The Young Gods XXY

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Mai“Ein Fragezeichen zu hinterlassen war immer unser Ziel – sowohl in musikalischer als auch sprachlicher Hinsicht. Ebenso bezüglich der Attitüde. Ich denke, darum geht es auch im Großen und Ganzen in der Rockmusik: mehr zu hinterfragen als zu akzeptieren und die Augen zu schließen.” Franz Treichler (The Young Gods). Die außergewöhnliche Band aus der Suisse romande veröffentlichte 2005 ein Best-Of-Album ihrer ersten 20 Schaffensjahre: XXY. Und eben dieses spielen wir heute. Genau genommen einen Großteil aus der ersten Hälfte des Doppelalbums, dessen zweiter Teil auch noch diverse Remixe und Raritäten enthielt. Der Standard berichtete darüber im Erscheinungsjahr. The Young Gods“der unverwechselbare, lärmende Sound eines musikalischen Vulkans”.

The Young Gods XXYElementar entfesselt und frontal “in your face” (Franz Treichler), so empfahl sich die schillernd brutale Klangkunst der genialen Zerleger und Rekombinierer auch unseren Gehörgehirnen, woselbst sie sofort zur Ausschüttung von erfreulichen Körperdrogen beitrug. Willkommen in der Postmoderne des Mai 2021! Endlich besteht zumindest Aussicht auf einen gewissen Neubeginn von vertrauten Lebensäußerungen. Das während des langen Ausnahmezustands in uns Fragmentierte muss wieder aufgeräumt, neu bewertet und neu kombiniert werden. Wie nach einer langen psychedelischen Reise oder einer Nacht extremer Exzesse. Guten Morgen, wer ist das da im Spiegel? Egal, ich putz dir trotzdem die Zähne. So geht Versöhnung mit sich selbst. Es wird zwar nie ein Licht am Ende des Dummerls geben, doch inwendig hauen wir auf den Tisch, dass die Lebensgeister ausfahren. Dass es die Genreschachterln zerfetzt! XXY ist DER Soundtrack zum Sprichwort “Alles neu macht der Mai.” Auch die Standard-Redaktion hat das damals begriffen:

“Als eine der ersten Bands wagte das Schweizer Trio The Young Gods Mitte der 80er, der Rockmusik ihr historisches Gepäck zu entreißen: reine Gitarrenklänge wurden gemischt und neu zusammengefügt – der unverwechselbare, lärmende Sound ihres musikalischen Vulkans war geschaffen … Sound, Rhythmus, ihre Symbiose zwischen Organischem und Mechanischem, meist eingepfercht in die Schubladen von Ambient, Techno, Industrial und (Post-) Rock, vieles manchmal klassisch angehaucht, drehen sich seit Anbeginn immer um das Neue.”

Amen!

PS. Ein legendäres Konzert der Young Gods mit Erika Stucky (den Willisau-Bootleg) haben wir zum 50-jährigen Woodstock-Jubiläum bereits in dieser Sendung gefeiert.

 

Demokratie? Rainer Mausfeld

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. April – In dem von uns bereits mehrfach empfohlenen ARTE-Dokumentarfilm “Corona – Sand im Weltgetriebe” (worin der Virus selbst als hinterfragender Erzähler durch die Geschichte führt) kommt auch ein gewisser Prof. Rainer Mausfeld zu Wort – und spricht über die “Verschleierung der Machtverhältnisse”. Und zwar in dem System, in dem wir hier und jetzt leben – und das wir politisch als Demokratie begreifen. Der Virus erzählt uns von Demokratie als Impfstoff gegen “die Maschine” – und das ist eine wunderbare Metapher für jenen menschgemachten Moloch, der unsere Lebensgrundlagen schon bald vollends zu zerstören droht. Wir wollen mehr über den emeritierten Psychologieprofessor aus Kiel erfahren, dessen Bücher und Vorträge derzeit so viel Aufmerksamkeit genießen.

Demokratie? Illusion?Und kontrovers diskutiert werden: Ist das noch Erkenntnis oder schon Verschwörungstheorie? Ich sehe das so: Nicht für jedes erkennbare Zusammenwirken Mehrerer zum Nachteil von Vielen bedarf es einer realen Verabredung von fassbaren Personen (einer Verschwörung). Oft reichen dafür Gruppendruck oder andere menschliche Schwächen, Sachzwänge, Abhängigkeiten … Psychische Mechanismen also, welche gerade ein lebenslang mit “Wahrnehmungserforschung” beschäftigter Professor erklären können sollte. Und das tut er auch, etwa im Rahmen des zweitägigen Symposions “Demokratie erneuern!” im DAI Heidelberg, aus dem wir, um euch Appetit auf mehr davon zu machen, hier einige Ausschnitte vorstellen können. Der Einführungsvortrag dazu steht in voller Länge auf YouTube zur Verfügung. Des weiteren haben wir dort auch die Vorträge “Warum schweigen die Lämmer” (mit Bezug auf sein bekanntes Buch mit dem nämlichen Titel) sowie seine Rede in der Kreuzkirche Dresden zum Thema “30 Jahre Mauerfall” angefunden – und wir empfehlen selbige ausdrücklich denjenigen, die sich dazu entschieden ihre eigene Anschauung gestalten wollen.

Die aktuellen Erscheinungsformen von “Demokratie” zu hinterfragen ist wahrlich nicht antidemokratisch. Vielmehr ist es der Verwirklichung von Demokratie förderlich, sich ihre grundlegenden Ideen und Ideale immer wieder ins Bewusstsein zu rufen – und diese sodann mit den Realitäten unserer jeweiligen Verfassung zu vergleichen. Nur wenn wir wissen, was (noch) nicht so funktioniert wie es sollte, können wir den “Impfstoff Demokratie” (gegen Machtmissbrauch und Gewaltexzess) ständig weiter entwickeln, so dass er auch gegen die neoliberale Mutante des Machtvirus wirkt.

Um unser eigenes Denken, Fühlen und Verstehen kommen wir dabei sowieso nicht herum. Entweder werden wir in Resonanz gehen und uns die Welt “anverwandeln” – oder das vorgekaut Verordnete nachbeten, nur damit wir nicht ungut auffallen

 

Georg Danzer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. April“Wie i so drüber nachdacht hab, dass i jetzt ja bald 60 sein werd, und ob so meine Wunschträume und meine Träume, die ja jeder Mensch im Leben hat, ob des a bissal aufgangen is – und auf a gewisse Art und Weise hab i ma dann dacht, is es ned aufgangen – aber andererseits doch.” Mit diesen weisen Worten kündigte Georg Danzer bei seinem letzten Konzert mit Freunden (am 16. April 2007 in der Wiener Stadthalle) das für ihn geradezu programmatische Lied “Träumer” an, dem er dazu noch eine Betrachtung der verschiedenen Bedeutung des Wortes Träumer im Deutschen und im Englischen sowie eine spezielle Würdigung von John Lennons “Imagine” voranstellte: “You may say that I’m a dreamer …”, halt im Sinne von Menschen, die Utopien haben – wie etwa vom Frieden auf der Welt.

Georg DanzerWir haben uns jedenfalls dazu entschlossen, Georg Danzer nicht durch einen Ausschnitt aus jenem “letzten Konzert” ins Gedächtnis zu rufen, zumal das ja einerseits als Geburtstagsfest mit Freundys (zum 60er) – und andererseits schon als Hommage an einen Todgeweihten konzipiert war. Der hierbei gefeierte Künstler verstarb bekanntermaßen nur gut 2 Monate später. Nein, wir wollen Georg Danzer in der Gestalt aufleben lassen, in der er Anfang der 90er als nach Auslandsreisen weltläufiger Dichter, Musiker und Aktivist die österreichische Geräuschkulisse mit seinen unverwechselbaren Beiträgen zu einem etwas helleren, menschlicheren und ja, utopiefähigeren Gesamtklang erweitert hat. So haben wir einige Musikstücke und Erzählungen aus seiner Solo-Tournee 90/91 ausgewählt, deren Höhepunkte auf dem Album “Echt Danzer!” veröffentlicht sind. Dabei war es uns ein Anliegen, besonders die Vielseitigkeit des unbeugsam engagierten, schonungslos liebenden und stets humorvoll selbst- wie sozialkritischen Dialektdichters zur Geltung zu bringen, der eben auch die Hochsprache bei Bedarf nicht verschmähte. Wir möchten etwas davon in unsere heutige Zeit mitnehmen – als Besinnungsinsel im schwindligen Getreibe einer immer unwirklicher zubereiteten “Realität”, die uns in Wirklichkeit nur verwirrt:

I hoits jetz nimma länga aus
und die Entscheidung foid ned schwer,
da Boch hod Sehnsucht noch am Fluss,
da Fluss hod Sehnsucht noch’m Meer.

Mei Lebn – is mei Lebn.
Mei Lebn – des ghead mir.
Keinem Vater, keinem Lehrer,
keinem Meister, keinem Staat.

Mei Lebn – ghead mir!

Georg Danzer – Mein Lebn (1990 Solo-Version)

 

Rosa Resonanz

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. März – Bei unserer Beschäftigung mit der Überlebenskultur – in diesen Zeiten der pandemiebedingten Einschränkungen, in denen auch viele vertraute Formen unseres gewohnten Austauschs miteinander still gelegt sind – entdecken wir immer wieder Themen und Inhalte, deren Aneignung wir entschieden vielversprechend finden. Wenn es für “jegliches” eine geeignete Zeit gibt, dann ist die gegenwärtige, von vielen oft als mühselig, langweilig und leer empfundene, doch genau die richtige, sich schon jetzt mit kraftvollen Konzepten für die nächste Runde im Weltgedümmel der Wahnsinnigen auszurüsten. Oder sich mit einer geistig-seelischen Schutzimpfung gegen das Virus der Vernutzzweckung zu wappnen. Ein solches Mittel finden wir im Begriff der Resonanz bei Hartmut Rosa.

ResonanzDer Professor an der Universität Jena und Leiter des Max-Weber-Kollegs in Erfurt veröffentlichte unter anderem ein Buch mit dem Titel “Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung”, auf das wir uns in dieser Sendung beziehen. Einige der üblichen akademischen Schachterlscheißer (Was ist ein Korinthenkacker und geht es ihm nicht eigentlich um den Machtkampf der Definitionen?) lehnen den Resonanzbegriff nach Hartmut Rosa wegen seiner “umfassenden Herleitung” als “beliebig” und “für einen sozialphilosophischen Grundbegriff zu unpräzise” ab. Pardon, doch da muss ich  jetzt noch einmal auf den Begriff des Korinthenkackers eingehen: “Sobald ihn der Stuhldrang affiziert, eilt er in sein Hirn und scheißt Sessel aus Sperrholz.” Eine irgendwie trockene Angelegenheit – wogegen Hartmut Rosa diesbezüglich oft von einer “Verflüssigung des Verhärteten” spricht. Die chronische Verstopfung ist eben in vielerlei Hinsicht ein Symptom von patriarchalen Hierarchien. Gesundheit!

Als Einstieg in die Materie empfehlen wir seinen erfrischend präzisen und dabei doch flüssigen Vortrag “Sinnsuche und Resonanzbedürfnis” aus der SWR-Reihe Teleakademie. Unter einer weiteren Fülle von Vorträgen und Gesprächen, die auf YouTube unter den Stichwörtern Hartmut+Rosa+Resonanz auftauchen, findet sich auch ein Interview, das Carsten Rose von Radio F.R.E.I. in Erfurt unter dem Titel “Steigerungslogik bringt stumme Weltverhältnisse – Resonanzmomente mit Hartmut Rosa” publiziert hat – und dem er ein Zitat von Hartmut Rosa voranstellt:

             “Die entfremdete Welt ist kalt, leer, bleich und bedeutungslos.”

 

OK Computer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. März – Das 1997 erschienene Album OK Computer von Radiohead gilt als eines der wegweisendsten Werke der britischen Musikgeschichte (wenn man nicht zwanghaft zwischen E- und U-Musik unterscheiden muss). Diese EU-Grenze haben die 5 Freunde aus Oxford ohnehin längst aufgelöst, vor allem der Grünwald Hansi (Jonny Greenwood), der in seinen Filmmusiken und Soloprojekten schon auch mal E-Musik-Größen wie Krzystof Penderecki, Olivier Messiaen oder Arvo Pärt zu neuen Formen integriert hat. Gemeinsam mit Sänger Thom Yorke und Filmmusikmeister Hans Zimmer entstand kürzlich der Soundtrack zur BBC-Naturdoku Blue Planet II. Absolut sehens- wie hörenswert! Und wie alle zutiefst aus dem Leben geschöpfte Kunst keines Genreschachterls mehr bedürftig.

OK ComputerDenn hier wird tief geschürft und einerseits kunstvoll, andererseits ehrlich das eigene Empfinden in erlebbarer Form dargestellt – und dadurch (ist es Zauberei?) etwas vom Lebensgefühl einer ganzen Generation ausgedrückt. Wie das heute noch wahrgenommen wird, lässt sich in zahllosen kritischen Würdigungen, etwa anlässlich der erweiterten Neuveröffentlichung 2017 mit dem Zusatz OKNOTOK nachlesen. Und ganz gleich, ob da die musikgeschichtliche oder die gesellschaftliche Bedeutung des Stilgrenzen auflösenden Ausnahmewerks im Vordergrund steht, ein Aspekt kommt dabei immer (wenn auch zwischen den Zeilen) zum Ausdruck: Die prophetische und zukunftsvisionäre Dimension. Wollen wir das einmal explizit herleiten: Prophetie als Wort kommt aus dem Altgriechischen und hat, wie in dieser Sprache weithin üblich, ein sehr breites Bedeutungsspektrum. Keineswegs lässt es sich auf die beiden uns geläufigsten Entsprechungen reduzieren, nämlich “für (einen) Gott sprechen” und “die Zukunft vorhersagen”. Wenn wir dazu den Begriff “Vertikale Resonanz” (wie Hartmut Rosa ihn erklärt) einführen, der Religion, Naturerleben und Kunstgenuss umspannt, dann können wir die Prophetie von Radiohead als tiefes Eintauchen ins eigene Empfinden verstehen, das eben dadurch viel zur Entwicklung aller aussagt.

Wie schon so oft haben die Kolleg_innen vom Deutschlandfunk diesen Umstand in einem hervorragenden Artikel beleuchtet (und es ist Balsam für die Ohren, wenn der Musikkritiker tatsächlich Hörmann heißt). Wir erlauben uns, daraus zu zitieren:

“Die Digitalisierung steckt Mitte der 1990er Jahre noch in ihren Kinderschuhen. Das Internet macht die ersten Schritte: Noch gibt es keine Smartphones, keine Sozialen Medien. Und doch werden wir langsam zu von Maschinen gesteuerten Menschen.

Fitter, happier / More productive / Comfortable / Not drinking too much…

Die menschgewordenen Maschinen bestimmen immer mehr unser Leben. Und der Computer beginnt, uns zu dominieren. Radiohead komponieren dazu einen Kultur-Skeptizismus. OK Computer: Du versprichst Gutes, wir befürchten Böses. Datentransfer und Transitverkehr – alles ist in Bewegung, die Welt rauscht an uns vorbei. Die Vernetzung der Maschinen, die Vereinzelung des Menschen.

Calm, fitter, healthier and more productive / A pig in a cage on antibiotics

Ein Schwein im Käfig, vollgepumpt mit Antibiotika. Die Welt ist grausam. Natürlich.   Und dein Leben ist klaustrophobisch. Oh ja, auch das.”

 

Angelo Branduardi

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. Februar – Bella Italia! Und überhaupt haben Italiener die schöneren Vornamen. Nicht Sepp (hüstel), Dietmar (gähn) oder Sebastian (würg) – vielmehr Dino (mmmh), Mario (mmhmmmh) oder eben Angelo (leckerlecker). Allein die Vorstellung, in sexueller Extase laut “Franz Ferdinand” zu rufen, sollte uns das verdeutlichen. Dann doch lieber “Michelangelo” – oder seid ihr denn alle komplett unmusikalisch? Wie dem auch sei – Italien gilt jedenfalls nicht grundlos als “Land der Oper” (und ist ob seines musikalischen Reichtums berühmt). Das zeigt sich auch im Klang der Sprache. Die seit Jahrhunderten unerreichtesten Geigen bauten folgerichtig die Herren Stradivari und Guarnieri del Gesù und nicht Niederredner und Klotz. Alles eine Frage der Musik, so wie unser heutiges Album.

Angelo BranduardiAngelo Branduardi ist ein zutiefst in der Musik beheimateter Künstler, der in Zusammenarbeit mit seiner Frau Luisa Zappa (ja wirklich, und du bist mein Sofa!) ständig neue Einflüsse (oft aus uralten Traditionen) über die Zeitläufe hinweg verschmilzt. So ist “Confessioni di un Malandrino”, seine erste Eigenkomposition (mit 18 Jahren), aus einem Gedicht des russischen Lyrikers Sergej Jessenin (1895 – 1925) entstanden. Eine Zeit lang, speziell in den 80er und 90er Jahren, waren seine Lieder auch hierzulande ziemlich populär. Kritiker sprachen von “weichgespültem Schmusesound” und sahen den spirituell veranlagten Künstler, der seine Arbeit selbst als “schamanisch” bezeichnet, im eher unernsten Umfeld des “esoterischen Wohlfühlkitsch”. Doch das wird der Vielfalt an Themen keinesfalls gerecht, die Angelo Branduardi in seinen nunmehr 50 Jahren als Vollblutmusiker ver- und bearbeitet hat. Der Mann springt aus dem Genreschachterl!

Im Rahmen des Projekts “Futuro Antico” sind inzwischen 8 Alben mit historischer Musik erschienen, darüber hinaus reicht Branduardis Passion für “Musik aus längst vergangener Zeit” von Walter von der Vogelweide über Franz von Assisi bis hin zu Hildegard von Bingen (auf dem aktuellen Album “Il cammino del’Anima” zu hören). Neben dem erwähnten Gedicht von Sergej Jessenin hat er noch zahlreiche Texte von anderen Poeten vertont und vorgetragen, so etwa auf “Branduardi Canta Yeats”.

Wir destillieren allerdings einen Auszug des typischen Angelo-Branduardi-Sounds. Balladen und Motive aus allen möglichen Epochen und Welten in Gestalt moderner Folk-Rock-Performance.

 

Wunst kommt von wönnen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. Januar“Kunst kommt von können, wenn sie von wollen käme, würde sie Wunst heißen.” Dieses Zitat, das allen möglichen Hervorhebern zugeschrieben wird, hörte ich einst aus dem beruflichen Mund des Kunstprofessors Oswald Oberhuber. In dem Fall vom oberlehrernden Hervorhuber höchstselbst. Vom Urhuber sozusagen. Was auch immer man vom staatsamtlich verbrämten Gschaftln und Hubern halten mag – mich erzürnt diese oberheblich herabgelassene Innungsmeierei grundsätzlich. “Kunst ist, was wir mit unserer Oberschrift als Kunst beglaubigen. Alles andere ist von Dilletanten und wird röcksächtslos ausselektiert!” Hätten die alten Herren von der Akademie das 1907/08 anders interpretiert, dann wären uns wohl Millionen Tote erspart geblieben…

Wunst Bonusmaterial“Als glöckliche Bestämmung gält es mir heute, dass das Schäcksal mir zom Gebortsort gerade Braunau am Inn zowies.” Der Sprachkunstpreis für geschriebene Hörbarmachung geht hiermit an Walter Moers, heute als Schöpfer von Zamonien weithin berühmt, dem wir darüber hinaus so legendäre Figuren wie das Kleine Arschloch, Adolf die Nazisau oder Käpt’n Blaubär verdanken, was wir in dieser Sendung würdigen wollen. Als Begröndung sei hier ein Artikel der Mainpost zitiert, der Lust und Tücke des Autors auf den sprachlich springenden Punkt bringt: “Walter Moers hat die Gabe, menschliche Verhaltensweisen, fast bis zur Unkenntlichkeit zugespitzt, in die Region der Groteske zu katapultieren. Wer über seine Karikaturen und Texte lacht, lacht eigentlich über die wirkliche Welt und – vielleicht ohne es gleich zu merken – auch über sich selber. Moers ermöglicht eine Art von intuitiver Wahrheitserkenntnis unter Umgehung des rationalen Großhirns. Genau so muss gute Satire funktionieren.” Die Wirkung aufs Publikum ist damit beschrieben…

Naturgemäß interessiern wir uns noch viel mehr für das innere Wirken im Gehirn des Autors, also zwischen den Kontinenten Ganglien und Neuronien, wo das verborgene Zamonien vermutet wird. Dort, wo das geheime Volk der Synapsen haust und braust. Um diese kreative Welt querassoziativ hervorsprudelnder Neurologismen näher zu beleuchten, haben wir die Bildergeschichte “Der Fönig” ausgewählt, die von Michael Krowas kongenial umtont und behörbart wurde. Die hierzutage tretende Sprachlust bewirkt, dass Haschisch ficken im Reich des Fönigs meist ganz Andreas bedeutet. So wie bei uns etwa wönnen. Das kann ein Verb zu Wunst sein (wie gönnen ja auch zu Gunst gehört). Es könnte allerdings genauso gut (reflexiv) von Wonnen kommen. Ob es das Wort wirklich gibt, ist dabei egal. Wir betreten den Kosmos der Phantastik

Ob wir uns da etwas abgewönnen?

 

New Model Army

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Januar

“Sie können sich mit fast jedem meiner Generation darüber unterhalten, der unter diesen Punkumständen aufgewachsen ist, sie alle werden ihnen bestätigen, dass es diese spezielle Haltung gab: Was immer die Welt von dir will, lass mich in Ruhe damit. Wir hatten ungefähr 14 verschiedene Leute in der Band, die uns über die Zeit begleitet haben. Und was sie alle verbunden hat, war diese Punkattitüde. Welche Songs die Zuschauer hören wollen, was die Musikindustrie über uns denkt… lass mich in Ruhe damit! Wir sind New Model Army. Ja, wir sind manchmal scheiße, ja, wir machen Fehler, die wir bedauern, aber wir machen das auf unsere Art und Weise.” Justin Sullivan im Deutschlandfunk – kurz nachdem 2016 ihr 14. Studioalbum “Winter” erschienen war. Inzwischen gibt es mit “From Here” weiteres Nichtangepasstes

New Model Army…sowie den gleichnamigen Dokumentarfilm zum 40. Geburtstag von New Model Army. Den würdigen wir hier mit Musik aus 4 Jahrzehnten. Und zwar mit einer eigenen Auswahl, die nicht Verkaufszahlen oder Publikumsgunst, also die heute allgemein “Erfolg” genannten “Werte” im Blick hat, sondern den auch von Justin Sullivan oft beschworenen “Spirit”, die Grundstimmung aus Leidenschaft, Scheißdrauf und Trotzdem, das innere Berührtsein von dort, wo das Leben an sich herkommt (und das ist nicht dort, wo die etablierten Andenkenstandler ihren Weihrauch, ihre Rituale und ihre Heiligenbilderln anpreisen). Vielmehr dort, wo Zärtlichkeit und Zorn Frieden finden, weil Gefühl unverstellt ausgedrückt wird.

“Dieser Begriff von Kunst, der von monolithischen Bands wie Pink Floyd oder Yes ausging, die versuchten, mit ihren Monsterproduktionen und technischen Gitarrensolos zu prahlen, war das Hassobjekt. Punk stand dafür, diese Aufgeblasenheit zu vergessen und sich wieder aufs Wesentliche zu konzentrieren und das war der Spirit. Die Leute fingen an, in Pubs Gedichte vorzulesen oder gaben Trommelkonzerte mit Löffeln, alles war erlaubt. Auf einmal waren all die Regeln passé, wie man Musik zu machen hatte. In den frühen 80ern gab es plötzlich viele neue Formen, von der experimentellen Elektronik bis hin zu schrägstem Rock. Zwar hatten wir dieses musikalische Erbe der 60er und 70er, aber wir machten etwas Eigenes daraus. Unser erster Bassist Stuart Morrow war ein echt guter Musiker, im Gegensatz zu mir. Und da er wesentlich besser spielen konnte als ich, übernahm er die Leadgitarre und zwar auf dem Bass. Es gab keine Regeln, also warum nicht? Es ist schade, das viele Menschen heute, 30 Jahre später, von Punk denken, das es laut Gitarre spielen und herumgrölen bedeutet hat.”

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer halt diese Sendung …

 

Irgendwas mit Georg Kreisler

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Dezember – Eigentlich wollten wir in unserer vorweihnachtlichen Bastelsendung “Irgendwas mit Texten” machen und hatten dafür schon zwei Ideen des großen Heimatlosen in Vorbereitung. Doch dann entschlossen wir uns angesichts der Überfülle an abgründigem Wortwitz in seinem Lebenswerk, die gesamte Sendung mit musikalischen Sprachspielereien von und mit – und rund um Georg Kreisler zu bestreiten. Und selbst das kann nur eine Andeutung bleiben. Thomas Rothschild schrieb in einem Nachruf in der Zeit, “dass der, neben Robert Gernhardt, die komischsten Reime seit Wilhelm Busch erfunden habe.” Das ist die eine Seite. Die andere beruht auf seiner zutiefst anarchistischen Weltsicht und bringt so eine geradezu prophetische Ablehnung der “herrschenden Verhältnisse” hervor.

Alles nicht wahr - Ein Georg Kreisler Abend

Salzburger Kulturvereinigung 10. 10. 2020 Foto: Franz Neumayr

Man braucht Kesselflicker
und Autobuslenker,
Elektrotechniker
und Serviettenschwenker,
vor Gericht braucht jeder
einen Verteidiger,
dieser Verteidiger
ist Akademiker.
Ich bin kein Zyniker
und kein Polemiker,
ich verehre diese Leute
wirklich sehr!
Aber was für Ticker
ist ein Politiker?
Eines Tages gibts den sicherlich nicht mehr!

Wir beleuchten also einerseits den phonetischen Sprachspaß, wie er in diesem Lied (und auch in anderen) vorkommt, anderseits die radikal zugespitzten Aussagen zum Zustand der menschlichen Gesellschaft. Wir erspüren die vielfältigen Inspirationen des Georg Kreisler, sowohl die ihn prägenden als auch die von ihm ausgehenden, von seiner Zusammenarbeit mit Charlie Chaplin in den 40ern bis zu ihm posthum gewidmeten Bühnenwerken von Nikolaus Habjan und Franui. Und mit dieser dichten Collage möchten wir insgesamt eines bewirken – dass zu diesen heurigen von Corona überwölkten Feiertagen ein altbewährtes Überlebensmittel des Menschseins nicht in Vergessenheit gerät – der Humor. Wir möchten dazu anstiften, Georg Kreisler und seinen Witz als ein Lachenkönnen auch in schwierigsten Verhältnissen zu feiern.

Eigentlich wollte er ja selbst einmal in unsere Sendung kommen. Doch dann ist er unvorteilhafterweise gestorben, bevor wir das realisieren konnten. Traurig besuchten wir sein Grab am Aigner Friedhof. Was uns allerdings immer bleibt, ist sein Humor.

Frohes Fest oder was auch immer …

Schuldig!

 

Gesicht im blinden Spiegel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. November – Advent, Advent – und gerade jetzt müssen die Buchhändler unseres Vertrauens geschlossen halten! Das braucht uns trotzdem nicht zu verdrießen, denn viele von ihnen bieten einen unkomplizierten Bestell- und Lieferservice an, so dass wir nicht auf die üblichen Verdächtigen des internationalen Versandhandels angewiesen sind. Die von uns ob ihres vielseitigen Engagements sonst oft besuchte Rupertusbuchhandlung etwa bleibt in den Zeiten der Corona telefonisch erreichbar und hält zudem in ihrem Regionalen Onlineshop jeglichen Lesestoff per Gratisversand und auf Rechnung zum kontaktlosen Erwerb vorrätig. Zum Beispiel den neuen Roman von Brita Steinwendtner namens “Gesicht im blinden Spiegel”, den wir im Rahmen unserer Sendung exemplarisch vorstellen.

Gesicht im blinden SpiegelDer Anlass zu dieser Auswahl beruht sicherlich auf einer fruchtbaren Freundschaft, die uns mit der Salzburger Autorin schon seit den Anfängen unseres gemeinsamen Radiomachens verbindet. Dieses Buch jedoch gut zu finden, es in einer eigenen Sendung vorzustellen und – ja, es für überaus empfehlenswert zu erachten – das ist in unserem Fall kein Freundschaftsdienst und keine “reine Gefälligkeit”, sondern entspringt dem Erleben dessen, “was es mit uns macht”. Der Roman ist ja mittlerweile von zahlreichen Berufenen und/oder Beruflichen beschrieben, besprochen und beurteilt worden, wie auf ihrer wunderschön übersichtlichen Homepage zu erfahren ist. Warum dieser Roman allerdings gerade in den aktuellen Umbrüchen und den damit verbundenen Unsicherheiten ein hochwirksames Therapeutikum sein kann, das wollen wir hier in einer Collage aus Berichten, Leseproben und Musik darstellen. Wie bereits im Alten Testament festgestellt wird, “ist des vielen Bücherschreibens kein Ende”. So gibt es in dieser heutigen Zeit des ständig beschleunigten Gedudels auch jede Menge modischen Schnickschnack in Buchform zu kaufen, marktgerecht aufgebrezelt und mit aller Geldmacht beworben. die Pandemie der Pestseller bestenfalls. Mitten dazwischen im Gatsch der Geschäftigkeit ein sicherer Hafen aus sorgsam verdichteten Bildern, in denen sich das Leben selbst feiert, als gäbe es die alltägliche Bedrohung nicht. Dennoch ist sie immer da, wenn dir im Spiegel das Gesicht aus dem Gesicht fällt

Ein Buch, das nicht die Hochleistung des Gezeichneten (und sind wir das nicht alle irgendwie?) hervorkehrt, sondern das genauso die Beiträge der Gesellschaft wie die Rhytmen und Melodien des Lebendigen aufnimmt – und vielstimmig wiedergibt. Die immer gleichzeitige Gegenwart von Überleben und Untergehen; ein lebensweises “Sowohl-als-auch” macht diesen Roman zu einem großen Ganzen. Und genau das vermag auch unser verborgenes Gebrochensein zu heilenvielleichttrotzdem!

PRÉLUDE ZWEI

Und wieder kommt der lange Zug von Menschen über die gebrochene Leinwand. Langsam zieht er darüber hin und verschwindet, taucht wieder auf und geht aus dem Bild. Müht sich im Trommel- und Trompetenwirbel durch das Leben. Jede Figur durch ihr eigenes und unverwechselbares Leben. Die Gestalt, die aus einem dicken Stapel von Zetteln einen immer neuen herauszieht und ihn langsam über ihre Schulter wirft in die Achtlosigkeit, geht immer noch dem Zug voran. Und immer, wenn sie wiederkommt, knie ich nieder und versuche, ein Blatt, das in meine Hände taumelt und mir Fortsetzung verspricht, aufzufangen, um es vor den Füßen der ewig Wandernden zu bergen und dieses eine Schicksal zu retten vor dem Vergessen im Perpetuum der Zeit.

Brita Steinwendtner – Gesicht im blinden Spiegel, Seite 85

Inspiriert von  William Kentridge – More sweetly play the dance