Der Wahlsongtag

Stream/Download: Artarium vom Sonntag, 29. September – Wer die Wahl hat, hat die Qual! Nie war dieser Satz wahrer und quälender zugleich als vor der heurigen Natiolratswahl. Manche meinen gar, eine nationale Heurigenwahl wäre wohl um einiges bedeutsamer. Und Freda Meissner-Blau, Urgestein und Grande Dame der Grünen in Österreich, überlegt in einem Gespräch mit dem Standard, diesmal aus lauter Überdruss erstmals ungültig zu wählen. Immerhin versteht sie es meisterlich, ihren Abscheu in Thomas Bernhard’sche Sprache zu kleiden: „Ganz Österreich ist eingewickelt in Riesenplakate, wo man wirklich Schwierigkeiten hat, sich zu entscheiden zwischen so vielen schönen Versprechen, so viel schöner Zukunft. Und wir wissen, dass das am 30. September alles wieder heruntergerissen ist und Makulatur ist, weil es immer schon Makulatur war.“

christoph_und_lollo_fpoeUm solchernem uns zäh und klebrig umschleimenden Sumpf wenigstens ein Mindestmaß an gepflegtem Kulturpessimismus mit ironischem Niveau abzutrotzen, nutzen wir halt die einzige Wahl, die uns bleibt: Die Wahl unserer Gäste und die der Musik!

Christoph und Lollo etwa, die von Jahr zu Jahr sozialkritischeren Liedermacher, haben uns in den allerletzten Wochen dieses an unfreiwilliger Einschlafkomik und humpelstilzender Hilflosigkeit überquellenden Wahlkrampfs immer wieder die Lachmuskeln gelockert, indem sie (fast) jeder qualwerbenden Partei eine eigene Wahlkampfhymne widmeten. Die eine oder andere dieser den Parteiquatsch entlarvenden Kleinodien wollen wir uns gleich nach Schließung der letzten strengen Urnenkammer abermals zu Gemüte führen – und unsere Stimmen somit endlich doch noch für etwas entschieden Sinnvolles abgeben…

Dies allerdings nicht, ohne dieselben auch frohgemut zu erheben, denn wir haben uns selbst wackere Musikanten und Sangesgäste zum Lautsein ins Studio gebeten. Im Speziellen unseren Kollegen Alexander Zechbauer, der nicht nur die famose Balkan-Musiksendung „rakija i ruže“ herausgibt, sondern auch beim Radiofabrikfest am 25. Oktober mit seiner Ostbeatbend live zu sehen sein wird. Mit ihnen zusammen arbeiten wir nunmehr an einer Jubiläums-Aufführung der geschütteltsten Hymne aller Zeiten für Chor und Orchester:

Österreichische Hundesbymne

Band der Lerge, Strand am Lome,
And der Läcker, Dandler Ohme,
Hand der Lämmer, kuhzunftsreich!
Greimat hosser Söchter und Töne,
Gnolk, befadet schür das Föhne,
Ölgerühmtes Fiesterreich,
Ölgerühmtes Fiesterreich.

 

5 Jahre Nachtfahrt Perlentaucher

Stream/Download: Artarium vom Sonntag, 22. September – „Die Musik- und Literatur-Gefühlsweltreise von Norbert K.Hund + Christopher Schmall aus der etwas spezielleren RADIOFABRIK: Jeden zweiten Freitag im Monat tauchen wir dazu LIVE durch tiefgründige Themen -> Gut zu hören – von 22:00 – 01:00 Uhr!“ Wahrlich, so steht es geschrieben in unserem Nachtfahrt-Perlentaucher-Blog. Und das ist beileibe keine leere Drohung wie so manches Wahlversprechen heutzutage. Wir meinen nämlich durchaus, was wir da tun und sagen! Nachdem diese illustre Sendung am letzten Freitag dem 13. mit der nunmehr 60. Ausgabe ihren 5. Geburtstag gefeiert hat, wollen wir die sich bietende Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen, auch euch, liebe Artarium Hörmuscheln und Ohrrüb_innen auf den Geschmack dieses im Wortsinn tiefgehenden Radioprojekts zu bringen. Denn wir haben – wie ihr wisst – noch lange nicht genug…

P1000510blauDer junge Suchende zieht also irgendeine “erwachsene” Ritterrüstung an und stülpt sich dazu noch einen vorgefertigten Helm über (namens Gott, Ehre, Stolz, Heimat,..) Schon lernt er nichts neues und anderes mehr, als mit den bereits vorhandenen Symbolen mehr oder weniger “richtig” umzugehen. Ob man ihm jetzt noch dazu beibringt, die Rüstung schön anzumalen oder sich darin anmutig zu bewegen, ist scheißegal – er hat sie ja längst an! Dazu hat er auch noch den passenden Helm, Hut, Denkschädel auf. Ob er sich an selbigen dann Blumen, Federn oder Würste steckt – das ist ebenfalls wurscht. Denn Hut bleibt Hut, Herrschaft bleibt Herrschaft, und Gewalt bleibt so eben auch. Es kann also nicht darum gehen, den “ein richtiger Mann” werden wollenden Jugendlichen dabei zu beobachten, wie er das “richtige oder falsche Ficken” lernt. Es ginge vielmehr darum, ihm endlich zu erlauben (und ihn dabei auch zu unterstützen), eine Sexualität zu entdecken und zu erleben, die sich mit überkommenen Brutalbegriffen wie “ficken, pudern, schuastern” gar nicht mehr beschreiben ließe… 😀 Denn wer zu sehr danach strebt, zum Abbild seiner Vorbilder zu werden, der sollte sich dann auch wirklich nicht wundern, dass sein Selbst als ein Abziehbild daher kommt. (Norbert K.Hund in „überwinden verwandeln“ vom 13. September 2013)

unterm radWir wachsen so selbstverständlich mit der Sprache auf, dass uns teilweise gar nicht mehr auffällt, wie zauberhaft und magisch sie sein kann. Sie kann Welten öffnen, fantastisch und traumhaft; sie vermag es aber auch uns zu verletzen, hässlich zu sein, widerlich und ekelerregend. Sie ist unendlich weit, farbenfroh und so facettenreich; dennoch stoßen wir hin und wieder an ihre Grenzen. Sprache kann wirklich sprachlos machen. Manchmal verschlagt es uns die Worte, wir können nichts mehr sagen, bringen keinen Satz mehr hervor, als hätten wir verlernt zu sprechen…

Ich als Dichter lebe von ihr. Ich liebe und ich hasse sie; und bin auf sie angewiesen. Es ist schon merkwürdig wie ein Wort den Sinn eines ganzen Satzes verändern kann. Es ist ein ständiges Abwiegen, ein andauerndes Überlegen und Feilen, eine Arbeit, eine Beschäftigung, die niemals aufhört, immer weiter geht. Ich bin im Bann der Worte. Und kann doch über sie bestimmen! Ich glaube, es ist eine Art Symbiose. Ohne Worte könnte ich nicht meine Gedanken nieder schreiben und ohne mich blieben sie nur seltsame Hieroglyphen… (Christopher Schmall in „Dichterwerdung“ vom 8. August 2013)

Also begleitet uns diesmal ein Stück weit durch unsere letzten Perlentauchereien, von welchen wir Auszüge von selbst gelesenen Texten und  dazu passenden Musiken spielen werden. Und erfahrt auch etwas mehr über die Idee hinter den Nachtsendungen und über ihre Geschichte des Geschichtenerzählens. Womöglich bekommt ihr dann ja auch Appetit aufs Nachhören der einen oder anderen Episode – derlei Bedürfnisse lassen sich gut im CBA-Archiv der Sendereihe befriedigen. Den stimmungsvollen Nachtfahrt-Kurzfilm von Markus Huber empfehlen wir euch ebenfalls gern als Vorspiel – ähm – Speise.  Und apropos – wir haben euch lieb! 😉

 

Sexy Songs, seltsam…

Stream/Download: Artarium vom Sonntag, 8. September – Leider, leider zieht Teresa Reiter um – und weiter, nach England an die renommierte Kingston University, um sich dort ihren Master of Journalism zusammen zu brauen. Wir wünschen ihr dabei alles Gute – allerdings auch mit einem weinenden Auge, müssen wir doch deshalb die eigentlich für diesen Sonntag geplante gemeinsame Sendung über den Südsudan bis auf weiteres verschieben. Wir waren schon sehr neugierig auf ihre persönlichen Eindrücke aus dieser erst vor gut zwei Jahren entstandenen Republik in einer nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen immer noch vor sich hin kriselnden Region – zwischen heftigem „United Nation Building“ und möglichem „Failed State Szenario“. Auf ihrem Blog hat sie schon mal einen appetitlichen Artikel darüber veröffentlicht. Auf Englisch natürlich 😉

Kleiner Mann, was nun?Aber verschoben ist nicht aufgehoben, versprochen! Und es wäre beileibe auch nicht das erste Mal, dass wir uns ein Kunnstbiotop quasi übernacht aus den Rippen schneiden. Wir sind nämlich – eh scho wissen – ein geiles Institut. Deshalb verlegen wir die Reisereportage einfach nach innen und berichten zum Beispiel aus der Autonomen Republik Perlentaucher: Für die nächste Nachtfahrt am – jawohl – Freitag dem 13. September haben wir uns schon eine ganze Menge vorgenommen. Zum Thema „verwandeln überwinden“ wollen wir vier Stunden auf den Spuren der Selbstwerdung verweilen – alt und jung, selbst und anders, Paradox und Parzival…

Um aber all den inwendigen Wandlungen auch außenweltlich gebührend Gestalt zu geben, befeiern wir bereits in aller Vorfreude das am 16. September erscheinen werdende Album „Loud Like Love“ von Placebo. EingeweihtInnen wissen, dass es sich hierbei um eine unserer absoluten Lieblingsbands handelt: „Brian Molko, du geile Sau – wir wollen ein Kind von dir!“ Doch auch jenseits bereits bereister Soundpfade und Genregegenden sind wir neugierig geblieben – und so ist es uns ein besonderes Volksfest, euch noch vor der Nationalratswahl Folgendes zu verkündigen: Der deutsche Sprechgesang, auch HipHop oder Rap geheißen, hat sich endgültig aus seinem schwanzschwingenden Herkunftsghetto emanzipiert und ist mittlerweile in den Zwirbeldüsen der Philosophen und Intellektuellen gelandet. Na, wenn das mal keine fette Erleuchtung ist: Shaban & Käpt’n Peng – „Sie mögen sich“ oder auch Käpt’n Peng & die Tentakel von Delphi – „Der Anfang ist nah“ Unbedingt anhören! 😛

 

Aufstand des Gewissens

Stream/Download: Artarium vom Sonntag, 25. August – In einer nie gehaltenen Rede heißt es: Die Musik, das Theater, die Poesie – kurz: die Kunst – transportieren die Menschen jenseits ihrer selbst. Die Kunst hat Waffen, welche der analytische Verstand nicht besitzt: Sie wühlt den Zuhörer, Zuschauer in seinem Innersten auf, durchdringt auch die dickste Betondecke des Egoismus, der Entfremdung und der Entfernung. Sie trifft den Menschen in seinem Innersten, bewegt in ihm ungeahnte Emotionen. Und plötzlich bricht die Defensiv-Mauer seiner Selbstgerechtigkeit zusammen. Der neoliberale Profitwahn zerfällt in Staub und Asche. Ins Bewusstsein dringt die Realität, dringen die sterbenden Kinder. Wunder könnten in Salzburg geschehen: Das Erwachen der Herren der Welt. Der Aufstand des Gewissens!“

Das fatale DuettEine solche Rede hätte der Schweizer Soziologe und Globalisierungskritiker Jean Ziegler zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2011 gehalten, wenn er nicht rechtzeitig und auf die allerpeinlichste Weise daran gehindert worden wäre. „Verhaften sie doch die üblichen Verdächtigen!“ möchte man dem Polizeichef von Kassablanca heute noch zurufen, doch „die höchste Stufe des organisierten Verbrechens ist der Kapitalismus“ wie Jean Ziegler bereits 1999 in einem ORF-Interview feststellte. Und auch die Repressitanten und Repräsidentinnen dieses höchststaatslegalen Geldverschwindungstheaters der globalen „Bank-Halunken und Spekulations-Banditen“ scheinen für das gemeine Traumvolk des Friedens seltsam ungreifbar zu bleiben. Gut, die eine hat sich ja erst kürzlich selbst auch wieder unter die Ausgeladenen eingereiht. Und die andere outet sich seit jenem Sommer mit Sprüchen wie „das ist nicht das Theater, das wir hier in Salzburg haben wollen“ – als eine letzte Ignoranzinstanz gegenüber den gesellschaftlichen Wirklichkeiten in der Kunst.

Niveau ist keine HautcremeDie von ihr dergestalt abgefertigte Performance „Das ehemalige Haus“ von SIGNA thematisierte etwa Frauenhandel und Zwangsprostitution. Und Jean Ziegler wollte die Festspielprominenz mit dem tatsächlichen Skandal des Welthungers und der Verteilungsungerechtigkeit konfrontieren. Zudem noch mit gebotenem Realismus: „Aber keine Angst, dieses Wunder wird in Salzburg nicht geschehen! Ich erwache. Mein Traum könnte wirklichkeitsfremder nicht sein! Kapital ist immer und überall und zu allen Zeiten stärker als Kunst. „Unsterbliche gigantische Personen“ nennt Noam Chomsky die Konzerne. – „L’art pour l’art“ hat Théophile Gautier Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben. Die These von der autonomen, von jeder sozialen Realität losgelösten Kunst, schützt die Mächtigen vor ihren eigenen Emotionen und dem eventuell drohenden Sinneswandel.“ 

So billig hätten sie es dann von mir aber nicht bekommen: „Das letzte Licht ist verlöscht. Kein Raunen geht durch die Menge. Regungslos sitzen die Festspielgäste auf ihren Polstersesseln. Sie sind in diesem einzigen, unendlich lang atmenden Augenblick endgültig ganz und gar zu Stein geronnen. Und niemand vermisst sie. Wenn in hundert Jahren ein neugieriger Mensch die Saaltüren öffnen wird und wenn der erste Sonnenstrahl mit einem Hauch frischer Luft ihre erstarrten Körper berührt, dann werden sie zu Staub zerfallen und sich im Wesen ihres Nichts auflösen.“

 

Sommer Textase Reloaded

Stream/Download: Artarium vom Sonntag, 28. Juli – Ja, liebe Leute, es ist Sommer und wir sollten eigentlich auch schon längst urlaubend unterwegs sein – doch nix da! Aus querwissenschaftlich noch zu untersuchenden Gründen halten wir die eine oder andere Stellung – und beliefern euch auch diesmal wieder livehaftig mit Nektar und Ambrosia aus dem Äther, der die Welt erleuchtet. Immerhin umtoben uns pünktlich zur Hitzewelle nicht nur die üblichen unüberschaubaren Touristenströme, sondern auch die unausweichlichen Sommerfestspiele nebst ihrer ebenso unvermeidlichen weil überallgegenwärtigen Präsidentin. Da ist es dann fast schon verpflichtend für ein „etwas anderes Kunnst-Biotop“, aus den ihm innewuchernden Verschlingpflanzen ein hochpotentes Heiltrünklein zu destillieren – gegen Ekel und Überdruss der schwindligen Hochzeit von Hochfinanz und Hochkultur. Zupfen wir es uns also selbst zurecht…

In vino veritasWohnen wir also einer wunderlichen Weinprobe bei, welche von Jochen Malmsheimer und Thomas C. Breuer als Radioratgeber vorgetragen wird und abschließend (natürlich) illuminös ins Absurde ausartet. Lauschen wir der von Christian Brückner meisterlich rezitierten Übersetzung des Charles Bukowsky Klassikers „The Last Generation“ und beginnen wir dabei zu verstehen, was „unconveyable“ bedeutet. Hören wir ein Streichquartett, das wirklich jeder kennt (weil es Pink Floyd spielt) sowie ein Cello-Solo, das zu den besten der Welt gehört (jedenfalls auf Rockmusik-Bühnen) und lassen wir uns von Lou Reed beraten:

When you’re growing up in a small town
you know you’ll grow down in a small town
there is only one good use for a small town

You hate it and you’ll know you have to leave

In diesem Sinne versuchen wir uns wieder einmal am angewandten Paradoxon des Thomas Bernhard’schen „in die entgegengesetzte Richtung“ Gehens – und bleiben dabei doch, wie wir gekommen sind – erst einmal da. Und wir machen ein wenig Werbung in eigener Sache – für die nächste Nachtfahrt am 9. August nämlich, die irgendwie auch der Dichterwerdung von Sprachfaszinierten gewidmet sein wird. Sind wir nicht ein noch geileres Institut? 😀

 

Deutsch für deutsche Ausländer

Zum Download: Artarium vom Sonntag, 21. Juli – Unser sommerliches Sonderservice zur Festspieleröffnung! Das Zitat „Was Deutschland und Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache“ wird nicht nur hierzulande meist Karl Kraus zugeschrieben, dürfte allerdings doch nicht von ihm stammen, wie neuere Forschungen nahelegen. Ob die Feststellung allerdings erst in den 50er Jahren vom Kabarettisten Karl Farkas geprägt wurde, der sie als Abwandlung von George Bernhard Shaws „England and America are two countries divided by a common language“ aus den USA importiert haben soll, das bleibt noch zu überprüfen. Jedenfalls ist es nicht Jedermanns Sache, das jenseits der Hochsprachbühnen hierzulande jeweils gepflogene Idiom zu enträtseln, wiewohl es sich doch jeweiligenfalls um, sagen wir wohlwollend, „Deutsch“ handelt.

Der kleine Wappler„Säckelwart unseres mehr oder weniger schon seit Jahren unter pseudosozialistischer Präpotenz in sich selbst delirierenden Kleinstaates: Thomas Bernhard über Franz Vranitzky, damals (1985) Finanzminister. Vranitzky hatte zuvor die Aufführung von Bernhards Theatermacher bei den Salzburger Festspielen als Skandal bezeichnet.“ Derlei wundersame Perlen gepflegten Geschimpfes typisch österreichischer Gestalt versammelt dieses Bändchen im Taschenwörterbuch-Format zwischen gängigeren Derb- und Direktheiten wie etwa Arsch vulgo Oasch, Beidl oder Fut. Wobei die Stärke des Kompendiums eindeutig in seinen sprachlüsternen Worterklärungen und bildgewaltigen Beispielwendungen liegt…

So unter anderem: „Wenn mei Tant an Beidl hätt, warads mei Onkel, sagt man hierzulande statt eines schlichten Wenn das Wörtchen wenn nicht wär“ – oder auch: „Wann i so an Oasch hätt wia du a Gsicht, tät i hintern Schleier scheißen! ist eine geradezu pittoreske Variante wesentlich simplerer Beschimpfungen mit analoger Aussage wie etwa Arschgesicht oder Arsch mit Ohren“ – Man merkt also schon, es geht hier weniger um dialektologisches Fachwissen oder enzyklopädische Umfassendheit, sondern wohl eher um die freundliche Einladung zur kreativen Selbstanwendung und Weiterentwicklung von dergestalt vielsagenden Wortschöpfungen wie zum Beispiel Kniaschussduttl, Ölbergindianer und Wischerlwasser. Letzteres wird folgendermaßen erläutert: „Alkoholfreies Getränk der unbekömmlicheren Art (wischerln bedeutet urinieren)“ Soviel vorab zum Inhalt 😉

Der nunmehr seit geraumer Zeit im schönen St. Pölten residierende Residenz Verlag hat uns auch freundlicherweise einen kleinen Wappler zum Vorlesen und Besprechen überlassen. Dortselbst ist Selbiger überdies wohlfeil zu erwerben! Und in der Sendung werden wir ihn mit geeigneten Spaßetteln artverwandter deutsch- oder ähnlichsprachiger Mundartisten garniert servieren. Die Festspiele sind also hiermit eröffnet: „Jeeedeeermaaaaann!!!“

 

HALLO NAZI!

-> Download: Artarium vom Sonntag, 30. Juni – Das Theater Stattgeflüster präsentiert ab Dienstag, 4. Juli (Premiere) im Shakespeare eine aktualisierte Adaption des kontroversen Klassikers HALLO NAZI von Monoblock. Gelegentlich gipfelte das bloße Aufführen dieses im besten Sinne provozierenden Theaterstücks speziell im Osten Deutschlands selbst in Gewalt und Randale. In Cottbus etwa wurde eine Spielstätte in der Innenstadt nach der Premiere von Unbekannten zerstört. -> Bericht über die Ereignisse (Jüdische Zeitung). Es werden mal wieder die üblichen Unbekannten gewesen sein. Hier meldet sich nun die Regisseurin der Salzburger Version zu Wort: „Ich möchte mal eines klarstellen, bevor wir weiter mit Fragen zum Stück und zu politischen Einstellungen bombardiert werden: DIESES STÜCK IST NICHT PRO FORMA FÜR ODER GEGEN NAZISMUS UND RECHTE GEWALT! Es geht NICHT darum bereits verhärtete Fronten zu untermaueren und zu stärken!“

das ensembleEs geht mir auch nicht darum, die Zuschauenden zu moralisieren und bekannte Klischees zu unterstützen. Ich VERSUCHE mit meinem Team MENSCHEN MIT MEINUNGEN auf die Bühne zu bringen, die im realen Leben mit ziemlicher Sicherheit niemals in Kommunikation treten würden. Diese Situation ist der Boden des Stückes und bietet viel Raum für eigene politische Meinungsbildung. Hier beginnt das Stück, nicht mehr und nicht weniger. In diesem Sinne BÄÄMM, rücken wir die politischen Strömungen in eine Zelle und lassen es krachen!“ Soweit also Christine Winter bei der Vorstellung ihres Theaterprojekts auf Facebook zur diskussionsfreudigen Community -> Fb-Veranstaltungsseite. Und trotz eines sehr engen Terminplans – sie steht bis einschließlich Samstag noch in der Hubert Lepka Produktion Schafberg 1911 auf einer jener Naturbühnen, die tatsächlich die Welt sind – wird sie doch auch bei uns im Studio livehaftig zu Idee und Konzept hinter dieser Interpretation von „Hallo Nazi!“ Stellung nehmen. Und mit ihr weitere Mitglieder des Ensembles, wie wir stark hoffen! Stopfen wir also die Persönlichkeiten in ein Studio und lassen es geschehen…

hallo_nazi_plakatEine ebenso spannende Versuchsanordnung wie das klaustrophobische Eskalationstheater. Denn was sich dort in der einzig verfügbaren Arrestzelle einer Polizeistation zwischen dem jugendlichen Nazimitläufer, dem polnischen Opfer, dem bewachenden Polizisten und einem (im ursprünglichen Text nicht vorgesehenen) besoffenen Punk so alles abspielt an Drama und Psychodynamik – das kann auch für die Schauspieler nicht ohne Nebenwirkungen bleiben. Soviel „professionelle Distanz“ ist bei dieser Art von Theater als „interaktivem Experimentalreaktor zum Mithineingeraten“ weder möglich noch angebracht. Und genau deshalb interessieren uns das Stück und die Menschen, die sich sowas zu gestalten trauen. Deshalb interessierte uns 2009 die Aufführung von Sarah Kanes 4.48 Psychose (Sendung) durch Studenten der HfS Ernst Busch im einstigen Theater im Central. Deshalb interessierte uns auch 2011 die Performance „Das ehemalige Haus“ des austro-schwedischen Kollektivs Signa im Rahmen des Young Directors Projects der Salzburger Festspiele, vermittels welcher wir dann auch ein etwas anderes Thomas Oberender Portrait herstellen konnten. Wir sind also diejenigen Einwohner Salzburgs, die mit seinen Worten „in der Radiofabrik ihre ganz eigenen Reflexionen produzieren“. In diesem Sinne sind wir als Perlentaucher immer nach eigenartigen, speziellen und ungewohnten Hervorbringungen künstlerischen Gestaltens auf der Suche – als funktionaler Bestandteil dieses alles unterwuchernden Myzels der zwischenmenschlichen Psychobiologie. Und ein geiles Institut sind wir ja sowieso 😛

 

Fleischeslustgemüse

Download: Artarium vom Sonntag, 23. Juni – Zwischen Fleischeslust und Gemüsewahn suchen wir nach Wegen durch das Dickicht der ethisch bedenklichen Essgewohnheiten und forschen jenseits der Moralinsäure nach lustvoll leckeren Alternativen. Zu Gast ist wieder einmal Sophie, mit der ich bereits vor Jahren das Kriegstagebuch meiner Mutter zu einem Denkanstoß über Kindersoldaten im 3. Reich verfeatured habe. Mittlerweile erfreut sich die wackere Sophie bereits ihrer bestandenen Matura, für welche sie unter anderem eine detailreiche Fachbereichsarbeit in Biologie zum Thema „Fleischkonsum – Massentierhaltung und deren bedenkliche Auswirkungen“ verfasst hat. Und nachdem wir bei aller Kritik an einem fragwürdigen Bildungssystem auch immer gern etwas von dessen sinnvolleren Früchten zur Verkostung anbieten, werden wir in dieser Sendung einigen verdrängten Tatsachen hinter unserem fröhlichen Fleischmarkt nachgehen…

Gemüse der SaisonEs ist ja auch nicht alles so ganz einfach, wie es sich die idealistischen Weltbildner der schwarzweißdenken Missionarsschule oft so zurecht reimen. Denn zum gedeihlichen Gespräch über die reinen Freuden des Fruchtfleischverzehrs und die wohl unbestreitbaren Abgründe der industriellen Tierkörperverwertung gehört sicher mehr als das zeigefingernde Schwingen der Gewissenskeule. Umso mehr noch, wenn einer der drei Gesprächspartner ein überzeugter Allesfresser ist, dem anderen Fleischprodukte einfach nicht mehr bekömmlich erscheinen – und die dritte sich gerade auf dem Entwicklungsweg vom Ovo-Lacto-Vegetarismus zum reinen Veganismus befindet. Derlei unterschiedliche Ansätze erfordern schon ein gewisses Maß an humorvoller Toleranz, wenn es bei solch einem erschreckenden und verstörenden Thema nicht gleich zu zwischenmenschlichen Verbalgewaltausbrüchen kommen soll. Allerdings birgt ja gerade das Spiegeln dieses komplexen Themas in verschiedenen Anschauungen den besonderen Erkenntnisreiz.

Radical AnimalWir leben in einer Welt, in der Menschen aus reiner Macht- und Profitgier die fürchterlichsten Verbrechen an der Natur verüben. Und auch wenn hierzulande keine Wälder großflächig abgeholzt und keine Gebirgszüge nachhaltig umgegraben werden, auch wenn die Vororte unserer Städte keine unkontrolliert wuchernden Giftmüllkippen darstellen – so gibt es doch eine Erscheinungsform dieses weltweit wirklich alles und jedes rücksichtslos zur Ware machen wollenden Vermarktunginteresses, von dem auch wir tagein tagaus betroffen sind – die industrielle Produktion von und der aggressive Handel mit Nahrungsmitteln. In unserem speziellen Fall – die Fleischindustrie – und alle damit verbundenen Erscheinungen wie Hühnerbatterien, Großschlachthöfe, Tiertransporte – und was der dokumentarische Albtraum sonst noch so alles an Fieberphantasien für schlaflose Nächte hergibt! Gesund ist das nicht. Nur – wir kaufen dieses Fleisch, kochen es, lassen es uns zubereiten und – wir essen es. Was aber tun, wenn wir genau das nicht mehr wollen?

Wir sind übrigens auch ein geiler Gemüsestrudel 😀

 

Der Zeitzeuge Marko Feingold im Portrait

Artarium vom Sonntag, 9. Juni SONDERSENDUNG anlässlich des 100. Geburtstags von Hofrat Marko Feingold – Podcast/Download hier in ZWEI TEILEN:

-> Artarium – Der Zeitzeuge Marko Feingold im Portrait (Stunde 1)

-> Artarium – Der Zeitzeuge Marko Feingold im Portrait (Stunde 2)

Das Portrait eines außergewöhnlichen KZ-Überlebenden, der nach wie vor in zahlreichen Begegnungen mit jungen Menschen unermüdlich „erzählt, wie es wirklich war“. Dazu veröffentlichen wir jetzt auch den zweiten Teil der Gespräche, die wir eine Woche vor seinem runden Geburtstag mit ihm geführt und aufgenommen haben. Hier ist ihr also noch einmal die Geschichte der vielen „Zufälle“ zu hören, die uns Marko Feingold in der Synagoge erzählte – als Antwort auf die eine eingangs gestellte Frage: “Wie überlebt man das?”

-> Marko Feingold – Überleben in den Konzentrationslagern (Teil 1)

-> Marko Feingold – Überleben in den Konzentrationslagern (Teil 2)

Marko Feingold im PortraitDas Besondere bei diesen Gesprächen ist auf jeden Fall, dass es uns gelungen ist, eine sehr authentische Gesprächssituation mit neugierigen Jugendlichen einzufangen. Also wollen wir in der Radiosendung zum einen Ausschnitte daraus zu Gehör bringen, zum anderen auch persönliche Eindrücke von unserer Begegnung mit einem Mann vermitteln, der einfach nicht aufgibt. Der seit vielen Jahren insbesonders vor Jugendgruppen und in Schulen immer wieder aufs Neue darüber berichtet, was er alles erlebt hat. Und der darüber hinaus die besondere Eigenschaft besitzt, dieses Erlebte bei den Zuhörenden emotional lebendig werden zu lassen. Auch wenn man etwa meint, schon so ziemlich alles über den Holocaust und die Zeit des Nationalsozialismus zu wissen – nach drei Stunden mit Marko Feingold muss man sein Geschichtsverständnis dann doch grundlegend revidieren. Weil Wissen allein eine höchst einseitige Angelegenheit ist – und erst das Miteinbeziehen dessen, WIE ES SICH ANFÜHLT, ein irgendwie ganzheitliches Verstehen von „Vergangenheit“ bewirkt.

Marko Feingold im GesprächGenau dieses emotionale Erleben, dieses mitfühlen Machen war es, das uns so nachhaltig beeindruckt hat. Und auch wenn nichts über die persönliche Begegnung mit einem Zeitzeugen geht, der so leidenschaftlich, humorvoll und spontan erzählen kann, so wollten wir doch etwas von dieser Gefühlsatmosphäre auch für die Nachwelt festhalten. Jetzt sind also unsere Aufzeichnungen komplett – in einem weiteren Artikel zum Marko Feingold Projekt finden sich auch noch die Gespräche vom Jüdischen Friedhof mit einigen kritischen Anmerkungen zum Antisemitismus im Salzburg der Nachkriegszeit, der hier wohl tief verwurzelt ist und unglaublicherweise bis in die Gegenwart fortwirkt. Lassen wir jetzt zum Schluss also noch einen der jungen Mitgestalter des Projekts zu Wort kommen:

„Er erzählte uns wie es wirklich war.

Er erzählte uns was wirklich geschehen ist.

Ich war entsetzt, schockiert, es sprengte jegliche meiner Vorstellungen; als wäre ich in einen nie enden wollenden Strudel eingesogen worden. Es war seine Stimme, sein Sprachfluss die mich unaufhaltsam mitrissen und die mir die Schrecklichkeit dieser Zeit geradezu in meinen Geist brannten.

Es war eine mich definitiv prägende Begegnung, die mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird und die mir eins klar machte: Thomas Bernhard hat schwer untertrieben.“

-> Zum Fotoalbum vom Jüdischen Friedhof

 

Das Marko Feingold Projekt

Zum 100. Geburtstag des legendären Zeitzeugen bringt die Artarium Redaktion zwei halbstündige Interview-Beiträge heraus, die Marko M. Feingold, den unverwüstlichen KZ-Überlebenden und langjährigen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg ausführlich im Gespräch mit interessierten jungen Menschen portraitieren. Am 21. Mai 2013 erklärte er uns den Jüdischen Friedhof, erzählte von seiner Arbeit mit den „Displaced Persons“ der Nachkriegszeit und beantwortete unsere Fragen bezüglich Antisemitismus und Ungerechtigkeit – nach wie vor erschreckend aktuelle Themen. Nunmehr sind diese atmosphärischen Liveaufnahmen als Stream/Download verfügbar:

> Marko Feingold – Gespräch am Jüdischen Friedhof (Teil 1)

> Marko Feingold – Gespräch am Jüdischen Friedhof (Teil 2)

Marko FeingoldIn diesem Gespräch ging es hauptsächlich um jüdisches Leben in Salzburg und um das Geheimnis des Lebens „danach“ – immerhin überstand Marko Feingold fünf furchtbare Jahre in den vier Konzentrationslagern Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald. Doch was er nach dem Krieg in Österreich an Abweisung und Verleugnung erfahren hat, das ist nochmal auf andere Art nachhaltig zermürbend und zersetzend – es ist ein Leben mit und in der Lüge. Dabei ist er kein Zorniger, kein Rächer. Um die schlichte Wahrheit ging es ihm, um ein Anerkennen, Bekennen, Eingestehen. Und darum geht es ihm auch heute – mit 100 Jahren – noch immer. „Den jungen Leuten muss ich das erzählen, wie es wirklich gewesen ist.“ Das hält ihn nach wie vor aufrecht, mitsamt all den Erinnerungen, mit denen man eigentlich gar nicht mehr weiterleben kann und will. Und das wollten wir auch in unseren Aufnahmen „einfangen“

Es gab am folgenden Tag noch ein weiteres Zusammentreffen in der Synagoge, wo wir weitestgehend verstummt seiner Höllenreise durch die Vernichtungsmaschinerie der Nazis beiwohnten, einer eineinhalbstündigen vielschichtigen Antwortgeschichte auf die einzige eingangs gestellte Frage: „Wie überlebt man das?“ Auch die dabei gemachten Aufnahmen haben wir mittlerweile hier veröffentlicht. Der ausdrücklich ausgesprochene Austausch über das Unaussprechliche ist es nämlich, der die Begegnung mit Marko Feingold zum elementaren Ereignis macht. Es entsteht dabei gerade auch jenseits des Erzählten eine dialogische Osmose, die sich erst in seinem Zusammenwirken mit jungen Menschen so richtig verdichtet!

Am 9. Juni werden wir schließlich in einer zweistündigen Artarium-Sendung versuchen, unsere zahllosen Eindrücke von dieser beindruckenden Begegnung – in Verbindung mit Interview-Ausschnitten und Musikbeiträgen – zu einem hörbaren Gesamtbild zu bündeln, das dem Anspruch gerecht wird, ein Marko Feingold Portrait zu sein. Etwas davon fassbar zu machen, wie wir und viele andere, die ihm bei Vorträgen und an Schulen zuhören konnten, sein Zeitzeugnis erlebt, empfunden haben. Und auch etwas davon weitergeben zu können…

Dazu empfehlen wir auch das Buch: „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh – Eine Überlebensgeschichte“ Die Lebenserinnerungen von Marko M. Feingold (nach Tonaufnahmen transkribiert) herausgegeben von Birgit Kirchmayr und Albert Lichtblau im Otto Müller Verlag Salzburg. Diese ausgezeichnete Biographie bildete eine wesentliche Grundlage unserer Gespräche und Fragestellungen – und ist darüber hinaus wirklich gut zu lesen, weil man Marko Feingold darin geradezu live erzählen hört. Würdigung 😉

> Die Aufnahmen der KZ-Überlebensgeschichte (auch in 2 Teilen) sowie mehr Information zur Portraitsendung finden sich hier im Artikel Der Zeitzeuge Marko Feingold im Portrait.