Gesicht im blinden Spiegel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. November – Advent, Advent – und gerade jetzt müssen die Buchhändler unseres Vertrauens geschlossen halten! Das braucht uns trotzdem nicht zu verdrießen, denn viele von ihnen bieten einen unkomplizierten Bestell- und Lieferservice an, so dass wir nicht auf die üblichen Verdächtigen des internationalen Versandhandels angewiesen sind. Die von uns ob ihres vielseitigen Engagements sonst oft besuchte Rupertusbuchhandlung etwa bleibt in den Zeiten der Corona telefonisch erreichbar und hält zudem in ihrem Regionalen Onlineshop jeglichen Lesestoff per Gratisversand und auf Rechnung zum kontaktlosen Erwerb vorrätig. Zum Beispiel den neuen Roman von Brita Steinwendtner namens “Gesicht im blinden Spiegel”, den wir im Rahmen unserer Sendung exemplarisch vorstellen.

Gesicht im blinden SpiegelDer Anlass zu dieser Auswahl beruht sicherlich auf einer fruchtbaren Freundschaft, die uns mit der Salzburger Autorin schon seit den Anfängen unseres gemeinsamen Radiomachens verbindet. Dieses Buch jedoch gut zu finden, es in einer eigenen Sendung vorzustellen und – ja, es für überaus empfehlenswert zu erachten – das ist in unserem Fall kein Freundschaftsdienst und keine “reine Gefälligkeit”, sondern entspringt dem Erleben dessen, “was es mit uns macht”. Der Roman ist ja mittlerweile von zahlreichen Berufenen und/oder Beruflichen beschrieben, besprochen und beurteilt worden, wie auf ihrer wunderschön übersichtlichen Homepage zu erfahren ist. Warum dieser Roman allerdings gerade in den aktuellen Umbrüchen und den damit verbundenen Unsicherheiten ein hochwirksames Therapeutikum sein kann, das wollen wir hier in einer Collage aus Berichten, Leseproben und Musik darstellen. Wie bereits im Alten Testament festgestellt wird, “ist des vielen Bücherschreibens kein Ende”. So gibt es in dieser heutigen Zeit des ständig beschleunigten Gedudels auch jede Menge modischen Schnickschnack in Buchform zu kaufen, marktgerecht aufgebrezelt und mit aller Geldmacht beworben. die Pandemie der Pestseller bestenfalls. Mitten dazwischen im Gatsch der Geschäftigkeit ein sicherer Hafen aus sorgsam verdichteten Bildern, in denen sich das Leben selbst feiert, als gäbe es die alltägliche Bedrohung nicht. Dennoch ist sie immer da, wenn dir im Spiegel das Gesicht aus dem Gesicht fällt

Ein Buch, das nicht die Hochleistung des Gezeichneten (und sind wir das nicht alle irgendwie?) hervorkehrt, sondern das genauso die Beiträge der Gesellschaft wie die Rhytmen und Melodien des Lebendigen aufnimmt – und vielstimmig wiedergibt. Die immer gleichzeitige Gegenwart von Überleben und Untergehen; ein lebensweises “Sowohl-als-auch” macht diesen Roman zu einem großen Ganzen. Und genau das vermag auch unser verborgenes Gebrochensein zu heilenvielleichttrotzdem!

PRÉLUDE ZWEI

Und wieder kommt der lange Zug von Menschen über die gebrochene Leinwand. Langsam zieht er darüber hin und verschwindet, taucht wieder auf und geht aus dem Bild. Müht sich im Trommel- und Trompetenwirbel durch das Leben. Jede Figur durch ihr eigenes und unverwechselbares Leben. Die Gestalt, die aus einem dicken Stapel von Zetteln einen immer neuen herauszieht und ihn langsam über ihre Schulter wirft in die Achtlosigkeit, geht immer noch dem Zug voran. Und immer, wenn sie wiederkommt, knie ich nieder und versuche, ein Blatt, das in meine Hände taumelt und mir Fortsetzung verspricht, aufzufangen, um es vor den Füßen der ewig Wandernden zu bergen und dieses eine Schicksal zu retten vor dem Vergessen im Perpetuum der Zeit.

Brita Steinwendtner – Gesicht im blinden Spiegel, Seite 85

Inspiriert von  William Kentridge – More sweetly play the dance

 

You’re Fired

> sendung: Artarium vom Sonntag, 8. November – Amerika ist anders. Allerdings anders anders als Wien. “Schleich di, du Oaschloch!” Im Land der Unbegrenzten heißt das “You’re fired!” There’s no Business like Showbusiness. Für Masochisten hier noch einmal die Zusammenfassung. Dieser Mensch ist eine Dauerbeleidigung für jedwede Regung intelligenten Lebens auf dem gesamten Planeten. Intelligenz ist fürwahr nicht die Fähigkeit, sich listig auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen oder sich hinterfotzig in ein hohes Staatsamt zu schwindeln. Vielmehr Gefühlsintelligenz, das Erkennen von Schönheit und Stimmigkeit, der Respekt vor dem Anderssein der Anderen, das Eintreten für die Bedürfnisse von Schwächeren, kurz gesagt Interesse am Gedeihen der Welt. Wer rücksichtslos Gewalt ausübt, soll sich bitte schleichen.

You're FiredUnd wer andauernd andere aus seinem Umfeld rausschmeißt, der soll endlich zu sich selbst sagen: “You’re fired.” Und sich aus dem Weg räumen, den andere gehen wollen. Die globale Verstopfung durch egoistsches Trotteltum ist dieser Welt nicht länger zuzumuten. Und bitte um Verzeihung, Bernd, dass wir dich hier zur Illustration von “Dumm wie Brot” verwenden, doch bei der Sprachsuche nach Beschreibungen für den unerträglichen Krawattenquader sind wir tatsächlich am Ende unserer Ausdruckskraft angekommen. Auch hier kann uns nur noch die Mundart retten: “Do schloft ma beim Speibn des Gsicht ein.”, soll einst Werner Geier auf Ö3 gesagt haben. Das waren Zeiten! Das war noch Radio! Gute Nacht, Österreich. Keine Realität ohne Realitäter.

Scheiße. Der Machtwechsel als Stoffwechsel. Ein quälend langsamer Prozess wird uns von allen Seiten tagelang live übertragen und dazu noch in Gesprächsrunden redundant kommentiert. Schon klar, wir sind alle froh, dass uns wenigstens irgendwas mal vom Dauerthema Pandemie ablenkt. Aber doch bitte nicht in allen grauslichen Einzelheiten. “Ich wähle Trump, weil Amerika sonst ein kommunistisches Land wird.” Bei dergleichen Schwachsinn mussten wir fortwährend schnappatmen, während wir eigentlich nur erfahren wollten, ob das Bemmerl endlich draußen ist. Ganz Amerika sitzt am weißen Häusel – und die Welt schaut dabei zu. Naturgemäß selten gab es erheiternde Momente wie etwa jene Replik von Gayle Tufts: “Wenn Joe Biden ein Kommunist ist, dann ist Florian Silbereisen der nächste Sänger von Rammstein.”

An dieser Stelle wünschen wir Till Lindemann lieber auch weiterhin alles Gute.

 

Gloria in excentris verbis

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. August – Liebe Festspielgemeinde! Selbstredend erweisen auch wir den Hundertjährigen unsere herzhafte Würdigung. Wobei, beim irgendwie ewigen Jedermann wäre “Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand” durchaus eine erfreuliche Weiterentwicklung – des Themas wie auch der Geschichte. (Da gibts ein geiles Buch UND einen geilen Film übrigens). Sic transit gloria mundi oder Was ist wesentlich – in dieser Welt? Doch wie sehr wir auch herumwedeln mit dem “griechisch-lateinischen Flüchtlingsgepäck aus dem andachtskapitalistischen Meinungs-KZ” (so Uwe Dick zur katholischen Erziehung), die Salzburger Festspiele bleiben (auch und erst recht in ihrer Jubiläumsausgabe) ein abgezäunter Privatbesitz – und für Glanz und Gloria der Geldmachtwerte reserviert.

Gloria in excentris verbisApropos ewig – beim gestrigen Jedermann schob sich mir wieder einmal die ganze Ambivalenz des Salzburger Welttheaterbetriebes ins Bewusstsein, so dass ich sprach: “Ich bin zutiefst zerteilt.” Denn die dramaturgische Leistung, die dabei gezeigt wurde, war atemberaubend und holte aus dem klobigen Text Nuancen heraus, die ich in ihm nie vermutet hätte. Chapeau! Die Schöpferkraft aller Mitwirkenden (vom Hauptdarsteller bis zum Helferlein, und das gilt für die gesamten Festspiele) ringt einem immer wieder Respekt und Bewunderung ab. Dahingegen ist Hofmannsthals österreichbesoffenes Geschwurbel vom “theresianischen Menschen” sowie von “Geist und Sittlichkeit” ein übles Plädoyer für die Bewahrung der etablierten Herrschaft von Besitz, Kirche und Staat im neuen Gewand von Deutsch-Restösterreich nach dem Ersten Weltkrieg. Inwieweit dieses geistige Erbe in die Bundesverfassung von 1920 hineingewirkt hat – und inwieweit es als unausgesprochenes Leitmotiv dieses von ihm mitbegründeten Hochkulturspektakels wahrnehmbar bleibt – das überlassen wir eurem Geruchssinn.

Inzwischen (!) wenden wir uns einer verbürgt fortschrittlicheren Veranstaltung aus dem Hause Salzburg zu: “Zwischen Mund und Arten” – eine Lesung mit Musik oder eine Musik mit Lesung oder überhaupt eine Collage aus “lyrischen Schlagabtäuschen und unterschwelligen Zusammenhängen”, dramaturgisch durchbrochen von Dialektgepunk aus dem Pongau – die unlängst im Rahmen des löblichen Festivals Zwischenräume gezeigt wurde. Und naturgemäß werden wir auch eure Kreativität kitzeln sowie eure Lachmuskeln wiederbelebenmit fürwahr großen Monologen der Kleinkunst

Gloria Victoria – widewitt bumbum!

 

Bachmann Loops

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Juni“Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!”, schrieb Ingeborg Bachmann 1961 in ihrer Erzählung Undine geht”. Was sie wohl heute von dem nach ihr benannten Preis halten würde? Jene Dichterin, die 1967 aus Protest gegen die Übersetzung der Gedichte von Anna Achmatowa durch den ehemaligen NS-Funktionär Hans Baumann ihren bisherigen Stammverlag verließ, weil sie verstand, dass eine Frau, die gegen den Totalitarismus Stalins anschrieb, nicht von einem Mann bearbeitet werden durfte, der den Totalitarismus Hitlers mit befördert hatte. Jene Ingeborg Bachmann, die 1973 zugrunde ging, auch an ihrer jahrelangen Verzweiflung über jederlei kritiklosen Gehorsam, nunmehr dem alles zersetzenden ökonomischen Diktat gegenüber. Das Virus Macht hat viele Gesichter.

Bachmann LoopsWie entstanden nun eigentlich 1976 jene Tage der deutschsprachigen Literatur, als deren Höhepunkt sich das “Wettlesen” um den Ingeborg-Bachmann-Preis etablierte? Schon wieder begegnet uns Humbert Fink, der weithin als “Konservativer vom Dienst” dargestellt wird – und der im legendären Club 2 mit Nina Hagen 1979 als gelangweilter Verächter der weiblichen Sexualität auffällig wurde. Und der ebenso notorische Marcel Reich-Ranicki (die Löffler?), der ja auch nicht gerade als Verfechter einer spezifisch weiblichen Sicht- und Schreibweise gilt – viel eher als Prototyp des Machtbildes vom “alten weißen Mann”. Hier tut sich auf einmal eine schwindelerregende Diskrepanz zwischen Behauptung und Tatsächlichkeit auf, die aufs erbrechenmachendste die hierzulande gebräuchliche Rundumverwurstung von toten Künstler*innen aufzeigt. Wurscht, wer Mozart wirklich war, zur Imagepflege und als Handelsware ist er super! Überhaupt, ein Literaturevent als “sportiver” Wettkampfdas gibt uns zu denken!

Einen angenehm anderen Umgang mit dem Vermächtnis von Verstorbenen pflegt der Berliner Produzent Tim van Jul, der schon vor 8 Jahren mit seinem Projekt “Seid was ihr wollt – Kinskys Villon” im Artarium zu Wortklang kam. Nun hat er unlängst einen Gedichtvortrag von Ingeborg Bachmann kongenial in elektronische Musik gebettet, noch dazu zuhause als Ein-Mann-Unternehmen, wie es in den Zeiten der Corona angesagt ist. Und wie es zur diesjährigen digitalen Darreichung der “Tage der deutschsprachigen Literatur” passt wie kein anderer Faust aufs Auge. Daher spielen wir sein aktuelles Album “Bachmann Loops” am Tag der Preisverleihung.

Die Woge trug ein Treibholz hoch und sinkt.
Das Fieber riss dich an sich, lässt dich fallen.
Der Glaube hat nur einen Berg versetzt.
Lass stehn, was steht, geh Gedanke!

Ingeborg Bachmann – Geh, Gedanke

 

Es gilt die Unmutsverschuldung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Aperil Unmut (von wemwas auch immer verschuldet) ist ja heutzutage ein weit verbreitetes Phänomen. Wenn aber Unmut zur Wut wird, dann wird Unwucht zur Mucht. Was für eine feine Schöpfung! Und schon sind wir mitten in der sprachkreativen Logik des erweiterten Wortbaus. Zack, zack, zurück zum Anfang! Kaum wird von einem möglichen Verbrechen berichtet, hört man sogleich den (aus rechtlichen Gründen gebotenen) stereotypen Stehsatz: “Es gilt die Unschuldsvermutung.” Und der ist ob seines inflationären Gebrauchs schlechterdings nervtötend. “Es gilt die Unmutsverschuldung.” Genau – nur wer oder was ist schuld an unserem Unmut? Das wäre ein gutes Beispiel für durch Sprachkunst ausgelöste Denkprozesse. Sofern man Ohren hat – und zwar nicht bloß zum Brillenbefestigen.

Es gilt die UnmutsverschuldungEine weitere flotte Fingerübung fürs Gehirn ist die folgende: Ein einzelner Buchstabe macht einen gewaltigen Unterschied (und dann halt auch noch die Zeit).

“Die SPÖ betrieb Umverteilung. Die ÖVP betreibt Umvereitlung.”

Und Ursula Stenzel? Die betreibt Einverumtlung. Danke für dieses Bild! Michael Niavarani vertritt ja die Ansicht, dass eine “unüblich verschaltete Gehirnregion” für solcherlei humoreske Schöpfung ursächlich ist – und dass das bitte durchaus “normal” (im Sinne von nicht krankhaft und somit behandlungspflichtig) sei, dergestalt zu denken. Ich würde da noch weiter gehen und mir vorstellen, wie Weltpolitik aussähe, wenn diese Art zu Denken noch viel “üblicher” wäre: “America kräht again!” – alle lachen, gehen nach Hause – und wählen jemand Vernünftigen. Kann es sein, dass den (allgemein üblichen) “normalen” Mehrheitsmenschen genau diese unabhängige Hirnschaltung fehlt? Und wodurch ist die Verziehung zum Nachplappern von vorgeformtem Blödsinn so erfolgreich?

Es gilt die Unmutsverschuldung!

Österreich im April 2020: Ein gut ausgebildeter Sozial- und Gesundheitsbetreuer leistet aufgrund der aktuellen Corona-Krise außerordentlichen Zivildienst in einem Senior*innenheim. Dort ist er mit eklatanten Gefährdungen dieser Risikogruppe konfrontiert und wendet sich deshalb mit dringenden Anregungen direkt an den Gesundheitsminister. In dem Zusammenhang wir ihm telefonisch mitgeteilt, “…er überschreite seine Kompetenzen und lehne sich zu weit aus dem Fenster, weil er seine Vorgesetzten übergehe, was ein Nachteil für ihn wäre…”

Erich Fried in seiner Rede zur Salzburger Bücherverbrennung 1938 (die er 1987 gehalten hat, “um die historischen Kontinuitäten aufzuzeigen”): “Mein Gott, wer erst einmal gründlich kuschen gelernt hat, der vergisst das nicht so schnell, und gibt es noch seinen Kindern weiter als praktische Überlebensregel. Wer hat uns so dressiert, welchen Einflüssen ist das zu verdanken?”

Es folgt nun volksdümmliche Musik…

 

Nevada Tan Panik

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. April – Es gibt so einen eigenartigen Lebensabschnitt, in dem Männer (meist zwischen 40 und 50) plötzlich meinen, sie wären wieder (oder noch immer) “jung wie früher”. Und sogleich führen sie allerlei grenzwertige Verrenkungen mit sich und anderen auf, die meist auch nicht so ganz gesund sind – für die gut abgehangene Existenz. Ich zum Beispiel warf mich einmal 48-jährig auf einem Konzert von New Model Army todesmutig ins tobende Publikum. Dass meine anderntags schmerzende Schulter etwas damit zu tun haben könnte, das fiel mir selbst beim Orthopäden nicht im Traum ein. Ungefähr in diesem Zustand entdeckte ich damals Nevada Tan, deren Musik und Text eine wohltuend rebellische Stimmung verströmten. Also kein Grund zur Panik vor irgendeinem Torschluss

Panik AlbumcoverUnd auch wenn das Nevada-Tan-Projekt zu jener Zeit von seinen Managern/Produzenten als ein “neues Tokio Hotel” zusammen geklont sowie über BRAVO und (wasweißich) Teenie-TV an eine jugendliche Zielgruppe verkauft wurde – das tatsächliche Können hinter der Imagepflege war auch da schon unüberspürbar. In einer meiner ersten Solo-Nachtfahrten namens BONK – Schönheit und Schmerz (Junimond) wurde das durchaus deutlich. Wer Ohren hat, zuhören… Gründlich sympathisch fand ich dann die Reaktion der Burschen, als das Aus- und Zurechtquetschen ihrer Kunst und Kreativität durch ihre “Manager” unerträglich wurde. Sie kündigten alle Verträge und verklagten die Schmarotzer, die ihnen sogar noch den Lohn für ihre Arbeit vorenthalten wollten. Das folgende Album produzierten sie einfach selbst – unter ihrem früheren Bandnamen “Panik”. Einer jener geldgeilen Erfolgstrottel, die sich den jungen Musikern damals als Karrierestifter andrehten, produziert sonst so gehaltvolle Interpreten wie Daniel Küblböck, Helene Fischer oder Dieter Bohlen. Oida! Da riecht man aber, woher der Fisch weht. Wenn schon Weißrussland, dann doch bitte Lyapis Trubetskoy. Und wenn Video, dann Alexey Terehoff. Bitte. Danke.

Wir präsentieren diesmal eine Synthese aus zwei Alben – eben von Nevada Tan und von Panik – unterteilt durch den Song “Wegweiser”, der ihre Erfahrungen mit dem “Business” kritisch reflektiert. So wie auch viele der Texte von Timo Sonnenschein “die Wirklichkeit zu ihrer Kenntlichkeit entstellen”

Und alles was wir wollen passiert,
weil ihr uns so gut regiert.
Und alles was wir wollen passiert,
oh wir sind so glücklich hier.

Freundschaft!

 

Die Büchse der Corona

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. MärzAlbert Uderzo ist tot. Das betrübt viele von uns, aber immerhin wurde er über 90 Jahre alt. Sein kongenialer Partner René Goscinny dagegen verabschiedete sich schon mit 51 von der Welt, allerdings mit einer schwer überbietbaren Schlusspointe: Er erlitt mitten in der Untersuchung bei seinem Kardiologen einen Herzinfarkt, als der ihn auf einen Ergometer setzte. Wir bedanken uns bei beiden für die Erfindung des “globalen gallischen Dorfs” und wollen auch fürderhin so unbeugsam sein wie dessen Bewohner, zumal wir bedingt durch die akute Corona-Pandemie nach wie vor von zuhause produzieren. In dem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass der Bösewicht im Asterix-Band Nr. XXXVII (Asterix in Italien) Coronavirus heißt – nur halt nicht in der deutschen Übersetzung.

Hundertwasser und die Silhouette der CoronaDie Begründung des für dieselbe zuständigen Klaus Jöken klingt nach doppelt eingesprungenem Insiderschmäh und beweist, dass für manche auch die verzwirbelte Wendeltreppe den Denkweg zur Assoziation darstellt. Caligarus? Geh bitte! Und was tut sich in der Welt der realen Zaubertränke und Fake Facts? Glauben Amerikaner tatsächlich, dass COVID-19, auch kurz Corona”, durch den Genuss einer mexikanischen Biersorte (!) übertragen wird? Wo ist der Harry Lesch, wenn man ihn mal dringend braucht? Ach ja, hier erklärt unser Held der Zahlen und Fakten einmal verständlich, wie man diverse Corona-Statistiken (Sterberate etc.) interpretieren kann. Oder hier eine Gesamtdarstellung aktueller Forschungsergebnisse zum Thema (wenn auch etwas reißerisch und massenkompatibel aufbereitet). Auf jeden Fall bleiben wir dabei: In Zeiten wie diesen, wo Verschwörungsesoteriker und ihre Gläublinge alle Welt medial mit ihren Schwindligkeiten infizieren, ist der Herr Professor ein Fels in der Brandung des Aufgeregten. Genau wie Peter Filzmeier im Hysterium der heimischen Innenpolitik. Was uns nunmehr zur Situation in Österreich und in uns selbst führt.

In dieser Sendung betrachten wir erstens die Vergewaltigung von Kunst und Kultur zum Zweck des Geldmelkens am Beispiel des Après-Ski in Ischgl. Dazu der “Herr Gesundheitslandesrat von Tirol” im ZiB 2 Interview. Zweitens widmen wir uns der Innensicht auf die unsichtbare Bedrohung, zumal wir ja derzeit alle in emotionalen Turbulenzen hausen. Und drittens zitieren wir (im Kontext individueller Schicksale vor globalen Ursachen) Konstantin Weckers “Stürmische Zeiten, mein Schatz”, dessen Refrainzeile “Leben ist Brücken schlagen – über Ströme, die vergehen” aus dem Gedicht “Schleierkraut” von Gottfried Benn die Hoffnung des Menschseins anrührt.

War da zuletzt nicht auch Hoffnung – in der Büchse der Pandora?

Gesundheit!

 

Kein Zurück

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. März – Irgendwo im Skiparadies Pandora (oder wars in Italien?) haben ein paar Ballermandln die Büchse der Corona umfallen lassen – und schon machen wir Sendungen mit Sicherheitsabstand. Im Einklang mit den geltenden Maßnahmen der Regierung versucht auch die Radiofabrik, jedwede Ansteckung mit dem depperten Coronavirus zu verhüten – und stellt unter anderem den Livebetrieb ein. Was uns nicht die Bohne daran hindert, euch auch weiterhin mit dem etwas anderen Kunnst-Biotop zu beseelen, auch wenn wir jetzt eine Zeit lang unsere Artarien von daheim aus produzieren werden. Oder wie Wilfried Schmickler sich unnachahmlich hineinsteigert: “Es gibt kein Zurück!” Da müssten schon andere kommen, um unser Sendungsbewusstsein auch nur ansatzweise anzuknabbern

Wilfried Schmickler - Kein Zurück“Kein Zurück” heißt demgemäß auch Wilfried Schmicklers aktuelles Programm, aus dem wir ein hoffnungsfroh kulturkritisches “Best Of” zu Gehirn bringen. Der schon seit Ewigkeiten aus TV-Sendungen wie den “Mitternachtsspitzen” bekannte Ex-Ministrant versteht es wie kaum ein anderer, apokalyptische Sprachbilder aus biblischem Bestand in gesellschaftspolitische Gegenwartsprophezeihungen zu verdichten, dass es einem die gewohnte Gleichgültigkeit abräumt. Sprachmächtig und sprachverliebt dicht sind auch seine Tiraden aus Triaden und Alliterationen aus Adjektivkaskaden und er kann singen! Ach, hört euch das doch einfach einmal an, lasst euch in diesen Fluss fallen und treibt eine Zeit lang dahin in der verschlungenen Welt der Bildworte und Wortbilder und Assoziationen und Einfälle und plötzlich zusammengeratenden Sinnstiftungen. Es soll euer Schaden nicht sein und – keine Angst, wir kommen ja alle wieder zurück von diesem Road-Trip nach Nicht-Nowhere. Wir kümmern uns drum, versprochen.

Gerade in entschieden sehr sonderlichen Zeiten wie diesen, in denen uns alle nur möglichen Empfindungen vermehrt anspringen, in denen wir Angst haben, zweifeln, uns nicht auskennen und uns daher ohnmächtig fühlen, können derlei humoreske Betrachtungen des Weltwahnsinns und seiner drohenden Folgen ein geeignetes Therapeutikum fürs Dranbleiben und Durchstehen sein. Fürs sich wieder an sich selbst erinnern. Bei aller Betroffenheit – Lachen (auch über sich selbst) ist gesund.

Aber dennoch nicht verzagen,
überstehn.
Leben heißt Brücken schlagen
über Ströme, die vergehn.

Konstantin Wecker (nach Gottfried Benn)

 

Vorwärtsrückwärts

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. FebruarDie Frage war: Worüber können wir eine Sendung machen in diesem Faschings-, Fastnachts-, Karnevalskontext, wo sich doch ringsum ein Politkasperltheater nach dem anderen abspielt. Denn merket wohl: nach dem Verarschungsdiestag kommt unweigerlich der Arsch am Mittwoch, da kann man die Bretter, die die Welt bedeuten, noch so fest vor den eigenen Kopf halten (oder sie dem weltanschaulichen Gegenunter über denselbigen schlagen) “Ich blick verzweifelt rings – und lechz’ – nur öde Schnösel links und rechts.” Es wird also in deinem Sinn weiter gejandlt, lieber Ernst. Gute Güte, Vorwärtsrückwärts ist eine der allerfeinsten Wortschöpfungen aus jener Zeit des kalten Krieges, in der die jeweilige Richtung nicht schwel zu velwechsern war. – Oder war auch das schon ein Irrtum?

VorwärtsrückwärtsGibt es die Unterscheidung von vorwärts (links) und rückwärts (rechts) überhaupt – oder wollen alle Eliten doch immer nur an die Macht (oben)?Vilfredo Pareto hat das in seiner Elitensoziologie  etwa so beschrieben. Er hat auch Mussolini beraten, wie man “das Volk” mittels eines entmachteten Parlaments verscheißert. Grüße nach Thüringen! Da sitzt einer bis über beide Ohren im Vogelschiss der deutschen Geschichte und spielt mit dem Landtag Bauanoasch. Was fällt uns dazu noch ein? Volksmusik? Ich weiß zwar, wie die berühmten Bratwürste riechen, aber nicht, wie sich thüringische Musikkultur anfühlt. Oder ob und inwieweit es dort überhaupt Künstler*innen gibt, die sich mit derlei Tradition beschäftigen und selbige dann zeitgemäß, unterhaltsam und eben auch kritisch interpretieren (verbearbeiten). Aus Österreich und aus Bayern hätten wir da ein paar Beispiele anzubieten, nämlich die Herren Attwenger, die seit Jahren ihre musikalischen Herkunftswurzeln lustvoll durch sämtliche Stilrichtungen schießen, und den furiosen Weiherer, der mit seiner klugen Mischung aus Liedern und Gschichtln den fast schon zu Tode zerbrauchten Begriff “Heimat” wieder allgemein zugänglich macht. Denn ist es nicht unser aller

“Vorwärtsrückwärts oder Das unheimlich totale Leben” ist übrigens der Titel eines Romans von Franz Mechsner aus dem Jahr 1981, den es nur noch antiquarisch zu kaufen gibt. Er enthält eine Szene, in der ein junger Mann bei einer Demonstration in Wien auf ein Denkmal klettert. Als ich das Buch las, fand ich mich genau darin wieder.

 

Harlekinese und Kasperliade

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. FebruarAchtung Achtung, Klasse! Nachdem wir uns jetzt alle gegenseitig an unsere eigenen Nasen gefasst haben, atmen wir einmal tief durch die selbige ein und schreien drei mal laut: Hurra – ich bin ein fröhlicher Homo Sapiens!“  Genauso gut könnte man da sagen: “Demokratie ist, wenn wir alle paar Jahre diejenigen wählen, die uns am lustigsten auf den Kopf scheißen.” Oder: “Großvati, Großvati, es hat geschneit!” – Wie dem auch sei, im nunmehrigen Februar findet vielerorts Fasching, Fastnacht oder Karneval statt, und wir haben beschlossen, diesem Zustand in unserer Sendung Rechnung zu tragen (solang es nicht allzuviel kostet). Und so hoppeln wir fröhlichfeucht durch eine ganze Kasperliade aus Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutungmit Gefühl.

Kasperliade 1Da das assoziative Gestrüpp zum Thema ebenso unübersichtlich wie reichhaltig ist, müssen wir uns, bei aller Vielheit, auf eine Hauptperson ausrichten – den Kasper. Reisen wir also ohne Stress quer durch alle möglichen Manifestationen dieser multiplen Personalunion mit sich selbst. Sozusagen mit Casper ins Kasperltheater, und gleich weiter zum Joker, zum Kaspar Hauser, überhaupt zum traurigen Clown und seiner genau deshalb entlarvenden Weltsicht. Der Titel der Sendung müsste eigentlich “Harlekinese, Kasperliade und Clownerie” heißen, aber wo ist heute noch Platz für so abgerundete Triologien? Oder Songtitel wie zum Beispiel “Die Verfolgung und Ermordung des Rockundroll, dargestellt durch die Musikertruppe des Hospizes zu Vicht unter der Anleitung des Herrn von Schroeder, Teil I” Hä? Eine rheinrhetorische Frage – also auf Kölsch. “Die Musik ist tot – gefoltert, gequält, der Unschuld beraubt. Die Musik ist tot – und mit ihr all das, woran wir geglaubt. – Rock’n’Roll ist tot.” Aber sicher nicht bei uns. Gut zu hören!

Kasperliade 2Nicht, dass wir zwei nicht lustig wären (siehe Bild), für den Höhepunkt des Rumkasperns (in der zweiten Stunde) haben wir uns dennoch kompetente Unterstützung vom Institut für Battle & Hum besorgt. Der Master of Cerebrity Randy Andy wird uns livehaftig die Rumkugel geben – und sich wie euch mit Kleinodien des etwas abgedrehteren Humors behupfdudeln. Oder der etwas abgründigeren Musik, etwa aus dem Soundtrack zu “Joker” von Hildur Ingveldardóttir Guðnadóttir. Wenn auch der zuvor zitierte Text von Schroeder Roadshow den Tod des Rock’n’Roll betrauert und dabei durchaus eine prophetische (1980) Kritik am Unwesen der Untenhaltung darstellt (ich sag nur Autotune), so gibt der darin angesprochene Mythos (vielleicht eh posthum) laute Lebenszeichen von sich. Im (definitiv posthumen) Michael-Glawogger-Film “Hotel Rock’n’Roll” jedenfalls, den wir hiermit aufs allerschärfste empfehlen (und der uns auch durch die Sendung begleiten wird), nebst weiteren Dopfencollagen aus Audio.

Abschied vom Heimatfilm“Der Wald ist die Frisur des Berges, Schorschi.” – “Dem gehn oba sche longsom de Hoa aus.” Eben. Viele wunderbare Szenenbilder und noch mehr verdanken wir übrigens dem Luna-Filmverleih. Da bleibt keine Heimat trocken & Kebapaufstrich. Wenn schon das Wort eine Waffe ist … dann ist die E-Gitarre eine Abschussvorrichtung für noch erheblichere Auswirkungen. Und erst das Schlagzeug – bitte, im Italienischen heißt es eh “Batteria”. Im Anfang war die Wucht. Und die Wucht war bei sich. Die Wucht aber sprach – und siehe, es ward. “Let there be Rock” Wie find ich den Notausgang? Vielleicht wenn die Kasperliade selbst-systemkritisch rotzt: “Scharfe Waffen griffbereit im Handschuhfach, auf dem Müllplatz liegt ein letztes Stoßgebet. Verzweiflung, Angst und Wahnsinn halten uns in Schach, im Fernsehen spricht der Papst von Humanität. Schon wieder so ein Tag, so wunderschön wie heut. Und tatsächlich schon wieder all die furchtbar netten Leut. Massenmörder, Henker, Diktatooor – kommen eben nur im Märchen vor!”

Schroeder Roadshow – So ein Tag