Dichterlandschaften

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. JuliVom Zauber der Dichterlandschaften erzählt Brita Steinwendtner in ihrem neuen Buch “Der Welt entlang”. Dazu besucht sie nicht weniger als 18 höchst unterschiedliche Gestalter_innen von Wortkunst in deren jeweiligen Lebens- und Schaffensräumen. Denn, so eine These dieses schon 2007 mit dem Band “Jeder Ort hat seinen Traum” begonnenen Work in Progress, die vielschichtige Wechselwirkung zwischen den Dichtenden und ihren Landschaften hat immer auch einen wesentlichen Einfluss auf die daraus entstehende Werkwelt. Folgerichtig müsse man die Autor_innen dort aufsuchen, wo sie leben, um so besser verstehen zu lernen, wie sie schreiben. Und genau das glückt Brita Steinwendtner in den 18 feinsinnigen Portraits ihrer Reise durch 18 verschiedene Dichterlandschaften.

DichterlandschaftenDabei herausgekommen ist ein in jeder Hinsicht dichtes Kompendium, das sich der Genrezuschreibung entzieht, weil es sich in Aufbau und Gestaltung, in Bild- und Wortwahl genauso verschieden verhält, wie die darin portraitierten Künstler_innen nun einmal ihrem Wesen nach sind. Es ist die geradezu zeituntypische Stärke dieses Unterfangens, ein so hohes Maß an Intimität zu schaffen und dabei doch nicht aufdringlich, einmischend oder respektlos grenzverletzend zu sein. Zugleich ein Zitatenschatz (sorgfältig mit Quellenangaben hinterlegt), vielfältige Einladung zum weiteren Entdecken, nachhaltig neugierigmachend, im besten Sinn verführererisch, sowohl Steinwendtners Steinbruch als auch Kreativkonglomerat, Dichtung von und mit Dichter_innen wie zum Beispiel Monika Helfer und Michael Köhlmeier, Friederike Mayröcker, Juri Andruchowytsch, Hubert von Goisern, Ilija Trojanow. Ein idealer Reisebegleiter zum Hineinstaunen in immer neue Welten oder wie es eine Nachbarin ausdrückte: “Jetzt bin ich auf Jahre hinaus mit Anregungen für meine Lektüre versorgt.” Wir haben unsererseits die Brita aufgesucht und sie ins Kunnst-Biotop gebeten, zur wechselseitigen Belebung der Dichterlandschaften

“Seit fünfzehn Jahren hatte ich diese Jandl-Mayröcker’sche Mansardenwohnung nicht mehr gesehen. Es erstaunte mich und doch auch wieder nicht: Sie sah aus wie die Wohnung im vierten Stock. Zugewachsen. Schreibhöhle und Irrgarten. Gefängnis oder Geheimnis? Edith hatte Friederike ein geschmücktes Weihnachtsbäumchen gebracht, schief stand es zwischen den Gebirgen aus Büchern, Zettetlabyrinthen und kleinen bunten Wäschekörben, überquellend mit Papierenem auch sie. Ist die Weit hier ausgeschlossen oder vielmehr hereingeholt in tausendertei gedruckte Tanderei? In den Atem lebensnotwendiger Schrift und Schriften, die sich vermehren wie das Myzel einer tropischen Pflanze? Für Friederike ist diese Verzettelung ein Lebensmuster, sie kann es ironisieren und hat selbst Angst vor den Hurrikanen aus Staub.”

Aus Der Welt entlang” (Besuch bei Friederike Mayröcker)

 

Herabwürgung religiöser Lehren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. JuliEine intelligente Sendung über das, was geht – und das, was nicht geht. Und darüber, wie man es doch machen und dabei auf der sicheren Seite bleiben kann. Es geht natürlich um die sogenannten No-Gos der Programmgestaltung wie etwa Sexismus, Rassismus, Aufrufe zur Gewalt und das elegante Beleidigen von Religionsvertretern sowie sonstigen Oberhäuptern. Ganz offensichtlich (das legt ja schon der Titel nahe) handelt es sich hiernei um einen satirischen Beitrag, der im Brecht’schen Sinn (unter anderem durch Übertreibung) “die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit entstellt“. Oder wie beschrieb einst Karl Kraus den Salzburger Jedermann?“Der aberwitzigste Dreck” – und trat umgehend aus der katholischen Kirche aus. Na also, geht doch. Und jetzt wir: ACHTUNG SATIRE!

HerabwürgungRufen wir also zunächst einmal zum Oralverkehr mit einem Gangsta-Rapper sowie zur Tötung eines populären TV-Moderators auf, verhöhnen wir sodann pauschal alle männlichen Journalisten (das ist doch sowas von sexistisch), bevor wir die christliche Religion schmähen und dabei die geistige Gesundheit des Papstes in Frage stellen, Angela Merkel “ficken” sagen lassen – und darüber nachdenken, warum sich Kurz auf Furz reimt. Alles ganz schön gefährlich – doch im geigneten Kontext, in indirekter Rede, als Satire kenntlich gemacht oder einfach nur mit dem richtigen Konjunktiv geht viel mehr, als man glaubt, können zu dürfen. Denn unsere Inhaltsregeln sind nicht dazu da, bestimmte Themenbereiche insgesamt aus dem Programm zu verbannen. Sie dienen vielmehr dazu, bestimmte Haltungen wie Hetze, Kommerz, Propaganda und überhaupt das Fürdummverkaufen der Hörer_innen hintan zu halten. Genau dafür gibt es auch die Programmkommission. Und nicht dafür, dass hier alle so schön sprechen, wie es einige Wichtigkeiten wohl gern hätten, dass wir ihnen Honig ums Maul brunzen.

Herabwürgung WarnhinweisAuf jeden Fall werden wir in dieser Sendung einige Möglichkeiten des Umgangs mit “schwierigen Themen” exemplarisch anleuchten, naturgemäß auf die uns eigene Art der augenzwinkernden Zwischentöne. Denn zwischen Warz und Schweiß existieren ja unzählbare Schattierungen von Gunkel und Heil. Womit wir beim Antisemitismus angelangt wären, einer der zahllosen Varianten des Rassismus (den wir nicht mögen). Und somit bei einem weiteren Grund, weshalb diese Darbietung keine (nach § 188 StGB strafbare) Herabwürdigung religiöser Lehren ist, sondern die Darstellung genau jener Herabwürgung, die viele Menschen guten Willens Tag für Tag so unsäglich schlucken macht, wenn sie versuchen, zu verdauen, was ringsum vorgeht. Die fortwährende Herabwürgung des Brechreizes, den die Hirnblasen der religiösen Leeren bewirken.

Deppert sein sollte man dabei lieber nicht. Aber hört selbst…

 

Wir spielen die Hitz

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. JuliSalzburgs einzigstes Hitzradio aus dem heuer noch nicht klimatisierten Saunabereich der Radiofabrik. Wir schwitzen für euren Genuss und entblöden uns nicht, auch die Fenster zu schließen, wenn im Gastgarten wieder der Grölpöbel stöhnt. Doch womöglich regnets ja eh. Wie dem auch sei, die Doppeldeutung des Titels ist absichtsvoll gewählt. Nicht jeden Preis, der heiß ist, wollen wir auch gewinnen! Und zumeist ist “die beste Musik aller Zeiten” zugleich der größte Scheißdreck aus industrieller Künstlerhaltung. “Die größten Hits” sind es mit an tödlicher Sicherheit grenzender Wahrlichkeit immer. Die größte Hitz hingegen herrscht hier in diesem Brutschrank der Möglichkeiten, sobald es auch nur einen Tag lang Sommer ist…

Österreich Hitz“Ein Musikprogramm abseits des Mainstream” verkündet arbeitsfroh und hoffnungsreich das Leitbild der Radiofabrik. Ein “Audiovergnügen der Extraklasse” wird da verheißen, prophetisch “Der Protection-Plan für EnthusiastInnen & IndividualistInnen” genannt. Und was kann er? “Schützt vor Einheitsbrei.” Alles klar! Das ist schon mal Musik in unseren Ohren und wirkt vorbeugend gegen Kotzen und Hirnbluten. Des weiteren heißt es da: “Neben der inhaltlichen ist die musikalische Vielfalt ein Markenzeichen des Programms von Salzburgs Community Radio. Radiomacher und Radiomacherinnen sowie die Musikredaktion der Radiofabrik achten hier auf Qualität abseits des Mainstream und quer durch alle Genres.” Ob sich jetzt nicht gleich manch eins unter den Kolleg_innen erschrocken an den schweißnassen Kopf greift? Die Hitparade bringt uns nicht in Wallungen – das macht vielmehr die Hitz, ihr Dudelsäcke! Tabularasa in exzentris trihullioh, wie das Patridiotenbrettl nahebleicht.

Musik aus SalzburgEin möglicher Gedankenanstoß aus unserem Gespräch mit dem ehemaligen Schauspielchef der Salzburger Festspiele: Warum hört Thomas Oberender gern die Radiofabrik?

“Mal ganz egoistisch gesprochen, weils die beste Musik ist. Ich bin sozusagen immer mit Shazam bewaffnet vorm Lautsprecher, weil ich auch gemerkt hab, dass viele Musiktitel nicht in der Playlist im Internet stehen, grade beim moderierten Programm müsste man dann auf die eigentliche Website des jeweiligen “Veranstalters” gehen. Es gibt da eine sehr besondere Form von Musik, die selten Mainstream, aber immer aufregend anders und innovativ ist – und ungewöhnlich. Das ist das eine, also jetzt mal der unmittelbare Grund, weil ich das Musikprogramm toll finde und mir das auch zum Teil neue kulturelle Bereiche erschließt. Da ist ja nicht nur europäische, oder sagen wir, westeuropäische Musik, sondern man hört da in alle möglichen Welten hinein. Und ich mag diese Geste “Musik aus Salzburg”, mitten ins internationale Programm gemischt kommen Bands, die man sonst nie wahrnimmtund die gut sind.”

Potzblitz Hitz

Und was sagt unser geschätzter Günther Paal (Gunkl) da dazu?

“In diesen freien Radios passiert ja auch etwas, das ich sehr schätze, nämlich: Das machen Menschen, weil die das machen wollen. Das ist ein ganz kurzer Weg von der Operation zum Resultat. Wenn jemand, sagen wir mal, Musik präsentieren will, dann will der, dass diese Musik gehört wird. Und dann sagt so jemand: Freunde, da gibts was, das find ich ganz toll. Hörts euch das an, das ist wirklich gut. Man hört sichs an und denkt: “Find i jetzt ned” oder “Bist du deppert!”, irgendwas – aber das IST es. Ein sehr direkter Weg, um etwas zu vermitteln. Und nicht eine Behauptung von einer Gebärde, die vorgibt, etwas heißen zu wollen, mit dem Schielen auf ein Resultat, das wir uns aber alle verheimlichen – damit die Zeit vergeht. Wo ich mir dann denk, Freunde, das rareste Gut, das wir haben, ist Zeit, also tuts jetzt nicht Zeit schinden. Wenns euch um nix geht – gehts weg!

Dem haben wir (abgesehen von unserer Sendung) überhaupt nichts hinzuzufügen.

 

Ode an die Freude?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. JuliLudwig van Beethoven, Friedrich Schiller und die Europäische Union. Ich bitt’ sie, gehts nicht eine Nummer kleiner? Doch, wirklich, diese drei gehören mittlerweile untrennbar zusammen. Dabei schrillt ringsumher ein Alarm nach dem anderen: “Zu Hülf’, zu Hülf’, Europa ist in der Krise und das Abendland geht unter!” Die mediale Hirnfräse lässt einem kaum noch Zeit zum Innehalten und Nachdenken, obwohl wir nichts anderes so nötig hätten als dies. Ganz Europa versinkt im Gezwitscher der aufmerksamkeitsgeilen Nachplapperer. Ganz Europa? Nein, denn eine kleine Gemeinschaft von freien Medien hört nicht auf, nach dem Wesentlichen zu fragen – und so dem Einheitsbrei der Aufgeregtheit ihre eigenen Erkenntnisse entgegen zu halten. Die Ode an die Freude aus unserer Sicht:

Ode an die FreudeZwischen verordnetem Hochjubel und reflexhafter Ablehnung muss doch noch Zeit sein für tiefergehende Betrachtungen. Also nehmen wir sie uns einfach! Und beleuchten wir die Entstehung dieser euphorischen Hymne auf das Leben in Freiheit, Frieden und Glückseligkeit, die auf ein Gedicht von Friedrich Schiller zurückgeht, das dann von Ludwig van Beethoven vertont wurde und schließlich seit 1985 als offizielle Europahymne fungiert. Da drängen sich schon einige Fragen auf, wenn man das politische Erscheinungsbild der Europäischen Union mit Schillers Kampf gegen die obrigkeitliche Bevormundung in Einklang bringen möchte oder mit Beethovens Misstrauen gegen die sogenannten Normalbürger. Womöglich helfen uns zwei konträre Verbearbeitungen dieser Ode an die Freude beim Denken: Erstens das gleichnamige Stück von Jazzkantine, zweitens das wunderbar grantige “Olle Menschn san ma zwida” von Kurt Sowinetz. Und Misha Schoeneberg schrieb darob in seinem Beitrag für Kai Sichtermanns Anthologie Kultsongs & Evergreens: 

“So Vieles spricht – trotz aller Widersprüche oder grade ihrer wegen – für die Wahl des Schlusschores der Neunten als Europa-Hymne, dass aber das Arrangement dafür Herbert von Karajan angetragen wurde, kommt einer Kastration des Genialen gleich. Nun ja, Staatsräson. Man möchte mit Beethoven traurig in die geordneten Vorgärten der Anderen schauen, doch hoffen, dass einen die braven Bürger nicht verhaften. Das Leben ist doch nicht gemähter Rasen, Freunde, sondern Jubel! Jubel, Freunde, Rausch und Ekstase!”

Der von uns neulich vorgestellte Animations-Kurzfilm POILUS stellt das Thema der Europa-Hymne recht schockierend in einen seiner ursächlichen Zusammenhänge. Präsentiert wird die Artarium-Sendung diesmal gemeinsam mit Roman Möseneder.

 

Hasen wie wir

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. JuniJenseits des Osterhasen wäre noch Platz für ganz normale Hasen, wenn die in unserer seltsamen Kultur nicht immer nur als Jagdbeute gesehen würden. Vom Kulturimport Playboybunny einmal abgesehen, ist etwa das notpuderige Erlegen der Schihaserln durchaus wesensverwandt mit der blutrünstigen Mühlviertler Hasenjagd. Was jedoch passiert mit derartigen nur allzu gewohnten Weltbildern, wenn die Hasen einmal tatsächlich den Platz (und die Rolle) der Menschen einnehmen? Dazu können wir beispielsweise den Kurzfilm “Poilus” von ISART DIGITAL auf uns wirken lassen, in dem animierte Hasen die französischen Soldaten des 1. Weltkriegs verkörpern und dadurch die Grausamkeit des Gemetzels erst recht entlarven. Menschen als Schlachtvieh oder Hasen wie wir?

Poilus Hasen BegegnungIn anderen Kulturen wird der Hase als Sonnenschöpfer (First Nations), Spender des Lebenstranks (Japan) oder Begleiter von Gottheiten und zauberkundigen Frauen (keltisch) wahrgenommen. Bei uns nach der Christianisierung als böses Hexentier, das Symbol entfesselter Geilheit… Darob ließ ein gewisser Papst Zacharias im Jahr 751 sogar den Verzehr von Hasenfleisch verbieten, weil er dies als sitten- und moralgefährdend einstufte. Ein “unreines” Tier also. Jössas! Und wie war das mit dem Osterhasen? Achso, ein Überbleibsel der Zwangsbekehrung wie auch die Flurnamen keltischer Kultplätze, auf welche die Religion des Friedens sogleich ihre Wallfahrtskirchen und Maria Dingsbumse gewaltsam obenaufpfropfte. Wir leben in einer Kultur des Eroberns und Beherrschens, ganz nach dem Motto Töte oder stirb. Was für eine Errrungenschaft! Je gläubiger, desto wahnsinnig. Und höchst wahrscheinlich ist ein Grund für die hintergründige Kraft des skandinavischen Kunstschaffens eben die nie so ganz flächendeckende Christianisierung in den Herzen und Hirnen der dort Lebenden…

Poilus Hasen FerdinandDoch zurück zum Hasen an sich. Wie das alles anfing, dass wir zwei zueinander erstmalig Hase sagten, wie wir dieses Wort dann in immer neuen Verbindungen wie Hasenhund, Hasensalat oder Hasenschwall steigerten, sogar bis zu dem inzwischen legendären “Wir sind die Hasen!” Und wie sich daraus fast unbemerkt die Vorstellung entwickelte, in unserem Menschsein einige wesentliche Eigenarten dieses weithin unterschätzten Naturgefährten zu entdecken – und zu erforschen. Vom Wesen des Hasen inspiriert zu einem friedvolleren und gewaltfreieren Menschendasein – auf einer Welt voller Verbrecher und folgsamer Idioten. Da ist es wohl kein Zeitzufall, dass der Hase Ferdinand im wirklich ausgezeichneten Kurzfilm “Poilus” inmitten der Schlachtfelder des 1. Weltkriegs ausgerechnet jenes Thema von Beethovens “Ode an die Freude” spielt, das auch als Hymne des geeinten Europa bekannt ist. Darüber hinaus bietet das Künstlerkollektiv Institut Hasenbart Wissenswertes zum Selbstinterpretieren. Betrachten wir also die Welt aus der Perspektive der Hasen!

 

Ursonate (Excellent Birds)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. JuniKurt Schwitters‘ Ursonate ist beileibe kein Nonsens. Und das Orff-Institut für Elementare Musik- und Tanzpädagogik (Ernst Jandl hätte es nicht besser betitelen können) ist auch kein Ort für schwere Nöte. Dortselbst fand nämlich am Dienstag, 13. Juni eine Aufführung (von Ausschnitten) derselben statt, über welche wir hierselbst berichten. Alles MERZ, oder selbst? Eben. Denn dem genial schrägen Vogel war seinerzeit selbst Dada viel zu definiert, und so schuf er sich mit dem Kunstbegriff MERZ einen “absolut individuellen Hut, der nur auf einen einzigen Kopf passte” – nämlich seinen eigenen. Der Urdadaist und Wegbereiter beinah jeder späteren “konkreten” oder “Lautpoesie” von Ernst Jandl bis Christian Ide Hintze war also ein Individualanarchist, der sich nie einfügte. Sehr sympathisch!

UrsonateNoch sympathischer finden wir die Urheberrechtsgroteske rund um den Berliner Subkulturforscher Wolfgang Müller, der 1997 auf der norwegischen Insel Hjertøya eine ehemalige Strandhütte Schwitters‘ untersuchte und dabei die Stare (genau, die Amseldrosselfinkund- Vögel) Motive aus der Ursonate singen hörte. Er nahm sie auf und veröffentlichte ihren Gesang – zwar als “Naturgeräusch” deklariert – nichtsdestotrotz brach der üblich-läppische Copy-Riot über ihn herein, samt Erbenstiftung und Verleger. Heiliger Thomas Burnout, bitt für uns arme Künstler!” Und so war auch die überaus anregende Vorstellung der Ursonate im Gunild-Keetman-Saal von solcher Vogelperspektive inspiriert, was in den Kostümen (auf dem Foto vom Schlussapplaus) kenntlich wird. Überhaupt haben die Studierenden hier eine sehr vielschichtige Interpretation der Urpartitur entwickelt, die Bewegung, Stimme und soziale Emotionsdramaturgie mit Elementen der Naturbeobachtung dergestalt verflicht, dass einem da regelrecht die Sinne aufgehen. Eine Aufgabe von Kunst besteht wohl darin, uns empfindungsfähiger zu machen für all das, was wir im beschleunigten Alltagsvollzug fast gar nicht mehr wahrzunehmen imstande sind …

Vor allem eben uns selbst (ein herzliches Prost auf den Kiepenheuer Bühnenverlag!)

In diesem Sinnlichen:

böwörötääzää Uu pöggiff

fümmsböwötääzää Uu pöggiff

fümms bö wö tää zää Uu, pöggiff,

kwiiee. kwiiee. kwiiee. kwiiee. kwiiee.

kwiieee!!!

 

Manfred Mann’s Earth Band – Somewhere in Afrika

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. MaiZum siebenjährigen Jubiläum unserer von der Ö3-Musicbox inspirierten Reihe “Das ganze Album” wiederholen wir erstmals ein wegweisendes musikalisches MACHTWERK. Und zwar das außergewöhnliche Konzeptalbum Somewhere in Afrika von Manfred Mann’s Earth Band, mit dem wir einst unseren Welt- und Zeitreigen quer durchs ungekürzte Hörerlebnis eröffneten. Auch so schreibt sich Geschichte. Naturgemäß ist jede Auswahl von Musikwerken, die man für unbedingt empfehelnswert erachtet, immer sehr persönlich und subjektiv. Sofern man sie noch selbst und nach eigenen Kriterien vornimmt und sie sich nicht von Fremdinteressen wie Hörerreichweite oder Gewinnsteigerung vorgeben lässt. Der Seinszweck des Menschen ist halt NICHT seine wirtschaftliche Verwertbarkeit.

somewhere in afrikaIn dem Zusammenhang ist auch der politische Hintergrund des 1982 entstandenen Albums zu verstehen. In Südafrika herrschte damals ein brutales Apartheid-Regime, gegen welches zunehmend internationaler Druck aufgebaut wurde, was dann schließlich zu dessen Ende sowie zur Wahl von Nelson Mandela zum ersten schwarzen (!) Präsidenten des afrikanischen (!) Landes führte. Die Cover-Rückseite des Albums zeigt die Bantustans” genannten Homelands, wo die eigentliche (vor der Kolonisierung durch Großbritannien im ganzen Land heimische) Bevölkerung bis Anfang der 90er unter unmenschlichen Bedingungen dahinvegetierte. Diese von den weißen Besitzbürgern willkürlich festgelegten Zonen waren eine perfide Mischung aus selbstverwalteten Eingeborenen-Reservaten und eingegrenzten Anhaltelagern für billige Arbeitskräfte. Von dort wurden sie täglich an die Produktionsstätten und in die Siedlungen der weißen Oberschicht transportiert, und dort war ihnen wiederum genau vorgeschrieben, was sie zu tun und unter Strafandrohung zu lassen hatten. Etwa den selben Gehsteig oder das selbe Klo zu benutzen wie ihre Ausbeuter. Die hatten ihnen zwar längst den ganzen Wohlstand geraubt und ihnen das Land durch selbstgemachte Gesetze abgeschwindelt, doch dauerte es noch Jahrzehnte, bis eine Umkehr begann.

somewhere in afrika frontSo versteht sich dieses Opus aus der Traditionsschmiede der Earth Band gleich in mehrfacher Hinsicht als Zeitdokument des Umbruchs. Denn nicht nur die politische Lage in Manfred Manns Heimat Südafrika eskalierte zusehends, auch die Ära der großen Prog-Rock-Epen neigte sich unaufhaltsam ihrem Ende zu. Punk und New Wave zerlegten die Hörgewohnheiten der inzwischen merkbar gealterten Veteranen der Rock- und Pop-Revolution lustvoll und in ihrem Gefolge schossen die Subgenres nur so aus dem Boden – wie die Pilze nach dem Sommerregen. Den einst mit ihren raffiniert ausgetüftelten barock-bombastischen Konzeptorgien stilprägenden Protagonisten der 70er Jahre blieben da nur zwei Möglichkeiten: Entweder irgendeine Art von Anpassung an die sich verändernden Soundwelten, etwa durch Bearbeitung und Integration neuer Einflüsse – oder eben der Weg in die Nostalgienische eines stilistischen Selbstmuseums. Wenn man bedenkt, dass um diese Zeit Peter Gabriel mit den ersten WOMAD Konzerten und Samplern die World Music” als ernsthaftes interkulturelles Genre etablieren half, aber auch in Paris die erste Fête de la Musique stattfand, dann ist Somewhere in Afrika mit Sicherheit ein sehr gelungenes Beispiel für die musikalische Weiterentwicklung seiner im Wortsinn progressiven Schöpfer.

 Alte Artikel sind hier oder hier zu lesen, die Musik ist bei uns wieder gut zu hören

 

Maikäufer und anderes Ungeziefer

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freutag, 12. Mai“Die Sonne, ein radikalsozialistischer Leuchtkörper, eines der wenigen Objekte dieser Welt, deren private Ausbeutung deshalb noch nicht gelungen ist, weil es keine Großhimmelsgrundbesitzer gibt, diese Sonne nimmt sich die Freiheit, allen Menschen gleich zu leuchten und die dürre Haut des Hungernden ebenso zu wärmen wie den fetten Bauch des Satten.” So schreibt Joseph Roth in einer Hausarbeit namens “Der Frühling, die schönste Jahreszeit”, deren Wiederauffindung wir dem Nachlass des umtriebigen Sprachpflegers Axel Corti verdanken. Und deren Grundstimmung wir uns allein schon wegen des Grünens und Blühens ringsumher gern anschließen! Ganz zu schweigen von der temperatürlichen Lieblichkeit, welche uns im sinnlichen Erfahren einer lauen Maiennacht überkommt.

Maikäufer 1Lässt sich dieser Wonnemonat, der uns mit so schönen Wortkreationen wie Maibaum, Maibock, Mailand, pardon, Maiandacht beschenkt, so zur Handelsware machen wie die etwas weniger laue Weihnacht? Zur gesetzlich geschützten Wortmarke wie (zum abschreckenden Beispiel) Thomas Bernhard? Oder wessen Sprache ist ein Grunzbesitz? Peste Grüße hierorts an Herrn Fabjan, der Urheber ächzt, der Urheber rächts! Und an alle Verleger, die uns damit in Verlegenheit bringen, dass sie jemandes Sprachperlen so derart verlegt haben, dass kein Mensch sie je wiederfindet, es sei denn als Konsumwichtel. Ja, Maikäufer gäbe es zuhauf, wenn der revolutionäre Frühling endgültig als Pop-Ikone verklärt zum Merchant-Scheiß umgetupft wird wie einst das Che-Guevara-Bild zum T-Shirt. Die Maikäfer hingegen werden immer weniger, so wie auch die Honigbienen und zu schlechter Letzt noch die Singvögel, in diesem wahnsinnigen Weltkarussell von Allesverkäufern und entfessellten Endverbrauchern. Es lebe die schrankenlose Gierokratie, let’s have a Crispy Himmelfahrt, straight outta Appgrund! “Jeder weiß, was so ein Mai-Käfer für ein Vogel sei.” Gell ja, das Geldsäckulum verleiht Flüüügel

Maikäufer 2Ich wage also das Dicktum. Wer sich derlei Wortakrobatik (und Akribie) gern bis zur Überdosis ungefiltert reinschraubt, mag sich die Sauwaldprosa in der von BR2 verhörspielten Fassung zufügen, da feiern nebst Arno Schmidt noch aberzig andere im Uwe-Dick-Kopf so feuchtfröhliche Urzuständ, doss grod a so rauscht, vastehst? Inhaltlich eingängiger, wenngleich wesensverwandt im Aufbau seiner unerwarteten Wendungen, stopfen auch wir uns ein Sackerl voll mit Krabbelgetier und lassen es ungeheuer auf euch los: Maikäufer, flieg, die Wirtschaft ist ein Krieg, zu haben wär das Heimatland, doch ich bin leider abgebrannt. Maikäufer, flieg! Da mögen sich ganz neue Synapsen verknüpfen im Großmyzel jenseits des Flachbildhirns. Etwa wenn wir Zitate von Karl Markus Gauß in unsere Musikdramaturgie einstreuen oder Schüttelreime von Franz Mittler. Apropos: Kaum war der uns von Gott verlieh’ne Mai da,
schon sah ich Fräulein Wilhelmine, leider.
Sie hängt auf ihre Wäscheleine Mieder
und trällert “Leise flehen meine Lieder”

Maikäufer 3Eine erhebliche Errungenschaft des Frühlings sind die allgegenwärtigen Schaufenstersprüche von diversen Autor_innen, durch die uns das auch demnächst wieder ausbrechende Literaturfest Salzburg im Wortsinn mit prächtigen Blüten versorgt. Aus dem Fundus dieses genialen Einfalls stammen die oben erwähnten Zitate. Der allergenialste Einfall aller Zeiten ist allerdings die Frankfurter Küche von Grete Schütte-Lihotzky, der ich es verdanke, dass ich mich trotz des inzwischen erheblichen Verschleißes an meinem Stütz- und Bewegungsapparat (so heißt das, glaub ich, orthopädisch korrekt) nach wie vor selbst bekochen kann. Chapeau! Und wie es zur Entwicklung dieser Jahrhundertidee kam, zeigt dieses großartige Video von Robert Rotifer – The Frankfurt Kitchen. Wenn wir jetzt schon beim Videoschaun und Rundumverlinken sind, sei hier noch Achab – Un Monde formidable angepriesen, deren ausgezeichnete Arbeiten ich durch die unlängst auf ARTE ausgestrahlte Doku “Kein Gott, kein Herr! Eine kleine Geschichte der Anarchie” entdeckt habe. Weitere Einzelheiten dazu im Artarium “Erster Mai – Vorbei?” Womit wir wieder beim Frühling wären, dessen revolutionärer Kraft wir diesmal huldigen. In diesem – wasauchimmer …

 

Erster Mai – Vorbei?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. April“Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!” So dichtete Eugène Pottier in den Tagen der Pariser Commune 1871 den Text jenes Liedes, das wir inzwischen als “Die Internationale” kennen und das bis heute speziell zum 1. Mai von ganz verschiedenen sozialistischen und kommunistischen Gruppen inbrünstig nachgesungen wird. Doch war da nicht auch noch irgendwas mit Anarchie – zu Anbeginn dessen, was sich inzwischen so alles Arbeiter_innenbewegung nennt? Eine unlängst auf arte ausgestrahlte 2-teilige Doku über die Ideengeschichte des Anarchismus erzählt unter anderem von der Entstehung des 1. Mai als “Kampftag” – und zwar unter dem Titel “Kein Gott, kein Herr! Eine kleine Geschichte der Anarchie”

anarchie in germoney backDeren 1. Teil (1840 – 1912) sowie ebenso 2. Teil (1912 – 1937) wären, wenn nicht alldahier, dann zumeist sonstwo im Internet zu finden. Ein schmerzlich vermisster 3. Teil (nach 1945) wurde zwar schon geplant, die Finanzierungszusagen seitens der beteiligten Sender sind aber bisher noch ausgeblieben. Dabei würde uns gerade der ebenso interessieren wie betreffen! In dem müsste es nämlich auch um den GRÖPHAS gehen, den Oberndorfer Anarchisten und größten Philosophen aus Salzburg Leopold Kohr, Vordenker des “Europa der Regionen”, Nährvater der Slow-Food-Bewegung und Herausgeber solch schöner, wahrer und auch guter Sätze wie “Small is beautiful”. Für ihn war die Entfernung von Oberndorf nach Salzburg der Maßstab des Reisens und zugleich die maximale Ausdehnung für ein gerade noch menschlich verkraftbares Gemeinwesen. Als so ein Fußgänger des Geistes wird man schon auch fragen, ob es bei entsprechender Kleinräumigkeit des Bankwesen und der Wirtschaft überhaupt zu ökonomischen Krisen käme, vor denen uns jede “Obrigkeit” gern erstarren macht wie die Kaninchen vor der Schlange. Oder anders gesagt – Stille Nacht lässt sich allemal imageträchtiger verhupfdudeln (sprich verkaufen) als – in diesem Fall – Stille Macht!

anarchie in germoney ganz

Zur Stimmung empfehlen wir “Die Internationale – illustriert von Gerhard Seyfried”

und zur Bestandsaufnahme der Gegenwart “Un Monde formidable – von ACHAB”

 

Weltenreisende

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. April“Kunst ist ein Brückenschlagen von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent, von Mensch zu Mensch.” Unter diesem Motto begegnen wir der Lyrikerin und Malerin Gerda Steingruber-Schaffler, die als eine echte Weltenreisende zwischen den verschiedensten Kulturen unterwegs ist und solch von ihr selbst beschriebenes Brückenschlagen in ihrer Kunst wiederspiegelt. Folgerichtig heißt dann auch ihre Gemeinschaftslesung mit Christopher Schmall am Diestag, 25. April im Literaturhaus “Brückenschlag” (Beginn 19:30 Uhr), naturgemäß mit afrikanischer Musik und einem kleinen Buffet. Beim Essen nämlich kommen die Leut zsamm! Und so freuen wir uns ebenfalls auf ein anregendes Live-Gespräch im Studio, denn: “Wenn jemand eine Reise tut, so kann er, oder eben sie, uns sicher was erzählen.”

WeltenreisendeLaut ihrem Portrait (Künstlergilde Freilassing) unternahm sie etwa schon Reisen mit dem eigenen Land-Rover, nach Afghanistan, Pakistan, Indien, Iran, Türkei, Griechenland, Syrien und Algerien sowie Rucksack-Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Sri Lanka, Thailand, Kenya, Ghana, Burkina Faso, Togo und Äthiopien. Fürwahr eine beachtenswerte Sammlung von Stationen, dazu noch Ausdruck eines künstlerischen Lebenswegs. Nun haben wir zwei Radiohasen uns auch des öfteren mit dem Thema des Unterwegsseins beschäftigt, unsere andere Sendereihe nennt sich sogar eine “musikliterarische Gefühlsweltreise” und verhandelt On The Road vom Reisen bis zum Auf der Flucht sein. Ganz gleich, ob innere oder äußere Fahrt, ob Ankommen oder Abschiednehmen, ob Heranwachsen, Werden oder Vergehen, sind wir nicht alle Weltenreisende unserer jeweiligen Lebensgegend? Und sind wir nicht vor allem immer auch unterwegs zu uns selbst wie zu unserem Gegenüber? Deshalb ist jeder einzelne Aspekt und jede noch so kleine Anekdote aus unserem Reiseleben so wertvoll, dass es sich auszahlt, diese Erfahrungen auszutauschen.

“Leben ist Brückenschlagen über Ströme, die vergehn.” (Gottfried Benn)