiomachen gelernt haben) zum Ehrenschorsch der RadiofabrikAlles Gute!

PPS. Das in der Sendung zum Fluchtstück von PeterLicht erwähnte Videoportrait aus unserer Anfangszeit gehört schon auch wieder mal gesehen!

 

Satt Irre

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Juni“Es gibt also doch noch Satire”, “ORFloch” oder “Fuck the Biedermeier” waren alternative Arbeitsitel. Nun also doch “Satt Irre” weil wegen dem Wortspiel und Peter.W.s Satirejingle von damals. Denn Satire, im besten Sinn “Entstellen der Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit” oder eben durch Übertreiben und Verfremden erst so richtig verstehbare Darstellung, ist für einen gesellschaftlichen Dialog auf Augenhöhe notwendig. Weshalb sie auch von denen verfolgt und unterdrückt wird, die keinen solchen Dialog zwischen den “zum Herrschen Auserwählten” und dem “gefälligst zu funktionieren habenden Pöbel” zulassen möchten. Satire ist eine Schutzimpfung gegen den Schwindel – in dieser Polit-Pandemie. Die einen bekommen sie – und die anderen nicht. Das ist doch irre!

Satt Irre Eck HartUnd immer dort, wo sich irgendein Depp berufen wähnt, autoritär zu regieren, wird Satire ganz schnell zur Majestätsbeleidigung. Hallo? Wir sollen einen Hut grüßen, aber nicht verstehen, was es bedeutet, dass man ihn da hingehängt hat? (Friedrich Schiller, Wilhelm Tell) So ging es Carolin Kebekus mit “der Kirche” (gemeint ist die katholische), als sie deren vorgestriges Selbstbild im WDR anprangern wollte. Schwuppdiwupp, war “Dunk dem Herrn” im Nirgendwo verschwunden. Und ihre Sendung gleich mit. Ist das nicht irre – oder irre ich mich? Dabei verwenden die öffentlich rechtlichen Sender in Deutschland einen durchaus erheblichen Teil ihrer Sendezeit für satirische Beiträge, die eben auch oft politisch brisant sind. Übersetzung: die eben auch oft jemand Einflussreichem nicht so gut gefallen könnten. Und in Österreich? Da verschwindet ein Beitrag von Peter Klien über “Das Kurz-Netzwerk” (hier trotz alledem zu sehen) schwuppdiwupp aus dem Programm des ORF – und seine Sendung “Gute Nacht Österreich” gleich mit. Da hilft nur noch Jan Böhmermanngrenzübergreifend – mit dem “Penatenkanzler”

Moment – ist hier womöglich schon wieder ein “Anschluss” im Gange? Nur weil der Österreichische Unfug zu untertänig oder einfach nur zu kleinkariert ist, um seinem Bildungsauftrag nachzukommen? Kurzifix nu amoi! Da möchte man sich doch zur Kaiserin des Ostreichs krönen lassen. Lisa Eckhart – auch so eine heiße Kartoffel, die im heimischen Medienzoo von St. Betulichgund kein Sendeplatzerl gefunden hat, weil ORFkriecherei hierzulande Staatsraison ist. Und “man” auch nie “jemand Mächtigem” auf die Zehen treten möchte. Schon gar nicht den Empörkömmlingen aus dem Hinternet, dem Gebubble aus der Shitcrowd, den Wutwürsteln aus dem Volkseintopf der Rächthaberei. Ein epigenetisch weitervererbter Totstellreflex

“Ob Hakenkreuz, ob Hände falten – nur eins ist wichtig: Goschen halten!”