Über artarium

Seit Herbst 07 "das etwas andere Kunnst-Biotop" in der Radiofabrik und seit Anfang 09 daselbst "im Schatten der Mozartkugel" als Artarium unterwegs. Immer auf der Suche nach neuen Gästen, Themen und Gestaltungsformen... Hochfrequenter Wortwetz- und Mundwerksmeister zwischen Live-Unmoderation und Poesie-Performance. Psychodelikate Audiocollagenkunst, stimmungsexzessive Hörweltendramaturgie, subversiver Seelenstriptease, unverzichtbares Urgewürz und... In diesem Unsinn zeig ich euch hier einen tieferen! Ab- und hintergründige Neu- und Nettigkeiten aus der wundersamen Welt des Artarium, seinen Gästinnen und Hörerichen. Kunnst mi eigntlich gern ham. So do mi - i di a! Bussal...

Anrufer … Martin Blumenau …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. August“Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.” Mit diesem Satz von Bazon Brock hätte ein nächtlicher Anrufer bei FM4-Bonustrack gute Chancen gehabt, dem dort obwaltenden Martin Blumenau ein weiterführendes Gespräch zu entlocken. Doch unter dieser Nummer wird der nun niemand mehr mit seinem legendären “Anrufer” begrüßen. Die Anrede wäre jeder bemühten Gender-Neutralität um kreative Lichtjahre voraus. “Wer sich Regeln unterwirft, kann trotzdem Anarchie walten lassen. Es müssen halt die eigenen sein.” Nur eine Weisheit aus jener umfänglichen Enzyklopädie der Popkultur, die Martin Blumenau wie kaum ein anderer verkörpert hatund die uns jetzt fehlt

Anrufer?Anlässlich unserer Wiederausgrabung und Ohrbarmachung eines längst verschollen geglaubten Albums (und er schätzte ja die etwas spezielleren Raritäten) schrieb er einen Artikel mit dem Titel “Zufällige Erinnerung an die allerbeste österreichische Band von „früher“, die keiner kennt: X-Beliebig”, der sein musikhistorisches Spezialwissen und seinen detailverliebten Hang zur Perfektion in vollster Blüte dokumentiert. Darin verlinkt eine “Menge Fotos”, die inzwischen hier zu betrachten sind. Und der von ihm taktvoll als “mein alter Print-Kollege” bezeichnete Georg Wimmer (er war damals unser Radiofabrik-Programmleiter) kannte ihn tatsächlich noch aus ihrer gemeinsamen Zeit bei der Arbeiter-Zeitung. Kennt die eigentlich noch wer? Egal, lernens halt Geschichte! Jedenfalls war Martin Blumenau in der Spätphase (80er-Jahre) des einstigen “Zentralorgans der Österreichischen Sozialdemokratie” für jugendliche Musikkultur(en) zuständig – und erwarb sich bald einige Berühmtheit ob seiner eloquent zugespitzten Kritiken. Wie er sich dadurch auf die nachwachsende Generation von Musikschaffenden und Beitragstäter*innen ausgewirkt hat, davon erzählt Robert Rotifer in seinen emotionalen Erinnerungen an “Die Revox-Queen”

Wenn wir versuchen, einen so vielschichtigen und oft polarisierenden Menschen wie Martin Blumenau zu verstehen, indem wir ihm nachspüren, mit ihm mitdenken, ihm auch innerlich widersprechen, dann drängt sich uns unvermeidlich das Thema Fußball auf. Auf keinem anderen Spielfeld (!) konnte er seine Leidenschaft und sein spontanrhetorisches Talent besser ausleben, als wenn er mit anderen Ergriffenen über die zahllosen Ableitungen des ihn faszinierenden Phänomens philosophierte. Hören wir Ausschnitte seiner Gespräche zum Fußball aus dem BELLEVUE in Linz

und befruchten wir uns.

Anrufer?

ANMERKUNG: Die am Anfang des Artikels verlinkte “Sendung” ist eine Rekonstruktion, bestehend aus vorbereiteten Musikstücken und Audiocollagen sowie der überarbeiteten Notaufzeichnung der Livemoderation. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass ausgerechnet während ihrer Stattfindung der Sendeserver der Radiofabrik seinen letzten Seufzer tat – und verschied. Eigentlich sehr (zum Thema) passend. Wie war das nochmal mit der Koinzidenz

PS. Hier findet sich übrigens auch die erwähnte legendäre Aufzeichnung von „Salon Helga – Von hinten“

 

Die etwas andere Festspielmusik

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. August – Neues von Mutter Courage und ihren Schmuddelkindern. Wir erzählen von der posthumen “Wiedereingliederung” des lebenslangen Festspielkritikers Friedrich Gulda im Rahmen des Festakts zur Festspieleröffnung am 25. Juli 2021 – und spielen zur Versöhnung sein gesamtes Konzert für Violoncello und Blasmusik. Und zwar eine sehr lebendige Aufnahme des Sinfonie- und Kammerochesters am Karlsruher Institut für Technologie. Die eigentliche Festspielmusik im Sinne des notorischen Grenzenüberschreiters, mit Anklängen an Deep Purple, Ludwig van Beethoven, Pink Floyd, Anton Bruckner, Bierzeltblasmusik UND einer ganzen weiten Welt voller Ideen und Inspirationen. Und noch mehr erst recht Bemerkenswertes ereignet sich – draußen vor der Tür:

Die etwas andere FestspielmusikDer Salzburger KZ-Verband machte mit einer symbolischen Umbennenungsaktion und einer Leseperformance (Bertolt Brecht und Thomas Bernhard) auf die nach wie vor herrschende Unwucht, das bestehende Unrecht im Umgang mit den vielen Vertriebenen und Verfemten in der Festspielstadt aufmerksam. Und da drängen sich sogleich wieder eklige Begriffe wie Geschäftemacher- und Leichenfledderei auf. Denken wir nur einmal an “den großen Sohn dieser Stadt”, Wolfgang Amadeus Mozart. Zu Lebzeiten mit einem Fußtritt aus der Stadt verjagt, nach seinem Tod zwecks Imagepflege und Wirtschaftsförderung verwurstet bis zur sprichwörtlichen Kugel. Oder der geniale Gottfried von Einem, den ein rüpelnder Landeshauptmann einst aus dem Direktorium der Festspiele hinaus warf, wegen der damals gerade opportunen Kommunistenhatz auf den designierten Festspielautor Bertolt Brecht. Im Schatten der Mozartkugel glänzt finster das Geld.

Und Friedrich Gulda? Für ihn waren die Festspiele zeitlebens ein Reibebaum, die er speziell in ihrer Ausrichtung “unter” Herbert von Karajan geradezu als Inbegriff des Verknöcherten und Verstaubten verstand. Ein Salzburger Hochglanzpatient, der aus seiner Sicht nicht mehr zu retten war, und so begründete er 1968 in Ossiach das Internationale Musikforum quasi als “Gegenentwurf zum blasierten Salzburger Schaulaufen”, dem wir zum Beispiel den ersten Auftritt von Pink Floyd in Österreich verdanken, absolut legendär mit Chor und Orchester in der Stiftskirche Ossiach

Warum gerade heuer, zur gefühlt hunderttausendsten Wiederkehr des alljährlichen Almauftriebs der Altvorderen, des Salzburger Fleckviehmarkts der Eitelkeiten, des Spektakels der staatstragenden Marktstandler, die Darbietung von Friedrich Guldas zutiefst genresprengender Musik? (Die übrigens jenseits jeder Kritik an der Institution der Festspiele von der jungen Cellistin Julia Hagen mitreißend interpretiert wurde). Warum? Schmeckt das nicht irgendwie verdächtig nach “Wiedervereinigung” – ganz im Sinn einer “feindlichen Übernahme”? Geld regiert die Welt allerdings zu Tode.

Hier wird kein zweites Mal gelebt. Hören sie genau hin!

 

Liebe in Zeiten

>>> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. AugustIst es die Liebe in den Zeiten der Corona? Die Liebe in den Zeiten der Cholera? Die Liebe in den Zeiten der Choleriker? Oder eben einfach Liebe im Wandel der jeweiligen Zeit? Liebe ist ja sowieso eine mit Bedeutungen vollgestopfte Begrifflichkeit wie kaum eine andere, weil da doch Jedermann und Frau und sonstiges reinprojizieren kann, was auch immer. Und genau deshalb machen wir keine Sendung über “die Liebe” (denn was soll das auch sein). Ein bloßes Aufmarschierenlassen unterschiedlicher (angeblich allgemein anerkannter) Bedeutungen wäre ja ebenso elendslang wie zu schlechter Letzt einschläfernd. Stattdessen einige Aspekte aus unserer ureigenen Anschauung von Liebe, wie wir sie erleben – in jenen Zeiten, in denen wir leben.

Liebe in Zeiten 1Und für unser Publikum ein paar undefinierte Übergänge zwischen den einzelnen Elementen, auf dass sich in jeglichem Hörgehirn eine persönliche Nachtfahrt entfalten kann. Immersives Radio von den Festspielhasen eures Vertrauens! Da wird Dopamin produziert, dass es selig macht – und sämtliche Lautsprecher des Liebeslebens euer ureigenes Stück aufführen. Gewiss, wir hupfen euch immer noch “eine Sendung” vor, textmusikalisch, spontan-assoziativ, vom Ablauf und der Auswahl der Beiträge her – doch die sinnstiftende Interpretation des Ganzen (als eine Geschichte) findet letztendlich in euren Köpfen statt, je nach dem, was sie euch erzählt. Für eine solche Vorgehensweise eignet sich unsere Themenwahl aus “Liebe” und “Zeit” ganz vortrefflich, zumal jeder Mensch “Liebe” höchst individuell interpretiert (auffasst und ausdrückt) sowie “Zeit” ebenfalls höchst einzigartig erlebt, begreift, verbringt. Beides wird unendlich vielfältig gestaltetund das ist gut so!

Liebe in Zeiten 2Die Theorie zur Umsetzung dieser Art von Darbietung haben wir 2011 bei Thomas Oberender entdeckt – und stante pede einer praktischen Überprüfung unterzogen – als ein spontanes Tischtheater out of the Box sozusagen. Es hat wunderbar funktioniert und bleibt fürwahr ein fester Festspielflash. Während im Vordergrund das hintergründige Drama seinen Lauf nimmt, proben die Gestalter von “Druckfrisch” (Andreas Ammer & Denis Scheck) für ihr Gespräch mit dem dazumals frisch gekürten Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa über den Dächern von Salzburg. Es herrscht also ständiges Kommen und Gehen. Do you know if you are coming or going? Wir wären nicht überrascht, wenn ja. Aber wie viele? || Abschweifungen wie diese und andere angewandte Entknüpfungen sind notwendig, um allzu eingeprägte Denkmuster zu lösen, damit überhaupt neue Bedeutungen entstehen und so die Belohnungsdrogen für das Selbstentdecken, Selbsterfinden und Selbstgestalten ausgeschüttet werden.

Liebe in Zeiten 3So irgendwie muss das mit der Katharsis gemeint gewesen sein. Die Auflösung der Vorstellung von sich selbst als Voraussetzung für die eigentliche und dann erst recht heilsame Selbsterfahrung. “Der Aggressor, das sind wir, ab da tuts weh, ja – dass wir uns selbst auch als Täter erleben ….. das ist die Urerfahrung des Drama, oder der Tragödie ….. Wir sind sterblich und Leben heißt schuldig werden, immer, für jeden einzelnen von uns. Und dafür ein Auge zu öffnen, sich mit dieser Erfahrung zu konfrontieren, das ist das Privileg, aber auch die Aufgabe von Kunst.” Täglich müssen wir erfahren, wie Kunst an sich in den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen funktioniert und nicht durch ihr bloßes Stattfinden die Welt verändert. Andererseits führen wir uns eben nicht für ein exklusives (also beschränktes) Publikum auf, das in künstlicher Extase befriedigt mit sich selber verschmilzt. Fleischliche Gemüse! Wir nehmen lieber den Individuensalat. Thomas Oberender würde dann auch sagen:

“Hören sie genau … Hirn”

Oder? Alles hin.

 

Ein fester Festspielflash

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. August – Seit inzwischen 101 Jahren sind “die Festspiele” ein fester Bestandteil des Salzburger Selbstbilds. “Die ganze Stadt ist Bühne”, soll einer ihrer altvorderen Gründer einmal gesagt haben. Fest, fester, am festspielsten. Nun, wenn alles ein einziges Theater ist (und noch dazu auf höchstem Niveau), welches Stück wird da gegeben? Jahr für Jahr für Jahr wird vom “Sterben des reichen Mannes” erzählt – wo ist das “Leben der armen Leute” in eurer Selbst-Inszenierung? Die werden seit der Erfindung des großen Welttheaters in der kleinen Provinzhauptstadt mit Lebensmitteln aus Wien beschwichtigt – und dürfen heutzutage als mehr oder weniger freundliche Volksdarsteller auf Umwegen rentabel sein. “Die Festspiele sind für uns ein Reibebaum, und wir sind die Sau, die sich an ihnen reibt.”

Ein fester FestspielflashDenn einerseits wird hier wirklich erhellendes Theater auf die Wege gebracht, werden weltbewegende Themen in ergreifender Gestalt bis ins Tiefste und Innerste verhandelt und echter Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur neue Räume eröffnet. Andererseits bleiben die bleierne Blödheit des Weiter-So und Immer-Noch-Mehr und auch die unhinterfragbare Herrschaft von Geldmacht und Grundbesitz als die treibenden Kräfte hinter dem sommerlichen Spektakel. Jedermann? Ich bitt’ sie – Jedermann, der es sich leisten kann! Der sich für gutes Geld gern gruselt in Hofmannsthals kuschlig morbidem Katholizistentum. “Eine Triumphpforte österreichischer Kunst” – Die Umwidmung des Untergangs der Donaumonarchie in ein europäisches Erfolgsprojekt für eine exklusive Elite? Genau deshalb haben wir unsere Begegnung mit Thomas Oberender vor 10 Jahren mit “Das Salzburg Syndrom” betitelt. Denn – wer zahlt, schafft an. Oder doch nicht?

Er bescherte den Festspielen ihre bislang erfolgreichste Theatersaison und brachte Jan Lauwers & Needcompany nach Salzburg (unvergessen Sad Face | Happy Face 2008 auf der Pernerinsel). Und er öffnete die Stadt als Spielraum für immersive Kunst, die teilweise sogar allgemein zugänglich war, wie zum Beispiel A Game Of You von Ontroerend Goed. Auch Philipp Hochmairs Jedermann Reloaded entwickelte sich aus dem Young Directors Project, das einst von Thomas Oberender betreut wurde. Vielleicht ein Sämann, dessen Saaten den Satten zum Steinbrech geraten? Und:

“Ein genialer Spagatkünstler“, der sich zwischen dem Aggressor (mit dem Geldkoffer) und den Abgründen des eigenen Selbst vor allem mit der Wirkmacht des Theaters (und der möglichen Katharsis) identifiziert. Das ist ein besserer Gründungsmythos als die ständige Selbstlobpreisung einer längst unfruchtbar gewordenen “besseren” Gesellschaft. Das etwas andere Kunnst-Biotop verleiht jenen eine Stimme, die sonst nichts zu sagen haben: “Die Festspiele sind für uns ein Heiliger Bimbam, bei dessen Gedröhn uns unweigerlich Hören und Sehen – und Reden – vergehen …”

Es ist uns ein fester Festspielflash

PS. Mehr dazu gibts bei den Perlentauchern

 

Dark Side of the River

> Sendung: Artarium am Sonntag, 25. Juli – Nachdem wir in unserer letzten Sendung der sommerlich-sonnigen Seite von Flüssen und Seen gehuldigt haben, darf ich dieses Mal die abgründig finsteren und allgemein unheimlichen Aspekte fließender Zustände ausloten. Down to the River! Zunächst sollte diese Tauchfahrt “Im Gedankenfluss” heißen, doch die Pink-Floyd-Assoziation war einfach viel zu poetisch. Und Nina Hagens “Am dunklen Fluss” ist eine grandiose Übersetzung von Leonard Cohens “By The Rivers Dark”. Wodurch wir bei Tod und Wiederkehr, Sinnsucht und Erkennen sowie Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit angekommen wären – bei etwas, das ich als “messianisches Paradoxon” bezeichnen möchte. Es taucht oft dann auf, wenn das Leben in Gefahr gerät. Fragen sie ihr Immunsystem.

Dark Side of the River“Die Philosophie Adornos kündet von einem Glück, das in Wirklichkeit unerreichbar ist, ohne dass sie jemals das Verlangen nach diesem Glück preisgäbe.” Der Philosoph und Münchner Stadtrat Dr. Florian Roth zitiert diesen sehr stimmigen Satz unbekannter Herkunft – und macht sich überhaupt allerhand gescheite Gedanken zum “richtigen Leben im falschen”, das es laut Adorno eben nicht gibt. Paradox? Sicher – und dazu hilfreich, in Zeiten wie diesen: “Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.” Das ist Trost, der einem kein künstliches Heileweltgedudel als kostenpflichtige Voraussetzung fürs vorgefertigte “Glücklichsein” aufschwatzen will. Das ist zum Verstehen geronnene Lebens- und Denkerfahrung, mit der sich auch die finstersten Täler der Todesangst und die stillsten Stunden der Selbstverzweiflung durchdringen lassen. Das ist der geistig-seelische Rettungsring wider das Absaufen.

Eine absolut zeitlose und nach wie vor gültige Offenbarung dieser Denkungsart war das 1950 im hessischen Rundfunk aufgezeichnete Gespräch von Theodor Adorno, Max Horkheimer und Eugen Kogon. Eine wahre Sternstunde der Radiokultur, die sogar heute noch von einigen Unbeugsamen beim ORF (in jenem kleinen gallischen Dorf, das uns als Ö1 bekannt ist) zur Wiederholung gebracht wird. Bemerkenswert dabei ist die Aktualität mancher Aussagen – etwa darüber, was wir heute als diesen verinnerlichten “Zwang zur Selbstoptimierung” verstehen. Nachgerade verstörend.

Zum Schluss führt uns der River of Life als Stream of Consciousness in den See des untiefen Verstehens. Das Thema Tod und Sterben durchströmt die Denkwelt wie das Werk eines weiteren wortreichen Entdeckers: Hermann Hesse beschreibt in “Klein und Wagner” das Ertrinken des Helden als Erlösung aus dem Lebenskrampf des Zwiespältigen. Dass es sich dabei um einen Selbstmord handelt, kann durchaus als eine Metapher für selbstbestimmtes Einvernehmen mit der Endlichkeit seines Lebenswegs aufgefasst werden, wie der von Between vertonte Ausschnitt nahelegt.

Die Festspiele sind hiermit eröffnet.

 

Im Fluss

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. JuliEin nachhaltiges Plädoyer fürs Baden in der freien Natur (ist die eh noch da?), fürs Plantschen und Schwimmen und Zeitvergehenlassen in Flüssen, Bächen oder Seen. Gehts euch doch brausenaber bitte im Wasserfall! Nie war es so wertvoll wie heute, sich den Elementen der nicht verwalteten Welt hinzugeben. Ringsumher regieren Künstlichkeit und Zwang, doch der Mensch erinnert sich stets seiner Natürlichkeit, sobald er wieder eintaucht ins Fließende. Hier und Jetzt. In den wohltuenden Fluss irgendwo da draußen, wo kein Business das Sein verschandelt und kein Bademeister sich ins Mein oder Dein einmischt. Wo das lange Eingesperrtsein von einem abfällt wie ein böser Traum und das Leben feuchtfröhliche Urständ feiern kann – sofern sich Sonnenschein ausgeht.

Im FlussWie umfassend bereichernd so eine Erfahrung im naturbelassenen Fluss werden kann, das beschrieb schon Bertolt Brecht im von Konstantin Wecker kongenial vertonten Poem “Vom Schwimmen in Seen und Flüssen“, das wir unserer heutigen textmusikalischen Hörbildcollage voranstellen, und in deren Mitte wir den vielschichtig interpretierbaren Sommersong “Im Fluss” unseres aus der ach so schönen Stadt Salzburg erfolgreich entsprungenen Kollegen Marwin Tea vorstellen. Und ungeachtet unserer Bekanntschaft, das hier verlinkte Video ist ausgezeichnet gemacht. Es lädt auf mehreren Ebenen dazu ein, sich auch der Metaphernwelt des “Im Fluss Seins” ebenso verspielt wie spaßernst anzuvertrauen. So wie das sich mit der Zeit immer besser anfühlende “den Fluss des Lebens hinunter treiben lassen”.

Denn, seien wir mal ehrlich, genau das macht das Leben von uns Menschen aus.

So verläuft es – von der Quelle bis zur Mündung – nie langsamer und nie schneller. Einfach immer seine Strecke lang, eingebettet in einen erstaunlichen Kreislauf aus Werden und Vergehen, aus Verwandlung und Wiederkehr. Wozu sich also mit dem angestrengten Turmbau zu Immernochhöher, Immernochbesser und Immernochmehr aufhalten, wo doch das Leben des gesamten Planeten ein einziges Immernurfließen ist, das keine noch so aberwitzige Konstruktion je verändern kann? Let it flow …

Das Leben lebt, es ist ein wunderschöner Sommertag (Gisbert zu Knyphausen)

 

Kultur Shock – Kultura Diktatura

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. JuliWarte nur, balde (also demnächst) brechen sie wieder über uns herein (oder an uns vorbei), nein: brechen sie um uns herab, krachend, mit Mozart und Hofmannsthal und Richard Strauß und was sonst noch in den Gefriersärgen der Hochkultur übrig ist vom geldigen Brimbamborium ewiger Herrschaftszeiten: Ob Weltkrieg oder Pandemie, die Macht des Mammon endet nie. Hihi. Die alljährliche Diktatur einer ganz bestimmten Kultur – des Geldes, des Gehorsams, des Kosumismus – durchdringt ungeachtet jedweder Entwicklung des Welttheaters das Aufrechterhaltungsprogramm des Bestehenden. Und alle Insassen der Salzburganstalt begeben sich inzwischen zermürbt und ermüdet in die gewohnte Geiselhaft der Geldherrschaft. Bitte. Danke. Das Salzburg Syndrom.

Kultur ShockVor ungefähr 30 Jahren brachen die “postjugoslawischen Kriege” aus. Auch ein willkommener Anlass, in provinzielle Betulichkeit zu fliehen, “glücklich ist, wer vergisst”, was wir bestimmt nicht wollen, weshalb wir als Vorspeise zu den heurigen Festspielen sowie als Nachspeise zum Memento Massengrab dieses ermutigende und trostspendende Album namens ”Kultura Diktatura” der US-Balkan-Band Kultur Shock mit Nachdruck empfehlen. Deren Erlöse aus Tonträgerverkauf etc. helfen genau jenen Flüchtlingen zu überleben, die auf der von unserem Bubenkanzler jahrelang wortreich geschlossenen Balkanroute festsitzen. Chapeau! Da weiß offenbar jemand, wie sich das anfühlt, auf der Flucht zu sein vor dem Umgebrachtwerden. So etwa der erfolgreich aus Sarajewo geflohene Kultur-Shock-Sänger Srđan “Gino” Jevđević, einst in den 80ern ein fast süßlicher Jugo-Barde – inzwischen zu so etwas wie einem Folk-Punk-Fritz-Messner mutiert, der sich radikal Wahrheit sprechend auch für die Erhaltung der Balkanflüsse einsetzt. Das Video zu “Tutti Frutti” vom genannten Album sei eine erste Anregung.

Erheblichen Anteil an der Entdeckung des heutigen Musikbeitrags hat allerdings die überaus umtriebige Amy Denio aus Seattle (bei Kultur Shock am Saxophon), die seit Jahrzehnten in allen nur erdenklichen Stilrichtungen unterwegs ist und selbige sehr gründlich aufmischt. Sie war auch schon im Salzburger Jazzit live zu hören und spielte hier mit Johannes Steiner (Die Resonanz) sowie Otto Lechner, wovon es sogar ein feines Ethno/Jazz-Album gibt. Ihr neuestes Soloalbum heißt “Pandemonium” und wird als “genre defying musical statement”zur globalen Pandemie – bezeichnet.

In diesen Sinnen “Hoch mit der Kultur!” und “Nieder mit der Hochkultur!” – Amen.

 

Sommerfrisch & Herrschaftsfrei

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. JuliUnterwegs zum dritten Ufer zwischen Pro- und Antithese. Wo Liebe regiert, herrscht Anarchie. Oder wie ich heute sagen würde: Da ist Anarchie real. Wirklich. Ja – und Liebe? “Wos isn des übahaupst, Liebe?” – “Liebe ist ein exakt definiertes Produkt, das du dir im Internet bestellen kannst, du Trottel – und jetzt schleich di aus unserer Sendung!” Möchte man auch mal sagen im inwendigen Strafprozess ums letzte eigene Leben. “Ich entziehe ihnen das Wort, sie brabbelnder Kulturschrott, der immer wieder nur eins wiederholt, nämlich dass die Macht an der Macht bleiben muss, alternativlos.” Herrschaftsfrei wollen wir leben – aber nicht gestaltlos, sinnentleert, unförmig und ohne Ordnung im Zusammen sein. Mitten in einer Welt, die am Prinzip Herrschaft zu sterben droht.

Herrschaftsfrei 1Seit der Erfindung des Imperiums im Zweistromland vor über 4000 Jahren herrscht in den Herzen und Hirnen von Untertanen der “zentral regierte Staat” in der “arbeitsteilig sowie in hierarchischen Strukturen verfassten Gesellschaft”, im Prinzip also das, was wir heute auch haben. Noch dazu kreuz und quer über den gesamten Globus vernetzt wie eine einzige weltweite Pandemie. Eine weltumspannende Krankheit des menschlichen Geistes, aufgebaut aus Angst und Macht, Herrschaft und Abhängigkeit, Gier und Gewalt und letztendlich sinnloser Zerstörung. Eine angebliche Weltordnung, die eigentlich eine Weltunordnung ist, so offenbar wie nie zuvor. Eine richtige Weltzerherrschaft. Und wiewohl deren tödliche Folgen für jedermann (und -frau und überhaupt) klar zu erkennen sind, wird dennoch weltweit, fast schon verzweifelt, am bisherigen System festgehalten. Den verursachenden Erreger (das Prinzip Herrschaft) zu neutralisieren und in neuer Gestalt weiter zu leben, wird mehrheitlich nicht mal in Betracht gezogen. Für Herrschende (die Herrschaft) ist die Welt Ware, sind wir Menschen Material

Herrschaftsfrei 2Geschätzte Milliarden Mitbewohner, bloß weil uns das unhinterfragbare Akzeptieren dieser herrschenden Machtstrukturen seit Generationen epigenetisch eintraumatisiert (mit fester Gewalt gefickt eingeschädelt) worden ist, sollten wir nicht trotzdem herrschaftsfrei zu leben beginnen? Trotz alledem und jetzt erst recht? Wenn sich das seit Jahrtausenden Überkommene als so offenbar nicht zielführend erweist für ein Leben im Frieden untereinander und mit der Natur, warum nicht etwas bislang Verunmöglichtes versuchen – das aber immerhin den Keim der Zerstörung (das Prinzip Herrschaft) nicht in sich trägt? Was wir dazu beitragen können, ist dieses dreistündige Konglomerat aus Musik und Gedanken, in dem wir vergangene Zeiten mit Gegenwart erfüllen und Zukünftigen, wenn auch noch unausgesprochen, ihr Lebensrecht auf Verwirklichung zuerkennen. Es haben sich ja bereits einige kluge Köpfe (und *innen) zum Zustand der Welt und der Notwendigkeit, herrschaftsfrei zu sein, das eine oder andere überlegt. So etwa unsere “Gäste” Wilhelm Busch oder Erich Mühsam und auch Konstantin Wecker.

Herrschaftsfrei 3Die Momente, in denen wir uns so überraschend und wie von selbst herrschaftsfrei fühlen konnten, die waren zunächst sommerfrisch. Als es noch Sommerferien gab, die klar umgrenzt und zugleich immer auch unendlich waren. Ein Augenblick am Flussufer, im Wald, allein oder gemeinschaftlich – und alle Macht von allen war aufgehoben, existierte einfach nicht mehr, wir waren frei! In diesen Zeiten erlebten wir, was es bedeutet, ohne Herrschaft sein zu können und selbstbestimmt über das Leben zu verfügen. Haben wir es deshalb zerstört? Haben wir uns und andere umgebracht? Hat da auf einmal das Faustrecht regiert und ist das Chaos ausgebrochen? Womöglich haben wir etwas versäumt, womöglich haben wir etwas kaputt gemacht, womöglich haben wir sogar die Zeit tot geschlagen. Auf jeden Fall haben wir gelernt, dass wir verantwortlich sind für das, was wir uns vertraut gemacht haben. Den Ort, den Augenblick, uns selbstund auch einander. Was wir in uns aufnehmen, was wir auf uns einwirken lassen, was wir uns anverwandeln. “Zähme mich”, sagte der Fuchsund weg war er

PS. Die überaus inspirierenden Bilder in diesem Artikel entstammen dem Cover-Artwork der von uns geschätzten multiethnischen Gruppe Kultur-Shock – merci!

 

Babylon Salzburg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. JuniZwei Musikstücke mögen unseren heutigen Ausritt in den Abgrund umrahmen: “Apocalypse or Revolution” aus dem neuen Album von Ja, Panik – und “Zu Asche, zu Staub” aus der bemerkenswerten TV-Serie “Babylon Berlin”. Dazwischen liegen knapp 100 Jahre Weltgeschehen, in denen sich zahllose Schrecknisse, Verwundungen und Überlebensreflexe zu einer epigenetischen Kakophonie ungeheuren Ausmaßes ineinander türmen. Geborgen und verfolgt zugleich versuchen wir diesen unüberschaubaren Partituren unseres Generationenlebens irgend einen Sinn zu entreißen – und uns wieder zu entdecken in den durcheinander fliegenden Fragmenten von Ursache, Wirkung und Synthese. Und scheint auch Salzburg hier (vergleichbar) banalzum Babylon reichts allemal.

Babylon SalzburgSo versinnbildlicht etwa der “Turmbau zu Babel” allerorts die Großmannsucht (womit wir nicht die großartige Mechthild meinen) sondern zwanghaftes Wachstum über die Grenzen der Natur hinaus. “Babylonische Sprachverwirrung” bezeichnet die sich unvermeidlich daraus ergebende Zerstörung der “menschlichen” Kommunikation. Und mit “menschlich” meinen wir hier durchaus “menschenwürdig”. “etwas wie babel” nennt Christopher Schmall folgerichtig sein lyrisch-akustisches Work in Progress, mit dem er das Scheitern zwischenmenschlicher Sprachform erforscht, und das er über die Jahre hinweg ständig weiter entwickelt, derzeit unter Einbeziehung einiger Ausschnitte aus “Fluchtstück” von PeterLicht. Das bildet die zweite Umrahmung (womit wir nicht das Milchprodukt meinen) sondern das Gewirr von inneren und äußeren Stimmen, die uns beeinflussen, Anklage und Verteidigung im inwendigen Strafgericht wie bei “Mea Culpa” von David Byrne und Brian Eno.

Kommen wir jetzt zu einem weiteren Sinnbild: “Die Hure Babylon” illustriert ein zum nicht mehr hinterfragbaren System gewordenes “Sich prostituieren”. Sich verkaufen, die eigene Haut zu Markte tragen, sich dem Meistbietenden andienen, sich für Geld ficken lassen – der Sprichwörtlichkeiten hierzu sind einige, und wir alle wissen, was damit gemeint ist. Globale Zwangswirtschaft und Arbeitsstrichservice sind weitere Wortentwicklungen zu diesem weltweiten Machtklotz, der uns allen aufsitzt und uns innen wie außen die Türen zur Freiheit zuhält. Der Zuhälter in vielerlei Gestalten

Den letzten Rahmen (die finale Zwiebelschicht) einer Verbindung von Ja, Panik mit Babylon Berlin muss nun ein Großmeister des Dandytums herstellen: Bryan Ferry, dessen Roxy-Music-Klassiker “Bitter-Sweet” sie einst auf DMD KIU LIDT gecovert haben, und der, nunmehr gepflegt gealtert, in besagter Serie den zeitlosen Song im Stil der 20er Jahre zum Allerbesten gibt. Nur, welche Version passt in die Sendung?

PS. Wir beglückwünschen unsere wackere Kollegin Mirjam Winter (bei der wir beide das Radiomachen gelernt haben) zum Ehrenschorsch der RadiofabrikAlles Gute!

PPS. Das in der Sendung zum Fluchtstück von PeterLicht erwähnte Videoportrait aus unserer Anfangszeit gehört schon auch wieder mal gesehen!

 

Satt Irre

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Juni“Es gibt also doch noch Satire”, “ORFloch” oder “Fuck the Biedermeier” waren alternative Arbeitsitel. Nun also doch “Satt Irre” weil wegen dem Wortspiel und Peter.W.s Satirejingle von damals. Denn Satire, im besten Sinn “Entstellen der Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit” oder eben durch Übertreiben und Verfremden erst so richtig verstehbare Darstellung, ist für einen gesellschaftlichen Dialog auf Augenhöhe notwendig. Weshalb sie auch von denen verfolgt und unterdrückt wird, die keinen solchen Dialog zwischen den “zum Herrschen Auserwählten” und dem “gefälligst zu funktionieren habenden Pöbel” zulassen möchten. Satire ist eine Schutzimpfung gegen den Schwindel – in dieser Polit-Pandemie. Die einen bekommen sie – und die anderen nicht. Das ist doch irre!

Satt Irre Eck HartUnd immer dort, wo sich irgendein Depp berufen wähnt, autoritär zu regieren, wird Satire ganz schnell zur Majestätsbeleidigung. Hallo? Wir sollen einen Hut grüßen, aber nicht verstehen, was es bedeutet, dass man ihn da hingehängt hat? (Friedrich Schiller, Wilhelm Tell) So ging es Carolin Kebekus mit “der Kirche” (gemeint ist die katholische), als sie deren vorgestriges Selbstbild im WDR anprangern wollte. Schwuppdiwupp, war “Dunk dem Herrn” im Nirgendwo verschwunden. Und ihre Sendung gleich mit. Ist das nicht irre – oder irre ich mich? Dabei verwenden die öffentlich rechtlichen Sender in Deutschland einen durchaus erheblichen Teil ihrer Sendezeit für satirische Beiträge, die eben auch oft politisch brisant sind. Übersetzung: die eben auch oft jemand Einflussreichem nicht so gut gefallen könnten. Und in Österreich? Da verschwindet ein Beitrag von Peter Klien über “Das Kurz-Netzwerk” (hier trotz alledem zu sehen) schwuppdiwupp aus dem Programm des ORF – und seine Sendung “Gute Nacht Österreich” gleich mit. Da hilft nur noch Jan Böhmermanngrenzübergreifend – mit dem “Penatenkanzler”

Moment – ist hier womöglich schon wieder ein “Anschluss” im Gange? Nur weil der Österreichische Unfug zu untertänig oder einfach nur zu kleinkariert ist, um seinem Bildungsauftrag nachzukommen? Kurzifix nu amoi! Da möchte man sich doch zur Kaiserin des Ostreichs krönen lassen. Lisa Eckhart – auch so eine heiße Kartoffel, die im heimischen Medienzoo von St. Betulichgund kein Sendeplatzerl gefunden hat, weil ORFkriecherei hierzulande Staatsraison ist. Und “man” auch nie “jemand Mächtigem” auf die Zehen treten möchte. Schon gar nicht den Empörkömmlingen aus dem Hinternet, dem Gebubble aus der Shitcrowd, den Wutwürsteln aus dem Volkseintopf der Rächthaberei. Ein epigenetisch weitervererbter Totstellreflex

“Ob Hakenkreuz, ob Hände falten – nur eins ist wichtig: Goschen halten!”