Der Sommer kann beginnen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. JuniDie Welt ist im Begriff aus den Fugen zu geraten – und wir freuen uns, dass es Sommer wird. Leben wir nicht alle in diesem Zwiespalt zwischen Lebensfreude und Vergehen? Zwischen Wachstum und Zerfall? Zwischen “Moi, is des scheee!” und “Geh, bitte – ned des a nu!” Es ist an der Zeit, den Sommer zu begrüßen und mit ihm zu feiern, weil wir kostbar sind. Zerbrechlich, aber wunderschön. Trügerisch wie das Idyll und tief vertraut mit uns. Wenn wir uns wirklich ausliefern, dann werden wir uns auch nicht umbringen. Wir sind ihre Hasen des Guten, Wahren und Schönen. Der Rest ist Geschichten. Womit wir auch schon bei jenem “schönen Ort” angekommen sind, “wo das Leben zur Sprache kommt”, dem Salzburger Literaturhaus und seinem heurigen, ganz speziellen Sommerfest.

Die dort gemachte Aussage: “und ausnahmsweise keine Literatur.” ließ uns innerlich aufhorchen (oder fast schon erschrecken) Waaaas? Ein Fest im Literaturhaus OHNE Literatur? Ja, dürfens denn das? Doch dann erfuhren wir unter der Hand, dass die da angekündigte “Überraschung” aus so einer Art Textpotpourri oder anders gesagt “Sommersprachblütenstrauß” bestehen wird, was wunderbar zu unserer ursprünglichen Idee für diese “Sendung als Sommerfest” passt, wollten wir doch ebenfalls eine “Blütenlese” aus sommerthematischen Audiocollagen und Musikstücken präsentieren und dazu die eine oder andere “Überraschung” bereitstellen. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich stattfindenden Wirklichkeiten ist ebenso beabsichtigt wie auch frei erfunden. Alles andere wäre rein zufällig – und das ist es eh oft. Wobei “rein” … aber lassen wir das!

Es fällt jedenfalls auf, dass in unseren Artarien, Nachtfahrten und Perlentauchereien immer wieder jahreszeitliche Schwerpunkte auftauchen. Das begann schon 2008 mit der mehrteiligen Reihe “Sommerkunst”, die in einer Radioschorsch-Auszeichnung zum 10-jährigen Jubiläum der Radiofabrik kulminierte. Im Juli 2013 hinterfragten wir den Salzburger Festspielzirkus einmal sprach- und gesellschaftskritisch: Sommer Textase Reloaded. Und am 12. Juni 2015 “eröffneten wir uns einen H. C. Artmann Platz. Feierlich. Live. Im Radio.” Unter dem passenden Titel Sommernachtstraum.

Zuletzt soll sich der Kreis noch thematisch schließen. In unserer Sendung Dunkelbunt Sommertag haben wir die eingangs skizzierte Zugleichheit aufgezeigt: “Sommertag assoziiert ja seit Erfindung der Sommerferien alles Vorstellbare rund um Freibad, Freiheit und Freizügigkeit. Oder lieber Freibier? Dennoch wohnt dem Sommersein oft nicht nur Schönes und Helles inne, sondern auch Abgründiges.” Und weiter: “Jede Extase trägt immer auch den Absturz in sich, so wie im Leben das Süße auch immer mit dem Bitteren vermengt ist.”So riecht, so schmeckt, so fühlt sich Sommer an.

Ein frohes Fest. Wir sehen uns …

PS. Jochen Distelmeyer, den wir in der Signation hören und den wir als einen ganz herausragenden deutschen Dichter verstehen, hat mit Jenseits von Jedem die fast 15-minütige Ballade eines realsurrealen Sommerfests verfertigt, die wir euch jetzt zu jedweder Einstimmung – und überhaubst – heftig ans Herz legen wollen.

 

Gibt es Osterhasen?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. April  Zuerst der päpstliche Ostersegen – und jede Menge christlichen Mullah-Tschack noch dazu: Homosexualität ist vom Teufel! Und Osterhasen gibt es nicht! Stattdessen Krieg und Weltzerstörung im Namen der Realität: Die Ernste des Lebens oder Die Realitäter mit Werbeagentur. “Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie Erwachsene, aber was sind sie jetzt? Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.” Erich Kästner. Tief im eigenen Ich versteckt ist dieses Menschenkind, das wir alle einmal waren und mit dem gemeinsam wir Mensch sein könnten – wenn wir das, woran es in uns glaubt, wichtiger nähmen als eine schwindlige Weltpolitik.

Osterhasen, Jesus und die Kunst von Erik Ravelo SuarezEtwa den Brief, den es mit 5 Jahren an den Osterhasen geschrieben hat. Vor allem das, was es damals als seinen Wunsch für sein gedeihlich aufkeimendes Leben formuliert hat – passend zur Frühlingsstimmung. Das hätte uns durch die Jahre begleiten sollen – nicht rationalisiertes Erklärgeschwafel von wegen Erziehung zur Anpassung” an die “Realität der herrschenden Verhältnisse”. Und auch wenn Werbeagenturen gemeinhin dafür bekannt sind, als feindliche Invasoren in unser Unterbewusstsein einzudringen, so zeigen doch einzelne Beispiele gelegentlich echten Kunnstverstand jenseits von Markt und Manipulation. So wie dieses Foto von Erik Ravelo Suarez, der unter anderem in der Benetton-Fabrica arbeitete und dessen provokative Installationen sich inzwischen zu einem globalen Street-Art-Phänomen entwickelt haben. Oder auch eins unserer früheren Lieblingsbeispiele, das Video “Get Closer”, das Jung von Matt/Limmat 2011 für Pro Infirmis in der Schweiz produziert haben. Jedes wem auch immer innewohnende Kind, das sich noch immer ausdrücken darf und das noch dazu wahrgenommen wird, reagiert auf derartige Darstellungen mit wachem Interesse. Wir sollten ihm den Frühling nicht verderben. Und uns selbst

Du kannst deine Gefühle nämlich nicht abspalten – auf jeden Fall nicht auf Dauer. Im Angesicht des Todes mag wohl alles nichtig und lächerlich sein, aber spüren werden wir es, dass wir sterben. Da hilft kein Morphium und auch kein Erwachsensein. Und schon gar keine lebenslang eingeübte Gefühlsstarre. Und Pseudogefühle, die bloß reizausgelöste Reaktionsgebärden zur Vorspiegelung erwünschter Verhaltensweisen sind, haben da schon gar keine Gültigkeit. Es geht um den Mut zum Mitgefühl, auch mit sich selbst. Und mit dem Anderen, auch in sich selbst. Denn, ja da schau her:

Auch der andere, der bist du

 

Im Fluss

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. JuliEin nachhaltiges Plädoyer fürs Baden in der freien Natur (ist die eh noch da?), fürs Plantschen und Schwimmen und Zeitvergehenlassen in Flüssen, Bächen oder Seen. Gehts euch doch brausenaber bitte im Wasserfall! Nie war es so wertvoll wie heute, sich den Elementen der nicht verwalteten Welt hinzugeben. Ringsumher regieren Künstlichkeit und Zwang, doch der Mensch erinnert sich stets seiner Natürlichkeit, sobald er wieder eintaucht ins Fließende. Hier und Jetzt. In den wohltuenden Fluss irgendwo da draußen, wo kein Business das Sein verschandelt und kein Bademeister sich ins Mein oder Dein einmischt. Wo das lange Eingesperrtsein von einem abfällt wie ein böser Traum und das Leben feuchtfröhliche Urständ feiern kann – sofern sich Sonnenschein ausgeht.

Im FlussWie umfassend bereichernd so eine Erfahrung im naturbelassenen Fluss werden kann, das beschrieb schon Bertolt Brecht im von Konstantin Wecker kongenial vertonten Poem “Vom Schwimmen in Seen und Flüssen“, das wir unserer heutigen textmusikalischen Hörbildcollage voranstellen, und in deren Mitte wir den vielschichtig interpretierbaren Sommersong “Im Fluss” unseres aus der ach so schönen Stadt Salzburg erfolgreich entsprungenen Kollegen Marwin Tea vorstellen. Und ungeachtet unserer Bekanntschaft, das hier verlinkte Video ist ausgezeichnet gemacht. Es lädt auf mehreren Ebenen dazu ein, sich auch der Metaphernwelt des “Im Fluss Seins” ebenso verspielt wie spaßernst anzuvertrauen. So wie das sich mit der Zeit immer besser anfühlende “den Fluss des Lebens hinunter treiben lassen”.

Denn, seien wir mal ehrlich, genau das macht das Leben von uns Menschen aus.

So verläuft es – von der Quelle bis zur Mündung – nie langsamer und nie schneller. Einfach immer seine Strecke lang, eingebettet in einen erstaunlichen Kreislauf aus Werden und Vergehen, aus Verwandlung und Wiederkehr. Wozu sich also mit dem angestrengten Turmbau zu Immernochhöher, Immernochbesser und Immernochmehr aufhalten, wo doch das Leben des gesamten Planeten ein einziges Immernurfließen ist, das keine noch so aberwitzige Konstruktion je verändern kann? Let it flow …

Das Leben lebt, es ist ein wunderschöner Sommertag (Gisbert zu Knyphausen)

 

Das goldene Tal

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. Januar – “Das goldene Tal” ist eine jener Sagen aus Salzburg, die Michael Köhlmeier nebst zahllosen anderen Märchen und Mythen frei erzählt auf CD herausgebracht hat. Und es ist die perfekte Metapher für eine Gesellschaft, die dem Reichwerden verfällt, sich nach außen abschottet – und schließlich untergeht. Willkommen im 21. Jahrhundert! Auf unserer heutigen Reise besuchen wir einige recht bodenständige Liederdichter und Geschichtenerzähler in ihrer “Heimat”, die ihre Kunst und somit ihre Seele niemals an den meistbietenden Tourismusverein verkaufen würden. Denen es mehr um die Erhaltung unzerstörter Landschaft und Menschlichkeit als um den größtmöglichen Profit auf Kosten der nachfolgenden Generation geht. Denen ein lebendiges Herz mehr bedeutet als eine

Das goldene Tal wird von einem Schattenkönig beherrschtgoldene Uhr oder sonst ein Tinnef mit Lakritz. Und so treffen wir nicht ganz zufällig auf Fritz Messner, der mit seiner Band Querschläger auch diverse Tauerntäler bespielt, sowie auf Toni Knittel, einen Bluatschink aus dem Lechtal, dessen Mundart das heilige Land mit dem Ländle in Verbindung bringt. Und dort waltet wiederum der eingangs erwähnte Meistersinger der erzählten Rede. Ha! Gleich in mehrfacher Hinsicht eine Rundreise also. Mit Abschweifungen, wie es sich gehört: Etwa anlässlich der Frage, was “der Bluatschink” denn eigentlich ist. Die Etymologie dieses dämonischen Wassergeists führt zur klangvollsten Volksgruppe, mit der ich mich je identifiziert habe, nämlich zu den “kärntnerischen Alpenslaven”. Chapeau! Und auch zum “Blutschinkischen Grobianismus” aus der Phantasiewelt Zamonien von Walter Moers, weshalb wir den Herrscher über das goldene Tal hier vorzugsweise durch eine entsprechende Plastik von Carsten Sommer illustrieren. So überaus elegant kann (und sollte man auch!) aus der Abschweifung zurück finden.

Zurück in das goldene Tal, dessen Bewohner ihre Söhne schlachten (ihre Zukunft zerstören), um über die Maßen reich zu werden, den Taleingang (die Außengrenze) mit einer unüberwindlichen Mauer versperren, damit ihnen niemand ihren Reichtum wegnehmen kann, und die am Ende genau den Teufel anbeten, der sie zu diesem herzlosen Tun verführt hat. Doch wer oder was ist dieser Satan? In die Gegenwart übertragen hockt da ein Mammonmoloch auf dem Thron, die Summe aller Absichten und Entscheidungen, das Lebendige hintan zu stellen und den Wunsch nach mehr und immer noch mehr Reichtum (und Macht und Bedeutung und Ruhm) vorzuziehen.

Doch nach wie vor gibt es Propheten, die den handelnden Personen ins Gewissen reden: “Es sitzt ein Mann im Kanzleramt, der hat ein Herz aus Stein.” Kehrt um! Sonst fahren wir noch allesamt zur Hölle, herzlos und schuldig am Tod der Zukunft.

Etwas dagegen tun? Bitte, hier: Courage – Mut zur Menschlichkeit

 

Symphonie Symposion

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Dezember – Das etwas andere Kunnst-Biotop ergeht sich anlässlich des andventlichen Eingesperrtseins von Kunst und Kultur in seinem selbsterteilten Bildungsauftrag. Zur Einführung hören wir John Lennon, Leopold Figl sowie Tony Levin. Und naturgemäß würdigen wir am Schluss des Beethovenjahres auch diesen herausragenden Musikrevolutionär, ohne dessen Aufbrechen der klassischen Formensprache es keine Romantik, keine Programmusik und keinen Progressive Rock gegeben hätte. Zeitreise rückwärts. Beginnen wir mit einigem davon, was sich aus heutiger Sicht aus dem Erbe der 9. Symphonie weiter entwickeln ließe. Das Schöpferische will seinem Wesen nach zu eigener Kreativität inspirieren – und nicht als musealisierte Mumie unfruchtbar vor sich hin verfaulen.

Lauscht die Raucherin einer Symphonie?Bevor wir dann zu unserem selbst zusammengestellten Hörerlebnis kommen, halten wir doch kurz bei dem Bild von Mirek Kuzniar inne. Ob die Raucherin hier wohl gerade hoch konzentriert einer Symphonie lauscht? Oder doch eher Jazz? Ob ihre Hingabe hier überhaupt einer Musikdarbietung gilt? Oder sind es Erinnerungen? Oder Phantasien? Es geht darum, sich einzulassen auf das, was sein könnte. Eigene Bilder und Assoziationen hervor steigen und sich selbst mitreißen zu lassen in den Strom dessen, was da alles auf- und wieder untertaucht. Das wäre eine gute Einstimmung in die Klangmalerei, die auch das heutige “ganze Album” charakterisiert. Denn dafür haben wir eine gute halbe Stunde symphonischer Musikstücke aus der Hochblüte der Romantik und der Programmusik herbeigeschafft. Und wenn wir jetzt schon dabei sind, die Anstifter zu würdigen, es war die Beschäftigung mit Brita Steinwendtners neuem Roman (der ja hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt), die unsere Auswahl maßgeblich angeregt hat. Die Sätze und ihre Bezeichnungen lauten entsprechend:

01 Nikolai Rimski-Korsakov – Der Hummelflug (Langversion)

02 Bedrich Smetana – Vltava (Die Moldau) aus “Ma Vlast” (Mein Vaterland)

03 Antonin Dvorak – Adagio (Symphonie Nr. 9 “Aus der Neuen Welt”)

04 Anton Bruckner – Scherzo (Symphonie Nr. 9 “Die Unvollendete”)

Wir wünschen unseren Hörer*innen dabei eine gedeihliche Reise durch nicht enden wollende Klangwelten und Bilderfluten.

 

Dieses seltsame Krimigenre

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. Oktober – Eine Annäherung ans Unendliche durch Weglassen von Vielem und Hervorheben von Einigem. Beispielsweise. Schon das Krimigenre (sei es im Film oder in der Literatur) lässt sich in all seinen Subgenres und Verzweigungen kaum akademisch erfassen, geschweige denn präzise abgrenzen. Muss Blut fließen? Geht es um Mord? Whodunit? Und warum ist jedwede Darstellung von “Crime” beim Publikum offenbar so beliebt? Die Psychologin unseres Vertrauens empfiehlt diesfalls, den Autor von “Schuld”, Ferdinand von Schirach, zu befragen. Und sie verweist dabei auch auf die Ambivalenz des Menschen, die sich speziell in der Spannung zwischen Leben und Tod widerspiegelt. Womit sich das Wesen der Dramaturgie im gesamten Krimigenre erklären lässt. Wir haben eine heiße Spur

Neues im Krimigenre

Quellenangabe: obs/ZDF/Thomas Jahn

…und eine ziemlich interessante These: Im sonst eher nicht so für künstlerische Höchstleistungen berüchtigten Fernsehprogramm (zumindest in dessen öffentlich-rechtlicher Gestalt) tauchen seit einiger Zeit ansprechende, vor allem aber nicht-amerikanische Produktionen auf, wie etwa die neue ZDF-Serie “Professor T.”, welche wir bereits in der letzten Perlentaucher-Nachtfahrt warm empfohlen haben. Des weiteren überrascht uns die Fernseh-Kriminalfilm-Reihe “Tatort” (die es seit 1970 gibt) auch immer öfter mit kunstvollen Eskapaden, was ehedem (ich erinnere mich dunkel) gar nicht in ihrer Art lag. Womöglich lockt ja das kommerziell erfolgreiche Krimigenre künstlerisch ambitionierte Filmemacher und Autor_innen geradezu an, wenn diese sich kreativ austoben – und dabei auch noch Geld verdienen wollen. Zuletzt hat der bekannte Regisseur Dani Levy zum Beispiel den Tatort “Die Musik stirbt zuletzt” im One-Shot-Verfahren gedreht, also ohne Schnitt und in einer einzigen Kamerafahrt. Mit ähnlichen Methoden hat der Großmeister des Suspense, Alfred Hitchcock, in “Cocktail für eine Leiche” (Originaltitel “Rope”) schon 1948 herum experimentiert…

Womit wir beim Literaturhaus und dem dort vom 8. bis 10. November stattfindenden 10. Krimifest angelangt wären. Selbiges wird passenderweise von einer Ausstellung namens “Hitchcock. Vom Buch zum Film“ umrahmt, an deren Gestaltung auch der Studiogast unseres Vertrauens, Emanuel Gauß, mitgewirkt hat. Dazu servieren wir, dem kriminellen Anlass entsprechend, Musik von Element Of Crime – aber nicht nur!

 

Speziell Künstler

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. November – Sie sind jung – und der Kunst verfallen. Unsere Studiogäste NEKRO und XEON produzieren aber nicht nur Graffiti, sondern jede Menge Gebrauchskunst und Spaß, wie sich in dieser Sendung zeigen wird. Zwei junge Künstler aus Berufung, die verschiedene Wege verfolgen, um ihre Ideen und Ideale mit der Zeit auch zu Brot und Beruf zu machen. Gegenwärtig oft auch gemeinsam am Werk, verbinden sie Ernsthaftigkeit und Selbstironie in einer Art und Weise, wie es in ihrem Alter und gerade in der Graffiti-Szene eher selten ist, wo sich doch die meisten Spraypaint-Streetkids und Hip-Hop-Gangster in fast religiöser Manier sowas von todernst nehmen, dass es nur noch lächerlich wirkt. Aber nicht so diese beiden Helden der Nacht!“Wenn ihr das hört, werdet ihr Augen machen…”

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Unser Wahlslogan lautet deshalb auch noch immer: “Kunnst kommt von könntest” und stellt somit das Biotop der Möglichkeiten dar. Genauso wie beim Erarbeiten von Techniken und Ausdrucksformen ist es auch im “richtigen Leben” – es geht ums Ausprobieren. Und dafür gibt es keinen Fahr- oder Lehrplan, keine Wegbeschreibung oder Zeitvorgabe. Das will uns die Geldrepublik Hamsterland zwar beständig eintrichtern, aber seien wir uns mal ehrlich – wer kann mit so einem lebenslangen Hamsterradl im Kopf geistig gesund bleiben? Oder, wie uns bereits Rudi Dutschke prophezieh: “Es wird nichts vorgezeichnet. Das Vorzeichnen ist ja gerade das Kennzeichen der etablierten Institutionen, die den Menschen zwingen, etwas anzunehmen.” In diesem Sinne wollen wir einander als Künstler ernst nehmen – und uns soviel Zeit lassen, wie wir brauchen. Als Teil meiner Therapie darf ich das!

 

Demand the Impossible

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Oktober – Das vorläufig letzte Album der schwedischen Musikerin Jenny Wilson überwindet bescheuerte Zuschreibungen wie “Elektro-Pop-Queen” durch seinen existenziellen Tiefgang. Daran hat vermutlich auch ihre Auseinandersetzung mit der Brustkrebsdiagnose erheblichen Anteil. Fragen in dem Zusammenhang pariert sie aber höchst charmant, so etwa in diesem Interview:

“Would you say you wrote this album as a way of fighting for your life and also against the cancer?” – “Maybe. But most, I guess, because it’s the most natural way to stay alive in general, for me, through creating. And, as a matter of fact, I never had such hunger for kicking ass, for do what ever I wanted in the studio. I never felt so alive and brave while recording an album. I think you can hear that. Demand The Impossible! is a nasty knock!”

demand-the-impossibleMich hat da sogleich das spezielle Artwork des Grafikkünstlers Finsta in seinen Bann gezogen. Es lohnt sich auch, seinen diversen Arbeiten eine nähere Würdigung zukommen zu lassen, die hier auf Finstafari und Finsta Graphics zu sehen sind. Da mischen sich Graffiti, StreetArt und Gebrauchsgrafik mit Einflüssen von Robert Crumb und Keith Haring zu einem unverwechselbar eigenen Stil. Inspirierend, erfrischend, bereichernd und im allerbesten Sinn eigen-artig!

“How did the artwork for the album come about? It’s very different to what you have aesthetically done before.” – “I had this artist, Finsta, in mind for many years. He has something very urban to his drawings. So I contacted him long before the album existed. The woman on the cover is this warrior, this street prophet. I love it!”  (selbes Interview)

Auf der Radiofabrik war schon Wilsons Vorgängerwerk Blazing (2011) in der Reihe Hörenswert als Album der Woche vertreten. Damals schrieb der Kollege Nikolaj Fuchs aus der Musikredaktion noch: “Mit Blazing schenkt uns Jenny Wilson ein im besten Sinne vorhersehbares und gänzlich durchhörbares Pop-Album.” Es kann also nur (noch viel) besser werden! – Denn wie heißt es inzwischen auf ihrer Homepage?

“FREEDOM AND POETRY TO THE PEOPLE!”

 

Möblichkeit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Oktober – Wir begrüßen zwei (beileibe nicht nur) Graffiti-Künstler bei uns im Biotop und sprechen mit ihnen über ihre und überhaupt Kunst. Oder doch Kunnst? Anlass dafür ist die unlängst eröffnete Verkausausstellung ihrer eigens für Interior Design möblich im Rahmen eines Praktikums gestalteten – ähm, ja, doch, wirklich – Möbel. Worin die Gemeinsamkeit von Graffiti, Gebrauchskunst und Bildhauerei besteht, das wollen wir in diesem Gespräch ergründen. Was naheliegt, besuchen die beiden doch auch eine sehr spezielle Schule, nämlich die Fachschule für Kunsthandwerk und Design (Ausbildungszweig Bildhauerei) an der HTL-Hallein. Worin unterscheidet sich diese eigentlich von anderen Lehranstalten? Und was ist das Besondere am praktischen Arbeiten bei möblich? Für jemand, der Street-Art lebt?

MöblichkeitAbgesehen davon, kommt Kunst wirklich vom Können – oder muss sie schon vorher da sein? Ist da ein Unterschied zwischen Kunst und Selbsttherapie – oder hättens den gern? Wie entsteht ein guter Tag (Writer-Name) und warum ist es oft schwer, einen genialen Bandnamen, Buchtitel etc. zu (er)finden? Was kostet ein Kilo Kunst? Ungefähr. Diese und ähnliche Fragen können uns beschäftigen – doch schauen wir einmal, was uns da so anspringt oder über uns hereinbricht. Ein Thema, das uns wohl alle verbindet, ist die seltsame Vernageltheit einer gewissen Unterführung – oder die seltsame Vernageltheit derer, die sie zusperren ließen? Wir können zum Beispiel über Sinn und Unsinn von freien Malflächen oder überhaupt Kunstausübungszonen sprechen. Und uns überlegen, inwieweit Kunst einen Wert an sich besitzt, so ganz ohne Preis?

Zezao UndergroundsSchnitt. Wenden wir uns einem der untergrindigsten Wandmalkünstler zu, den die Street-Art-Kultur bis dato ausgespuckt hat, dem wunderlichen Autodidakten Zezão aus Brasilien, der seine öffentlichen Interventionen zur Selbst- sowie Sozialtherapie ausübt – und der mit seinen Bildern und Objekten inzwischen auch den Kunstmarkt belebt (Schirn-Video). Oder dem abgefahrensten Aktionskünstler, den das Salzburger Land nach wie vor stöhnend ertragen muss (und das geschieht ihm recht), dem mittlerweile 95-jährigen Anton Thuswaldner, der sich selbst „Maler und Landstreicher“ nennt, und der auch (in der Zeit des 2. Weltkriegs) die Bildhauerschule in Hallein besucht hat. Im Jahr 1991 möblierte er das Mozartdenkmal offiziell mit einer Pyramide aus Einkaufswagerln, was ihm jede Menge Kronenzeitungshetze und Gewaltandrohungen einbrachte…

De Leit homs olle glaubt
und schon is wieda soweit
Angst, Gewalt und Hass
san mehra wert wia Menschlichkeit
Jo so kannt ma oiwei weida doa
und es werd koan interessieren,
weil es regieren uns doch seit Ewigkeiten
Menschen ohne Hirn
Bledheit siegt – dumm fickt guat
Wer woas wos des beweist
I pfeif ma nu an Döner nei
und hoff, dass mi boid z’reißt

Um es auch noch mit Christoph Weiherer zu sagen…

 

Krampuslauf Disintegration

> Sendung: Artarium vom dritten Adventsonntag, 14. Dezember – Zwei Stunden Sendung zwischen Teufelszauber und dem überlangen Album von The Cure. Eine Spurensuche durch die verhangenen Welten dieser irgendwie magischen Jahreszeit. Schon längst einmal wollten wir Disintegration (inklusive aller Bonustracks) ungekürzt spielen, doch bei dessen Gesamtlänge von fast eineinviertel Stunden können wir das nur im Rahmen einer genauso überlangen Sonderausgabe bewerkstelligen. Daraus ergibt sich natürlich die Frage, womit wir die übrigen 45 Minuten zubringen möchten. Es sollte ja immerhin zur Stimmung und zum Thema passen, schaurig und schön zugleich, sich rituell geheimnisvoll offenbarend, Kunnst einfach! Da schau her, wir sind in Bildern fündig geworden – und haben den Hersteller dieser Arbeiten ins Studio eingeladen:

S.Koidl2014_ScreamStefan Koidl aus Hallein ist aber nicht nur ein aufregender Zeichner (hier ein Album) mit dem Ziel, sich dem Fotorealismus technisch so weit es geht anzunähern – er ist auch ein inzwischen ziemlich erfolgreicher Krampusmaskenschnitzer (einige davon sind hier zu sehen). Passt doch perfekt zur Jahreszeit! 😈 Zudem führt er seine eigenen Kreationen neuerdings sogar selbst auf – in der von ihm mitbegründeten Krampuspass Schergen des Kronos. Da wollen wir doch einmal hinter der Maskierung nachschauen – und ergründen, was das wohl für ein Mensch ist, der mit solch einer schon an Besessenheit grenzenden Leidenschaft derart düstere Themen bearbeitet. Vor allem interessiert uns, aus welchen Inspirationsquellen sich seine Motive speisen, und was für kreative Prozesse da im Hintergrund ablaufen, während so ein Bild seinen Weg vom Kopf aufs Papier findet (oder so eine Maske eben in die fertige Gestalt). Wie hat das angefangen, wie fühlt sich das an – und wo will es hin? Wir ergehen uns in höllischen Phantasien und nachtkalten Krampusläufen, während wir im warmen Radiostudio gemütlich beisammen sitzen. Dazu gibts die gewohnt geeignete Musik…

DisintegrationAnschließend an unser Gespräch, wie angedroht und versprochen, das ganze Album Disintegration von The Cure in vollster Länge und ohne jedweden Hineinquatsch. Warum just dieses doch 72-minütige Ohrwerk im tiefsten Mittwinter lauthals zu Gehör gebracht wird? Weil es ein Innehalten ist inmitten schleunigen Lärms, ein Inzwischen aus leisen Tönen und dröhnendem Bombast. Weil ihm aufregende Stille ebenso innewohnt wie beruhigender Wahn, weil rauschhaftes Einvernehmen hier so grenzgenial in angepasstes Widerstreiten übergeht, dass Revolution nur noch innerlich stattfinden kann – aber stattfinden muss! Weil es genau die Medizin ist, die wir in den längsten Nächten des Jahres brauchen, eine psychedelische Filmkulisse zum Sterben und Erwachen – mit unserem Selbst als erlebendem Darsteller und handelndem Zuschauer in ein und derselben Person: Ich bin viele – und wir sind eins. Alles klar?„The Cure waren zu dem Zeitpunkt, als Disintegration entstand, keine verzweifelte Depri-Band, genausowenig, wie sie das heute sind. Disintegration ist happy-sad, vielschichtig, manchmal hymnisch und manchmal düster, the best album ever und will in meinen Augen irgendwie nicht mit der ganzen Cure-Klischee-Anhäufung zusammenpassen.“ (Cure-Fan-Replik auf obiges Review)