Dub Side of the Moon

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. NovemberDem abgründigen Humor der wundersamen Easy Star All-Stars sei es getrommelt und gepfiffen, dass wir diesmal ein ganzes Album aus dem Jamaikanischen Geräuschegarten rund um den Roots-Reggae und seine diversen ekletifizierten Absprösslinge (wie Dub, Dubstep, Trip Hop etc.) spielen. Oder auch dem Umstand, dass Pink Floyds jüngstes Werk The Endless River in deren Musikschaffen zwar jetzt den Schlusspunkt, keinesfalls jedoch den Höhepunkt darstellt. Somit greifen wir zurück auf ein ungemein kreatives und inspirierendes Tribute-Album, welches 2003 zum 30-jährigen Erscheinungs-Jubiläum von Pink Floyds Meilenstein The Dark Side of the Moon vom erwähnten Dub-Reggea-Kollektiv des All Star Labels eingespielt wurde – das schön schamlose Rework namens Dub Side of the Moon 😉

ja wir wollen lustig sein

Das Cover eines weiteren Easy Star Reworks: „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“

„If you’ve ever, via hallucinogens, expanded your mind to Dark Side Of The Moon, all you need to do is change your drug of choice and Dub Side… might easily sound like the best thing you’ve heard, if you inhale deeply enough. Even without a spliff, it still sounds pretty fine as a bunch of rastas take a voluptuous dubbed-up trip around the Floyd’s psychedelic masterpiece. Highlights include Ranking Joe’s toast on „Money“ and Kirsty Rock’s bonged-out yodelling on „The Great Gig In The Sky“. It fits so perfectly you wonder why it took 30 years for someone to think of it.“ >UNCUT

Es mag mit allerhand immergleich wiederkehrenden und quasireligiösen Ritualen einer verschworenen Subkultur zusammenhängen, dass das erweiterte Reggaetum bei uns eher selten zu hören ist. Oder auch mit einem allzu bierernsten, muss hier heißen weihrauchschwangeren Selbstverständnis, das mehr nach Glaubensgemeinschaft als nach Freiheitsbewegung schmeckt. Oder wie war das mit „Emancipate yourself from mental slavery…“ ursprünglich gemeint? Unser Zugang zu allen Kunstformen ist immer der kreative, der des selbstbestimmten Gestaltens und nicht der des Normnachhupfens. Deshalb lassen wir uns auch gern vom fröhlichen Plünderertum der Easy Star All-Stars anstecken, liebgewordene Hörgewohnheiten wieder einmal völlig neu zu interpretieren. Und empfehlen zur weiteren Neugierde dieses Interview zu ihrer Arbeit auf pop-break.

 

Poem – Leonard Cohen auf Deutsch (ein Auszug)

> Artarium am Sonntag, 28. September um 17:00 Uhr – Wir präsentieren nunmehr einen Ausschnitt aus der Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 26. September:

Livegast im Studio ist diesmal Misha G. Schoeneberg, der uns das brandneue Album Poem – Leonard Cohen in deutscher Sprache vorstellen – und von seiner jahrelangen Beschäftigung mit den Songs und Texten aus Cohens lyrischem Kosmos erzählen wird. Denn immerhin übersetzt und überträgt er schon seit Anfang der 90er fortwährend einzelne Titel aus dessen Gesamtwerk – und zwar in inhaltlich wie auch musikalisch stimmige, also vor allem gut singbare deutsche Versionen. Nun ist also endlich eine einstweilige Endfassung dieses weitreichenden Projekts erschienen, und zwar in Form einer Hommage zum 80. Geburtstag des wirkmächtigen Songpoeten, dem wir jetzt noch einige Facetten mehr abgewinnen als ihm ohnehin schon nachgesagt werden…

Misha G. SchoenebergAuch über Misha G. Schoeneberg lässt sich so einiges erfahren und nachlesen: Hippie in Goa, mit Ton-Steine-Scherben auf Tour, Lebensgefährte von Rio Reiser, Songtexter und Buchautor, Sprachlehrer, Südostasienwissenschafter, Textcoach und Mentor, zuletzt Künstlerischer Leiter beim gegenständlichen Poem-Album. Und trotzdem ist der Mann hinter der vielschichtigen Biographie noch weit mehr als sich über ihn sagen ließe. Wollen mal sehen, ob wir nicht noch das eine oder andere Unbekannte im Wesen des Wortwetzmeisters entdecken. Schließlich ist unsere Idee zu einer gemeinsamen Radiosendung auch schon über fünf Jahre alt – gut Ding will eben Weile – und was lange währt, wird endlich :)

Poem Album CoverWas nun das Album selbst betrifft, auf dem 17 verschiedene Bands und Einzelinterpret_innen die von Misha übertragenen/übersetzten Cohen-Songs über die Grenzen von Genres und Generationen hinweg darbieten, so werden wir dieses in unserer Spezialnachtfahrt gründlich würdigen: Die Menschen dahinter, die schier unendliche Mühe, schließlich all die Texte und ihre Themen. Liebe und Tod. Das Mitgefühl. Durchleiden und Darstellen. Dichten und Trachten. Sinn und Ziel. Das Vermächtnis. Die Übersetzung. Das nicht fertig werden mit der Arbeit. Die Frage nach der Spiritualität. Was bleibt, jenseits von Anfang und Ende, wenn es nur “das Unterwegssein” gibt? Brauchen wir womöglich ein “größeres System”? Oder verweist uns das milde Lächeln des Sängers auf jenes Unfassbare, dass wir in all seiner Unsagbarkeit aber dennoch, immer wieder, dann halt wenigstens zu singen oder zu spielen versuchen? Das uns stets Unerreichbare, das wir, wenn überhaupt, nur ewig unvollendet, unvollkommen, um es irgendwie auszudrücken, so gut es geht, darleben können…

“Liebes Leben, abgemacht? Darfst mir nicht verfliegen. Hab noch so viel Mitternacht sprachlos vor mir liegen.” Konstantin Wecker

 

An diesem einen Punkt der Welt

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. August – Wir haben das neue Buch von Brita Steinwendtner gelesen – und wollen es euch in dieser Sendung wärmstens empfehlen. Warum? Weil wir, wie sich denken lässt, irgendwo zwischen überzeugt und begeistert sind davon. Und weil wir als freie Radiomacher sowieso nur das besprechen, was uns persönlich und unmittelbar berührt. Wovon wir also ein Bedürfnis haben, zu berichten – aus unserer Welt. Und so entwickelte sich auch unsere Beziehung zu dieser zutiefst lebenswerten Geschichte erst langsam, über einzelne Gespräche und Begegnungen, bis endlich aus immer mehr Zufälligkeiten ein überraschender Zusammenhang entstand: Denn die Hauptperson von „An diesem einen Punkt der Welt“ ist niemand anderer als der allzu früh verstorbene „Bez“ Bernhard Samitz, zu dessen Andenken wir bereits ein Radioportrait mit dem Titel Alternative kulturelle Schutzgebiete gestaltet haben…

Beim TortenmacherDas ist Biographie: die tausend tanzenden Sonnenpunkte in uns – denn, ja, weißt du, wie ich mich gerne beschrieben sähe? Als Erzählung – als Roman -, als Text, der mit mir macht, was er will, denn – ja, Parmenides, ich möchte leben wie ein ausufernder Text, möchte Literatur werden – 

Was Tom zu Hause schrieb und dachte, wenn die Dissonanzen in den Saiten hingen und man im Grau des Nebels keinen grauen Engel finden konnte, ist nicht zu wissen. Der Lamanderbach schickte gleichmütig sein Wasser in den Wildgänseweiher und weiter in den Fluss und immer weiter,

     und Tom mischte ein Dorfleben auf wie nebenbei, es ging ins Leere und es gelang, je nachdem, aber er gab ein Beispiel, das über den Tag hinaus wirkte. Erhob den Einspruch des Poetischen gegen die traurigen Verhältnisse des Realen, lebte die Skepsis gegen simple Kausalitätsordnungen, und war, so Matthias, „dem Streit nicht zugetan, der Umarmung mehr und dem Liebkosen, wenn es um Gedanken ging“.

An diesem einen Punkt der WeltEs entspricht wohl auch mehr unserer Wesensart, nicht gar so viel über ein Buch zu reden, wenn wir es euch vorstellen, sondern es statt dessen lieber für sich selbst sprechen zu lassen (Textauszug oben Seiten 170 und 208, unten Seite 163). So wollen wir uns zwar über unsere Erlebnisse beim Lesen unterhalten, ansonsten aber Passagen daraus vortragen und in Gestalt einer Reise durch den Roman Musikstücke dazu assoziieren. Zu Entstehung und Hintergrund dieses ebenso lesens- wie liebenswert verdichteten und vielgestaltigen Entwicklungs-Roadmovies aus der Innenwelt eines integrierten Außenseiters und radikal friedvollen Poesiepropheten melden wir uns am Freitag, 29. August Live vom 4553² Literaturfestival in Schlierbach/Oberösterreich, wobei wir auch Brita Steinwendtner im Anschluss an ihre Lesung zu einem Gespräch erwarten. Die zweistündige Sondersendung beginnt auf Radio B-138 um 22 Uhr und wird am Sonntag, 31. August auf der Radiofabrik ab 17 Uhr wiederholt. Hier noch das Veranstaltungsprogramm der Literarischen Nahversorger. Bis dahin muss es genügen, wenn wir mit Denis Scheck sagen: „Vertraut uns, denn wir wissen, was wir tun!“ Und lest dieses Buch selbst – denn wer Ohren hat zu fühlen…

Wohin wollte er? Raus aus dem Dorf, dem Haus, dem Graben? Waren sie sein Gefängnis oder seine Geborgenheit? Äußerer Ring von Bäumen um seine Augen, innerer von Verstärkern, Gitarren und Büchern um seinen Atem, Bücher als Metastasen, so Matthias, sie wohnten überall, auf Tischen, Stühlen, am Boden, im Bett, im Auto, ein Haus als Depot für Schrift mehr denn eine Wohnstatt. Lese-Marathons bis spät in die Nächte hinein, Hunger nach dem unmessbaren Zauber von Sprache, weltvergessenes Lesen ohne Ziel und Verwertbarkeitsstatistik, ein dadaistisches Spiel, um die Welt auf den Kopf zu stellen. Vielleicht auch, um sich zu wappnen gegen alles Diktatorisch-Tyrannische, weg von allen Autoritäten und alten Bindungen. Von der Mutter, Dem Vater. Den Professoren. Dem Müssen. Dem Erreichen-, Glauben- und Erfüllen-Müssen.

 

Rainald Grebe – auch mit Band!

> Stream/Download: Artarium vom Sonntag, 10. August – „Dem Mann tut eine Band gut“ haben wir erst unlängst konstatiert. Zwar ist Rainald Grebe auch solo am Klavier ein gscheites Kasperltheater, vor allem, wenn man seinen einzigartigen Grimassenfundus dabei auch synchron zu sehen bekommt, wie zum Beispiel in den bekannten Livevideos „Künstler“ oder „Der Kandidat“. Dass der gestandene Schauspieler und Schwurbelkomiker (er trat am Anfang seiner Karriere in Sendungen für brachialen deutschen Plemplemhumor auf) inzwischen auch in den tieferen Themen des Tragikomischen angekommen ist (und dort durchaus der Sozialkritik eines Georg Kreisler nahekommt), das beweisen Nummern wie „Gilead“ und „Auf der Flucht“ in geradezu abgründiger Weise. Unserer Ansicht nach kommt dieser Vollblutmusiker allerdings inmitten des komplexeren Arrangements einer ordentlichen Musikkapelle noch weitaus besser zur Geltung:

rainals grebe massenkompatibelDas hat sich schon bei den ersten fürs Fernsehen aufgezeichneten Auftritten mit dem Duo „Kapelle der Versöhnung“ abgezeichnet, so etwa hier in „Massenkompatibel“, wo es gleich so richtig psychedelisch zur Ursache geht, wenn er da singt:

„Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, denn wo zwei oder drei versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Dieser Satz von Jesus, der war mir immer schon, der war mir immer schon popelig erschienen. Ich bin massenkompatibel, massenkompatibel, la la la la…“

Doch damit nicht genug, die um einige oder oft auch mehrere Musiker erweiterte Begleitband heißt nunmehr „Orchester der Versöhnung“ und spielt zu jedwedem Anlass meisterlich auf! Das wollen wir gern mit einigen Titeln aus deren gleichlautendem Studioalbum von 2011 unterstreichen. Davor gibts noch ein paar Solonummern aus dem „Rainald Grebe Konzert“ – We show you both best sides of this good man. Das allerneueste Orchesterprogramm „Berliner Republik“ bieten wir hingegen hier als wohlformulierten Audienzbericht zum Lesen an. Und spielen einen einzigen Titel daraus in unserem imaginären Best Of Album, nämlich das Kinderlied Dankwart ist Tankwart: „Bushido, Bushido – Bushido, lutsch meinen Schwanz. Was du kannst, kann ich auch, ich will auf den Index! Tötet, tötet, tötet Markus Lanz!“ 😀

 

Heather Nova – zur Beruhigung

> Download: Artarium am Sonntag, 13. Juli – Fußballbedingt hochkochenden Männerseelen zur finalpräventiven Rundumentkrampfung in beide Gehörgänge geschmeidigt – das ganze Album zum innerlichen Abschluss der Männlichkeits-Waldmeisterschaft im Maracujastadion 😉 Die Notfalls-Gralshüter alles Weiblichen inmitten rundlederner Machoposen und verschwitzter Hupfbrüllerei packen ihren leuchtorangen Letzte-Hilfe-Koffer aus und verabreichen den verdurstenden Gehirnen die fette Ölung! Ein Kontrapunkt zum Fanatentum der Vergeisterten tut allerdings not, und was wäre dazu geeigneter als etwas hocherotische Entschleunigung mittels einiger von Heather Nova bei den 2 Meter Sessies in Holland aufgenommener Akustiktracks?

Engels TrompeteDoch damit die unverhofft einsetzende Wirkung unseres Testosteron-Erlösungs-Cocktails nicht in unkontrolliert unerwünschte Nebenwirkungen hinüberschwappt, haben wir zuvorab noch zwei feine FEMALE. FEEL MALE! – Songs als Einstimmung ausgewählt, die uns in der männlichweiblichen Fanzone gut abholen werden: Nämlich zum einen eine ziemlich rockige Heather Nova Coverversion von Peter Gabriels „I have the touch“ – und zum anderen ihr geniales zweisprachiges Duett mit Bløf „Mooie dag“ 😀 Wunderschön! Und alsdann gibt es die versprochene alphawellen-induzierende Musique. Die Sätze und ihre Bezeichnungen:

01 Walk this world

02 Heal

03 Maybe an angel

04 My fidelity

05 Blessed

06 Heaven sent

07 Virus of the mind

Zu Risiken und sonstigen Gewöhnungseffekten: Wir sind ein geiles Institut…

 

Die Sendung mit der Wurst

-> Download: Artarium vom Sonntag, 18. Mai – Da haben wir jetzt also den Wurstsalat: Mal ganz abgesehen vom Neurovisions-Songcontest mit seinem musikindustriellen Massenmulm, sitzen wir auf einmal doch mit dieser verstörend betörenden Kunstfigur namens Conchita in einem Topf – und wundern uns. Nicht etwa darüber, dass wirklich jeder Unjedermann (und sei sie noch so Frau) seinihren Senf dazu quatscht. Das sind wir als gelernte Österreicher ja inzwischen gewohnt! Auch nicht so sehr über die interessante Polarisierung, die sich – von frenetischer Feude bis zu hochkochendem Hass – sogar in den Gesprächen von sonst zumeist schweigenden Mehrminderheiten auszubreiten scheint. Nein, eigentlich erstaunt uns das von Tom Neuwirth intelligent ausgedachte Irritationskonzept, mit dem die Vorstellung von gleichrangig vielfältigen Daseinsformen offenbar gerade bis in die allerhintersten Bewusstseinswinkel dringt.

Conchita WurstDa wollen wir diesmal (bei aller sonst gern geübten Kritik am konsumistischen Mainstream) in den Chor der Glückwünsche einstimmen und ein Lied für (nicht von) Conchita Wurst spielen. Wir sind das freie Radio 😉 Von einem der zahlreichen Gratulanten distanzieren wir uns aber gern und gründlich, denn der hat offensichtlich nichts von dem kapiert, was die Wurst vom Würstl gar so angenehm unterscheidet! Der selbstgebackene Retter des gottgefälligen Abendlandes und diensttuende Patriarch der wenig erfreuheitlichen Partei verfolgt ja ganz andere Ziele, wie Alexander Pollak auf derStandard.at genial ausführt: „Strache braucht Nationalismus und viel Opportunismus, um ausnahmsweise die Abweichung von Normen zu goutieren oder zumindest, wie im Falle von Conchita, schweren Herzens und wohl auch nur temporär, zu tolerieren. Doch die Abweichung von althergebrachten Normen ist nicht das, wozu Strache sie macht, sie ist nicht die seltene Ausnahme, sondern sie ist die Regel. Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, sieht eine Realität, die mit den Normvorstellungen, die in unseren Köpfen verankert wurden, vielfach nichts gemein hat. Das mag Herausforderungen mit sich bringen. Das mag für manche verwirrend sein. In erster Linie sollte es aber etwas ganz anderes sein, nämlich selbstverständlich, oder, wie es Conchita sagen würde, richtig, wurst.“

Blau ist eine warme FarbeWas läge also in dem Zusammenhang näher, als noch ein paar weitere schöne Möglichkeiten auszupacken, mit denen sich die eigenen Normvorstellungen anregend auf den Kopf stellen lassen. Wir wollen euch also von zwei Filmen erzählen und von den Büchern, aus denen heraus sie entwickelt wurden. Zwei verschiedene Geschichten, die aber beide dazu geeignet sind, die Welt des Gewohnten wieder mal anders zu erleben – überraschend, veränderbar, zuversichtlich. Zum einen ist hier die Rede von Jonas Jonassons „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“der jüngst stark gekürzt, doch durchaus sehr unterhaltsam verfilmt wurde. (-> Trailer) Zum anderen vom epischen Liebesfilm „Blau ist eine warme Farbe“, einer dreistündigen Bilderflut frei nach der Graphic Novel von Julie Maroh. Während das Vorstellungswelten sprengende Element in der ersten Erzählung die Aneinanderreihung der aberwitzigsten Wendungen in Geschichte wie Gegenwart des Protagonisten ist, so wird der entsprechende Erfrischungseffekt in der zweiten Story hauptsächlich durch die Darstellung von Sexualität erreicht. Ein Umstand, der bei aller Ästhetik und Intimität nicht unumstritten bleibt, wie dieser Artikel eindrücklich zeigt: “Clem hätte sich auch in mich verliebt, wenn ich ein Junge gewesen wäre.” Und darum scheint es Maroh auch in der Hauptsache zu gehen: Dass Liebe keine Geschlechtergrenzen oder sexuelle Orientierung kennt. “Die Liebe ist etwas so Abstraktes und Unergründliches. Sie hängt von unserer Wahrnehmung und unseren Erfahrungen ab”.

 

Invisible Empire // Crescent Moon

-> Download: Artarium vom Sonntag, 11. Mai – Das nunmehr 4. Studioalbum von KT Tunstall schlägt auch für eine Artarium-Albumpräsentation ungewohnt leise Töne an. Doch es schöpft seine Kraft und Intensität aus anderen Daseinsebenen, aus einer Verlagerung der Aufmerksamkeit von außen nach innen. Entstanden in zwei seperaten Studiosessions mit gut einem halben Jahr Abstand dazwischen, ist es wohl das bislang ehrlichste und direkteste Werk der Künstlerin. Dazu hat bestimmt auch die von ihr gewählte Live-Aufnahmetechnik beigetragen, mit der sie jeden Track in nur einem Durchlauf möglichst authentisch aufzeichnen konnte. Und passend zu einer solchen Herangehensweise an die Albumproduktion ist auch die damit verbundene Tour größtenteils als Soloperformance angelegt. Ein Erlebnis, auf das man sich durchaus einlassen kann! 🙂 Den detaillierten Hörbericht verfasste Christopher Schmall:

KT-Tunstall - Invisible-Empire-_-Crescent-Moon-2013-1500x1500„I’m sort of surprised that I’ve ended up with an album.“ Und wer wäre das nicht, wenn sich in einem Jahr soviele massive Veränderungen und Schicksalsschläge die Klinke in die Hand drücken. Den Vater zu verlieren, dann einen Freund – dazu auch noch eine Scheidung; da mag man schon mal aufgeben und sich gern in sein Schneckenhaus zurückziehen. Doch KT verwandelt all den Schmerz und all die Verzweiflung in sanftzärtliche Klangbilder, die einem unter die Haut kriechen. „It was the medicine I needed.“ Invisible Empire // Crescent Moon ist sicherlich ihr ambivalentestes Album. Die beiden Hälften beschreiben einen Wandel – in ihrer Musik, ihrem Leben. Sie definiert sich nicht mehr nur durch ihr Schaffen. Sie ist über sich und ihre Kunst hinausgewachsen. Rhythmus und geballte Energie sind in den Hintergrund getreten. Emotion, Stimme und Text sind eindeutig die treibenden Aspekte dieses Werkes. KT Tunstall erschafft eine Welt aus Glas, jedes Lied malt neue Farben auf die durchscheinden Wände und wie von selbst entsteht eine verletzliche und dennoch unverzagt hoffnungsvolle Atmosphäre. Hier sieht und hört man, wie heilend kreative Prozesse und künstlerisches Arbeiten sein können. Selbst angerührter Balsam für die Seele. Es gilt lediglich, einen Weg finden, seine tiefsten Gefühle ans Tageslicht zu befördern. Man muss sich mit ihnen beschäftigen, sie würdigen. Egal wie hässlich und unheimlich sie auch erscheinen mögen…

 

Ilija Trojanow – Der überflüssige Mensch

Artarium vom Sonntag, 27. April – Diese DOPPELSTUNDE wird als zwei eigenständige Sendungen veröffentlicht: -> Download: Buchvorstellung mit Leseproben und Studiogespräch -> Download: Autorenportrait mit Interviewauszügen von den Rauriser Literaturtagen 2014. Natürlich fein garniert mit thematisch passenden Musiktiteln und Audiocollagen, wollen wir sowohl der Streitschrift „Der überflüssige Mensch“ wie auch der Person Ilija Trojanow atmosphärisch näherkommen. Unsere Projektpartner, allesamt Salzburger Studenten, stellen hierbei ihr gesammeltes Material (einer universitären Präsentation) zur Verfügung, unter anderem eineinhalb Stunden Gespräch mit dem Autor zu Themen wie „Dystopische Popkultur“ und „Revolution oder Genozid“. Gemeinsam gestalten wir nun daraus dieses Hörstück zum Mitleben…

der überflüssige menschNachdem wir bereits am 23. März in der Sendung „Überflüssig“ über einige Ideen zum „Trojanow Projekt“ gesprochen haben, wollen wir diesmal detaillierter den Inhalt dieses bemerkenswerten Buches darstellen – und darüber diskutieren, was sich aus den darin entwickelten Thesen für den Umgang mit Gesellschafts- und Weltordnungen ergeben kann. Zur Einstimmung und Vertiefung empfehle ich die Rezension „Würdelos im Spätkapitalismus“ (Deutschlandradio Kultur). Interessanterweise wird die Neuerscheinung des bekennenden Anarchisten sogar in der Politischen Akademie der ÖVP wohlwollend besprochen. Das mag als deutliches Zeichen für deren unleugbare inhaltliche Brisanz gelten:

Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es verstößt gleich mehrfach gegen das Grundgesetz. Erstens gegen Artikel 1, weil es kein menschenwürdiges Leben ermöglicht, und zweitens gegen die freie Berufswahl wie auch gegen die freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil es Menschen zu Sklaven macht, indem es sie zur Annahme von Arbeit zwingt, die sie nicht ausüben wollen.“ Dieses Zitat von Götz Werner, Begründer der Drogeriekette dm, gestandener Kapitalist, aber auch Systemkritiker und Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens, stellt Trojanow dem Kapitel „Ein Sprungbrett nach unten“ voran.

ilja trojanowUnd schreibt dann selbst: Die Überflüssigen sind keineswegs überflüssig, lässt man den herrschenden Arbeitsbegriff unserer Zeit außer Acht. Sie pflegen einen gebrechlichen Vater, einen dementen Partner oder widmen sich als allein erziehende Mütter ihren Kindern. Sie helfen in der Nachbarschaft, sie engagieren sich, sie beschenken ihre Verwandten mit Selbstgestricktem (um nur einige beliebige Beispiele zu nennen). Wer seinem behinderten Sohn einen Filterkaffee zubereitet, ist eine Null, wer seinem Chef einen Espresso serviert, ist ein Assistent. Die nicht-kommerzielle Fürsorge wird missachtet, gerät ins soziale Abseits.“ (Aus Seite 36 des knapp 90-seitigen, sehr angenehm zu lesenden Werks)

Da hätten wir schon einmal ein paar kritische Gedankengänge beisammen, die jeder für sich lauthals nach revolutionärer Veränderung der Verhältnisse schreien. Oder anders gesagt: „So darf man mit Menschen nicht umgehen!“ Doch was können wir schon tun? Hier erweist sich die ebenso humanistische wie anarchistische Denktradition Trojanows als besonderer Glücksfall, indem sie mit vielen offenen Fragen umgehen und dabei doch sehr konkret werden kann. Meisterlich hat dies der Kollege von Radio Helsinki in einem Interview am 21. 3. 2013 eingefangen. Doch auch wir werden dichten Stoff liefern! 😀

Denn wir sind durchaus ein geiles Institut!

 

Ton Steine Scherben in Salzburg

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. April – Der etwas andere Konzertbericht aus dem Salzburgradio zum Selberdrehen oder auch Liebesgrüße aus dem Minenfeld ambivalenter Erwartungen. Wenn nämlich Ton Steine Scherben nach jahrzehntelanger Absenz plötzlich wieder auftauchen, und dann noch unter der griffigen Ankündigung „Das Original erstmals seit 1985 auf der Bühne“, dann kommen auch wir aus unseren Zeitlöchern gekrochen – und wollen liebgehabt werden. Doch – wer sind wir? Ein bunt zusammengewürfelter Haufen! Musikanten und Medienkünstler, Jungpunks und Alt-68er, Freiheitsfreaks jedweden Fachgebiets, längst ausgestorben geglaubte Bohème, Kinder, Eltern, Überlebenskünstler – und sogar ein Grateful-Dead-Professor. Genauso verschiedenartig wie dieses Publikum waren auch seine Bedürfnisse, weshalb wir ein „Stimmungsbild aus Spiegelscherben“ zubereiten.

Ton Steine Scherben 2014 im RockhouseZuallererst begegnete mir ein freundlicher Veteran mit schütterem Haupthaar, der stolz seine Erstausgabe des Albums „Warum geht es mir so dreckig“ herum reichte. Ein wenig Museum war da schon im Spiel und mir fiel dazu „lebendige Geschichte“ ein. Deren Stattfindung verkörperte bierselig ein Punk mit bunten Haaren, der allen Umstehenden erklärte, wie augenblicklich er wieder heimgehen würde, sollte seiner Vorstellung von revolutionärer Authentizität etwa nicht entsprochen werden. Ein schon seit Jahren dem Umfeld lauthalser Konzerte entflohen gewesener Kollege aus der Epoche des angewandten Hausbesetzens hatte sich extra wegen der Scherben reaktiviert und freute sich schon wie der Rumpelstilz aufs Heiserwerden vom Mitgröhlen der alten Anarchohymnen. Die leiseren – oder sagen wir – Zwischentöne hörte ich allerdings von einigen eher „untypischen“ Konzertbesuchern. So etwa ein Künstlerpaar, das seine hohen Erwartungen aufgrund des „berühmten Namens“ sorgfältig gegen mögliche Enttäuschungen abwog, die ein Scheitern des generationen-übergreifend angelegten Revival-Projekts mit sich bringen würde. Der verstorbene Rio Reiser sei als Frontman schlichtweg unersetzbar, daher gingen sie eher mit gemischten Gefühlen hinein…

Die jungen Stimmen von Ton Steine Scherben 2014So hätten wir diesen Artikel auch mit „Des Sängers Fluch“ überschreiben können – die gleichnamige Ballade von Ludwig Uhland aus dem Jahr 1814 wäre wohl als Metapher des Ansingens gegen kaltherzige Herrscher geeignet. Doch als Titel ließe solcherlei die Gesamtperformance von Ton Steine Scherben 2014 in einem allzu einseitigen Licht erscheinen – denn so sehr dieser Abend immer auch Besuch der alten Ikonen war, so sehr lebte die junge Generation dabei ihre ganz eigene Spielfreude aus. Herausragend Maxime Praeker am knackpräzisen Schlagzeug, auch Nicolo Rovera überraschte mit Leidenschaft und Stimmpräsenz. Leider ging dagegen der Gesang von Ella Josephine Ebsen im allzu lauten Saalsound fast unter und entzog sich so der weiteren Würdigung. Ein echtes „Project in Progress“ eben, an dem noch einiges zu gestalten ist. Allerdings ein gelungener Auftritt im Sinne von „Macht auf jeden Fall weiter, es macht uns neugierig…“ Und so unfertig, wie auch wir gern bleiben möchten, überlassen wir weitere Ausführungen den Publikumsstimmen, die in dieser Sendung zu hören sind – sowie unseren und euren Assoziationen, wenn wir dazu die etwas anderen musikalischen Scherbenzitate spielen. Unter anderem von Bretterbauer, die einen empfehlenswerten Scherbensound produzieren – oder von the who the what the yeah, die als Support von TSS in Wien ihr spätkapitalistisches Lebensgefühl entfalten konnten. Über alledem jedoch, liebe Gemeinde, vergessen wir eines niemals: Wir sind ein geiles Institut 😀 und Hallelujah!

 

Laibach – Opus Dei

-> Download: Artarium vom Sonntag, 13. April – Willkommen zur etwas anderen Slowenien-Woche auf der Radiofabrik unseres Vertrauens! Radio Študent aus Ljubljana (gegründet 1969 und somit einer der ältesten freien Sender in Europa) ist im Rahmen einer Projektvisite zu Gast in Salzburg. Wir nutzen diese Gelegenheit, um selbst einige Programmschwerpunkte zu setzen: So wird bereits am Donnerstag Abend im Rahmen des Stammtischs der Freien Medien (Beginn 19 Uhr, ARGEkultur 1. Stock) ein Gespräch über das Kunstkonzept der Gruppe Laibach stattfinden, das zum Teil auch live aus dem Sendestudio übertragen wird. In der Nachtfahrtsendung am Freitag, 11. April zum Thema „Heimat under construction“ werden wir diese Unterhaltung mit unseren Gästen (von 22 bis 00 Uhr) weiter vertiefen können. Und zu guter Letzt spielen wir auf mehrfache Anregung noch ein frühes Laibach-Album in voller Länge!

laibach - opus dei (front)Und dieses Opus Dei von Laibach von anno 1987 vermag exemplarisch zu verdeutlichen, was uns am Konzept dieser Band und dem mit ihr verflochtenen Kunstkollektiv NSK (Neue Slowenische Kunst) derart interessiert. Slavoj Žižek, der weithin bekannte Kulturphilosoph aus Slowenien, hat dies in einem wunderbaren Video „What the hell is Laibach all about?“ auf den Punkt gebracht. Noch Fragen? 😀 Kurz skizziert – das herrschende System im künstlerischen Ausdruck noch ernster zu nehmen als es sich selbst jemals ernst nimmt, das führt zur Entlarvung der totalitären Mechanismen und ist somit zutiefst subversiv. Ein Konformist wäre somit jemand, der dem System gegenüber in ironischer Distanz lebt – ein Revolutionär dagegen eher so eine Art Übertreibungskünstler. Womit wir auch der Erforschung des Skandals einen großen Schritt näher gekommen sind. Hallo, Thomas Bernhard! Was darüber hinaus die kontroverse Kritik anbelangt, mit der Laibach wegen ihrer rauschhaften Verwendung (Entwendung/Verfremdung) von eklektisch zusammengeglaubten Herrschaftssymbolen immer wieder konfrontiert wurden, dazu wollen wir in unseren aktuellen Sendungen einiges an Anhörungsmaterial beisteuern. Zur Einführung in dieses Thema empfehlen wir die Videos „Geburt einer Nation“ sowie „Opus Dei“ vom gegenständlichen Album!