Das trojanische Pferd

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Dezamber – In Zeiten wie diesen soll man Kriegsgerät verschenken. Außen schön verpackt – und innen voller Verderben. Listenreich! “Timeo Danaos et dona ferentes”, wie der Franzose sagt. Und das bezieht sich nicht nur auf Weihnachten, aber halt schon auch. Denn das mit Freuden Erwartete enthält oft die herbste Enttäuschung. So ist das auch mit Menschen, mit Werbespots oder Regierungen. Hinter dem schönen Schein grinst einem sogleich der Tod entgegen: “Ätsch, das hast du jetzt davon!” Und dabei hat man vor kurzem noch geglaubt… A contracorriente zur immer neuigkeitsgeileren Verbeschleunigung der uns umdudelnden Popschkultur spielen wir NICHT DAS AKTUELLSTE, sondern lieber DAS ALLERERSTE ALBUM dieser so kunstvoll kontroversen Musikkapelle:

Das trojanische PferdDas trojanische Pferd war bereits 2012 mit seinem zweiten Album “Wut und Disziplin” in der ARGE zu Gast, sowie ebenfalls in Gestalt von Hubert Weinheimer zu einem legendären Künstlergespräch bei den Perlentaucher-Nachthasen (also bei uns) verabredet. Dieses unvergessliche Interview brachte in nur 16 Minuten dermaßen viel Hintergrund zum Vorschein, dass es sich nach wie vor als Lehrstück fürs Erfassen des Wesentlichen anbietet. Wir haben es dann noch einmal “destilliert” und fein abgefüllt als 6-teilige trojanische Degustation in unsere Nachtfahrtsendung “Originale Kopien” eingebaut. So geht hintertückisch Einflößen, ihr Chartslöcher! Jedenfalls bietet das Debutalbum mit dem Bandnamen als Titel eine hochprozentige Essenz dessen, was allerweil vom Hechelhaufen der Genreschachterlscheißer (kommerzielle Musikjournalist_innen) als “Chanson-Punk” bezeichnet wurde. Wie drückt es “Sänger und Bombenleger” Hubert Weinheimer in “Fahrstuhlmusik” so trefflich aus? “Ich will nicht, dass mein Kind Scheiße frisst.” Na eben. Dazu noch eine der besten Refrainzeilen aller Zeiten: “Mein Herz schlägt mich innerlich tot.” Dieses Album gehört (immer wieder) gehört.

Danke für diesen Slogan, Wolf Haas. Die Prinzessin auf dem Erbe. Urerbsenrecht! Doch genug des Selbstreferenziellen und zurück zu den darbietenden Künstlern. Die haben nämlich verstanden, was die ursächliche Ansage des Punk als Kunstform bedeuten kann: Nimm alles, was du willst, vom Müllhaufen der Geschichte (also auch gehört Gehörtes) und mach daraus dein ganz eigenes Ding. Und nicht: Hupf herum als Folklorekasperl und mach alles nach, was dir die Genreschachterlfüller Hinz und Kunz für richtigrum erklären. Machs NICHT richtig, mach DEIN Original!

Das gegenständliche Debutalbum gibts im übrigen auch hier als Free Download.

 

Auf der Suche nach dem Licht

> Sendung(en): Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Dezember Teil 1 sowie ebenfalls Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Dezember Teil 2 – Seit sieben Jahren ist es nun schon Tradition, dass wir uns inmitten der finsteren Jahreszeit mit dem Licht beschäftigen. Ganz so wie unsere Ursassen schon vor Jahrtausenden der Wintersonnenwende eine besondere Bedeutung beimaßen, weil die Schrecken des Eises und der Finsternis immer wieder aufs Neue die Fruchtbarkeit der Natur und somit das menschliche Überleben in Frage stellten. In weiterer Folge bemächtigte sich dann das Christentum in seiner Theologie von Tod und Auferstehung dieser Mythen und Motive vom wiederkehrenden Werden und Vergehen, um uns mit allerlei alpenländischem Volksbrauchtum zuzuscheißen. Doch Adventmarkt hin oder her, bei uns sitzt nicht nur Maria am Empfängnisgerät – wir sind die Weihnachtshasen!

Licht 1Dabei bietet das Gegensatzpaar mit dem Licht auch noch andere Assoziationen als die üblichen. Generalverdunkelung etwa, ein gesellschaftskritischer Begriff von Jochen Malmsheimer. Oder aber wie es Bertolt Brecht formulierte: Denn die einen sind im Dunkeln
und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte,
die im Dunkeln sieht man nicht.

Licht 2Hofft eigentlich heute noch wer auf sowas wie eine flächendeckende Volkserleuchtung? Oder befinden wir uns inzwischen alle im Zeitalter individualisierter Erkenntnis? In dem uns zwar noch gelegentlich ein Licht aufgeht, wir aber nicht mehr bemerken, dass wir längst Teil einer perfickten Weihnachtsdekoration sind? So muss Weltherrschaft!” Und der Letzte macht das Licht aus.

Licht im DunkelWir zelebrieren unser alljährliches Überlebenstraining für die stillste Zeit im Jahr auch heuer wieder mit spontan ausgewählten Musik- und Textbeiträgen, welche sich unserer christlich-abendlänglichen Kultur sowohl stimmungsvoll annähern, als diese auch herzhaft verzweifelnd ad absurdum führen. Quod erat Brimborium oder Bimbes non olet, wie einst der Birnenförmige sagte.

Licht am EndeNichtsdestodessen oder aber auch hinwiedertrotz: Frieden auf Erden und den Menschenähnlichen was Nettes ohne Konsumzwang. Freie Medien bieten auch die Möglichkeit, seine Perlen mal so richtig vor die Säue zu werfen. Und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ruft nicht zum heldenhaften Helfen auf, sondern zum sich Hineinversetzen in die Lage des Bedürftigen. Amen.

 

Charles Janko Nachruf

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. NovemberSchuld ist wie so oft der Berlinsalzburger Schriftsteller Peter Hodina, dem wir die überaus inspirierende Begegnung mit Charles Janko ursächlich verdanken. Denn am 27. 2. 2015 fand in Alrun Pachers literarischem Salon eine feine Zweierlesung von Peter Hodina und Christopher Schmall statt, welche der inzwischen völlig zu Unrecht verstorbene Charles mit meisterlichen Klavierimprovisationen umrahmte. Doch dieser ebenso banale wie hier angebracht erscheinende Begriff wird seiner tatsächlich ausgeübten Kunstfertigkeit eigentlich überhaupt nicht gerecht. Statt auf so eine rein äußerliche Funktions-Zuschreibung sollte sich unser Augen- und Ohrenmerk doch viel mehr auf die innere Haltung von Charles‘ spontan-kreativem Musikausdruck richten.

Charles Janko Literaturhaus Salzburg Nov 2016Erzählen wir die Geschichte: Während das Publikum den Lesenden andächtig lauschte, saß Charles meditativ in sich versunken am Flügel, um in den Pausen augenblicklich zu seiner ganz eigenen Verdichtung der zuvor offenbar gesammelten Eindrücke anzuheben. Und was er da improvisierend wiedergab, war nicht einfach nur Begleitung, Behübschung, tonale Garnierung – nein, es war in höchstem Maß die erweiternde Teilwerdung am Moment des Geschehens, eine nachgerade organische Verganzheitlichung dessen, was rund um ihn im Hier und Jetzt vor sich (und bestimmt auch durch ihn hindurch) ging. Wollen wir das aber nicht verkehrt verstehen: Die dargebotenen Texte an sich waren schon ganz, deren Vortrag in Resonanz mit dem Publikum erst recht, die ganze Inszenierung dieses Literarischen Salons sowieso, alles war ganz und gar ganz (im Sinn von vollkommen). Und doch – wenn Charles‘ Musik nicht hinzu gekommen wäre, hätte der gesamten Darbietung etwas gefehlt. Was wiederum nur dadurch erkennbar wurde, dass er sie spielte! Mich erinnerte dieses Geschehen an Gefühlseindrücke, die ich vor Jahren beim gemeinsamen Hören von Keith Jarretts “The Köln Concert” gehabt hatte, und eben darauf sprach ich ihn (nach dem Ende der Veranstaltung) an. Es entspann sich sofort eine derart befreiende, einfühlsame, weltoffene Unterhaltung, dass sich nur eins sagen lässt: Charles Janko war ein Mensch, der ganz in seiner Kunst lebte.

Ausgehend davon kam es auch dazu, dass sich Charles im November 2016 bereit erklärte, “auf splitterwegen und zerbrochener zeit”, die Geburtstagslesung von Chriss im Literaturhaus Salzburg, kongenial musikalisch zu “illustrieren”. Davon haben wir eine recht improvisierte Aufnahme hergestellt, bei der man die Lesenden trinken und tuscheln hört, ganz im Sinn einer spontan-assoziativen Gesamtkunst. Jetzt gibts diese “Charles Janko Literaturhaus-Improvisationen” zum Nachhören.

“Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.”  Bertolt Brecht

 

Kritische Literaturtage

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. November“Ich hegte die Hoffnung, dass es Hoffnung gibt.” Dieses Zitat stammt zwar von keinem toten Dichter, sondern aus der deutschen Synchronfassung des Actionfilms “The Rock”, dafür passt es aber zur derzeitigen Situation von engagierten Verlagen und kritischen Leser_innen wie der sprichwörtliche Faust aufs Auge. Oder wie der Kern in den Pudel. Weil nämlich Sean Connery damit die Frage beantwortet, wie er überhaupt jahrelang als Gefangener eines korrupten Systems überleben konnte. Womit wir ebenfalls beim Kern dessen angelangt sind, was demnächst als Kritische Literaturtage 2017 in der ARGEkultur stattfindet. Und bei Christian Lorenz Müller, der diese ambitionierte Veranstaltung hier in Salzburg mitveranstalten wird – und der uns so einiges über deren Hintergründe berichten kann.

Der kritische BlickLiteraturkritik hat eben mehr mit Holzspalten zu tun als mit nerviger Besserwisserei. Das altgriechische Wort κρίνω bietet uns hierbei eine Vielzahl von Bedeutungsnuancen wie etwa “trennen, sichten, deuten, auslegen, urteilen, unterscheiden” . Eine kritische Haltung zu haben gegenüber der Welt und auch ihrer Literatur muss nicht zwangsläufig bedeuten, das Kind mitsamt dem Bad auszuschütten, bloß weil einem das irgendwer irgendwann einmal eingesagt hat. Wer sich im Wald der Worte ein Haus baut, weiß ja wohl selbst am besten, was dafür brauchbar ist – und was nicht. Worte wegwerfen oder Perlen vor die Säue? Inwieweit ist so eine alternative Buchmesse auch wieder nur ein Tropfen auf den heißen Stein der kommerziellen Gleichförmigkeit – oder eben doch eine notwendige Ergänzung zum Mainstream des Verlagswesens? To be or not to be, that is the Zerquetschen!

Das Programm dieser etwas sehr anderen Präsentation von über 40 Verlagen und Autor_innen bietet dicht gedrängt ebenso Bekanntes (Fritz Messner, Elias Hirschl) wie auch Entlegenes zum Wieder- oder Neuentdecken. Wir beleuchten in unserer Sendung speziell die “Thomas Bernhard Sprachlandschaften” der SAG und das dieser Arbeit zugrunde liegende Konzept “ins Leben schreiben”. Der “über alle Maßen kritische Salzburgdichter” ist für uns nämlich der ideale Schirmherr jeden kritischen Denkens.

Abgesehen davon lasst euch halt überraschen, wir wollen für nichts garantieren

 

Audiowastecooking

> Sendung: Artarium am Sonntag, 12. NovemberSeit 14:92 Uhr wird jetzt zurück entdeckt! Und seit 15:17 Uhr wird jetzt zurück gethesenanschlagt! 500 Jahre oder 500 Sendungen, Jubiläum hin oder her – wir lassen ungern was verkommen – von dem, was die Kulturgeschichte (geh bitte, ich brunz mich an vor Lachen!) uns an die Ufer des Bewusstseins schwemmt. Auch unter jenen Musikalien, die wir in vielen unserer Sendungen aus Gründen der Spontanität nicht mehr unterbringen konnten und die wir nur allzu gern noch gespielt hätten, finden sich appetitliche Überbleibsel, um die es schlicht zu schade wäre, wenn sie so ganz und gar ungehört verblieben. Daher gibts diesmal “Das ganze Album” zur selbstkreativen Resteverwertung – aus immerhin einer Hand voll “übriggebliebener” Songs und Sounds der Sendungsgeschichte.

AudiowastecookingNun ist ja “Wastecooking” an sich schon eine schöne Wortschöpfung, und ihre artivistische Auslegung durch den Koch- und Filmkünstler David Groß eine hoch ästhetische Ansage (die das Dumpstertum aus seinem Prekariats-Schmuddeleck befreit), aber im Hindenken an ein Hörperlenbuffet aus unberührten Ohrköstlichkeiten MUSS soo ein schöner Begriff geradezu erweitert werden – ins Audiowastecooking! Und deshalb lasst euch überraschen von unserem mehrgängigen Menü zum Hirnhören und Genießen. Nachdem wir ja naturgemäß zur Stunde noch nicht wissen können, was wir an klanglichem Rohmaterial in den Untiefen der Archive aufstöbern werden, seien hier auch weder Interpret_innen noch Songtitel angekündigt. Doch wer uns kennt, weiß längst, wie sich unsere Geschmäcker in ihrer Kombination auswirken: Immer wieder neu zu entdeckende Verbindungen aus Unerhört und Altvertraut bewirken feine Klang-Farben-Harmonien zum Kauen und Verdauen. In diesen Sinnen – “Besten Appetit beim Audiowastecooking-Festbeschmausen!”

Wir sind ein geiles Institut.

 

Der Club der Totendichter

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. November – Den Film, der diesem Titel Pate stand, setzen wir als weithin bekannt voraus. Es ist natürlich “Der Club der toten Dichter” mit Robin Williams aus dem Jahr 1989, im englischen Original “Dead Poets Society”. Darin geht es um die Vermittlung des Gedankenguts längst verstorbener Lyriker an eine Gruppe jugendlicher Schüler – sowie um die teils heftigen Auswirkungen dieses Umstands auf deren tatsächliches Leben. Und es ist ja wohl auch so, dass unsere Sendungen immer wieder der Würdigung verstorbener Dichtkünstler (und -innen!) gewidmet sind, über Genres und Generationen hinweg. Doch bevor jetzt alle auf den Tisch steigen und laut “O Captain, mein Captain!” rufen, wollen wir noch etwas zur genaueren Unterscheidung unseres Projekts anmerken:

Der Club der Totendichter“Salzburg war stets eine Stadt der Kunst. Vielen Literat*innen war sie Schreibmittelpunkt und Zuhause, Reibfläche und Experimentierlabor. Vom Mönch von Salzburg über Georg Trakl bis hin zu Dirk Ofner – die Mozartstadt war und ist voller Poesie! Darum griffen AutorInnen der SAG zur bildlichen Feder und Tinte und verfassten Texte zu den ihnen wesentlichen verstorbenen Kolleg*innen; um ihrer nicht bloß zu gedenken, sondern sie vielmehr wieder ins Leben zu schreiben und zu zeigen, dass Sprache unsterblich ist.” So stand es in der Ankündigung von Salzburg Seelen”, einer jahreszeitlich höchst passenden Veranstaltung der Salzburger AutorInnenGruppe am heurigen Allerseelentag. Und genau dieses “wieder ins Leben schreiben” zieht sich wie ein roter Faden durch unser Radioschaffen, wiewohl erweitert zu einem “wieder ins Leben spielen”, tummeln sich doch in unserem Gehörtheater noch viele weitere Gestalten der Dicht- und Ausdruckskunst als immer nur die üblichen Verdächtigen.

Der Untoten DichterEs gibt ja eine Unmenge an Wortspielen zu dem eingangs erwähnten Filmtitel. Der Club der dichten Toten zum Beispiel oder der Club der Dodeldichter. Wäre es da also nicht viel zu deprimierend, uns einzig auf Totendichter zu reduzieren? Und was könnte so ein “ins Leben dichten” von Verstorbenen wirklich bewirken, einmal abgesehen von musealer Andacht, von mausoläischem Brumpf? Dass die Toten eben auch wiederum nicht tot sind, wenn sie nur von einem wahren Totendichter wieder zum Leben gebracht werden, indem dieser (oder diese, geh bitte!) sie ins gegewärtige Schaffen aufnimmt. Es geht uns immer ums Inspiriertwerden des eigenen Gestaltens durch all jene, deren Aussagen und Darbietungsformen wir als mit unseren eigenen Anliegen “übereinstimmig” erkennen, egal ob sie noch leben oder schon tot sind. “Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.” – so sagte es Bertolt Brecht. Und im Talmud heißt es: “Ein Mensch ist erst dann vergessen, wenn sein Name vergessen ist.” Was absichtsvoll auch als Motto der Hörstolpersteine dient, an deren Gestaltung die Radiofabrik in erheblichem Ausmaß mitgewirkt hat. Eine weitere Form, Verstorbene “wieder ins Leben zu bringen”, sich mit ihnen zu verbinden.

Der vielen Totendichter LichterEs ist einfach wesentlich, bei der Auswahl seiner Anregungen nicht auf Aktualität, Marktwert oder Reichweite zu achten. Und schon gar nicht auf Leben oder Tod. Vielmehr davon zu schreiben, zu singen und zu spielen, was einen zutiefst innerlich anrührt. Wer könnte ein besseres Beispiel dafür sein als Thomas Bernhard, mit dem wir uns bei COPY RIOT als Verlebendigungs-Performance im gegenständlichen Sinn verbunden haben? Wer wäre zudem ein besserer Pate für die Kritischen Literaturtage, die heuer vom 24. bis 26. November in der ARGE stattfinden? Und so nimmt es nicht wunder, dass die löblichen Mitstreiter_innen von der SAG sich bei ihrer Lesung auf diesen “vehementesten Gesellschaftskritiker” beziehen. Oder dass im Titelbild ihrer Einladung (KunstQuartier) Bezüge zum Autor wie auch zum Thema auftauchen: Thomas Bernhard – Sprachlandschaften (24. 11. um 19 Uhr)

Hier schließt sich der Kreis, ich weiß einen Scheiß – und das ist der Preis…

 

Jazz erst recht

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Oktober – Unlängst – oder war es neulich – wurde auf 3sat der saugute Dokumentarfilm “Der Preis der Anna-Lena Schnabel” gezeigt. Und dadurch wurden wir schon wieder einmal in die – zugegeben eigenartige – Welt des Jazz hineingesaugt. Denn das rundum gelungene Filmportrait bietet nicht nur eine höchst zugängliche Darstellung des inneren wie äußeren Werdegangs der jungen Solistin (Saxophon, Querflöte), sondern auch erschreckende Einblicke in die Gepflogenheiten der Musikindustrie sowie in den peinlichen Eiertanz der öffentlich rechtlichen Sender zwischen Bildungsauftrag und Massengeschmack. Alles weitere dazu lässt sich in diesem erfrischend spitzzüngigen Artikel von Ulrich Stock nachlesen. Jazz ist also ein Minderheitenprogramm. Doch findet er im Freien Radio genug Platz?

jazz erst recht professor kerschekZur näheren Beleuchtung dieser Umstände haben wir den Radiofabrik- Musikredakteur und ausgewiesenen Jazzdoktor Nikolaj Fuchs ins Studio eingeladen. Und gemeinsam mit ihm wollen wir die diesbezügliche “Luft nach oben” einmal versuchsweise ausloten. Dem Thema entsprechend spielen wir dieses Mal ausnahmslos Virtuos_innen der etwas anderen Blasmusik, und zwar Herbert Könighofer mit K3, Anna-Lena Schnabel und ihr Quartett, den Soundrevolutionär Nils Petter Molvaer sowie Ian Anderson (von Jethro Tull) auf seiner legendär queren Flüüte, ein lebendes Relikt jener höchst ungrauen Vorzeit, in der die Musikgenres noch viel einträchtiger beisammen wohnten als dies heutigentags marktkonform zu sein hat. Viel Harmonie!

Es sei unserem Publikum hier nicht vorenthalten, wie der im eingangs erwähnten Film kritisierte NDR reagiert. Darauf kann man sich einen Reim machen – oder auch nicht. Ein gewisser medienpolitischer Nachgeschmack (wie von allerlei Wahlkrämpfen her) bleibt im Abgang haften. Irgendwie metallisch, so zwischen Kleingeist und Kleingeld. Wir jedenfalls finden die Zweckzwangsjacke merkantiler Verbenutzbarkeit scheiße.

Stattdessen wollen wir Projekte wie die Radiofabrik-Jazznacht weiter ausbauen, und setzen in dem Zusammenhang auf die Unterstützung unserer Hörer_innen, die das Freie Radio beim Wort nehmen – und selbst produzieren, was sie gern hören wollen.

Wir sind nämlich ein geiles Institut.

 

Bist du moped

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Oktober – Wir haben die Wahl überstanden, mit einem weinenden und einem blauen Auge. Und mit ganz viel Humor, den braucht man grad jetzt wie einen Bissen Moped. Die nämlichen Gebrüder waren sogleich als Kommentatoren des austriakischen Volksaufstoßens im ARD-Morgenmagazin zu erleben, was dem hierorts stattgehabten Kasperltheater durchaus gerecht wurde. Auch ihre satirischen “Wahlplakate, die fehlen wie ein Bissen Brot” wurden dadurch einer um diese Uhrzeit gewiss ziemlich breiten Öffentlichkeit bekannt. Auf die Frage, was sie dem Wahlsieger jetzt empfehlen, kam reflexhaft die Antwort Stimmbruch”. Da wurde mir schlagartig bewusst, welch hohe Kunnst es erfordert, die Wirklichkeit (im Brecht’schen Sinn) bis zu ihrer Kenntlichkeit zu entstellen. Herzliche Glückwurst!

Bist du mopedWobei, manchmal besorgts einem die Wirklichkeit selbst, wie diese Momentaufnahme des Wahlabends illustriert, welche hier auch nicht weiter kommentiert werden muss. Die Realitäter entlarven sich ja selbst und ringsum gegenseitig. Was nichts daran ändert, dass man mitunter doch ein Schauferl Satire nachlegen muss, um das eh schon Offensichtliche noch zu verdichten. An die AfD-geschockte deutsche Politlandschaft: “13 Prozent Rechtspopulisten – das wäre in Österreich der reinste Linksruck.” Und erst das geniale Video “Sebastian” mit dem Refrain “Ich will ein Kind von dir!” Dort heißt es: “Die inhaltliche Linie kann ich ihnen sagen – der erste Punkt ist Sebastian Kurz…” Die Gebrüder Moped kann man einfach nur liebhaben. Wir werden einiges von ihnen zu Gebräu bringen, bevor uns das Ohrenlicht ausgeht. Apropos, naturgemäß haben die Nebenwirkungen dieser Nationalratswahl (fragen sie doch ihren Wahlarzt) gerade auch bei uns ihre seelischen Spuren hinterlassen, weshalb wir versuchen, dagegen im Sinne erfolgreicher Verdauung anzudichten. Dazu haben wir den legendären Fred Sinowatz ausgegraben, weil ja oft alles noch viel komplizierter ist, als man es jemals nicht erklären kann…

WARNHINWEIS: Die Sendung enthält Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, wodurch humorallergischen Person_innen das Lachen im Hals stecken bleiben kann. Wie heißt es bei Apocalypse Now: “Das Grün ist gegangen – der Schmerz bleibt.”

 

Unendlichkeitsversuch

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Oktober – Diese wunderschöne Wortanstiftung soll Anlass dafür sein, wieder mal etwas über unser Sendungskonzept auszusagen, verkörpert sie doch mit sich selbst genau jenen Unendlichkeitsversuch, den wir allmonatlich unternehmen – und der wir auch sind! Lässt man sich diesen Begriff sozusagen auf der Seele zergehen, dann schillert er sogleich in den verschiedensten Farbenund Bedeutungsnuancen. Ähnliches versuchen wir ja auch jedesmal mit unseren vielschichtigen Freitagnachtcollagen auszulösen. Deshalb passen sie auch nicht wirklich in irgendein Genreschachterl. Kommunikationswissensgschaftliche Formatradiozuschreibungskategorien haben in unseren Phantasieweltbildern sowieso überhaupt nichts zu suchen. Pfuigack!

RauchpauseDabei gibt es schon Hintergründe, die hier erhellt werden können: Zum einen der Ausstrahlungstermin in der Nacht von Freitag auf Samstag, wo zumeist eher fortgegangen als daheimgeblieben wird. Und zum anderen die erklärte Absicht, just zu dieser Partynacht der Jungnation definitiv KEIN für irgendein Festl hintergrundtaugliches Hullatrulla zu produzieren. Folglich richten sich unsere Schwebwelten eher an den einzelnen Kopf von inmitten des Jubeltrubels Alleinseienden. Was nicht heißt, dass sie nicht auch gemeinschaftlich zu genießen wären. Wir halten damit eine der Grundideen unseres Freien Radios hoch, dass es nämlich nicht darum geht, immer noch mehr Publikum zu erreichen, indem man auf Durchschnitt und Üblichkeit abzielt, sondern darum, dass vor allem das Eigenartige, das etwas Andere wie das sehr Spezielle seinen prominenten Platz haben muss. So erreichen wir in dieser ersten Wochenendnacht zum Beispiel Menschen, die gerade im Auto unterwegs sind, krank zu Hause liegen, genüsslich in der Badewanne knotzen, sich sonstwie verkrochen haben, die zu alt oder zu jung sind fürs Geschubse ums Bierhäusl, einfach Menschen, und denen sagt das was…

UnendlichkeitsversuchUnd so stiften wir unsichtbare Verbindungen zwischen vielen Molekülen in einem Germteig der Gesellschaft, bilden wir ein Myzel zwischen den zahllosen vereinzelt erscheinenden Schwammerln, die ja doch allesamt das große Ganze des Lebens sind. Darüber hinaus sprechen wir mit unserer äußerst weit gespannten Musikauswahl auch möglichst unterschiedliche Einzelgeschmäcker an, so dass gleichermaßen Wiedererkennen wie Neuentdecken über einen längeren Zeitraum des Zuhörens hinweg stattfinden kann. Des weiteren ermöglichen unsere immer live und spontan zu allen möglichen Themen stattfindenden Zwischengespräche sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Wie ebenfalls die mit Bedacht eingestreuten Statements und Zitate von Gastautor_innen, die zusätzlich das Gehirn massieren und so unweigerlich zum Denken anstiften. Ganz zu schweigen von unserer Sendungsdramaturgie, die sich stimmungsabhängig in die eine oder andere Richtung entwickelt, je nach dem… Doch das sind auch nur die ohrenfälligsten der vielen Schichten, die wir seit fast sieben Jahren zu immer neuen Nachtfahrten verweben. Ein echter Unendlichkeitsversuch.