Abendländische Hörgewohnheiten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. JanuarSymphonische Rockmusik als ein Experiment zwischen Musiktradition und Moderne. Die Mischung machts – oder die Collagenkompetenz, auch Verstörendes in Verbindung mit Vertrautem darzubieten. Und wir meinen mit „Symphonic Rock“ schon jene schöpferische Symbiose aus den verschiedensten Stilelementen, die seit Anfang der 70er Jahre durch Bands wie King Crimson, Genesis, Pink Floyd oder Yes etabliert ist – und nicht diese langweilenden Aufgüsse von x-beliebigen Rockhadern durch x-beliebige Symphonieorchester. Soweit erstmal zur nötigen Klarstellung 😉 Was uns interessiert, ist die im Umfeld des Progressive Rock (Art-, Classical-, Experimental- und Psychedelic Rock) stattfindende Kulturvermittlung von innovativen Ideen in einem gewohnheitsgeprägten Umfeld.

Abendländische HörgewohnheitenWenn wir uns nun den Ausschnitt einer Bruckner-Symphonie oder Wagners Walkürenritt aus dem Soundtrack von Apocalypse Now anhören – und gleich darauf einen Titel von Porcupine Tree oder von Yes, dann verstehen wir sofort, wie diese abendländische Prägung unseres Gehörs funktioniert. Und wie durch die subtile Balance von Wiedererkennbarem und bisher völlig Unerhörtem so etwas wie eine angenehme Bekannschaft mit dem Anderen, dem Fremden und Neuartigen entsteht. Dieser geniale Lernprozess findet auch weiterhin statt, solange sich die gewachsene Musiksprache unseres Kulturkreises in der Alltagsakustik eines erheblichen Teils der Bevölkerung widerspiegelt. Das trifft immer noch zu, wie etwa die Gestaltung vieler Filmmusiken zeigt. Oder der Umstand, dass die heute Erwachsenen stark von klassischen Konzerten und Radiosendungen geprägt sind. Wenn man sich allerdings die zukünftige Hörwelt aus dem ableitet, was heutigentags allzuland die Gewohnheiten bildet, dann wird man mit einem gscheiten Tinnitus noch vergleichsweise gut bedient sein…

Lasset uns eine Insel stifteneine Insel aus Schönheit und Vergnügeninmitten von Werbedreck, Sounddesign, Klingelschasund trullerndem Formatradio! 😀

 

Winterschlaftraum

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Januar – Während die Winterstürme uns umbrausen, tauchen wir tief in die Träume der Tiere ein, die sich längst in ihren behaglichen Schlafhöhlen verkrochen haben, um dort das Kommen des nächsten Frühlings zu erwarten. Siebenschläfer, Haselmaus und Bär, sie alle schlafen oder ruhen bei verminderter Körpertemperatur und eingeschränktem Stoffwechsel monatelang vor sich hin – doch was denken, erleben, fühlen – was träumen sie dabei? Auch wenn wir Menschentiere derlei Winterpausen nicht ohne weiteres zustandebringen, so ist es doch interessant, sich in die Innenwelten der schlummernden Kollegenschaft hinein zu versetzen – unter Zuhilfenahme von allerlei phantastischen Assoziationen. Ein weiterer Versuch zwischen den Zuständen aus Sprachen, Klängen, Gefühlen und…

Der letzte ÖtscherbärIch erinnere mich da noch an eine denkwürdige Begegnung mit einer Bärin nebst ihren zwei einjährigen Jungen im Herbst 1999 in der Nähe von Gusswerk.  Damals lebten rund ums Ötschergebiet noch mindestens zwölf Braunbären und die Prognose für den dauerhaften Bestand dieser kleinen Population war auch nicht ungünstig. Doch inzwischen haben etliche gesellschaftlich anerkannte Verbrecher die Ötscherbären ein zweites Mal vollständig ausgerottet. Der unter der immer brüchiger werdenden Fassadenfarbe der wohlanständigen Zivilisiertheit hervorgrinsende Ungeist vom Endsieg des Menschen über die Natur hat hier zwischen Naturdenkmälern und Wallfahrtswegen wieder seine ursprünglichste Gestalt angenommen – und zwar so, dass es noch einem jeden anständigen Perchtenlauf die Grausbirn ausm Gsicht haut. Pfui Herrgott, du scheinfrommes Scheißland voll heimtückischer Niedertrachtler!

GeschichtenerzähltigerDavon wird zu erzählen sein in unserem Hörmahnmal des untergehenden Lebens. „Giving Voice to Forgotten Memory“ – das ist ein dermaßen programmatischer Satz, dass man ihn überhaupt einmal auf die eigene Geschichte und ihre Geschichten anwenden sollte. Oder was möchte uns die Erinnerung an die sieben Siebenschläfer mitteilen? Hier, heute, inmitten des 21. Jahrhundertschwachsinns? Was denken die sich eigentlich, diese Viecher? Was erleben, was fühlen, was phantasieren die? Was träumen sie – während des Winterschlafs? Das kann man nicht sagen, sagst du. Das kann man doch weder messen noch beweisen. 😛 Genauso wie die gesamte Kunst, oder? Die bringt doch auch kein zählbares Ergebnis, außer wenn man sie verkauft. Ha! Oder die Gefühle der Kinder, die Geschichten der Alten, die Hoffnungen der Ausgelieferten, die Phantasien der Jugendlichen, die Tagträume der Beschäftigten, die Vorstellungen der Verschrobenen, unser aller Zukunftssehnsüchte? – Weißt was, auf dein Rationalsozialismus wird gschissen, du Wissensgschaftler! Wichs dein Weltbild auf Wikipedia und lass uns am Leben! Denn längst dräut die tödliche Dreiheit über allem: Beherrschen, bequatschen, besitzern.

SoundaushängigerPuh, abgründige Prophetien sind das dann schon – aus der Höhle der zweisam nachtwach winterruhig soundaushängigen Erzählbären vom Klangwolkenberg! 😀 Aber im Winter werd ich einfach schon seit langem depressiv. Wahrscheinlich würd ich deswegen wohl auch nur allzugern die lichtlose Jahreszeit verschlafen. Wie die Tiere! Wiewohl dies dem menschlichen Organismus nun einmal nicht möglich ist, so bleibt doch die faszinierende Frage, was da in so einem Zwischenzustand mit einem geschehn könnte. Und abermals volksmündlich, was da in einem abgehert, was es einem da so schiebert – und was für Vögel es einem dabei dann raushauert. You understand? So befleissigen wir uns diesmal zum Zweck unsrer Untensuchung nebst Sprachspielerein der hirnfreibeutelndem Wesensart auch einer recht stimmungsadäquaten Musikaliensammlung – und hoffen, dass beidesfalls die erwünschten luzidschlummerähnlichen Alphawellenphänomene bewirkt werden.

> Hinweis: Diese Sendung dient ebenfalls als Einstimmung auf die geniale Klangreise „A Book In My Hand“ von SoundDiary – gut zu hören als ganzes Album im Artarium 😉

 

Herbergsuche

> Sendung: Artarium vom vierten Adventsonntag, 21. DezemberAsylsuchende und Zivildiener – eine vorweihnachtliche Betrachtung von Gefühlen, Lebenssituationen, Sprachproblemen – und zugleich unser dritter Beitrag zur Grundtvig-Lernpartnerschaft „Memory under Construction: Giving Voice to Forgotten Memories“. Für diese zwei Jahre lang andauernde Kooperation von 12 europäischen Community-Radios haben wir bereits im September die dreistündige Perlentaucher-Nachtfahrt „Auf der Flucht“ sowie die einstündige Zusammenschau zum „Langen Tag der Flucht“ produziert. Ging es dabei thematisch um die alltägliche „Binnenflucht“ von mitten unter uns lebenden Menschen, die aus verschiedensten Gründen in dieser Gesellschaft keine Heimat finden, so wenden wir uns diesmal jenen zu, die auf ihrer Flucht aus anderen Ländern bei uns in Österreich gestrandet sind und hier – oft verzweifelt – Schutz zu finden hoffen…

HerbergsucheZudem auch den weitgehend zwangsverpflichteten jungen Männern, die ihnen als Zivildiener begegnen – in Beratungsstellen und Betreuungseinrichtungen: Gerade die stehen nämlich den Flüchtlingen oft zwischenmenschlich am nächsten – weil sie ebenfalls (in den allermeisten Fällen) nicht freiwillig da sind! Geteiltes Schicksal verbindet: „Die Verletzten sollen die Ärzte sein“ Die eigene emotionale Erfahrung des Fremd- und Ausgeliefertseins kann das Einfühlungsvermögen für Menschen in vergleichbaren Lebenslagen durchaus befördern 😉 Doch leben wir leider (noch) nicht in einer inklusiven Gesellschaft, und so erleben sich viele Zivildienstleistende im Zusammentreffen mit asylwerbenden Klient_innen recht zwiespältig als „hilflose Helfer“. Zwischen der Ohnmacht eines „kleinen Rädchens im Getriebe“ der undurchschaubaren Bürokratie – und der Möglichkeit, ein menschlicher Bezugspunkt und Rettungsanker sein zu können – für einen wichtigen Augenblick. Im Studiogespräch spiegeln sich Geschichten von Geflüchteten in den Gedanken und Gefühlen eines ehemaligen und eines zukünftigen Zivildieners. Und im Interview erzählt Emanuel Hinterbauer von seiner etwas anderen Arbeit beim Verein Ute Bock.

Dieses echt unbockbare Flüchtlingsprojekt verdient jedenfalls unsere Unterstützung!

 

Krampuslauf Disintegration

> Sendung: Artarium vom dritten Adventsonntag, 14. Dezember – Zwei Stunden Sendung zwischen Teufelszauber und dem überlangen Album von The Cure. Eine Spurensuche durch die verhangenen Welten dieser irgendwie magischen Jahreszeit. Schon längst einmal wollten wir Disintegration (inklusive aller Bonustracks) ungekürzt spielen, doch bei dessen Gesamtlänge von fast eineinviertel Stunden können wir das nur im Rahmen einer genauso überlangen Sonderausgabe bewerkstelligen. Daraus ergibt sich natürlich die Frage, womit wir die übrigen 45 Minuten zubringen möchten. Es sollte ja immerhin zur Stimmung und zum Thema passen, schaurig und schön zugleich, sich rituell geheimnisvoll offenbarend, Kunnst einfach! Da schau her, wir sind in Bildern fündig geworden – und haben den Hersteller dieser Arbeiten ins Studio eingeladen:

S.Koidl2014_ScreamStefan Koidl aus Hallein ist aber nicht nur ein aufregender Zeichner (hier ein Album) mit dem Ziel, sich dem Fotorealismus technisch so weit es geht anzunähern – er ist auch ein inzwischen ziemlich erfolgreicher Krampusmaskenschnitzer (einige davon sind hier zu sehen). Passt doch perfekt zur Jahreszeit! 😈 Zudem führt er seine eigenen Kreationen neuerdings sogar selbst auf – in der von ihm mitbegründeten Krampuspass Schergen des Kronos. Da wollen wir doch einmal hinter der Maskierung nachschauen – und ergründen, was das wohl für ein Mensch ist, der mit solch einer schon an Besessenheit grenzenden Leidenschaft derart düstere Themen bearbeitet. Vor allem interessiert uns, aus welchen Inspirationsquellen sich seine Motive speisen, und was für kreative Prozesse da im Hintergrund ablaufen, während so ein Bild seinen Weg vom Kopf aufs Papier findet (oder so eine Maske eben in die fertige Gestalt). Wie hat das angefangen, wie fühlt sich das an – und wo will es hin? Wir ergehen uns in höllischen Phantasien und nachtkalten Krampusläufen, während wir im warmen Radiostudio gemütlich beisammen sitzen. Dazu gibts die gewohnt geeignete Musik…

DisintegrationAnschließend an unser Gespräch, wie angedroht und versprochen, das ganze Album Disintegration von The Cure in vollster Länge und ohne jedweden Hineinquatsch. Warum just dieses doch 72-minütige Ohrwerk im tiefsten Mittwinter lauthals zu Gehör gebracht wird? Weil es ein Innehalten ist inmitten schleunigen Lärms, ein Inzwischen aus leisen Tönen und dröhnendem Bombast. Weil ihm aufregende Stille ebenso innewohnt wie beruhigender Wahn, weil rauschhaftes Einvernehmen hier so grenzgenial in angepasstes Widerstreiten übergeht, dass Revolution nur noch innerlich stattfinden kann – aber stattfinden muss! Weil es genau die Medizin ist, die wir in den längsten Nächten des Jahres brauchen, eine psychedelische Filmkulisse zum Sterben und Erwachen – mit unserem Selbst als erlebendem Darsteller und handelndem Zuschauer in ein und derselben Person: Ich bin viele – und wir sind eins. Alles klar?„The Cure waren zu dem Zeitpunkt, als Disintegration entstand, keine verzweifelte Depri-Band, genausowenig, wie sie das heute sind. Disintegration ist happy-sad, vielschichtig, manchmal hymnisch und manchmal düster, the best album ever und will in meinen Augen irgendwie nicht mit der ganzen Cure-Klischee-Anhäufung zusammenpassen.“ (Cure-Fan-Replik auf obiges Review)

 

Weihnachts Ohrartarium

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Dezember (in 2 Teilen) – Mittlerweile nicht mehr wegzudenken ist die Tradition unseres jeweiligen Salzburger Adventsingens Reloaded in Gestalt der letzten Nachtfahrtsendung im Kalenderjahr. Waren es 2008 und 2009 noch mehrstündige Artarium-Sonderausgaben zur Stillen Nacht, so begann bereits 2010 die musikliterarische Auseinandersetzung mit den Themen der vorweihnachtlichen Besinnlichkeitskultur, die uns Eingeborenen des Alpenlands wohl schon seit dem ersten Aufschrei eingefleischt wurden. Nehmen wir dieses Jahr also titelgebend die Herren Tobi(as) Reiser zum Anlass für unsere Betrachtungen. Denn der Gattungsbegriff „Adventsingen“ ist mitnichten uraltes bäuerliches Brauchtum, sondern vielmehr eine eigene Erfindung des einstigen NS-Bauernfunktionärs (der Ältere), künstlerisch weiterentwickelt von seinem krawutisch koksenden Sohn (der Jüngere).

Weihnachts OhrartariumWer klopfet an? Asylsuchende Assoziationen auf ihrer Fluchtfahrt durch die Dunkelheit ans Licht. Die etwas andere Betrachtungsweise der uns interpretiert überlieferten Geschichte(n). Versuche, hinter das glanzgoldene Getriebe machtfeiler Verehrung zu blicken. Phantasien einer möglichen Menschheit VOR ihrer feindlichen Übernahme durch die Beherrschaft. Gruslig schön lustig und freischwebend. Die frohgemute Verwurstung von Kulturstrandgut entgegen jedweder Marktlogik. Und ebenso ernsthafte wie vollends verrückte Einlassungen auf unsere angeblichen Wurzeln. Uminterpretation der Bedeutungsschwangerschaft aus der magischen Ohnmacht von Bedürftigen…

Umrahmt von unseren Live-Einfällen und Zufällen entfaltet sich eine schaurig-schöne Dramaturgie, bei der man sich bis zum Erschrecken identifizieren und sogleich wieder wohlig in die vertraute Unbehaustheit des eigenen Seins zurück plumpsen lassen kann. Begleitet uns auf dieser zielstrebigen Irrfahrt ins Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit, die uns gerade deswegen auch die eigene Unverwechselbarkeit und Unverzichtbarkeit vor Ohren führen wird. Sicherheit? “As Lebn entgeht eich sicha – heit!” Uns nicht, jedenfalls nicht heute. Denn: Wir sind ein geiles Institut!

Aus „Ein Salzburger Adventsingen“ (Dezember 2010)

Money (S. Koidl)Teufel auch! Man wird sich ja wohl noch selbst zitieren dürfen. Zwecks eingehenderer Hinterfragung subalpinen Brauchtums in der vorweihnachtlichen Finsterzeit haben wir am Albumsonntag nach der Nachtfahrt den jungen Zeichner und Krampusmaskenschnitzer Stefan Koidl zum Gespräch über Technik und Kreativität eingeladen. Faszination will erforscht werden, vielleicht verhält es sich auch beim Teufelsthema so: „There’s more to the picture than meets the eye.“

Natürlich :) zaubern wir dabei auch Verborgenes hervor, längst vergessen Geglaubtes, vielschichtig Verwobenes oder überhaupt vollkommen Verrücktes. Keine Ahnung, was sich daraus dann im Verlauf der Sendung ergeben wird – aber irgendeinen dramaturgisch roten Faden braucht es halt immer, auf dass sich all unsere konfusen Mitbringsel daran zu mitteilender Gestalt kristallisieren. Alles weitere werden wir erleben, hören, sehen, spüren. In diesem Sinne “Keine Macht der Seistaadsgewalt” und “Wir sind ein geiles Medium…” :D

Aus „Ein Fest der Liebe“ (Dezember 2013)

Jesus Christopher

Jesus Christoph(er) von Helmut Xö

A schware Geburt – Ja, natürlich! Weil wir doch alle hier schon immer in eine tief von christlicher Symbolik durchdrungene Welt geworfen sind. Wobei sich schon auch die Frage stellt, ob wir denn diesem Jesus nicht noch etwas Anderes abgewinnen könnten als den Christkindlmarkt. Oder eine Kirche. Jesus war doch nicht katholisch! 😀 Wer hat ihn also dann zum Christus gemacht und oberhaupt, warum – et cui bono?

Manche warten sicherlich auf Jesus Christus und sind dann enttäuscht und aufgebracht wenn Klaus Kinski seine eigene Interpretation von ihm anbietet. Ich warte auf den nächsten Wartesaal, wenn ich mit dem Zug fahre. Ich warte auf die nächste Reise und die nächste Ankunft. Auf  Menschen, die mir vielleicht begegnen werden, auf Gedichte die ich vielleicht nie schreiben werde… Ich warte genauso wie jeder andere wartet… Ich weiß nicht wirklich auf was… Vielleicht… auf mich selbst?

Aus „Ein Salzburger Adventsingen 2.0“ (Dezember 2011)

gut zu hörenIch bin es – Na eben, da bietet sich wie von selbst eine erste einstweilige Auflösung an. Und damit binden wir auch den eingangs erwähnten alten Sack zu. Es geht ums Eigene und ums Erfinden. Es geht ums Werden und Begehen. Es geht – ums Selbst. Deshalb die Bilder und Collagen. Darum „Adventsingen„. Seien wir unsere eigene Adventgeschichte. Und fragen wir uns: „Was ist ich?“

Alles schläft, einsam wacht – bist du da? Was wird sein am anderen Ende der Nacht, wenn du dir begegnst, gleichsam beschenkt und entblößt? Hast du dann Angst vor dem Schweigen des Lärms, vor dem Gähnen des Abgrunds, vor dir selbst? Hast du Lust, dich zu spüren und in ein neues Jahr zu springen, einen neuen Tanz zu vollführen, ein neues Bild anzufangen, mit einer neuen Idee ins Bett zu gehen, die dich liebkost und die du danach nie mehr vergessen kannst? Was also macht diese Nacht mit dir – was machst du mit ihr? Wer bist du – in deiner eigenen Zeit, wenn du sie dir selbst schenkst?

Aus „Christgsindlmarkt“ (Dezember 2012)

„frohe weihnacht! frohe weihnacht! und ich bin nur ein hund“   (Ernst Jandl)

 

Das Ende ist nah

> Sendung: Artarium vom ersten Adventsonntag, 30. November – Zum nunmehr endgültigen Ende des Kirchenjahres und zur unvermeidlichen Wiedereröffnung des Salzburger Christkindlmarkts tragen auch wir entsprechend Stimmungsvolles bei. Ein weihräucherner Lichterkranz aus bizarren Satiren und böhsen Liedern umschwebt unsere persönlichen Eindrücke vom Glühweinen und Turmbalzen. Ohzipft is! Ehre sei Gott – und die Preise in die Höhe! Und Fernsehen auf Erden und der Geschäftswelt ein Zumwohlbefinden! Der Abwändskalender ist eröffnet und als Hauptgewinn wartet die gelungene Weihnachtsverweigerung. Totaler gehts nicht – zu diesem Zweck haben wir ein paar unanständige Volks- und Andachtslieder des genial grantigen Wiener Urgesteins Richard Weihs mitgebracht. Was? Es wird scho glei dumpfer 😀

Märkte und Mächte„Ich arbeite an der Idee, dass eine faire Verteilung der vorhandenen Ressourcen für alle möglich sein muss, wenn auch in einer Zukunft jenseits dieses konsumistischen Vermarktungszwangs jeglichen wie auch immer definierten Eigentums. Und so soll auch mein geistiges in diesem Sinn als eine Art Vorleistung darauf bezahlfrei bleiben. Auf eine bessere Welt! Pirat statt privat“ 😉 Nach dieser Adventlesung aus dem Evangelium des Antikapitalismus kommen wir nun zum Ende unserer feierlichen Einstimmung – mit den wahren Worten des Propheten: „Eine Wirklichkeit, in der es selbstverständlich ist, die Zuschauer inmitten wesentlicher Erkenntnisse eines Films mit Fernsehwerbung hirnzuficken, wird von mir bestimmt nicht anerkannt. Sie existiert auch überhaupt nicht! Außer als eine verbrecherische Übereinkunft zum Zweck der Beherrschung des Menschen durch die Behauptung.“ Na dann ist es ja gut 😛 The Matrix has you. Unser Schiff ist ein Radiostudio und unsere Waffen sind unsere Worte. Knoch, knock, Neo! Wer die blaue Pille nimmt, wird diese Sendung nie gehört haben. Bedenke, alles was wir dir anbieten, ist die Wahrheit. Deine eigene – entgegen all dem, was du glauben sollst. Wir wünschen besinnliche Einkehr

 

November

> Sendung anhören: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. November – Passend zur Jahreszeit zwischen Allerheiligen und Adventanfang befrachten wir uns in dieser Sendung mit allerlei Zwischenzuständen von Licht und Dunkel, Nacht und Nebel, Tod und Leben. Dabei begleiten uns Gedichte und Prosatexte von Georg Trakl, des wohl radikalsten Salzburger Totalverweigerers staatsbürgerlicher Pflichtbestimmung. Sein ebenso selbst gewählter wie ihm auch aufgezwungener Tod, schon kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, ist untrennbar mit dem 100-Jahres-Gedenken an diesen Wahnsinn verknüpft – und wird doch leider oft nur als individuelles Scheitern verstanden! Wir wollen daher einige Facetten seines Lebens und Wirkens nochmals eingehender betrachten, als uns dies im Rahmen einer knappen Artarium-Themenstunde möglich war. Die Sendung  „Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor“ ist hier online verfügbar.

NovemberUrsprünglich sollte diese Nachtfahrt einfach nebelig und soundverhangen werden, ein wechselvoller Aufzug von düsteren, seltsamen, aber auch tröstlich wärmenden, anheimelnden Musikstimmungen, die wir einander dann mit entsprechenden Wortbildern garnieren würden. Dann kam jedoch die recht intensive Beschäftigung mit Georg Trakls zutiefst ambivalentem Sprachschaffen dazwischen – oder, besser noch, hinzu. Et voilá! 🙂 Tauchen wir den irrlichternden Taumel dieses von Wort zu Wort gehetzten Sinnsuchenden einer untergehenden Epoche als roten Faden in unser spätherbstliches Gefühlsdestillat und harren wir der kommenden Kristallisierungen. Von Sehnsucht und Schrecken, von Sexualität und Strenge, von Selbstangst und Schuld wird da zu hören sein, von rauschhaften Visionen, von Weltüberdruss und Zerstörung. Doch darin auch immer vom Ahnen, Ringen und schließlich Wissen um ein Ganzes, ein mögliches Heiles – inmitten des durch dünne Haut spürbaren Unheils.

Totengedenken„Am Heimweg traf er ein unbewohntes Schloß. Verfallene Götter standen im Garten, hintrauernd am Abend. Ihm aber schien: hier lebte ich vergessene Jahre. Ein Orgelchoral erfüllte ihn mit Gottes Schauern. Aber in dunkler Höhle verbrachte er seine Tage, log und stahl und verbarg sich, ein flammender Wolf, vor dem weißen Antlitz der Mutter. O, die Stunde, da er mit steinernem Munde im Sternengarten hinsank, der Schatten des Mörders über ihn kam. Mit purpurner Stirne ging er ins Moor und Gottes Zorn züchtigte seine metallenen Schultern; o, die Birken im Sturm, das dunkle Getier, das seine umnachteten Pfade mied. Haß verbrannte sein Herz, Wollust, da er im grünenden Sommergarten dem schweigenden Kind Gewalt tat, in dem strahlenden sein umnachtetes Antlitz erkannte. Weh, des Abends am Fenster, da aus purpurnen Blumen, ein gräulich Gerippe, der Tod trat. O, ihr Türme und Glocken; und die Schatten der Nacht fielen steinern auf ihn.“ (Georg Trakl, aus „Traum und Umnachtung“)

WasserlichtUnd wie ergeht es einem jungen Menschen heute, nach 100 Jahren abendländischer Kulturgeschichte, auf der Suche nach Selbstausdruck und Übereinstimmung? Finden sich überhaupt noch Zwischenwelten diesseits der Verwertbarmachung – von auch noch dem allerletzten Gefühlsrülpser? Welche Drogen muss einer im Jahr 2014 zu sich nehmen, um den aktuellen Weltkrieg noch halbwegs zu ertragen? Den Eroberungsfeldzug der Etablierten auf Kosten der Zukurzkommenden? Den Ausverkauf aller Phantasien und Ideale – im Namen des Konsums, der Leistung und des Wirtschaftswachstums? In Ewigkeit, Amen! So viel hat sich in den 100 Jahren des Fortschritts und der Zivilisation dann halt doch nicht geändert, stellen wir betroffen fest. Die einige Dreiheit daherbehaupteter höchster Werte heißt nicht mehr Gott, Kaiser, Vaterland, sondern je nachdem Geld, Investor, Marktanteil. So what? Same Shit as ever! Doch ab 22 Uhr wird jetzt zurück geschissen… 😉

 

Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. NovemberZum 100. Todestag von Georg Trakl suchen wir heuer ein letztes Mal die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs auf. Denn wir verstehen jenen verzweifelten Freitod des Salzburger Extremlyrikers am 3. November 1914 durchaus als eine direkte Auswirkung der schrecklichen Ereignisse, die er im September selbigen Jahres als hilfloser Helfer inmitten von todwund zerfetzten Soldaten erlebte, erlitt – und schließlich auch nicht mehr ertrug. Ob dieser dünnhäutige, dauerdepressive und schon seit früher Jugend schwer drogensüchtige Mensch allerdings von vorn herein zum Scheitern an sich selbst und unter allen Umständen zum Untergang verurteilt war – diese Frage muss offen bleiben. Dass seine düstere Dichtung einen aber auch zur Wahrnehmung unterdrückter Emotionen verführen – und im besten Fall zu deren sprachlichem Ausdruck befähigen kann – das darf als gesichert gelten

TraklgedenkenTrakls Wortwelt entzieht sich weitestgehend eindeutiger Interpretation und klarer Zuordnung, wohl auch weil seine Person dabei stets eine geheimnisvolle geblieben ist. Die Symbole und Stimmungen in seinem Werk erschließen sich immer nur individuell, subjektiv. Das jedoch heftig, wie es wohl auch die Zustände waren, in denen sie entstanden sind. Manche(n) mag dies befremden oder gar verstören – die eigene Vorstellungskraft wird dabei jedenfalls zwingend in Gang gesetzt. Und so entfaltet sich eine ganz ähnliche Wirkung wie in der surrealen Malerei, der psychedelischen Musik oder beim Verzehr von bewusstseinsverändernden …… Das überlassen wir aber jetzt eurer Phantasie! 😀

Geduckte Hütten, Pfade wirr verstreut,
In Gärten Durcheinander und Bewegung,
Bisweilen schwillt Geheul aus dumpfer Regung,
In einer Kinderschar fliegt rot ein Kleid.

Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor.
In Körben tragen Frauen Eingeweide,
Ein ekelhafter Zug voll Schmutz und Räude,
Kommen sie aus der Dämmerung hervor.

Vorstadt im FöhnAn einigen Plätzen in der Stadt Salzburg sind Gedichte von Georg Trakl in der Gestalt von Steintafeln angebracht, so wie das hier zitierte „Vorstadt im Föhn“ neben dem Fernheizwerk bei der Lehener Brücke, wo sich einstmals der städtische Schlachthof befand. Doch weshalb würdigt man ausgerechnet in dieser Hochburg angepassten Funktionierens einen Dichter, dem jedwede fröhlich geschwätzige Normalität zutiefst zuwider war? Sind seine prophetischen Gesichte vor die Säue geworfene Perlen, der Allgemeinheit halt in die Sicht geschraubt, damit selbst der Umweg kunstsinniger Genießer und Individualtouristen noch rentabel ist? Bizarr…

Trakls im Spiegel seiner Seele bis zur eigenen Vernichtung verkörperten Vorhaltungen an eine ihn abweisende Spießgesellschaft sind hier prominent platziert nachzuvollziehen. Dass dieses von der eigenen Bedeutung bis zum Anschlag besoffene Wichtigtum, das menschlich nicht mehr imstande war, auch nur einen einzigen Außenseiter aufzunehmen, kurz darauf halb Europa mit Krieg überzog und in Schutt und Asche legte, das sollte uns gerade heute wieder zu denken geben! Das Unaussprechbare, das Trakl allerdings verklausuliert aufschrieb, bedarf nämlich einer Antwort an den Lebenden, soll es ihn nicht auf Dauer kränken, isolieren – und schließlich umbringen. Ob Dichtung in der Depression zum Ausweg wird – oder zum Untergang – das liegt schon am Du.

> Erfrischend Unblödes zu Trakls Biographie in diesem SPIEGEL Artikel von 1957 😉

> Lyrik für alle von Lutz Görner (sehr empfehlenswert!) – Georg Trakl (Video)

 

Aufmarsch der Zipfelmänner

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. Oktober – Zum heurigen Nationalmusiktag mit Programmschwerpunkt Szenenwechsel – Lokale Sounds aus den Freien Radios wollen wir nicht hintanhalten, den gesamtaustriakischen Alpenpop in einem satirischen Aufwasch zu erwürdigen. Denn nichts scheint uns an diesem volkstumsschwangeren Nationalfahnenfest zur Beibehaltung der geistigen Individualgesundheit so wertvoll zu sein wie eine ordentliche Portion Blasphemie in der Blasmusik. In diesem Sinne also: Willkommen bei unserer herzerfrischenden Herabwürdigung von allesamt fraglichen Heimatsymbolen. Kommet zu Hauf – und nehmet ganz unerschrocken Marschmusik, Mundartgesang oder Volksschauspiel je nach Lust und Laune auseinander, bis dass es euch freut! Oder – um es gleich auch als passendes Motto für die freie Radioarbeit zu verwursten: WIR sind das Volk – und wir spielen UNSERE Musik 😀 Aufmarsch!

lyapis trubetskoy feat. noize mc - bolt (video)Jössasmarandjosef, die Welt geht unter und das Bundesheer löst sich auch zunehmend auf. Nicht einmal flächendeckenden Schraubenschutz kann unsere Luftraumüberwachung garantieren, wenn die Trümmer aus schrottreifen Eurofightern regnen. Und was wird aus der Militärmusik?

lyapis trubetskoy feat. noize mc - bolt (video)Sollen sich die „Jungschwanz“ (so werden sie intern ja wirklich genannt) etwa pudelnackert zur Angelobung aufstellen, weil es an Uniformen fehlt? Vorm neuen Vereidigungsminister, der so heißt, weil hier ein Buchstabe eingespart werden kann. Erst das T und dann auch noch das Tätärätä?

lyapis trubetskoy feat. noize mc - bolt (video)Gemach, gemach – noch gibt es immerhin Fahne, Vogel und Staat. Und beim Auftreten von plötzlichen unerwünschten Nebelwirkungen fragen sie ihren Arzt oder Apotheker, also uns 😛 Wir begleiten euch gern durch den Wust der Zeit ans Ziel – einstweilig selbst sein, hier und jetzt

gleich zur Entspannung anschaun: Lyapis Trubetskoy feat. Noize MC – Bolt (Vimeo)

 

Mullah Tschack

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Oktober„Der islamische Faschismus“, das jüngste Buch von Hamed Abdel-Samad, hat uns dazu angestiftet, die Grauzone zwischen Gotteslästerung und Meinungsfreiheit doch etwas genauer zu untersuchen. Denn bloß ein weiterer bemühter Reißer im Gefolge der ringsherum hochkochenden Islamismusdebatte ist dieses engagierte Plädoyer für den Säkularismus – also eine saubere(re) Trennung zwischen Politik und Religion – mit Sicherheit nicht! Ganz im Gegenteil, der Politologe und Publizist stellt den angemaßten Allmachtsanspruch und den bedingungslosen Gehorsamszwang des Islam in Frage (wie im übrigen auch jedes Weltherrschaftsdenken in anderen Religionen und Ideologien) und legt somit die faschistoiden Grundzüge eines (jeden) totalitären Glaubenssystems offen…

Roger Waters Live Schwein„Eine Debatte über den Islam darf weder Ängste schüren noch alle Muslime unter Generalverdacht stellen. Sie sollte vielmehr übergehen in eine Debatte über den Einfluss von Religion im Allgemeinen. Wenn wieder ausgegrenzt wird und Mauern errichtet werden, macht sie keinen Sinn. Ganz grundsätzlich sollte eine solche Debatte uns ermutigen, mehr Säkularismus in Deutschland zu wagen!“ (Seite 198)

Und genau das haben wir hier auch nötig, lesen wir doch einmal in unseren eigenen Glaubensvorschriften nach, wie etwa im Strafgesetzbuch der Republik Österreich zum Thema Herabwürdigung religiöser Lehren:

§188 – Wer öffentlich eine Person oder eine Sache, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft bildet, oder eine Glaubenslehre, einen gesetzlich zulässigen Brauch oder eine gesetzlich zulässige Einrichtung einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft, unter Umständen herabwürdigt oder verspottet, unter denen sein Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

Todesfatwa ist das zwar noch lang keine, doch der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail. 😛 Wir wandern also wieder mal zwischen den Welten – und auf den Spuren der unvollendeten Säkularisierung. Zwischen dem nazikatholischen Todesboden der Salzbürger und dem faschistislamischen Gottesstaat der Salafisten. Hare Krishna im beschissenen Himmel auf Gummikrücken – was für ein Sonntagsspaziergang!

Video: Shahin Najafi – Istadeh Mordan (Stehend sterben wir) mit englischem Text…