Über artarium

Seit Herbst 07 "das etwas andere Kunnst-Biotop" in der Radiofabrik und seit Anfang 09 daselbst "im Schatten der Mozartkugel" als Artarium unterwegs. Immer auf der Suche nach neuen Gästen, Themen und Gestaltungsformen... Hochfrequenter Wortwetz- und Mundwerksmeister zwischen Live-Unmoderation und Poesie-Performance. Psychodelikate Audiocollagenkunst, stimmungsexzessive Hörweltendramaturgie, subversiver Seelenstriptease, unverzichtbares Urgewürz und... In diesem Unsinn zeig ich euch hier einen tieferen! Ab- und hintergründige Neu- und Nettigkeiten aus der wundersamen Welt des Artarium, seinen Gästinnen und Hörerichen. Kunnst mi eigntlich gern ham. So do mi - i di a! Bussal...

Rainald Grebe – auch mit Band!

> Stream/Download: Artarium vom Sonntag, 10. August – „Dem Mann tut eine Band gut“ haben wir erst unlängst konstatiert. Zwar ist Rainald Grebe auch solo am Klavier ein gscheites Kasperltheater, vor allem, wenn man seinen einzigartigen Grimassenfundus dabei auch synchron zu sehen bekommt, wie zum Beispiel in den bekannten Livevideos „Künstler“ oder „Der Kandidat“. Dass der gestandene Schauspieler und Schwurbelkomiker (er trat am Anfang seiner Karriere in Sendungen für brachialen deutschen Plemplemhumor auf) inzwischen auch in den tieferen Themen des Tragikomischen angekommen ist (und dort durchaus der Sozialkritik eines Georg Kreisler nahekommt), das beweisen Nummern wie „Gilead“ und „Auf der Flucht“ in geradezu abgründiger Weise. Unserer Ansicht nach kommt dieser Vollblutmusiker allerdings inmitten des komplexeren Arrangements einer ordentlichen Musikkapelle noch weitaus besser zur Geltung:

rainals grebe massenkompatibelDas hat sich schon bei den ersten fürs Fernsehen aufgezeichneten Auftritten mit dem Duo „Kapelle der Versöhnung“ abgezeichnet, so etwa hier in „Massenkompatibel“, wo es gleich so richtig psychedelisch zur Ursache geht, wenn er da singt:

„Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, denn wo zwei oder drei versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Dieser Satz von Jesus, der war mir immer schon, der war mir immer schon popelig erschienen. Ich bin massenkompatibel, massenkompatibel, la la la la…“

Doch damit nicht genug, die um einige oder oft auch mehrere Musiker erweiterte Begleitband heißt nunmehr „Orchester der Versöhnung“ und spielt zu jedwedem Anlass meisterlich auf! Das wollen wir gern mit einigen Titeln aus deren gleichlautendem Studioalbum von 2011 unterstreichen. Davor gibts noch ein paar Solonummern aus dem „Rainald Grebe Konzert“ – We show you both best sides of this good man. Das allerneueste Orchesterprogramm „Berliner Republik“ bieten wir hingegen hier als wohlformulierten Audienzbericht zum Lesen an. Und spielen einen einzigen Titel daraus in unserem imaginären Best Of Album, nämlich das Kinderlied Dankwart ist Tankwart: „Bushido, Bushido – Bushido, lutsch meinen Schwanz. Was du kannst, kann ich auch, ich will auf den Index! Tötet, tötet, tötet Markus Lanz!“ 😀

 

Turn on, tune in, drop out…

> Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8 August – Ein Summer of Love oder Von der freien Liebe zum freien Radio. Die Strandpiraten der spontanen Assoziation plündern kulturelle Überbleibsel aus fast 50 Jahren und suchen nach lebendigen Spuren des einstmals die ganze Welt verändern wollenden Hippie-Spirit. Vom psychedelischen Bewusstseinserweitern übers künstlerische Grenzensprengen bis zum sozialrevolutionären Engagement der 68er-Generation reichen unsere Fundstücke – doch wo verorten wir deren Auswirkungen in der Gegenwart? Etwa im vollmacdonaldisierten Drogenverbrauch, im industriekompatiblen Goa-Eventstadeltum oder im Verschlimmbesserungsmühen altersfrustierter Sozialreformierer? Findet sich jenseits von Kommerz und Verwurst noch etwas Genießbares aus Love & Peace?

Goa GilEine interessante Untersuchung in diesem Spannungsfeld bietet die englischsprachige Dokumentation „Last Hippie Standing“ (Video). Sie folgt der Fährte der allerersten enttäuschten Zivilisationsflüchtlinge, die schon in den 60er und 70er Jahren die Strände des indischen Bundesstaats Goa als Refugium für sich entdeckten – und dort über die Jahrzehnte hinweg ihren eigenen Lebensstil pflegten. Aus den zunächst recht spontan abgehaltenen Strandfesten und akustischen Jamsessions entwickelten sich mehrtägige Full-Moon-Parties mit vermehrt elektrisch verstärkter und dann auch elektronischer Musik, die schließlich zu einem massentouristischen Phänomen mutierten. Kaum jemals hat sich der oft zitierte „Clash of Cultures“ deutlicher als das entlarvt, was er in Wirklichkeit ist: Ein Vertreibungskrieg potenter Geschäftemacher gegen Ureinwohner und Zuwanderer! „We don’t want poor people. We want rich people to come and enjoy. So we want tourists who can spend money. We think of tourism in terms of tourism to generate money.  Soweit Chief Minister Francisco Sardinha (Goa war einst portugiesische Kolonie). Der Mann könnte noch Tourismuslandesrat von Salzburg werden. Oder Festspielpräsidentin.

summer of love tourplakatPolitik als willfährige Handlangerin der Reichen und Machtgeilen. Bäh! Genau dagegen kämpfte doch einst weltweit die Bewegung der Hippies: Autoritäre Bevormundung, Gesellschaftliche Zwänge, heuchlerische Moral, Kriegstreiberei, Umweltzerstörung. Und was tun wir? Lutschen an den Damals-Devotionalien und zelebrieren museumstauben Fan-Folklorismus. Oder etwa doch nicht? Womöglich bröseln wir uns nicht schon wieder den x-ten Aufguss romantischer Nostalgie ins Hirnpfeiferl, sondern lassen die Funken der freien Phantasie aufflackern. Und aus den Artefakten, die heut an unser Inselufer gespült werden, eine ganz neue Geschichte entstehen. Aber vielleicht funktioniert es auch nicht und wir werden noch depressiver. Nur – wenn wir die Idee von Liebe und Freiheit ernst nehmen, dann können auch wir die verklärte Vergangenheit entzaubern, indem wir sie nämlich nicht direkt dokumentarisch, also „eins zu eins“ abbilden – sondern indem wir uns ihr mehr metaphorisch, gleichsam in Gleichnissen, also „abstrahiert“ annähern. Und so spielen wir keinen umfassenden Hippie-Soundtrack zum Film vom nie gelebten Leben, aber ein reichliches Sammelsurium an Eindrücken von unserer Reise durch den Bauch der Zeit. Hermann Hesse trifft auf Rudi Dutschke. Die Punkballade auf Goa. Alte Hadern im neuen Gewand. Syd Barrett neben Käptn Peng. Aktuelle Beatles-Reworks und Neo-psychedelia aus Frankreich. Zu allerüberst Musikkabarettist Rainald Grebe. Und auch wir nehmens mit Humor: Liebe ist eine Frage der Frequenz – nicht des Frequency!

 

Macht macht mobil

> Download: Artarium vom Sonntag, 27. Juli – Vom ersten Weltkrieg zum jährlichen Jedermann. Und nicht nur die Salzburger Festspiele sind die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln, wie eine Analyse der Machtverhältnisse zeigt. Im Verdrängungskampf der heutigen Herrscherhäuser, der Banken und Konzerne, geht es nicht viel anders zu als beim herkömmlichen Menschenschlachten und Kanonenfüttern. Das investierte Kapital fließt als Kriegsgewinn zurück in die Bilanzen der Profiteure – die Zeche zahlen da wie dort die unterbezahlten Fußsoldaten der Umwegrentabilität. Dazwischen hupfen ein paar gut bezahlte Politikdarsteller über die Bühne und erklären den hoffentlichen Mehrheiten, dass dies alles nur zu ihrem Besten geschieht. „Wenn es dem Markt (aha, noch so ein Synonym für Gott, Kaiser, Vaterland) wohl ergeht, dann wird es euch allen Eierkuchen…“

Und wer ist schuld?Wie es vielen der ursprünglich gläubig Begeisterten schon nach wenigen Wochen beim Verteidigen der „Ehre“ und anderer „höherer Werte“ ihrer jeweiligen Heimat“ erging, das lassen uns die Beiträge von Matteo Coletta erahnen, die derzeit in wöchentlichen Folgen als Stimmen aus den Schützengräben von der Radiofabrik gesendet werden. Briefe und Tagebucheinträge sowie Zeitzeugeninterviews von Soldaten des ersten Weltkriegs erwecken dabei die Geschichte wieder zum Leben und ermöglichen so eine anteilnehmende Auseinandersetzung mit den weitgehend bekannten Schreckensbildern. Eine Antwort auf die im heurigen Gedenkjahr grassierenden Spiel- und Dokumentarfilme zum Thema – mit dem Vorzug des Mediums Radio, die Vorstellungskraft der Zuhörenden zu ganz eigenen Bildwelten anzuregen.

Doch um noch einmal auf jedwede Art von Krieg zurück zu kommen, der von Mächtigen auf Kosten von Bedürftigen, von Privilegierten auf Kosten von Abhängigen geführt wird – es ist immer auch ein Krieg der Generäle gegen die eigenen Soldaten, immer ein Krieg der Obrigkeit gegen das eigene Volk. Und auch demokratisch gewählte „Volksvertreter“ meinen eigentlich oft „Untertanen“, wenn sie uns ihre „lieben Freunde“ nennen, oder so. Was das alles mit dem ablasshändlerischen Katharsisjahrmarkt auf dem Salzburger Domplatz zu tun hat, das werden wir mit etwas Ausgeschlafenheit und Glück in dieser Sendung auch noch beleuchten. Nur soviel – die findigen Erfinder der allsommerlichen Fest- und Fetzenspiele wollten damit sofort nach verlorenem Krieg und Untergang der Monarchie wieder eine „Triumphpforte österreichischer Kunst“ aufrichten. Alles klar?

Dass hier „jeder“ ein „reicher Mann“ ist – das glauben eh nur noch die Allerseligsten…

 

Ganz oben – Gar nichts

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. Juli – Die Vorstellung von Hierarchie, Obrigkeit und Gehorsam geht (wenn auch unbewusst) stets davon aus, dass „da ganz oben“ irgend etwas sei. Was aber, wenn nicht? Dann rempeln sich die Hinaufstreber eigentlich ganz ohne Grund gegenseitig von der Karriereleiter. Wollen nur deshalb immer höher und höher, um noch mehr Untergebenen die Eigenschaften von etwas Erfundenem zu erklären – und zwar verbindlich, versteht sich! Ganz oben ist aber gar nichts. Oberhalb der obersten Obrigkeit ist bestenfalls dünne Luft – doch die lässt sich vortrefflich zu Gesetzen zerkauen, solang weiter unten noch Menschen daran glauben. Etwa, dass ihnen von oben herab angeschafft wird, wer oder wie sie zu sein hätten. Willkommen in der wundersamen Welt der -ismen – oder gehts noch -tümer?

Spieglein, SpiegleinEs ist schon so eine Sache mit den immer wiederkehrenden Gedanken, die sich zu roten Fäden und ganzen Themensträngen zusammenzwirbeln lassen – wenn man sie funktional zu einem Antwortende bringen möchte, nur um sie endlich als „erledigt“ zu begreifen, dann entfliehen sie einem sehr schnell – und man ist selbst bald genauso fertig, wie man es mit dem Denken gern gewesen wäre…

Doch diese immer wieder auftauchenden Motive im eigenen wie im gemeinsamen Denken als Fragmente und Teilaspekte eines größeren Gesamtbildes zu verstehen und sie auch immer wieder aufs Neue im eigenen Lebenszusammenhang zu interpretieren, das könnte mit der Zeit zu einer wirklichen Antwort werden, die man nicht bloß so dahermeint, sondern auf die zahllosen Fragen seiner menschlichen Existenz – darlebt. Und so greifen wir wieder einmal eines jener Themen auf, die uns nach wie vor nicht in Frieden lassen, und zwar die leidvolle Erfahrung mit der Machtausübung um der Macht willen (denn ganz oben gibt es ja nichts). Oder anders ausgedrückt – wenn einmal die Herrschaft von Menschen über Menschen beendet ist, dann können wir uns gern auch Gedanken über die Existenz Gottes machen. So rum wird eher ein Schuh draus.

 

Heather Nova – zur Beruhigung

> Download: Artarium am Sonntag, 13. Juli – Fußballbedingt hochkochenden Männerseelen zur finalpräventiven Rundumentkrampfung in beide Gehörgänge geschmeidigt – das ganze Album zum innerlichen Abschluss der Männlichkeits-Waldmeisterschaft im Maracujastadion 😉 Die Notfalls-Gralshüter alles Weiblichen inmitten rundlederner Machoposen und verschwitzter Hupfbrüllerei packen ihren leuchtorangen Letzte-Hilfe-Koffer aus und verabreichen den verdurstenden Gehirnen die fette Ölung! Ein Kontrapunkt zum Fanatentum der Vergeisterten tut allerdings not, und was wäre dazu geeigneter als etwas hocherotische Entschleunigung mittels einiger von Heather Nova bei den 2 Meter Sessies in Holland aufgenommener Akustiktracks?

Engels TrompeteDoch damit die unverhofft einsetzende Wirkung unseres Testosteron-Erlösungs-Cocktails nicht in unkontrolliert unerwünschte Nebenwirkungen hinüberschwappt, haben wir zuvorab noch zwei feine FEMALE. FEEL MALE! – Songs als Einstimmung ausgewählt, die uns in der männlichweiblichen Fanzone gut abholen werden: Nämlich zum einen eine ziemlich rockige Heather Nova Coverversion von Peter Gabriels „I have the touch“ – und zum anderen ihr geniales zweisprachiges Duett mit Bløf „Mooie dag“ 😀 Wunderschön! Und alsdann gibt es die versprochene alphawellen-induzierende Musique. Die Sätze und ihre Bezeichnungen:

01 Walk this world

02 Heal

03 Maybe an angel

04 My fidelity

05 Blessed

06 Heaven sent

07 Virus of the mind

Zu Risiken und sonstigen Gewöhnungseffekten: Wir sind ein geiles Institut…

 

Schlafens Brüder

> Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Juli – Schlafen, träumen, verwandeln – so selbstverständlich uns das auch erscheint, so unerforscht bleiben doch die einzelnen Vorgänge und Zustände jener eigenen Zwischenwelt, die wir da allnächtlich durchreisen, um anderntags überrascht wiederbelebt aufzuerstehen. So selbstverständlich sind uns die versammelten Übergänge von dem einen in immer noch andere Unterbewusstseinsformen, dass wir sie erst dann wahrnehmen, wenn sie uns abgehen – oder anderweitig in Schräglage geraten. Schlaflosigkeit, Schlafsucht, Schlaftrunkenheit, Schlafwandlerei – alles Phänomene, die den Geist so gründlich in bewusstseinsandere Sphären versetzen, wie das sonst nur erhebliche Portionen schwindelerregender Anwendungen vermögen – in der Gestalt des Rausches.

Schlaflos in SalzburgWollen wir hier also nunmehr der Phänomenologie schlafverwandter Inzwischenheit wissensgschaftlich zu Leibe (oder zu Traumgestalt) rücken? Keineswegs, das sei sehr, sehr ferne von uns! Viel zu vertraut ist uns doch das Traumtänzerische der „blauen Stunden“, in denen oft das Phantastische ins Festgefügte hineinragt – auch eins ins andere übergeht, unmerklich sich mischend und doch immer getrennt, in zauberhafter Berührung verwandter Verschiedenwesen. Wie immer man diesen Aggregatzustand des Seelenerlebens bezeichnen möchte – als kreatives Vakuum, schöpferischen Prozess, visionäre Befruchtung – er entzieht sich seiner physikalischen Fassbarkeit ebenso wie unserem beschreibenden Zugriff. Er oder es oder sie bleibt zwischen dem Gemeinsamen inmitten der Gegensätze unerkannt unterscheidbar wohnen als flüchtiger Moment möglicher Begegnung von Tag, Nacht und…

Freundschaft…Inspiration beim Formulieren, tastendes Suchen nach einem verlorenen Begriff, Aufregung über das Aussterben der Idealisten, Träume von einer besseren Welt, gestohlene Ideen und Identitäten, entgleiste Assoziationsketten, versunkenes Nasenbohren und unendliche Müdigkeit, gleichzeitig da – und doch woanders sein, müssen, sollen und wieder nicht wollen dürfen, entrückt, versetzt, zerbrieselt, im Aufschwung zum Ausguss stürzen, kilometerschwer hintangedrückt, fallend im Liegen flattern, von schlaf kunnst, erst, mehrmals, nichts, lohnender Abgrund, die Verschiebung der Perspektive auf morgen, bleizeitig Kaffee trinken, ringsüber zu Wort kommen, nieweder zur Geltung, Hirndrang verspüren, sich Beleichterung erschaffen, frei sein – und langweil ich, entoder wer, na von froh herein, zum zweiziegsten Mal, in Luft tauchen, traumreich, schlaftrunken, nachtwach…

 

Sarajevo, nicht nur 1914

-> Download: Artarium vom Sonntag, 29. Juni – Zum 100. Jahrestag jenes Attentats, das schließlich den 1. Weltkrieg mit auslöste, erweitern wir den Blick auf Sarajevo um einige Geschichten von Menschen, die da geboren wurden, die da gelebt haben – und die etwas Bleibendes hinterließen, das über Krieg, Tod und Zerstörung hinaus wirksam ist. Diese Stadt ist mehr als die Bilder, die wir kennen, etwa von der Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaares am 28. Juni 1914 – oder von ihrer Belagerung im Bosnienkrieg zwischen 1992 und 1996. Sie ist, mehr als Welt- und Kriegsgeschichte, immer auch ein Quell menschlicher Begegnung und künstlerischen Austauschs gewesen und eine multiethnische, multikulturelle Möglichkeit des Zusammenlebens. Davon erzählen unsere für diese Sendung ausgewählten Geschichten zur Zeitgeschichte 😉

Foto: Julian Nitzsche, CC BY-SA 3.0

Zum Beispiel ist mein Großvater in Sarajevo geboren, 1890 als Sohn eines Beamten der k.u.k. Forstverwaltung. Und gerade weil ich in meiner Familie wenig von dieser Zeit erzählt bekam, ist es für mich umso interessanter, einige historische Details über jene ambivalente Epoche am Vorabend des 1. Weltkriegs auszugraben. Auch spannend fand ich (im Zusammenhang mit der soeben stattfindenden und geldpolitisch auf besondere Weise ungustiösen Fußballweltmeisterschaft) die Dokumentation „Rebellen am Ball“ mit Éric Cantona, die unter anderem vom Ex-Jugoslawischen Nationalspieler Predrag Pašić aus Sarajevo berichtet, der während des Bosnienkriegs in seiner Heimatstadt ausharrte und dem Töten zum Trotz eine Fußballschule für Kinder und Jugendliche aller Volksgruppen aufbaute. Hier gibts ein geniales Interview mit ihm darüber!

Oder wer hätte gewusst, dass auch der Gitarrist der amerikanischen Alternative-Rock Band 30 Seconds to Mars, seines Namens Tomislav „Tomo“ Miličević, aus eben dieser Stadt stammt – und seine eigene Schussverletzung besitzt. Wobei er die nicht aus Bosnien hat, sondern aus dem Sozialbürgerkrieg auf U.S.Amerikas Straßen. Ein Grund mehr für klare musikalische Anti-Kriegs-Aussagen 🙂 Kann also Kunnst – in welcher Form immer – uns womöglich doch vor der Ausrottung retten? Der große Sarajevo-Erzähler Dževad Karahasan hat uns als Antwort eine selbst erlebte Geschichte überliefert: In der Zeit der Belagerung bat ihn seine Frau auf dem Weg zum gemeinsamen Abendessen, ihr vorher noch einen tagsüber geschriebenen Text vorzulesen. Sie gingen daher ins Büro – während eine Granate im Esszimmer einschlug – und „nur“ ihre Bibliothek zerstörte.

So kanns gehen! 😀 Abschließend sei hier noch das schräge Video von Placebo „Trigger Happy Hands“ empfohlen, zur Illustration des dem „Krieg“ innewohnenden Irrsinns…

 

Denkmal der Deserteure

-> Download: Nachtfahrt-Mahnmal vom fairkehrten Fest (Live 29:20 min) – Wir widmen ein Kriegerdenkmal kurzfristig um – in einen Ort der Erinnerung an Deserteure und Kriegsverweigerer – am Beispiel der mutigen Männer vom Böndlsee in Goldegg-Weng. Dort hatten sich 1944 einige Wehrmachts-Fahnenflüchtige aus der Region versteckt, um ohne weiteres Blutvergießen das schon absehbare Ende des 2. Weltkriegs zu erwarten. Doch dem Naziregime waren 6 aufrechte Neinsager eine solche Bedrohung, dass über 1000 Mann Waffen-SS und 60 Gestapo-Beamte ausschwärmen mussten, diese „Landplage“ ein für allemal zu beenden. Dies gelang ihnen auch mittels massiver Gewaltanwendung gegen die ansässige Bevölkerung – so wurden etwa Verwandte der Gesuchten gefoltert und in KZs verschleppt oder Unbeteiligte einfach erschossen.

ICH MAHN MAL DU DENK MALUnd während Österreich mit den Namen zahlloser gefallener Soldaten in Form von Denkmälern für „Unsere Helden“ übersät ist – so fehlen bis heute die Namen der Menschen, die gegen Unrecht, Krieg und Terror aufstanden, indem sie sich der „Pflicht zum Gehorsam“ entzogen. Und dies auch oft mit dem eigenen Leben bezahlten! Deren Einstellung sollte uns allen zum Vorbild gereichen, möchte man meinen, speziell der heutigen Jugend, die wir zu mündigen Bürger_innen zu erziehen behaupten. Doch weit gefehlt! Nicht nur, dass sich die Republik Österreich erst im Jahr 2009 (-> 64 Jahre nach Kriegsende) dazu durchringen kann, die Desertions-Urteile der NS-Militärgerichte aufzuheben. Was im Klartext heißt, dass jeder Kriegsheimkehrer, der wegen Desertion verurteilt worden war, bis 2009 als vorbestraft galt. Nein, jetzt kommt auch unser aller langjähriger Landesgrüner als Obmann des Goldegger Kulturvereins daher und meint, dass die Zeit immer noch nicht reif sei für ein Denkmal der Deserteure, solange es nicht „von der (mehrheitlichen) Bevölkerung mitgetragen wird“. (Beitrag SN-Debatte)

Unseren Helden?Wir fassen es nicht! Und geben daher den Namen der 6 Männer hier erst recht einen Gedenkort:

Karl Rupitsch

Peter Ottino

Gustl Egger

Georg Kössner

                                                                                     Richard Pfeiffenberger

sowie Franz Unterkirchner, der als Einziger und mit sehr viel Glück den „Sturm vom Böndlsee“ am 2. Juli 1944 überlebte, sich noch bis Kriegsende erfolgreich versteckte und erst 1972 eines natürlichen Todes starb. Er hätte uns aus erster Hand erzählen können, was ihn und seine Kameraden bewegte, worüber sie in ihren Verstecken so sprachen, und was jeder von ihnen als ganz persönlichen Grund für seine Flucht vor dem System genannt hätte. Von Karl Rupitsch ist immerhin dieser Satz überliefert: „Warum soll ich jemanden erschießen, der mir nichts getan hat?“ Das macht durchaus Sinn, ebenso wie die Forderung nach einem Ort des Andenkens mit den Namen der Widerständler. Auch wenn das nicht mehrheitsfähig ist – es wäre jedenfalls gerecht!

-> Gespräch mit Brigitte Höfert, Tochter von Karl Rupitsch, auf talktogether.org 😉

 

Denk mal fairkehrt

-> Download: Artarium vom Sonntag, 22.Juni – LIVE vom fairkehrten Fest in der alten Nonntaler Hauptstraße, daher diesmal auch mit Live-Lesung und Live-Musik aus dem Fundus des etwas anderen Kunnst-Biotops! Außerdem wollen wir die Gelegenheit nutzen, um euch unsere monatliche Perlentaucher-Nachtfahrt ans Herz zu legen. Denn in dieser „musikliterarischen Gefühlsweltreise“ wechseln sich ebenfalls live gelesene Textbeiträge mit vorbereiteten Soundcollagen und Titeln aus dazu passenden Playlisten ab. Und zwar jeweils in spontaner Dramaturgie – rund um das ausgewählte Thema assoziiert. Was läge also näher, als für den Programmschluss des Radiofabrik-Außenstudios den Standort des Geschehens als inhaltliche Inspiration auf uns wirken zu lassen: Ein Kriegerdenkmal, mit den Namen aller im ersten und zweiten Weltkrieg elend zu Tode gekommenen Nonntaler – und mit der Aufschrift „Unseren Helden“…

Christopher SchmallImmer, wenn sich der Hund im Artarium wieder mal in einen Wirbel redet, freut es eine(n) so richtig, diese andere angenehme Stimme zu hören: Christopher Schmall, unentbehrlicher Freund und Coproducer 🙂 sonst seines Zeichens auch Dichter, Musikschaffender und Seelenforscher. Er ist einigen noch als Sänger der Band In Confusion in Erinnerung und war seither schon des öfteren mit seinen Solonummern und SpokenWord-Experimenten im Radio zu hören. Nun wird er zum ersten Mal seit geraumer Zeit wieder live and unplugged vor versammeltem Publikum zu erleben sein – und uns mit zwei zu diesem speziellen Setting passenden Eigenkompositionen – befremden, erfreuen – oder trösten? Wir wissen es nicht – wir können uns nur darauf einlassen! Derlei ist jedenfalls selten genug heutzutage…

Felix Vali SteinhauserEbenso rar und kostbar sind auch jene Momente, in welchen sich Potenzial plötzlich entfaltet – und wir staunenden Auges die im Erschaffen begriffene Welt betreten. So erging es uns erst unlängst, als wir beim gemeinsamen Vorlesen eigener Texte Felix Vali Steinhauser kennenlernten. Und zwar bei Writers On The Storm, einer überaus empfehlenswerten Veranstaltungsreihe des Salzburger Kunstkollektivs Bureau du Grand Mot für alle „Bühnenneulinge, heimliche SchreiberInnen und sich nicht ins RampenlichttrauerInnen“. Offenbar funktioniert diese Anstiftung zur Öffentlichkeit auch irgendwie auf wundersame Weise – denn schon zwei Monate nach unserem ersten Zusammen-Auftreten begrüßen wir ihn als poetischen Mitgestalter zur Lesung seiner Stimmungsbilder im Open-Air-Studio:

„Unbekannt erscheint mir meine Umwelt…“

-> Zur Aufzeichnung unserer Aktion für ein Deserteursdenkmal

 

Das Progressive Album

-> Download: Artarium vom Sonntag, 15. Juni – Ein selbst zusammen gestelltes Album rund um das Genre „Progressive Rock“ gibt es diesmal zu hören, und zwar ebenso Jahrzehnte- wie Generationen übergreifend! Warum nicht auch das Radiomachen und seine lieb gewordenen Gewohnheiten wieder mal progressiv betreiben? Denn der Begriff selbst bedeutet ja nichts anderes als „stetig erweiternd voranschreiten“ und so war er wohl auch in der Entwicklung der Rockmusik gemeint, als man Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre damit anfing, die im Blues verhafteten Formen aufzubrechen und mit immer neuen Einflüssen aus anderen Musikwelten wie Jazz, Klassik oder Folklore anzureichern. So schreiten also auch wir unaufhaltsam über das Altbewährte hinaus – und interpretieren die Tradition unseres einmal im Monat vorgestellten „Ganzen Albums“ neu – im Sinne einer „Best Of Compilation“ 😉

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„Eine weitere Deutung des Begriffs stammt von Robert Fripp,  dem Gitarristen der Genrevorreiter King Crimson. Er sieht Progressive Rock weniger als stringenten Stil denn als Haltung. Diese zeichne sich aus durch den Willen zur Neudefinition der stilistischen und konzeptuellen Grenzen der Rockmusik unter Anwendung produzeduraler Abläufe (nicht Oberflächeneigenschaften) aus klassischer Musik und Jazz. Sobald sich aber aus dieser Haltung heraus ein neues Gefüge von Konventionen eines eigenen Stils entwickelt hatte, betrachtete er den progressiven Charakter als hinfällig und beendete vorerst seine Aktivitäten innerhalb des Genres. Das geschah im Jahr 1974, als die erste Inkarnation des Genres noch in seiner kommerziellen Blüte stand.[2] “ (aus Wikipedia)

traumtänzerWir haben aus dem reichhaltigen Fundus dieses oftmals zu Unrecht als „verkopftes und artifizielles Gefudel“ geschmähten Musikschaffens einige Beispiele ausgewählt, die sein kreatives Potential auch jenseits der Genregrenzen zum Ausdruck bringen: Mit einer ersten Skizze von Robert Fripp für Peter Gabriels „Here comes the Flood“ aus dem Jahr 1975 beginnend, über zwei richtige (10+ min) Prog-Rock-Hymnen von Marillion-Sänger Fish (2013) sowie von Porcupine Tree Mastermind Steven Wilson (2009), bis hin zur einzig bekannten Genesis Reunion-Aufnahme featuring Peter Gabriel „The Carpet Crawlers“ (1999) spannen wir den weiten Bogen …

Die Sätze und ihre Bezeichnungen 😀 lauten:

01 Artarium – Signation feat. Aviv Geffen (Blackfield) & Yes (Yessongs 1973)

02 Peter Gabriel & Robert Fripp – Here Comes The Flood (Skizze 1974/75)

03 Fish – Perfume River (A Feast of Consequences 2013)

04 Porcupine Tree (Steven Wilson) – Time Flies (The Incident 2009)

05 Midnight Oil – Mountains of Burma (Blue Sky Mining 1989)

06 Genesis feat. Peter Gabriel – The Carpet Crawlers 1999 (432 Hz Aufnahme)