Jenseits von Jedem

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. April – Wie es inzwischen zur guten Gewohnheit geworden ist (“Es muss feste Bräuche geben, sagte der Fuchs”), spielen wir auch am heutigen Sonntag nach der Perlentaucher-Nachtfahrt wieder ein ganzes Album. Die bis zum Prädikat ­epochemachend stilprägende Band Blumfeld rund um den Autor und feinwahrnehmenden Musikpoeten Jochen Distelmeyer veröffentlichte anno 2003 eine hochverdichtete Gefühlsweltsynthese namens Jenseits von Jedem. Und auf diese Reise quer durch die ambivalentesten Mehrdeutigkeiten der darauf beschriebenen (und meisterlich in Musik umrahmten) Szenarien wollen wir uns und euch diesmal entführen (lassen). Dabei entdecken wir, dass wir alle Teil der selben Bewegung sind, sowohl von ihr bewegt werdend, als sie eben auch bewegend

Blumfeld - Jenseits von JedemGenau so ein “mediopassives Selbstverständnis”, von dem auch Hartmut Rosa spricht, das kommt in den verschiedensten Liedern auf diesem Album immer wieder zum Ausdruck. Was das über die Jahre mit mir gemacht hat (und was ich daher damit mache) und – warum uns gerade diese Musik in unserer letzten Perlentaucher-Nachtfahrt mit dem nicht ganz “eindeutigen” Titel “Ein multifaktorielles Umfangen” besonders beschäftigt, das sollen die einzelnen Stücke am besten selbst erzählen. Denn, wie schon der große Axel Corti in seinem letzten Schalldämpfer bemerkte: “Die Moral von der Geschicht IST die Geschicht.” Jenseits von jeglichem von wem wie auch immer zugeschriebenen Schachterl, in das eine Begegnung, ein Berührtwerden, eine Erschütterung oder eben auch eine Geschicht, die sich daraus erzählt, einsortiert werden soll, wohnt, lebewest, geht ein Prozess vor, werdendes wie vergehendes Verwandeln, dem wir sowohl ob- als auch unterliegen. Und in der minimalen Zeit, die es brauchen würde, um das gerade Stattfindende in irgendeine Definition zu befördern, hat sich das Leben in mehrere Richtungen zugleich weiter entwickelt.

Kurz nach der Auflösung von Blumfeld habe ich anlässlich der Vorstellung seines ersten Soloalbums “Heavy” mit Jochen Distelmeyer gesprochen – über Depression, die Ungerechtigkeit auf der Welt und die eventuelle Möglichkeit, durch öffentliches Ausdrücken der eigenen radikalen Selbstwahrnehmung wenigstens ein Stück von dieser immer in wechselseitiger Beziehung stehenden Innen-Außenwelt zu gestalten. Damals hatte ich den Eindruck, er antworte irgendwie ausweichend. Heute jedoch verstehe ich ihn als jahrelang gegen ihm auferlegte Kategorisierungen kämpfend.

Und als jemand, der sich entwickelnd seinen Weg geht. Der bis jetzt (soweit ich das aus der Ferne sehen kann) den meisten der über ihm abgeworfenen Käfigfallen in der Art von “Er ist dies, er ist das” entkommen konnte. Das macht mir Mut zu mir selbst, dazu, mir beim Entwickeln meiner Möglichkeiten wohlwollend und gelassen zuzuschauen. Die schlimmsten (und am schwersten zu entkräftenden) Verurteile sitzen ja schon längst tief in einem (oder einer) selbst. Denen wollen wir entgehen.

 

Jenseits von Jedem

 

Arielle wirft sich in Schale
Sie geht mit ihren Schwestern aus
Ihr Ex, der alte Egomane
Masturbiert und bleibt zu Haus
Und wer sie sieht, gerät ins Schwärmen
Was niemand weiß, sie ist verliebt
Sie möchte den DJ kennenlernen
Der zur Eröffnung Shanties spielt
Der Rabensohn ist auf der Flucht vor seinen Eltern
Er geht zum Karneval, verkleidet als Vampir

 

Lass uns nicht von Sex reden

 

Irgendwas mit Poesie

> Podcast: Artarium vom Sonntag, 30. MärzDa war doch was … in unserer letzten Sendung (mit Rupert Madreiter) reisten wir zurück in eine gemeinsam erlebte (und sehr spezielle) “Nacht der Poesie”. Und diesmal wollen wir etwas von dem, was in jener Nacht so eine erstaunliche Macht entfaltete, im Hier und Heute und als drei Dichterfreunde lebendig werden lassen. Denn “Gefühle in Worte fassen” vermag die gewaltigen Energien, die uns beleben, die uns gefährden, die uns entzücken, die uns verwirren oder genauso gut zerstören können, in eine für uns beherrschbare Kraft zu verwandeln und so wieder Ordnung im Gefühlsgestrüpp zu stiften. Vom Chaos zum Kosmos sozusagen, eine zutiefst selbstwirksame Erfahrung, die weit über unser viel zu verschämtes Selbstbild von Einzelwesen ohne Zusammenhang hinaus weist …

Irgendwas mit PoesieNachdem das Wort “Poesie” jedoch schon in vielerlei Weise zudefiniert ist, lohnt es sich unbedingt, sowohl im Etymologischen Wörterbuch als auch im Altgriechischen einmal selbst nachzuforschen. Dort finden sich erstaunlich viele Bedeutungen des Wortstamms ποιέω (von dem ja “alle Poesie ausgeht”, möchte man sagen). Und neben den erwartbaren wie “schichten, aneinanderreihen, bauen, dichten, schaffen, handeln, tun, bewirken” (und so weiter) begegnen wir da auch weniger geläufigen Ableitungen wie “berufen, sich verschaffen, etwas darbringen oder veranstalten, etwas leicht nehmen” und, und, und – noch vielem mehr. Unter anderem dem Wort ποίημα – “das Gemachte”, was zunächst “Machwerk, Metallarbeit, Werkzeug” heißt, und erst dann “Gedicht”. Sich seinen eigenen Kosmos – “Welt, Ordnung, Schönheit” im wahrsten Wortsinn zu erarbeiten, zu erschaffen – ja, zu erdichten – das ist unsere Einladung an uns selbst zusammen mit euch – poetisch zu sein und der Poesie nachzuspüren.

Um dies im Rahmen eines Artarium zu ermöglichen, wollen wir einerseits die Poesie unseres eigenen Dichtens und Denkens im gegenseitigen Vortrag wie im Gespräch zu Gehör bringen. Und andererseits (was immer auch zugleich bedeutet) der Poesie von textlich anspruchsvollen Musikstücken obliegen, die etwas von dem spürbar machen, was wir mit all den poetischen Energien und ihren Auswirkungen erleben. Dazu haben wir Beiträge von Schroeder Roadshow, Nina Hagen, Leonard Cohen, Rio Reiser und Misha Schoeneberg ausgesucht, fürwahr eine recht illustre Runde.

Sprach- und Gefühlskunst vom Feinsten.

 

Sendung 3: Wem die Stunde schlägt und Jethro Tull

Die dritte Literarische Stunde war für mich mit etwas Stress verbunden. In der Woche, in der ich sie produziert habe, habe ich auch meinen zweiten Roman fertig geschrieben. Hin- und hergerissen also zwischen absoluter Euphorie und ziemlichem Stress. Am Vormittag arbeiten am Buchlayout, ein Kapitel nochmal „schmirgeln“ und am Nachmittag dann ab ins Studio. Sowas hat man nicht alle Tage.

Umso mehr freute mich dann der Einstieg in die Sendung, knallhart Metallica mit „For whom the bell tolls“. Das Stück bezieht sich auf den gleichnamigen Roman von Ernest Hemingway, in dem es um den Spanischen Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939 geht. Der Song erschien 1984 auf dem Album „Ride the Light“.

Der Roman „For whom the bell tolls” wurde übrigens ein Bestseller, verkaufte sich im ersten Jahr über eine halbe Million mal und wurde innerhalb kurzer Zeit zum meistverkauften Buch Hemingways im englischsprachigen Raum. 1943 wurde der Roman Gary Cooper und Ingrid Bergman in den Hauptrollen verfilmt und für eine Reihe von Oscars nominiert.

Hemingways Frauenbild ist heute heiß diskutiert, seine persönliche Machohaltung würde zu sehr auf sein Werk projiziert, heißt es unter anderem. Was von Hemingway aber geblieben ist, nach einer Fülle von Werken, die noch immer lesenswert sind, ist sein „Eisberg Modell“.

Das Eisbergmodell (Iceberg Theory) ist ein theoretischer Ansatz, der zusammengefasst beschreibt, dass wir als Schreiber*innen über unsere Figuren so viel wissen müssen, wie der Teil des Eisberges ausmacht, der unter der Wasseroberfläche ist. Wir sparen das aber in unserer Erzählung aus, berichten nur das Notwendigste. Der eigentliche Inhalt einer Erzählung liegt nach Hemingway im Verborgenen. Ich tue mein Bestes, nach dieser Regel zu schreiben. Es lohnt sich, für Eine/n selbst.

Übrigens: Wenn Du Dich schon lange fragst, wie die Band Jethro Tull zu ihrem Namen gekommen ist: Henry Jethro William Tull war ein britischer Agrar-Pionier und wird als der Vater der Agrarwissenschaft erachtet. Er erfand unter anderem eine gezogene Hacke zum Jäten von Unkraut und war der Überzeugung, dass Pflanzen ihre Nahrung aus den Mineralien des Bodens ziehen können und dass organische Anreicherungen (Dünger) nicht nötig sind. Jethro Tull war damit ein Pionier der biologischen Landwirtschaft, lange bevor man diesen Begriff überhaupt kannte.

Musik
Metallica                                            For whom the bell tolls

Metallica                                            The Unforgiven

Jethro Tull                                          Aqualung

Dusty Springfield                                Son of a preacher Man

Stevie Wonder                                   Superstition

Fairport Convention                           Who knows where the time goes

The Youngbloods                                Darkness, Darkness

Studiogast
Stefan Moser, Buch-Macher aus Leidenschaft

Linktipps
Ernest Hemingway, eine Betrachtung des Werks 50 Jahre nach seinem Tod:

https://www.diepresse.com/674477/mein-lieblings-hemingway

Aqualung live: https://youtu.be/lO8a369YOQk?feature=shared

Living in The Past

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. März – – – Überraschendes von und mit einem Überraschungsgast. Soviel sei vorab verraten: Unlängst manifestierte sich ein jahrzehntelang aus meinem Blickfeld geratener Jugendfreund als wieder öfterer Gesprächspartner und es stellte sich heraus, dass uns viel mehr verbindet als lange Zeit angenommen. Dass wir, jeder für sich, über einzelne Erinnerungsbilder an eine gemeinsam verbrachte intensive Jugendzeit in den 70er Jahren verfügen, die erst in ihrem einander erzählen, untereinander vergleichen und wieder zu einem größeren Ganzen zusammenführen so etwas wie “lebendiges Wissen von dem, was damals wirklich war” erzeugen können. Daher nennen wir diese Sendung selbstironisch und in Bezugnahme auf das gleichnamige Jethro-Tull-Album auch “Living in The Past”.

Living in The PastWobei die Betonung auf “Living” liegt. Wir wollen hier definitiv keine sentimentale Ü-60 Nostalgie zum alleinigen Zweck besoffenen Schwelgens im “damals war alles schöner” ausrufen. Vielmehr sollen unsere Anekdoten jene Zeit dahingehend wieder lebendig werden lassen, dass erkennbar wird, welche Umstände unsere ganze “Generation von Kriegsenkeln” geprägt haben – und was für Gegebenheiten für unser Leben und unsere Entwicklung damals bedeutsam waren. Dabei ist naturgemäß ein absoluter Fixpunkt unseres Aufbruchs in die Gemeinschaft der Gleichaltrigen zu nennen, das inzwischen legendäre Mark (Markusheim) am Franz-Josefs-Kai. Die dort regelmäßig am Wochenende stattfindenden Musik- und Tanzpartys (dabei wurde Progressive-Rock vom feinsten zelebriert) waren für uns “unverzichtbare Gelegenheiten zur sicheren Zwischenlandung auf unseren riskanten Expeditionen in die uns umgebende wie die uns innewohnende Welt. Ein überaus wertvoller, kaum zu unterschätzender Beitrag zur Bewältigung der Unendlichkeit für uns als 15- bis 18-jährige.” Anders als die wohl der gesellschaftlichen Akzeptanz wie dem Wohlwollen potentieller Geldgeber geschuldete Darstellung als sozialarbeiterischer Interventionsraum

… haben wir diese Einrichtung als Probebühne des Selbstausdrucks, als Freiraum für unsere Versuche von Annäherung und Abgrenzung (außerhalb von Schule und Familie) sowie als Experimentierlabor für noch nicht definierte Möglichkeitsformen erlebt. Inwieweit die “politische Großwetterlage” Mitte bis Ende der 70er Jahre dazu beigetragen hat, eine positive Entwicklung jugendlicher Selbsterforschung in die gesamtgesellschaftliche Integration zu begünstigen – und was dabei (und wodurch manches) auf der Strecke geblieben ist – darüber machen wir uns eben Gedanken.

Wie wir zusammen zu einem gleichzeitig erlebten Moment des Einsseins mit dem Universum (und zwar nach einer gemeinsam durchdichteten Nacht ohne Alkohol oder sonstige Drogen) gelangten, auf welchem Weg das damals für uns eine bedeutsame Rolle spielende Album “Spartacus” von Triumvirat an unser Gehör (und in unsere Gehirne) gekommen ist, worin wir uns bei unseren ersten Versuchen, Sexualität mit Beziehung in Einklang zu bringen, gut widergespiegelt fanden und, was derartige Erfahrungen im Kontext damaliger Musikstile ins Heute übertragen sein könnten

 

Living in The Past!

 

Battle&Hum#148

Samstag 15.03.2025 (Stairway zum Nachhören)

Ein Ohrgien-Mysterienspiel der Sonderklasse!

 

MC Randy Andy’s erogene Zonen:

  1. Blumfeld (verbotene früchte) – der apfelmann
  2. Ikkimel (fotze) – baddie
  3. Bloodhound Gang (hooray for boobies) – three point one four
  4. Drahdiwaberl (jeanny’s rache) – dauererektion

 

DJ Ridi Mama’s Lustbringer:

  1. Genesis (7“ single) – I can’t dance
  2. EAV (7“ single) – heiße nächte (in palermo)
  3. Tears for fears (7“ single) – shout
  4. Snap (7“ single) – the power

 

„Und da kam Herr Wichsmann unter meinen Wasserhahn, ach war das toll“ (Nina Hagen im Song „Heiß“)

 

Zur Abstimmung folget dem LINK!

 

Scheiterhaufen – O.K.! (Album)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. MärzWir sind Perlentaucher. Und manchmal stellt sich die Frage, wo so ein im Strom der Gezeiten angefundenes Kleinod (die wir in unseren Radiobiotopen gern vorstellen) ursprünglich herkommt. Höchste Zeit für eine Berichtigung. Die Rede ist von dem sehr besonderen Album “O. K.!” von Scheiterhaufen, das auch wir immer wieder fälschlicherweise einem gleichnamigen DJ-Kollektiv aus dem Salzburger Innergebirg zugeordnet haben. Nachdem wir uns unlängst entschieden hatten, dieses fürwahr außergewöhnliche Werk endlich einmal in seiner ganzen Gesamtheit zu spielen, machten wir uns auf die Suche nach den eigentlichen Urhebern desselben. Und – wir sind wirklich fündig gewordenim benachbarten Deutschlandin der Zeit der Jahrtausendwende

Scheiterhaufen OK (Cover)Dort und damals entschlossen sich zwei Freunde, die sich für selbst geschriebene und vorgetragene Texte begeisterten, damit etwas ganz eigenes zu machen. Sie waren einerseits fasziniert von all den Ausdrucksmöglichkeiten, die das in jener Zeit aufkommende HipHop-Genre mit sich brachte, andererseits aber zutiefst abgestoßen von dem, was sich daraufhin als zunehmend populär werdender Deutschrap” oder eben deutscher HipHop in ihre und unsere Gehirne drängen sollte. In dieser Situation schufen sie ein (in unseren Ohren) Meisterwerk der Sprachkunst, das noch dazu aufgrund seiner alle gängigen Klischees des kommerziellen HipHop ad absurdum führenden Beats so etwas wie “genresprengend” wurde. Einer von den beiden, Kamal Nicholas, kann sich an den Entstehungsprozess und die ersten Aufnahmesessions dieses Albums erinnern und erzählt dabei Erstaunliches: Zwei Freunde texten (jeder für sich) zu einem jeweils gemeinsamen Thema und verbinden ihre Beiträge sodann in spontanen One-Take-Aufnahmen zu den einzelnen Tracks.

Scheiterhaufen - OK (Album)Das ist eine Herangehensweise, die unserem eigenen “Workflow” beim Radiomachen und unserem Umgang beim spontan-assoziativen “sich zusammenfinden lassen” von Musik- und Textstimmungen sehr nahe kommt. Auch deshalb ist uns derart zustande Gekommenes in seiner endgültigen Gestalt (was immer wieder nur eine Momentaufnahme sein kann) so sympathisch. Wenn wir eine Themensendung wie “Triptychon zur Traurigkeit” erschaffen, dann ereignen sich dabei sowohl im Vorfeld als auch Live On Air ganz ähnliche Prozesse wie beim heute mit Freude vorzustellenden Scheiterhaufen. Und dass wir deren bemerkenswertes Mund- und Klangkunstwerk in sendetauglicher Qualität mit euch teilen können, verdanken wir Klaus Donarski, der als DJ Zapotek an der Produktion einer im nachinein herausgekommenen CD-Version beteiligt war.

Weiterführende Links:

Kamal Nicholas aka Soda auf Bandcamp

Mnemotrauma – Der Audiopath (von Klaus Donarski)

Homepage von subversive*rec (offbeaters)

Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Mozartkugeln scheiß …

 

Like A Complete Unknown

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. März“Kommst du mit ins Kino?”, frug ich den Hasen – und schon waren wir mittendrin in der Diskussion unserer inzwischen recht verschiedenen Zugangsweisen: “Ich ertrage keine Synchronfassungen mehr, weil ich mir Filme und Serien seit Jahren nur noch in ihrer Originalsprache anschaue.”, erklärte er. “Für mich stellen Übersetzung und Synchronisation eine eigene Kunstform dar, die ich zusätzlich zum Film an sich genieße.”, erwiderte ich. Dabei läuft “Like A Complete Unknown” im Filmkulturzentrum DAS KINO sowieso in der Originalversion mit deutschen Untertiteln. Und ist aufgrund seiner “etwas anderen” Erzählweise auch in dieser Gestalt überaus zugänglich, weil er die Entwicklung des jungen Bob Dylan vom akustischen Folk zum elektrifizierten Rock in vielen seiner Songs live zeigt.

Like A Complete UnknownUnd seine Songs sind eben genau so bekannt, wie His Bobness (oder wie immer er genannt werden mag) sie selbst singt, auf Englisch. Ich habe mich also in das Original mit Untertiteln hinein begeben und war einigermaßen erstaunt, wie ein über zweistündiger Film die Geschichte einer zunehmenden Deutungsverweigerung in 23 Songs sowie Ausprobiersituationenen erzählt, gefühlt über die Hälfte der gesamten Zeit. Und dabei durch die Dialoge dazwischen, die aufeinanderfolgenden Ereignisse rund um die immer enigmatischeren Aussagen einen insgesamt glaubhaften, nachvollziehbaren Entwicklungsweg zeichnet. Ich bin aus dem Film wieder aufgetaucht und war – ja, waszufrieden. Wie nach einem guten Essen, wo nichts zwickt, drückt oder übrigbleibt. Like A Complete Unknown – man kann die Geschichte des Rätselhaften erzählen. Ohne zu versuchen, sie aufzulösen. Ein offenes Ende, das sich nicht nervig anfühlt und keine losen Fäden herumhängen lässt. Chapeau! Timothée Chalamet, der sich die Person von Bob Dylan derart anverwandelt, als wäre es keine Rolle und er auch kein Schauspieler, sondern alles zusammen, der Film, die Geschichte und auch er selbst eine fortwährende Verwandlung, wächst dabei geradezu über sich hinaus.

Im Vorfeld der Veröffentlichung dieses eigenwilligen Filmprojekts war viel darüber zu erfahren, wie er sich mit Techniken des Method Acting über einen Zeitraum von 5 Jahren in den großen Unbekannten oder eben in der Originalversion “A Complete Unknown” einlebte, um ihn möglichst selbstverständlich verkörpern zu können. Wir haben jenen Artikel des Rolling Stone Magazine gefunden, auf den sich die meisten dieser Berichte beziehen. Und wir haben ein Salzburger Musikprojekt entdeckt, das sich als “Madagascar – A Bob Dylan Phantasmagoria Bootleg Series” bezeichnet.

Das Rätselraten geht also weiter. Und die Antwort auf alle Fragen (it’s blowing in the wind, you know) sind wir selbst. Fragen, auf die wiederum Fragen antworten …

 

Sendung 2: Von Kate Bush zu Geistern in Nordengland

„Wuthering Heights“ von Emily Bronte habe ich zum ersten Mal gelesen, als ich 14 war. Wir schrieben die 1980er Jahre und ich war auf Schüleraustausch in Großbritannien. Für mich war es ein durchgängiger Aha-Moment, als meine Gastfamilie mich zu genau dem Haus brachte, in dem die Bronte Schwestern aufgewachsen sind, die Gegend, in der die Romane der drei begabten Pfarrerstöchter spielten. Hügel, Schafe, Nebel, Einsamkeit und irgendwo der Wind, der von unglaublichen Familiengeschichten und alten Herrenhäusern erzählt. Und vom ein oder anderen Gespenst.

Seit damals bin ich viele Male nach England gereist und habe dem alten Pfarrhaus immer einen Besuch abgestattet. Die Gegend hat es mir angetan und Kate Bushs Umsetzung des Romans macht mir nach wie vor Gänsehaut. Im Zuge der Recherche für diese Sendung habe ich noch einiges über die Künstlerin erfahren, dass ich nicht wusste, zum Beispiel, wie jung sie war, als sie den Song geschrieben und aufgenommen hat oder dass Kate Bush eine klassische Studiokünstlerin ist und kaum Live Auftritte gibt. Man lernt nie aus!

Musiktechnisch darf auch in dieser Sendung der gute, alte Rock nicht fehlen. Ich präsentiere Deep Purple und Bad Company und mein Studiogast Tomas Friedmann brachte eine seiner Lieblingsinterpretinnen mit, betont aber, dass er in seiner großen Musiksammlung nicht wirklich einen liebsten Song festmachen kann. Ich ja auch nicht 😉

Zum Abschluss der Sendung gibt es jede Menge Veranstaltungstipps aus dem Literaturhaus Salzburg und Musik vom Feinsten, so zum Beispiel Element of Crime. Ich freue mich schon sehr auf die Frühlingsausgabe. Und auf den Frühling. Eure Fragen schickt gerne an info@romanahasenoehrl.at

Studiogast
Tomas Friedmann, Geschäftsführer Literaturhaus Salzburg

Linktipps
Kate Bush erste Tournee: https://youtu.be/tQoXkSwtT6I?feature=shared

It’s all over now, Baby Blue

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Februar – Wie umgehen im Leben? Wie umgehen mit der Angst? Unlängst drang Ungeheuerliches aus der Verhandlerei von FPÖ und ÖVP, etwa zum Thema Medienpolitik: So sollten die gesetzlich verankerten Förderungen für den Freien Rundfunk massiv gekürzt werden. Statt dessen sollten sogenannte “Alternative Medien” mit öffentlichen Geldern versorgt werden, der FPÖ nahestehende Propagandaplattformen, die jenseits jedweder journalistischer Qualitätsstandards hauptsächlich faktenferne Volksverwirrung verbreiten, gepaart mit parteilicher Lobhudelei im Sinne eines seltsamen Personenkults um den kleinen Mann, der die Partei des kleinen Mannes anführt. Kunnst dir vorstellen, dass sich Bob Dylans “Baby Blue” auf den kleinen blauen Brillenschlumpf anwenden ließe?

Baby BlueUnmittelbar nach dem Scheitern der Kollisionsverhandlungen zur Bildung einer blauschwatzen Bundesgierung ging bei mir der nächste Angstfilm an den Start: Es wird Neuwahlen geben und dadurch werden die Wahnsinnigen noch stärker werden… Doch dann gelang es mir, für einen Moment das wohlig warme Gefühl der Erleichterung aus meinem Bauch aufsteigen zu spüren und ich beschloss, jetzt und hier zunächst einmal diesen Augenblick zu genießen. Und mich von jeder auf mich einstürmenden (und in mir hochsteigenden) Katastrophenhysterie zu distanzieren. Ich habe weit wichtigeres zu tun, als mich von geisteskranken Kriegsgewinnlern des menschlichen Abgrunds in denselben mitreißen zu lassen. Zum Beispiel meine eigenen Abgründe auszuloten und die vielen vernachlässigten Kinder in mir selbst in Sicherheit zu bringen. Denn niemand anders kann mir meine Welt reparieren… Und nirgendwo anders beginnt die Welt, in der wir alle miteinander verbunden sind.

Ich habe die Nazis überlebt und daher weiß ich auch, wie naheliegend und verlockend es ist, den eigenen Schmerz nicht fühlen zu müssen, indem man ihn jemand anderem zufügt. Genau da beginnt die Täter-Opfer-Umkehr – als Opfer-Täter-Umkehr in einem selbst. Du kannst dir selbst als Baby begegnen (und das ist eine Herausforderung) oder du wirst als aufgeblasenes, wutverstopftes und ständig unzufriedenes Riesenbaby in der Welt herumsausen und andere Unzufriedene um dich versammeln, die so wie du keinen Gefühlszugang zu sich selbst haben und unweigerlich Unheil anrichten.

Das Sympathische bei Bob Dylan dagegen ist, dass seine Wortbilder sich seit jeher jeglicher Definition entziehen. So rätselt die Gemeinde der Dylandeuter:innen immer noch daran herum, wer mit Baby Blue eigentlich gemeint sein könnte. Das Schöne am gefühlsdenkerischen Zugang, wie wir ihn pflegen, ist wiederum, dass sich dieser Text bei jeder neuen Betrachtung wie von selbst interpretiert: Christopher Schmall – blau, gewesen. Und so geht auch das mit dem Brillenschlumpf. “Ach, geh mir doch weg.” Prinzessin Dylia weiß intuitiv, wie man den garstigen Gnom wieder los wird.

PS. Es gibt einen neuen Dylan-Film, der bezeichnenderweise “Like A Complete Unknown” heißt und hier im BR-Magazin Capriccio herzallerliebst vorgestellt wird. Ab Donnerstag, 27. Februar jeweils um 17:00 und danach um 20:15 im DAS KINO.

“Sie sollten dich wie lassen?” – “Wie auch immer sie mich nicht haben wollen.”

 

Battle&Hum#147

Samstag 15.02.2025 (Stairway zum Nachhören)

Dr. MC Quinzel und DJ Eulenspiegel setzen euch den Schalk in den Nacken.

 

MC Randy Andy’s Mummenschanz:

  1. Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen (alle ampeln auf gelb) – alle ampeln auf gelb
  2. David Lynch (crazy clown time) – crazy clown time
  3. Aldous Harding (designer) – the barrel
  4. Nina Hagen Band (unbehagen) – african reggae

 

DJ Ridi Mama’s Schabernack:

  1. Maneskin (teatro d’ira – vol. I) – i wanna be your slave
  2. Central Cee (can’t rush greatness) – GBP
  3. Stormtroopers of Death (rise of the infidels) – milano mosh
  4. Soap&Skin (torso) – the end

 

Ich habe dich so lieb!

Ich würde dir ohne Bedenken

eine Kachel aus meinem Ofen

schenken.

(Joachim Ringelnatz)

Zur Abstimmung folget dem LINK!