Nachhören: Letzte Generation – Als Demokratieidealist*innen vom Staat verfolgt

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Dieses Land hat Geschichte(n)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. JuliHinter der allgemein bekannten oder  “handelsüblichen Geschichte”, wie wir sie aus Unterricht, Tourismuswerbung und sonstigen, zumeist irgendwie “offiziellen” Selbstdarstellungsquellen gewohnt sind, besteht das Land, in dem wir leben, aus unendlich vielen Geschichten, die erzählt werden wollen. Und auch unbedingt erzählt werden sollen, weil sie eine unglaubliche Bereicherung in unserem Weltverständnis auslösen. Das ist wie plötzlich sehen zu können, was zuvor wie hinter einem Vorhang verborgen war – und was doch immer von dort hervor gewirkt und uns beeinflusst hat. Ein uns fast unbemerkt ereilendes Aha-Erlebnis, ein Entdecken und Erkennen und Verstehen des Zusammenhangs – ein möglicher Reim auf den Widerspruch zwischen Hochglanz und Hintergrund.

Dieses Land hat Geschichte(n)Auf der Suche nach einem ganzen Album für den Sonntag nach der Nachtfahrt sind wir in der Ideenwerkstatt darauf gekommen, wieder einmal ein thematisches Konglomerat selbst herzustellen. Und zwar aus Schåttseitnkind von den Querschlägern und den Sagen aus Salzburg von Michael Köhlmeier. Diese zwei Zusammenstellungen erzählen Geschichten aus einer völlig anderen Wirklichkeit als der, die uns ållerweil rundumadum einitrenzt wird – und die wir als die einzig wahre zu glauben gelernt haben. Einzig Ware? Es ist ein kleiner Schritt – vom Fürstbischof zur Familie Putz. Vom Feudalstaat zur Fernsehwerbung, wenn ihr versteht, was ich meine … Nun, lassen wir die Geschichten für sich selbst sprechen, auf dass die zahllosen Verdrängten und unter den Teppich Gekehrten endlich wieder als genau die “unverwechselbaren Menschenexemplare” mit uns leben dürfen, die sie von Anfang an waren – und die sie nach wie vor sind. Das gilt nicht nur für jene “wirtschaftlich randständige” Bevölkerungsgruppe, wie sie in der “Bettlerhochzeit” gezeigt wird, sondern genau so auch für jene “Andersgläubigen”, die uns etwa hinter der “magischen Welt” der Märchen und Sagen begegnen. Es geht darum, was uns ihre Geschichten erzählen.

Und darum, wie wir ihnen begegnen. Wie wir uns von ihnen anreden, gar berühren lassen. Was sie in uns bewirken, sobald wir mit ihnen in Resonanz geraten. Eine ganze Welt, die uns immer schon umgibt – und innewohnt, erschließt sich da. Geschichten erzählen Geschichte anders. Zeigen uns, was wirklich war, bevor wer auch immer (und mit welcher Absicht) angefangen hat, durch Weglassen und Hinzufügen ein bestimmtes Bild, einen Eindruck, eine Vorstellung zu erzeugen – davon, was “wirklich” ist. Geschichten, nie waren sie so wertvoll wie – immer

Wie sagte schon Thomas Oberender: “Hören sie genau hin.”

 

Flüchtiges Glück im Sonnenland

Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. JuliDas Sonnenland ist das, was uns in der sommerlichen Jahreszeit begegnet. Glücksmomente jedweder Beschaffenheit: Laue Nächte, Schatten unter Bäumen, Baden am Fluss, Nacktheit in der Natur, Vogelgezwitscher, Blumen, Freunde, Wind in den Haaren, Überraschendes und Vertrauen in einer warmen Welt. Beseligende Berührungen eines leichteren Lebens, die zwar befördert werden können, aber letztendlich nicht festzuhalten sind. Am Horizont ziehen die Wolken auf, die Stimmung schlägt plötzlich um, der Abschied naht – und an die Tür unserer Fröhlichkeit klopfen Sorge und Angst. Wir sind fließend und wälzen uns durch die Landschaft. Wir sind der Fluss und nehmen vieles in uns auf. Wir sind dauernd unterwegs, doch am Ende strömen wir unaufhaltsam ins Meer.

Flüchtiges Glück im Sonnenland“Mach es wie die Sonnenuhr – zähl die heiteren Stunden nur.” Für sich genommen steckt da durchaus was wahres drin. Andererseits ergibt erst das Zusammenspiel von Licht und Schatten eine Gesamtschau aufs große Ganze. Innehalten im Glück und doch um seine Vergänglichkeit wissen, das könnte uns frei machen vom anstrengenden Wegschauen und Verdrängen. Erst wenn wir die Freude wie auch die Traurigkeit in unserem Gefühlsleben stattfinden lassen, werden wir uns zu “ganzeren” Menschen entwickeln. (Naturgemäß lässt sich “ganz” nicht steigern – gemeint ist hier allerdings das Ideal von “Ganzheit”, das wahrscheinlich nie “ganz” erreicht werden kann, das es aber nichtsdestoweniger anzustreben gilt.) Wrdlbrmpfd. Jedenfalls wollen wir auf dieser Nachtreise quer durch den Gefühlegarten die Ambivalenz der Empfindungen rund ums Glück im Sonnenland und seine gleichzeitige Unverfügbarkeit darstellen. Eine Stimmungsdramaturgie aus Gedanken, Gesprächen, Musik und Literatur

Flüchtiges Glück im SonnenlandEin gutes Abendessen gemeinsam mit lieben Menschen und wir haben das Gefühl, rundherum satt zu sein. In so einem Augenblick voll Glück und Zufriedenheit kämen wir doch nie auf den Gedanken, dass schon bald wieder Hunger, Durst und der Drang zum Stoffwechselkabinett unser Dasein dominieren könnten. Und doch ist es so. Kein halbwegs vernünftiger Mensch käme auf die Idee, den Zustand der Erfüllung nach erfolgreich gehabtem Sex dauerhaft festhalten zu wollen. Und doch gibt es eine Menge unglaublicher Trotteln, die wie hirndrogensüchtige Halbaffen mit Wahlrecht und Führerschein durch die Welt orgeln und dabei genau das versuchen: “Augenblick, verweile doch, du bist so schön.” Je mehr du im Leben einzementierst, desto weniger kannst du dich bewegen. Je mehr du zu haben versuchst, desto weniger wirst du sein. “Ich bin ein harter, viereckiger Klumpen und meine einzige Aufgabe besteht darin, auf meinem Platz zu bleiben.” So denken die humanoiden Hohlziegel der Gesellschaft.

Flüchtiges Glück im SonnenlandVieles steckt vermeintlich fest im Fluss des Lebens. Und doch birgt das bewegte Wasser in sich schon die Veränderung der Verhältnisse. Es umfließt jedes Hindernis, spiegelt das Licht – und erschließt uns (wenn wir denn mitfließen) neue Wege. Die Lebenskunst, die uns das Hiersein als Menschen abverlangt, ist nicht zu unterschätzen: Jeden Moment möglichen Glücks auszukosten, als gäbe es nichts anderes auf der Welt – und ebenso davon auszugehen, ja zu wissen, dass er höchst vergänglich ist und sogar sehr schnell wieder verwehen kann. Dies scheint zunächst eine ziemlich schwierige Aufgabe zu sein (und wer hat überhaubt gesagt, dass es leicht sein wird?), für uns ist diese Herangehensweise jedoch der Wirklichkeit am entsprechendsten. Für andere ist gerade diese Haltung (das Miteinbeziehen beider Wahrnehmungen) um jeden Preis zu vermeiden. Da stellt sich doch die Frage, wer in diesem Fall den Preis bezahlen soll. Sie selbst? Die anderen? Die Natur? Der Stoascheißer Koarl?

Memento mori, Kasperltheater!

Und einen schönen Sommer …

 

In memoriam Paul Arzt

Der Platz am Mikrophon 1 wird nun leer bleiben. Eine große Trauer ergreift mich angesichts dieser Gewissheit. Völlig unerwartet ist mein Freund und Ko-Moderator Paul Arzt am 25. Juni 2023 durch einen Unglücksfall ums Leben gekommen.

Seit 2014 haben wir gemeinsam die Sendung „Tuning Up – die Musicbox mit Reflekto(h)ren“ jeden 1. und 5. Montag im Monat gestaltet. Ausgewiesenes Motto war, Musik aus allen Genres zu einem ausgewählten Thema vorzustellen. Und so vielfältig wie die Musikzusammenstellungen waren, so vielfältig habe ich Paul erlebt.

Immer interessiert an neuen Ideen und Strömungen, netzwerkend auf allen Ebenen, ob beruflich, privat oder gesellschaftspolitisch motiviert: seine freundlich bestimmte Art, seine Verbindlichkeit, die Entwicklung von vielen besonderen Projektideen und sein Engagement in den unterschiedlichsten Kontexten habe ich sehr geschätzt.

Legendär war auch sein Ruf als ausgewiesener Zappa-Experte. Neben der profunden Kenntnis des gesamten zappaschen Werks, das bekanntlich höchst umfangreich und divers ist, brauchte man Paul nur einen Hinweis zu geben oder ein Ereignis zu erwähnen, so konnte er sofort einen Zappa-Bezug herstellen, zappaeske Anekdoten zum Besten geben oder das Line-Up der Zappa-Band dieser Zeit aufzählen.

Das gemeinsame Lachen im Studio, die charakteristische Handbewegung, um mich an eine radiotechnische Aktion zu erinnern oder das Einpegeln beim Moderieren – das alles wird mir beim Radiomachen sehr fehlen.

Etwa Mitte der 1990er Jahre sind Paul Arzt und ich uns das erste Mal begegnet, im Rahmen seiner Funktion als erster Kinder- und Jugendanwalt des Landes Salzburg. Viele Jahre sind wir gemeinsam im Zug von Bürmoos nach Salzburg gesessen und haben schon bald unser beider Leidenschaft für die Musik geteilt, hier insbesondere jene von Frank Zappa.

Paul wurde 1960 in Friesach in Kärnten geboren und kam zum Studium der Theologie und Religionspädagogik nach Salzburg. Nach seiner Tätigkeit als Kinder- und Jugendanwalt war er im Büro für Frauenfragen und Chancengleichheit tätig und zuletzt im Referat Kunstförderung und Kulturbetriebe, wo er vor sich allem um die Musikförderung kümmerte. Die Vielfalt seiner beruflichen Tätigkeiten spiegelte sich auch in seinen musikalischen Interessen wieder, die zur Grundlage für unser gemeinsames Werken in der Radiofabrik wurde. Aber auch als bildender Künstler trat Paul immer wieder in Erscheinung.

All das führte letztlich dazu, dass wir im Jahr 2014 den Plan fassten, eine gemeinsame Sendung im freien Radio Salzburgs zu gestalten. Seit Oktober gab es dann jeden 1. und 5. Montag im Monat die Sendung „Tuning Up – die Musicbox mit Reflekto(h)ren“. Ausgewiesenes Motto war, Musik aus allen Genres zu einem ausgewählten Thema vorzustellen. Dabei stellte sich die gemeinsame Auswahl nicht immer als leicht heraus. Mir wurde schnell die Rolle einer „Geschmackspolizei“ zuteil, die Pauls zum Teil sehr ungewöhnliche Vorschläge in ein rundes Konzept bringen sollte bzw. wollte.

Als ausgewiesener Netzwerker war Paul immer bestrebt alle möglichen Menschen zusammenzubringen und Synergien herzustellen. Als Radiofabrik-Moderator begab er sich auch immer wieder auf „Ausflüge ins Hörfeld“, betätigte sich als „Berichterstatter“ von Jazzfest Saalfelden oder den Salzburger Festspielen, wo er zum Beispiel ein Interview mit Kent Nagano, auch zu dessen Erfahrungen mit Frank Zappa, führte. Damals hatten wir gewettet, ob er es schaffen würde dieses Interview zu erhalten. Natürlich hatte ich die Wette verloren und Paul nahm dazu gleich auch die Kolleg:innen von FS1 zur Aufnahme mit.

In den letzten Jahren war es Paul leider oft nicht möglich, die Sendungen zu moderieren. Doch wir fanden unterschiedliche Varianten des gemeinsamen Sendungsgestaltens.

Am 25. Juni 2023 ist Paul bei einem unglücklichen Sturz ums Leben gekommen.

Wir werden Dich vermissen!!!

 

Die Gedenksendung vom 3. Juli mit Musik, die Paul geprägt hat, findet sich hier:
https://cba.fro.at/626048

Alle Sendungen von Tuning Up können hier nachgehört werden:
https://cba.fro.at/podcast/tuning-up-die-musicbox-mit-reflektohren

 

 

With a little help from my friends

Artarium am Sonntag, 9. Juli um 17:30 Uhr“John Lennon hat es sehr einfach gesagt: All you need is love. Und genau so ist es auch.” Mit diesen Worten bringt es Oskar Haag auf den Punkt. Auch unser heutiges Hohelied auf die Freundschaft hat viel mit dem Vermächtnis jener vier Herren aus Liverpool zu tun, die wir gemeinhin als “The Beatles” kennen. “I get by with a little help from my friends”. Treffender lässt sich kaum beschreiben, was den Wert “wahrer” Freundschaft im Inneren ausmacht: Dieses bedingungslose Dasein für einander ohne Fragen- oder Erklärenmüssen. Es ist bestimmt kein Zufall, dass Arno Gruen die freischwebende Aufmerksamkeit in einer Psychotherapie mit jener in einer Liebesbeziehung vergleicht. Denn “Liebe” (als Grundkraft des Lebens) ist genau das, was wirklicher Freundschaft innewohnt.

With a little help from my friendsUnlängst hat mich eine Nachbarin dabei ertappt, wie ich vergnügt den Beatles-Song Getting Better vor mich hin zwitscherte. Erst in ihrer Wahrnehmung wurde mir klar, wie depressiv ich während der letzten Jahre durch unser gemeinsames Stiegenhaus geschlichen war. Ich habe es meinen guten Freunden  zu verdanken, dass ich mich heute auch inmitten von einstürzenden Weltgebäuden am Leben weiß – und dass ich das spüren und mich darüber freuen kann. Und meiner Therapeutin, die mir die oben erwähnte Aufmerksamkeit über Jahre hinweg zur Verfügung stellte. Das wohlwollende Wahrgenommensein als der Mensch, der man ist (und den man sich selbst oft nicht mehr glauben mag), in Zeiten des Zusammenbruchs muss das von außen kommen – von Menschen, die einen ohne versteckte Absicht befürworten. Ja, ich habe das Grauen gesehen (und ich sehe es nach wie vor). Doch wie heißt es schon in Apocalypse Now: “Sie sind am Leben. Das ist alles, was zählt.”

In diesem Sinn (und darüber hinaus) wollen wir uns der Weisheit eines weiteren großen Propheten der Popkultur zuwenden, der es auch sehr einfach gesagt hat:

Every heart, every heart
To love will come
But like a refugee

Leonard Cohen

 

Und ganz einfach:

I love to be loved

Peter Gabriel

 

Letzte Generation: – Als Demokratieidealist*innen vom Staat verfolgt

Sendetermin: Dienstag, 4. Juli 2023 um 20 Uhr auf der Radiofabrik Salzburg

Die Klimakrise ist in aller Munde. Nicht nur die Politik, sondern auch normale Bürger*innen und vor allem Aktivist*innen setzen sich mit dem Thema auseinander. Besonders bekannt ist derzeit die Gruppe „Letzte Generation„, die in Österreich und Deutschland durch Klebeaktionen auffällt.

climate activists behind bars as abstract pencil drawing

Zusätzliche Aufmerksamkeit bekommt die Gruppe durch den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Organisation in Deutschland.

Wir wollen versuchen herauszufinden was die Ziele der Letzten Generation sind, wie sie diese umsetzen wollen und wie die Politik darauf reagiert.

Nachhören: Ich mache meinen Bachelor für christliche Propaganda an der Uni Salzburg

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Der Sommer kann beginnen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. JuniDie Welt ist im Begriff aus den Fugen zu geraten – und wir freuen uns, dass es Sommer wird. Leben wir nicht alle in diesem Zwiespalt zwischen Lebensfreude und Vergehen? Zwischen Wachstum und Zerfall? Zwischen “Moi, is des scheee!” und “Geh, bitte – ned des a nu!” Es ist an der Zeit, den Sommer zu begrüßen und mit ihm zu feiern, weil wir kostbar sind. Zerbrechlich, aber wunderschön. Trügerisch wie das Idyll und tief vertraut mit uns. Wenn wir uns wirklich ausliefern, dann werden wir uns auch nicht umbringen. Wir sind ihre Hasen des Guten, Wahren und Schönen. Der Rest ist Geschichten. Womit wir auch schon bei jenem “schönen Ort” angekommen sind, “wo das Leben zur Sprache kommt”, dem Salzburger Literaturhaus und seinem heurigen, ganz speziellen Sommerfest.

Die dort gemachte Aussage: “und ausnahmsweise keine Literatur.” ließ uns innerlich aufhorchen (oder fast schon erschrecken) Waaaas? Ein Fest im Literaturhaus OHNE Literatur? Ja, dürfens denn das? Doch dann erfuhren wir unter der Hand, dass die da angekündigte “Überraschung” aus so einer Art Textpotpourri oder anders gesagt “Sommersprachblütenstrauß” bestehen wird, was wunderbar zu unserer ursprünglichen Idee für diese “Sendung als Sommerfest” passt, wollten wir doch ebenfalls eine “Blütenlese” aus sommerthematischen Audiocollagen und Musikstücken präsentieren und dazu die eine oder andere “Überraschung” bereitstellen. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich stattfindenden Wirklichkeiten ist ebenso beabsichtigt wie auch frei erfunden. Alles andere wäre rein zufällig – und das ist es eh oft. Wobei “rein” … aber lassen wir das!

Es fällt jedenfalls auf, dass in unseren Artarien, Nachtfahrten und Perlentauchereien immer wieder jahreszeitliche Schwerpunkte auftauchen. Das begann schon 2008 mit der mehrteiligen Reihe “Sommerkunst”, die in einer Radioschorsch-Auszeichnung zum 10-jährigen Jubiläum der Radiofabrik kulminierte. Im Juli 2013 hinterfragten wir den Salzburger Festspielzirkus einmal sprach- und gesellschaftskritisch: Sommer Textase Reloaded. Und am 12. Juni 2015 “eröffneten wir uns einen H. C. Artmann Platz. Feierlich. Live. Im Radio.” Unter dem passenden Titel Sommernachtstraum.

Zuletzt soll sich der Kreis noch thematisch schließen. In unserer Sendung Dunkelbunt Sommertag haben wir die eingangs skizzierte Zugleichheit aufgezeigt: “Sommertag assoziiert ja seit Erfindung der Sommerferien alles Vorstellbare rund um Freibad, Freiheit und Freizügigkeit. Oder lieber Freibier? Dennoch wohnt dem Sommersein oft nicht nur Schönes und Helles inne, sondern auch Abgründiges.” Und weiter: “Jede Extase trägt immer auch den Absturz in sich, so wie im Leben das Süße auch immer mit dem Bitteren vermengt ist.”So riecht, so schmeckt, so fühlt sich Sommer an.

Ein frohes Fest. Wir sehen uns …

PS. Jochen Distelmeyer, den wir in der Signation hören und den wir als einen ganz herausragenden deutschen Dichter verstehen, hat mit Jenseits von Jedem die fast 15-minütige Ballade eines realsurrealen Sommerfests verfertigt, die wir euch jetzt zu jedweder Einstimmung – und überhaubst – heftig ans Herz legen wollen.

 

Dem Niedermähen widerstehen

< Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Juni – Stell dir vor, es ist Sommer und du verweilst genussvoll zwischen Vogelgezwitscher und Windgesäusel auf deiner Insel des Sonnenscheins. Ein Gefühl von eins sein mit dir und der Natur, als plötzlich ein gewaltiger Krach die Stimmung zerreißt und jegliches Empfinden niedermäht. Ob Rasentraktor, Motorsense oder Laubsauger – die Invasion der Krawallerie in dein stilles Glück ist ebenso unentrinnbar wie destruktiv. Was ist dein erster Gedanke? “I bring di um, Oida!”, wäre naheliegend. Du willst dich wehren, willst widerstehen – aber wie? Dem alles durchdringenden Gehörknöchelchenmassaker zu entgehen, ohne deine nachvollziehbare Wut unmittelbar in Mord und Totschlag gegen deren Urheber zu verwandeln, das ist die große Aufgabe, die sich in unserer Kultur stellt.

Dem Niedermähen widerstehen (Petsch Moser)Das etwas andere Kunnst-Biotop bietet ein paar “innere Bilder” zur Verbearbeitung der Lärmirritation in schöpferischer Gestaltung (und mit Wort und Klang anstatt mit der Pumpgun). Da wäre zum Beispiel “Rasenmäher” von Hans Söllner, der das aggressive Mähgerät des Nachbarn in ein für diesen kaum noch beherrschbares Renngefährt umwidmet. Oder auch “Irgendein Depp mäht irgendwo immer” von Reinhard Mey, der den Aggressor mit phantasievollen und präzisen Ausdrücken wie “Halmvernichter, Gänseblümchenkiller, Heckenscharfrichter, Motormäherwüterich, Zweitaktstinker, Gräserausrotter, Pflanzenhenker beschimpft. Und nicht zu vergessen die geistigen Queraussteiger aus der Gewaltwelt des Wettbewerbs, Petsch Moser, die in ihrem “Rasenmähermann” zum endgültigen Ausdruck von Wut und Widerstand kommen, ohne dabei die Konfrontation mit den Verursacher*innen in der Außenwelt zu suchen:

Da waren Tänzer, Lügner und Lehrer,
ins Gegenteil Verkehrer,
Gaukler, Spinner und Träumer,
Lebensraumabräumer,
gegen die du dich zu wehren hast,
deren Bild neben deinem verblasst.
Doch du kannst fühlen,
du kannst vor Wut glühen …

Natürlich stellt sich die Gefühlslage aus der Sicht der/des Rasenmähenden davon vollkommen verschieden dar. Während wir hier das zunehmende Überflutetwerden mit aggressiv in uns eindringendem Gedröhn, Geplärr und Gekreisch als Sinnbild der Weltzerstörung auffassen, soll es Menschen geben, die sich Endlosaufnahmen mit Rasenmähersound zum besseren Einschlafenkönnen verabreichen. Ein Bild für ein Gefühl zu haben ist gut – jedoch nicht, sich selbst damit zu verwechseln.