Vorwärtsrückwärts

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. FebruarDie Frage war: Worüber können wir eine Sendung machen in diesem Faschings-, Fastnachts-, Karnevalskontext, wo sich doch ringsum ein Politkasperltheater nach dem anderen abspielt. Denn merket wohl: nach dem Verarschungsdiestag kommt unweigerlich der Arsch am Mittwoch, da kann man die Bretter, die die Welt bedeuten, noch so fest vor den eigenen Kopf halten (oder sie dem weltanschaulichen Gegenunter über denselbigen schlagen) “Ich blick verzweifelt rings – und lechz’ – nur öde Schnösel links und rechts.” Es wird also in deinem Sinn weiter gejandlt, lieber Ernst. Gute Güte, Vorwärtsrückwärts ist eine der allerfeinsten Wortschöpfungen aus jener Zeit des kalten Krieges, in der die jeweilige Richtung nicht schwel zu velwechsern war. – Oder war auch das schon ein Irrtum?

VorwärtsrückwärtsGibt es die Unterscheidung von vorwärts (links) und rückwärts (rechts) überhaupt – oder wollen alle Eliten doch immer nur an die Macht (oben)?Vilfredo Pareto hat das in seiner Elitensoziologie  etwa so beschrieben. Er hat auch Mussolini beraten, wie man “das Volk” mittels eines entmachteten Parlaments verscheißert. Grüße nach Thüringen! Da sitzt einer bis über beide Ohren im Vogelschiss der deutschen Geschichte und spielt mit dem Landtag Bauanoasch. Was fällt uns dazu noch ein? Volksmusik? Ich weiß zwar, wie die berühmten Bratwürste riechen, aber nicht, wie sich thüringische Musikkultur anfühlt. Oder ob und inwieweit es dort überhaupt Künstler*innen gibt, die sich mit derlei Tradition beschäftigen und selbige dann zeitgemäß, unterhaltsam und eben auch kritisch interpretieren (verbearbeiten). Aus Österreich und aus Bayern hätten wir da ein paar Beispiele anzubieten, nämlich die Herren Attwenger, die seit Jahren ihre musikalischen Herkunftswurzeln lustvoll durch sämtliche Stilrichtungen schießen, und den furiosen Weiherer, der mit seiner klugen Mischung aus Liedern und Gschichtln den fast schon zu Tode zerbrauchten Begriff “Heimat” wieder allgemein zugänglich macht. Denn ist es nicht unser aller

“Vorwärtsrückwärts oder Das unheimlich totale Leben” ist übrigens der Titel eines Romans von Franz Mechsner aus dem Jahr 1981, den es nur noch antiquarisch zu kaufen gibt. Er enthält eine Szene, in der ein junger Mann bei einer Demonstration in Wien auf ein Denkmal klettert. Als ich das Buch las, fand ich mich genau darin wieder.

 

Harlekinese und Kasperliade

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. FebruarAchtung Achtung, Klasse! Nachdem wir uns jetzt alle gegenseitig an unsere eigenen Nasen gefasst haben, atmen wir einmal tief durch die selbige ein und schreien drei mal laut: Hurra – ich bin ein fröhlicher Homo Sapiens!“  Genauso gut könnte man da sagen: “Demokratie ist, wenn wir alle paar Jahre diejenigen wählen, die uns am lustigsten auf den Kopf scheißen.” Oder: “Großvati, Großvati, es hat geschneit!” – Wie dem auch sei, im nunmehrigen Februar findet vielerorts Fasching, Fastnacht oder Karneval statt, und wir haben beschlossen, diesem Zustand in unserer Sendung Rechnung zu tragen (solang es nicht allzuviel kostet). Und so hoppeln wir fröhlichfeucht durch eine ganze Kasperliade aus Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutungmit Gefühl.

Kasperliade 1Da das assoziative Gestrüpp zum Thema ebenso unübersichtlich wie reichhaltig ist, müssen wir uns, bei aller Vielheit, auf eine Hauptperson ausrichten – den Kasper. Reisen wir also ohne Stress quer durch alle möglichen Manifestationen dieser multiplen Personalunion mit sich selbst. Sozusagen mit Casper ins Kasperltheater, und gleich weiter zum Joker, zum Kaspar Hauser, überhaupt zum traurigen Clown und seiner genau deshalb entlarvenden Weltsicht. Der Titel der Sendung müsste eigentlich “Harlekinese, Kasperliade und Clownerie” heißen, aber wo ist heute noch Platz für so abgerundete Triologien? Oder Songtitel wie zum Beispiel “Die Verfolgung und Ermordung des Rockundroll, dargestellt durch die Musikertruppe des Hospizes zu Vicht unter der Anleitung des Herrn von Schroeder, Teil I” Hä? Eine rheinrhetorische Frage – also auf Kölsch. “Die Musik ist tot – gefoltert, gequält, der Unschuld beraubt. Die Musik ist tot – und mit ihr all das, woran wir geglaubt. – Rock’n’Roll ist tot.” Aber sicher nicht bei uns. Gut zu hören!

Kasperliade 2Nicht, dass wir zwei nicht lustig wären (siehe Bild), für den Höhepunkt des Rumkasperns (in der zweiten Stunde) haben wir uns dennoch kompetente Unterstützung vom Institut für Battle & Hum besorgt. Der Master of Cerebrity Randy Andy wird uns livehaftig die Rumkugel geben – und sich wie euch mit Kleinodien des etwas abgedrehteren Humors behupfdudeln. Oder der etwas abgründigeren Musik, etwa aus dem Soundtrack zu “Joker” von Hildur Ingveldardóttir Guðnadóttir. Wenn auch der zuvor zitierte Text von Schroeder Roadshow den Tod des Rock’n’Roll betrauert und dabei durchaus eine prophetische (1980) Kritik am Unwesen der Untenhaltung darstellt (ich sag nur Autotune), so gibt der darin angesprochene Mythos (vielleicht eh posthum) laute Lebenszeichen von sich. Im (definitiv posthumen) Michael-Glawogger-Film “Hotel Rock’n’Roll” jedenfalls, den wir hiermit aufs allerschärfste empfehlen (und der uns auch durch die Sendung begleiten wird), nebst weiteren Dopfencollagen aus Audio.

Abschied vom Heimatfilm“Der Wald ist die Frisur des Berges, Schorschi.” – “Dem gehn oba sche longsom de Hoa aus.” Eben. Viele wunderbare Szenenbilder und noch mehr verdanken wir übrigens dem Luna-Filmverleih. Da bleibt keine Heimat trocken & Kebapaufstrich. Wenn schon das Wort eine Waffe ist … dann ist die E-Gitarre eine Abschussvorrichtung für noch erheblichere Auswirkungen. Und erst das Schlagzeug – bitte, im Italienischen heißt es eh “Batteria”. Im Anfang war die Wucht. Und die Wucht war bei sich. Die Wucht aber sprach – und siehe, es ward. “Let there be Rock” Wie find ich den Notausgang? Vielleicht wenn die Kasperliade selbst-systemkritisch rotzt: “Scharfe Waffen griffbereit im Handschuhfach, auf dem Müllplatz liegt ein letztes Stoßgebet. Verzweiflung, Angst und Wahnsinn halten uns in Schach, im Fernsehen spricht der Papst von Humanität. Schon wieder so ein Tag, so wunderschön wie heut. Und tatsächlich schon wieder all die furchtbar netten Leut. Massenmörder, Henker, Diktatooor – kommen eben nur im Märchen vor!”

Schroeder Roadshow – So ein Tag

 

Unendliche Gedichte …..

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. Februar – Die unendliche Geschichte dieser fast endlosen Gedichte, die uns eine Geschichte erzählen und die wir als Balladen zu erkennen gelernt wurden. Für die gesamte Gattung war es ein fast ebenso endloser Weg von den Tanzliedern der Troubadoure über Francois Villons “Ballade von der Mäusefrau” bis zu Goethes Zauberlehrling und der Taucherglockenbürgschaft von Friedrich Schiller. Auf diesem “langen Marsch durch die Geschichte” haben dann auch sämmertliche Spracheologen des gezupften Worts ihre akademischen Claims abgesteckt, so dass wir heute wissen, was eine Ballade istund was nicht. Oder? Was ist zum Beispiel “Jetzt eine Insel finden” (ein Gedicht von Konstantin Wecker aus den 1980er Jahren)? Und wie ist das mit den “Rock-Balladen” im weitesten Sinn?

Unendliche Grüne HölleSuchen wir dazu als einschlägige Institution das Hotel Rock’n’Roll auf (oder den 3. Teil von Michael Glawoggers posthum vollendeter Spielfilmtrilogie). Hier erscheint uns neben dem notorischen Schorschi auch Sven Regener als Pfarrer, der über das letzte große Gitarrensolo räsoniert. Womit wir schnurstrachs wieder im unwegsamen Sumpf der Genrezuschreiberei unterzugehen drohen. Und das ist noch höflich formuliert für so ein elaberiertes Schachterlscheißen und Gscheitmeiern. Atemlos hechelt das Abendland: “Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los” und versinkt in seiner eigenen Behauptung. Das Unendliche ist was ganz anderes als die Quersumme zweckdienlicher Definitionen. Das Unendliche ist spürbar im Erleben von Liedern und Gedichten: “Das Luftholen im richtigen Moment ist unwiederholbar und verdichtet einen Augenblick zur Ewigkeit” wie Konstantin Wecker bereits bemerkt. Lyrik und Epik schließen einander ja eben nicht aus, ätsch Aristoteles! Und wenn jemand jetzt dies oder das Ballade nennt, unseren Segen soll ersiees haben. Für heute bin ich mal Sven, der Segener. Also wirklich! Es geht immer ums Vollenden – des Unvollendeten. Ums Unvollendliche. Grad im Beethovenjahr.

So wollen wir diesmal den Herren Sven Regener, Konstantin Wecker, Nino aus Wien und Jochen Distelmeyer lauschen – und vor allem Norbert Wally (The Base) mit der überaus passenden Ballade “I bet it rains” aus dem Hotel Rock’n’Roll Soundtrack.

 

Aviv Geffen & Steven Wilson

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. Januar – Die Idee zu einer vertiefenden Sendung über das Zusammenwirken der beiden Musiker Aviv Geffen und Steven Wilson kam uns bereits vor zwei Wochen in den Sinn, als unsere Präsentation des ersten Blackfield-Albums von einigen technischen Schwierigkeiten begleitet wurde. Aus der Notwendigkeit, die ersten 10 Minuten lauter Stille (oder Roaring Silence – danke, Manfred Mann), nachträglich mit entsprechendem Inhalt zu füllen, entstand eine interessante Collage über die traumatischen Erfahrungen von Aviv Geffen sowie seine daraus resultierenden Friedensaktivitäten. Was aber verbindet ihn mit Steven Wilson und worin besteht das Momentum ihres gemeinsamen Schaffens? Wo kommen die beiden her? Eine Annäherung in Anekdoten und Klangbeispielen.

Aviv Geffen und Steven Wilson - Kongeniale KollegenBeleuchten wir dazu einmal die Väter dieser zwei Künstler und wie verschieden sie doch sind. Der eine ist Dichter und Liedermacher, war zunächst Offizier in der israelischen Armee und wandte sich danach so radikal der Friedensbewegung zu, dass sein Werk aus einigen Medien des Landes sogar verbannt wurde. Dabei ähnelt Yehonatan Geffens Frühwerk (ganz im Geist der 70er Jahre) den damals in Österreich populären Liedern von Arik Brauer – witzig, verspielt, sozialkritisch. So etwa sein Klassiker “Hatsarich Haze” (hier mit Textübertragung aus dem Hebräischen). Ein Dichter und Dissident also. Durchaus eine Inspiration. Der andere wollte, dass sein Sohn schon als kleines Kind Gitarre lernt, Steven Wilson aber mochte das gar nicht. “Erst” mit 11 Jahren interessierte ihn das Instrument und dessen Klang wieder: Er schrubbelte mit einem Mikrofon an den Saiten entlang und stellte aus diesen Sounds erste übereinander geschichtete Aufnahmen her. Daraufhin baute ihm sein Vater eine Mehrspurmaschine – und gleich auch noch einen Vocoder. Er war nämlich Elektronikingenieur. Auch ein Glück! Wozu das letztendlich (nach gut 30 Jahren) führen sollte, konnte damals keiner wissen. Heute ist es gut zu hören!

Seit 2009 arbeitet sich der multiple Autodidakt nun schon an den progressivsten Alben der 70er und 80er Jahre ab – als ein bis in ultimativste Feinheiten mehr als nur originalgetreu remixender Tontechniker. Seine diesbezügliche Arbeitsweise sowie das Verzeichnis der von ihm bearbeiteten Werke sind höchst beeindruckend. Und wenn ich das grandiose “Würm”, den finalen Part von “Starship Trooper” vom “The Yes Album”, in der Steven-Wilson-Version höre, nein, vielmehr erlebe, dann…

Eure Ohren werden Augen machen!

PS. Naturgemäß noch einmal das legendäre Video zu “The same asylum as before“ von Steven Wilsons Soloalbum “To The Bone” (zudem als Visual auf seiner Tour).

 

Mundartcoverversionen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. JanuarDie Erkenntnis, dass sich Lyrik oftmals viel besser im jeweiligen Dialekt “übertragen” lässt als in einer Hoch- oder Schriftsprache, die zieht sich schon seit Jahren durch unser Radiomachen wie ein roter Faden. Speziell bei “Lyrics”, also bei Songtexten, bewirkt die Mundart eine “Übertragung” von Stimmung und Atmosphäre in den heimischen Kulturkontext. Bestes Beispiel hierfür sind die kryptisch surrealen Texte von Bob Dylan, die vielen nach wie vor als (hochsprachlich) unübersetzbar gelten. Ihre Interpretationen durch die zwei Wolfgänge Ambros (auf wienerisch) und Niedecken (auf kölsch) haben seine Songs jedoch schon längst in den deutschsprachigen Gefühlsraum eingepflanzt. So vermitteln “Mundartcoverversionen” zwischen den Kulturen – und zwar unmittelbar.

MundartcoverversionenDieses Bild passt ungemein, soll uns aber nicht in die Irre führen. Ernst Molden & Der Nino aus Wien ergehen sich auf ihrem Album “Unser Österreich” naturgemäß auch in Mundartcoverversionen – halt von eh schon heimischen “Fundstücken des Austropop”. Wir dagegen wollen uns den heimischen Interpreten zuwenden, die aus den Abgründen internationaler (meist englischsprachiger) Musikkunst aufgetauchte Perlen in ihren jeweiligen Regionalsprech überführen. Wie fühlen sich Stücke von Tom Waits, Billy Joel, Michael Jackson, Donovan, Bob Dylan sowie Lou Reed an, wenn sie in einem Wiener, Salzburger oder Vorarlberger Dialekt vorgebracht – und zudem noch musikalisch daran angepasst werden? Eine volkskundliche Studie im Dienste der Aufmerksamkeit frei nach Thomas Oberender: “Hören sie genau hin!”

Wo aber bleiben die * und -innen? Genau – bis jetzt keine einzige Frau, geschweige denn… Um diese Unwucht zu beheben, erweitern wir das ursprüngliche Konzept und präsentieren immerhin EINE Coverversion eines Mundarttitels: Conchita Wurst & Ina Regen mit “Heast as net”, ursprünglich vom salzkammerguten Weltmusikmeister Hubert von Goisern. Die Freibeuter der Heimat und das etwas andere Jodelbiotop. Bei uns spielts eben – und daher stammt auch die Idee zur heutigen Betrachtung – in jeder Hinsicht Granada. Wir sind ein geiles Institut.

 

Blackfield

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Januar – Es war einmal ein Musiker. Und der war richtig berühmtin Israel. Leider war er auch an jenem 4. November 1995 zugegen, als ein religiös-fundamentalistischer Rechtsextremer (diesen Begriff kann man sich auf der Zunge zergehen lassen) den damaligen Regierungschef Jitzak Rabin ermordete. Das hat unseren Musiker verstört, wie sich gewiss denken lässt. Trotzdem hat er weiter Musik gemacht – und dieses traumatische Erlebnis auch immer wieder in seiner Kunst verarbeitet. Doch nichts ist seitdem wie es vorher war, nicht nur für den Musiker Aviv Geffen, sondern auch für die gesamte Nahostregion sowie für den Weltfrieden an sich. Einige Jahre nach diesem “Incident” gründeten der Frontmann von Porcupine Tree, Steven Wilson und besagter Aviv Geffen ihre Band Blackfield.

BlackfieldDie Musik von Blackfield eignet sich hervorragend zur Untermalung jeder Winterdepression. Oder einfach nur Schwermut, Sehnsucht und all das, was sich als Melancholie verstehen lässt. Dabei schwingt allerdings stets auch die Perspektive des “trotzdem Weitermachens” mit, die hier bereits angeklungen ist. Keine Aufforderung zu Scheißdrauf und Suizid – wiewohl es etwa im Song Cloudy Now heißt: “We are a fucked-up generation!” Nein, vielmehr jene geniale Melange aus Traurigkeit und Freude, die wir als speziell für die jüdische Kultur charakteristisch ansehen. Diese emotional intensive Gleichzeitigkeit von einander eigentlich widerstrebenden Eindrücken erfährt durch die Zusammenarbeit mit dem ausgewiesenen Soundtüftler Steven Wilson eine ungemein dichte Präsenz, hat der als “Prog-Wunderkind” gepriesene Vielschaffende doch schon eine gehörige Anzahl von Alben aus der Blütezeit des Art- und Progressive Rock wiederaufbereitet, von Jethro Tull über King Crimson und Roxy Music bis Yes (um einige der bekannteren Bands zu nennen). Darüber hinaus tritt Steven Dampf in allen Klassen bei Blackfield auch noch als zweiter Sänger und Gitarrist in Erscheinung, und zwar keinesfalls nur nebenbei. Seine diesbezügliche Herkunft sei durch das über 2-minütige Gitarrensolo aus Time Flies vom Porcupine-Tree-Album The Incident deutlich gemacht. Legendär.

Zur Herkunft von Aviv Geffen möchten wir das Video zur frühen Solo-Version von Cloudy Now (auf hebräisch) empfehlen. Da haben sich jetzt zwei gefunden, die ihre Welten miteinander verschmelzen, dass es gut tut – und weh! Wir spielen daher das erstaunliche Erstlingswerk ihres gemeinsamen Bandprojekts – und freuen uns traurig.

 

Bombast Kontrast

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. JanuarBombast, Opulenz, Cinemascope! Wir senden die Neujahrsandacht des Hundepräsidenten aus dem etwas anderen Hasenbiotop zu Salzburg – und wünschen viel Verglühen. Thema unserer textmusikalischen Rundumverdichtung ist das Reichhaltige, das Unerwartete und das Vielschichtige. Ein zeitloser Spazierflug durch Gegenwart und Vergangenheit von Kunst und Kultur. Die Zukunft dazu ist jeglichenkopfs wie immer selbst zu erfahren, dem entsprechend, was sich darin daraus so entwickelt. Wir stellen ein zwirbeliges Geflecht aus Klangraum und Sprachzeit zur Verfügung und laden zu dessen Bereisung ein. Querassoziative Empfindungen, urplötzlich hervorquellende Bilderfluten oder einfach nur weltumspannende Einsichten

Ronnie Urini OpulenzAlles ist möglich! Kunst geschieht eben immer “im Kopf” derer, die sich ihr hingeben. Und dann ereignet sich Kunnst im Sinn von “könntest” im Leben derer, die sich das zu tun trauen. Wie bei diesem Herrn hier, der uns einstmals in Gestalt von Ronnie Urini & Die letzten Poeten mit den untergründigsten Textvertonungen erfreut hat, zum Beispiel mit H.C. Artmann “1001 Nacht”. “Seine unergründliche Opulenz” möchte man sagen. Bombast und Cinemascope sind da im Lebenswerk Programm. Und Robert Fripp (zu dem wir auch noch kommen werden) spielt auf diesem Stück das Mellotron – auch kein ganz kleines Gulasch. Was uns sogleich wieder zur Menschheizgeschichte an sich führt. Oder zu dem, was wir ja längst als “Quotentrotteltum” identifizieren. Ein System, das durch und durch “dem Erfolg” als “möglichst immer noch mehr Geld herauspressen” gewidmet ist, zerstört seiner Natur gemäß alles Individuelle und Nichtangepasste, also jedwede Regung des menschlichen Geistes jenseits des funktionsoptimierten Durchschnitts. Poeten, Propheten und andere Visionäre werden dadurch eiskalt ausgemerzt: “Das ist lustig und das ist schön – das ist das Zugrundegehen.”

King Crimson BombastDennoch stolperte ich beim Hupfen unlängst über ein bemerkenswertes Videoding aus der neueren Neuzeit: King Crimson – Starless (2016) ist nun wirklich Bombast in Reinkultur. Doch gar keine deppert zuckende Lasershow, dass es dir die Augen raushaut vor Schreck. Und schon gar nicht 100 synchronhampelde Duracelltrottel, dass du dich grad anspeibst vor lauter Üblichkeit und Bühnenshow. Nein, ernste Musik mit DREI Schlagzeugern, in einer hoch komplexen Verdichtung zu Gespür gebracht, dass dir nicht vom Scheinweltbeplempern schwindlig wird, sondern vom Inhalt. Es gibt noch Hoffnung! Doch seien wir uns ehrlich – etwas anderes hätten wir uns von Robert Fripp (da ist er also wieder) nicht erwartet. Und auch nicht von Tony Levin, der uns über die Jahre seiner Zusammenarbeit mit Peter Gabriel heftig ans Herz gewachsen ist. Das Stück “Here comes the Flood“ vereint die drei auf Gabriels erstem Soloalbum (Car 1978), dem der Meister im nachhinein auch schon einmal “zuu viel Bombast” bescheinigte.

Waluliso KontrastWollen wir uns zuletzt noch einer Verkörperung des “Wiener Originals” zuwenden, an dem sich die vollendete Perversion dessen, was “allgemein” als bedeutend, relevant oder wichtig angesehen wird, vornehm verdeutlichen lässt. Wer oder was war jener Waluliso wirklich, der oft als Friedens- und Umweltaktivist, als spinnerter Nudistenfreak, als nicht ganz dichter Selbstdarsteller oder was auch immer beschrieben wurde? Nach dem eine Brücke über die Neue Donau benannt ist und dem die Stadt Wien ein Ehrengrab am Zentralfriedhof gewidmet hat? Was wissen wir über die Innenwelt des öffentlichen Außenseiters? Und warum wird dieser zutiefst eigensinnige und im schönsten Sinn eigenArtige, sich selbst zum Kunstwerk machende Elementarmensch posthum derart gewürdigt? Weil man ihn so halt gut vereinnahmen und dadurch auch vermarkten kann. Ernst genommen hat seine Aussagen zeitlebens kein Politiker, kein Unternehmer, kein Medienkasperl. Die waren alle viel zu sehr mit der Aufblähung ihrer eigenen Wichtigkeit befasst. Einzig die Band Blümchen Blau hat ihm ein akustisches Denkmal gesetzt – mit einigen seiner eigenen Botschaften.

Fazit? Die herrschende “Ordnung” ist vollkommen verkehrtherum. Ich schließe meine heurige Andacht nun mit dem angeblichen Zitat eines jüdischen Wanderpredigers:

“Die Letzten sollen die Ersten sein.”

 

Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Dezember – ACHTUNG: Dieses lustige Wortfeuerwerk erscheint unpünktlich zum Jahresschluss, es kann daher auch als verspätete Geschichtensammlung unter einen sterbenden Baum gepackt werden. Geschichten nämlich kann Torsten Sträter, der sich selbst als Autor, Vorleser und Poetry-Slammer beschreibt, richtig gut, weshalb wir ihn gern einige derselben aus seiner letzten Sammlung hier erzählen lassen. Gute Unterhaltung ist derzeit ja nicht wirklich flächendeckend. Da ist es durchaus erbaulich, gut verdichtete Geschichten aus der Wahrnehmung des Weltgedümmels anzuhören, die in ihrer Beschaffenheit zugleich vermitteln, dass Dichtung etwas mit dicht und Geschichten etwas mit dem Schichten von mehreren zu tun haben soll. Alles andere wäre das übliche Geblah.

Torsten Sträter unpünktlichEinwurf: Wir mögen Dieter Nuhr nicht. Er ist uns unsympathisch. Politisch verkörpert er das, was schon in den 70er Jahren zutiefst konservativ war: Aktenzeichen XY, beige Schnürlsamthosen, den Wackeldackel sowie Gelsenkirchner Barock. Und dennoch präsentieren wir hier einen Künstler, der in dessen monatlicher Fernsehshow regelmäßig als Gast vorkommt. Ja, liebe Freunde und *innen, was hat das zu bedeuten? Man könnte es als Fußnote zur nächsten Sau verstehen, die durchs globale Dorf getwittert wird, was auch immer der Grund für die nächsten “15 Minutes of Empörung” von wem auch immer dann sein mögen. Doch zurück zu den gut abgehangen Geschichten, deretwegen wir Torsten Sträter aus vollster Überzeugung eine Bühne anbieten – und euer Ohr leihen wollen. Denn die sind, für sich genommen, von so herausragend dichtem Witz und abgründiger Formulierungslust geprägt, dass man schlechterdings lachen muss, auch zu Zeiten (und an Orten!), die eigentlich eher zum Weinen sind. Zur Verdeutlichung dieses Zustands seien nunmehr zwei Beispiele angeführt: “Adventskrätze” aus seiner WDR-Show “Sträters Männerhaushalt” und “Hotels” aus dem titelgebenden “Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein”. Speziell bei letzterem kommt die Emotion seiner genial verdichteten Kunstfigur zum Tragen, da schnaubt und rüpelt der Ruhrpott – und man begreift, dass es Dort-Mund heißt.

Wie nun allerdings “unpünktlich” mit “zu sein” zusammen hängt? Well…