OK Computer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. März – Das 1997 erschienene Album OK Computer von Radiohead gilt als eines der wegweisendsten Werke der britischen Musikgeschichte (wenn man nicht zwanghaft zwischen E- und U-Musik unterscheiden muss). Diese EU-Grenze haben die 5 Freunde aus Oxford ohnehin längst aufgelöst, vor allem der Grünwald Hansi (Jonny Greenwood), der in seinen Filmmusiken und Soloprojekten schon auch mal E-Musik-Größen wie Krzystof Penderecki, Olivier Messiaen oder Arvo Pärt zu neuen Formen integriert hat. Gemeinsam mit Sänger Thom Yorke und Filmmusikmeister Hans Zimmer entstand kürzlich der Soundtrack zur BBC-Naturdoku Blue Planet II. Absolut sehens- wie hörenswert! Und wie alle zutiefst aus dem Leben geschöpfte Kunst keines Genreschachterls mehr bedürftig.

OK ComputerDenn hier wird tief geschürft und einerseits kunstvoll, andererseits ehrlich das eigene Empfinden in erlebbarer Form dargestellt – und dadurch (ist es Zauberei?) etwas vom Lebensgefühl einer ganzen Generation ausgedrückt. Wie das heute noch wahrgenommen wird, lässt sich in zahllosen kritischen Würdigungen, etwa anlässlich der erweiterten Neuveröffentlichung 2017 mit dem Zusatz OKNOTOK nachlesen. Und ganz gleich, ob da die musikgeschichtliche oder die gesellschaftliche Bedeutung des Stilgrenzen auflösenden Ausnahmewerks im Vordergrund steht, ein Aspekt kommt dabei immer (wenn auch zwischen den Zeilen) zum Ausdruck: Die prophetische und zukunftsvisionäre Dimension. Wollen wir das einmal explizit herleiten: Prophetie als Wort kommt aus dem Altgriechischen und hat, wie in dieser Sprache weithin üblich, ein sehr breites Bedeutungsspektrum. Keineswegs lässt es sich auf die beiden uns geläufigsten Entsprechungen reduzieren, nämlich “für (einen) Gott sprechen” und “die Zukunft vorhersagen”. Wenn wir dazu den Begriff “Vertikale Resonanz” (wie Hartmut Rosa ihn erklärt) einführen, der Religion, Naturerleben und Kunstgenuss umspannt, dann können wir die Prophetie von Radiohead als tiefes Eintauchen ins eigene Empfinden verstehen, das eben dadurch viel zur Entwicklung aller aussagt.

Wie schon so oft haben die Kolleg_innen vom Deutschlandfunk diesen Umstand in einem hervorragenden Artikel beleuchtet (und es ist Balsam für die Ohren, wenn der Musikkritiker tatsächlich Hörmann heißt). Wir erlauben uns, daraus zu zitieren:

“Die Digitalisierung steckt Mitte der 1990er Jahre noch in ihren Kinderschuhen. Das Internet macht die ersten Schritte: Noch gibt es keine Smartphones, keine Sozialen Medien. Und doch werden wir langsam zu von Maschinen gesteuerten Menschen.

Fitter, happier / More productive / Comfortable / Not drinking too much…

Die menschgewordenen Maschinen bestimmen immer mehr unser Leben. Und der Computer beginnt, uns zu dominieren. Radiohead komponieren dazu einen Kultur-Skeptizismus. OK Computer: Du versprichst Gutes, wir befürchten Böses. Datentransfer und Transitverkehr – alles ist in Bewegung, die Welt rauscht an uns vorbei. Die Vernetzung der Maschinen, die Vereinzelung des Menschen.

Calm, fitter, healthier and more productive / A pig in a cage on antibiotics

Ein Schwein im Käfig, vollgepumpt mit Antibiotika. Die Welt ist grausam. Natürlich.   Und dein Leben ist klaustrophobisch. Oh ja, auch das.”

 

Nachträglich

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. Februar – “Nachträglich” gratuliert man zum Geburtstag, “im Nachhinein” gibt man mitunter ein noch fehlendes Dokument ab, “im Nachgang” werden auch noch die komplexesten Ereignisse analysiert – und “nachtragend sein” hat eine entschieden negative Bedeutung. Genau deshalb werden wir euch diesmal einiges von dem “nachtragen”, was in letzter Zeit quasi liegen geblieben ist. Die Zumutung besteht nicht nur darin, dass der letzte Sonntag dieses Monats auf den 28. Februar fällt, sondern dass wir inzwischen seit einem Jahr im Ausnahmezustand vegetieren. Und dabei von so schlechten Schauspielern “regiert” werden, dass dagegen sogar die Familie Putz hoch kompetent wirkt. Aber – schön der Reihe nach …

Nachträglich CreepRadiohead schrieben in den 90ern einen Song, der weltweit zu einer Art Hymne für alle Außenseiter wurde, wie speziell die Unplugged-Version von KoЯn deutlich macht.

Die Letzten sind längst die Ersten, die Verletzten sind längst die Ärzte – und auch die Außenseiter sind längst die Insider

In einem gewaltfreien Dialog auf Augenhöhe, in einer Demokratie also, ist das Zusammenwirken von Verletzten und Ärzten zum Zweck der Gesundheit längst verwirklicht. Oder?

Tom Liwa hat sich eines weiteren Songs aus den 90ern angenommen (mit dem wir damals geradezu totgedudelt wurden) und zelebrierte mit seinem REMCOVER die hohe Sprachkunst der Textübertragung. Endlich verstehen wir etwas von dem, was da einst überall halt irgendwie schön klang, bis es ob seiner Inflation nur mehr zuviel war. Die blöde Propaganda vom unendlichen Wachstum elegant entzaubert. Chapeau!

Leonard Cohen war immer schon ein lyrischer Kritiker der herrschenden Verhältnisse (Verhältnisse der Herrschenden). Seine “Songs of Love and Hate” spannten auch immer schon einen Bogen von der Unterwerfung (in persönlichen Beziehungen) zur Unterdrückung (im politischen Geschehen). Misha Schoeneberg hat “Democracy” mit “Gerechtigkeit” übersetzt, und das ist nicht nur vollinhaltlich im Sinne des Autors, sondern auch absolut zutreffend. Worin leben wir eigentlich?

Michael Köhlmeier hat ebenfalls Songs aus dem Englischen übersetzt – und trägt selbige mit musikalischer Begeisterung vor. Allerdings diesfalls (wie einst mit Reinhold Bilgeri zusammen) in bester Vorarlberger Mundart. Nachträglich zu unserer Sendung “Das finstere Tal” hören wir eine Liveaufnahme seiner Nachdichtung von Lou Reeds“Walk on the Wild Side” (vom Krebshilfe-Benefizkonzert 2012 in Dornbirn).

Und Angelo Branduardi, dem wir unlängst ein “ganzes Album” gewidmet haben, soll auch noch mit seinen neueren “Übertragungen” zu hören sein, haben wir ihn doch geradeals jemanden erkannt, der Musik und Text aus vergangenster Zeit ins Hier und Heute, in unsere lebendige Gegenwart schreibt, spielt und singt. Wie zum Beispiel die fast 1000 Jahre alten Kompositionen der multitalentierten Klosterfrau Hildegard von Bingen.

Nachträglich ein Vorgeschmack sozusagen …

 

Hakuna Mutanta

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Februar – Die Idee zu dem titelgebenden Wortspiel verdanken wir einer Szene aus dem Disney-Epos “König der Löwen”, die ewig Junggebliebenen werden sich erinnern, “Hakuna Matata” ist Swahili und heißt soviel wie “Es gibt keine Probleme.” Hier zur Entspannung die polnische Variante. Nun mag “Hakuna Matata” für den Hausgebrauch eine ebenso nützliche Philosophie sein wie “Probiers mal mit Gemütlichkeit”, nichtsdestotrotz leben wir in verseuchten Zeiten und draußen vor der Tür mutieren die Viren, dass einem schwindlig wird. Zeit, dem Leben auch unter veränderten Bedingungen wieder eigeninitiativ entgegen zu treten. Etwa mit John Steinbeck, Bruce Springsteen und Tom Morello. “The Ghost of Tom Joad” stellt einmal mehr die Frage: Was will uns der Dichter damit sagen?

Hakuna MutantaUnd überhaupt, was will uns die derzeitige Situation sagen, die wir zwar nicht direkt verändern, aber durchaus wahrnehmen, verstehen und zum Anlass für unsere eigene Geschichte nehmen können? Was mutiert da alles vor sich hin, wenn wir “das Virus” als das begreifen, was es in seinem Wesen zutiefst ist: Information, die bei kleinster Veränderung bereits völlig neue Eigenschaften ausbildet? Die sich, wie im Fall des Influencer (Grippe) Virus jedes Jahr “in einem völlig anderen Gewand” zeigt? Mutieren nicht auch ganze Gesellschaften sowie ihre Staatsformen und Wirtschaftssysteme auf ähnliche Weise? Bisweilen kommt es mal zu einer Revolution gegen Gewalt und Unterdrückung – an der zugrunde liegenden Information wird etwas verändert und schwuppdiwupp – das gewalttätige Machtkonstrukt hat einen neuen Namen, aber es besteht weiter, erzählt viel von Freiheit und unterdrückt andersoder Andere.

Seit Jahrhunderten wird immer wieder aufs neue an einem Impfstoff gegen diese Art von Machtmutation gearbeitet, er heißt Demokratie, und er muss genauso ständig weiter entwickelt werden, wie das Machtvirus, schwuppdiwupp, vor sich hin mutiert. Der Vortrag “Demokratie erneuern” von Prof. Rainer Mausfeld bietet einen Einblick in diese Vorgänge. Sein erster Abschnitt trägt den Titel: “Das gesellschaftliche Gift unersättlicher Machtgier und das zivilisatorische Gegengift Demokratie.” Schön! Und wie wir unter diesen Vorzeichen leben könnenund wollen, das entwickelt Prof. Hartmut Rosa in seiner “Soziologie der Weltbeziehung” rund um den essentiellen Begriff “Resonanz”. Zum Schluss unserer heutigen Mutation noch die entsprechende Literatur/Filmempfehlung: Früchte des Zorns. Macht macht mobil

PS. Das Virus und das Immunsystem. Von Karl Lauterbach auch für “interessierte Nichtspezialisten” empfohlen. Na ja, ein bisserl Fachenglisch sollte man da schon …

PPS. In der Sendung haben wir, als eine Möglichkeit des Perspektivwechsels, davon gesprochen “was uns das Virus erzählen könnte”. Kurz darauf, am 2. März sendete ARTE den Dokumentarfilm “Corona: Sand im Weltgetriebe” von Alain de Halleux, der in seiner Dramaturgie just die Erzählperspektive des Virus einnimmt. Chapeau!

 

Angelo Branduardi

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. Februar – Bella Italia! Und überhaupt haben Italiener die schöneren Vornamen. Nicht Sepp (hüstel), Dietmar (gähn) oder Sebastian (würg) – vielmehr Dino (mmmh), Mario (mmhmmmh) oder eben Angelo (leckerlecker). Allein die Vorstellung, in sexueller Extase laut “Franz Ferdinand” zu rufen, sollte uns das verdeutlichen. Dann doch lieber “Michelangelo” – oder seid ihr denn alle komplett unmusikalisch? Wie dem auch sei – Italien gilt jedenfalls nicht grundlos als “Land der Oper” (und ist ob seines musikalischen Reichtums berühmt). Das zeigt sich auch im Klang der Sprache. Die seit Jahrhunderten unerreichtesten Geigen bauten folgerichtig die Herren Stradivari und Guarnieri del Gesù und nicht Niederredner und Klotz. Alles eine Frage der Musik, so wie unser heutiges Album.

Angelo BranduardiAngelo Branduardi ist ein zutiefst in der Musik beheimateter Künstler, der in Zusammenarbeit mit seiner Frau Luisa Zappa (ja wirklich, und du bist mein Sofa!) ständig neue Einflüsse (oft aus uralten Traditionen) über die Zeitläufe hinweg verschmilzt. So ist “Confessioni di un Malandrino”, seine erste Eigenkomposition (mit 18 Jahren), aus einem Gedicht des russischen Lyrikers Sergej Jessenin (1895 – 1925) entstanden. Eine Zeit lang, speziell in den 80er und 90er Jahren, waren seine Lieder auch hierzulande ziemlich populär. Kritiker sprachen von “weichgespültem Schmusesound” und sahen den spirituell veranlagten Künstler, der seine Arbeit selbst als “schamanisch” bezeichnet, im eher unernsten Umfeld des “esoterischen Wohlfühlkitsch”. Doch das wird der Vielfalt an Themen keinesfalls gerecht, die Angelo Branduardi in seinen nunmehr 50 Jahren als Vollblutmusiker ver- und bearbeitet hat. Der Mann springt aus dem Genreschachterl!

Im Rahmen des Projekts “Futuro Antico” sind inzwischen 8 Alben mit historischer Musik erschienen, darüber hinaus reicht Branduardis Passion für “Musik aus längst vergangener Zeit” von Walter von der Vogelweide über Franz von Assisi bis hin zu Hildegard von Bingen (auf dem aktuellen Album “Il cammino del’Anima” zu hören). Neben dem erwähnten Gedicht von Sergej Jessenin hat er noch zahlreiche Texte von anderen Poeten vertont und vorgetragen, so etwa auf “Branduardi Canta Yeats”.

Wir destillieren allerdings einen Auszug des typischen Angelo-Branduardi-Sounds. Balladen und Motive aus allen möglichen Epochen und Welten in Gestalt moderner Folk-Rock-Performance.

 

Das goldene Tal

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. Januar – “Das goldene Tal” ist eine jener Sagen aus Salzburg, die Michael Köhlmeier nebst zahllosen anderen Märchen und Mythen frei erzählt auf CD herausgebracht hat. Und es ist die perfekte Metapher für eine Gesellschaft, die dem Reichwerden verfällt, sich nach außen abschottet – und schließlich untergeht. Willkommen im 21. Jahrhundert! Auf unserer heutigen Reise besuchen wir einige recht bodenständige Liederdichter und Geschichtenerzähler in ihrer “Heimat”, die ihre Kunst und somit ihre Seele niemals an den meistbietenden Tourismusverein verkaufen würden. Denen es mehr um die Erhaltung unzerstörter Landschaft und Menschlichkeit als um den größtmöglichen Profit auf Kosten der nachfolgenden Generation geht. Denen ein lebendiges Herz mehr bedeutet als eine

Das goldene Tal wird von einem Schattenkönig beherrschtgoldene Uhr oder sonst ein Tinnef mit Lakritz. Und so treffen wir nicht ganz zufällig auf Fritz Messner, der mit seiner Band Querschläger auch diverse Tauerntäler bespielt, sowie auf Toni Knittel, einen Bluatschink aus dem Lechtal, dessen Mundart das heilige Land mit dem Ländle in Verbindung bringt. Und dort waltet wiederum der eingangs erwähnte Meistersinger der erzählten Rede. Ha! Gleich in mehrfacher Hinsicht eine Rundreise also. Mit Abschweifungen, wie es sich gehört: Etwa anlässlich der Frage, was “der Bluatschink” denn eigentlich ist. Die Etymologie dieses dämonischen Wassergeists führt zur klangvollsten Volksgruppe, mit der ich mich je identifiziert habe, nämlich zu den “kärntnerischen Alpenslaven”. Chapeau! Und auch zum “Blutschinkischen Grobianismus” aus der Phantasiewelt Zamonien von Walter Moers, weshalb wir den Herrscher über das goldene Tal hier vorzugsweise durch eine entsprechende Plastik von Carsten Sommer illustrieren. So überaus elegant kann (und sollte man auch!) aus der Abschweifung zurück finden.

Zurück in das goldene Tal, dessen Bewohner ihre Söhne schlachten (ihre Zukunft zerstören), um über die Maßen reich zu werden, den Taleingang (die Außengrenze) mit einer unüberwindlichen Mauer versperren, damit ihnen niemand ihren Reichtum wegnehmen kann, und die am Ende genau den Teufel anbeten, der sie zu diesem herzlosen Tun verführt hat. Doch wer oder was ist dieser Satan? In die Gegenwart übertragen hockt da ein Mammonmoloch auf dem Thron, die Summe aller Absichten und Entscheidungen, das Lebendige hintan zu stellen und den Wunsch nach mehr und immer noch mehr Reichtum (und Macht und Bedeutung und Ruhm) vorzuziehen.

Doch nach wie vor gibt es Propheten, die den handelnden Personen ins Gewissen reden: “Es sitzt ein Mann im Kanzleramt, der hat ein Herz aus Stein.” Kehrt um! Sonst fahren wir noch allesamt zur Hölle, herzlos und schuldig am Tod der Zukunft.

Etwas dagegen tun? Bitte, hier: Courage – Mut zur Menschlichkeit

 

New Model Army

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Januar

“Sie können sich mit fast jedem meiner Generation darüber unterhalten, der unter diesen Punkumständen aufgewachsen ist, sie alle werden ihnen bestätigen, dass es diese spezielle Haltung gab: Was immer die Welt von dir will, lass mich in Ruhe damit. Wir hatten ungefähr 14 verschiedene Leute in der Band, die uns über die Zeit begleitet haben. Und was sie alle verbunden hat, war diese Punkattitüde. Welche Songs die Zuschauer hören wollen, was die Musikindustrie über uns denkt… lass mich in Ruhe damit! Wir sind New Model Army. Ja, wir sind manchmal scheiße, ja, wir machen Fehler, die wir bedauern, aber wir machen das auf unsere Art und Weise.” Justin Sullivan im Deutschlandfunk – kurz nachdem 2016 ihr 14. Studioalbum “Winter” erschienen war. Inzwischen gibt es mit “From Here” weiteres Nichtangepasstes

New Model Army…sowie den gleichnamigen Dokumentarfilm zum 40. Geburtstag von New Model Army. Den würdigen wir hier mit Musik aus 4 Jahrzehnten. Und zwar mit einer eigenen Auswahl, die nicht Verkaufszahlen oder Publikumsgunst, also die heute allgemein “Erfolg” genannten “Werte” im Blick hat, sondern den auch von Justin Sullivan oft beschworenen “Spirit”, die Grundstimmung aus Leidenschaft, Scheißdrauf und Trotzdem, das innere Berührtsein von dort, wo das Leben an sich herkommt (und das ist nicht dort, wo die etablierten Andenkenstandler ihren Weihrauch, ihre Rituale und ihre Heiligenbilderln anpreisen). Vielmehr dort, wo Zärtlichkeit und Zorn Frieden finden, weil Gefühl unverstellt ausgedrückt wird.

“Dieser Begriff von Kunst, der von monolithischen Bands wie Pink Floyd oder Yes ausging, die versuchten, mit ihren Monsterproduktionen und technischen Gitarrensolos zu prahlen, war das Hassobjekt. Punk stand dafür, diese Aufgeblasenheit zu vergessen und sich wieder aufs Wesentliche zu konzentrieren und das war der Spirit. Die Leute fingen an, in Pubs Gedichte vorzulesen oder gaben Trommelkonzerte mit Löffeln, alles war erlaubt. Auf einmal waren all die Regeln passé, wie man Musik zu machen hatte. In den frühen 80ern gab es plötzlich viele neue Formen, von der experimentellen Elektronik bis hin zu schrägstem Rock. Zwar hatten wir dieses musikalische Erbe der 60er und 70er, aber wir machten etwas Eigenes daraus. Unser erster Bassist Stuart Morrow war ein echt guter Musiker, im Gegensatz zu mir. Und da er wesentlich besser spielen konnte als ich, übernahm er die Leadgitarre und zwar auf dem Bass. Es gab keine Regeln, also warum nicht? Es ist schade, das viele Menschen heute, 30 Jahre später, von Punk denken, das es laut Gitarre spielen und herumgrölen bedeutet hat.”

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer halt diese Sendung …

 

Symphonie Symposion

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Dezember – Das etwas andere Kunnst-Biotop ergeht sich anlässlich des andventlichen Eingesperrtseins von Kunst und Kultur in seinem selbsterteilten Bildungsauftrag. Zur Einführung hören wir John Lennon, Leopold Figl sowie Tony Levin. Und naturgemäß würdigen wir am Schluss des Beethovenjahres auch diesen herausragenden Musikrevolutionär, ohne dessen Aufbrechen der klassischen Formensprache es keine Romantik, keine Programmusik und keinen Progressive Rock gegeben hätte. Zeitreise rückwärts. Beginnen wir mit einigem davon, was sich aus heutiger Sicht aus dem Erbe der 9. Symphonie weiter entwickeln ließe. Das Schöpferische will seinem Wesen nach zu eigener Kreativität inspirieren – und nicht als musealisierte Mumie unfruchtbar vor sich hin verfaulen.

Lauscht die Raucherin einer Symphonie?Bevor wir dann zu unserem selbst zusammengestellten Hörerlebnis kommen, halten wir doch kurz bei dem Bild von Mirek Kuzniar inne. Ob die Raucherin hier wohl gerade hoch konzentriert einer Symphonie lauscht? Oder doch eher Jazz? Ob ihre Hingabe hier überhaupt einer Musikdarbietung gilt? Oder sind es Erinnerungen? Oder Phantasien? Es geht darum, sich einzulassen auf das, was sein könnte. Eigene Bilder und Assoziationen hervor steigen und sich selbst mitreißen zu lassen in den Strom dessen, was da alles auf- und wieder untertaucht. Das wäre eine gute Einstimmung in die Klangmalerei, die auch das heutige “ganze Album” charakterisiert. Denn dafür haben wir eine gute halbe Stunde symphonischer Musikstücke aus der Hochblüte der Romantik und der Programmusik herbeigeschafft. Und wenn wir jetzt schon dabei sind, die Anstifter zu würdigen, es war die Beschäftigung mit Brita Steinwendtners neuem Roman (der ja hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt), die unsere Auswahl maßgeblich angeregt hat. Die Sätze und ihre Bezeichnungen lauten entsprechend:

01 Nikolai Rimski-Korsakov – Der Hummelflug (Langversion)

02 Bedrich Smetana – Vltava (Die Moldau) aus “Ma Vlast” (Mein Vaterland)

03 Antonin Dvorak – Adagio (Symphonie Nr. 9 “Aus der Neuen Welt”)

04 Anton Bruckner – Scherzo (Symphonie Nr. 9 “Die Unvollendete”)

Wir wünschen unseren Hörer*innen dabei eine gedeihliche Reise durch nicht enden wollende Klangwelten und Bilderfluten.

 

Weckers Weltenbrand

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. November – Einen Weltenbrand nannte man einst den ersten Weltkrieg (von 1914 bis 1918) und mit Weltenbrand betitelte man später auch Dokumentarfilmreihen darüber. So funktioniert die Verknoppung von Weltgeschichte in Wort und Bewegtbild. Konstantin Wecker jedoch verwendet diese apokalyptische Metapher lieber als Überschrift seines aktuellen Livealbums, welches wir bereits als Konstantins Kindheitstraum vorgestellt haben. Den zweiten Ausschnitt daraus widmen wir nun der Verbindung von politischem Widerstand und poetischer Zärtlichkeit, die sich wie ein roter Faden durch Weckers Werkwelt zieht. Ohne diese zwei Pole menschlichen Seins zusammen zu bringen ist auch keinerlei menschliche Politik zu gestalten, kein gewaltfreies Gemeinwesen je zu erreichen.

Weckers WeltenbrandWenn wir bestürzt feststellen, was für empathielose Psychopathen unser Gesellschaftssystem in die höchsten Machtpositionen spült, wie der bekennende Anarchist hier so zutreffend zeigt: “Eine kriminelle Vereinigung von unbelehrbaren oder korrupten Politikern, bestechlichen Wissenschaftern und geldgeilen Lobbyisten, aber Profis allesamt…”, ja, dann ist es allerhöchste Zeit, über eine “herrschaftsfreie Regierung” nachzudenken. Denn das Peter-Prinzip führt in unserer so hierarchisch aufgebauten Wirtschaft und Politik zwangsläufig dazu, dass führer oder später jemand ganz oben auf dem Thron hockt, den (oder die!) man mit Fug und Recht “Euer Hohlheit” nennen kann. Doch anstatt Hierarchien generell zu beseitigen und sich zu überlegen, wie in einer an allen Ecken und Enden zu zerplatzen drohenden Welt “regiert” werden kann (mehr im Sinn von “Regie führen” als wie bisher “herrschen” wie wir das so kennen), versucht man mit allerlei Reförmchen am Bestehenden das Schlimmste abzumildern. Werden etwa Rassisten sich auf wundersame Weise in weltoffene Menschenfreunde verwandeln, wenn das Wort “Neger” gesetzlich verboten ist? Da würde man ja noch eher in absehbarer Zeit das längst überfällige Heilmittel gegen die Dummheit finden!

Entzündet vom Weltenbrand,
ins Jetzt gepflanzt,
ewig in Rhythmen gebannt,
aus Klängen gestanzt,

tauchst in die Fluten du ein,
bis alles erlischt,
würdest gern Brandung sein,
endest als Gischt.

Dem Ganzen entzweit, doch ganz
auf dich gestellt
bleibt nur dein brüchiger Tanz
auf den Wogen der Welt,

und du erinnerst den Ton,
den großen Gesang,
dem vor Urzeiten schon
dein Wesen entsprang.

Trotzdem: was hält dich im Spiel?
Welcher Verdacht
leiht dir noch Licht und Ziel
in deiner Nacht?

Welches geheime Wort,
äonenfern,
schwingt sich im Geiste fort
durch Stunde und Stern?

Weshalb auch mancher Moment,
liebeverwebt,
der dir auf einmal bekennt,
warum es dich lebt?

Und so lugst du am Bug,
fährst nie im Hafen ein,
als wäre es Gnade genug,
Segel im Winde zu sein.

Entzündet vom Weltenbrand
ins Jetzt gepflanzt,
ewig in Rhythmen gebannt,
aus Klängen gestanzt,

tauchst in die Fluten du ein,
bis alles erlischt,
würdest gern Brandung sein,
endest als Gischt.

Weltenbrand (inspiriert von Rainer Maria Rilke), Gedicht von Konstantin Wecker

 

Rotweißrot Schwarzweiß

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. Oktober – Ein farbenfrohes Fest zum dräuenden Tag der Fahne – so rotweißrot hieß unser Nationalfeiertag nämlich vor 1965 – vom Schneeweißchen (Lisa Eckhart) übers Rosenrot (Georg Kreisler) bis ins dunkelgraue Schwarz (Ludwig Hirsch) und zum Salzburger Lokalkolorit. “Die Kunst muss manchmal zuspitzen.” Das wusste bereits Claus Peymann, als er in Wien einst den Burgtheaterdirektor gab und zusammen mit Thomas Bernhard den legendären Heldenplatz-Exorzismus veranstaltete: “Das ist das Naziland. Das sind alles Nazis. Die warten ja nur auf den neuen Hitler.” Wollt ihr das totale Schwarzweiß? Ja? Nein? Dann halt vielleicht doch lieber blaun, brün – oder bürkis? “Nein, ich liebe euch!” Was steckt da eigentlich in wem – und wenn ja, wieviel? Und überhaupt – warum?

Rotweißrot Almduludl

Rotweißrote Kuh von Kurt Tutschek

Das Schwarzweiß ist allerdings auch ein Merkmal von Satire, wie das Bertolt Brecht so zutreffend beschrieben hat: “Die Wirklichkeit entstellen – und zwar bis zu ihrer Kenntlichkeit.” Also Zuspitzung, Überhöhung, Abstraktion und Karrikaturdas Nachzeichnen wesentlicher Eigenschaften mit dem schwarzweißen Strich der pointierten Betrachtung. So wie wir das heute im Hinblick auf das Rotweißrot des Fahnenfests tun wollen. Achtung: Satire! Schwarzweiß gesehen ist der Salzburger Stier inzwischen eine rotweißrote Kuh geworden, Stierwascher hin, Lederhosen her. Kritik ist keine Majestätsbeleidigung, sondern ein Aufzeigen von Unfertigkeiten und Widersprüchen in der Darbietung des/der Kritisierten. Durch Bedachtnahme darauf könnte jedwedes tatsächliche Ergebnis verbessert werden. Wer jedoch seine Kritiker mundtot macht, lässt dadurch erkennen, dass es ihm/ihr gar nicht um ein möglichst gutes Ergebnis geht, sondern vielmehr darum, auch vollkommen grundlos Macht zu besitzen oder sonst irgendein soziopathisches Verhalten auszuüben – naturgemäß auf Kosten anderer. Eins sollte man dabei aber nicht übersehen: Die Anderen – das sind wir!

Dass wir angefühls allzu täglicher Babyelefantenauftriebe und Türkelbärenauslösen noch nicht vollends schwarz sehen, das verdanken wir unter anderem Künstlern wie Nikolaus Habjan oder der Musicbanda Franui, welche das Werk eines viel zu oft im dümmlichen Gunstbetrieb als “Schwarzmaler” verunglimpften “Liedkomponisten, Menschenkenners und Wortakrobaten” dergestalt zeitlos ins Leben spielen, dass es vor lauter Freude weh tut. Ein Aspekt des Gedenkens ist das Aushebeln der Zeit. Und – wie würde Georg Kreisler heute kritisieren?

“Schlagt sie tot!”

 

Where has all the Power gone?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Oktober“This great evil, where’s it come from? How’d it steal into the world? What seed, what root did it grow from? Who’s doing this? Who’s killing us, robbing us of life and light, mocking us with the sight of what we might’ve known? Does our ruin benefit the earth, does it help the grass to grow, the sun to shine? Is this darkness in you, too? Have you passed through this night?” Das fragt sich ein Soldat mitten im Pazifikkrieg 1942 auf der Salomoneninsel Guadalcanal. Ein Zitat aus dem fürwahr etwas anderen Kriegsfilm “The Thin Red Line” (Der schmale Grat) von 1998, das auch als Sample in der Musik der Post-Rock-Band “Explosions in the Sky” auftaucht. Wir spüren zurück in die 90er und fragen uns, was uns um jene einstmals so deutlich erkennbare “Power“ gebracht hat. Wieder so ein Scheißkrieg?

The Power and the GloryDer Verdacht liegt nahe. Eine These besagt, dass durch die Anschläge des 11. September 2001 sowie vor allem durch die kriegerische und geheimdienstliche Reaktion der USA ein internationales Klima des Misstrauens und der Anspannung entstanden ist, das sich bis heute in unseren Köpfen auswirkt: “Pass auf was du sagst. Pass auf, wem du es sagst. Und pass gut auf, wie du es sagst.” Durch solch vorauseilende Selbstzensur erodiert das, was wir noch in den 90ern als “Power” (als Lebenslust, Unbefangenheit und spontane Selbstäußerung in der Kunst) antreffen. Wenn wir heute irgedwas auf die Bühne bringen, das nicht rundum der Erwartung des “Korrekten” entspricht, erleben wir eine seltsam distanzierte Atmosphäre, die sich wie eine Wand aus Ablehnung anfühlt. Und zwar nicht erst seit Corona. Seit dieser zusätzlichen Einschränkung reden wir einfach mehr mit uns selbst und mit den Wänden, die die Welt bedeuten.

Lauschen wir also einigen Musikschaffenden, die mit ihren Werken den Sound des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Die dabei jene Energie des unverkrampften Aufbegehrens erlebbar machten, die wir als “ganz spezielle Power” heute so schmerzlich vermissen. Bis hin zur Wahrnehmung des neuen Milleniums: “Those who tell the Truth shall die, those who tell the Truth shall live forever”