Wir Spätmodernen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Januar – Es war einmal ein Büchermensch, der in ein Gefängnis gesperrt worden war, mitten zwischen all die Berufsverbrecher mit ihren unterschiedlichen Gewaltausbildungen. Eines Tages fragte ihn der Anführer einer Einbrecherbande: “Was sollen wir mit dir anfangen, du blasses Bürscherl?” Worauf er antwortete: “Vielleicht bringt euch das eine oder andere, von dem ich euch erzähle, auf neue Gedanken. Vielleicht sogar dort, wo ihr bisher noch nicht hingedacht habt. Wenn nicht, ist es einfach Unterhaltung.” Und mit der Zeit wurde er, ob er wollte oder nicht, zu einem angesehenen Mitglied der Häfenbruderschaft. Was können wir daraus lernen? Die Moral von der Geschicht – ist die Geschicht. (Axel Corti). Und alles ist relativ – auch das mit der Freiheit und der Unterhaltungsindustrie. (frei nach Albert Einstein).

Wir SpätmodernenWir stehen doch alle im Fluss des Lebens und suchen nach dem einen oder anderen Körnchen WahrheitWillkommen in der Metapher – das für uns von besonderem Wert sein könnte. Nach einem neuen Impuls, der uns über den Stillstand hinaus befördert und uns glücklich macht. Nach dem nächsten Thema oder einfach einer winzigkleinen Idee, damit wir unserem Leben jenseits des “da kommt eh nichts mehr” wieder einen Sinn geben können. Und wenn nicht, dann befinden wir uns im Suchen selbst schon mitten “im Flow” und von Natur aus im Glückszustand zwischen Überforderung und Langeweile. Ein vielfach Hoch auf die daran (auch ganz ohne äußere Drogen) beteiligte Hirnchemie. Wir sind allesamt Kinder, die allein schon in der Tätigkeit des Goldwaschens oder Perlentauchens oder eben Sinnsuchens aufgehen. Betrachten wir also, was meist unbeobachtet vor sich geht – und zeigen wir einander, was wir dabei alles entdecken können.

In unserem Fall sind das Bücher, Gedanken und Themen, die wir in uns aufnehmen und die wir durch uns weiter entwickeln. Gedichte und Geschichten, die etwas in uns zum Klingen bringen und die sich dadurch auch in etwas Eigenes verwandeln, das wir wiederum weitergeben können. Und Musikstücke, die in ihrer Stimmung dazu beitragen, die vielen einzelnen Gedankenfäden zu einem größeren Erzählteppich zu verweben und Gefühlszustände, Erinnerungsfragmente sowie innere Bilderfluten mit dem Außenwelttheater in Zusammenhang zu bringen. Was hast du so gemacht?

Ach ja – Jeff Beck ist jetzt auch gestorbenDoch Venus in Furs wird uns bleiben.

 

Frieden auf Erden und …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. DezemberGibt es so etwas wie eine “Weihnachtsthematik”? Wir wollen an diesem 4. Adventsonntag unserer Sehnsucht nach Frieden nachspüren. Mit “Frieden” kann dabei vielerlei gemeint sein – nicht bloß (aber durchaus auch) die oft zitierte “Abwesenheit von Krieg”. Das Einvernehmen mit sich selbst etwa. Das Wissen um ein für sich selbst und andere sinnerfüllendes Leben. Das Wahrgenommen- und Ernstgenommenwerden als Mensch auf dieser Welt. Das nicht von vorn herein zu irgendeinem Nutzzweck abkommandiert werden. Das nicht missbraucht, nicht geschlagen, nicht terrorisiert, nicht verletzt werden. Wir sehen schon – das sind eigentlich Selbstverständlichkeiten, die in der Welt, in der wir leben, so überhaupt nicht selbstverständlich sind. Jedes Kind müsste daran verzweifeln

Frieden auf ErdenWenn es nicht das Grauen, in das es hinein blickt, durch Abspaltung eines Teils seiner Gefühlswelt (und damit auch seiner Persönlichkeit) zu neutralisieren vermöchte, um weiter leben, um überhaupt überleben zu können. Seitdem, liebe Kinder und Mitkrüppel, leben wir teilamputiert und befangen im Zwischendrin von Über-Ich und Es, von Anpassung und Rebellion. Das klingt zunächst eher betrüblich und ausweglos. Ist es auch. Jedoch müssen wir für unsere Betrachtung unbedingt die Perspektive des Kindes einnehmen, um nachvollziehen zu können, wie sich das Nichtvorhandensein von Frieden und der verzweifelte Wunsch und die abgrundtiefe Sehnsucht danach anfühlen. Schließlich sind wir alle nach wie vor Kinder, ist all unser Erleben als Kind in unserer Erinnerung, auch in unserem Körpergedächtnis, dauerhaft abgespeichert. Und ganz egal, was wir da erlebt und erlitten haben (und durch welches Ereignis die einstige Ohnmacht und Ausgeliefertheit wieder hervorgerufen wird) – wir sehnen uns nur nach einem: Es soll endlich Frieden sein. Frieden auf Erden und Frieden in uns.

“Ich küsste gerne Mädchen. Ich küsste gerne Jungs. Und nach jedem Kuss habe ich mich gefragt, warum man sich da entscheiden muss.” Rainald Grebe formuliert diese tröstliche Wahrheit als Rückblick auf seine Kindheit und Jugend in einem schönen Lied namens “In Between” und legt uns damit eine erste Spur zum Frieden mit sich selbst. Und Max Prosa nimmt in seinem unter dem Eindruck von Krieg und Gewalt gedichteten “Wann könnt ihr endlich friedlich sein” konsequent die Position eines bedürftigen Kindes ein. Diese Sichtweise könnte der Beginn einer Lösung für das Problem mit dem nichtvorhandenen Frieden auf der Welt sein. Ein Kind weint

Wir sehnen uns nach Frieden.

 

Menschliche Geschichten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. November“Geldsäckulum, gstinkerts!” Dieses Wort von Uwe Dick eignet sich trefflich als Motto für ein weiteres Jahrhundert des “Ökonomischen Diktats”. Oder für eine Fußballweltmeisterschaft, die unter den widerlichsten Machtzwängen absolutistischer Geldherrschaft zustande gekommen wurde. “Massenblödien, Quasselödien, Kassenschmähdien!”, ruft Uwe Dick in den aktualitätsfixierten Mediendschungel. Der letzte deutsche Fußballtrainer, der sich noch traut, in Interviews plötzlich menschliche Geschichten anzusprechen, meint dazu: “Wenn du auf die Welt schaust, was für Wahnsinnige da überall an der Regierung sind, und wie sie sich die Taschen voll machen – das ist halt teilweise im Fußball auch so. Das ist unser großes Problem, das wir gesellschaftlich haben.” Christian Streich

Menschliche GeschichtenReisen wir in die Vergangenheit (die Fotos vom “Weltmeisterzug” hat die Grupa Szukająca Włazu bereitgestellt) und schauen wir uns im Jahr 1954 um, als die deutschen Nationalspieler für die Dauer ihrer WM-Teilnahme Verdienstentgang bezahlt bekamen und sonst nichts. Sönke Wortmann hat 2003 einen Spielfilm über das “Wunder von Bern” gedreht, der zunächst wie ein flachlustig rührseliges Heldenepos daher kommt, auf den zweiten Blick (oder für das entsprechende Feingefühl) aber auch eine ganz andere Geschichte erzählt. Der eigentliche Held ist nämlich der 11-jährige Matthias, der stellvertretend für uns alle die Folgeschäden und Traumatisierungen in Nachkriegsdeutschland erleidet. Doch Sönke Wortmann gelingt es, sämtliche Gefahren und Bedrohlichkeiten durch “wundersame Wendungen” dahingehend umzudichten, dass er eigentlich jenes Wunder erzählt, wie eine “Heilung der Vergangenheit” tatsächlich stattfinden kann.

Brita Steinwendtner wählt wiederum einen anderen Weg, um die Geschichten, die uns Dichter*innen erzählen, mit deren Lebensgeschichte in Verbindung zu bringen und sie dergestalt zu “verlebendigen”, also auch für uns Nachgeborene erlebbar – und somit wirksam zu machen. Im neuen Band “An den Gestaden des Wortes” aus ihrer Reihe “Dichterlandschaften” reist sie nicht nur durch die Zeit, sondern auch zu den Orten, wo sich deren Wirklichkeit, Imagination und Inspiration mit einander verbunden haben – und sie lädt uns ein, mit ihr auf eine magische Reise zu gehen.

Geschichte mit Gefühl nachvollziehbar zu machen, das verwandelt Geschichte in zutiefst menschliche Geschichten.

 

Weltzeit zum Totschlagen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. OktoberHerzlich wir kommen zur akuten Zeitverwandlung. Aus fünf mach vier. Schwuppdiwupp. Und Puff. Die synchronisierte Weltzeit ist hierzulande wieder einmal in den Winterbetrieb gehopst. Und auch wenn die allermeisten Uhren sich wie von Zauberhand selbst umgestellt haben, so kollidiert “die offizielle Zeit” doch merkbar mit manch anderer Zeitebene, die sich naturgemäß jeder amtlichen Vorschreibung entzieht. Seit der Erfindung des Eisenbahnfahrplans müht Mensch sich herum, seine “innere Uhr” mit allerlei äußeren Abläufen in Einklang zu bringen. Und dabei quietscht, scheppert und knirscht es im biologischen System, dass einem ganz unheimlich zumute wird. Mensch ärgert sich und will sich dagegen wehren – und bleibt doch meist mit seinem Jetlag wie betäubt in der Schulbank sitzen.

Tocotronic - Weltzeit rot weiß rotUnd so gestalten wir diesmal ein Stimmungsbild zwischen die Zeiten, wobei uns vieles zum Totscheißen ärgerlich erscheint, wir uns aber oft gar nicht fragen trauen, weil man das nicht darf. Nichtsdestotrotz entkommen wir der Weltzeit samt ihren Grausligkeiten auch wieder, indem wir uns anderen Zeitebenen öffnen, etwa mit diesen Herren vor diesem (un)zufällig rotweißroten Hintervordergrund. Alles Liebe zum Tag der österreichischen Unschuld! Wer nicht gelegentlich aus der aufgepfropften Chronologie der Weltzeit aussteigt und andere, eigene Zeiten für sich entdeckt, bleibt der verursachten Weltgeschichte ausgeliefert, und das ist ganz schön trostlos – und gefährlich. Die Geschichte von Predrag Pašić sei hierfür als Beispiel erzählt: Der ehemalige jugoslawische Nationalspieler betrieb während des blutigen Bürgerkriegs in Sarajevo eine Fußballschule für Kinder, die ausdrücklich alle Volksgruppen (Serben, Kroaten und bosnische Muslime) ansprach und den Kids ein tägliches Entkommen aus dem Krieg und in den Flow ermöglichte.

Auch wenn der Zeitgeist des globalen Konsumismus (danke, Edward Bernays, du USArschloch) es immer schwieriger macht, unsere verschiedenen Innenweltzeiten mit den ständig mehr werdenden Außenweltnotwendigkeiten und Terminen in Einklang zu bringen, so geben wir dennoch unsere Versuche nicht auf, mit allen Gefühlen und Bedürfnissen und Kindern und Tieren ….. in unserer gemeinsamen Welt zu leben. Auch an jedem verdammten Sonntag um 17:06 Uhr – denn siehe: Der Anfang ist nah!

So fest steht viel.

 

Zusammenhang

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Oktober“In the blood of Eden lie the woman and the man with the man in the woman and the woman in the man.” Den gleichnamigen Peter-Gabriel-Song hören wir am Anfang in der Interpretation von Regina Spektor. Frau und Mann – wo ist der Zusammenhang? Womöglich wird etwas von unserer gemeinsamen Menschverwandtschaft in uns selbst deutlich, wenn wir erleben, wie verschiedene Frauen Songs covern, die ursprünglich von Männern komponiert, getextet und vorgetragen wurden. Wie etwa das von R.E.M. stammende “The one I love” in einer beachtlichen Version von Widowspeak oder aber der Jimi-Hendrix-Klassiker “Hey Joe” in der Verbearbeitung von Charlotte Gainsbourg. Unter der Oberfläche unseres Gewohntseins lauern viele Seelen.

ZusammenhangWar es nicht C. G. Jung, dessen Archetypen Animus und Anima einen schönen (und naturgemäß weiterzudenkenden) Entwurf zum Verständnis der innerseelischen Wechselwirkungen vorstellte? “Jung betonte, dass Animus und Anima, wie alle Archetypen, von sich aus günstige und ungünstige, helle und dunkle, gute und böse Wirkungen entfalten.“ Ja, da schau her. Wie dämlich wirken dagegen die plumpen Versuche, uns ein stereotyp eindimensionales Mann/Frau/Selbstbild aufpfropfen und ins Bewusstsein schwindeln zu wollen. Der Mensch stirbt innerlich ab, er/sie/es geht an innerer Langeweile und Bewegungslosigkeit zugrunde, wenn die wildgewordenen Psychobrachialmechaniker versuchen, uns davon zu befreien, was ihnen oder sonstwem Angst macht. Die perversen Auswüchse solcher Umtriebe auf ganze Gesellschaften beleuchtet die Dokumentation “The Century of the Self 2” Warnhinweis in unser aller eigenster Sache: Menschen sind kein Industrieprodukt!

Der Mensch stirbt vor Schreck, wenn er plötzlich erkennt, dass er die Hälfte seines inneren Wesens erfolgreich ausgerottet hat. Der Mensch kann aber durchaus auch mit dieser anderen Hälfte in sich zusammen wirken und sich dergestalt auf jenes unendliche Abenteuer einlassen, das in den interessanteren Kreisen gemeinhin das Leben genannt wird. Hören wir hierzu das Punk-Duett von NOFX und Sarah Sandin bei “Lori Meyers” sowie Käptn Pengs hip-hopoide Würdigung zweier Menschen, die sich in Füchse verwandeln – und was danach geschah – in “Sie mögen sich”.

“Frau und Mann, aus und an, schau dich an, du bist der Zusammenhang …”

Wir hängen zusammen

 

Palmen Unter

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. OktoberEr ist wieder da! Und schon ereignet sich auch Inspiration. Es ist ein merkwürdiger Zustand, der da wie aus dem Nichts plötzlich in Bewegung kommt. Ein Vierzeiler von Wolfgang Kauer, kurz nach der Rückkehr aus dem Urlaub unter Palmen am Telefon vorgetragen, erinnert mich an ein Lied aus meiner Jugend von Konstantin Wecker: “Die Herren pokern, ihre Welt schneit unsere Herzen langsam ein. Jetzt kann nur noch die Phantasie die Sterbenden vom Eis befreien.” Mein Denken biegt in eine neue Richtung ab, und ich frage meinerseits: “Was ist das eigentlich, Phantasie? Der Hase antwortet: “Julian Schutting würde sagen, dass er über eine entsprechende Imaginationskraft verfügt.” Wie geil! Es regnet Themen, mit denen wir weiter denken – und arbeiten können …

Palmen UnterDa machen wir doch gleich eine Sendung draus! Zumal der Hase aka Christopher Schmall zur Zeit an einem neuen Gedichtzyklus mit dem Arbeitstitel “Palmen Unter” laboriert – und sich dabei auch von Julian Schutting inspirieren lässt. Verdichten wir eine Collage aus Anekdoten, Lesungen, Musik und Künstlergespräch – zu einer kaum beschreibbaren, auf jeden Fall aber erlebbaren Welt, die sich zwischen zwei Menschen ereignet – und dabei doch so geheimnisvoll bleibt, wie Peter Gabriel das einmal in einer Vorrede zu dem wunderbaren Song “Secret World” ausgedrückt hat (ich übersetze sinngemäß): “Machmal sieht man ein so eng verbundenes Menschenpaar, dass sich nur noch schwer unterscheiden lässt, wer jetzt genau wer ist. Und kleinste Bestandteile von ihnen lösen sich auf – in einen Raum, der zwischen ihnen entsteht. Dies könnten wir als geheime Welt bezeichnen.”

Wieso geheim? Manch Mensch mag sich das jetzt fragen – und schon esoterisches Marktgeschrei im Hintergrund trapsen hören oder die Andenkenstandler der einen oder anderen Weltreligion mit ihren morschen Knochen klappern. Aber nicht doch! Wir leben ja alle in mehreren Welten zugleich, mindestens jedenfalls in deren drei: Die Welt der Straßenverkehrsordnung, die Welt der Wünsche und Phantasien – und die Welt dazwischen. Diese dritte Welt (!) haben wir auch bitter nötig, um uns nicht an den Widersprüchen der ersten zwei immer und immer wieder aufzureiben.

Noch lockt das Unverfügbare

 

Aus einer Zeit vor unserer Zeit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. September – Es war einmal eine Zeit, in der man den Übergang von alten, bösen Zuständen in neue, bessere Zukünfte förmlich zu riechen und zu schmecken glaubte. Nie wieder sollten irgendwelche hoffnungslos rückwärtsgewandten Trottel mit ihren wahnsinnigen Ideologien die Welt in Krieg und Zerstörung stürzen. Vielmehr sollte ein neues Zeitalter der friedlichen Entwicklung anbrechen und mit der Zeit alle Ursachen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung auf der ganzen Welt überwinden. Halleluja! In Griechenland begannen drei Freunde damit, psychedelische Popmusik herzustellen. Sie nannten sich Aphrodite’s Child und feierten erste Erfolge, als ein paar hoffnungslos rückwärtsgewandte Trottel dort eine Militärdiktatur einführten und so jeglichen künstlerischen Freiraum abwürgten.

Aus einer Zeit vor unserer ZeitKein Wunder, dass unsere Freunde sich (gemeinsam mit vielen anderen Regimegegnern) vor den Gefahren des Gefoltertwerdens erstmal in Sicherheit brachten, auch um ihre progressiven Musikprojekte weiter unzensiert vorantreiben zu können. Sie gelangten auf verschlungenen Wegen nach Paris und spielten dort das Konzept-Doppelalbum 666 ein, das bis heute als wegweisend und stilbildend für die gesamte Zeit des Progressive-Rock gilt. Ungeachtet all seiner Entstehungsumstände (es wurde zum Beispiel im legendären Europa Sonor Studio aufgenommen, wo Pink Floyd später ihren Klassiker Dark Side Of The Moon herstellten) ragt das Meisterstück von Aphrodite’s Child weit über die Zeit seiner Entstehung hinaus – auch bis in unsere Zeit hinein. Warum? Weil es die Bilder der Apokalypse des Johannes (Offenbarung) und somit das “Ende der Welt” zum Thema hat – und diese an sich schon verstörenden Motive mit verschiedensten Stilmitteln in zugängliche Zeitlosigkeit “übersetzt”. Weil es dabei von vorn herein ein offenes Ende hat und dadurch der Phantasie des Publikums freien Lauf lässt.

Weil es uns keine “richtigen” Deutungen und Bedeutungen aufdrängt. Weil es nicht mit irgendeiner Weltsicht missioniert, stattdessen diese Flut von surrealen Bildern in künstlerischer Überdrehung derart auf uns einprasseln lässt, dass, wenn überhaupt, Deutungsmöglichkeiten in unserer Vorstellung entstehen, aber halt immer mehrere. Wenn Griechen sich an biblischen Themen abarbeiten – wer erinnert sich da nicht an Nikos Kazantzakis’ Roman “Die letzte Versuchung” und an seine skandalumwehte Verfilmung von Martin Scorsese mit Willem Dafoe als Jesus?Ich schweife ab …

Damit mir das in der Sendung nicht passiert, oder aber erst recht, je nachdem, habe ich den Musikschichtenforscher und Assoziationsexperten Andreas Woldrich von der löblichen Sendereihe “Battle & Hum” als Gesprächsgast eingeladen. Und das kann dem diesmaligen Thema, das ein in sich vielfaches ist, auf jeden Fall nur gut tun!

Einige Hintergründe zu den oft verstörenden Abgründen auf diesem Album finden sich auf dieser Vangelis Papathanassiou gewidmeten Seite. Wir wissen auch nicht, welche Apokalypse gerade stattfindet und ob sie echt ist oder Theater. Oder wie …

 

Zu den drei Hasen

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 9. September um 22:06 UhrZu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Hasen … Es ist schon etwas Besonderes, wenn ein Mensch einen anderen “Hase” nennt – und es sind mindestens so viele Bedeutungen dabei möglich, wie es Hasen auf der Welt gibt. Die vermehren sich nämlich auch wie die Karnickel. Jedenfalls dort, wo ihre Wiese noch nicht von Maschinen planiert ist, damit sich die Überbevölkerung einfacher ausbreiten kann. Von der Hasenjagd (und es muss auch nicht die Mühlviertler sein) wollen wir hier gar nicht erst anfangen. Der Hasenwerdung des Menschen und/oder umgekehrt haben wir einst in der Sendung “Hasen wie wir” nachgespürt. Heute wollen wir jene Menschen würdigen, zu denen wir gern “Hase” sagen, sowie all das, was mit diesem Begriff mitschwingen kann…

Zu den drei HasenNun ist ja der Hase, wie wir ihn aus freier Wildbahn kennen, seiner Natur nach ein sehr scheues Wesen, das wir zwar aus der Ferne beobachten, dem wir jedoch nicht nahekommen können, auch nicht als junger Hund. Wenn aber jetzt so ein Hase auf ein Mal stehen bliebe – und sich zu uns umdrehte, dann wäre das schon ein erster Einbruch von etwas gänzlich Unerwartetem, das sich allerdings wesentlich “richtiger, stimmiger und auch zusammenhängender” anfühlen könnte als vieles, was wir bisher zu wissen geglaubt haben. Und wenn dieser Hase jetzt auch noch auf uns zu käme (anstatt wie üblich von uns weg zu laufen), dann stünden wir bereits mitten in etwas, das wir als “wundersame Erscheinung” einzuordnen gelernt haben. Als etwas, das es eigentlich nicht geben kann (von dem aber wiederum in vielen Geschichten berichtet wird). Ja, was denn jetzt? Gibt es mehr als nur eine Wirklichkeit? Und wenn ja, warum? Zu Hilfe, ich werde von freundlichen Hasen verfolgt! Halt, nein, andersrum: Zu Hilfe, ich werde von unfreundlichen Jägern verfolgt, weil ich mir freundliche Hasen vorstellen kann.

Zu den drei HasenWenn uns besagter Hase darüber hinaus noch freundlich begrüßt, uns zum Verweilen auf seiner Wiese und zum Abendessen einlädt, und wir mit Erstaunen feststellen, dass wir seine Sprache verstehen, dann sind wir endgültig in einer anderen Welt gelandet, von der wir bis vor kurzem noch nicht geglaubt hätten, dass es sie überhaupt geben kann. Oder wissen wir es längst, dass es auch noch weitere “andere Welten” gibt, wenn wir nur unserem inneren Sinn für den Zusammenhang allen Lebens vertrauen? Möge der Hase mit uns sein, denn bei der nun unweigerlich bevorstehenden Kollision zwischen den Wirklichkeiten kann es schon einigermaßen ungemütlich werden. Es sei denn, wir beschränkten unsere Phantasien auf eine sogenannte Freizeitbeschäftigung und verhielten uns ansonsten entsprechend der allgemeinen Übereinkunft als folgsame Bewohner der einen Wirklichkeit aus dem Realitäterbüro zum Weltbeherrsch. Die Trennung zwischen Mensch und Kunstperson wäre somit das Kriterium geistiger Gesundheitnicht die Stimmigkeit mit den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen?

Zu den drei HasenSind sprechende Hasen also ein Fall fürs Kinderbuch – und damit für die Geringschätzung all dessen, was als “kindlich” oder “kindisch” abqualifiziert wird in unserer “dem Erfolg um jeden Preis gewidmeten” Gesellschaft? Oder ist es geradezu Gesellschaftsgerm (der locker und fest zugleich macht), wenn Mensch einen Menschen “Hase” nennt, weil er/sie plötzlich dessen Sprache und “andere Welt” versteht? Weil er/sie statt der logisch erwartbaren Flucht freundliches Zutrauen erfährt? Weil etwas/jemand wie ein wildes Tier mit einem Mal “zähme mich” sagt und dieser Vorgang zur “gegenseitigen Zähmung” wird? Muss denn des Menschen Versuch, die bekannte mit der unerwarteten Welt zu verbinden, so dass beide in eine Wechselbeziehung eintreten können, von vornherein als Spinnerei abgetan und in weiterer Folge aus der Erwachsenenwelt weggemacht werden? Nun, wenn man (wer auch immer das ist) den “Status Quo” auch “um jeden Preis” aufrecht erhalten muss… Apropos, seit Christi Geburt (dem Jahr 0) gab es auf der gesamten Welt etwa eineinhalb Jahre Frieden. Da sind mir die Hasen lieber

PS. Ein Gasthaus namens “Zu den drei Hasen” gibt es übrigens auch. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Stootsie

 

Die Schatzinsel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. August – Schon seit einigen Jahren erklingt an jedem dritten Sonntag im Monat im Anschluss an unser Artarium eine Sendung namens “Gitarre und Meer: Eine Seereise mit Captain Carsten”. Und fast immer, wenn wir da noch ein Weilchen zuhören, entdecken wir die eine oder andere Perle, die uns angenehm überrascht. Denn von einem, der auszog, im Musikum Mattsee Gitarre zu lehren, (und darüber hinaus mit konzertantem Flamenco auftritt) haben wir kein so weites Spektrum an Musikstilen erwartet, wie es sich da immer wieder aus dem Radio heraus entfaltet. Grund genug, den geheimnisvollen Captain (der auch noch tatsächlich von der norddeutschen Küste herstammt) auf unsere Schatzinsel einzuladen. Die Perlentaucher sind halt neugierig auf alles, was Resonanz erzeugt.

Die SchatzinselWährend der Hase diesmal mit dem Glücklichmachen von Festspiel-Mitwirkenden beschäftigt ist, werde ich mit dem Captain gemeinsam ein paar versteckte Schätze heben, die uns vielleicht vertraut sein mögen, doch im Zusammenspiel von Musik- und Lebensgeschichte einige ganz neue Aspekte gewinnen können. Zu One Hundred Years von The Cure etwa fiel dem Captain (in Erinnerung an allerlei ”scheinbar apokalyptische Klänge” aus seiner Jugendzeit) folgendes ein: “Markant ist musikalisch immer die erbarmungslose kleine Sekund abwärts, die den Song aussichtslos erscheinen lässt. Wie auch schon bei Astronomy Domine von Pink Floyd. Syd Barrett hat das bei Gustav Holst – Die Planeten (Mars der Kriegsbringer) entliehen.” Ham wir mal wieder was gelernt! “Ein Musiklehrer halt.”, stellte der Hase zutreffend fest. Und ich fand wieder einmal heraus, wie gut das wiederholte Anhören gerade bei repetitiv minimalistisch geprägter Musik ist, um deren Sinn zu erfassen.

Doch keine Angst – das wird hier keine Musikfachsimpelsendung. Vielmehr wollen wir den sympathischen Kollegen von der “Sendung nach uns” einmal kennenlernen – und euch sein sehr offen und assoziativ gehaltenes Sendungskonzept vorstellen, das dem unseren durchaus wesensverwandt ist und diesmal als “Captain Carstens Capriolen 2” stattfinden wird. Eine Sendung, die den Musikgenuss mit interessanten Anekdoten und Hintergrundwissen anreichert und zu einer bekömmlichen Mahlzeit (mit Zutaten aus allen sieben Weltmeeren) zusammenkomponiert. Wohl bekomms

Die Salzburger Strandpiraten im Strom der Kulturgezeiten bitten zu Omnomnom!

 

Wie viele bist du?

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 12. August um 22:06 UhrWir sind viele. Und Anlässe gibt es auch. Ilija Trojanow etwa fordert uns in seiner Festspielrede auf, zu desertieren“aus der Eintönigkeit des Krieges in die Vieltönigkeit der Kunst.” “Ciao, ciao, Commandante!” Ein Chor aus verschiedenen Stimmen vereint – gegen die Befehlsgewalt der Gleichmacherei. Staatsbürgerstaatsbesitz abkommandiert zum Opfergang gehorcht lieber der inneren Stimme: “Ich bin des Menschen Kind.” Doch in jeder und jedem streiten sich mehrere – ja, sogar viele. Wie viele bist du? Auch nur ein Trottel, der glaubt, Stimmenhören sei eine Krankheit oder ein Album von André Heller? Kunnst dir vorstellen, die Dramen der Welt spielen sich auch in dir und in mir ab? In uns allen? Hiermit erklären wir diese Vorstellung für eröffnet…

Wie viele bist du?Eine der wirkmächtigsten Fragen meiner Therapeutin (wenn ich etwa verdächtig Unterwürfiges äußere) lautete: “Wer spricht da?” Im Lauf der Zeit nahmen diese Stimmen, aus denen mein Gedankenfluss wohl offenbar besteht, in meiner Vorstellung Gestalt an – und es wurde mir möglich, je nach meinen Bedürfnissen, mit ihnen inwendig ins Zwiegespräch zu kommen, sie auszulachen – oder mich von ihnen zu verabschieden. Wohin das führen wird, bleibt offen. Das Drama findet nach wie vor statt. Nur werde ich zunehmend zu dessen Autor und Regisseur – statt lediglich eine mir vorgeschrieben vorkommende Rolle darin auszufüllen. Wenn weniger mehr ist, dann ist auch mehr weniger. Kommt darauf an, wovon. Wenn ich in dem Stück, das sich in mir abspielt, mehr zu bestellen habe, dann brauch ich mir in dem Drama, das da draußen vor sich geht, bestimmt weniger zu bestellen. Nicht, dass ich nicht atmete oder weiterhin äßenur aufgeblasene Wichtigkeiten werden mir immer wurschter.

Wie viele bist du?Einfalt und Vielflat, Kulturtod und Kunnst?, Konsumismus und die Digitale Diktatur. Wenn sich zwei oder drei Stimmen gemeinsam im Namen des Lebens erheben, wird ein Freiraum erschaffen. Gelebte Ambivalenz gegen die auferlegte Eindeutigkeit, die Interessen der Machtausübung. Mehrdeutigkeit, Vielstimmigkeit. Schichten von Gedichten jenseits gefühlsarmer Gebrauchsmusik. Wir basteln uns Festspiele außerhalb der verwalteten Welt und Teodor Currentzis erklärt uns ein System, das perfekte Maschinen ohne Phantasie und Emotion hervorbringt. Au! Toren, die den Menschen im Namen der Entrüstung vorauseilend schlechtschreiben, sind im besten Kreislerschen Sinn “Musikkritiker”, also zutiefst unmusikalisch und zudem noch existenziell frustriert. Schriftstehler, zwischen deren Zeilen nichts als Leere herauszulesen ist – wenn man sich die vergebliche Liebesmüh sinnloserweise antun will. “Zeigen sie dem Orchester, was nicht in der Partitur steht.” Eben.

Wie viele bist du?Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen und Gegen Blödheit hilft auch keine künstliche Intelligenz. Wir haben die Vorstellung, all das zu spielen, was sonst nirgedwo in dieser Form zusammen klingt und dessen Geist und Gefühl zwischen seinen vielen Stimmen andernfalls abgehen würde im Chaosmos der Möglichkeitsformen. Zutritt nur für Verrückte! Hermann Hesse hat in “Klein und Wagner” die Vielheit der Stimmen im Universum sprachlich atemberaubend dargestellt (und zwar lang bevor LSD entdeckt war) und die Instrumentalgruppe Between hat diesen Höhepunkt der Wortgewalt gemeinsam mit Gert Westphal 1974 zu einem eindrucksvollen Hörstück namens “Suicide” verbearbeitet, dass es einem die Weltreligionen und Philosophien nur so durcheinanderhaut. Und Chorleiter Cyprien Sadek hat die 40-stimmige Motette “Spem in alium” von Thomas Tallis mit seinem Choeur Altitude lustvoll wiederbelebt (nach alter Aufführungspraxis, mit den Sänger_innen rund ums Publikum stehend).

“Hören sie genau hin!” – Dieses Mal zwischen die Töne und hinter das Gefühl