Palila – Rock’n’Roll Sadness

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. November“Es gibt drei Arten von Musik, die das Rad nicht komplett neu erfindet: die total egale (die klare Mehrheit), die gestrige (Nostalgie!) und die zeitlose (selten). Es ist fürchterlich schwer, die letzten beiden auseinanderzuhalten. Vor allem wenn einen Musik berührt.” So bringt es der Kollege Jochen Schliemann hier über das Debütalbum von Palila zum Ausdruck. Und weiter: “Das hier ist nicht gestrig. Und egal sowieso nicht. Das hier ist JETZT.” Hier und jetzt erleben wir also das soeben bei Kapitän Platte erscheinende Album “Rock’n’Roll Sadness” des Hamburger Triumvirats Palila. Denn, wie wir zu sagen pflegen, der emotionale Nährwert jeglicher Darreichung lässt sich ausschließlich durch eigenes Hinspüren feststellen. Und alles andere wäre Betrug am Hören …

PalilaEine Formulierung aus obigem Artikel fand ich speziell erfrischend, gibt sie doch zugleich Antwort auf eine der letzten Fragen unserer Musikgeschichte: “Und wenn ein ganz alter Sack mich noch fragen würde: „Beatles oder Stones?“ – „Beatles. Es geht um Songs, nicht um Attitüde.“ So hab ich das noch nie einsortiertaber klar war mir das vom Hinspüren her eh schon immer. Und so lässt sich auch die unmittelbare Berührungskraft der Musik von Palila erklären, die dem erwähnten Herrn recht pathetische Worte entströmen lassen: “Bin ich jetzt hoffnungslos subjektiv (und/oder nostalgisch), weil Palila aus Hamburg auf ihrem Debütalbum einfach ihr Herz rausreißen und genauso hochhalten, dass es aussieht wie meines? Es ist jedenfalls wohltuend, auch wieder einmal so hoffnungsvoll subjektiv über Musik zu sprechen, wo uns doch ringsumher fast nur noch das inhaltsleere PR-Gephrasel der Marktalchemisten (die jeden Dreck zu Geld machen, angeblich) umdröhnt. Die aber sicher all unsere Sinne mit wohlfeilem Sondermüll zuscheißen – was sie dann “Kunst und Kultur” nennen.

Es mag durchaus verschiedene Stilrichtungen geben, genauso wie verschiedene Geschmacksvorlieben. Akustisch oder elektrisch, Synthesizer oder Gitarren oder alles zusammen. Klavierkonzert, Kammermusik, großes Orchester, klassisch oder elektronisch – oder eben Rockband. Und Genre- oder Untergenrezuschreibungen können da auch durchaus sinnvoll sein – zur groben Orientierung. Darauf dauernd herumzureiten jedoch hilft bei der Frage nach persönlicher Berührung generell nicht. “Indie-Rock” etwa wird dem, was Palila in uns auslösen können, keinesfalls gerecht.

Wer die Hörfahrung gern noch etwas roher möchte als im gegenständlichen Album, dem/der sei die Doppel-EP mit dem herausragenden Titel “Tomorrow I’ll come visit you and return your records” herzlich ans Ohr gelegt – und das heißt empfohlen!

Palila – NY Family Plans

 

Lass fahren dahin …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. Oktober“Lass fahren dahin, sie haben’s kein’ Gewinn …” Diese Textzeile aus Martin Luthers berühmtem Lied Ein feste Burg fand ich schon in der Pubertät höchst erquieklich, zumal ich sie damals nicht ungern mit fahren gelassenem Darmwind assoziierte. Heute vor 500 Jahren allerdings saß dieser Martin Luther auf der Wartburg – und übersetzte die Bibel auf Deutsch. Das war, bei allen Verdauungsproblemen, die diesen Mann täglich plagten, revolutionär. Und es hätte der Anfang von etwas zutiefst Befreiendem sein können, wenn seine Übersetzung als ein erster Anstoß zum eigenverantwortlichen Interpretieren durch jeden einzelnen Menschen aufgefasst worden wäre. Stattdessen entstand wiederum eine “Volkskirche”, die schon bald in ihren, jetzt halt “reformierten” Ritualen ertrank.

Lass fahren dahinEin fester Schas sozusagen, denn für die Aufgaben, die das globale Leben uns seitdem stellt, ist eine zum Gehorsam gezüchtete, alles Vorgesagte brav nachplappernde Bevölkerung völlig unqualifiziert. Wir hätten 500 Jahre Zeit gehabt, eine andere Menschheit zu werden als diese niederduckmäuserische, konsumverwirrte, überwältigend vermarktbare, die wir inzwischen sind. Ich halte “die Reformation” deshalb auch für gescheitert – und hätte nur allzu gern zu ihrem Jubiläumsfest 2017 “die 95 Prothesen” zu Fuß nach Wittenberg getragen, um dies zu veranschaulichen. Doch viele der Miterfinder dieser zutiefst “protestantischen” Aktion hatten sich über die Jahre verlaufen und “die 95 Prothesen” wären mir allein viel zu schwer gewesen. Ein grandioses Scheitern für eine gescheiterte Reformation? Lass fahren dahin… Der Weg ist der Weg. Das Ziel kennen wir nicht. Es geht ums Übersetzen unserer jeweils eigenen Erfahrung mit dem Lebendigen, mit dem, was hinter allem steckt.

Es geht um “vertikale Resonanz”, wie sie der Leiter des Max-Weber-Kollegs an der Universität Erfurt, Prof. Hartmut Rosa, in seiner “Soziologie der Weltbeziehung” darstellt. Ein genialer Übersetzer des oft Unbemerkten (für das wir als Menschen nichtsdestoweniger so etwas wie einen Sinn haben) ins allgemein Anschauliche (und das sei hier als unsere Auffassung angemerkt) als eine Einladung zum selbst weiter Denken, Leben und Interpretieren, zum übersetzenden Darleben in immer wieder neuer, eigener Gestalt – um jegliche Erkenntnis stets weiter zu entwickeln.

Und jetzt ist es für mich unvermeidbar, auf einen gewissen Jesus hinzuweisen – und auf Michael Köhlmeier, der mit seinem Erzählalbum “Der Menschensohn” ein wirklich herausragendes Beispiel für ein rundum gelungenes und im obigen Sinn stets weiter wirkendes, also lebendiges, gelingendes Übersetzen vorgelegt hat. Wir hören die bekannte Episode mit der Ehebrecherin, die zwar gesteinigt werden soll, aber aufgrund von Jesus’ legendärem Ausspruch “Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein…” gründlich befreit und begnadigt wird. Ich tauche auf.

 

Lernens Geschichte

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. OktoberVor 50 Jahren gewann die SPÖ die absolute Mehrheit (am 10. Oktober 1971) und regierte sodann 12 Jahre lang mit Bruno Kreisky “das Labyrinth, in dem sich jeder auskennt” (Helmut Qualtinger). Was seine Kanzlerschaft damals für die Stimmung im Land bewirkte, dem haben wir in einer Sendung zu seinem 100. Geburtstag nachgespürt. Heute wollen wir seinen legendären Ausspruch “Lernens Geschichte” zum Anlass nehmen, etwas über die Hintergründe der aktuellen politischen Situation in Österreich herauszufinden. Die freundliche Einladung, Geschichte zu lernen, verstehen wir nämlich als Anregung, uns selbst ein Bild zu machen, und nicht als Aufforderung, nichts anderes denken zu dürfen als ausschließlich das von den jeweiligen Weltanschauern Vorgefertigte.

Lernens Geschichte (Bruno Kreisky Portrait von Otto Muehl)Vor wenigen Tagen musste Sebastian Kurz wegen Korruptionsvorwürfen als Bundeskanzler zurücktreten. Da ging es um irgendwas mit Zeitungsinseraten, was uns die Herren Christoph & Lollo freundlicherweise in diesem Video hier verständlich aufbereitet haben. Dank an Robert Presslaber für die Inspiration! Mir war das aalglatte Buberl mit seinen Floskeln und Phrasen ja schon immer suspekt. Das wirkte alles so künstlich, hohl und einstudiert. Doch hinter dem “schönen Schein” blitzte auch immer wieder etwas zutiefst Böses auf, etwa seine Verachtung gegenüber Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind (“Wer sich die Miete nicht leisten kann, soll Eigentum erwerben”). Oida, gehts no? Und dann die geballte Geldvernichtung der gesamten Leuchtturm-Partie (“Durch die Zusammenlegung der Gesundheitskassen werden wir eine Milliarde einsparen”). Bisher hat die “großartige” Aktion allerdings nur Millionenverluste eingebracht. Rechenaufgabe: Wieviel depperte Werbung in wieviel depperten Medien braucht es, um ausreichend Menschenleute so deppert zu machen, dass eine (wie auch immer gefärbte) ÖVP den Bundeskanzler stellt? Oder – was können wir aus der Geschichte dieser “staatstragenden” Partei lernen?

Lernens Geschichte (Bruno Kreisky 1935)Die ÖVP ist jedenfalls nicht am 17. April 1945 von irgendeinem “Volk” jungfräulich unbefleckt empfangen worden oder sonstwie “von Gottes Gnaden” auf uns herab … Nein, sie wurde durchaus von Vertretern der einstigen Christlichsozialen Partei erschaffen, um deren konservative und katholische Weltanschauung auch nach dem 2. Weltkrieg weiter zu betreiben. Von Bruno Kreisky ist ja überliefert, dass er mit der ÖVP nie eine Koalition eingehen wollte, weil ihre geistigen Vorfahren ihn wegen Hochverrats verurteilt hatten. Sein “Verbrechen” war es, Funktionär der damals verbotenen “Revolutionären Sozialisten” zu sein. Bei seinem Prozess hielt er als 25-jähriger eine beachtliche Verteidigungsrede, die hier auszugsweise vorliegt. Die Geschichte der ersten Republik ist jedenfalls reich an totalitären Umtrieben und heimlichen Manövern, die man auch als Vorlage für heutiges Verhalten lesen kann.

Lernen wir aus der Vergangenheit – und bleiben wir dabei bloß nicht stehen …

Übrigens, Helene Maimann und Harald Sicheritz sind gerade dabei, das Leben des jungen Kreisky als Spielfilm umzusetzen – mit einem “österreichischen Budget”

 

MC Solaar

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Oktober – Der Mann, der Hip-Hop in Frankreich populär machte: Claude M’Barali wurde quasi unterwegs im Senegal geboren, von wo aus seine Eltern (die eigentlich aus dem Tschad stammten) bald schon nach Frankreich emigrierten. Dort wuchs er, als Kind von Einwanderern, naturgemäß in einem Pariser Vorort auf, woselbst er aber vielfältige Interessen (Vorsicht, Bildung!) verfolgte, speziell Literatur, Film oder Fernsehen, also jederlei Anwendung elaborierter Erzählkunst. Daraus entwickelte er bald eine sehr eigene musikalische Erzählform, inspiriert von der ihn umgenbenden Hip-Hop-Kultur, nur halt viel feinsinniger, vielschichtiger und hintergründiger als der sonst übliche Gangsta-Rap der Banlieue. Seit jener Zeit nennt er sich MC Solaar ….. et voilà!

MC SolaarWir spielen heute das für seine Stilvielfalt und Eleganz bekannte Album Mach 6 von 2003, einen ganz und gar ohrschmiegsam abgemischten Kunstschmaus, in dem sich anspruchsvolle Texte, wortakrobatische Darbietung, eigenständige (nämlich selbst entwickelte und nicht aus irgend einem fernanderen Kulturkontext zusammengeglaubte und schlicht nachgeahmte) Beats, sinn- und gefühlvolle Musikzitate sowie sozialkritische Aussagen zum sprichwörtlichen “Film im Kopf” verbinden, oh wie wohl ist mir nach so einem französischen Abendessen. Es hört sich einfach gut an, ist ein Film, eine Reise, ein Abenteuer, ein Eintauchen in die unendlichen Weiten. Das Paradoxon funktioniert, wenn sowohl das Vertraute wie das Unbekannte bekömmlich ausbalanciert sind. Und im Ausbalancieren ist der inzwischen ja auch schon über 50-jährige Musiker fürwahr ein Haubenkoch. Ihre Ohren werden nicht nur Augen machen – sie werden sich auch die Lippen lecken!

An dieser Stelle muss ich der globalen Fast-Food-Industrie noch einmal gründlich auf die Lanze brechen: Eure mit Millionenmarketing in den Massenmarkt gehypten “Hits” sind nichts als akustischer Sondermüll, der den kommenden Generationen auch noch den letzten Anflug gesunden Geschmacks verkleben wird. Gehts doch scheißen mitsamt eurem billigen Trottelpop, glitschigen Teflonrock und unsagbar unechten Poser-Rap. Die Behauptung einer Gebärde – eine Schändung der Musik.

Wer möchte, kann das natürlich noch wissenschaftlich vertiefen (RAP heißt Rhythm And Poetry), wer es lieber satirisch mag, kann auch Pjotrek Popolski beim Erfindung der gesamte Raps-Musik (mit die Hips und die Hops) beiwohnen.

Bon appétit

 

„Too Old to Rock’n’Roll …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. September … Too Young to Die! Dieser inzwischen geradezu Kult gewordene Satz begleitet mich nunmehr auch schon seit fast 50 Jahren. Immer hin ist das gleichnamige Konzeptalbum von Jethro Tull in jenen “seligen 70er Jahren” erschienen, als Zukunft noch nach Möglichkeit klang – und Bruno Kreisky anfing, Österreich zu “modernisieren”. Kennengelernt habe ich dieses epische Musikwerk dann auch in jenen “Zeiten des Aufbruchs”, als ich bei meiner Cousine Elke Mader in der legendären Porzellangasse meine sehr eigene Auffassung von “Rock’n’Roll” ausbrütete. Denn wiewohl sich Ian Anderson auf die Jugendkultur der 50er bezieht, so bleibt die Bedeutung des Begriffs “Rock’n’Roll” doch für jede/n und zu jeder Zeit etwas zutiefst persönlichesalso sehr eigenes.

Jethro Tull - Too Old to Rock'n'Roll, Too Young to Die!Egal, was uns die Marktstandler mit den gegelten Haaren im Fernsehen vorhupfen, die Leistungskasperln und Propagandaklone. Ja, natürlich wollen sie uns ihre Bedeutungen in unsere Wortwelt schwindeln, bis in unser Intimstes, unser Selbstbild, und sogar unsere Träume – damit wir genau so funktionieren, wie wir nach ihrem jeweiligen “Weltbild” auch funktionieren sollten… Doch war Rock’n’Roll nicht auch einmal rebellisches Aufbegehren gegen die Weltordnung der Altvorderen? Zumindest, bis das kommerzielle Internet ihn aufgefressen und als brave Handelsware wieder ausgespuckt hat, als zahnlosen Zombie seiner selbst? Dann doch lieber eine eigene “Weltanschauung”, selbst erlebt und erschaffen aus dem Chaosmos der unendlichen Möglichkeitsform – anstatt des herrschenden Mitmachzwangs der Funktionalisierer, dessen dummes “Schneller, Höher und vor allem Weiter so” offenbar zu unser aller Untergang führt. “Wieso, Mr. Anderson?” Das Unvermeidliche ist die eigene Endlichkeit. Und dann?

Too Old to Rock'n'Roll - Cover ArtworkDie in der Hochblüte des gern die Genres verschmelzenden Prog-Rock entstandene und ursprünglich als Bühnenstück oder Rock-Oper angelegte Erzählung handelt von einem alternden Rock’n’Roller und seiner Kultur, die scheinbar völlig “aus der Mode gekommen” ist, von Irrungen und Wirrungen mit Sex & Drugs, von einem Selbstmordversuch, den er naturgemäß überlebt – und von den glücklichen Fügungen, die ihm hernach ein erneu(er)tes Leben voller Lust und Freude ermöglichen. Das darob vielschichtige wie auch weitläufige Werk war als Schallplatte in einem buchähnlichen Cover mit sämtlichen Songtexten enthalten, zudem jedoch mit einem der Handlung folgenden Comic (siehe Bild) als Begleitlektüre versehen. Das war damals schon einzigartig.

Was uns zu einer weiteren, dereinst verbreiteten Erweiterung der Kopfdramaturgie führen kann: Das Mitlesen der Songtexte. Während ich mich noch wundere, was genau zu meinem Gesamteindruck beim Hören dieses von Meister Steven Wilson hervorragend neu abgemischten Albums beiträgt, zu diesem eigentümlichen Gefühl des einverstandenen Gelassenseins im Umgang mit der Vergänglichkeit an sich, währenddessen also lese ich diese poetischen Zeilen der Schlussnummer:

The disc brakes drag, the chequered flag sweeps across the oil-slick track.
The young man’s home; dry as a bone. His helmet off, he waves: the crowd waves back.
One lap victory roll. Gladiator soul.
The taker of the day in winning has to say
Isn’t it grand to be playing to the stand, dead or alive.

The sunlight streaks through the curtain cracks
Touches the old man where he sleeps.
The nurse brings up a cup of tea – two biscuits and the morning paper mystery.
The hard road’s end, the white God’s send is nearer everyday, in dying the old man says
Isn’t it grand to be playing to the stand, dead or alive.

The still-born child can’t feel the rain as the chequered flag falls once again.
The deaf composer completes his final score. He’ll never hear his sweet encore.
The chequered flag, the bull’s red rag
The lemming-hearted hordes running ever-faster to the shore singing,
Isn’t it grand to be playing to the stand, dead or alive.

Auf dieser Seite (unten) sind sämtliche Songtexte des Albums zu finden.

 

Erinnerung an Elke Mader

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. September – Nicht nur Martin Blumenau und Caspar Einem sind unlängst verstorben (was ohnehin schon Löcher in unserem Geistesleben hinterlässt) – nun ist auch Elke Mader von uns gegangen, die unsere Radioarbeiten immer wieder konkret inspiriert und gefördert hat. Sie war nicht nur Professorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien, sondern darüber hinaus eine mit Hingabe neugierige, forschende, an Entwicklung interessierte und so den Wissenschaftsvermittlungsbetrieb stark belebende Frau – überhaupt die erste Frau, die sich in ihrem Fachbereich in Wien habilitiert hat. Ha! Nachzulesen im Nachruf des Instituts. Vor allem aber war Elke Mader mir als meine Cousine verbunden – und so soll die persönliche Erinnerung an sie hier aufleben.

Erinnerung an Elke MaderNicht nur Musik, die sie in ihren Vorlesungen verwendete, wie das legendäre No No Keshagesh von Buffy Sainte-Marie, sondern auch Musik, die sie mir in früheren Zeiten zugänglich machte, Frank Zappas Sofa No 2 und auch Peter Gabriels Walk Through The Fire soll dabei erklingen – oder überhaupt Musik, auf die wir uns geeinigt hätten, wie People Have The Power von Patti Smith. Nein – Kreatives Erzählen von all dem, was beim Verlust eines lieben Menschen als Wellen der Erinnerung ins Bewusstsein drängt – naturgemäß dramaturgisch strukturiert in 3 Themenbereichen – das wollen wir hier in aller Unfertigkeit darleben. Wie Leben an sich, auch über den Tod hinaus, ewig unfertig bleibt. Die einstweilige Verfügung unserer Zwischenbilanz. Eine Momentaufnahme der Entwicklung vom vom zum zum – und wieder zurück:

1) Die legendäre Porzellangasse. Ich hatte das große Vergnügen, in den seligen 70er Jahren öfters in jener Wohngemeinschaft zu Gast zu sein, in der Elke Mader und Richard Gippelhauser damals lebten und in der Geistesgrößen wie Christoph Ransmayr oder Konrad Paul Liessmann umgingen. Von wo man zu Vernissagen aufbrach, bei denen sich noch die Tische bogen und also Hunger und Durst gestillt werden konnten. Wo man noch Feste feierte, die man heute so gar nicht mehr

2) Teilnehmendes Beobachten. Eine vorurteilsfreie Grundhaltung, die Elke nicht nur in ihren Feldforschungen einnahm, sondern die ihr gesamtes Leben prägte. Mir in jedweder Lebenslage sowie uns in unserer Freundschaft und Arbeit gegenüber hat sie stets diese eigentlich ambivalent anmutende und dabei so überaus angenehme Haltung eingenommen. So sollte generell jede zwischenmenschliche Begegnung sein: Dass man zur Begrüßung freigesprochen wird von der Schuld des Rollenspielens.

3) Freundin und Förderin. Betrachten wir die Beziehung von uns zwei Radiohasen zueinander wie auch zu unseren Sendungen und Projekten als eine eigene Kultur (wie “das etwas andere Kunnst-Biotop” ja auch gemeint ist) – dann war Elke in ihrem ersten Begegnen wie in ihrem weiteren Mitleben mit unserer eigenartigen Seinsform ganz und gar Kulturforscherin und hat sofort verstanden, was uns das Artarium und die Nachtfahrt bedeuten. Und immer, wenn diese für uns “höchsten Werte” gefährdet waren und es in ihrer Macht stand, hat sie uns freimütig geholfen. Dafür danken wir!

Zur Erinnerung: The Chequered Flag (Dead or Alive)

 

Lorde – Solar Power

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. September – Und kaum, dass er richtig begonnen hat, ist der Sommer schon wieder vorbei. Oder halt fast. Doch bevor wir wieder im Lichtmangel des Winterhalbjahres verschwinden, wollen wir noch einmal die Kraft der Sonne um uns spüren. Wärme und Wohlsein und unverstellt leben in nackter Natur. Die Zeiten sind im Fluss und wir leben als U-Boote. Der Widerstand geht weltweit ins Exilmitten ins Geschiebe und Getriebe der Zuvielisation. Und so ist noch nicht alles verdorben, was uns die Untenhaltungsindustrie beschert, auch wenn “Pop ist tot” eine ebenso wahre Aussage dazu darstellt. Die neuseeländische Sängerin Ella Marija Lani Yelich-O’Connor, besser bekannt als Lorde, unterläuft mit ihrer Musik das Massenblah des Weltmarkts – zugleich arbeitet und lebt sie in ihm.

Lorde - Solar Power Das soeben erst erschienene Album Solar Power zelebriert ein zutiefst  weibliches Wahrnehmen jedweden sonnentrunkenen Weltvergnügens, nicht ohne die ihm innewohnende Sexyness gehaltvoll zu ironisieren und dem ringsumher brandenden Meinungsvielflat die sprachreiche Stirn zu bieten. Inhalt mit Haltung sozusagen, ein Gesamtkunstwerk unterschwelliger Gegenströmung in den Gezeiten gezielt gemachten Geschmacks. Ein Detail davon das Coverfoto des Albums, das wir den global gackernden Sittenwachteln aus Bigottistan hiermit gern zum Fraß vorwerfen. Mögen sie doch bitte endlich daran ersticken! Viel interessanter ist doch die Frage, warum das aufmüpfige Mädchen aus dem Club der Dichtertöchter (eigentlich Dichterinnentöchter, zumal ihre Mutter eine Lyrikerin ist), also – warum Lorde schon mit 17 Jahren einen ersten Welthit namens “Royals” hervorbrachte, der zudem die etablierten Standards der Popindustrie über den Haufen warf. Auf der Suche nach Antwort (auf das ewige Warum) schlägt dieses Video nachgerade Schneisen ins Gebüsch: “A voice with substance among what Dave Grohl considers Stripper-Pop…” Echt sexy – among what we consider Künstlichkeit.

LordeTake me to some kinda place (anywhere)
Watch the sun set, look back on my life (take me to some kinda)
I just wanna know, will it be alright? (Take me to some kinda)
Take me to some kinda place (anywhere)

Die Natur als Reflektionsort, Sehnsuchtsquell, Rück(be)zugskraftplatz, als Insel der Ruhe inmitten der Stürme von Jetzt-Sofort und Überall-Gleichzeitig, als Er-Innerungs-Strömen und poetischer Gegenpol zum superschnellen, inhaltsleeren Abziehleben, das superdeep, superstylish und super authenthisch wirbt. Nicht viele Mainstream-Künstler thematisieren die Dichotomie von Pop-Super-Star-Jet-Set-Photo-Shoot-High-Life und dem genügsamen Leben mit Garten und Hund (die Ambivalenz von Öffentlichem und Privatem), doch Lorde verzeichnet mit wenigen, ehrlichen Worten wo sie steht, was sie liebt, vermisst und gerne hinter sich lässt; schreibt von Albträumen voll Kamerablitzen, von giftigen Pfeilen, kalten Händen im Genick oder gefallen Früchten auf denen getanzt wird. Mal sitzt sie bekifft im Nagelstudio, dann schwimmt sie im Ozean oder ist gefangen in der komplexen Scheidung der Jahreszeiten – sie nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch eine eigensinnliche Klang- und Textwelt voll Zikaden, goldenen Dämmerungen, Meeresmärchen, Sonnengeständnissen und einem ungetrübten Vertrauen in die Ströme des Lebens.

Cause all the times
they will change,
it’ll all come around

 

Anrufer … Martin Blumenau …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. August“Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.” Mit diesem Satz von Bazon Brock hätte ein nächtlicher Anrufer bei FM4-Bonustrack gute Chancen gehabt, dem dort obwaltenden Martin Blumenau ein weiterführendes Gespräch zu entlocken. Doch unter dieser Nummer wird der nun niemand mehr mit seinem legendären “Anrufer” begrüßen. Die Anrede wäre jeder bemühten Gender-Neutralität um kreative Lichtjahre voraus. “Wer sich Regeln unterwirft, kann trotzdem Anarchie walten lassen. Es müssen halt die eigenen sein.” Nur eine Weisheit aus jener umfänglichen Enzyklopädie der Popkultur, die Martin Blumenau wie kaum ein anderer verkörpert hatund die uns jetzt fehlt

Anrufer?Anlässlich unserer Wiederausgrabung und Ohrbarmachung eines längst verschollen geglaubten Albums (und er schätzte ja die etwas spezielleren Raritäten) schrieb er einen Artikel mit dem Titel “Zufällige Erinnerung an die allerbeste österreichische Band von „früher“, die keiner kennt: X-Beliebig”, der sein musikhistorisches Spezialwissen und seinen detailverliebten Hang zur Perfektion in vollster Blüte dokumentiert. Darin verlinkt eine “Menge Fotos”, die inzwischen hier zu betrachten sind. Und der von ihm taktvoll als “mein alter Print-Kollege” bezeichnete Georg Wimmer (er war damals unser Radiofabrik-Programmleiter) kannte ihn tatsächlich noch aus ihrer gemeinsamen Zeit bei der Arbeiter-Zeitung. Kennt die eigentlich noch wer? Egal, lernens halt Geschichte! Jedenfalls war Martin Blumenau in der Spätphase (80er-Jahre) des einstigen “Zentralorgans der Österreichischen Sozialdemokratie” für jugendliche Musikkultur(en) zuständig – und erwarb sich bald einige Berühmtheit ob seiner eloquent zugespitzten Kritiken. Wie er sich dadurch auf die nachwachsende Generation von Musikschaffenden und Beitragstäter*innen ausgewirkt hat, davon erzählt Robert Rotifer in seinen emotionalen Erinnerungen an “Die Revox-Queen”

Wenn wir versuchen, einen so vielschichtigen und oft polarisierenden Menschen wie Martin Blumenau zu verstehen, indem wir ihm nachspüren, mit ihm mitdenken, ihm auch innerlich widersprechen, dann drängt sich uns unvermeidlich das Thema Fußball auf. Auf keinem anderen Spielfeld (!) konnte er seine Leidenschaft und sein spontanrhetorisches Talent besser ausleben, als wenn er mit anderen Ergriffenen über die zahllosen Ableitungen des ihn faszinierenden Phänomens philosophierte. Hören wir Ausschnitte seiner Gespräche zum Fußball aus dem BELLEVUE in Linz

und befruchten wir uns.

Anrufer?

ANMERKUNG: Die am Anfang des Artikels verlinkte “Sendung” ist eine Rekonstruktion, bestehend aus vorbereiteten Musikstücken und Audiocollagen sowie der überarbeiteten Notaufzeichnung der Livemoderation. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass ausgerechnet während ihrer Stattfindung der Sendeserver der Radiofabrik seinen letzten Seufzer tat – und verschied. Eigentlich sehr (zum Thema) passend. Wie war das nochmal mit der Koinzidenz

PS. Hier findet sich übrigens auch die erwähnte legendäre Aufzeichnung von „Salon Helga – Von hinten“

 

Dark Side of the River

> Sendung: Artarium am Sonntag, 25. Juli – Nachdem wir in unserer letzten Sendung der sommerlich-sonnigen Seite von Flüssen und Seen gehuldigt haben, darf ich dieses Mal die abgründig finsteren und allgemein unheimlichen Aspekte fließender Zustände ausloten. Down to the River! Zunächst sollte diese Tauchfahrt “Im Gedankenfluss” heißen, doch die Pink-Floyd-Assoziation war einfach viel zu poetisch. Und Nina Hagens “Am dunklen Fluss” ist eine grandiose Übersetzung von Leonard Cohens “By The Rivers Dark”. Wodurch wir bei Tod und Wiederkehr, Sinnsucht und Erkennen sowie Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit angekommen wären – bei etwas, das ich als “messianisches Paradoxon” bezeichnen möchte. Es taucht oft dann auf, wenn das Leben in Gefahr gerät. Fragen sie ihr Immunsystem.

Dark Side of the River“Die Philosophie Adornos kündet von einem Glück, das in Wirklichkeit unerreichbar ist, ohne dass sie jemals das Verlangen nach diesem Glück preisgäbe.” Der Philosoph und Münchner Stadtrat Dr. Florian Roth zitiert diesen sehr stimmigen Satz unbekannter Herkunft – und macht sich überhaupt allerhand gescheite Gedanken zum “richtigen Leben im falschen”, das es laut Adorno eben nicht gibt. Paradox? Sicher – und dazu hilfreich, in Zeiten wie diesen: “Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.” Das ist Trost, der einem kein künstliches Heileweltgedudel als kostenpflichtige Voraussetzung fürs vorgefertigte “Glücklichsein” aufschwatzen will. Das ist zum Verstehen geronnene Lebens- und Denkerfahrung, mit der sich auch die finstersten Täler der Todesangst und die stillsten Stunden der Selbstverzweiflung durchdringen lassen. Das ist der geistig-seelische Rettungsring wider das Absaufen.

Eine absolut zeitlose und nach wie vor gültige Offenbarung dieser Denkungsart war das 1950 im hessischen Rundfunk aufgezeichnete Gespräch von Theodor Adorno, Max Horkheimer und Eugen Kogon. Eine wahre Sternstunde der Radiokultur, die sogar heute noch von einigen Unbeugsamen beim ORF (in jenem kleinen gallischen Dorf, das uns als Ö1 bekannt ist) zur Wiederholung gebracht wird. Bemerkenswert dabei ist die Aktualität mancher Aussagen – etwa darüber, was wir heute als diesen verinnerlichten “Zwang zur Selbstoptimierung” verstehen. Nachgerade verstörend.

Zum Schluss führt uns der River of Life als Stream of Consciousness in den See des untiefen Verstehens. Das Thema Tod und Sterben durchströmt die Denkwelt wie das Werk eines weiteren wortreichen Entdeckers: Hermann Hesse beschreibt in “Klein und Wagner” das Ertrinken des Helden als Erlösung aus dem Lebenskrampf des Zwiespältigen. Dass es sich dabei um einen Selbstmord handelt, kann durchaus als eine Metapher für selbstbestimmtes Einvernehmen mit der Endlichkeit seines Lebenswegs aufgefasst werden, wie der von Between vertonte Ausschnitt nahelegt.

Die Festspiele sind hiermit eröffnet.

 

Im Fluss

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. JuliEin nachhaltiges Plädoyer fürs Baden in der freien Natur (ist die eh noch da?), fürs Plantschen und Schwimmen und Zeitvergehenlassen in Flüssen, Bächen oder Seen. Gehts euch doch brausenaber bitte im Wasserfall! Nie war es so wertvoll wie heute, sich den Elementen der nicht verwalteten Welt hinzugeben. Ringsumher regieren Künstlichkeit und Zwang, doch der Mensch erinnert sich stets seiner Natürlichkeit, sobald er wieder eintaucht ins Fließende. Hier und Jetzt. In den wohltuenden Fluss irgendwo da draußen, wo kein Business das Sein verschandelt und kein Bademeister sich ins Mein oder Dein einmischt. Wo das lange Eingesperrtsein von einem abfällt wie ein böser Traum und das Leben feuchtfröhliche Urständ feiern kann – sofern sich Sonnenschein ausgeht.

Im FlussWie umfassend bereichernd so eine Erfahrung im naturbelassenen Fluss werden kann, das beschrieb schon Bertolt Brecht im von Konstantin Wecker kongenial vertonten Poem “Vom Schwimmen in Seen und Flüssen“, das wir unserer heutigen textmusikalischen Hörbildcollage voranstellen, und in deren Mitte wir den vielschichtig interpretierbaren Sommersong “Im Fluss” unseres aus der ach so schönen Stadt Salzburg erfolgreich entsprungenen Kollegen Marwin Tea vorstellen. Und ungeachtet unserer Bekanntschaft, das hier verlinkte Video ist ausgezeichnet gemacht. Es lädt auf mehreren Ebenen dazu ein, sich auch der Metaphernwelt des “Im Fluss Seins” ebenso verspielt wie spaßernst anzuvertrauen. So wie das sich mit der Zeit immer besser anfühlende “den Fluss des Lebens hinunter treiben lassen”.

Denn, seien wir mal ehrlich, genau das macht das Leben von uns Menschen aus.

So verläuft es – von der Quelle bis zur Mündung – nie langsamer und nie schneller. Einfach immer seine Strecke lang, eingebettet in einen erstaunlichen Kreislauf aus Werden und Vergehen, aus Verwandlung und Wiederkehr. Wozu sich also mit dem angestrengten Turmbau zu Immernochhöher, Immernochbesser und Immernochmehr aufhalten, wo doch das Leben des gesamten Planeten ein einziges Immernurfließen ist, das keine noch so aberwitzige Konstruktion je verändern kann? Let it flow …

Das Leben lebt, es ist ein wunderschöner Sommertag (Gisbert zu Knyphausen)