Grüner wirds nimmer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. FebruarDer langjährige künstlerische Leiter der ARGEkultur (oder Geschäftsführer, wie es hierorts heißt), Markus Grüner-Musil übergibt seine Agenden mit 1. März an den Theatermacher Sebastian Linz. Mit Linz beginnts also (zumindest teilweise) wieder ganz neu, immerhin jedenfalls anders. Und so wird ringsum spekuliert über Inhalte, Schwerpunktsetzung oder Kontinuität, vor allem vom Stottern ist da immer wieder zu hören. Genau die richtige Zeit für uns, Freunde der gelungenen Sprache, dem kommenden Impresario hoffensdick sowie ohne Vorurteil zuzuwinken – und den scheidenden mit einem kleinen Nachwurf (aus seiner eigenen Redekunst) zu bedenken. Politisch scheint beiden vieles gemeinsam zu sein, in der Herangehensweise werden sie sich dann doch wohl unterscheiden

Markus Grüner-MusilNebiges Stimmungsbild stammt von der Vorstellung des ARGEkultur-Programms 2017 im Magnolia-Blog und passt (nicht nur jahreszeitlich) perfekt in unser heutiges Konzept. Besten Dank dafür! Wir haben uns in den letzten 10 Jahren nämlich über so manche Unzulänglichkeit dieses vielgerühmten Gebäudes mokiert, welches uns zugleich auch Heimat und Sendungsstandort ist. Abgrund und Ambivalenz. Wenn wir dabei die Entwicklung der ARGE-Bewegung seit den 70ern betrachten, dann kommt allerdings leicht so etwas wie Trübsinn auf. Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im richtigen Leben so auch im falschen, unsere tägliche Institutionalisierung gib uns heute und vergib uns unseren Zwiespalt wie auch wir ihn vergeben uns selbst et cetera und Amen. Das Ringen mit der Macht findet vielleicht statt, nur leider fast nie dort, wo sie herrscht. Stattdessen da, wo sie längst für ihre stillschweigende Duldung bezahlt. Auseinandersetzung ressortiert im Fachbereich Bestuhlung und Diskurswerfen ist eine olympische Disziplin. Quod licet Jovi non olet. Grüner ist immerhin eine Steigerungsform und Musil bestimmt kein Mann ohne Eigenschaften. Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Und abermals sage ich: Nach mir die Sinnflut!”

Von den Mühen der Institution, vom Germteig des kritischen Empfindens, von der Idiotie des Kommerziellen, von der Kunst einer gescheiten Tonaufnahme – und nicht zuletzt vom Denkzettel eines umtriebigen Kulturarbeiters. All dies (und noch mehr) rundet sich erst zum Erlebnis, wenn auch unsere Sendung euer Gehör findet.

 

Was ist das Deutsch

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Februar“Was die Deutschen und die Österreicher trennt, ist ihre gemeinsame Sprache.” Dieses ebenso oft wie auch völlig zu Unrecht Karl Kraus zugeschriebene Zitat bringt wunderbar auf den Punkt, warum das ganze Herumgerede von einer “deutschen Kulturnation” nur ein fester Blödsinn sein kann. Auf jeden Fall sprachlich. Vollholler zum Beispiel ist ja nicht der deutsche Ausdruck für einen österreichischen Jodler. Was hingegen Deutsch als Sprache sowohl für seine Eingeborenen jedweder Mundart, als auch für sämtliche ihm (dem Deutsch oder dem Deutschen) seit seiner Entstehung Zugewanderten sein kann, das lassen wir uns diesfalls vom Mundwerksmeister Malmsheimer sozusagen ausdeutschen: Wenn Worte reden könnten oder eben “Ermpftschnuggn trødå!”

Bücher auf DeutschDer Mann hat uns schon mit einigen sprachlich ambitioniert gedrechselten Phantasiereisen zum Lachen (und zum Nachdenken) gebracht, was wir auch immer wieder mal in Gestalt einer Sendung oder eines Beitrags gewürdigt haben. So etwa die Vorgänge und Zustände im Kopf eines hormonprallen Heranwichsenden beim Gewahrwerden eines möglichen Sexualobjekts, die nächtliche Diskussion der Bücher in den Regalen seiner Bibliothek oder das leibhaftige Erscheinen aller Romanfiguren aus seiner verflossenen Jugendzeit. Und immer spielt sich in diesen Kopfbühnenbildern weit mehr ab als nur Gags, Gags, Gags Da entstehen schräge Personen und verschraubte Handlungen, die den Autor und Darsteller des verwobenen Wirbelsturms auf diversen Erzählebenen auch noch das ausdrücken lassen, was ihm gerade so durchs Gehirn geistert. Das sind fürwahr keine flachen Schenkelklopfer, sondern hintergründige Analysen des Zustands unserer Gesellschaft. Man mag das durchaus als in Form von Kleinkunst dargebotene Literatur betrachten, so wortverliebt ausformuliert und hingebungsvoll durchgearbeitet, wie einem das entgegenströmt. Dreh- und Angelpunkt seiner Welt- wie Kulturkritik ist jedenfalls die Sprache, in unserem Fall eben Deutsch (oder auch das Deutsche. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen sie ihren Duden – oder fragen sie Bastian Sick). Ein Höhepunkt bei Malmsheimer ist, wenn die Söhne Mannheims “…an einer störend christlich eingefärbten Melancholie leiden, der offenen Naidoose…”

In diesem Sinn!

 

Karneval der Kulturen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Februar – Am schlimmsten ist es immer mit dem Einstieg. Wie nur, ja wie? Da könnt doch jetzt Jedermann daher kommen und uns was vorraunzen von seiner Frau. Oder vom Xenophil Pimperl. Wie sagte einst Goethe: “Das also war des Puderns Kern.” Unschwer festzustellen, dass gerade Fasching beziehungsweise Karneval herrscht. Dabei wollen wir in dieser Saison nicht übrig geblieben werden, und so eröffnen wir unsere ganz eigene Session inmitten des schwindligen Kasperltheaters. Und wir wären nicht wir, wenn wir die Begrifflichkeiten des Kulturkarussells allzu bierernst nähmen. “Kulturen” kann ja so einiges bedeuten, von Anthropologie über Joghurt bis zu regionaler Volksmusik oder fremdländischen Filmen: “Almduludl akbar!”

Karneval der KulturenDie Grundlage der Selbstironie ist, wie der Name schon nahelegt, das Vorhandensein von irgend so was wie Selbst. Oder Bewusstsein. Einigermaßen selbst zu spüren, WER man ist – nicht bloß WAS. Letzteres bescheren einem eh die auswendig zu lernenden Phrasen von einer Identität aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Kultur und Berufsausübung. Die Mär von der Zugehörigkeit zu irgendwelchen Kategorien, die von fragwürdigen “Autoritäten” festgelegt werden. Fürs “Befolgen” solcher Hohlheiten werden ganz konkrete Belohnungen in Aussicht gestellt, wie zum Beispiel: „Dann fühlst du dich gut!” oder “Im nächsten Leben wird es dir besser gehen.” Den Schas glauben nicht wenige – und irren ein Leben lang fremd in sich umeinand. Naturgemäß können die nicht über sich selbst lachen, sie haben irrationalerweise Angst davor, genau das zu verlieren, was sie nie gefunden haben: Das eigene Selbst. So heißt denn die volksmundige Frage: “Sag einmal, spürst du dich überhaupt?”

Karneval im LichtIch gebe zu, dass der Sendungstitel Karneval der Kulturen bereits zum Zweck verschiedener Aufmärsche des multikulturellen Bestrebens in aller Einfältigkeit ausgelutscht ist. Aber wir wären auch nicht wir, wenn wir dieser Standardvorstellung von Eiapopeia und Lieblieb nicht noch Abgründiges und Hintersinniges zu den beiden Begriffen Karneval und Kulturen (Mehrzahl) abringen würden. So soll uns die “närrische Jahreszeit” auch als Steilvorlage für die aktuelle politische Situation dienen, deren Umtriebe fast nur mehr erträglich sind, wenn man sie als Kabarettprogramm auffasst. Zu den riesigen Nebenwirkungen lesen sie… Und was den vielbeschworenen “Clash of Cultures“ angeht, können die Dichter, Künstler und Musiker, die sich wirklich mit Begegnung und/oder Verbindung unterschiedlicher Kulturen beschäftigen, meist eine bessere Belichtung anbieten als die inflationären Philosaufen, Pädagockeln und Politwichteln. Naturgemäß nur dann, wenn man einigermaßen selbst (siehe oben)…

Karneval im TheaterDas Grundverbrechen sind die falschen Versprechungen, die einem fürs vorauseilende Anpassen und fürs reibungslose Funktionieren gemacht werden: Dass man dafür in irgendeiner Art belohnt würde, wenn man sich selbst aufgibt, sich einfügt und brav mitarbeitet. Dass man halt “dazu gehört”, wenn man bei allem mitmacht, was die Strömung jeweils vorgibt, gern auch mal beim andere schlecht finden, herabsetzen und gnadenlos aussperren. Denn darum geht es meist bei den Gesellschaftsordnungen, vom Kleinsten bis ins Größte, sei es Familie, Kirche, Schule, Staat, Weltkonzern: Dabei sein oder untergehen! Das ist nichts anderes als blankes Drohen mit Gewalt. Wer solche Grenzen zwischen den Dazugehörenden und den Ausgeschlossenen aufrichtet, der profitiert von den Schmiergeldern und Zollgebühren, die unweigerlich dabei anfallen. Deshalb ist “Sepp, pass di an!” nicht nur ein beliebtes Lebensmotto, sondern auch ein verbreiteter österreichischer Vorname. Wir werden alle sterben.

 

In einem fort pflanzen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Januar – Wieder so ein Wortwitz, ein doppeldeutiger. Für die Postmodernde. Juhuu! Doch was soll sich da eigentlich fortpflanzen, über die Generationen hinweg – oder wollen die uns bloß in einem fort pflanzen, die Ehestandswahrer vom ewiggestrigen Familienbimbam? Diese fürwahren Fortpflanzerl. “Die Familie ist die Geheimzelle des Staates.” Und in dieser Black Site des Herrschtums verendet das Lebendigsein unzähliger Kinder. Ich habe mich auch in der Jugendarbeit immer dagegen gewehrt, an Menschen nachzubessern, damit sie vielleicht geschmeidiger in den Fleischwolf der Gesellschaft rutschen. Gerade heute sind an allen Ecken und Enden die Funktionalisierer unterwegs, und wer sich nicht frohgemut und brauchbar verwerten lässt, wird aus “der Gemeinschaft” entfernt

väter söhne pflanzenDagegen gilt es, mit all seiner Lebenskraft, anzugehen, anzustinken – und anzuschreien. Und sich nicht aufhalten oder gar pflanzen zu lassen von irgendwelchen Altvorderen und ihren Ideologien. Es heißt ja, die Pubertät sei so etwas wie eine generelle hormonbedingte Anpassungsstörung. Schon mal in Betracht gezogen, dass die Erwachsenenwelt, in die es sich da einzufügen gilt, ein vollkommener Schwachsinn sein könnte? Ein schwindlich machendes Kettenkarussell voller Dummheit und Niedertracht, das im Begriff ist, den Ast, auf dem wir alle sitzen, endgültig abzusägen? Wer also Schwierigkeiten hat, sich an so ein Idiotenkompott anzubiedern, ist keineswegs gestört – höchstens beim Gesundsein gestört worden! Die Störung beim Pubertier ist dann allenfalls Syptom einer zutiefst verstörten und zerstörerischen Weltordnung, an die sich anzupassen ohnehin nur mittels heftiger Hirnamputation möglich wäre. Dass es der überwältigten Mehrheit letztendlich doch gelingt, soll uns jedenfalls nicht am Denken hindern. Gerade weil wir die Sendungen oft aus Befindlichkeiten heraus gestalten, wie die hierzu passende Nachtfahrt “Aus dem Tod eine Jugend machen”, bei der uns die nicht eben unschräge Musik von Knorkator begegnet ist: Und ging. Deren unendlicher Ideenscheißer Alf Ator hat ja auch schon des öfteren seinen Sohn Tim Tom (als der noch ein Kind war) zum Singen angestiftet, etwa auf Arschgesicht.

Inzwischen hat Tim Tom (der auf dem Foto) seine eigene Band Black Monster Truck und die ist (wie das nächste Lied) ziemlich cool: Am Horizont (live). Von derartigen Übergängen lassen wir uns diesmal inspirieren, wenn es um die Vermächtnisse von entlegenen Ursassen geht. Pflanzerl und Pflanzungen, wir sind ein geiles Institut.

 

Aus dem Tod eine Jugend machen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Januar – Und wenn es überhaupt keine Tabuthemen mehr gäbe, wäre damit das Ende der Kunstgeschichte erreicht? Oder ist unsere Gegenkultur nicht immer auch ein Aufbegehren gegen die jeweils grad aktuelle Interpretation der Herrschmächte, ihre “schöne neue Welt” sei ein neugeborenes Kindlein und ihre einzige Absicht sei Frieden auf Erden? Ich lach mich tot! Der Zyklus des Lebens hat doch nichts mit Weltpolitik zu tun – und der Markt (was immer das sein soll) ist auch kein Weltgeist, der uns “Stuf um Stufe heben will, und weiten”. Hier werden die Begrifflichkeiten (seit Jahrtausenden) höchst absichtsvoll vermischt, um dem versklavten Pöbel vorzuschwindeln, seine Armut sei Naturgesetz. So wie der unvermeidliche Tod. Ob wir aus dieser Not eine Tugend machen können?

Vor dem TodWas will der Dichter damit sagen? Sollte uns das zu denken geben? Oder sollten wir doch lieber gleich aussterben? Die international legalisierte Zergrunzung unserer Lebensgrundlagen hat immerhin ein solch erschreckendes Ausmaß angenommen, dass wir versucht sind, alle Hoffnung fahren zu lassen wie einen Schas. Davon wusste bereits der Verstopfungskünstler Martin Luther, der ja gesagt haben soll: “Lass fahren dahin…“ Desselbigengleichen schiss er, wider Erwarten genüsslich, so einen Riesenhaufen in die Landschaft, dass ihm ganz transzendent zumute ward und er darob augenblicks die Erlösung durch Gottes Gnade erfand. Was allerdings spricht Thomas Bernhard an, wenn er in seinem Buch “Die Ursache” über Salzburg sagt: “Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit oder “ein unter dieser Oberfläche tatsächlich fürchterlicher Friedhof der Phantasien und Wünsche”.  Wenn er gar ihre Atmosphäre einen “durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden nennt?

Nach dem Tod“Ich bin Lyriker. Wenn man Gedichte schreibt, kann man den Tod nicht ausklammern. Was die Welt bewegt und im Innersten zusammenhält, sind Leben, Liebe und Tod. Der Tod ist immer da.” Das sagt Konstantin Wecker, den viele aufgrund seiner langjährigen Beschäftigung mit dem Thema als einen regelrechten “Sänger des Todes” bezeichnen. Doch sein Singen und Schreiben hat sich im Lauf seines Lebens durchaus gewandelt, sein Verhältnis zum Tod ist vom jugendlichen Wegblödeln in ein respektvolles Vertrautsein übergegangen. Und interessant ist auch, was er in diesem Kurier-Interview über die religiös-kulturelle Prägung unserer Wahrnehmung von Leben und Tod ausdrückt: “Es gibt kein Leben ohne Tod. Es ist diese schreckliche Erkenntnis der Vergänglichkeit, die man mit 30 Jahren noch nicht hat. Die Buddhisten setzen sich schon als junge Menschen damit auseinander, dass alles vergänglich ist.” Also fragen wir uns, wie denn der Tod jenseits aller Jenseitsvorstellungen gedacht werden könnte. Jenseits von “ihn wegsaufen” oder “sich mit ihm als Freund ansaufen”.

Wobei, Herman Van Veen (und der darf das) fiele da bestimmt noch Abgrundblödes zwischen allen Stühlen ein! “Ich will einen jungen, kräftigen Tod” (Textauszug):

Wenn ich dreiundsiebzig bin,
mit einem gesunden Gefühl für Tumor,
will ich bei Morgengrauen niedergemäht werden
von einem roten Mercedes,
auf dem Weg nach Hause von einem Fest,
das die Nacht über dauerte.

Oder ich bin einundneunzig,
mit silbernem Haar,
und ich sitz im Stuhl beim Friseur,
und dorthin kommen plötzlich verfeindete Mafiosi
mir ihrem Maschinengewehren
und machen aus mir ein Sieb.

Oder ich bin hundertundvier
und aus den meisten Cafés rausgeflogen,
und meine letzte Liebe,
die mich bei ihrer Tochter ertappte,
bei der sie ihren Sohn vermutete,
schneidet mich in kleine Stücke,
die sie wegwirft,

bis auf ein Stück,
aus dem sie einen Tabaksbeutel macht.

 

Auf in ein neues Jahr

> Sendung: Artarium vom Sonntag 31. Dezember (Silvester) – Keine Rückschau, aber immerhin ein paar vernebelte Aussichten auf das kommende Jahr sowie eine Neujahrsansprache mit Bernd dem Brot“Wir ham noch lange nicht genug…” tönt es zudem seit Urzeiten, von Geböller umrahmt, aus unseren Signations. Und das stimmt nach wie vor, wenn auch mit Zunahme der Lebensjahre vermehrt die Erkenntnis der eigenen Endlichkeit ins Bewusstsein tropft. “Fühlst du dich heute wie ein Brot?” Eben. Dem feuchtfröhlichen Anlass entsprechend könnte man hier auch noch ein gemeines Sprichwort bemühen: “Steter Tropfen höhlt das Hirn”, wie es Uwe Dick einst dem Öd in den Mund gebogen hat. In diesem Sinne, passt gut auf euch auf, es ist doch nur eine Nacht wie viele andere – und es wär jammerschade, wenn ihr allzusehr ausrutscht…

Auf in ein neues JahrDer uns traditionell geläufige Jahreswechsel ist nämlich ein höchst willkürlich gesetztes Datum inmitten eines Übergangs – von einem zum nächsten biologischen Jahrezyklus, eigentlich bedeutsam ist da nur die Wintersonnenwende. So ist das ganze Neujahrsfest eine Zeit zwischen den Zeiten, die sich schon namentlich auf einen großen Schwindel bezieht, die sogenannte konstantinische Schenkung”. Papst Silvester I. (gestorben im Jahr 335), dessen Todestag am 31. Dezember bis heute seinen Namen trägt, soll durch sein wundertätiges Wirken Kaiser Konstantin dazu veranlasst haben, der (nachmals katholischen) Kirche die Oberherrschaft über das gesamte weströmische Reich zu verleihen sowie sämtliche nachfolgenden Päpste mit kaiserlich-herrschaftlicher Gewalt auszustatten. Die entsprechende Urkunde wurde bereits im 15. Jahrhundert als Fälschung aus dem 8. Jahrhundert erkannt. Doch Tri Tra Trallala – das Kasperltheater spielt noch immer. Da soll einem nicht schwindlig werden – bei all den schwindligen Schwindlern. Hollareidullijöh, juhuu, auf in ein neues Jahr voll hochheiliger Heimathändler und sonstwie vertrottelter Volksverbrecher. Auch international verdampft das Menschenrecht (alle singen).

Doch im etwas anderen Kunnst-Biotop schreiten wir weiter vorwärts – zwischen letzten Fußnoten zum vergangenen Jahr und ersten Ausblicken auf ein Neues! 

Protest Neujahr und einen guten Lutsch!

 

Stillenachtbrimborium

> Sendung: Artarium vom Heiligabend, 24. Dezember – Weihnachten ist nun einmal eine Tatsache, ob einem das gefällt oder auch nicht. Ringsumundum wird geweihnachtet, dass es eine schiere Unentrinnbarkeit ist. Und sogar von innen herauf ziehen die Erinnerungen und Assoziationen wie Küchendüfte durch die Seelenritzen und machen einen irgendwie thematisch. Ich habe bemerkt, dass mir kaum etwas widerlicher ist, als eine derart aufgezwungene Beschäftigung. Deshalb habe ich wohl auch früher im Familienkreis gern nach dem Verdrängten gefragt, zum Beispiel nach deren Erlebnissen im verflossenen Weltkrieg. Zu dem ganzen Stillenachtbrimborium muss es doch einen kräftigen Kontrast geben, dachte ich, sonst zerquetscht einen die vorgegebene Stimmungstendenz noch vollkommen.

StillenachtbrimboriumNun haben wir in den letzten Jahren die allermeisten einschlägigen Versatzstücke der christlich-alpenländischen Weihnachtskultur durchgespielt, vom Christgsindlmarkt bis zum Adventsohrartarium. Des weiteren sind wir ins vorchristliche Brauchtum unserer Ursassen  eingedrungen und haben etwa Perchtenläufe oder Wintersonnwendfeiern betrachtet. Was also diesmal auspacken, wo doch zum ersten Mal ein Live-Artarium am Heiligabend dräut? Back to the roots! Lasset uns andächtig der Weihnachtsringsendung von 1942 lauschen, die ein vortreffliches Denkbeispiel für jegliche Art von ideologischer Vereinnahmung bietet. Denn darum geht es ja auch heute, und darum ist es im Grunde schon immer gegangen, nur die Ideologien wechseln noch schneller als die Parteien und die Farben. Feudalismus, Katholizismus, Nationalsozialismus, Neoliberale Marktwirtschaft, es ist immer irgend eine Glaubensdiktatur, der wir nicht und nicht entrinnen können, weil irgendwo irgendein Heil liegt und die Allgemeinheit  genau das nachblökt, was sie in den Mund oder ins Hirn gestopft kriegt. Deshalb ist mir alles Heil-ige höchst zutiefst verdächtig, egal ob rechts oder links, oben oder innen. Stille Nacht, Heil… Nicht schon wieder! Ein Fest der Liebe unter den ferngenormten Menschenpuppen. Maria Volksempfängnis ohne Hirn. Der Leib Griaßdi – pfiat di! Die Herbertsuche. Ein christliches Gerümpelspiel. Hinter meiner, vorder meiner. Ene mene muh. Liesl steh um

Stillenachtbrimborium

 

Das trojanische Pferd

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Dezamber – In Zeiten wie diesen soll man Kriegsgerät verschenken. Außen schön verpackt – und innen voller Verderben. Listenreich! “Timeo Danaos et dona ferentes”, wie der Franzose sagt. Und das bezieht sich nicht nur auf Weihnachten, aber halt schon auch. Denn das mit Freuden Erwartete enthält oft die herbste Enttäuschung. So ist das auch mit Menschen, mit Werbespots oder Regierungen. Hinter dem schönen Schein grinst einem sogleich der Tod entgegen: “Ätsch, das hast du jetzt davon!” Und dabei hat man vor kurzem noch geglaubt… A contracorriente zur immer neuigkeitsgeileren Verbeschleunigung der uns umdudelnden Popschkultur spielen wir NICHT DAS AKTUELLSTE, sondern lieber DAS ALLERERSTE ALBUM dieser so kunstvoll kontroversen Musikkapelle:

Das trojanische PferdDas trojanische Pferd war bereits 2012 mit seinem zweiten Album “Wut und Disziplin” in der ARGE zu Gast, sowie ebenfalls in Gestalt von Hubert Weinheimer zu einem legendären Künstlergespräch bei den Perlentaucher-Nachthasen (also bei uns) verabredet. Dieses unvergessliche Interview brachte in nur 16 Minuten dermaßen viel Hintergrund zum Vorschein, dass es sich nach wie vor als Lehrstück fürs Erfassen des Wesentlichen anbietet. Wir haben es dann noch einmal “destilliert” und fein abgefüllt als 6-teilige trojanische Degustation in unsere Nachtfahrtsendung “Originale Kopien” eingebaut. So geht hintertückisch Einflößen, ihr Chartslöcher! Jedenfalls bietet das Debutalbum mit dem Bandnamen als Titel eine hochprozentige Essenz dessen, was allerweil vom Hechelhaufen der Genreschachterlscheißer (kommerzielle Musikjournalist_innen) als “Chanson-Punk” bezeichnet wurde. Wie drückt es “Sänger und Bombenleger” Hubert Weinheimer in “Fahrstuhlmusik” so trefflich aus? “Ich will nicht, dass mein Kind Scheiße frisst.” Na eben. Dazu noch eine der besten Refrainzeilen aller Zeiten: “Mein Herz schlägt mich innerlich tot.” Dieses Album gehört (immer wieder) gehört.

Danke für diesen Slogan, Wolf Haas. Die Prinzessin auf dem Erbe. Urerbsenrecht! Doch genug des Selbstreferenziellen und zurück zu den darbietenden Künstlern. Die haben nämlich verstanden, was die ursächliche Ansage des Punk als Kunstform bedeuten kann: Nimm alles, was du willst, vom Müllhaufen der Geschichte (also auch gehört Gehörtes) und mach daraus dein ganz eigenes Ding. Und nicht: Hupf herum als Folklorekasperl und mach alles nach, was dir die Genreschachterlfüller Hinz und Kunz für richtigrum erklären. Machs NICHT richtig, mach DEIN Original!

Das gegenständliche Debutalbum gibts im übrigen auch hier als Free Download.

 

Auf der Suche nach dem Licht

> Sendung(en): Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Dezember Teil 1 sowie ebenfalls Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Dezember Teil 2 – Seit sieben Jahren ist es nun schon Tradition, dass wir uns inmitten der finsteren Jahreszeit mit dem Licht beschäftigen. Ganz so wie unsere Ursassen schon vor Jahrtausenden der Wintersonnenwende eine besondere Bedeutung beimaßen, weil die Schrecken des Eises und der Finsternis immer wieder aufs Neue die Fruchtbarkeit der Natur und somit das menschliche Überleben in Frage stellten. In weiterer Folge bemächtigte sich dann das Christentum in seiner Theologie von Tod und Auferstehung dieser Mythen und Motive vom wiederkehrenden Werden und Vergehen, um uns mit allerlei alpenländischem Volksbrauchtum zuzuscheißen. Doch Adventmarkt hin oder her, bei uns sitzt nicht nur Maria am Empfängnisgerät – wir sind die Weihnachtshasen!

Licht 1Dabei bietet das Gegensatzpaar mit dem Licht auch noch andere Assoziationen als die üblichen. Generalverdunkelung etwa, ein gesellschaftskritischer Begriff von Jochen Malmsheimer. Oder aber wie es Bertolt Brecht formulierte: Denn die einen sind im Dunkeln
und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte,
die im Dunkeln sieht man nicht.

Licht 2Hofft eigentlich heute noch wer auf sowas wie eine flächendeckende Volkserleuchtung? Oder befinden wir uns inzwischen alle im Zeitalter individualisierter Erkenntnis? In dem uns zwar noch gelegentlich ein Licht aufgeht, wir aber nicht mehr bemerken, dass wir längst Teil einer perfickten Weihnachtsdekoration sind? So muss Weltherrschaft!” Und der Letzte macht das Licht aus.

Licht im DunkelWir zelebrieren unser alljährliches Überlebenstraining für die stillste Zeit im Jahr auch heuer wieder mit spontan ausgewählten Musik- und Textbeiträgen, welche sich unserer christlich-abendlänglichen Kultur sowohl stimmungsvoll annähern, als diese auch herzhaft verzweifelnd ad absurdum führen. Quod erat Brimborium oder Bimbes non olet, wie einst der Birnenförmige sagte.

Licht am EndeNichtsdestodessen oder aber auch hinwiedertrotz: Frieden auf Erden und den Menschenähnlichen was Nettes ohne Konsumzwang. Freie Medien bieten auch die Möglichkeit, seine Perlen mal so richtig vor die Säue zu werfen. Und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ruft nicht zum heldenhaften Helfen auf, sondern zum sich Hineinversetzen in die Lage des Bedürftigen. Amen.

 

Charles Janko Nachruf

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. NovemberSchuld ist wie so oft der Berlinsalzburger Schriftsteller Peter Hodina, dem wir die überaus inspirierende Begegnung mit Charles Janko ursächlich verdanken. Denn am 27. 2. 2015 fand in Alrun Pachers literarischem Salon eine feine Zweierlesung von Peter Hodina und Christopher Schmall statt, welche der inzwischen völlig zu Unrecht verstorbene Charles mit meisterlichen Klavierimprovisationen umrahmte. Doch dieser ebenso banale wie hier angebracht erscheinende Begriff wird seiner tatsächlich ausgeübten Kunstfertigkeit eigentlich überhaupt nicht gerecht. Statt auf so eine rein äußerliche Funktions-Zuschreibung sollte sich unser Augen- und Ohrenmerk doch viel mehr auf die innere Haltung von Charles‘ spontan-kreativem Musikausdruck richten.

Charles Janko Literaturhaus Salzburg Nov 2016Erzählen wir die Geschichte: Während das Publikum den Lesenden andächtig lauschte, saß Charles meditativ in sich versunken am Flügel, um in den Pausen augenblicklich zu seiner ganz eigenen Verdichtung der zuvor offenbar gesammelten Eindrücke anzuheben. Und was er da improvisierend wiedergab, war nicht einfach nur Begleitung, Behübschung, tonale Garnierung – nein, es war in höchstem Maß die erweiternde Teilwerdung am Moment des Geschehens, eine nachgerade organische Verganzheitlichung dessen, was rund um ihn im Hier und Jetzt vor sich (und bestimmt auch durch ihn hindurch) ging. Wollen wir das aber nicht verkehrt verstehen: Die dargebotenen Texte an sich waren schon ganz, deren Vortrag in Resonanz mit dem Publikum erst recht, die ganze Inszenierung dieses Literarischen Salons sowieso, alles war ganz und gar ganz (im Sinn von vollkommen). Und doch – wenn Charles‘ Musik nicht hinzu gekommen wäre, hätte der gesamten Darbietung etwas gefehlt. Was wiederum nur dadurch erkennbar wurde, dass er sie spielte! Mich erinnerte dieses Geschehen an Gefühlseindrücke, die ich vor Jahren beim gemeinsamen Hören von Keith Jarretts “The Köln Concert” gehabt hatte, und eben darauf sprach ich ihn (nach dem Ende der Veranstaltung) an. Es entspann sich sofort eine derart befreiende, einfühlsame, weltoffene Unterhaltung, dass sich nur eins sagen lässt: Charles Janko war ein Mensch, der ganz in seiner Kunst lebte.

Ausgehend davon kam es auch dazu, dass sich Charles im November 2016 bereit erklärte, “auf splitterwegen und zerbrochener zeit”, die Geburtstagslesung von Chriss im Literaturhaus Salzburg, kongenial musikalisch zu “illustrieren”. Davon haben wir eine recht improvisierte Aufnahme hergestellt, bei der man die Lesenden trinken und tuscheln hört, ganz im Sinn einer spontan-assoziativen Gesamtkunst. Jetzt gibts diese “Charles Janko Literaturhaus-Improvisationen” zum Nachhören.

“Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.”  Bertolt Brecht