Thomas Bernhard Sprachlandschaften

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. AprilZur 80sten Niewiederkehr der Salzburger Bücherverbrennung von 1938 (Stichtag ist die Walpurgisnacht) bringen wir heute die SAG-Gruppenlesung “Thomas Bernhard Sprachlandschaften” vom November 2017 zu Gehör. Gründe dafür gibt es mannigfache. So hat die Salzburger Autorengruppe im Jahr 1987 (damals mit Erich Fried gemeinsam) damit begonnen, das Erinnern an diesen geisttötenden Naziaufmarsch dem Vergessen zu entreißen. Auch wir haben dieses Thema immer wieder in Gestalt von Radiosendungen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, so zum 75. Gedenken durch “Stimmen aus dem Massengrab” oder anlässlich der schier ewigwährenden Mahnmal-Zerplanerei durch unser Double-Feature-Projekt “ERINNERN VERGESSEN” vom April 2016.

Thomas Bernhard LandschaftInzwischen ist der hier jahrelang umtriebige Christopher Schmall zum Obmann der SAG gewählt worden – und in dieser Funktion auch für diverse Themenarbeiten mit verantwortlich, wodurch sich Vergangenes und Zukünftiges im Hier und Jetzt wieder begegnen. Das scheint mir auch die Essenz dieser Gruppenlesung zu sein, in der es ja darum geht, einen “toten Dichter” durch die Beschäftigung mit seinem Werk “ins Leben zu schreiben” und so aus dem erstarrten Erinnern an Thomas Bernhard eine fortwährende Zwiesprache herzustellen. Ganz ähnlich hat dies die SAG bereits in der Literaturhaus-Veranstaltung “Salzburg Seelen” (zum Allerseelentag) verwirklicht, in deren Rahmen Christine Haidegger ihre viel zu früh verstorbene Tochter Meta Merz würdigte. Waren hierbei noch alle möglichen “von uns gegangenen” Wortschöpfer_innen Gegenstand der Verbearbeitung, so legten die “Thomas Bernhard Sprachlandschaften” (bei den Kritischen Literaturtagen in der ARGEkultur) den Schwerpunkt ausschließlich auf den prominenten Namensgeber und “wie verschieden sie dann sind“. Denn all die mit-schreibenden und -lesenden Autor_innen befassten sich auf ihre jeweils eigene Art und Weise mit demselben…

Dichter_innen sind nun einmal naturgemäß Zeitreisende, in dem Sinn, dass sie nicht nur Zukünftiges ausdenken, sondern auch Vergangenes erzählen können. Und auch das Wort “Geschichte” hat diese zwei Bedeutungsebenen. Ich behaupte somit, dass “die Geschichte” aus lauter “Geschichten” besteht, andernfalls gäbe es sie gar nicht. Womit wir wiederum bei einer wesentlichen Aufgabe jedweder Dichtkunst angelangt sind: beim Erdenken, Bewahren und Weitergeben von allem, was war, ist und sein könnte, also zusammenfassend – beim Geschichte(n)erzählen! Soviel erstmal dazu.

“Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt.” Karl Kraus

 

COPY RIOT!

 

Hitler? Gott? Somuncu…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. AprilEndlich gibt es mal wieder ein Theater-Skandälchen, am Stadttheater zu Konstanz immerhin, wo justament zum “Gebortstag des Föhrers” die Farce/Groteske “Mein Kampf” von George Tabori Premiere hat, noch dazu in einer gegenwartsnahen Inszenierung des notorischen Kabarett-Rabauken Serdar Somuncu. Den kennen wir ja seit unserer Sendung “Urheber rechts” als todesmutig aus Hitlers schwindligem Original vortragenden Theaterdonnerer, der sich, vor allem durch seine kritischen Kommentare dazu, sechs Jahre lang mit Alt-, Neu- und Möchtegernnazis anlegte. Und nun sollen die Theaterbesucher in Konstanz auch noch Judensterne (wenn sie Eintritt zahlen) oder Hakenkreuz-Armbinden (wenn sie gratis reinkommen) tragen! Ein Skandal, oder?

Serdar Somuncu - Der Adolf in mirIn einer Talkshow des deutschen Fernsehens antwortet Somuncu auf die ewigdämliche Frage: “Was darf Satire?” dann auch folgerichtig mit: “Deine Mutter darf Satire!” Der Mann hat offenbar so seine Geschichte mit der deutschen Verbotskultur. In einem bemerkenswerten ZEIT-Artikel erfahren wir mehr über die Hintergründe: Als der kleine Serdar einst in die erste Volksschulklasse kommen sollte, da wurden sämtliche Kinder mit ausländischen Namen für die Sonderschule ausselektiert. Daraufhin brüllt sein Vater den Schuldirektor an: “Was heißt das? Wir Ausländer nix gut deutsch? Du Arschloch!” – So einen Vater hätten wir wohl alle gern gehabt, als wir mit 6, 7 Jahren zum ersten Mal der grausigen Menschenvernichtungsmaschine namens Abrichtung zur gesellschaftskonformen Anpassung ausgeliefert wurden. (Die “Menschenvernichtungsmaschine”, eine Art Fleischwolf mit Fließbändern zur industriellen Verwurstung von Kindern, zeichnete ich im Alter von etwa 5 Jahren, nachdem ich zum ersten und zum Glück letzten Mal in einem Kindergarten “betreut” worden war. Und ich erachte diesen Eindruck noch heute als absolut zutreffend.) Doch neben prägenden Erlebnissen aus der frühesten Kindheit beleuchtet das ZEIT-Portrait auch die weitere künstlerische Entwicklung:

Denn das Spiel mit dem Indifferenten, das einem das Lachen schon mal im Hals stecken bleiben lässt, diese Inszenierung der Mehrdeutigkeit, die einen unsicher macht, wo man denn eigentlich von vornherein “dazu gehört”, die hat System und Methode – und ist äußerst wirkungsvoll. Hören wir Serdar Somuncu also einmal im Original, bevor wir seine Version eines “immersiven Theaters” von uns weisen…

Nein, ich liebe euch,
und ich schieß nicht gleich,
warum habt denn ihr
so schrecklich Angst vor mir?
Ich bin Mensch und Christ,
und ein Revolver ist
kein Zeichen von Gewalt,
wenn ich ihn halt.

Georg Kreisler – Kapitalistenlied

 

Collide – These Eyes Before

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. April – Das höchst eigenartige Duo Collide aus Kalifornien hat das gegenständliche Album mit Reworks/Coverversionen von einigen unbestreitbaren Größen der Rockgeschichte herausgebracht. Darauf finden sich absolute Klassiker wie Space Oddity von David Bowie, Comfortably Numb von Pink Floyd, I Feel You von Depeche Mode oder Creep von Radiohead. Einige Jahre zuvor haben Collide auch schon White Rabbit von Jefferson Airplane verbearbeitet, eine Interpretation, die wir neben der von Patti Smith immer wieder gern in unseren Perlentaucher-Nachtfahrt-Sendungen einsetzen. Überhaupt finden wir das Konzept der Zweipersonenband sehr ansprechend, geht es dabei doch neben persönlicher Einswerdung auch um die Verschmelzung musikalischer Strömungen und Stile.

Collide“We just wanted to make the kind of music that we wanted to hear.” Dieser Selbstaussage von ihrer im übrigen erfreulich aufgeräumten und übersichtlich strukturierten Homepage können wir naturgemäß nur vollinhaltlich verfallen. Genauso wie der offenbaren Schwierigkeit aller Diplomgenrezuschreiber, ihr musikalisches Schaffen in das eine oder andere Schachterl zu pressen. Von Trip-Hop und Synth-Rock ist etwa die Schreibe, von Electronic, Techno, Industrial oder Gothic oder DarkwaveMuuuuhaha, da derstessen sie sich reihum, die versammelten Gscheitscheißer des kategorischen Definitionismus. Generell ist ja nichts gegen die Beschreibung dessen, was jemand macht, einzuwenden: Leise Lieder zur akustischen Gitarre oder bombastsymphonische Rockmusik mit Flugshow und Feuerwerk – das kann schon einen Unterschied erklären! Auch inhaltlich ließe sich einiges aussagen: Gesellschaftskritische Nachdenkballaden über den Globalisierungsgenozid oder Postmoderner Zitatentsunami zur gefälligen Bewusstseinszerweiterung. Welches Tüterl hättens denn gern? Aber dass es bei all dieser Genrefizierung gar nicht um Selbstwahrnehmung und Sprachphantasie geht, sondern um das gschwinde Gschäft mit der gefälligen Begriffigkeit, das verursacht schon einen gründlichen Kulturkrampf und Zivilisationsbrechreiz. Jedenfalls uns…

“If you’re on the fence on whether or not to pick up a copy for yourself, check out the reviews and decide for yourself.” So heißt es schönerweise bei Collide daheim. Wir können noch eine weitere Art der unmittelbaren Erfahrung anbieten: Gut zuhören!

 

der macht was er will

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. April April, April (kein Scherz!), der macht was er will. Das sollten wir uns zu Herzen nehmen! Oder auch der Macht, wenn sie macht, was sie will, das eigene Wollen entgegen – machen? Ein ganz schöner Abnützungskrieg, wenn man genau hinspürt. Marcello Da Forno sagte einst: “Willkommen daheim, hier wird der freie Wille freundlich umgebogen.” Wir befinden uns im Jahr 2018 nach Dings. Ganz Globalien ist von Kapitalisten besetzt. Ganz Globalien? Nein! Ein von unbeugsamen Selbstmenschen bevölkertes Medium hört nicht auf, den neoliberalen Eindringlingen Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Kommerzkasperln, die da als Beschwatzung in den befestigten Firmensendern Klimbim, Dumdum, Blablablah und Hollareidullijöh vor sich hin zwitschern…

macht wasIrgendwas mit Aquarium war da auch noch, glaub ich, oder wars Artarium? Egal, Idee oder doch lieber Tee? Allons, enfants terrible, wir spülen die Hitz zum Frühling letztjährig aus dem Saunastudio der Radiofabrik zu Salzburg, wo dir bei der kleinsten Bewegung der Schweiß aus allen Poren reihert. Feuchtwarme Nächte werden es bald gewesen sein, wenn heuer der Studioneubau wie angekündigt gelingt. Apropos Schweiß, ist es nicht seltsam, das immer nur der Krieg “ausbricht” oder sonst eine ansteckende Krankheit, nie jedoch der Frieden, der wird angeblich immer von irgendwem “gemacht”. Aber wer macht Sprache? Wehrmachtsprache? Und was macht Sprache? Was, Machtsprache? Mit Worten spielen kann nur, wer noch selbst Platz zum Denken hat. Also Raum als Produkt von Freiheit und Zeit. “Sie brauchen nicht denken, sie sind überdacht.” Diesen prophetischen Wortwitz zelebriert Konstantin Wecker nunmehr seit 35 Jahren: Im Namen des Wahnsinns. Und von Jahr zu Jahr wird er noch zutreffender. Bald haben wir alle genug Zerplatz.

der machtWas in Österreich Konsument heißt, nennen sie in Deutschland Verbraucher. Eine an sich schon sehr spezielle Wortwahl, wenn man die ökologischen Probleme des Planeten bewusst betrachtet. Konsum-End und Zerbraucher wären da wohl angebrachter! Und aus “Endverbraucherzertifikat” (einem Neusprechwort aus dem internationalen Waffenhandel) wird wortverspielerisch ganz schnell “Endzerbraucherverfickdiktat”. So lebendig die Sprachentwicklung im allgemeinen auch immer sein mag, die Wortwahl der Gesetzestexte ist nie eine demokratische. Gibt es also tatsächlich “kein richtiges Leben im falschen“, wie Adorno es ausdrückt, sind wir alle im Grunde geisteskrank, weil wir in einer wahnsinnigen Welt wohnen? Ein interessanter Gedanke, weil der im Umkehrschluss auch bedeutet, dass alle von der herrschenden Norm abweichenden zumindest graduell gesünder sein können. In dem Zusammenhang empfehlen wir die Gedanken von Kate Tempest, die wir im Artarium vorgestellt haben. Ansonsten, macht Sprache, wir machen nichts anderes.

 

Kate Tempest

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. April – Es ist schon so eine Sache mit dem Schöpferischen – und Salzburg ist wahrlich eine Hauptstadtdes Nachmachens. Vom Festspiel- bis zum Rockhouse klingt das Allermeiste irgendwie so ähnlich wie schon mal dagewesen. Nie gab es hier eine Punkband namens Thomas Bernhard oder Die Ursache, die Punk als Konzept ihrer Arbeit angewandt hätte und nicht fad nach der zwölfzigsten Wiederkehr des Erwartbaren schmeckt. Einen Unterschied zwischen originärem Schaffen und industrieller Reproduktion macht kaum noch jemand in diesem sich immer schwindliger drehenden Eventkasperltheater namens Kunst- und Kulturmartkt. Und der Mammonmoloch thront feist über den Dächern… Trotzdem gibt es Künstler_innen, die um ihrer Aussage willen auftreten – und wie!

Kate TempestKate Tempest aus London wird ja längst als “uncategorizable” oder “poet without borders” bezeichnet, was uns naturgemäß sehr gefällt, aber eben auch den Kontrapunkt zum eingangs Beklagten darstellt: Wie unsere fiktive Band das Wesen des Punk, so hat Kate Tempest das Wesen des Rap abstrahiert und in ein Schaffensprinzip übersetzt, das ihre Arbeiten erfrischend neuartig und überaus eigenständig macht – völlig im Gegentum zum sonst üblichen Genre-Abklatsch. Billy Bragg sagt über sie: “Zum einen bin ich beeindruckt, dass sie all das als weiße Frau tut. Und dass sie dabei ein echtes Gefühl von Verletzbarkeit rüber bringt, dazu auch ein Gespür für Humor. So etwas kriegt man nicht im Mainstream-Rap. Ich habe sie mit ihrer Band laut sein erlebt, ich habe sie ihr Publikums durch ihr leise sein geradezu hypnotisieren erlebt. Und das sieht man ja auch nicht oft in der Rap-Szene.” Gut gebrüllt, auch einige der Gründe, warum wir Hasen Rap nebst Hip-Hop & Co generell nicht soo genial finden, Spokenword und Performance Poetry in all ihren Spielarten dagegen durchaus! Ein gutes Beispiel dafür ist das Kate-Tempest-Projekt Let them eat Chaos, das zugleich als Gedicht in Buchform, als Studio-Album und als Live-Performance daherkommt.

Wir wollen euch diese Künslerin in einigen Facetten ihres vielseitigen Schaffens vorstellen. Sie einmal in Salzburg live zu erleben wäre begehrenswert, aber ist das leistbar, zahlt sich das rechnerisch aus? Geh scheißen, Geldsäckulum, g’stinkerts!

 

Wir fordern Frühling!

Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. MärzJetzt! Sofort! Augenblicklich!  Kalendarisch hätte der Frühling eigentlich schon angefangen, auch der Osterhase steht bereits erwartungsfroh vor der Tür – doch wir frieren immer noch an Leib und Seele, dass es nur so scheppert. Höchste Zeit also, einen lyrischen Kosmos gegen Kaltfront und Nachtfrust anzurühren! Einen inwendig warmen Polarluftschutz, aus dem heraus sich die Landschaft um uns wie durch Zauber verwandelt. Ein Wunder der Dichtung gegen die Tristesse der Vernunft. Ein Schlüsselblumenerlebnis gegen das sibirische Eisbärenballett. Lasset uns Frühling machen! Oder, wie ich es dem jüngst mit dem Günther-Anders-Preis für kritisches Denken ausgezeichneten Autor Dietmar Dath in den Mund schöbe: “Lasset uns davon berichten, wie es sein sollte!

Ursprung FrühlingEinmal in der Woche strahlt der Radiosender Ö1 eine Art Collage namens “Du holde Kunst” aus, in der eine Stunde lang Gedichte und instrumentale Musik zu hören sind. Diese Sendung wurde erstmals im Oktober 1945 vom ORF-Vorläufer “Rot-Weiß-Rot” produziert – und läuft seitdem ununterbrochen im öffentlich-rechtlichen Programm. Ihr ursprüngliches Ziel war, “dem vom Krieg und den unmittelbaren Nachkriegswirren zerrütteten Publikum die schönsten und edelsten Schöpfungen von Literatur und Musik nahe zu bringen” und “den Schmutz des Krieges aus den Herzen zu vertreiben.” Zudem sollte ihre “Lyrische Ästhetik eine Art Flucht aus dem harten Alltag vermitteln, aber auch die Sehnsucht nach einer lichteren und schöneren Welt zum Ausdruck bringen.” Ein Anliegen von bleibender Brisanz und – angesichts der Weltlage – auch von erschreckender Aktualität. Die dienstälteste ORF-Sendung erreicht nach wie vor (abgesehen von den Nachrichten) das meiste Zuhören und wurde sogar schon als Forschungsprojekt zur Lyrikvermittlung im Radio gewürdigt. So begegnen sich nun unsere Interessen, das Vermitteln von poetischer Schönheit als Gegenpol zum Weltwetter ist fürwahr auch in unserem Konzept ein roter Faden.

Allerdings erweitern wir, bei der Musikauswahl wie bei den Darstellungsformen, den engen bildungsbürgerlichen Kanon in ein experimentelleres Ambiente aus Pop, Jazz, Spokenword und Spontaneität. So feiert sich der totale Frühling, 73 Jahre nach dem Ende des II. Weltkriegs – und 20 Jahre nach dem Fall des Rundfunkmonopols

 

Kein Anschluss unter dieser

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. März – Nummer! So tönte es einst aus dem analogen Telephon, wenn man sich zum Beispiel irgendwie verwählt hatte. Und rund um den sogenannten Anschluss Österreichs 1938 konnte man sich ja sowas von verwählen, dass einem die direkte Demagogie förmlich in die Existenz einbrach, was nicht wenigen im Anschluss (sic) daran selbige kostete. Zum 80-jährigen Gedenken an diesen historischen Schwachsinn überschlägt sich die Medienwelt geradezu in nichtendenwollenden Dokumentationen, was wiederum Unlust und Unmut erregt, doch warum? Vielleicht, weil die Darstellung der Ereignisse, die dem 12. März 1938 vorausgingen, seit 1945 so ideologisch verbrämt und parteipolitisch besetzt sind, dass kaum je ein Redakteur dem diesbezüglichen Nachkriegskonsens entkommt…

vor dem anschlussVon einem Dreiviertelfaschismus schrieb Erich Fried im Hinblick auf derlei akadämliche Diskussionen später in seinem Text “Der große Tag von Linz”, den er als damals 16-jähriger zusammen mit seinem Vater vor dem Radio erlebte, aus dem “der letzte Bundeskanzler” (einer seit 1934 verfassungswidrig zur ständestaatlichen Diktatur umgeschwindelten Ersten Republik Österreich), Kurt Schuschnigg, sein klares und eindeutiges JEIN zum Deutschöstertum verlauten ließ: “Damit verabschiede ich mich vom österreichischen Volk mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!” Wes das Herz überquillt, des offenbart sich eben führer oder später. Derselbe so lauwarm daherweinerlnde “Führer der vaterländischen Front” hatte für die geplante Volksabstimmung über die Eigenstaatlickeit nicht einmal Stimmzettel für eventuelle Neinsager vorbereitet. Hätte man also für den Anschluss ans Deutsche Reich votieren wollen, dann hätte man sich den Stimmzettel dafür auch noch selbst mitbringen müssen. Alternativlos katholisch überhitlert der Austrofaschismus die deutschen Nazis dann doch – zumindest in diesem Detail. Denn deren Stimmzettel für die am 10. April tatsächlich durchgeführte Abstimmung hat immerhin ein Kreiserl fürs Neinwenn auch klein.

nach dem anschlussIm Nachhinein ist es oft leicht zu erkennen, wozu man von Anfang an lieber doch Nein sagen hätte sollen, wollen. Ja, wollen! “Wollen hätten wir schon mögen, nur dürfen haben wir uns halt nicht getraut…” (Karl Valentin) Doch nach wie vor ist das Jasagen oberstes Staats- und Erziehungsprinzip, so wie es auch “Das Nein” von Peter Turrini darstellt (zitiert aus “Zur Gesundung der österreichischen Seele” von Erwin Ringel):

Das Nein
das ich endlich sagen will
ist hundertmal gedacht
still formuliert
nie ausgesprochen.

Es brennt mir im Magen
nimmt mir den Atem
wird zwischen meinen Zähnen zermalmt
und verläßt
als freundliches Ja
meinen Mund.

Versuch einer Verständigung zwischen Konstantin Weckers Klassiker “Sage Nein” (unlängst neu aufgenommen mit ASP, Cetin Oraner und Conchita Wurst) und dem so typisch österreichischen Herumlavieren nach Nestroy: “Nein, justament nicht!”

 

Musas von Natalia Lafourcade

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. MärzDie mexikanische Sängerin macht sich gemeinsam mit dem Duo Los Macorinos auf die Suche nach ihren Inspirationen aus der weiten Welt lateinamerikanischer Klänge, nach ihren Musen sozusagen. So hat sie denn auch ihre zwei jüngsten Alben betitelt, nämlich Musas, deren erstes wir heute voller Freude zu Gehör bringen. Natalia Lafourcade war in den letzten Jahren als innovative Interpretin des Latin-Pop überaus erfolgreich, als solche auch bei der aktuellen Oscarverleihung zu Gast (was wohl nicht jedermanns Mainstream ist). In ihrem “Back to the Roots”-Projekt Musas jedoch spürt sie ernsthaft und feinsinnig all den Einflüssen nach, die sie im Lauf ihres Lebens und ihrer Karriere geprägt haben. Und in der Vermittlung dieser Musikwelt offenbart sie sich als eine echte Künstlerin.

Musas von Natalia Lafourcade„war wohl wieder ein gestrandeter abend, betrunken beraucht, antheringabend in freundes wohnung und ich meine rolle als nachtwächter selbsterfreulich einnehmend, nämlich ein sitzen vor der weltenscheibe mit zunehmender gedankenschwere und weiterer berauschung innerwärts – was die nacht erträglich macht. vor mir des internets abgrundsweite, zuflucht in bekanntem, oftgehörtem, abermals aberwitzigem, dann die suche nach bestimmtem, unbestimmt in der anzahl, unbestimmt auch die ungestümen einfälle im kopf des rauschenden…

und da erschien sie mir : in magenta und trübem blau, mit geschlossenen augen, geflochtenem haar und sang von einsamkeit und dem meer, von bolero und errötendem licht. unendliche sanftmut. stürmende lebenslust. es war echte musik, die schweben blieb im raum, mit dem rauch tanzte, sich mir ins spüren legte, an meine haut schmiegte – versickerte in jeder pompösen pore.

als ich vertraute war zeit ein wort ohne sinn
als wir verschmolzen färbte der himmel sich neu
als ich verstand begann erst mein fragen

in jeder zauberzüngigen zelle –
dort lebt sie nun, diese glühende welt, diese fremde so vertraute landschaft, lebt und wächst, verwebt und wandelt sich, mich.“