Maibam Oida

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 5. MaiWir vorverlegen uns diesmal um eine Woche, weil die Radiofabrik zum Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai 2023 eine “Lange Nacht der Pflege” der Pflegestützpunkt-Redaktion von Radio Helsinki übernimmt/ausstrahlt. Da stellen wir keinen Bam auf – das werden wir auf jeden Fall unterstützen. Abgesehen davon – Maibam oder mei Bam? Oder hängt das nicht eh alles unentwirrbar zusammen mit der allgemeinen Selbstermächtigung des Frühlings? “Des is mei Bam”, rief ich aus, als ich ihm unlängst wieder begegnete. Ich hatte ihn nämlich in den 60ern (da waren wir beide noch sehr klein) gemeinsam mit meinem Vater aus einer entlegenen Fichtenplantage befreit und ihn danach in den Garten meiner Tante verpflanzt. Dort steht er noch heute: Lebendiges Trotz alledem.

Maibam Oida KirchenturmOb Bam, Bimbam oder Maibam – wir spüren jener Lebenskraft nach, die allfrühlinglich das Wachsen, Werden und Wiederauferstehen in der Natur (auch in der Natur des Menschen!) bewirkt. Und jenen Kräften, die dem Austrieb entgegen wirken und die uns vom fröhlichen Erigieren himmliger Fruchtbarkeitssymbole abzubringen trachten. Das wird ein Reigen der widersprüchlichen Gefühlszustände, jedoch mit Betonung auf dem Kraftvollen, das eher nicht in äußerlichem Protz besteht (hihi), viel mehr in innerer Bewegung. Oder – was macht das Gras wachsen? Was genau? Eben. Und in diesem Sinn einer Hinwendung zum Kern der Kulturgeschicht’ kannvom Penis bis zum Glockenturm – alles vorkommen, was zu einer ordentlichen Emanzipation von den erfundenen Beherrschvereinen taugt. Hoch die internationale Maibamfeier und Freundschaft dem Frühlingserwachen! Keine noch so perfekte Weltausbeutung kann das Leben an sich zerstören. Doch sie kann es für uns unerträglich machen – und dagegen gilt es nicht enden wollend anzusenden – was wir hiermit wieder tun.

Maibam Oida ÖtscherpenisIm Freien Radio – was ja schon insofern sympathisch ist, als es demokratische Entscheidungen ermöglicht, die sich einer falsch verstandenen Sprachhygiene (“Dirty Words”) verweigern und uns so genügend Freiraum für den legendären Schwanz aus der “Alt-Wiener Futoper” bereitstellen. Es geht hier um Lebenskraft, auch im Widerstand gegen die drohende Auslöschung. Und angesichts des schon bald bevorstehenden 100. Geburtstags von Ernst Jandl müssen wir uns mit aller Entschiedenheit seiner eigenen Forderung anschließen: “Ich will, dass meine Sprechgedichte weiter ertönen, auch über die kurze Dauer meiner Stimme hinaus.” Dabei meinte er die “kurze Dauer” seiner Lebenszeit. Entschuldigen sie hin oder her – es muss weiter gejandelt werden! Wesentliches auch jenseits des “kommerziellen Mainstream” wieder beleben – und bewahren, das ist unser subjektives Interesse. Ähnlich gestaltete derlei Brita Steinwendtner

Maibam Oida PhantasieDie Welt der Kunst, Musik, Literatur bietet sich darüber hinaus zur freien Entnahme in Gestalt einer inneren Zeitreise an. Du wanderst durch dein Leben und nimmst, je nachdem, was dich gerade anspricht, etwas aus den Regalen der unendlichen Möglichkeit, eine Geschichte, ein Lied, eine Lesung, ein Gedicht, ein Stück, ein Bild, ein Erlebnis … Und du nimmst es in dich auf, spiegelst dich darin, erkennst dich selbst wieder in etwas, das jemand ganz anderer vor langer Zeit, oder erst unlängst, aufgenommen, aufgeschrieben, aufgezeichnet hat. Ziemlich zufällig und ohne vorherigen Plan entdeckst du deine Welt in der Welt vieler Welten und wirst dadurch immer reicher an Erfahrung, die du mit ihnen allen teilst. Du hast Gefühle (sind es deine oder sind es ihre?) und willst sie ausdrücken (so wie die anderen oder so, wie es für dich stimmig ist?). Du sprichst vom Zauber der Verwandlung und vollführst (ist es dir bewusst oder ereignet es sich einfach so?) magische Phantasie. Denn in der Imagination steckt schon die Magie. Und in der Vorstellungswelt der Vielen, wie auch in deiner eigenen, warten längst viele Ausdrucksformensprungbereit wie die Knospen der Bäume im Frühling.

Alles was du siehst gehört dir.

 

Auslöschung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. April – An diesem Sonntag im April jährt sich zum 85. Mal die “Salzburger Bücherverbrennung”, die kurz nach dem “Anschluss” Österreichs 1938 von fanatisierten Salzbürgern (und -innen!) inszeniert worden ist. Und auch in diesem Jahr lädt die Inititive Freies Wort wieder zum Gedenken an die Auslöschung von Gedanken, Worten und eben auch menschlichen Existenzen ins Literaturhaus – zum “Widerstand” (am Sonntag, 30. April um 11:00 Uhr). Wir fragen uns, wer damals alles “verbrannt” worden ist und was die da so geschrieben haben, dass es gar so dringend “ausgemerzt” werden sollte. Wir bieten Innenansichten aus dem Werk von Stefan Zweig und überlegen uns, was das mit einem Autor (oder einer Autorin) macht, wenn er/sie in Todesangst aus der eigenen Sprachheimat weg muss.

Licht am Ende

“Aber wenn auch nur ein Wahn, so war es doch ein wundervoller und edler Wahn, dem unsere Väter dienten, menschlicher und fruchtbarer als die Parolen von heute. Und etwas in mir kann sich geheimnisvoller Weise trotz aller Erkenntnis und Enttäuschung nicht ganz von ihm loslösen. Was ein Mensch in seiner Kindheit aus der Luft der Zeit in sein Blut genommen, bleibt unausscheidbar. Und trotz allem und allem, was jeder Tag mir in die Ohren schmettert, was ich selbst und unzählige Schicksalsgenossen an Erniedrigung und Prüfungen erfahren haben, ich vermag den Glauben meiner Jugend nicht ganz zu verleugnen, dass es wieder einmal aufwärts gehen wird trotz allem und allem. Selbst aus dem Abgrund des Grauens, in dem wir heute halb blind herumtasten mit verstörter und zerbrochener Seele, blicke ich immer wieder auf zu jenen alten Sternbildern, die über meiner Kindheit glänzten, und tröste mich mit dem ererbten Vertrauen, dass dieser Rückfall dereinst nur als Intervall erscheinen wird in dem ewigen Rhythmus des Voran und Voran.” So beschreibt Stefan Zweig im Exil rückblickend seine verlorene Welt der Sicherheit – in seinen posthum erschienen Erinnerungen eines Europäers Die Welt von Gestern. Traurig, aber wahr.

Und die Frauen? Wir haben eine Dichterin entdeckt, die nach ihrer Vertreibung dort geblieben ist, wo man sie aufgenommen hat – und die das Tragische des Dichters im Exil in ihrem gleichnamigen Gedicht meisterhaft zum Ausdruck bringt. Damit wollen wir euch jetzt euren Zuständen überlassen – und euch zugleich zum Zuhören einladen, denn in unserer Sendung gibt es noch mehr zu entdecken von und mit Bertolt Brecht, Theodor Kramer, Stefan Zweig, Carl Zuckmayer und eben jener Stella Rotenberg:

Der Dichter im Exil

Mir muss Vergessenes reichen;
mit Verschollenem halte ich Haus.
Aus Verdämmerndem klaube
ich Scherben von Silben zu Wörtern heraus.

Das sind noch gesegnete Tage.
Scherben sind endlicher Hort.
Wo hole ich, wenn die Verstummung kommt
Buchstaben für mein Wort?

 

PS. Empfehlenswerte Materialsammlung, bereitgestellt vom Friedensbüro Salzburg – rund um die Salzburger Bücherverbrennung und durchaus noch darüber hinaus.

 

Urwald und Gefühle

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. April – Es war mein Freund und Kollege Christopher Schmall, hier besser bekannt als der Hase, der beim Betrachten von einigen wundersamen Fever-Ray-Videos zu ihrem Album “Radical Romantics” ein wiederkehrendes Motiv entdeckte: In eine von technischen Geräten und Abläufen geprägte Welt dringt immer wieder elementare Natur als ungezähmte Wildnis ein. Und dieses Element wild wuchernden Lebens, das da auftaucht, das beglückt und auch verstört, das drängt sich als gelungene Metapher für unser Gefühlsleben auf. Schon bei unserem ersten Gespräch über diesen Umstand erinnerte ich mich sofort an meine intensiven Gefühle, die ich vor Jahrzehnten im Urwald von Dürrenstein” erlebt habe – und die mich in ihrer abgründigen Ambivalenz seither beschäftigen.

Urwald und GefühleSind wir heutigen Menschen nicht immer in zwei unterschiedlichen Welten zugleich zuhause? In der technisierten Welt, in der wir die Summe vieler Errungenschaften der gesamten Menschheit im Umgang mit der Natur wie selbstverständlich anwenden. Und in der Gefühlswelt, in der uns nach wie vor die selben Elementarereignisse umtreiben wie zu Beginn der Kulturgeschichte oder als Kind: Freude ist und bleibt Freude, Angst ist und bleibt Angstdas Unwägbare ist und bleibt unwägbar, auch wenn wir noch so viel Sicherheit einziehen. Wir können unsere elementare Gefühlsnatur nicht portionieren und in Dosen abfüllen – jedenfalls nicht, wenn wir in elementare Situationen unseres Lebens geraten, so wie jene, mit denen sich Fever Ray auseinandersetzt. Etwa gewohnte Sicherheiten loslassen zu müssen, um sich einem anderen Menschen rückhaltlos anzuvertrauen, um Liebe zu erleben, eine neue (oder eh immer schon die eigentliche) Identität einzunehmen.

Die Kunst besteht darin, in beiden Welten zu leben, ohne die eine gegen die andere auszuspielen. Ohne die eine auf Kosten der anderen als die einzig wahre, als allein seligmachend zu begreifen. Sie verstehen lernen, sie verändern und gestalten, und sie nicht zerstören. Das ist meine Idee von so etwas wie Frieden, der bei sich selbst beginnt. Einmal habe ich mich sehr gleichzeitig in diesen beiden Welten befunden: Und zwar als ich eines Nachts in einem fahrenden Auto einer Bärenmutter mit zwei Jungen begegnet bin, die in der selben Richtung die Straße entlang gelaufen sind …

und ich einen Moment innehalten konnte.

 

Radical Romantics

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. April – Wir wollen in Frieden leben. Wir haben Angst. Wir streben nach Glück. Aber was ist Glück? Wer bin ich – und wenn nicht, warum trotzdem? Karin Drejer oder vielen besser bekannt als Fever Ray legt uns auf ihrem unlängst erschienenen Album “Radical Romantics” eine Welt voller Fragen vor, die sich keine einfachen Antworten leistet. Stattdessen verschiedene Möglichkeitsformen, die in ihrem Werden und Vergehen in einander verwehen – und dergestalt das Wesen dieser Welt deutlicher erscheinen lassen, als wenn man versuchte, ihr ein Schachterl nach dem anderen aufzusetzen. Dahinter, darunter und im Dazwischen tanzt das Leben und spiegelt sich dabei in vielen Facetten, die so erfrischend wie verstörend anders sind ….. “Just a little touch”

Fever Ray - Radical RomanticsEin Anzug tragendes Menschengeschöpf starrt auf die Mikrowelle, in der sich eine Zimtschnecke dreht. Eine Tür öffnet sich in überbordende Wildnis. Eine groteske Fratze säuselt sehnsüchtig Zärtlichkeiten ins Ohr, leckt sich die Finger. Rachegelüste einer Mutter. Fingersprache auf schläfriger Haut. Ein Sog grenzenloser Lust und Sucht nach Berührung. Ein feuchtes Waldstück, in dem Nebel tanzt.

Karin Dreijer/Fever Ray geht es in ihrem multimedialen Schaffen nicht um eine verklärte, aufgebauschte Vorstellung von Liebe und Verliebtsein, sondern vielmehr um körperliche Extreme, sinnlichen Extremismus; Abgründe und Höhen des alltäglichen L(i)ebens; ambivalente, widersprüchliche Bedürfnisse und Phantasien; um den völlig freien, den von jeglichen normativen Denkmustern befreiten Ausdruck der inneren Vielfalt. Etwas sanfter als auf dem 2018 erschienen Album “Plunge”, auf dem sie sehr radikal und offensiv ihre sexuelle Selbsterkenntnis verdichtete, scheint sie in “Radical Romatics” zuhause angekommen zu sein, was wiederum seine eigenen Absurditäten, Katastrophen und Wunder bereithält.

“Holding my heart while falling”

Ja, ich bin den lieblich-schrägen Synthesizerlandschaften verfallen und dieser Stimme, die nie nur eine Stimme zu sein scheint, in der stets zwischentonale (An)deutungen und Emotionen oszillieren. Mich hat eine Sound- und Bildflut erfasst, die mich antreibt wieder selbst mit Ton, Klang und Rhythmus zu experimentieren. Jenen Gefühlen und Ideen Gestalt zu geben, die zur Musik streben. Das Album tanzt in mir. Ich muss tanzen. Es verlangt nach Bewegung und ungehemmter Neugier aufs eigene Sein und die Verschmelzung mit Anderen. Sich selbst als weich und wandelbar zu begreifen, die Lüge der Starrheit und Eindeutigkeit anzuerkennen, das braucht Mut und Phantasie.

PS. Unbedingt diese Videos anschauen!

 

Engelsgeflüster kommentiert „Kein Kommentar“

Sendetermin: Dienstag, 4. April 2023 um 20 Uhr auf der Radiofabrik Salzburg

Was ist schöner als eine Radiosendung? Zwei Radiosendungen. Diese Folge Engelsgeflüster ist zwei Radiosendungen in einer. Wir sprechen mit Radio Orange Sendungsmacher Herbert Auinger über „Kein Kommentar“. Was ist seine Motivation und sein Antrieb?

Cartoon Engel Moderator

Cartoon Engel Moderator (erstellt mit openai DALL-E)

Gemeinsam sprechen wir über sein aktuelles Thema „Victim Blaming“, welches durch einem Prozess in Salzburg ergeben hat. Ich stelle ihm die Frage: Warum „Victim Blaming“ nicht verschwiegen werden soll, sondern ganz im Gegenteil mehr Öffentlichkeit bekommen sollte.

Far more in common

> Sendungen: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. April“We have far more in common than that which divides us.” (Zitat von Jo Cox) Ich kann mir ja auch nie sicher sein, ob man rinks und lechts wirklich so schwel velwechsern kann – und ob das da auf dem Bild noch ein Baum ist oder schon ein Witz, den diese Stadt über sich selbst erzählt. Wir wagen einen Versuch wie immer mit kontrastierender Musik und kontroversen Texten, doch ohne ­“Moral von der Geschicht”. Die ist und bleibt ein offenes Ende und der eigenen Phantasie überlassen. Das Schöpferische in uns will nämlich zur Geltung kommen und soll dabei schön zweckfrei bleiben dürfen! Es geht ums Herzeigen und ums Verstecken, aber gleichzeitig und ausgewogen. Da kann ich mich verbinden ohne zu verschwinden. Das beglückt und schmerzt zugleich.

Far more in common (Hase 1)Ich liege nackt auf dem nassen Boden. Über mir flimmert goldenes Licht. Blätter fallen auf meine Haut – ein Atemhauch vergangener Träume. Ich spüre die Stille um mich herum und nehme sie an. Ich umarme die langsame Ruhe, das Schreien der Vögel, das Surren der Insekten, die Fühler der Ameisen. Ich bleibe liegen. Warte auf etwas, ohne zu wissen auf was. Ich weiß nur es wird kommen … Vom Wesen des Hasen inspiriert zu einem friedvolleren und gewaltfreieren Menschendasein – auf einer Welt voller Verbrecher und folgsamer Idioten. Gefängnis fürs bloße Äußern der eigenen Meinung. Majestätsbeleidigung! Zugegeben, die real existierenden Nazis waren viel brutaler – der geistige Stoff aber, aus dem ihre Terrorherrschaft bestand, war schon längst vorhanden (er ist es immer noch): Obrigkeitsglaube, Gehorsamkeit und gewissenloses Nachplappern der vorgeschriebenen Parolen (jetzt denkt mal selbst, welche das heutzutage sind). Willkommen im Zwischen und auch hinter den Zeilen!

Far more in common (Hase 2)Denn dieser Text besteht fast ausschließlich aus Ausschnitten unserer begleitenden Artikel aus 12 Jahren gemeinsamer Kunnst. Und die Auswahl der einzelnen Passagen wie auch die Zusammenstellung erfolgt möglichst spontan, unter Umgehung der bewussten Kontrolle und Berechnung – soweit nur irgend möglich, wenn man einen Artikel zu einer Sendung verfasst. Könnten nicht noch spannendere Einblicke ins üblicherweise Unerkannte, Unerforschte, Unaussprechbare zum Vorschein kommen, wenn man Bücher an einer völlig beliebigen Stelle aufschlüge, das so Gefundene daraus vorläse – und sich auf diese Weise eine noch nie zuvor gefundene Geschichte – erzählte? Eine Technik, die wir aus dem uralten Brauch des “Bibelstechens” ableiten und die wir heute als “erweitertes Bücherstechen” bezeichnen – und auch anwenden wollen. Es macht nämlich großen Spaß, das zu ergründen, was da in und um uns wirksam und immer vorhanden ist und was wir gemeinhin nicht bewusst wahrnehmen oder erkennen können. Nicht, dass wir dem, was sich da ereignet, einen Namen geben oder sonstwie eine Definition überstülpen müssten. Nein, es mag, wie wirklich es auch immer sei, im Unverfügbaren verbleiben – und uns auf seine Art begegnen.

Far more in common (Hase 3)… zurück zur Versenkung in den Abgrund des Endlichen und zu der restlos unguten Stimmung, die beim Betrachten der eigenen Ausweglosigkeit aufkommt. Noch dazu inmitten einer Welt, die an allen Ecken und Enden von Betrügern und Berserkern zugrunde gerichtet wird, dass es nur so kracht. Wie heilsam wäre in dieser Situation ein herzhaftes Lachenkönnen und das Gefühl, sich mit Sprachwitz und Verstand zumindest gegen ein paar Erscheinungsformen der allumbrodelnden Verblödungsindustrie eloquent zur Wehr zu setzen. Wer klopfet an? Asylsuchende Assoziationen auf ihrer Fluchtfahrt durch die Dunkelheit ans Licht. Die etwas andere Betrachtungsweise der uns interpretiert überlieferten Geschichte(n). Gruslig schön lustig und freischwebend. Frohgemute Verwurstung von Kulturstrandgut entgegen jeglicher Marktlogik. Keine Ahnung, was sich daraus dann im Verlauf der Sendung ergeben wird, aber irgendeinen dramaturgischen roten Faden braucht es immer …

Wir sind ein geiles Institut.

 

Tyrannenmord

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. April – Seit dem Überfall russischer Truppen auf die Ukraine (am 24. Februar des vorigen Jahres) taucht der Begriff Tyrannenmord wieder vermehrt in den Gedanken und Gesprächen der Menschen auf. Wir wollen uns überlegen, worin sich ein real existierender Tyrann von popkulturellen Archetypen (des “bösen Herrschers” oder der “bösen Herrscherin”, soviel Gleichentrechtigung muss sein) unterscheidet. Und wir wollen am heutigen Todestag von Georg Elser (der kurz nach Beginn des 2. Weltkriegs (am 8. November 1939) im Bürgerbräukeller in München ein Attentat auf Adolf Hitler verübte, das nur leider knapp daneben ging) – also, wir wollen das heutige Gedenken an diesen mutigen Einzelgänger zum Anlass nehmen, etwas vom Wesen der Gewaltherrschaft oder eben “Tyrannei” zu erfahren.

Tyrannenmord - Georg Elser Denkmal MünchenUnd er hätt‘ es beinah‘ geschafft,
Die Mörder live on air zu zerstören.
Das Explosionsgeräusch war für die
Radiohörer deutlich zu hören.

Diese Zeilen aus dem “Lied für Georg Elser” von Gerald Fiebig und William Rossi verdeutlichen das Spektakuläre und eben auch das Scheitern des auf die Minute genau geplanten Anschlags. Ein Umstand, der sich im Konzept des Denkmals in der Türkenstraße als Lichtinstallation wiederfindet: Jeden Tag leuchtet es nämlich zum exakten Zeitpunkt der Bombenexplosion im entsprechenden Rot auf – um gleich darauf wieder bis zum nächsten Tag zu verlöschen. Eine gelungene Annäherung an die Außenwirkung von Georg Elsers todesmutiger Tat – mit künstlerischen Mitteln. Denn der Tyrannenmord bedeutet immer auch das Riskieren des eigenen Lebens, wie wir seit Schillers Bürgschaft eigentlich im Kulturgedächtnis verinnerlicht haben.

Oder seit Stauffenberg. Ich erinnere mich an Dietrich Bonhoeffer, der dem Kreis der Verschwörer des 20. Juli 1944 die Rechtfertigung eines Tyrannenmords aus Sicht des evangelischen Glaubens nahebrachte – und dafür mit seinem Leben bezahlte. Er wurde am selben Tag wie Georg Elser (einen Monat vor Kriegsende) von den Nazis ermordet. Wir spielen heute auch das Album “Lied für Georg Elser”, das “aus Zorn über das weltweite Erstarken des Faschismus geboren” wurde und nähern uns mit künstlerischen Mitteln der Innenwelt des Menschen an, der Tyrannei aktiv ablehnt.

 

Spielt ihm zu Ehren die Zither,
Denn er wollte die Mörder zerstören.
Spielt so laut, dass wir endlich
Dieses Explosionsgeräusch hören.

 

Es gibt kein richtiges Leben im falschen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. März“Adorno? Auf den berufen sich viele.” So hört es sich oft an, wenn die Geschichte an einem (oder einer anderen) vorbeifliegt und ihre Schwingen einen plötzlich anrühren. Komm, schwarzer Vogel. Oder doch ein Engel erlösender Erkenntnis? Die Sehnsucht nach dem möglichen Glück, dessen Erinnerung unter all dem Gerümpel unserer entgleisten, verbeulten und beschädigten Liebe wahrzunehmen wäre, wenn wir uns nur selbst ins Gesicht schauen könnten, ohne die Angst, am eigenen Spiegelbild zu zerbrechen. Haben wir uns nicht immer wieder einmal zwischen Lebensmut und Todeslust befunden? Was kommt von außen – und was von innen? Und wer zur Hölle spricht da? Wer, wenn nicht ich? Himmelhoch jauchzend – dabei zugleich zum Leben betrübt

Es gibt kein richtiges Leben im falschenEine angejahrte Dokumentation aus der kulturellen Treibgutsammlung unserer Individualitätsinsel sollte dabei helfen, den unüberbrückbar scheinenden Selbstwiderspruch in der radikalen Denkwelt aufzulösen:

“Es gibt kein richtiges Leben im falschen”

Und es gibt einen Zusammenhang zwischen diesem Fehlen von Liebe und unserem Wissen um ihr Dasein. Eine Spur, die uns der wirklich kluge Alexander Kluge legt, indem er einfühlsam und verständig Adornos Lebensgeschichte mit der uns alle umgebenden Weltgeschichte (“es ist falsch gelaufen”) verknüpft. Eine Spur, die wir als roten Faden zum Verstehen unserer Gegenwart im Spiegel von Adornos weit über seine Zeit hinaus wirksamem Denken aufnehmen – und darstellen wollen. Und wenn es ein glückhaftes Zusammentreffen mehrerer quasi als Flaschenpost überlieferter Wahrheiten gibt – was ist eigentlich die Mehrzahl von Flaschenpost?

Ich bin oft ziemlich zerrissen zwischen meiner Vorstellung vom “richtigen Leben” und dem, womit mich die Realitäter*innen in meiner Erfahrung konfrontieren. Ein Zustand, der mich immer wieder krank und unglücklich macht. Nichtsdestoweniger suche ich unentwegt (oder “sucht es in mir”?) nach einer sinnvollen Verbindung mit dem, was da gewesen sein muss, bevor “es falsch gelaufen ist”. Dabei geriet mir unlängst wieder “Das Buch von der Liebe” von Ernesto Cardenal in die Hände und ich las das Vorwort von Thomas Merton. Könnte das vielleicht eine Erklärung sein?

Eine heiße Spur?