Gerald Fiebig – New Enamel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. November – Vor einiger Zeit erreichte uns das freundliche Angebot des Augsburger Autors und Klangkünstlers Gerald Fiebig, sein Radiostück “New Enamel – Vom Karl-Marx-Hof zum Utopiaweg” in unserem etwas anderen Kunnst-Biotop auszustrahlen. Es handelt sich dabei um den finalen Teil einer für das Ö1 Kunstradio produzierten Trilogie rund um die Februarkämpfe 1934. Das zentrale Element der Komposition sind die Lebenserinnerungen seiner Großmutter, deren Vater Hermann Wurmbrand im Republikanischen Schutzbund gegen den Austrofaschismus kämpfte. Die damaligen Ereignisse sind inzwischen auch als Österreichischer Bürgerkrieg bekannt. Weshalb jedoch bringen wir diese gespenstische Zeitreise ausgerechnet jetzt im November – und nicht im Februar?

Gerald Fiebig - Karl Marx HofUnd warum hat der ORF, der den ersten Teil dieser Trilogie heute noch feiert, deren Schlussstück nicht gesendet? Das hat wohl mit einem “ersten Eindruck” zu tun, den die radiophone Komposition zunächst beim Zuhören bewirkt: Weil viel erzählt und zitiert wird, kommt einem das Stück wie ein klassisches Feature entgegen. So erlebte ich das beim ersten Mal. Zumindest die erste halbe Stunde lang. Doch dann springt mich die Hörwelt plötzlich lauthals an und wiederholt monoton das Geplärr der Kristallnacht. Von dem Punkt an war klar: Die Dramaturgie des “Hörspiels” ist viel hintergründiger als eingangs vermutet – und: Das müssen wir zum Gedenken an die Novemberpogrome des 10. November 1938 öffentlich machen. Gerade jetzt, wo unser ältester KZ-Überlebender und Zeitzeuge Marko Feingold gestorben ist – und das grölpöbelnde Dumpftum der neurechten Rattenfänger schon wieder grausige Urständ feiert, ist emotional berührende Zeitgeschichte fast schon lebensrettend. Gerald Fiebig verdichtet hier die Erinnerungen seiner Großmutter mit thematisch passenden Geräuschen und literarischen Einschüben zu einem Erlebnisraum mit starker Anziehungskraft. Genau das macht das Gelingen der erwähnten Zeitreise erst aus, die Begegnung mit den Gespenstern, leben sie denn – oder bin ich dort?

Welch ausgefeilte Arbeit hinter dieser Produktion steckt, könnt ihr im Konzept & Manuskript dazu nachlesen – und weiterführend auf seiner Homepage erforschen…

Der Bezug zum Projekt Hörstolpersteine (in unserer Signation) ist bestimmt KEIN Zufall. Genauso wie die Reverenz an den großen Georg Danzer: Der alte Wessely

 

Als der eiserne Vorhang fiel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Oktober“Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten”, sprach einst Walter Ulbricht. Kurz darauf mauerte und zäunte sich die DDR erst so richtig ein. Von 1961 bis 1989 erhob sich die Berliner Mauer als (fast) unüberwindbare Barriere zwischen Ost und West, dazu noch ein ebenso (fast) undurchdringlicher Zaun entlang der gesamten innerdeutschen Zonengrenze als Teil des eisernen Vorhangs zwischen kommunistischen und kapitalistischen Ländern. Am 9. November 1989 (also vor 30 Jahren) wurde die Berliner Mauer wieder geöffnet, und mit ihr “fiel“ nach und nach auch der restliche “eiserne Vorhang”. Aber auch vor diesem “Fall” versuchten Menschen aus verschiedenen Gründen, die Systemgrenze durchlässig zu machen. Und das waren in den meisten Fällen keine Berühmtheiten…

Als der eiserne Vorhang fielZum 30. Jubiläum dieses Vorgangs überschlagen sich die Amtsmedien wieder mal mit Gedenksendungen, dass einem dabei schwindlig wird. Mich verdrießt aber bei dem ganzen Tohuwadoku, wie Jahr für Jahr die immergleichen Prominent*innen ihre längst bekannten Erinnerungen in alle verfügbaren Kameras sülzen, wohingegen die “einfachen Leute” dabei so gut wie nie vorkommen. Als ein braves freies Medium, in dem vorzugsweise auch jene zu Wort gelangen, “die in den sonstigen Medien unterrepräsentiert sind”, bringen wir diesmal eine der vielen “kleinen” Geschichten zu Gehör, aus denen die “große” Geschichte ja ursprünglich besteht, bevor sie von den “Siegern” für ihre Zwecke interpretiert werden kann. Und diese “erzählte Wirklichkeit”, umrahmt von künstlerischen Darstellungen ihrer Zeit, soll einen geistigen Freiraum bewirken, in dem sich vortrefflich vorstellen lässt, wie es auch noch ganz anders sein könnte. Beziehungsweise, was Grenzen bedeuten. So wollen wir auch auf die etwas andere Gedenkveranstaltung “mauern MAUERN” der SAG am 4. 11. im Salzburger Literaturhaus hinweisen, bei der Mauerfall sowie eiserner Vorhang der Befragung durch dichterische Phantasie unterzogen werden.

Eine große Inspiration war und ist uns der Song “Sommer 89” von Kettcar. Danke!

Zur Einstimmung gäbs hier noch zwei Zeitzeugenberichte: “Flucht in die Zukunft” aus der Perspektive burgenländischer Fluchthelfer- und Unterstützer*innen sowie “Tausend Augen auf dem Kassettenabspielgerät” aus Erinnerungen der Rockband Silly im Hinblick auf Songtexte und Zensur in der DDR.

 

Wer die Qual hat

> Sendung: Artarium vom Wahlsonntag, 29. September – Es ist halt schon so, dass sich die “Wirklichkeit da draußen” auch auf unsere inneren Wirklichkeiten auswirkt. “Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.” Wenn Friedrich Nietzsche damals schon von Fernsehen und Social Media gewusst hätte, dann würde er über einen “Abgrund, der einem ins Gesicht springt” nachgedacht haben. Und wäre ihm Edward Bernays‘ Propaganda bekannt gewesen (von Joseph Goebbels bis zu den Werbespots unserer Tage), dann hätte er wohl gemeinsam mit uns “gefickt eingeschädelt” gesagt. Die Qual der Wahl ist nämlich, dass wir keine haben. Denn ganz egal, für welches Produkt wir uns (angeblich so frei) entscheiden, es stammt (so wie alle anderen auch) aus dem gleichen Geschäft, dem Supermarkt.

Wer die Qual hatEine geniale Wortschöpfung, dadurch finden dann alle, die dort einkaufen, den Markt super. Und dass sich die meisten von uns Begriffe wie Demokratie oder Meinungsfreiheit nur mehr in Verbindung mit einem marktwirtschaftlichen System (eigentlich Kapitalismus) vorstellen können, auch das ist Ergebnis einer smarten PR-Aktion von Edward Bernays – im Auftrag von US-amerikanischen Wirtschaftsverbänden. Dass der Nazipropagandist Goebbels seine Methoden zur Beeinflussung der Deutschen ausgerechnet von einem Juden abgekupfert hat, ist eine spezielle Fußnote der Geschichte. Edward Bernays war nämlich Nachfahre eines berühmten Rabbiners und zudem in zweifacher Hinsicht Neffe von Sigmund Freud, dessen Bücher der hatscherte Brüllaff Goebbels wiederum verbrennen ließ. Was lernen wir daraus? Dass Politik generell nichts mit Wahrheit zu tun haben muss, um erfolgreich (pfuigack) zu sein. Oder schauen wir uns einmal in der politischen Gegenwart um: Microtargeting, Cambridge Analytica, Social Engineering, unsere Welt ist voll von inhaltsleeren Politdarstellern, die sich mit miesen Tricks an die Macht schwindeln. Auch unsere kleine Welt Österreich. Wer über die richtigen Methoden (schlag nach bei Bernays) und genügend Geld verfügt, kann die Massen zum gewünschten (Wahl)ergebnis manipulieren. “Manufacturing Consent” oder “Du hast keine Wahl, also nutze sie!” Wer die Qual hat, hat die Qual.

“Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh” Das ist der Titel der Lebens- und Überlebenserinnerungen von Marko Feingold, der am 19. September von uns gegangen ist. Wir haben ihn bei einigen Sendungen und Projekten kennen gelernt und wollen sein Vermächtnis (vor allem seinen legendären Humor) in einem kurzen Nachruf würdigen. Etwas Wesentliches jenseits des aufgeregten Politbimbams

 

The Young Gods play Woodstock

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. September – Jetzt ist es dann aber auch wieder einmal gut mit der ganzen 50-Jahre-Woodstock-Revivalerei. Wiewohl sich einige unserer Kolleg_innen erfrischend anders als der sonstige Medienmainstream mit diesem Jubiläum befasst haben, so etwa Erwin Müller in Flower Power Radio (der gleich in mehreren Folgen den Konzertmitschnitt mit allerlei Anekdoten und Hintergrund-Informationen garnierte) oder Karl Krenner in Karls Roaring Sixties (der auch Liveaufnahmen vom Festival präsentierte, die weder im bekannten Film noch auf den ebenso populären Live-Tonträgern zu hören waren), so ist uns doch insgesamt eine ziemliche Überdosis an Woodstock-Sentimentalität um die Ohren geflogen. Also, machen wir Schluss damit: “Woodstock in die Wurschtmaschin!”

the young gods play woodstockDoch wer uns kennt, weiß längst, dass derlei Verwurschtung und Zertrümmerung hierzuohrs stets nur würdigend und künstlerisch anspruchsvoll sein kann, niemals flach verächtlich machend oder gar plump herablassend. Dazu haben wir sodann auch tatsächlich ein passendes Gesamtkunstwerk gefunden, und zwar “The Young Gods play Woodstock”, die nicht mehr ganz so offizielle Aufnahme vom Willisau-Jazzfestival 2005. Das schweizerische Post-Industrial-Kollektiv rund um Franz Treichler führt diese wegweisende multimediale Ver(be)arbeitung des Woodstock-Mythos in Gestalt einer Verschmelzung von Originalfilmsequenzen und Originalsound mit bearbeiteten Samples sowie ihrer eigenen Livemusik auf. Das dabei entstandene Werk ist gleichzeitig eine Verbeugung vor der damaligen Ideenwelt – und eine gelungene Übertragung des damaligen Kreativgeists in die gegenwärtige Zukunft. Und das nicht ohne Ironie! Ein Höhepunkt ist zum Beispiel Erika Stucky als Roger Daltrey (See me, feel me) oder als Joe Cocker (With a little help from my friends). Ein weiterer sind die subtilen Anspielungen auf jene Bands, die nicht oder nur fast am Festival teilnahmen (The Rolling Stones, The Doors)…

Leider gibt es von diesem Projekt kaum noch brauchbare Aufnahmen im Internet. Dieses Video vom Paleo Festival Nyon 2009 kann allerdings einen ersten Eindruck von der Bühnenshow vermitteln. Und das von mir ausgewählte (ich habe mir erlaubt, den gut eineinhalbstündigen Willisau-Bootleg auf etwas über 40 Minuten zu kürzen) “Star Spangled Banner” kommt dem feuchten Traum vieler Gitarristen, einmal mit Jimi Hendrix gemeinsam auf der Bühne zu spielen, noch am nähesten (zumal man den Verblichenen ja nur schwer wieder zum Leben aufblasen kann). In diesem Sinn also “Purple Haze” – in der Young-Gods-Version – zur geneigten Einstimmung.

 

The Wall zum Geburtstag

Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. September (Doppelstunde) – Haben wir jetzt endlich alle Jubiläen beinand? Neben Woodstock und dem 2. Weltkrieg gäbs da noch Roger Waters und The Wall. Das legendäre Pink-Floyd-Konzept-Doppelalbum kam im Herbst 1979 erstmals als Studioversion über uns – und entwickelte sich schon bald zu einer interdisziplinären Darstellungsvielheit, die bis heute immer wieder zu neuen Wegen des Musik- und Geschichtenerlebens inspiriert. So entstand etwa 1982 unter der Regie von Alan Parker ein wahrhaft genresprengender Film (Ausschnitt) zu The Wall, in den Jahren zuvor war die Rockoper noch von Pink Floyd selbst gelegentlich als Livekonzertspektakel aufgeführt worden, und 1990 inszenierte sie Roger Waters anlässlich des Falls der Berliner Mauer noch einmal neu – am Brandenburger Tor

Roger Waters - The Wall Live (Film)Doch damit nicht genug ging der inzwischen in Ehren ergraute und nichtsdestotrotz nimmermüde Pink-Floyd-Miterfinder noch von 2010 bis 2013 mit einer behutsam weiter entwickelten Version von “The Wall Live” auf Welttournee. Der Fokus seines schier unendlichen Work-In-Progress verschob sich dabei mit der Zeit vom bloßen Beobachten allgemeiner Entfremdung hin zu einer furiosen Kritik an den dafür ursächlichen Verhältnissen. Der heute 76-jährige Roger Waters ist zu Recht zornig und weist mit dem Finger des Propheten in die klaffenden Wunden unserer Welt: Krieg als ultimative Erscheinung staatlicher Gewalt gegen den Einzelnen. Bei ihm heißt das zugrunde liegende Prinzip Staatsterrorismus – und speist sich auch aus seinem Nichterinnern an den Verlust seines Vaters Eric Fletcher Waters, welcher 5 Monate nach Rogers Geburt in der völlig verunglückten allierten Landeoperation bei Anzio zu Tode kam. Sein lebenslanges Abmühen an diesem so umfassenden Grundtrauma, und dass er es bis heute in künstlerische Ausdrucksformen zu übersetzen versteht – das macht uns den Mann einfach sympathisch. Man höre etwa “The Fletcher Memorial Home”

Roger Waters - mehr als nur der Schöpfer von The Wall

Nachdem wir uns jetzt jahrelang durch (oft recht räudige) Live-Bootlegs und obskure Audience-Videos (bis hin zur leider nicht mehr auffindbaren Konzert-Reconstruction vom Mai 2012 in San Francisco, bestehend aus ebensolchen) durchgequält haben, ist mittlerweile ein ordentlicher Konzertfilm erschienen, der am 6. September 2014 (dem 71. Geburtstag des Künstlers) erstmals gezeigt wurde. Wir spielen den Sound-Rip des Spektakels heute zu seinem 76. Geburtstag (sowie zum 58. des Hundes) und erinnern an das erstmalige Auftauchen von verstörenden Bildern: “Another Brick in the Wall”

So you thought you might like to go to the show

PS. Hier noch die berührende Geschichte, wie Roger Waters nach über 70 Jahren vom Anzio-Veteranen Harry Shindler Genaueres über den Tod seines Vaters erfuhr.

 

Die Menschheit schafft sich ab (Buchvorstellung)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. AugustDer Herr Professor von der Universitätssternwarte in München hat ein vielbeachtetes Sachbuch geschrieben, dessen harter Titel uns sogleich sympathisch war: “Die Menschheit schafft sich ab – Die Erde im Griff des Anthropozän – Zum Stand der Dinge”. Das Besondere daran ist, dass hier ein anerkannter Wissenschafter den Weltbildern der Wunschdenker “an den Karren fährt”, wie es der geschätzte Gunkl ausdrückt, der im übrigen sogar gelegentlich gemeinsam mit ihm auftritt. Wir verwenden in dieser Sendung das Buch, das uns der Komplett-Media-Verlag zur Verfügung gestellt hat, und Ausschnitte einer Lesung des Autors (mit Publikumsgespräch) in der Buchhandlung Hugendubel. Am nächsten Sonntag gibts dann Harald Leschs gleichnamigen Vortrag auf die Ohren.

Harald Lesch - Die Menschheit schafft sich abDer Themenkreis “Überleben der Menschheit” ist ja tatsächlich seit vielen Jahren ein Dauerbrenner. Doch zum Glück spitzt sich die Frage, ob und wie wir als Spezies Mensch die weltweit zunehmende Zerstörung unseres Planeten überstehen können, in letzter Zeit ebenso zunehmend zu. Themen wie Erderwärmung, industrialisierte Landwirtschaft, Artensterben, Plastikmüll, Überbevölkerung und Ressourcenknappheit drängen trotz vehementer Abwiegelungen vermehrt in unser Bewusstsein. Die Allianzen derer, die “eine gedeihliche Zukunft für alle” etablieren wollen, werden ebenfalls immer bunter und vielfältiger. Da ist eine Krisis in Sicht, die diesen Namen endlich verdient. Wie aber kann eine darauf folgende Katharsis beschaffen sein?

Hier stehen wir nun genau an der feinen Grenze zwischen Wissen und Handeln, die dieses Buch auszeichnet, und die darin auch nicht ratgeberdumm überschritten wird. Der geheimnisvolle Übergang zwischen seinem Inhalt und dessen Auswirkung in der Lebenswelt der Leser*innen bleibt respektvoll gewahrt. Der liminale Zustand muss auch beschützt werden, sonst gelingt die Transformation der Reisenden in etwas Neues nämlich nicht. Genau darum geht es aber derzeit für die gesamte Menschheit: Eine radikale Verwandlung der gesellschaftlichen Strukturen, weg von der Herrschaft der Wenigen und ihrer Profitmaximierung auf Kosten der Allgemeinheit, und hin zu einem “gedeihlichen Gemeinwesen”, das die Reichtümer der Erde gerecht aufteilt, und das so auch die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten sicherstellen kann.

Nicht umsonst trägt ein Kapitel die Überschrift “Empört euch!”, just dieselbe wie eine Vermächtnisschrift von Stéphane Hessel oder ein mit dieser zusammenhängendes Lied von Konstantin Wecker. In diesem Sinne

 

Steve Westfield Album

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. Juli – Obzwar keine Musik aus Salzburg, so doch immerhin Musik, die einen gewissen Salzburgbezug vorzuweisen hat. Nicht nur, dass Günther Binder (The Seesaw, Jekyl & Hyde Park Band) eine Zeit lang bei Steve Westfield das Schlagwerk rührt, auch das heimische Musikurgestein Stootsie (der heute den schönen Shop Riverside Guitars betreibt) spielt sich in den 90ern bei legendären Konzertsessions mit Steve Westfield and The Slow Band in den Rausch der Sinne. Und sogar in der historischen Werkschau wird die Stadt an der Salzach explizit erwähnt: “Austria becomes a haven for the band, normally playing 3-5 hour gigs, with much improvisation. One gig in Salzburg ends at 5:00 am with only Steve W and Steve M lying on the floor still singing, to 3 or 4 people wandering around.” Well said.

steve westfield underwhelmedFür diese Sendung haben wir einige typische Songs aus zwei Alben jener Zeit ausgewählt, aus “Reject me…First” (1995) und aus “Underwhelmed” (1997). Letzteres gibt sowohl in seinem Albumcover als auch durch seinen Titel (eine der allergelungensten Wortschöpfungen überhaupt) die Stimmungswelt der hier versammelten Lieder und Texte vortrefflich wieder. Das ist Kunst für Außenseiter und Deprimierte und zugleich auch ein tiefes Verlangen nach Gerechtigkeit für all jene, die sich nicht mit dem dauergrinsenden Funktionieren einer immer fragwürdigeren Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft anfreunden können oder wollen. Ein gutes Drittel der Bevölkerung, wie man hört, das doch nicht einfach nur hinten runter oder unten raus fallen darf, indem alles so weiter geht wie bisher. Oder? Der Ohrenarsch von Schasplappersdorf und die glitschigen Produktmanager der Digitaldiktatur. Dazu ein Grölpöbel von Volkszornstammlern unter der Kronenheizung. Wunderts noch irgendwen, nach einem Vierteljahrhundert Kommerzfernsehen und Geiz-ist-geil-Marketing, wenn verordnetem Leistungsdruck nicht Entsprechende als bald “überflüssige Menschen” ihrer Abschaffung entgegen dämmern? Der Untergang. Eine Erregung. Von Thomas Burnout. Zurück zur Musik:

“Westfield betreibt ein ziemlich heimtückisches Songwriting, das sich zuerst im Sinne eines Vic Chesnutt langsam melancholisch vor dem Zuhörer ausbreitet, um diesem dann wie ein verspätet zündendenes Tischfeuerwerk unverhofft heftig krachend um die Ohren zu fliegen.” Thomas Kerpen im Ox-Fanzine.

“I expected something pathological, but I did not expect the depth, the violence, and the almost intolerable beauty of the disease. They improvised around the music, went from liquid lyricism, to rasping lechery to the shrill skittishness of a frightened child, to a heroin nightmare.” Kommentar auf “cdbaby”

 

Mikroaggression

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Juni“Beim Reden kommen die Leut zamm.” So auch Slavoj Žižek und Jordan Peterson, als deren Gemeinsamkeit die Kritik am Konzept der “Political Correctness” gilt, just am Karfreitag, und dann auch noch zum Thema “Happiness: Capitalism vs. Marxism”. Eine stets hektisch nach Aktualität hechelnde Medienwelt hat diesen professionell vermarkteten Event schon im Vorfeld zu einem “Philosophenduell” hochgejodelt – und bespricht ihn im nachhinein auch wie einen Boxkampf oder Ähnliches. “Wer hat gewonnen?” Derlei geht uns naturgemäß am Arsch vorbei. Doch das Wort Mikroaggression (und wie Jordan Peterson dessen aktuellen Gebrauch wahrnimmt) ist im Kulturoskop der Artarium-Redaktion hängen geblieben, und so wollen wir es gern näher betrachten…

Mikroaggression ist ein sozialpsychogischer Begriff aus den 70er Jahren, der speziell an Universitäten des englischen Sprachraums derzeit ein fragwürdiges Revival durchmacht. Apropos Macht, ich verstand damals darunter ein Erscheinungsbild struktureller Gewalt und finde es daher heute mehr als zweifelhaft, die Verantwortung dafür wiederum dem Verhalten einzelner Individuen zuzuschieben. Sowas ist doch reaktionär. Oder christlich konservativ. Weltfinanzquadratfundamentalistisch. Genau andersrum würde ein linker Schuh draus, liebe Genoss*innen. Oder? Wenn ich das “Konzept Mikroaggression” im Kontext von “politischer Korrektheit” einmal logisch durchdenke, dann dürfte ich keinen schwarzen Taxifahrer mehr fragen, wo er her kommt (weil er sich dadurch abgewertet fühlen könnte) – und so würde ich weder Interessantes über zum Beispiel Somalia erfahren, geschweige denn Nähe und menschliche Verbundenheit herstellen können. Aber die fortschreitende Entfremdung der humanoiden Plemplems von einander (und somit vom Leben an sich) ist ja eh kein besonderes Problem unserer Gesellschaft. Viel mehr, ob und wie man nicht Neger sagt. Da hat Žižek wohl recht, wenn er hier das visionäre Versagen der gesamten Linken konstatiert. Und Peterson ist vielleicht nicht “der Stichwortgeber” der neuen Rechten, als der er gern verkauft (oder vereinnahmt?) wird. Zwischen dem Bericht über das “Showduell” (im “Zeit”-Feuilleton) und der inhaltlichen Analyse des Gesprächs (von Benjamin Studebaker) liegen jedenfalls Welten an Wirklichkeit.

Reden wir drüber.

Slavoj Žižek hat wie immer seinen ganz eigenen Zugang and so on and so on…

So wie übrigens auch Jordan Peterson, hier im norwegischen Fernsehen

 

Our Tragedy Today

> Sendung: Artarium vom Pfingstsonntag, 9. JuniSlavoj Žižek muss als Kind in irgendeinen Topf mit Zaubertrank gefallen sein, anders lässt sich sein nimmermüdes Sprechberserkern eigentlich nicht erklären. Den “Gutbürgerschreck” nennt ihn die Süddeutsche Zeitung und versieht ihn dabei mit Attributen wie: “atemlos, sprunghaft, unterhaltsam“. Der marxistische Philosoph, der unter anderem “die Psychoanalyse Jaques Lacans in die Bereiche von Populärkultur und Gesellschaftskritik überführt hat”, bereichert uns nun schon seit Jahren mit der erfrischenden Weltdeutung seiner niemals zu einem letzten Dogma gerinnenden Gedanken. Betrachtungen, die immer einstweilige Verfügung im steten Wandel der Gezeiten sind, eine überaus seltene Synapsenerlösung inmitten der sonstüblichen Eukalypse von Recht und Unfalsch.

Laibach Tragedy

Laibach, Sound of Music, Graz 2018
Photos by Miro Majcen

So etwa mit dem titelgebenden Referat “Is there any Alternative to Capitalism? Our Tragedy Today“ (ein Interview, das sich inzwischen nicht mehr im Netz finden lässt) sowie einer Vielzahl von weiteren Features und Diskussionen, die wir eurem jeweiligen Eigenhirn empfehlen. Vollendeter Genuss stellt sich erst dann ein, wenn man den Mann mit allen Sinnen dabei erlebt, wie er fortwährend versucht “auf den Punkt zu kommen” und genau dieser Punkt sich als “ein springender” erweist, der nichtsdestotrotz in einem selbst landet und zur Erkenntnis wird. Bloß nichts Endgültiges – denn wenn erst das eigene Hirnkarussell dadurch angeregt in Bewegung gerät, wirds so richtig lustig – und höret nimmermehr auf. Das haben wir bereits bei unserer Sendung The Pervert’s Guide to Slavoj Žižek erfahren und wollen es diesmal von einer anderen Seite her wiederholen: Der Gutbürgerschreck macht sich Gedanken über die plappernde Planlosigkeit der Linken angesichts des angeblichen “Endes der Geschichte”. Und das, liebe Linke, ist erschreckend aktuell.

Our Tragedy Today oder was Laibach als Teil des slowenischen Kunstkollektivs NSK seit fast 40 Jahren auf geniale Weise zum Ausdruck bringt. Weshalb deren Musik so fruchtbar ist – und die von Abdreas Krawallier so furchtbar. The Sound of Music ist immer und überall. Und Pjöngjang ist Amstetten. Zwei Partisanan suchen Ljubljana…

Kärnten deibt bleutsch!

 

Kasperl oder Genie…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. MaiZur Ehrenrettung des eigentlichen und ursprünglichen Kasperl verweisen wir auf eine diesbezügliche Stellungnahme der Friedburger Puppenbühne, wonach Ausdrücke wie Bundeskasperl, HC Kasperl oder überhaupt Politkasperltheater eine beleidigende Herabwürdigung dieses von allen ehrlichen Kindsköpfen gefeierten anarchischen Abenteurers bedeuten. Bevor sich jetzt auch noch der Zwerg Bumsti und die Maus beschweren, distanzieren wir uns naturgemäß gern von vorn herein, von unsund sowieso. Wenden wir uns halt wieder den wirklich wichtigen Themen jenseits der Tagespolitik im Schleudergang zu, etwa der Frage, ob Peter Filzmaier nicht eigentlich im ZiB-Studio des ORF wohnt oder warum der Medienminister immer in derart blitztürkisen Socken herumsteigt…

Kasperl Genie HabakukZum Thema Augenkrebs ließen sich noch zwei weitere Verunstaltungen der letzten Zeit anführen, deren weltumspannende Bedeutsamkeit uns sprachos zurücklässt: Der Eurowischerl Songcontest, den man auch unter “da freut sich mein Tinnitus” ablegen könnte – und die Verfilmung der vorerst finalen Game-Of-Thrones-Staffel durch die u.s.-amerikanischen Pay-TV-Quotenstresser von HBO. Anmerkung des Perlentauchers: Es geht längst nicht mehr darum, eine entsprechende Form für einen (eventuell) vorhandenen Inhalt zu erschaffen, sondern nur noch darum, alle technischen Möglichkeiten immer noch mehr auszureizen, um mit der Darstellung zu beeindrucken – und abzukassieren. Irgendeinen Inhalt kann man ja – in passende Häppchen zerteilt – nachträglich hinein quetschen. Quietsch Quatsch sozusagen. Und je mehr Geld dabei im Spiel ist (um dessen Vermehrung sich alles dreht), desto abgehobener wird die Form vom Inhalt, wird der Schein vom Sein. Zuletzt bleibt nur Control ohne Message übrig. Gell, Frau Hartinger-Klein, “Wer entwürdigt die Arbeit durch Zwickzweck und Zwang?” Genau! Eine Wirtschaft, deren Tumorwachstum nicht vorkommen darf im Flachbildhirn der ideologisch Bsoffenen vom internationalen Heilsfonds des Geldmachtgelds. Oder wie das ein alternder Udo Jürgens auch beschrieb: Der ganz normale Wahnsinn”

Nein, da wollen wir uns wirklich lieber den Wichtigkeiten widmen, die wir in unserem lyrischen Kosmos selbst erschaffen – und deren Form aus ihrem Inhalt erwächst. Wir haben ja was zu verschenken…