Steve Westfield Album

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. Juli – Obzwar keine Musik aus Salzburg, so doch immerhin Musik, die einen gewissen Salzburgbezug vorzuweisen hat. Nicht nur, dass Günther Binder (The Seesaw, Jekyl & Hyde Park Band) eine Zeit lang bei Steve Westfield das Schlagwerk rührt, auch das heimische Musikurgestein Stootsie (der heute den schönen Shop Riverside Guitars betreibt) spielt sich in den 90ern bei legendären Konzertsessions mit Steve Westfield and The Slow Band in den Rausch der Sinne. Und sogar in der historischen Werkschau wird die Stadt an der Salzach explizit erwähnt: “Austria becomes a haven for the band, normally playing 3-5 hour gigs, with much improvisation. One gig in Salzburg ends at 5:00 am with only Steve W and Steve M lying on the floor still singing, to 3 or 4 people wandering around.” Well said.

steve westfield underwhelmedFür diese Sendung haben wir einige typische Songs aus zwei Alben jener Zeit ausgewählt, aus “Reject me…First” (1995) und aus “Underwhelmed” (1997). Letzteres gibt sowohl in seinem Albumcover als auch durch seinen Titel (eine der allergelungensten Wortschöpfungen überhaupt) die Stimmungswelt der hier versammelten Lieder und Texte vortrefflich wieder. Das ist Kunst für Außenseiter und Deprimierte und zugleich auch ein tiefes Verlangen nach Gerechtigkeit für all jene, die sich nicht mit dem dauergrinsenden Funktionieren einer immer fragwürdigeren Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft anfreunden können oder wollen. Ein gutes Drittel der Bevölkerung, wie man hört, das doch nicht einfach nur hinten runter oder unten raus fallen darf, indem alles so weiter geht wie bisher. Oder? Der Ohrenarsch von Schasplappersdorf und die glitschigen Produktmanager der Digitaldiktatur. Dazu ein Grölpöbel von Volkszornstammlern unter der Kronenheizung. Wunderts noch irgendwen, nach einem Vierteljahrhundert Kommerzfernsehen und Geiz-ist-geil-Marketing, wenn verordnetem Leistungsdruck nicht Entsprechende als bald “überflüssige Menschen” ihrer Abschaffung entgegen dämmern? Der Untergang. Eine Erregung. Von Thomas Burnout. Zurück zur Musik:

“Westfield betreibt ein ziemlich heimtückisches Songwriting, das sich zuerst im Sinne eines Vic Chesnutt langsam melancholisch vor dem Zuhörer ausbreitet, um diesem dann wie ein verspätet zündendenes Tischfeuerwerk unverhofft heftig krachend um die Ohren zu fliegen.” Thomas Kerpen im Ox-Fanzine.

“I expected something pathological, but I did not expect the depth, the violence, and the almost intolerable beauty of the disease. They improvised around the music, went from liquid lyricism, to rasping lechery to the shrill skittishness of a frightened child, to a heroin nightmare.” Kommentar auf “cdbaby”

 

Mikroaggression

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Juni“Beim Reden kommen die Leut zamm.” So auch Slavoj Žižek und Jordan Peterson, als deren Gemeinsamkeit die Kritik am Konzept der “Political Correctness” gilt, just am Karfreitag, und dann auch noch zum Thema “Happiness: Capitalism vs. Marxism”. Eine stets hektisch nach Aktualität hechelnde Medienwelt hat diesen professionell vermarkteten Event schon im Vorfeld zu einem “Philosophenduell” hochgejodelt – und bespricht ihn im nachhinein auch wie einen Boxkampf oder Ähnliches. “Wer hat gewonnen?” Derlei geht uns naturgemäß am Arsch vorbei. Doch das Wort Mikroaggression (und wie Jordan Peterson dessen aktuellen Gebrauch wahrnimmt) ist im Kulturoskop der Artarium-Redaktion hängen geblieben, und so wollen wir es gern näher betrachten…

Mikroaggression ist ein sozialpsychogischer Begriff aus den 70er Jahren, der speziell an Universitäten des englischen Sprachraums derzeit ein fragwürdiges Revival durchmacht. Apropos Macht, ich verstand damals darunter ein Erscheinungsbild struktureller Gewalt und finde es daher heute mehr als zweifelhaft, die Verantwortung dafür wiederum dem Verhalten einzelner Individuen zuzuschieben. Sowas ist doch reaktionär. Oder christlich konservativ. Weltfinanzquadratfundamentalistisch. Genau andersrum würde ein linker Schuh draus, liebe Genoss*innen. Oder? Wenn ich das “Konzept Mikroaggression” im Kontext von “politischer Korrektheit” einmal logisch durchdenke, dann dürfte ich keinen schwarzen Taxifahrer mehr fragen, wo er her kommt (weil er sich dadurch abgewertet fühlen könnte) – und so würde ich weder Interessantes über zum Beispiel Somalia erfahren, geschweige denn Nähe und menschliche Verbundenheit herstellen können. Aber die fortschreitende Entfremdung der humanoiden Plemplems von einander (und somit vom Leben an sich) ist ja eh kein besonderes Problem unserer Gesellschaft. Viel mehr, ob und wie man nicht Neger sagt. Da hat Žižek wohl recht, wenn er hier das visionäre Versagen der gesamten Linken konstatiert. Und Peterson ist vielleicht nicht “der Stichwortgeber” der neuen Rechten, als der er gern verkauft (oder vereinnahmt?) wird. Zwischen dem Bericht über das “Showduell” (im “Zeit”-Feuilleton) und der inhaltlichen Analyse des Gesprächs (von Benjamin Studebaker) liegen jedenfalls Welten an Wirklichkeit.

Reden wir drüber.

Slavoj Žižek hat wie immer seinen ganz eigenen Zugang and so on and so on…

So wie übrigens auch Jordan Peterson, hier im norwegischen Fernsehen

 

And then there were three…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Juni – “Da waren es nur noch drei” wäre wohl etwa der deutsche Titel des 1978 erschienenen Studioalbums von Genesis, durchaus selbstironisch “…And Then There Were Three…” geheißen. Nachdem wir nun schon dem üppigen Gesamtwerk von Peter Gabriel eine ganze vierstündige Nachtsendung gewidmet haben, soll hier auch noch eine frühe Arbeit von Genesis gut zu hören sein, und zwar das erste Album, das nach dem Aussteigen von Sänger Peter Gabriel (1975) und Gitarrist Steve Hackett (1977) entstand, als die Band also tatsächlich zu einem Trio geschrumpft war, in dem zunehmend Phil Collins den Ton angab (nicht zuletzt weil er ja jetzt anstelle von Gabriel sang). Ein Album, auf dem ihr etablierter Art-Rock und ihr künftiger Mainstream-Rock noch miteinander können.

GENESIS - And then there were threeEs ist unbestreitbar, dass mit dem Fortschreiten ihrer Weltkarriere und dem immer stärker werdenden Einfluss von Phil Collins (von dem noch eigens ein reden sein soll) die versponnenen Surrealitäten und dramaturgischen Arrangements der Peter-Gabriel-Ära zunehmend verschwanden. An ihre Stelle traten griffige radio- wie stadiontaugliche Popismen, die ein Mitschwelgen breiterer Massen möglich machten. “…And Then There Were Three…” versammelt noch beide Seiten der Musikmedaille – auf einem Album: Das opulent symphonische “Burning Rope” erinnert vom Aufbau her stark an Stücke aus “The Lamb lies down on Broadway”, das flott gespielte “Scenes from a Night’s Dream” gibt inhaltlich die phantastischen Abenteuer von Little Nemo wieder und im abschließenden “Follow You, Follow Me” taucht bereits der später so omnipräsente “Charts-Collins” auf, von dem Peter Huth sinngemäß schreibt: “In den späten 80ern und frühen 90ern konnte man fast keinen Fahrstuhl betreten, in dem Phil Collins nicht längst drin war.” Da sollte man jetzt allerdings schon wissen, was Fahrstuhlmusik als Synonym für penetrant-kommerzielles Hintergrundbedudel bedeuten kann. Oder, wie es das trojanische Pferd ausdrückt: “Der nächste, der Kunst sagt, kriegt eine aufs Maul.”

Da schau her – die F-Musik (Funktionale Musik) gibt es wirklich. Fahrstuhlmusik, für viele im wahrsten Sinn Musik zum Weghören.

 

Our Tragedy Today

> Sendung: Artarium vom Pfingstsonntag, 9. JuniSlavoj Žižek muss als Kind in irgendeinen Topf mit Zaubertrank gefallen sein, anders lässt sich sein nimmermüdes Sprechberserkern eigentlich nicht erklären. Den “Gutbürgerschreck” nennt ihn die Süddeutsche Zeitung und versieht ihn dabei mit Attributen wie: “atemlos, sprunghaft, unterhaltsam“. Der marxistische Philosoph, der unter anderem “die Psychoanalyse Jaques Lacans in die Bereiche von Populärkultur und Gesellschaftskritik überführt hat”, bereichert uns nun schon seit Jahren mit der erfrischenden Weltdeutung seiner niemals zu einem letzten Dogma gerinnenden Gedanken. Betrachtungen, die immer einstweilige Verfügung im steten Wandel der Gezeiten sind, eine überaus seltene Synapsenerlösung inmitten der sonstüblichen Eukalypse von Recht und Unfalsch.

Laibach Tragedy

Laibach, Sound of Music, Graz 2018
Photos by Miro Majcen

So etwa mit dem titelgebenden Referat “Is there any Alternative to Capitalism? Our Tragedy Today“ (ein Interview, das sich inzwischen nicht mehr im Netz finden lässt) sowie einer Vielzahl von weiteren Features und Diskussionen, die wir eurem jeweiligen Eigenhirn empfehlen. Vollendeter Genuss stellt sich erst dann ein, wenn man den Mann mit allen Sinnen dabei erlebt, wie er fortwährend versucht “auf den Punkt zu kommen” und genau dieser Punkt sich als “ein springender” erweist, der nichtsdestotrotz in einem selbst landet und zur Erkenntnis wird. Bloß nichts Endgültiges – denn wenn erst das eigene Hirnkarussell dadurch angeregt in Bewegung gerät, wirds so richtig lustig – und höret nimmermehr auf. Das haben wir bereits bei unserer Sendung The Pervert’s Guide to Slavoj Žižek erfahren und wollen es diesmal von einer anderen Seite her wiederholen: Der Gutbürgerschreck macht sich Gedanken über die plappernde Planlosigkeit der Linken angesichts des angeblichen “Endes der Geschichte”. Und das, liebe Linke, ist erschreckend aktuell.

Our Tragedy Today oder was Laibach als Teil des slowenischen Kunstkollektivs NSK seit fast 40 Jahren auf geniale Weise zum Ausdruck bringt. Weshalb deren Musik so fruchtbar ist – und die von Abdreas Krawallier so furchtbar. The Sound of Music ist immer und überall. Und Pjöngjang ist Amstetten. Zwei Partisanan suchen Ljubljana…

Kärnten deibt bleutsch!

 

Kasperl oder Genie…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. MaiZur Ehrenrettung des eigentlichen und ursprünglichen Kasperl verweisen wir auf eine diesbezügliche Stellungnahme der Friedburger Puppenbühne, wonach Ausdrücke wie Bundeskasperl, HC Kasperl oder überhaupt Politkasperltheater eine beleidigende Herabwürdigung dieses von allen ehrlichen Kindsköpfen gefeierten anarchischen Abenteurers bedeuten. Bevor sich jetzt auch noch der Zwerg Bumsti und die Maus beschweren, distanzieren wir uns naturgemäß gern von vorn herein, von unsund sowieso. Wenden wir uns halt wieder den wirklich wichtigen Themen jenseits der Tagespolitik im Schleudergang zu, etwa der Frage, ob Peter Filzmaier nicht eigentlich im ZiB-Studio des ORF wohnt oder warum der Medienminister immer in derart blitztürkisen Socken herumsteigt…

Kasperl Genie HabakukZum Thema Augenkrebs ließen sich noch zwei weitere Verunstaltungen der letzten Zeit anführen, deren weltumspannende Bedeutsamkeit uns sprachos zurücklässt: Der Eurowischerl Songcontest, den man auch unter “da freut sich mein Tinnitus” ablegen könnte – und die Verfilmung der vorerst finalen Game-Of-Thrones-Staffel durch die u.s.-amerikanischen Pay-TV-Quotenstresser von HBO. Anmerkung des Perlentauchers: Es geht längst nicht mehr darum, eine entsprechende Form für einen (eventuell) vorhandenen Inhalt zu erschaffen, sondern nur noch darum, alle technischen Möglichkeiten immer noch mehr auszureizen, um mit der Darstellung zu beeindrucken – und abzukassieren. Irgendeinen Inhalt kann man ja – in passende Häppchen zerteilt – nachträglich hinein quetschen. Quietsch Quatsch sozusagen. Und je mehr Geld dabei im Spiel ist (um dessen Vermehrung sich alles dreht), desto abgehobener wird die Form vom Inhalt, wird der Schein vom Sein. Zuletzt bleibt nur Control ohne Message übrig. Gell, Frau Hartinger-Klein, “Wer entwürdigt die Arbeit durch Zwickzweck und Zwang?” Genau! Eine Wirtschaft, deren Tumorwachstum nicht vorkommen darf im Flachbildhirn der ideologisch Bsoffenen vom internationalen Heilsfonds des Geldmachtgelds. Oder wie das ein alternder Udo Jürgens auch beschrieb: Der ganz normale Wahnsinn”

Nein, da wollen wir uns wirklich lieber den Wichtigkeiten widmen, die wir in unserem lyrischen Kosmos selbst erschaffen – und deren Form aus ihrem Inhalt erwächst. Wir haben ja was zu verschenken…

 

Eine Stunde mit Fredl Fesl

> Sendung: Artarium zum Muttertag am 12. MaiWer hats erfunden? Ursprünglich wollten wir (dem Anlass entsprechend) Auszüge der bei Trikont erschienenen Gesamtausgabe Ton von Karl Valentin/Liesl Karlstadt vorspielen. Doch ungeachtet solch ewiger Lieblingswortschöpfungen wie Semmelnknödeln, Wrdlbrmpfd oder “Herr Rembremadeng” waren die darauf findlichen Aufnahmen schon sehr im Seinerzeitkontext verhaftet. Weshalb wir eine Generation weiter sprangen und den ebenso urbayrischen Liederdichter und Geschichtenerfinder Fredl Fesl für unsere Albumpräsentation auswählten. Der steht nämlich auf vieler Leihweise in der Tradition des großen Absurdisten Valentin – und inspiriert auch heute noch aktive Volksbarden wie etwa den aushängigen Christoph Weiherer.

Fredl FeslUnd ganz im Gegentum zu einem akuten Volksquatschbeschunkler (dessen Namen ich hier allein schon aus gesundheitlichen Gründen nicht erwähnen will) ist der Fredl Fesl mit einem Großen Karl-Valentin-Preis ausgezeichnet worden (nicht bloß mit einem lulligen Faschingsblech). Vielmehr überreichte der legitime Valentin-Nachfolger Gerhard Polt (Nikolausi) ihm den renommierten Preis in Form von einem “Trumm”, das sich bei näherer Betrachtung als rostiges Türschloss herausstellte. Worin jetzt also der angesprochene Unterschied zwischen ernster Komik und einfach nur deppertem Kommerz besteht, das möge ein jegliches bittesehr diesem schönen Bericht entnehmen. Ach ja, die unschuldigen 70er, als die “Sowosamaneger” noch keine rassistischen Assoziationen erregten – und der erwähnte Volkshupfdudler auch noch nicht geboren war. Damals, auf dem Höhepunkt der deutschen Folk-Bewegung, wurde “die Volksmusik” ihrem Verhaftetsein in Nazitum und Spießermief entrissen, Freddy (Quinn, nicht Queen) dagegen war schlicht Schlager und mithin industrielles Massenzeugs fürs geölte Einfaltsreich. So ist das eine also etwas völlig andreas als das andere. Bleibt noch zu erwähnen, wie kunstreich und humorvoll der Fredl Fesl die alpenländische Tradition des Jodelns aus dem Bierdunst der Zeltfetten befreit hat:

In seinem Vortrag “Ein ländliches Problem” (den wir in der Signation zitieren) jodelt er sich am Schluss derart schwindlichmachend weg, dass es unsereinem (oder auch zwei) schier die Synapsen sprengt. Die Krönung in seinem Mundart-Overflow ist und bleibt allerdings “Huitidliti, Huitidliti”, wahrlich ein Prachtwerk der Sprachkunst, das eben auch Karl Valentin zu aller Ehre gereicht…

 

Fette Ratten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. AprilPhantastische Tierwesen und wie man sie nicht schlechtreden sollte. Schlechte Gedichte sind sowieso eine Landplage. Schlechte Menschen aber erst recht. Als pensionierter Punkdirektor fühle ich mich durchaus dazu berufen, ein Plädoyer für die Freundschaft mit Ratten anzustimmen. Und zusammen mit dem Hasenobmann einige dieser Tiermetaphern zu hinterfragen. Oder wer hat Angst vorm bösen Wolf? Eben. Wenn man dazu noch in Betracht zieht, wie “unsere” Volksmärchen zustande gekommen sind, dann ist man ratzfatz immun gegen den blödbösen Missbrauch von Ratten und Rotkäppchen. Der braune Pöbel soll endlich den Volksmund halten, denn er stinkt aus demselben wie der berüchtigte tausendjährige Eierschas von der Stefanie Sargnagel. Da riechts nach Untergang!

Ratten in LoveWir nehmen also ein in jeglicher Hinsicht sauschlechtes Gedicht (Warnhinweis: von der Lektüre des missgünstigen Machwerks kann einem tatsächlich schlecht werden) zum Anlass für eine etwas andere Betrachtung unseres Umgangs mit Ratten – und zum Ausgangspunkt einer Würdigung des allerschönsten Rattensprachbilds in der Lyrik des 20. Jahrhunderts: bei Georg Trakl. “Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor” hieß auch die entsprechende Sendung anlässlich seines 100. Todestags im Jahr 2014. Damit weisen wir auf zwei nicht ganz kleine Unterschiede hin: den Inhaltlichen (ob man das andere Lebewesen als solches ernstnimmt oder es bloß als Symbol für Propagandazwecke missbraucht) sowie den Formalen (ob man der deutschen Sprache soweit mächtig ist, dass man mit ihr richtig dichten kann, oder ob man sie bloß als Symbol für Heimatdümmelei benutzt). Nicht, dass wir hier den erigierten Zeigefinger vom Dr. Gscheitscheißer auspacken wollen, aber wir sind schon auch selbst Lyriker – und Niveau ist einfach keine Hautcreme. In einem Land zu leben, in dem Asylantenflut, Rattenplage, Sozialschmarotzer und Ungeziefer zum üblichen Sprachrepertoire gehören, ist mehr als nur bedrohlich

Wie ich immer sage: Thomas Bernhard hat sich noch sehr zurückgehalten.

 

Vielkommen Osternreich

> Sendung: Artarium vom Osternsonntag, 21. April – Und Jesus sprach: “Macht irgendwas mit Hasen!” Oder wie wäre solch ein behoppeltes Auferstehungsfest sonst möglich gewesen? Verdanken wir es den Christen oder doch den Germanen? Oder irgendeinem lustigen Papst, der eine Vorliebe für irgendwas mit Eiern hatte? Die Kirchengeschichte war ja immer schon reich an bizarren Einfällen jenseits von Sinn und Verstand, also versuchen wir diesmal auch eine “etwas andere” Deutung: Von den Germanen über den “deutschen” Papst bis hin zu Rammstein. O du mein Osternreich, ich bezwetschkige mich vor jedem Obstgarten! Dein ist das Dings und das Bums in Ähnlichkeit, Hasen. Wir senden das Frühlingsfest des Eierlikörs aus der Alpenfestung der guten Laune. Und jetzt Andacht an den Empfängnisgeräten!

OsternreichWie wir aus unserer langjährigen Befassung mit der abendländischen Popkultur gelernt haben, geschieht längst nichts mehr Neues unter der Sonne. Aber es gibt noch unendlich viele Möglichkeitsformen, das Vorhandene in immer neue Zusammenhänge zu stellen, um ihm dergestalt unbekannte Bedeutungen zu entlocken. Und genau das wollen wir hier und jetzt tun. Denn die einzelnen Beiträge, etwa von Tommy Krappweis (Hasen), von Hagen Rether (Papst) oder von Klaus Kinski (in der Fassung von Seid was ihr wollt als “Kinskis Villon” bekannt) haben wir allesamt schon zur einen oder anderen Gelegenheit gespielt. Nur dieses Mal ergeben sich bislang unentdeckte Betrachtungsweisen durch Beiziehung aktueller Ereignisse. So hat der Ratzinger Sepp (als inzwischen “emeritierter” Ex- oder halt irgendwie noch Zweit-Papst) kürzlich festgestellt, dass die sexuelle Revolution der 68er für das Missbrauchssystem in der katholischen Kirche verantwortlich ist. Brimborium in senilis trullala? Oder wie meine Fußpflegerin sagt: “Das Grundproblem ist das Bedürfnis so vieler Menschen, lieber etwas zu glauben als sich wirklich auszukennen.” Aber was reg ich mich auf… Spannen wir doch einen Bogen von der Zwangschristianisierung der Ureinwohner über die Kondomwerbung in Polen bis hin zur allerkünstlichsten Lufterregung der letzten Tage, dem Rammstein-Video “Deutschland” (hier über einen Zeitungsartikel aus der Schweiz, um die feuilletonweite Schnappatmerei zu umschiffen). Jössasna!

Hat es noch nie einen Diskurs gegeben? Hat sich auch Geschichte nie ereignet? Schlag nach beim Slowenen oder “Kärnten deibt bleutsch!” Lauter Luftnummern zwecks Auflage und Einschaltquote. Was lässt sich sonst noch sagen? Osternreich ist eine theologische Seppublik – und wir wünschen euch trotz alledem frohe Eier!

 

An einem Sonntag im April

> Sendung: Artarium vom Palmsonntag, 14. April – Das dritte deutschsprachige Album der sehr speziellen Element Of Crime rund um Sänger und Texteschreiber Sven Regener erschien im Jahr 1994 und passt allein schon vom Titel her perfekt in diesen Frühling. Und es passt endlich auch einmal die stilistische Zuordnung zum Gefühlsgehalt des hier Gehörten: “Melancholisch-chansonesk” sei deren Musik laut Wikipedia-Artikel, da waren wohl diesmal wortkreativere Autor_innen am Werk als sonst üblich in Klugscheißingen. Ob das daran liegt, dass der erwähnte Herr Sven seit seinem Debütroman “Herr Lehmann” vor allem als Schriftsteller unterwegs ist? Hoffnung ist eben rar in diesen Unzeiten, da bastelt man sich lieber selbst eine, aus jeder noch so alten “Stirbt-zuletzt-Tube” vom Papierstrand der Möglichkeitsform

An einem Sonntag im AprilSeit ihrem ersten deutschtextigen Album “Damals hinterm Mond” hab ich mich immer wieder gern in den abgründigen Miniaturen dieser Meister des gefährdenden Gefühls verloren. In ihren oftmals surreal anmutenden Liedern treffen sich Anmut und Resignation, Extase und Verzweiflung, Erschrecken und Gelassenheit in unglaublich ausgewogener Ambivalenz. Viel später erst hab ich sie live gesehen: Ihre Präsenz und Präzision in all der erkennbaren Verlebtheit, das setzte erst recht noch eins drauf! “An einem Sonntag im April” schließt mit einem wunderschönen Chanson, von dem die hervorragende Interpretation der Diseuse Georgette Dee fast noch bekannter ist. “An Land” spielt (wie viele von Regeners Texten) mit den Naturgewalten, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Menschen wirken. Wir lieben das mit der Kuh:

Heute wird wohl kein Schiff mehr gehn
und keiner geht vor die Tür
Alle sind heute verschüchtert
nur ich bin es nicht, und das liegt an dir
Am Fenster fliegt eine Kuh vorbei
da kommt jede Hilfe zu spät

Ein Glas auf die Kuh und eins auf die See

Präzision und Melancholie jenseits von Fieberzapferlromantik und Gute-Laune-Radio. Wir hegen die Hoffnung, dass es noch Hoffnung gibt. Ein Glas auf uns!

 

Kann Spuren von Hasen enthalten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. März – Oder von Hans Platzgumer. Doch schön der Reihe nach: Christopher Schmall, in unserem Kunnst-Biotop bekannt als “der Hase”, gibt just an diesem Sonntag eine Auswärts-Lesung, und zwar um 20 Uhr im Café Anno zu Wien. Und so stehe ich vor der Aufgabe, hierohrs unterhaltsam zu solieren. Zuvor muss ich allerdings tief in mein schwangeres Hirn tauchen, um nach Möglichkeit rechtzeits eine Idee zu gebären. Es sollen ja hier Verbindungen gestiftet sein – aus Text, Musik – und den Zuständen gemeinsamen Erlebens. Grübelgrübel. Haben wir nicht unlängst diesen speziellen Aura-Anthropica-Remix eines Titels aus “Nervöse Welt” gespielt? Die Jüngeren unter unseren Hör erinnern. Aura was? Und Hans Platzgumer – schreibt der nicht auch? Eben. Da ist der Zusammenhang.

Aura Anthropica - Texte für den HasenZusammen sind wirdie Hasen! Oder die Festspielpräsidentin in dieser provinziellen Welthauptstadt des katholischen Konsumterrors. Jedenfalls sprachverliebt und ganz und gar gegen die Zerdummmung derselben durch Nutzbrauch und Zweck eingestellt. Wir ergehen uns stattdessen lustvoll in den kreativen Wortlandschaften jener Mitwesen, die noch aus eigenem Empfinden etwas zum Zustand unserer Welt auszusagen verstehen. Bei denen Sprache nicht vorprogrammiert, sondern selbstgewählt geschieht. Also wird der Hund in dieser Sendung Texte vom Hasen zum Besten geben und auch vom Platzgumer Hans, dessen musikalisches Schaffen dieselben feinst umrahmt. Da gibt es zunächst H. P. Zinker auf die Ohren, hernach Aura Anthropica sowie das von ihm produzierte STROM von The who the what the yeah. Zur (Wieder)Entdeckung der wunderbaren Vokalnummern auf Aura Anthropica (1997) gibt es ein angenehm genrefernes Review “Don’t cry for me, Austria!” im Evolver mit einem zutreffenden Zitat: “HP spielt nach wie vor in seiner eigenen Liga, und er hat vollkommen neue Spielregeln festgelegt. Bei der Musik, bei den Texten.” Aus all dem hier Erwähnten kann durchaus destilliert werden, weshalb sich genau diese unüblichen Verdächtigen bei meinem Solo für einen Hasen wechselseitig das Wort aus dem Kopf nehmen:

Ich habe meine Handschrift geändert,
meine Stimme verstellt,
einen falschen Namen angenommen,
der sich als richtig herausstellt.
Sie werden all das
gegen mich verwenden,
wenn meine Maske fällt,
wenn sie mich erkennen.

The who the what the yeah – Palindrom (Text von Martin Konvicka)