Guten Morgen ihr Vögel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. Juni – Dem Erwachen der Vögel zu lauschen, in jener so speziellen “blauen Stunde” des Übergangs zwischen Nacht und Tag, das wollten wir schon längst einmal fürs Radio aufbereiten. Diese Klänge der Natur, mit denen wir alle (meist unbewusst) von klein auf vertraut sind – und die somit auch den Ursprung unserer Musikalität bilden, bewusst zu Gehör zu bringen und dem elemetaren Erinnern wieder neu zugänglich zu machen. So wie dies schon in unserer Sendung über Kurt Schwitters’ Ursonate (Excellent Birds) angeklungen ist. Und wo stehen wir heute? Wir hören ernste Nachrichten vom Aussterben vieler Tierarten, wie sie etwa der Ornithologe Peter Berthold formuliert – und leben dabei selbst in gefährlichen Verhältnissen, wie uns etwa Harald Lesch zu erklären weiß.

Im Reich der VögelWas aber macht das mit einem, wenn man sich eigenfüßig auf den Weg begibt, so eine Morgenstund in der Gemeinschaft der Vögel zu verbringen – und derlei in Gestalt einer Tonaufnahme festzuhalten? Letzteres Vorhaben verändert die Hörwahrnehmung jedenfalls ganz beträchtlich: Man glaubt ja nicht, wie LAUT die gewohnte Hörumgebung gerade in der vermeintlich “stillen” Nacht sein kann. Verkehrslärm von fern, röhrende Klimaanlagen oder irgendwelche Deppen, die ihre Umpfmusik durchs geöffnete Fenster in die Landschaft blasen. Die Unternehmung schärft also schon auf dieser Ebene ordentlich die Sinne. Hat man dann doch endlich einen Platz gefunden, wo möglichst wenig Störgeräusche zu hören UND zudem auch noch hinreichend viele verschiedene Vogelarten zugange sind, kommt die optische Dimension dieser Stunde zum Tragen. Langsam verändert sich dabei die Sicht von düsterem Graublau hin zu kräftigeren Farbtönen, ein Effekt wie auf LSD oder bei einer Sonnenfinsternis. Das Dreh- und Angelwort ist LANGSAM und der sich dadurch einstellende Zustand ist der einer umfassenden Entschleunigung. Ganz abgesehen sowieso von den Vögeln, die einem unfassbar nahe sind – so wie man mit dem Ort des Geschehens verschmilzt.

Wir empfehlen dringend, sich diesem Ereignis LIVE (gern auch ohne Aufnahmegerät) hinzugeben. Euer Bewusstsein wird euch für seine Veränderung danken! Und wir empfehlen ebensosehr die Musik von Leo Tischendorf, die in all ihrer expressiven Innerlichkeit ganz vortrefflich zu unserem Thema passt: Guten Morgen, ihr Vögel…

 

Mikroaggression

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Juni“Beim Reden kommen die Leut zamm.” So auch Slavoj Žižek und Jordan Peterson, als deren Gemeinsamkeit die Kritik am Konzept der “Political Correctness” gilt, just am Karfreitag, und dann auch noch zum Thema “Happiness: Capitalism vs. Marxism”. Eine stets hektisch nach Aktualität hechelnde Medienwelt hat diesen professionell vermarkteten Event schon im Vorfeld zu einem “Philosophenduell” hochgejodelt – und bespricht ihn im nachhinein auch wie einen Boxkampf oder Ähnliches. “Wer hat gewonnen?” Derlei geht uns naturgemäß am Arsch vorbei. Doch das Wort Mikroaggression (und wie Jordan Peterson dessen aktuellen Gebrauch wahrnimmt) ist im Kulturoskop der Artarium-Redaktion hängen geblieben, und so wollen wir es gern näher betrachten…

Mikroaggression ist ein sozialpsychogischer Begriff aus den 70er Jahren, der speziell an Universitäten des englischen Sprachraums derzeit ein fragwürdiges Revival durchmacht. Apropos Macht, ich verstand damals darunter ein Erscheinungsbild struktureller Gewalt und finde es daher heute mehr als zweifelhaft, die Verantwortung dafür wiederum dem Verhalten einzelner Individuen zuzuschieben. Sowas ist doch reaktionär. Oder christlich konservativ. Weltfinanzquadratfundamentalistisch. Genau andersrum würde ein linker Schuh draus, liebe Genoss*innen. Oder? Wenn ich das “Konzept Mikroaggression” im Kontext von “politischer Korrektheit” einmal logisch durchdenke, dann dürfte ich keinen schwarzen Taxifahrer mehr fragen, wo er her kommt (weil er sich dadurch abgewertet fühlen könnte) – und so würde ich weder Interessantes über zum Beispiel Somalia erfahren, geschweige denn Nähe und menschliche Verbundenheit herstellen können. Aber die fortschreitende Entfremdung der humanoiden Plemplems von einander (und somit vom Leben an sich) ist ja eh kein besonderes Problem unserer Gesellschaft. Viel mehr, ob und wie man nicht Neger sagt. Da hat Žižek wohl recht, wenn er hier das visionäre Versagen der gesamten Linken konstatiert. Und Peterson ist vielleicht nicht “der Stichwortgeber” der neuen Rechten, als der er gern verkauft (oder vereinnahmt?) wird. Zwischen dem Bericht über das “Showduell” (im “Zeit”-Feuilleton) und der inhaltlichen Analyse des Gesprächs (von Benjamin Studebaker) liegen jedenfalls Welten an Wirklichkeit.

Reden wir drüber.

Slavoj Žižek hat wie immer seinen ganz eigenen Zugang and so on and so on…

So wie übrigens auch Jordan Peterson, hier im norwegischen Fernsehen

 

And then there were three…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Juni – “Da waren es nur noch drei” wäre wohl etwa der deutsche Titel des 1978 erschienenen Studioalbums von Genesis, durchaus selbstironisch “…And Then There Were Three…” geheißen. Nachdem wir nun schon dem üppigen Gesamtwerk von Peter Gabriel eine ganze vierstündige Nachtsendung gewidmet haben, soll hier auch noch eine frühe Arbeit von Genesis gut zu hören sein, und zwar das erste Album, das nach dem Aussteigen von Sänger Peter Gabriel (1975) und Gitarrist Steve Hackett (1977) entstand, als die Band also tatsächlich zu einem Trio geschrumpft war, in dem zunehmend Phil Collins den Ton angab (nicht zuletzt weil er ja jetzt anstelle von Gabriel sang). Ein Album, auf dem ihr etablierter Art-Rock und ihr künftiger Mainstream-Rock noch miteinander können.

GENESIS - And then there were threeEs ist unbestreitbar, dass mit dem Fortschreiten ihrer Weltkarriere und dem immer stärker werdenden Einfluss von Phil Collins (von dem noch eigens ein reden sein soll) die versponnenen Surrealitäten und dramaturgischen Arrangements der Peter-Gabriel-Ära zunehmend verschwanden. An ihre Stelle traten griffige radio- wie stadiontaugliche Popismen, die ein Mitschwelgen breiterer Massen möglich machten. “…And Then There Were Three…” versammelt noch beide Seiten der Musikmedaille – auf einem Album: Das opulent symphonische “Burning Rope” erinnert vom Aufbau her stark an Stücke aus “The Lamb lies down on Broadway”, das flott gespielte “Scenes from a Night’s Dream” gibt inhaltlich die phantastischen Abenteuer von Little Nemo wieder und im abschließenden “Follow You, Follow Me” taucht bereits der später so omnipräsente “Charts-Collins” auf, von dem Peter Huth sinngemäß schreibt: “In den späten 80ern und frühen 90ern konnte man fast keinen Fahrstuhl betreten, in dem Phil Collins nicht längst drin war.” Da sollte man jetzt allerdings schon wissen, was Fahrstuhlmusik als Synonym für penetrant-kommerzielles Hintergrundbedudel bedeuten kann. Oder, wie es das trojanische Pferd ausdrückt: “Der nächste, der Kunst sagt, kriegt eine aufs Maul.”

Da schau her – die F-Musik (Funktionale Musik) gibt es wirklich. Fahrstuhlmusik, für viele im wahrsten Sinn Musik zum Weghören.

 

Peter Gabriel Message

> Sendung(en): Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Juni (Erster Teil) UND Perlentaucher Nachtfahrt vom Samstag, 15. Juni (Zweiter Teil) – Es begann alles damit, dass der Hase dem Hund ein Stöckchen zuwarf: “Machen wir doch mal eine Nachtfahrt-Sendung NUR über Peter Gabriel.” Anfangs war ich darob eher reserviert, zumal wir just diesem Künstler bereits einige Stunden an Sendezeit gewidmet hatten (so etwa im Artarium oder auch in der Nachtfahrt in Gestalt eines ganzen Konzerts). Doch dann packte mich schleichend die Neugier, ob es denn möglich sein könnte, ein musikalisches Lebenswerk, das immerhin 5 Jahrzehnte umfasst, in chronologischer Form so unterhaltsam aufzubereiten, dass es in unser spontanistisches Livekonzept passt. Als ich dann noch vom Anlass dieses Zuwurfs erfuhr (ein Kollege meinte: “Ja, Peter Gabriel, das ist so 80er-Jahre-Pop.”), gab es kein Halten mehr. Also, nimm das:

Peter Gabriel 1978Im Jahr 1967 gründete der damals 17-jährige Gabriel zusammen mit einigen Schulfreunden jene Band, die bald schon unter dem Namen Genesis bekannt werden und das Genre des Progressive Rock in den frühen 70ern entscheidend mitprägen sollte. Allerdings waren ihre ersten Veröffentlichungen noch einfache Beat-Nummern im Stil der damaligen Zeit, so wie man das auf ihrem Debutalbum “From Genesis to Revelation” deutlich hören kann. Doch schon bald vertiefte sich das (damals noch) Quintett in sehr viel komplexere Arrangements und experimentierte mit Tontechnik und Bühnenshow, wozu 1970 der Einstieg von Phil Collins (als herausragender Schlagzeuger) einiges beitrug. Der Höhepunkt ihres gemeinsamen Schaffens war sicher das Konzeptalbum “The Lamb lies down on Broadway”, das speziell durch seine Livedarbietungen als progressiv-psychedelisches Opus Magnum der Peter-Gabriel-Ära von Genesis in die Geschichte einging. Nach diesem Welterfolg kam es (aus diversen persönlichen Gründen) zur Trennung und der nunmehr Ex-Frontman begann seine Solokarriere.

Peter Gabriel 1983Naturgemäß produzierte er in den darauffolgenden Jahrzehnten auch einiges an gefälligem Pop (damit ließ sich das nötige Geld verdienen), doch war das eben bei weitem nicht alles, was der als Slow-Worker und Soundtüftler berüchtigte Meister des Surrealen auf die Welt brachte. Unbestreitbar bleibt, dass es zwei seiner Hervorbringungen waren, die das Phänomen des 80er Jahre Pop nachhaltig prägten: Zum einen die (ziemlich zufällige) Entdeckung des Gated Reverb, der schließlich den charakteristischen Sound der ganzen Dekade begründete. Ein Beispiel aus dem kommerziellen Mainstream ist der James-Bond-Titelsong “A View to a Kill” von Duran Duran, ein weiteres aus Peter Gabriels eigenem Werk (als Vergleich) ist “Intruder” (vom 3. Soloalbum). Und zum anderen die äußerst innovative Ästhetik seines Hit-Videos“Sledgehammer”, das von MTV damals rauf und runter gespielt wurde und (unter anderem dadurch) inzwischen schon sowas von totgerumpelt ist. Doch vertraut uns – wir spielen es (wahrscheinlich) nicht – wir holen lieber Raritäten aus dem Musikfundus, die man so nicht so kennt…

Peter Gabriel 1994Dazu werden wir Songtexte und Passagen aus Interviews in dem Deutsch übersetzen sowie einige Anekdoten erzählen. So wie die hier, die ich unlängst im Rolling Stone Magazine aufstöberte – und die etwas über sein Verhältnis zu Drogenkonsum und Phantasie ausdrückt. Unter vielem anderen. Ein Künstler, der etwas schaffen MUSS, weil es ihn sonst zerreißt. Ein Mensch, der so lebhaft träumt, dass er lieber kein LSD nimmt, weil es ihm sonst zuviel werden könnte. Ein kreativer Geist, der einerseits von allem um ihn herum angeregt und begeistert sein kann und daraus spontan eine Idee nach der anderen gebiert – und der zum anderen an einzelnen Werkstücken wie Sounds, Songs oder Inszenierungen über Jahre hinweg herumfeilt, bis daraus wieder ganz neue Arbeiten entstehen. Wir sind jedenfalls ungemein dankbar für diesen so reichhaltigen, überbordenden und vielschichtigen Kosmos an Erscheinungsformen, den uns Meister Musentanz da über die Zeitalter hinweg zur Verfügung gestellt hat – und bedienen uns gern hemmungslos daraus, ganz im Sinne seines Schöpfers, Amen.

Peter Gabriel 2010Es überrascht uns auch nicht, dass sein jüngster Soundtrack-Beitrag ausgerechnet zum Oliver-Stone-Film “Snowden” erfolgte, nämlich das Lied “The Veil”. Gut zu hören:

Let it all go set it all free
You let the whole wide world see
Exactly what is going on
Exactly who was looking on
Theres no safe place to go
Now you’ve let that whistle blow
Show exactly what is going on
Show exactly who was looking on
Some say youre a patriot
Some call you a sile
An American hero
Or a traitor that deserves to die
In the heart of the free world
In the home of the brave
You gave up everything
To bring down the veil

Hier gibts noch eine gute dokumentarische Zusammenfassung seiner Arbeitsweise.

 

Our Tragedy Today

> Sendung: Artarium vom Pfingstsonntag, 9. JuniSlavoj Žižek muss als Kind in irgendeinen Topf mit Zaubertrank gefallen sein, anders lässt sich sein nimmermüdes Sprechberserkern eigentlich nicht erklären. Den “Gutbürgerschreck” nennt ihn die Süddeutsche Zeitung und versieht ihn dabei mit Attributen wie: “atemlos, sprunghaft, unterhaltsam“. Der marxistische Philosoph, der unter anderem “die Psychoanalyse Jaques Lacans in die Bereiche von Populärkultur und Gesellschaftskritik überführt hat”, bereichert uns nun schon seit Jahren mit der erfrischenden Weltdeutung seiner niemals zu einem letzten Dogma gerinnenden Gedanken. Betrachtungen, die immer einstweilige Verfügung im steten Wandel der Gezeiten sind, eine überaus seltene Synapsenerlösung inmitten der sonstüblichen Eukalypse von Recht und Unfalsch.

Laibach Tragedy

Laibach, Sound of Music, Graz 2018
Photos by Miro Majcen

So etwa mit dem titelgebenden Referat “Is there any Alternative to Capitalism? Our Tragedy Today“ (ein Interview, das sich inzwischen nicht mehr im Netz finden lässt) sowie einer Vielzahl von weiteren Features und Diskussionen, die wir eurem jeweiligen Eigenhirn empfehlen. Vollendeter Genuss stellt sich erst dann ein, wenn man den Mann mit allen Sinnen dabei erlebt, wie er fortwährend versucht “auf den Punkt zu kommen” und genau dieser Punkt sich als “ein springender” erweist, der nichtsdestotrotz in einem selbst landet und zur Erkenntnis wird. Bloß nichts Endgültiges – denn wenn erst das eigene Hirnkarussell dadurch angeregt in Bewegung gerät, wirds so richtig lustig – und höret nimmermehr auf. Das haben wir bereits bei unserer Sendung The Pervert’s Guide to Slavoj Žižek erfahren und wollen es diesmal von einer anderen Seite her wiederholen: Der Gutbürgerschreck macht sich Gedanken über die plappernde Planlosigkeit der Linken angesichts des angeblichen “Endes der Geschichte”. Und das, liebe Linke, ist erschreckend aktuell.

Our Tragedy Today oder was Laibach als Teil des slowenischen Kunstkollektivs NSK seit fast 40 Jahren auf geniale Weise zum Ausdruck bringt. Weshalb deren Musik so fruchtbar ist – und die von Abdreas Krawallier so furchtbar. The Sound of Music ist immer und überall. Und Pjöngjang ist Amstetten. Zwei Partisanan suchen Ljubljana…

Kärnten deibt bleutsch!

 

Kasperl oder Genie…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. MaiZur Ehrenrettung des eigentlichen und ursprünglichen Kasperl verweisen wir auf eine diesbezügliche Stellungnahme der Friedburger Puppenbühne, wonach Ausdrücke wie Bundeskasperl, HC Kasperl oder überhaupt Politkasperltheater eine beleidigende Herabwürdigung dieses von allen ehrlichen Kindsköpfen gefeierten anarchischen Abenteurers bedeuten. Bevor sich jetzt auch noch der Zwerg Bumsti und die Maus beschweren, distanzieren wir uns naturgemäß gern von vorn herein, von unsund sowieso. Wenden wir uns halt wieder den wirklich wichtigen Themen jenseits der Tagespolitik im Schleudergang zu, etwa der Frage, ob Peter Filzmaier nicht eigentlich im ZiB-Studio des ORF wohnt oder warum der Medienminister immer in derart blitztürkisen Socken herumsteigt…

Kasperl Genie HabakukZum Thema Augenkrebs ließen sich noch zwei weitere Verunstaltungen der letzten Zeit anführen, deren weltumspannende Bedeutsamkeit uns sprachos zurücklässt: Der Eurowischerl Songcontest, den man auch unter “da freut sich mein Tinnitus” ablegen könnte – und die Verfilmung der vorerst finalen Game-Of-Thrones-Staffel durch die u.s.-amerikanischen Pay-TV-Quotenstresser von HBO. Anmerkung des Perlentauchers: Es geht längst nicht mehr darum, eine entsprechende Form für einen (eventuell) vorhandenen Inhalt zu erschaffen, sondern nur noch darum, alle technischen Möglichkeiten immer noch mehr auszureizen, um mit der Darstellung zu beeindrucken – und abzukassieren. Irgendeinen Inhalt kann man ja – in passende Häppchen zerteilt – nachträglich hinein quetschen. Quietsch Quatsch sozusagen. Und je mehr Geld dabei im Spiel ist (um dessen Vermehrung sich alles dreht), desto abgehobener wird die Form vom Inhalt, wird der Schein vom Sein. Zuletzt bleibt nur Control ohne Message übrig. Gell, Frau Hartinger-Klein, “Wer entwürdigt die Arbeit durch Zwickzweck und Zwang?” Genau! Eine Wirtschaft, deren Tumorwachstum nicht vorkommen darf im Flachbildhirn der ideologisch Bsoffenen vom internationalen Heilsfonds des Geldmachtgelds. Oder wie das ein alternder Udo Jürgens auch beschrieb: Der ganz normale Wahnsinn”

Nein, da wollen wir uns wirklich lieber den Wichtigkeiten widmen, die wir in unserem lyrischen Kosmos selbst erschaffen – und deren Form aus ihrem Inhalt erwächst. Wir haben ja was zu verschenken…

 

Es muss weitergehn

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Mai – Eine der besten Nummern der letzten 20 Jahre ist “Es muss weitergehn” von Josef Hader. Ein feines Beispiel für Satire in Reinkultur, jenes “Entstellen der Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit” oder wie auch immer Brecht oder wer auch immer das so bezeichnet hat. Der kurze Text über das leidige “schneller, höher, weiter” einer sich hemmungslos “ewigem Wachstum” hingebenden Gesellschaft funktioniert vielleicht auch deswegen so zielsicher, weil er bis zum Schluss die Balance hält – zwischen Lachen und “im Hals stecken bleiben”. Das ist die große Kunst des Josef Hader. Sowie die schlicht nicht mehr steigerbaren Formulierungen wie etwa “handgeschnitzte Pommes Frites um 5.000.- Schilling”. Heute würde man “um 500.- Euro” sagen – und damit den gleichen Effekt erzielen.

weitergehnDoch die solcherart entstellte Wirklichkeit holt mittlerweile ihre eigene Übertreibung spielend ein, wie ich in einer Gastrokritik aus dem aktuellen “profil” erfahren musste. Da wird derart dekadent von getrocknetem Karottenpapier, Parmesaneis und Spargeltexturen mit Estragonparfum schwadroniert, dass als Steigerung nur noch die berühmten Otternasen aus “Das Leben des Brian” vorstellbar sind. Wie sang schon Wolfgang Ambros: “Wie hört des auf, wie wird des weitergehn?” Womöglich hilft Humanismus? Doch auch diesbezüglich (Rindsgulasch) werden wir vom Großmeister des Abgründigen eines Schlechteren belehrt: “Humanismus is, doss ma scho schaut, wos geht – ober ned gonz so.” Na wunderbar. Was für einen Reim können wir uns denn dann machen – auf einen Weltzustand, der in wechselfiebrigen Anfällen absehbar auf den Abgrund der eigenen Vernichtung zusteuert? Mit all der Collagenkunst, die uns noch geblieben ist im einstweiligen Zwischenlager für die hintersinnige Gegenkultur? Mischen wir Apocalyptica, Nina Hagen, Rammstein, Slavoj Žižek und Armin Wolf dazu, sowie einen der letzten musikalischen Verfechter des emotionalbiographischen Selbstweiterentwickelns, den guten Roger Waters

Wenn das nicht zum Überlebenscocktail gereicht, dann geht sich doch immerhin ein geschmeidiger Abgang aus. Letztendlich heißt es ja wohl: “The Show must go on”

 

Eine Stunde mit Fredl Fesl

> Sendung: Artarium zum Muttertag am 12. MaiWer hats erfunden? Ursprünglich wollten wir (dem Anlass entsprechend) Auszüge der bei Trikont erschienenen Gesamtausgabe Ton von Karl Valentin/Liesl Karlstadt vorspielen. Doch ungeachtet solch ewiger Lieblingswortschöpfungen wie Semmelnknödeln, Wrdlbrmpfd oder “Herr Rembremadeng” waren die darauf findlichen Aufnahmen schon sehr im Seinerzeitkontext verhaftet. Weshalb wir eine Generation weiter sprangen und den ebenso urbayrischen Liederdichter und Geschichtenerfinder Fredl Fesl für unsere Albumpräsentation auswählten. Der steht nämlich auf vieler Leihweise in der Tradition des großen Absurdisten Valentin – und inspiriert auch heute noch aktive Volksbarden wie etwa den aushängigen Christoph Weiherer.

Fredl FeslUnd ganz im Gegentum zu einem akuten Volksquatschbeschunkler (dessen Namen ich hier allein schon aus gesundheitlichen Gründen nicht erwähnen will) ist der Fredl Fesl mit einem Großen Karl-Valentin-Preis ausgezeichnet worden (nicht bloß mit einem lulligen Faschingsblech). Vielmehr überreichte der legitime Valentin-Nachfolger Gerhard Polt (Nikolausi) ihm den renommierten Preis in Form von einem “Trumm”, das sich bei näherer Betrachtung als rostiges Türschloss herausstellte. Worin jetzt also der angesprochene Unterschied zwischen ernster Komik und einfach nur deppertem Kommerz besteht, das möge ein jegliches bittesehr diesem schönen Bericht entnehmen. Ach ja, die unschuldigen 70er, als die “Sowosamaneger” noch keine rassistischen Assoziationen erregten – und der erwähnte Volkshupfdudler auch noch nicht geboren war. Damals, auf dem Höhepunkt der deutschen Folk-Bewegung, wurde “die Volksmusik” ihrem Verhaftetsein in Nazitum und Spießermief entrissen, Freddy (Quinn, nicht Queen) dagegen war schlicht Schlager und mithin industrielles Massenzeugs fürs geölte Einfaltsreich. So ist das eine also etwas völlig andreas als das andere. Bleibt noch zu erwähnen, wie kunstreich und humorvoll der Fredl Fesl die alpenländische Tradition des Jodelns aus dem Bierdunst der Zeltfetten befreit hat:

In seinem Vortrag “Ein ländliches Problem” (den wir in der Signation zitieren) jodelt er sich am Schluss derart schwindlichmachend weg, dass es unsereinem (oder auch zwei) schier die Synapsen sprengt. Die Krönung in seinem Mundart-Overflow ist und bleibt allerdings “Huitidliti, Huitidliti”, wahrlich ein Prachtwerk der Sprachkunst, das eben auch Karl Valentin zu aller Ehre gereicht…