Battle&Hum#150

Samstag 17.05.2025 (Stairway zum Nachhören)

Ein Hochamt der Hämmer und Ambosse, erschaudert ihr Bonzen!

 

MC Randy Andy’s Feiertagszuschlag:

  1. Pete Seeger (single) – the hammer song (if I had a hammer)
  2. Jan Böhmermann und der Chor der Scheinselbstständigen (single) – wir sind versandsoldaten
  3. Maasnbriada (legendenstatus 3) – feiertog
  4. Viech (vollmond) – schiebt euch eure wettbewerbsfähigkeit in den arsch

 

DJ Ridi Mama’s Nachtzulage:

  1. Joe Glazer (songs oft he wobblies) – workingmen unite
  2. Dolly Parton (9 to 5 and odd jobs) – 9 to 5
  3. Blur (parklife) – bank holiday
  4. Bibiza (wiener schikeria) – stadtpark insomnia

 

„The woman workers needs bread, but she needs roses too.“ (Rose Schneiderman)

 

 

Zur Abstimmung folget dem LINK!

 

Rings und Lechz

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Mai – – Ernst Jandl hat die Frage nach der Unterscheidbarkeit von Links und Rechts einmal mit folgendem Gedicht beantwortet: “manche meinen, rinks und lechts sind schwel zu velwechsern. werch ein illtum!” Und dem wäre nun auch wirklich nichts mehr hinzuzufügen, wenn die Frage nach Links und/oder Rechts sowie der ganze Wahnsinn (nicht nur der Sprache) sich nicht doch immer wieder aufdrängte und nach einem eigenen Standpunkt verlangte. Ich zum Beispiel habe vor Jahren, angespürs der mich umflutenden Verhältnisse, die ein von der Norm abweichendes Leben mit aller Gewalt zu verhindern trachten, jenes Gedicht in meine Situation übersetzt und quasi weiter gejandlt: “Verzweifelt blick ich rings und lechz – nur Angepasste links und rechts.” Sogar ein Schüttelreim, schau her …

Rings und LechzNun haben einige wackere Streiter für das Gute, Wahre und Schöne (sand de Buam ned fesch?) aus der Radiofabrik zu Salzburg eine sehr unsalzburgische Veranstaltung an Land gezogen, und zwar “NORMAL – Eine Besichtigung des Wahns” von und mit Thomas Ebermann, Thorsten Mense und Flo Thamer. Und dankenswerterweise gleich als szenische Lesung ins Literaturhaus gebracht, wo dieses satirisch und multimedial gesellschaftskritische Programm mit dem Untertitel “Ein Abend gegen Irrationalismus und instrumentelle Vernunft” am Donnerstag, 22. Mai um 19 Uhr stattfinden wird. Sowas dürfen wir uns nicht entgehen lassen, zumal die unglaublich dichte, dabei zugleich weise und witzige Machart des Vorgängerprogramms “Heimat – Eine Besichtigung des Grauens” nicht nur persönliche Erkenntnis (mit bewusstseinserweiternder Wucht) verspricht, sondern eben auch rings im Publikum alles andere als angepasste, gleichförmige, ignorante und sonstwie hässliche, abtörnende Menschen erwarten lässt. Ringsund Lechz!

Gestern hab ich mir die ganze zweieinhalbstündige Heimatveranstaltung reingetan. Im ersten Teil bin ich verdauungsbedingt kurz weggedöst, nur um dann kurz vor der Pause mitten in einer ungemein dichten Text- und Bildcollage beim Thema “Heimat ist ein zutiefst faschistischer Kampfbegriff” im wahrsten Wortsinn hochzuschrecken und meiner Nazifamiliengeschichte zwischen Heimatwerk und Heimatkunde wieder zu begegnen. Verstörend! Und wenn wir den Bogen zu “normal” spannen, landen wir bei Bedeutungen wie “der Vorschrift entsprechend” aber auch “geistig gesund”

 

Der Wahnsinn der Normalität

 

Hit Me Hard and Soft

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Mai – Heute begeben wir uns in ein noch nie zuvor gewagtes Experiment: Wir spielen ein ganzes Album, und zwar “Hit Me Hard and Soft”, das aktuelle Werk von Billie Eilish, das bei uns beiden doch einigermaßen unterschiedliche Gefühlsreaktionen hervorgerufen hat. Und außerdem auf unserer konsumismuskritischen Grundeinstellung ambivalent flirrend herumtanzt wie ein zutiefst liebenswerter Andenkenstandler im allerfürchterlichsten Souvenirshop des Weltmarktwahnsinns. Einigen wir uns auf einen gemeinsamen Blickwinkel: Das popkulturelle Phänomen oder die Kunstperson als schillernde Figur, auf die jeder/jede/jedes auch wirklich jegliches projizieren kann, was möglicherweise kaum erkannt in uns allen schlummert und unbewusst längst feuchtfröhlich in uns umgeht.

Billie Eilish - Hit Me Hard and SoftDenn die sympathische Seite der globalen Merchandiselerin ist ihre Ab- und Hintergründigkeit, mit der sie den allzu platten Bedeutungs- und Zuordnungsmechanismen in immer neuen Selbsterfindungen entkommt, eine Kunnst, die auch wir nur allzu gern anwenden oder die wir uns immerhin sehnlichst herbei wünschen. Grund genug, unsere unterschiedlichen Gefühle “auf einander los zu lassen” und dabei völlig ungeplant zu erleben, was geschiehthard and soft

“She’s the headlights, I’m the deer”

wiedereinmal dieses zaubermächtige gefühl, mit wucht und völlig ungeplant erfasst zu werden, fast schon umgerissen, von musik, von klangkunst, die mich mit jeder neuen wendung weiter in so vertraut-eigensinnliche sphären beamt, dass ich zu schwingen und vibrieren beginne : HIT ME HARD AND SOFT trifft mich hartzart, traumklar, lebhaft-still : nimmt mich in den arm und wirft mich ins weite oder ich sinke hinauf zu den gipfeln der see, in die wolkenschluchten, dort weiß ich dich tanzen, dort sind wir uns nahrung, öffnen wir uns wie türen : wie viele türen im inneren, im zwischen, zwischen uns, zwischen uns und dem schwirrenden glück? sind wildblumenwiesen, wenn wir wollen und gleichgefiedert im freien hall, im heilenden fall ins blau der augen des drachen, in angst und verzweiflung, doch wir scheuen nicht zurück : fühlt sich an wie sterben : fühlt sich wie liebe an : fühle dann nichts mehr oder denke das nur : fühle mich hundertfach im raum und sehe mich hundertfach im raum fühlen, wie ich hundertfach im raum sehe, was ich kaum zu fühlen bereit bin, aber ich vertraue – auf was oder wen? auf dich? mich? unsere liebe? aufs vertrauen? den zufall? auf den ominösen fluss des lebens? fuck it! eh wurscht! egal was mich bei verstand hält oder mir mut gibt weiterzumachen, zuversicht, es quillt aus mir : ich quelle aus mir und verwandle, was auch immer an zerbrochenem, verletztem, abgespaltenem oder eingepflanztem durchs gedärm wuselt : du, schmetterling, du, was kannst du uns von der leere erzählen? liebst du die sonne, so wie ich? und das meer? hinterlässt du abdrücke im sand? lügt der wind, hier, am kap, wo mich jede*r kennt? mein gesicht auf den globus gepinselt als wäre ich mehr als ich weiß, dass ich sein könnte : und größer : das größte ich, das ich sein möchte?

“Did I cross the line?”

Billie Eilish, in erneuter zusammenarbeit mit ihrem bruder FINNEAS, ist ein herrlich vielseitiges und musikalisch anspruchsvolles album gelungen, das durch die detailverliebte produktion der soundstimmstimmungsschichten besticht, aber mit den texten, die verschiedenste facetten von liebe thematisieren, die wunderschönen, lustvollen und glücklichen, wie auch die abgrundtief schmerzenden, gewaltvollen, übergriffigen, verlogenen und obsessiven seiten, noch dieses eine besondere, etwas andere gewürz beinhaltet, durch das es zu einem herausragenden werk wird :
Billie Eilish ist eine ungewöhnliche persönlichkeit in der pop-maschinerie, die sie gekonnt zu bedienen gelernt hat und gleichzeitig mit ihrer unverstellten, eigenwilligen art fast ad absurdum führt : sie ist und bleibt sie selbst, mit ecken und kanten und dunkelheiten und leerstellen : wie wir alle

 

Hit Me Hard and Soft (Deutschlandfunkkultur)

 

Sendung 4: Von weißen Kaninchen und Jefferson Airplane

Jefferson Airplane hatte ich lange nicht mehr gehört. Umso erfreulicher, nun wieder einmal in das Werk der führenden Band des psychedelic rock einzutauchen. Mit „White Rabbit“ startet die vierte Literarische Stunde aus der Radiofabrik. Ein song voller Sujets aus dem Buch, auf das es sich bezieht: „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll, erschienen 1865.

Das Buch erzählt die Geschichte von Alice, die einem weißen Kaninchen in seinen Bau folgt und in eine fantastische Welt abtaucht. Viele von uns erinnern sich vielleicht an die skurrilen Figuren wie den verrückten Hutmacher, die Grinsekatze und die verrückte Kartenkönigin. Während ihrer Reise wächst und schrumpft Alice durch magische Speisen und Getränke und hier kommt auch schon der „psychedelic rock“ ins Spiel. In den 1960er Jahren wurde das Buch von der psychedelischen Szene gefeiert, weil man in diesen Speisen eine Parallele zu Pilzen mit psychedelischer Wirkung sah. Dabei wird das Werk neben seiner ursprünglichen Bedeutung als unterhaltsames Kinderbuch durchaus auch als Kritik an Autoritäten verstanden. All die Figuren, die die sinnlose Regeln aufstellen, wie zum Beispiel die Herzkönigin, können auch als Parodie auf die strengen viktorianische Autoritäten gedeutet werden.

Jefferson Airplane jedenfalls landete mit „White Rabbit“ eine Hit, der es als einer der wenigen Songs der Band in die Charts schaffte. Erschienen ist „White Rabbit“ 1967 auf der LP Surrealistic Pillow.

Mein Studiogast erzählt vom Traumberuf Bibliothekarin und wie man eine Gemeindebibliothek zum Ort der Begegnung machen kann. Ihr Musikwunsch katapultiert mich direkt in meine Jugend zurück und wir schwärmen von denselben Büchern.

Zum Abschlusssong könnte ich noch eine ganze Stunde sprechen, doch leider ist die Zeit vorbei. Deep Purples „When A Blind Man Cries”, erschienen 1972, splittet die eingeschworene Deep Purple Community immer noch klar in das Gillan- und Blackmore-Lager. Ja, wenn wir Alt Rocker einmal anfangen, über Stücke zu diskutieren, dann bleibt kein Auge trocken. Fakt ist aber, dass dieses Juwel der 1970er anfangs kaum live gespielt wurde, weil Ritchie Blackmore den Song nicht mochte. Befindlichkeiten halt.

Später wurde der Song zu einem Fan-Favoriten und von anderen Bandmitgliedern oft gespielt, und das nicht nur zusammen mit Deep Purple. Ich gestehe feierlich, ich zähle mich zur Gillan-Fraktion.

 
Songs
Jefferson Airplane „White Rabbit“
Jefferson Airplane „Somebody to Love“
Bad Company „Don’t let me down”
Bruce Springsteen „Thunder Road“
Herbert Grönemeyer „Ich Hab‘ Dich Lieb“
Adele „Set fire to the rain”
Deep Purple „When A Blind Man Cries”

Studiogast
Rotraud Butschek, Leiterin der Bibliothek Walserfeld

Linktipp
Die Bibliothek Wals-Siezenheim: https://www.wals-siezenheim.at/Bibliothek_Walserfeld

Unzerstörbar

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. April – Und wieder einmal jährt sich (am 30. April) die Salzburger Bücherverbrennung. Nachdem wir dieses uns immer wieder sprachlosmachende Thema von verschiedenen Seiten her angeleuchtet haben, wollen wir heute einmal in die Gegenwart schwenken. Denn auch in unserer Zeit tobt ein unerbittlicher Kulturkampf ums Zugänglichmachen oder Verschwindenlassen von geistigen Inhalten, wie sie eben in Büchern (und anderen Medien) aufbewahrt sind. So erleben wir etwa in den USA ein zunehmend fanatisiertes Aussortieren von für manche Kreise “unerwünschten” Themen aus vornehmlich Schul-Bibliotheken. Im Video “The Unburnable Book” mit Margaret Atwood werdem derlei Praktiken sowie mögliche Gegenmaßnahmen erörtert. Genau, unzerstörbar muss es sein

UnzerstörbarUnd unzerstörbar ist es auch – das Überleben. Wenn wir bedenken, wie Trauma entsteht und wie sich unser “Feststecken” in den natürlichen Reaktionen darauf (Flucht, Kampf, Totstellen) wieder auflösen ließe, dann geraten wir unweigerlich in einen Bereich unseres Daseins, der weder durch analytisches Denken noch durch Sprache, wie wir sie kennen, aufgedeckt werden kann. Manche nennen diese Dimension und das, was sich in ihr abspielt, die “Weisheit des Überlebens”, die im Gedächtnis unserer Körper abgespeichert ist und mit der es nunmehr wieder in Verbindung zu kommen gilt. Da dies offenbar nicht auf dem Weg bewusster Einflussnahme möglich ist, bieten sich sinnliche Erfahrungen und emotionale Reaktionen aus den evolutionsgeschichtlich uralten Untiefen unseres limbischen Systems als ein weit offener wie zugleich verborgener Zugang zu uns selbst an. Peter Levine beschreibt die Grundlagen dafür als “Sprache ohne Worte”.

Was verbindet nun die “Leerstellen” in den Bücherregalen mit den “Leerstellen” in unserer Persönlichkeitsentwicklung – und in unseren Familiengeschichten? Was kann uns “ein roter Faden” durch diese Sendung sein, die den Versuch unternimmt, die retrospektive Musealisierung der Vergangenheit (Gedenkkultur) zu verlassen und eine spürbare Verbindung mit den heute lebenden Kindern und Enkeln der Zeitzeugengeneration herzustellen? Das Überleben? Das ist seinem Wesen nach unzerstörbarandernfalls gäbe es auch keine Nachkommen von Überlebenden.

In unserem Radiodenkmal der Geschichte(n) wenden wir uns Erfahrungsberichten und textlichen Experimenten der nächsten und übernächsten Generation zu. Anders gesagt jener Generation, die das Überleben ihrer Eltern und Großeltern (sowie die damit einhergehenden Traumatisierungen) überlebt haben. Hören wir Ausschnitte aus “Das Schweigen meines Vaters – 104517” von Misha G. Schoeneberg aus Berlin, das schon bald erscheinen wird. Und begleiten wir Christopher Schmall auf der Suche nach dem, was in seiner (und wohl in unser aller) Vorgeschichte “verschwunden” ist.

 

Kann man “das Unsagbare” überhaupt sagen?

 

Und wenn ja – wie?

 

PS: Materialien zur Salzburger Bücherverbrennung vom Friedensbüro Salzburg sowie die Veranstaltungen zum aktuellen Gedenken (heuer) am Residenzplatz.

 

PPS: Der im Hinblick auf die kommende Veröffentlichung des Textes von Misha G. Schoeneberg geänderte Titel: “Mein Vater, Auschwitz und der 7. Oktober 2023”.

 

Battle&Hum#149

Samstag 19.04.2025 (Stairway zum Nachhören)

Der wahre Enthüllungsjournalismus wird hier praktiziert!

 

MC Randy Andy’s Abziehbilder:

  1. Peter Gabriel (same [car]) – here comes the flood
  2. Pink Floyd (atom heart mother) – fat old sun
  3. The Jimi Hendrix Experience (electric ladyland) – voodoo child (slight return)

 

DJ Ridi Mama’s Pickerl:

  1. Delinquent Habits (here come the horns) – western ways
  2. Tool (lateralus) – the grudge
  3. Voodoo Jürgens (wie die nocht noch jung wor) – zuckerbäcker

 

„Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt.“ (Kurt Tucholsky)

 

Zur Abstimmung folget dem LINK!

 

 

Jenseits von Ostern

> Sendung: Artarium vom Ostersonntag, 20. April“Das Persönliche ist politisch – und das Politische ist persönlich.” Mit diesem Wort zum Ostersonntag, welches 1970 erstmals öffentlich aufkam, begeben wir uns mitten hinein in eine Jahreszeit, die wie keine andere vom Verkörpern des Überlebens geprägt ist. Jenseits der Religion zum Zweck der Machtausübung begegnen uns die gewaltigen Kräfte der Natur in einer bislang noch kaum verstandenen Wirksamkeit. Dieses Ostern verbindet uns mit dem Urzustand unseres Lebens, aus dem wir alle entstanden sind und aus dem wir nach wie vor alle bestehen, siehe diesen hervorragenden Beitrag: “Biotop Mensch”. Indem wir die Etymologie des Begriffs Religion betrachten – und dabei einmal alle ­übernatürlichen Aspekte weglassen – (rück)verbinden wir uns mit unserer Natur!

Jenseits von OsternDanke. Bitte. Bitte. Danke. Ostern ist bestimmt kein Fest, für das wir Hasen uns vom Papst Benefiz oder sonst irgend einem Eiermann eine Bedeutung aufdrängen, umhängen oder dazuzwängen lassen. “Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen.Das versteht jeder Alkoholiker, auch wenn manch ein Kind länger dazu gebraucht hat. Was uns der Dichter damit sagen will? Dass wir mit den unendlichen Angeboten des Lebens selbst etwas machen müssen (und auch können), denn weder der Herr Präsident noch die gute Mutter oder gar “G*tt” wird es für uns tun (und es würde sich dann auch nicht gut, wahr oder sonstwie schön anfühlen). Sowohl der Feind als auch der Retter sind schon immer in dir daheim, du bist sie sogar selbst, kannst dich aber auch mit ihnen unterhalten und (aber hallo!) auf sie einwirken. Du bist allmächtig und ausgeliefert zugleich und kannst das Verhältnis zwischen dir und deinen zwei Seiten in all ihren Schattierungen verändern, gestalten. Willkommen bei der eigenen Auferstehung

Mitten dazwischen, dahinter, darunter und darüber hinaus, bin ich auch das Kind. Das Kind, das sich nicht auskennt. Das Kind, dem immer wieder mal alles zuviel wird. Das traurige Kind. Das erschrockene Kind. Das Kind, das sich fürchtet. Und das Kind, das Angst hat davor, in seiner Angst unterzugehen, weil da niemand ist, der (und vor allem die!) ihm beisteht, ihm hilft, es in den Arm nimmt – und es tröstet. Das Kind, das mit den anderen Kindern spielen will. Das andauernd Einfälle und Ideen hat und unendlich lustig ist Das mit der Sprache spielt bis sie schmilzt.

 

Frohstern, nicht Verrohstern!

 

Jenseits von Jedem

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. April – Wie es inzwischen zur guten Gewohnheit geworden ist (“Es muss feste Bräuche geben, sagte der Fuchs”), spielen wir auch am heutigen Sonntag nach der Perlentaucher-Nachtfahrt wieder ein ganzes Album. Die bis zum Prädikat ­epochemachend stilprägende Band Blumfeld rund um den Autor und feinwahrnehmenden Musikpoeten Jochen Distelmeyer veröffentlichte anno 2003 eine hochverdichtete Gefühlsweltsynthese namens Jenseits von Jedem. Und auf diese Reise quer durch die ambivalentesten Mehrdeutigkeiten der darauf beschriebenen (und meisterlich in Musik umrahmten) Szenarien wollen wir uns und euch diesmal entführen (lassen). Dabei entdecken wir, dass wir alle Teil der selben Bewegung sind, sowohl von ihr bewegt werdend, als sie eben auch bewegend

Blumfeld - Jenseits von JedemGenau so ein “mediopassives Selbstverständnis”, von dem auch Hartmut Rosa spricht, das kommt in den verschiedensten Liedern auf diesem Album immer wieder zum Ausdruck. Was das über die Jahre mit mir gemacht hat (und was ich daher damit mache) und – warum uns gerade diese Musik in unserer letzten Perlentaucher-Nachtfahrt mit dem nicht ganz “eindeutigen” Titel “Ein multifaktorielles Umfangen” besonders beschäftigt, das sollen die einzelnen Stücke am besten selbst erzählen. Denn, wie schon der große Axel Corti in seinem letzten Schalldämpfer bemerkte: “Die Moral von der Geschicht IST die Geschicht.” Jenseits von jeglichem von wem wie auch immer zugeschriebenen Schachterl, in das eine Begegnung, ein Berührtwerden, eine Erschütterung oder eben auch eine Geschicht, die sich daraus erzählt, einsortiert werden soll, wohnt, lebewest, geht ein Prozess vor, werdendes wie vergehendes Verwandeln, dem wir sowohl ob- als auch unterliegen. Und in der minimalen Zeit, die es brauchen würde, um das gerade Stattfindende in irgendeine Definition zu befördern, hat sich das Leben in mehrere Richtungen zugleich weiter entwickelt.

Kurz nach der Auflösung von Blumfeld habe ich anlässlich der Vorstellung seines ersten Soloalbums “Heavy” mit Jochen Distelmeyer gesprochen – über Depression, die Ungerechtigkeit auf der Welt und die eventuelle Möglichkeit, durch öffentliches Ausdrücken der eigenen radikalen Selbstwahrnehmung wenigstens ein Stück von dieser immer in wechselseitiger Beziehung stehenden Innen-Außenwelt zu gestalten. Damals hatte ich den Eindruck, er antworte irgendwie ausweichend. Heute jedoch verstehe ich ihn als jahrelang gegen ihm auferlegte Kategorisierungen kämpfend.

Und als jemand, der sich entwickelnd seinen Weg geht. Der bis jetzt (soweit ich das aus der Ferne sehen kann) den meisten der über ihm abgeworfenen Käfigfallen in der Art von “Er ist dies, er ist das” entkommen konnte. Das macht mir Mut zu mir selbst, dazu, mir beim Entwickeln meiner Möglichkeiten wohlwollend und gelassen zuzuschauen. Die schlimmsten (und am schwersten zu entkräftenden) Verurteile sitzen ja schon längst tief in einem (oder einer) selbst. Denen wollen wir entgehen.

 

Jenseits von Jedem

 

Arielle wirft sich in Schale
Sie geht mit ihren Schwestern aus
Ihr Ex, der alte Egomane
Masturbiert und bleibt zu Haus
Und wer sie sieht, gerät ins Schwärmen
Was niemand weiß, sie ist verliebt
Sie möchte den DJ kennenlernen
Der zur Eröffnung Shanties spielt
Der Rabensohn ist auf der Flucht vor seinen Eltern
Er geht zum Karneval, verkleidet als Vampir

 

Lass uns nicht von Sex reden

 

Irgendwas mit Poesie

> Podcast: Artarium vom Sonntag, 30. MärzDa war doch was … in unserer letzten Sendung (mit Rupert Madreiter) reisten wir zurück in eine gemeinsam erlebte (und sehr spezielle) “Nacht der Poesie”. Und diesmal wollen wir etwas von dem, was in jener Nacht so eine erstaunliche Macht entfaltete, im Hier und Heute und als drei Dichterfreunde lebendig werden lassen. Denn “Gefühle in Worte fassen” vermag die gewaltigen Energien, die uns beleben, die uns gefährden, die uns entzücken, die uns verwirren oder genauso gut zerstören können, in eine für uns beherrschbare Kraft zu verwandeln und so wieder Ordnung im Gefühlsgestrüpp zu stiften. Vom Chaos zum Kosmos sozusagen, eine zutiefst selbstwirksame Erfahrung, die weit über unser viel zu verschämtes Selbstbild von Einzelwesen ohne Zusammenhang hinaus weist …

Irgendwas mit PoesieNachdem das Wort “Poesie” jedoch schon in vielerlei Weise zudefiniert ist, lohnt es sich unbedingt, sowohl im Etymologischen Wörterbuch als auch im Altgriechischen einmal selbst nachzuforschen. Dort finden sich erstaunlich viele Bedeutungen des Wortstamms ποιέω (von dem ja “alle Poesie ausgeht”, möchte man sagen). Und neben den erwartbaren wie “schichten, aneinanderreihen, bauen, dichten, schaffen, handeln, tun, bewirken” (und so weiter) begegnen wir da auch weniger geläufigen Ableitungen wie “berufen, sich verschaffen, etwas darbringen oder veranstalten, etwas leicht nehmen” und, und, und – noch vielem mehr. Unter anderem dem Wort ποίημα – “das Gemachte”, was zunächst “Machwerk, Metallarbeit, Werkzeug” heißt, und erst dann “Gedicht”. Sich seinen eigenen Kosmos – “Welt, Ordnung, Schönheit” im wahrsten Wortsinn zu erarbeiten, zu erschaffen – ja, zu erdichten – das ist unsere Einladung an uns selbst zusammen mit euch – poetisch zu sein und der Poesie nachzuspüren.

Um dies im Rahmen eines Artarium zu ermöglichen, wollen wir einerseits die Poesie unseres eigenen Dichtens und Denkens im gegenseitigen Vortrag wie im Gespräch zu Gehör bringen. Und andererseits (was immer auch zugleich bedeutet) der Poesie von textlich anspruchsvollen Musikstücken obliegen, die etwas von dem spürbar machen, was wir mit all den poetischen Energien und ihren Auswirkungen erleben. Dazu haben wir Beiträge von Schroeder Roadshow, Nina Hagen, Leonard Cohen, Rio Reiser und Misha Schoeneberg ausgesucht, fürwahr eine recht illustre Runde.

Sprach- und Gefühlskunst vom Feinsten.

 

Sendung 3: Wem die Stunde schlägt und Jethro Tull

Die dritte Literarische Stunde war für mich mit etwas Stress verbunden. In der Woche, in der ich sie produziert habe, habe ich auch meinen zweiten Roman fertig geschrieben. Hin- und hergerissen also zwischen absoluter Euphorie und ziemlichem Stress. Am Vormittag arbeiten am Buchlayout, ein Kapitel nochmal „schmirgeln“ und am Nachmittag dann ab ins Studio. Sowas hat man nicht alle Tage.

Umso mehr freute mich dann der Einstieg in die Sendung, knallhart Metallica mit „For whom the bell tolls“. Das Stück bezieht sich auf den gleichnamigen Roman von Ernest Hemingway, in dem es um den Spanischen Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939 geht. Der Song erschien 1984 auf dem Album „Ride the Light“.

Der Roman „For whom the bell tolls” wurde übrigens ein Bestseller, verkaufte sich im ersten Jahr über eine halbe Million mal und wurde innerhalb kurzer Zeit zum meistverkauften Buch Hemingways im englischsprachigen Raum. 1943 wurde der Roman Gary Cooper und Ingrid Bergman in den Hauptrollen verfilmt und für eine Reihe von Oscars nominiert.

Hemingways Frauenbild ist heute heiß diskutiert, seine persönliche Machohaltung würde zu sehr auf sein Werk projiziert, heißt es unter anderem. Was von Hemingway aber geblieben ist, nach einer Fülle von Werken, die noch immer lesenswert sind, ist sein „Eisberg Modell“.

Das Eisbergmodell (Iceberg Theory) ist ein theoretischer Ansatz, der zusammengefasst beschreibt, dass wir als Schreiber*innen über unsere Figuren so viel wissen müssen, wie der Teil des Eisberges ausmacht, der unter der Wasseroberfläche ist. Wir sparen das aber in unserer Erzählung aus, berichten nur das Notwendigste. Der eigentliche Inhalt einer Erzählung liegt nach Hemingway im Verborgenen. Ich tue mein Bestes, nach dieser Regel zu schreiben. Es lohnt sich, für Eine/n selbst.

Übrigens: Wenn Du Dich schon lange fragst, wie die Band Jethro Tull zu ihrem Namen gekommen ist: Henry Jethro William Tull war ein britischer Agrar-Pionier und wird als der Vater der Agrarwissenschaft erachtet. Er erfand unter anderem eine gezogene Hacke zum Jäten von Unkraut und war der Überzeugung, dass Pflanzen ihre Nahrung aus den Mineralien des Bodens ziehen können und dass organische Anreicherungen (Dünger) nicht nötig sind. Jethro Tull war damit ein Pionier der biologischen Landwirtschaft, lange bevor man diesen Begriff überhaupt kannte.

Musik
Metallica                                            For whom the bell tolls
Metallica                                            The Unforgiven
Jethro Tull                                         Aqualung
Dusty Springfield                                Son of a preacher Man
Stevie Wonder                                   Superstition
Fairport Convention                           Who knows where the time goes
The Youngbloods                                Darkness, Darkness

Studiogast
Stefan Moser, Buch-Macher aus Leidenschaft

Linktipps
Ernest Hemingway, eine Betrachtung des Werks 50 Jahre nach seinem Tod:
https://www.diepresse.com/674477/mein-lieblings-hemingway

Aqualung live: https://youtu.be/lO8a369YOQk?feature=shared