Zufallsbekanntschaft

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. JuniWir singen das Hohelied der Zufallsbekanntschaft inmitten der schon fast völlig zugeplanten Welt. Alle Kinder sind auf Tinder, aber finden sie dort auch das, was sie suchen? Oder freuen sie sich wunschgemäß über das, was ihnen längst vom Weltalgorithmus gefickt eingeschädelt ist? Hurra, die Fremdwunscheinpflanzung substituiert jede eigene Phantasie mit ihrem globalen Blahcebo des Verwertbaren. Nutzzweck statt Lebenssinn, Umsatzzahlen statt Wohlgefühl, Gabalier statt Gedankenfreiheit. Die 68er drehen sich doch im Grab um, sofern sie schon tot und nicht im Arsch durch die Institutionen stecken geblieben sind. Angepasste Konsumtrottel, der feuchte Wunschtraum der Herrschenden, das voll fernlenkbare Volk der Verblödung

Persönliche ZufallsbekanntschaftDoch bei all dem gepflegten Kulturpessimismus wollen wir unsere Ausgangsüberlegung erst recht nicht außer acht lassen: Wie lässt sich “der Zufall” auch heute noch erleben, wo doch ringsumher fast schon alles mit Besitztümern, Datenschutzgrundverordnungen, Urheberrechten, Lizenzgebühren und Verhaltensvorschrifen derart zugeschissen ist, dass es einem schlichtweg die Luft abdreht? Die Zufallsbekanntschaft mit einem anderen Menschen war schon immer wesentlich fürs spontane Reagieren auf veränderte Lebensumstände, ganz zu schweigen vom überfallsartigen Aufkommen unvorhersagbarer Gefühle, die zu verarbeiten sowohl Kreativität als auch Phantasie erfordert. Ein Rest Risiko in der wohlversicherten Zuvielisation des Urban Overload. Neuen Fragen begegnen – und neue Antworten darauf finden. Nicht bereits vorher definierte Gefühle erwarten und diese befriedigt bekommen – oder eben nicht. Der letzte Bewegungsspielraum einer menschlichen Sexualperson wäre also ja oder nein, null oder eins, pudern – oder wegwischen?

Raum für ZufallsbekanntschaftUnd die Zufallsbekanntschaft mit einem Buch, einem Film, mit einem Thema oder mit einer MusikKann das Entdecken einer neuen Welt, wie sie in der unvorhergesehenen Begegnung mit einer Landschaft, einer Kultur oder einem einzelnen Bild entsteht, eins zu eins ersetzt werden durch eine vorgefertigte Version dieser unserer inneren Wirklichkeit? Maschinen haben keine Gefühle. Ein schöner Satz. Aber Märkte und Weltwirtschaften, politische Parteien, Hitradios, Börsenenkurse oder Zuckerberge haben auch keine. Die tun bloß so! Weshalb naheliegt, dass die psychischen Prozesse, die im Umgang mit dem Überraschtwerden auftreten, eben nicht durch mathematisch-mechanische Verfahren (und seien diese noch so schnell oder komplex) ersetzt werden können. Das untrügliche Kennzeichen des Lebendigen sind nämlich echte Gefühle – und keine künstlichen. Der Sänger einer recht jungen österreichischen Band (die ihren ersten großen Auftritt als Support für AC/DC hatten) verweigert generell jegliche Dating-Apps”: Was passiert, passiert, was nicht, nicht.”

Da gibt es dann sehr wahrscheinlich einen Zusammenhang

 

105 Jahre Marko Feingold

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Mai – Zum bevorstehenden Geburtstag des ältesten KZ-Überlebenden und jahrzehntelang nimmermüden Zeitzeugen erinnern wir an unsere gemeinsamen Projekte – und denken darüber nach, wie Geschichte auch in zukünftigen Generationen lebendig bleiben kann. Marko Feingold hat dies immer durch engagiertes Erzählen in der Begnung mit jungen Menschen ermöglicht. Doch wie lassen sich die persönlichen Erfahrungen seiner Generation weiterhin vermitteln, wenn ihre letzten noch lebenden Vertreter nicht mehr selbst dafür einstehen können? Dabei haben wir das beim heurigen “Tag gegen Gewalt und Rassismus” am 4. Mai vorgestellte Jugendprojekt “Dialog des Erinnerns” der KZ-Gedenkstätte Mauthausen entdeckt, das uns auch als Geburtstagsgruß an Marko Feingold geeignet erscheint.

100xniewieder für marko feingold peter haasUnter dem Motto “Geschichten brauchen Stimmen” haben sich einige junge Menschen mit den Lebensgeschichten von im KZ Mauthausen zu Tode gebrachten Menschen beschäftigt und daraus jeweils eigene Gegenwartstexte erarbeitet. Diesem Projekt gelingt es, längst verstummte Stimmen aus den Todeslisten mit viel Mut und Mitgefühl wieder ein gutes Stück ins Leben zu schreiben”. Vor allem die phantastische Elodie Arpa, zuletzt Gewinnerin beim mehrsprachigen Redewettbewerb “Sag es MULTI”, hat uns mit ihrer Bearbeitung der Biographie von Peter van Pels tief berührt – und überzeugt – weshalb wir diese Darbietung für die heutige Sendung ausgewählt haben. Die darin vorgestellte reale Person, welche am 10. Mai 1945 in Mauthausen verstarb, ist genau jener “Peter van Daan”, der auch im Tagebuch der Anne Frank beschrieben wird. Diese zusätzliche Verbindung lässt Elodie Arpa auf geradezu magische Weise in ihren Text über “den heutigen Peter” einfließen, ein emotional ansprechender und rundherum mutmachender Beitrag!

100xniewieder für marko feingold norbert k hundNun freuen wir uns naturgemäß besonders, wenn gerade so eine hochoffizielle Einrichtung wie die KZ-Gedenkstätte Mauthausen bei der jugendgerechten Vermittlung von Zeitgeschichte nach neuen Ausdrucksformen strebt. Auch wir haben auf diesem Gebiet schon so manches bewirkt. Die Radiofabrik im allgemeinen mit ihrem Projekt “Hörstolpersteine” und den damit verbundenen Schulworkshops. Die Artarium-Redaktion wiederum im speziellen mit dem Marko Feingold Projekt 2013, aus dem ein zweistündiges Radiofeature hervorging. Zudem wurde eine Begehung des Jüdischen Friedhofs und ein Besuch der Salzburger Synagoge dokumentiert, jeweils gemeinsam mit Marko Feingold, der dabei interessierten jungen Menschen vom jüdischen Leben in Salzburg und vom Überleben in den Konzentrationslagern berichtet. Eine Intention des Projekts war, zumidest etwas von seinem umfänglichen Wissen “für die Nachwelt zu erhalten”, und zwar in einem Live-Setting, das seinen ungebrochenen Humor und seine Schlagfertigkeit für alle Zeiten erlebbar macht.

Sodann haben wir uns auch noch an Bernhard Jennys Performance/Buchprojekt “100x NIEWIEDER für Marko Feingold” beteiligt. Der Textbeitrag dazu von Norbert K.Hund steht jetzt da, stellvertretendend für alles, was noch gedacht werden kann:

Als ich 1966 in Salzburg in den Kindergarten kam, zeichnete ich unter dem Einfluss vieler neuer Eindrücke ein Bild. In der Mitte befand sich ein Fleischwolf, in dessen Trichter wir Kinder von oben hinein geschlürft wurden. Unten kamen auf drei Förderbändern Dosen mit Fleisch, Flaschen mit Blut und Pakete mit Knochen heraus, welche sogleich auf Lastwagen verladen und anschließend ausgeliefert wurden. Zuhause erklärte ich meiner Mutter voller Stolz diese Zeichnung und sagte: „Das ist die Menschenvernichtungsmaschine.“ Sie nahm das Bild wortlos an sich und räumte es in einen Kasten. Auch auf späteres Nachfragen hin hat sie nie wieder etwas darüber gesagt. Ein schreckliches Schweigen.

Wenn wir heute darüber nachdenken, wie wir kommende Generationen erziehen, wie wir sie insbesonders gegen Gewalt und Grausamkeit schutzimpfen können, dann müssen wir uns ein Beispiel an Menschen wie Marko Feingold nehmen. Denn nur wer den Mut hat, auch von seinen abgründigsten Gefühlen wie Angst oder Schmerz freimütig zu erzählen, der vermag in jungen Menschen deren ohnehin bereits vorhandenes Mitgefühl anzuregen – und zu bestärken! Gerade ein solches Einfühlungsvermögen – ohne Abspaltung von „negativen“ Emotionen – wird es dringend brauchen, wenn wir nicht neuen menschenverachtenden Ideologien auf den Leim gehen sollen. Also, nie wieder Schweigen – auch über das Schreckliche.

 

Die Köhlmeier Rede

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. MaiMichael Köhlmeier hat also eine Rede gehalten. Und zwar anlässlich des “Tags gegen Gewalt und Rassismus”, einer vom österreichischen Nationalrat alljährlich abgehaltenen Gedenkfeier, die sich auf die Befreiung des KZ Mauthausen am 5. Mai 1945 bezieht. Und in dieser Rede hat der Schriftsteller, wie es seit Jahrzehnten seine Art ist, das Entstehen von Gewalt – durch die Beobachtung von oft unbeachteten Details – dargestellt. Dass er dabei aber nicht in der Vergangenheit verblieb, sondern einzelne Zitate von aktuell regierenden Politikern aufgriff, das wird ihm seither (vor allem von denselben) heftig vorgeworfen. Multimedial überschlägt sich “die Öffentlichkeit” mitsamt Armin Wolf und es wird vor lauter Pro und Contra immer schwieriger, das Eigentliche zu fassen.

michael köhlmeier im kontrastWer die Stationen dieser Erregung hier noch einmal zusammengefasst nachvollziehen mag, kann sich den Artikel von Kontrast.at zu Gemüte führen (Foto von Johannes Zinner © Parlamentsdirektion). Ich habe die Nutzungsbedingungen verstanden und akzeptiert etcetera blabla. Aber eigentlich wollte ich doch auf etwas viel Wesentlicheres verweisen, auf jenes Entstehen von Ausgrenzung und Gewalt, wie es Michael Köhlmeier schon immer beobachtet und aufgezeigt hat: In seinem vor 35 Jahren entstandenen Hörspiel “March Movie” (runterscrollen, bis der Titel in Rot erscheint, dort gibts dann die Inhaltsangabe und auch einen Stream) deckt ein engagierter Eisenbahner nach Jahren das spurlose Verschwinden einer ganzen Blaskapelle auf. Doch anstatt, dass ihm dafür etwa gedankt würde, geht die gesamte Gesellschaft, die das Verschwundensein all dieser Menschen nicht wahrhaben will, brutal gegen ihn vor, stellt seine geistige Gesundheit in Frage und macht ihn so zum Außenseiter. Völker, hört die Parallelen! Und jetzt gehen die Mehrheitsnormalen auf Köhlmeier selbst los, weil er ihnen unangenehme Zusammenhänge ausspricht. Es erinnert geradezu grotesk an Thomas Bernhard und den Staatspreis-Skandal 1968.

Die “Brüskierten” entlarven sich selbst – durch ihre jeweiligen Reaktionen. Es gibt im Grunde eh nur zwei Arten von Menschen: Die, die von ihren eigenen Empfindungen ausgehen und so zu einer Anschauung der Welt gelangen. Und die, deren Programm eine vorgefertigte Weltanschauung ist und die daher auf alles und jedes nur ein und dieselbe Antwort geben (wenn auch immer wieder leicht variiert). In unserem Fall eben Ausländerflut, Balkanroute, Sozialschmarotzer. Ist das nicht gefickt eingeschädelt?

 

Ein Album zum Muttertag

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. MaiDer Muttertag ist allgemein eine höchst ambivalente Angelegenheit. Ebenso wie das Verhältnis zwischen Müttern und ihren Kindern von der Gleichzeitigkeit gegensätzlicher Erfahrungen geprägt wird. Am Anfang war die Geburt, und allein dieser Beginn unseres eigenen Lebens kann schon lebensgefährlich sein. Von da an findet jegliche Entwicklung zwischen krassen Gegensatzpaaren wie Festhalten und Loslassen, Resonanz und Abgrund, Selbstbehauptung und Verbundenheit statt (um hier nur einige davon anzudeuten). Die Seelenbühne unseres Entstehens ist meist Heimat und Schlachtfeld zugleich. Inwieweit der herkömmliche Muttertag zur rituellen Bearbeitung dieser Ambivalenz taugt, darf bezweifelt werden. Margit Schreiner empfiehlt eher seine Abschaffung.

Kuh zum MuttertagEs ist wohl auch kein Zufall, dass der Film Muttertag (Die härtere Komödie) von Harald Sicheritz inzwischen zur Kultdarstellung desselben geworden ist. Sobald Widersprüchliches im Spiel ist, sind (speziell in Österreich) die Humorist_innen dafür zuständig. Also, was spielen wir in dieser Sendung – und warum die Kuh? Naturgemäß wollen auch wir die Mehrschneidigkeit des gegebenen Anlasses abbilden und greifen daher tief in den Fundus der emotionalen Assoziationen. Zum einen mit einem Klavierkonzert von Philip Glass, dem Tirol Concerto in 3 Movements, welches die Tirol-Werbung im Jahr 2000 in Auftrag gab – und später in einem Naturfilm-Soundtrack verbraten hat. (Da ist sie, die glückliche Kuh!) Das knapp halbstündige Instrumentalwerk für Klavier und Streichorchester ist eine meiner Lieblingsmusiken beim Schreiben, weil es sich gleichzeitig nicht aufdrängt und doch Energie von innen heraus freisetzt. Und zum anderen mit einer Lesung von Elias Hirschl aus seinem Roman “Hundert schwarze Nähmaschinen”, in dem er eigene Erlebnisse als Zivildiener in einem Wohnprojekt für psychisch kranke Menschen wiedergibt, diesfalls aus Kapitel 5 (Frau Brandner).

Es ist fürwahr nicht einfach, inmitten von unmittelbarem Betroffensein und ironischer Distanz (auch zu sich selbst) die Balance zwischen Faszination und Verzweiflung zu wahren, handelt es sich dabei doch um einen Ritt auf des Rasiermessers Schneide. Oder eben um einen Tanz zwischen Nähe und Distanz, wie er ja jegliche Beziehung in all ihrer Ambivalenz charakterisiert. Elias Hirschl schafft diesen Spagat sogar sehr sympathisch, wie unser Mitschnitt von den Kritischen Literaturtagen 2017 beweist.

Eine ähnlich gelungene Verbearbeitung von psychiatrischen Zivi-Erlebnissen bietet auch noch Rainald Grebe – Gilead (Gottseidank, ich bin entmündigt, Fotzefotzefotze)

Alles Liebe zum Muttertag oder Ich scheiße goldene Atomeier!

 

Bäume schlagen aus

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Mai – Als Kind konnte ich mir die beiden Wortbilder nicht wirklich zurecht reimen: “Pferde schlagen aus”, schon klar, aber Bäume? In meinem Hinterhof hat sich allerdings unlängst eine Geschichte ereignet, die das Ausschlagen (altertümlich für “austreiben”) der Bäume nachgerade unausweichlich illustriert. Diese Geschichte, die auch noch ein Dreiteiler ist, werde ich in dieser Sendung erzählen, die dramaturgisch passenderweise drei Stunden dauert. Zur phantasieanregenden Vorhereinstimmung sei sie allhier schon mal in Gestalt von Bildern gezeigt, den Assoziationen zu “Die Bäume schlagen aus” sind dabei keinerlei Grenzen gesetzt. Wenn ich so ein Baum wär, ich würd ja am liebsten zurück schlagen, und zwar mit Schmackes. Und ganz abgesehen davon, “Der Mai ist gekommen…”

Bäume bleibenJenseits von Maibaum, Volkstum und Salzburger Heimatwerk findet sich noch so einiges an Bäumen gewidmeter Frühlingsnatur. So etwa in Konstantin Weckers Lied “Der Baum”, in dem es sogleich mundartgerecht zur Unsache der Verwüstung alles Lebendigen geht: “I hab Angst. Lang lassn si de nimma aufhoitn, und da werds hold mi jetzt boid als oan vo de erstn dawischn. Angeblich spüren wir ja nichts, wir Felsn, wir Viecher, wir Bleamen, wir Bäum – angeblich habn wir kein Gefühl. Und wie wir spüren und denken, lieben und fluchen – ja hörts ihr uns denn ned schrein, den liabn langa Tag, hörts ihr uns alle mitanander ned schrein, landauf, landab, alle, die noch am Lebn sind, das is ein Wehklagen, das ist ein Jammern – ihr hörts uns bloß nimmer, weils koaner mehr aushoitn dad. I hab Angst. Jetzt tragns die ersten weg. Die wehrn si gar ned. Jetzt tretns es und knüppelns es – und die wehrn si immer no ned. Bleibts mir bloß vom Leib, ich hab eich doch nix getan, wir ham eich alle mitanander doch no nia wos doa, und dabei kanntn wir doch so guat auskumma mitanand, des konn doch ned so schwer sei, wir ghörn doch alle zsamm, wir san doch alle vom selben Schlag.“ Textauszug von Konstantin Weckers Homepage, eine Momentaufnahme…

Bäume klopfen an“Wer klopfet an?” – “Nur ein gar alter Baum.” So war es tatsächlich, in jener vorletzten Adventnacht des letzten Jahres. Und wenn meine Lieblingsnachbarin da unten nicht kurz zuvor gestorben wäre, sie hätte sich dabei wahrscheinlich zu Tode erschreckt. Fast, als ob die uralte Trauerweide extra auf sie Rücksicht genommen und mit dem Umstürzen bis nach ihrem Tod gewartet hätte. Ich erzähl ja schon den Anfang… Wollen wir hier lieber noch einen weiteren Schwerpunkt oder “roten Faden” unseres Nachtfahrtprogramms vorstellen: den völlig zu Unrecht weitgehend in Vergessenheit geratenen Dichter Alois Hergouth. Aus seinem Lyrikband “Umkreisung der Nacht” werden wir im Verlauf dieser Sendung ebenfalls einiges vortragen. Denn sein Werk, an das der wackere Max Oravin hier auf babelsprech.org erinnert, ist wahrhaft weltgültig:

AUCH SO KANN ES SEIN:
wie ein Glas
voll köstlicher Leere
durchstrahlt
von erloschenem Glanz

Bäume schlagen ausAUSBRUCH DES SOMMERS
der schwirrenden Schwüle:

Der Tod
trägt eine Maske aus Gras
Er blüht durch die Augen
treibt Schierling und Wein
und tänzelnde Schlangen

Entschleiert
das Licht im Zenith
Die sirrenden Schwalben

SO WAHR!
So entsetzlich wahr!

‚Bringt Steine
es totzuschlagen!’

‚Bringt Öl!’

 

Nachhören: Beware the Basilisk!

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Thomas Bernhard Sprachlandschaften

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. AprilZur 80sten Niewiederkehr der Salzburger Bücherverbrennung von 1938 (Stichtag ist die Walpurgisnacht) bringen wir heute die SAG-Gruppenlesung “Thomas Bernhard Sprachlandschaften” vom November 2017 zu Gehör. Gründe dafür gibt es mannigfache. So hat die Salzburger Autorengruppe im Jahr 1987 (damals mit Erich Fried gemeinsam) damit begonnen, das Erinnern an diesen geisttötenden Naziaufmarsch dem Vergessen zu entreißen. Auch wir haben dieses Thema immer wieder in Gestalt von Radiosendungen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, so zum 75. Gedenken durch “Stimmen aus dem Massengrab” oder anlässlich der schier ewigwährenden Mahnmal-Zerplanerei durch unser Double-Feature-Projekt “ERINNERN VERGESSEN” vom April 2016.

Thomas Bernhard LandschaftInzwischen ist der hier jahrelang umtriebige Christopher Schmall zum Obmann der SAG gewählt worden – und in dieser Funktion auch für diverse Themenarbeiten mit verantwortlich, wodurch sich Vergangenes und Zukünftiges im Hier und Jetzt wieder begegnen. Das scheint mir auch die Essenz dieser Gruppenlesung zu sein, in der es ja darum geht, einen “toten Dichter” durch die Beschäftigung mit seinem Werk “ins Leben zu schreiben” und so aus dem erstarrten Erinnern an Thomas Bernhard eine fortwährende Zwiesprache herzustellen. Ganz ähnlich hat dies die SAG bereits in der Literaturhaus-Veranstaltung “Salzburg Seelen” (zum Allerseelentag) verwirklicht, in deren Rahmen Christine Haidegger ihre viel zu früh verstorbene Tochter Meta Merz würdigte. Waren hierbei noch alle möglichen “von uns gegangenen” Wortschöpfer_innen Gegenstand der Verbearbeitung, so legten die “Thomas Bernhard Sprachlandschaften” (bei den Kritischen Literaturtagen in der ARGEkultur) den Schwerpunkt ausschließlich auf den prominenten Namensgeber und “wie verschieden sie dann sind“. Denn all die mit-schreibenden und -lesenden Autor_innen befassten sich auf ihre jeweils eigene Art und Weise mit demselben…

Dichter_innen sind nun einmal naturgemäß Zeitreisende, in dem Sinn, dass sie nicht nur Zukünftiges ausdenken, sondern auch Vergangenes erzählen können. Und auch das Wort “Geschichte” hat diese zwei Bedeutungsebenen. Ich behaupte somit, dass “die Geschichte” aus lauter “Geschichten” besteht, andernfalls gäbe es sie gar nicht. Womit wir wiederum bei einer wesentlichen Aufgabe jedweder Dichtkunst angelangt sind: beim Erdenken, Bewahren und Weitergeben von allem, was war, ist und sein könnte, also zusammenfassend – beim Geschichte(n)erzählen! Soviel erstmal dazu.

“Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt.” Karl Kraus

 

COPY RIOT!

 

Hitler? Gott? Somuncu…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. AprilEndlich gibt es mal wieder ein Theater-Skandälchen, am Stadttheater zu Konstanz immerhin, wo justament zum “Gebortstag des Föhrers” die Farce/Groteske “Mein Kampf” von George Tabori Premiere hat, noch dazu in einer gegenwartsnahen Inszenierung des notorischen Kabarett-Rabauken Serdar Somuncu. Den kennen wir ja seit unserer Sendung “Urheber rechts” als todesmutig aus Hitlers schwindligem Original vortragenden Theaterdonnerer, der sich, vor allem durch seine kritischen Kommentare dazu, sechs Jahre lang mit Alt-, Neu- und Möchtegernnazis anlegte. Und nun sollen die Theaterbesucher in Konstanz auch noch Judensterne (wenn sie Eintritt zahlen) oder Hakenkreuz-Armbinden (wenn sie gratis reinkommen) tragen! Ein Skandal, oder?

Serdar Somuncu - Der Adolf in mirIn einer Talkshow des deutschen Fernsehens antwortet Somuncu auf die ewigdämliche Frage: “Was darf Satire?” dann auch folgerichtig mit: “Deine Mutter darf Satire!” Der Mann hat offenbar so seine Geschichte mit der deutschen Verbotskultur. In einem bemerkenswerten ZEIT-Artikel erfahren wir mehr über die Hintergründe: Als der kleine Serdar einst in die erste Volksschulklasse kommen sollte, da wurden sämtliche Kinder mit ausländischen Namen für die Sonderschule ausselektiert. Daraufhin brüllt sein Vater den Schuldirektor an: “Was heißt das? Wir Ausländer nix gut deutsch? Du Arschloch!” – So einen Vater hätten wir wohl alle gern gehabt, als wir mit 6, 7 Jahren zum ersten Mal der grausigen Menschenvernichtungsmaschine namens Abrichtung zur gesellschaftskonformen Anpassung ausgeliefert wurden. (Die “Menschenvernichtungsmaschine”, eine Art Fleischwolf mit Fließbändern zur industriellen Verwurstung von Kindern, zeichnete ich im Alter von etwa 5 Jahren, nachdem ich zum ersten und zum Glück letzten Mal in einem Kindergarten “betreut” worden war. Und ich erachte diesen Eindruck noch heute als absolut zutreffend.) Doch neben prägenden Erlebnissen aus der frühesten Kindheit beleuchtet das ZEIT-Portrait auch die weitere künstlerische Entwicklung:

Denn das Spiel mit dem Indifferenten, das einem das Lachen schon mal im Hals stecken bleiben lässt, diese Inszenierung der Mehrdeutigkeit, die einen unsicher macht, wo man denn eigentlich von vornherein “dazu gehört”, die hat System und Methode – und ist äußerst wirkungsvoll. Hören wir Serdar Somuncu also einmal im Original, bevor wir seine Version eines “immersiven Theaters” von uns weisen…

Nein, ich liebe euch,
und ich schieß nicht gleich,
warum habt denn ihr
so schrecklich Angst vor mir?
Ich bin Mensch und Christ,
und ein Revolver ist
kein Zeichen von Gewalt,
wenn ich ihn halt.

Georg Kreisler – Kapitalistenlied

 

Collide – These Eyes Before

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. April – Das höchst eigenartige Duo Collide aus Kalifornien hat das gegenständliche Album mit Reworks/Coverversionen von einigen unbestreitbaren Größen der Rockgeschichte herausgebracht. Darauf finden sich absolute Klassiker wie Space Oddity von David Bowie, Comfortably Numb von Pink Floyd, I Feel You von Depeche Mode oder Creep von Radiohead. Einige Jahre zuvor haben Collide auch schon White Rabbit von Jefferson Airplane verbearbeitet, eine Interpretation, die wir neben der von Patti Smith immer wieder gern in unseren Perlentaucher-Nachtfahrt-Sendungen einsetzen. Überhaupt finden wir das Konzept der Zweipersonenband sehr ansprechend, geht es dabei doch neben persönlicher Einswerdung auch um die Verschmelzung musikalischer Strömungen und Stile.

Collide“We just wanted to make the kind of music that we wanted to hear.” Dieser Selbstaussage von ihrer im übrigen erfreulich aufgeräumten und übersichtlich strukturierten Homepage können wir naturgemäß nur vollinhaltlich verfallen. Genauso wie der offenbaren Schwierigkeit aller Diplomgenrezuschreiber, ihr musikalisches Schaffen in das eine oder andere Schachterl zu pressen. Von Trip-Hop und Synth-Rock ist etwa die Schreibe, von Electronic, Techno, Industrial oder Gothic oder DarkwaveMuuuuhaha, da derstessen sie sich reihum, die versammelten Gscheitscheißer des kategorischen Definitionismus. Generell ist ja nichts gegen die Beschreibung dessen, was jemand macht, einzuwenden: Leise Lieder zur akustischen Gitarre oder bombastsymphonische Rockmusik mit Flugshow und Feuerwerk – das kann schon einen Unterschied erklären! Auch inhaltlich ließe sich einiges aussagen: Gesellschaftskritische Nachdenkballaden über den Globalisierungsgenozid oder Postmoderner Zitatentsunami zur gefälligen Bewusstseinszerweiterung. Welches Tüterl hättens denn gern? Aber dass es bei all dieser Genrefizierung gar nicht um Selbstwahrnehmung und Sprachphantasie geht, sondern um das gschwinde Gschäft mit der gefälligen Begriffigkeit, das verursacht schon einen gründlichen Kulturkrampf und Zivilisationsbrechreiz. Jedenfalls uns…

“If you’re on the fence on whether or not to pick up a copy for yourself, check out the reviews and decide for yourself.” So heißt es schönerweise bei Collide daheim. Wir können noch eine weitere Art der unmittelbaren Erfahrung anbieten: Gut zuhören!