Unter der Oberfläche

Artarium am Sonntag, 12. Dezember um 17:00 Uhr – Nach all dem Zeitlosen in der Musik spielen wir diesmal ein weitgehend verschollenes Album, dem man die Zeit seiner Entstehung durchaus anhört, nämlich Unter der Oberfläche von Hans Koval aus dem Jahr 1986. Mir widerfuhr sein als LP auf schwarzem Vinyl gepresstes Werk Mitte der 90er durch einen Flohmarkt in der legendären Käfergrabenmühle (deren Hausvater Bernhard Samitz vulgo Bez wir bereits eine Sendung widmeten und der danach auch einen schönen Roman von Brita Steinwendtner inspirierte). Dass wir dieses Zeitdokument gerade jetzt wieder ausgraben und zu Gehör bringen, hängt mit den Umständen seiner Entstehung zusammen – und mit dem, was es in unsere Gegenwart hinein berichtet, wenn wir es aus seinem Kontext heraus verstehen

Unter der OberflächeSeit Mitte der 70er war das Duo Koval & Klingenbrunner in der Tradition kritischer Liedermacher unterwegs und begleitete so die Generation der Hoffnungsvollen und Verändernwollenden durch eine sich abzeichnende Endzeit des grenzenlosen Wachstums. Zwentendorf, Hainburg und die Katastrophe von Tschernobyl schienen “letzte Warnungen” zu sein, die ein globales Umdenken und Umsteuern erfordern würden, um dem Untergang zu entgehen. Doch hat sich seit damals wirklich Entscheidendes geändert? Haben also Naturzerstörung, Ressourcenraubbau, die Ausbeutung von Mensch und Tier, Meinungsmanipulation durch Massenmedien, kurz, die Zerbraucherung unser aller Leben durch die jeweiligen Beherrscher, die von Geldes Gnaden Kaiser von Hinterfotz und St. Nimmerlein, plötzlich aufgehört? Oder wenigstens nachgelassen? Ganz im Gegentum! Jetzt auch in türkis und mit Klimawandel. Immer noch schneller, noch mehr, noch rücksichtsloser. Und mitten im neualten Weltgedümmel taucht Hans Koval mit Band wieder auf – prophetisch.

Mit verschiedenen musikalischen Stilmitteln wie (damals) radiotauglichen Balladen, Anleihen aus Folk- und Volksmusik, geerdet fettigem Blues-Rock oder satirischen Couplets gelingt ihm eine sympathische Synthese aus persönlicher Hinterfragung und Kritik an den Verhältnissen. Eine Sicht auf die erschreckenden Entwicklungen mit genau dem Sowohl-als-auch, das wir in der heutigen “gespaltenen Gesellschaft” so schmerzlich vermissen. Und genau das wäre auch eine der Botschaften aus der damaligen “Zeit des Umbruchs”, die wir uns im Heute zu Herzen nehmen könnten.

“Wissen sie, warum es diese sozialen Medien gibt? Die Menschen halten es nicht aus, still zu sein, wenn es nichts mehr zu sagen gibt.” Ferdinand von Schirach (Glauben)

 

Lass fahren dahin …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. Oktober“Lass fahren dahin, sie haben’s kein’ Gewinn …” Diese Textzeile aus Martin Luthers berühmtem Lied Ein feste Burg fand ich schon in der Pubertät höchst erquieklich, zumal ich sie damals nicht ungern mit fahren gelassenem Darmwind assoziierte. Heute vor 500 Jahren allerdings saß dieser Martin Luther auf der Wartburg – und übersetzte die Bibel auf Deutsch. Das war, bei allen Verdauungsproblemen, die diesen Mann täglich plagten, revolutionär. Und es hätte der Anfang von etwas zutiefst Befreiendem sein können, wenn seine Übersetzung als ein erster Anstoß zum eigenverantwortlichen Interpretieren durch jeden einzelnen Menschen aufgefasst worden wäre. Stattdessen entstand wiederum eine “Volkskirche”, die schon bald in ihren, jetzt halt “reformierten” Ritualen ertrank.

Lass fahren dahinEin fester Schas sozusagen, denn für die Aufgaben, die das globale Leben uns seitdem stellt, ist eine zum Gehorsam gezüchtete, alles Vorgesagte brav nachplappernde Bevölkerung völlig unqualifiziert. Wir hätten 500 Jahre Zeit gehabt, eine andere Menschheit zu werden als diese niederduckmäuserische, konsumverwirrte, überwältigend vermarktbare, die wir inzwischen sind. Ich halte “die Reformation” deshalb auch für gescheitert – und hätte nur allzu gern zu ihrem Jubiläumsfest 2017 “die 95 Prothesen” zu Fuß nach Wittenberg getragen, um dies zu veranschaulichen. Doch viele der Miterfinder dieser zutiefst “protestantischen” Aktion hatten sich über die Jahre verlaufen und “die 95 Prothesen” wären mir allein viel zu schwer gewesen. Ein grandioses Scheitern für eine gescheiterte Reformation? Lass fahren dahin… Der Weg ist der Weg. Das Ziel kennen wir nicht. Es geht ums Übersetzen unserer jeweils eigenen Erfahrung mit dem Lebendigen, mit dem, was hinter allem steckt.

Es geht um “vertikale Resonanz”, wie sie der Leiter des Max-Weber-Kollegs an der Universität Erfurt, Prof. Hartmut Rosa, in seiner “Soziologie der Weltbeziehung” darstellt. Ein genialer Übersetzer des oft Unbemerkten (für das wir als Menschen nichtsdestoweniger so etwas wie einen Sinn haben) ins allgemein Anschauliche (und das sei hier als unsere Auffassung angemerkt) als eine Einladung zum selbst weiter Denken, Leben und Interpretieren, zum übersetzenden Darleben in immer wieder neuer, eigener Gestalt – um jegliche Erkenntnis stets weiter zu entwickeln.

Und jetzt ist es für mich unvermeidbar, auf einen gewissen Jesus hinzuweisen – und auf Michael Köhlmeier, der mit seinem Erzählalbum “Der Menschensohn” ein wirklich herausragendes Beispiel für ein rundum gelungenes und im obigen Sinn stets weiter wirkendes, also lebendiges, gelingendes Übersetzen vorgelegt hat. Wir hören die bekannte Episode mit der Ehebrecherin, die zwar gesteinigt werden soll, aber aufgrund von Jesus’ legendärem Ausspruch “Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein…” gründlich befreit und begnadigt wird. Ich tauche auf.

 

Paternosterreich

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. Oktober“Österreich ist frei!” Das soll er gesagt haben, der Leopold Figl. Und abends im Zwölf Apostelkeller, da soll er auch schon mal gekifft haben (hat Hans-Georg Behr erzählt). “Wir freuen uns alle …”, hat die Lehrerin in der Volksschule gesagt, und wir “durften” uns rotweißrote Fähnchen basteln für den nationalen Feiertag. Wir lernten “Heimat bist du großer Söhne” singen, die Dichterin der Hymne hat die Töchter natürlich damals schon “mitgemeint”. Der eine oder die andere hat durchaus versucht, hinter die verordnete Volksfreude und Glückseligkeit zu schauen im Land der vielen Vaterunser, diesem Paternosterreich. “Auffe, owe, auffe, owe …” Wer soll sich da noch auskennen? Besinnen wir uns aufs Wesentliche, nämlich aufs Essen. Bereiten wir uns einen festlichen Ohrenschmaus!

PaternosterreichEin mehrgängiges Menü mit Musik, dessen Zutaten immerhin einige der große Söhne und Töchter unserer schon sehr speziellen Weltgegend sind. Als Ohrspeise (amuse geule) ein Pasticcio aus Elfriede Jelinek “Oh du mein Österreich! Da bist du ja wieder!” und Ernst Molden sowie Der Nino aus Wien mit ihrer Würdigung an Wolfgang Ambros “Wie wird des weitergehn?” nebst der bekannten Gewürzmischung aus den üblichen Artarium-Signations, serviert mit etwas Lukas Resetarits.

Um vorab nicht zuviel zu verraten, denn es ist eine hohe Kunst, die jeweiligen Zutaten auszuwählen, ihrem Eigengeschmack entsprechend aufzubereiten, sie zu einander in Beziehung zu bringen und sie sodann in bekömmlicher Aufeinanderfolge auftreten zu lassen, um also vorab nicht allzuviel auszuplaudern, wollen wir hier nur die weiteren Ingredienzien und Spezereyen anführen, aus denen wir dies Festmahl zur Feier des Feierns zubereiten, und die in ihrer Gesamtheit den berühmten “roten Faden” durch das Thema der Sendung ergeben (oder halt auch mehrere) – hören sie genau Hirn:

So der jahrelang in vielen Gassen hansdampfende Musiker, Autor und Filmemacher Peter J. Gnad, dessen Frage “Wie lange noch?” unsere “Insel der Seligen” wieder in den globalen Kontext befördert, in dem sie sich schließlich – ungeachtet jeglicher Mehlspeisromantik – doch befindet. Oder der durchaus berühmte Schriftsteller und Mythenerzähler Michael Köhlmeier, der sein jüngst erschienenes Trumm von einem Roman höchstselbst als über 40-stündiges Hörbuch eingelesen hat, dessen Rolle als “Gewissen der Nation” ihm allerdings weit weniger Ruhm einbringt. Große Söhne…

Große Töchter! Sandra Kreisler, Dreifachstaatsbürgerin (Deutschland, Österreich, USA) und Tochter des großen Sohnes Georg Kreisler (ein Wiener, der seine von den Nazis aberkannte Staatsbürgerschaft nie wieder zurück bekam und, fast möchte man sagen zufleiß, in Salzburg starb). Sie ist engagierte Verfechterin jüdischen Lebens und jüdischer Kultur und stilsichere Interpretin der genialen Lieder ihres Vaters, die wir bekanntlich sehr schätzen. Als Sängerin von Wortfront gibt sie die “Klofrau vom Kanzleramt”. Im Paternosterreich gehts halt auch “auffe, owe, auffe, owe…”

Das obligatorisch Regionale wird bei uns heute verkörpert von Wilfried “Lauf Hase Lauf” sowie von Fritz Messner und den Querschlägern “Da tamische Franz”, denn auch (und vor allem) in der “Heimat” gibt es Gründe genug, seine “Füße in die Hand zu nehmen” und sich “an den äußersten Rand der Mehrheizgesellschaft zu verziehen”. Wir haben immer schon unser besonderes Augenmerk auf all das Verdrängte und Verleugnete rings um uns gerichtet, auf all das in Menschen- wie in Gefühlsgestalt Abgelehnte, Abgewertete, Ausgestoßene. DAS fehlt nämlich zum großen Ganzen.

Aber gehört sich das – ausgerechnet am verordneten Feiertag? Was sagt denn der Sepp Forcher dazu? Ach so – na ja – dann sind wir doch wieder beruhigt …

Und Mahlzeit!

 

Erinnerung an Elke Mader

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. September – Nicht nur Martin Blumenau und Caspar Einem sind unlängst verstorben (was ohnehin schon Löcher in unserem Geistesleben hinterlässt) – nun ist auch Elke Mader von uns gegangen, die unsere Radioarbeiten immer wieder konkret inspiriert und gefördert hat. Sie war nicht nur Professorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien, sondern darüber hinaus eine mit Hingabe neugierige, forschende, an Entwicklung interessierte und so den Wissenschaftsvermittlungsbetrieb stark belebende Frau – überhaupt die erste Frau, die sich in ihrem Fachbereich in Wien habilitiert hat. Ha! Nachzulesen im Nachruf des Instituts. Vor allem aber war Elke Mader mir als meine Cousine verbunden – und so soll die persönliche Erinnerung an sie hier aufleben.

Erinnerung an Elke MaderNicht nur Musik, die sie in ihren Vorlesungen verwendete, wie das legendäre No No Keshagesh von Buffy Sainte-Marie, sondern auch Musik, die sie mir in früheren Zeiten zugänglich machte, Frank Zappas Sofa No 2 und auch Peter Gabriels Walk Through The Fire soll dabei erklingen – oder überhaupt Musik, auf die wir uns geeinigt hätten, wie People Have The Power von Patti Smith. Nein – Kreatives Erzählen von all dem, was beim Verlust eines lieben Menschen als Wellen der Erinnerung ins Bewusstsein drängt – naturgemäß dramaturgisch strukturiert in 3 Themenbereichen – das wollen wir hier in aller Unfertigkeit darleben. Wie Leben an sich, auch über den Tod hinaus, ewig unfertig bleibt. Die einstweilige Verfügung unserer Zwischenbilanz. Eine Momentaufnahme der Entwicklung vom vom zum zum – und wieder zurück:

1) Die legendäre Porzellangasse. Ich hatte das große Vergnügen, in den seligen 70er Jahren öfters in jener Wohngemeinschaft zu Gast zu sein, in der Elke Mader und Richard Gippelhauser damals lebten und in der Geistesgrößen wie Christoph Ransmayr oder Konrad Paul Liessmann umgingen. Von wo man zu Vernissagen aufbrach, bei denen sich noch die Tische bogen und also Hunger und Durst gestillt werden konnten. Wo man noch Feste feierte, die man heute so gar nicht mehr

2) Teilnehmendes Beobachten. Eine vorurteilsfreie Grundhaltung, die Elke nicht nur in ihren Feldforschungen einnahm, sondern die ihr gesamtes Leben prägte. Mir in jedweder Lebenslage sowie uns in unserer Freundschaft und Arbeit gegenüber hat sie stets diese eigentlich ambivalent anmutende und dabei so überaus angenehme Haltung eingenommen. So sollte generell jede zwischenmenschliche Begegnung sein: Dass man zur Begrüßung freigesprochen wird von der Schuld des Rollenspielens.

3) Freundin und Förderin. Betrachten wir die Beziehung von uns zwei Radiohasen zueinander wie auch zu unseren Sendungen und Projekten als eine eigene Kultur (wie “das etwas andere Kunnst-Biotop” ja auch gemeint ist) – dann war Elke in ihrem ersten Begegnen wie in ihrem weiteren Mitleben mit unserer eigenartigen Seinsform ganz und gar Kulturforscherin und hat sofort verstanden, was uns das Artarium und die Nachtfahrt bedeuten. Und immer, wenn diese für uns “höchsten Werte” gefährdet waren und es in ihrer Macht stand, hat sie uns freimütig geholfen.

Dafür danken wir!

Zur Erinnerung: The Chequered Flag (Dead or Alive)

 

Ein fester Festspielflash

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. August – Seit inzwischen 101 Jahren sind “die Festspiele” ein fester Bestandteil des Salzburger Selbstbilds. “Die ganze Stadt ist Bühne”, soll einer ihrer altvorderen Gründer einmal gesagt haben. Fest, fester, am festspielsten. Nun, wenn alles ein einziges Theater ist (und noch dazu auf höchstem Niveau), welches Stück wird da gegeben? Jahr für Jahr für Jahr wird vom “Sterben des reichen Mannes” erzählt – wo ist das “Leben der armen Leute” in eurer Selbst-Inszenierung? Die werden seit der Erfindung des großen Welttheaters in der kleinen Provinzhauptstadt mit Lebensmitteln aus Wien beschwichtigt – und dürfen heutzutage als mehr oder weniger freundliche Volksdarsteller auf Umwegen rentabel sein. “Die Festspiele sind für uns ein Reibebaum, und wir sind die Sau, die sich an ihnen reibt.”

Ein fester FestspielflashDenn einerseits wird hier wirklich erhellendes Theater auf die Wege gebracht, werden weltbewegende Themen in ergreifender Gestalt bis ins Tiefste und Innerste verhandelt und echter Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur neue Räume eröffnet. Andererseits bleiben die bleierne Blödheit des Weiter-So und Immer-Noch-Mehr und auch die unhinterfragbare Herrschaft von Geldmacht und Grundbesitz als die treibenden Kräfte hinter dem sommerlichen Spektakel. Jedermann? Ich bitt’ sie – Jedermann, der es sich leisten kann! Der sich für gutes Geld gern gruselt in Hofmannsthals kuschlig morbidem Katholizistentum. “Eine Triumphpforte österreichischer Kunst” – Die Umwidmung des Untergangs der Donaumonarchie in ein europäisches Erfolgsprojekt für eine exklusive Elite? Genau deshalb haben wir unsere Begegnung mit Thomas Oberender vor 10 Jahren mit “Das Salzburg Syndrom” betitelt. Denn – wer zahlt, schafft an. Oder doch nicht?

Er bescherte den Festspielen ihre bislang erfolgreichste Theatersaison und brachte Jan Lauwers & Needcompany nach Salzburg (unvergessen Sad Face | Happy Face 2008 auf der Pernerinsel). Und er öffnete die Stadt als Spielraum für immersive Kunst, die teilweise sogar allgemein zugänglich war, wie zum Beispiel A Game Of You von Ontroerend Goed. Auch Philipp Hochmairs Jedermann Reloaded entwickelte sich aus dem Young Directors Project, das einst von Thomas Oberender betreut wurde. Vielleicht ein Sämann, dessen Saaten den Satten zum Steinbrech geraten? Und:

“Ein genialer Spagatkünstler“, der sich zwischen dem Aggressor (mit dem Geldkoffer) und den Abgründen des eigenen Selbst vor allem mit der Wirkmacht des Theaters (und der möglichen Katharsis) identifiziert. Das ist ein besserer Gründungsmythos als die ständige Selbstlobpreisung einer längst unfruchtbar gewordenen “besseren” Gesellschaft. Das etwas andere Kunnst-Biotop verleiht jenen eine Stimme, die sonst nichts zu sagen haben: “Die Festspiele sind für uns ein Heiliger Bimbam, bei dessen Gedröhn uns unweigerlich Hören und Sehen – und Reden – vergehen …”

Es ist uns ein fester Festspielflash

PS. Mehr dazu gibts bei den Perlentauchern

 

Babylon Salzburg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. JuniZwei Musikstücke mögen unseren heutigen Ausritt in den Abgrund umrahmen: “Apocalypse or Revolution” aus dem neuen Album von Ja, Panik – und “Zu Asche, zu Staub” aus der bemerkenswerten TV-Serie “Babylon Berlin”. Dazwischen liegen knapp 100 Jahre Weltgeschehen, in denen sich zahllose Schrecknisse, Verwundungen und Überlebensreflexe zu einer epigenetischen Kakophonie ungeheuren Ausmaßes ineinander türmen. Geborgen und verfolgt zugleich versuchen wir diesen unüberschaubaren Partituren unseres Generationenlebens irgend einen Sinn zu entreißen – und uns wieder zu entdecken in den durcheinander fliegenden Fragmenten von Ursache, Wirkung und Synthese. Und scheint auch Salzburg hier (vergleichbar) banalzum Babylon reichts allemal.

Babylon SalzburgSo versinnbildlicht etwa der “Turmbau zu Babel” allerorts die Großmannsucht (womit wir nicht die großartige Mechthild meinen) sondern zwanghaftes Wachstum über die Grenzen der Natur hinaus. “Babylonische Sprachverwirrung” bezeichnet die sich unvermeidlich daraus ergebende Zerstörung der “menschlichen” Kommunikation. Und mit “menschlich” meinen wir hier durchaus “menschenwürdig”. “etwas wie babel” nennt Christopher Schmall folgerichtig sein lyrisch-akustisches Work in Progress, mit dem er das Scheitern zwischenmenschlicher Sprachform erforscht, und das er über die Jahre hinweg ständig weiter entwickelt, derzeit unter Einbeziehung einiger Ausschnitte aus “Fluchtstück” von PeterLicht. Das bildet die zweite Umrahmung (womit wir nicht das Milchprodukt meinen) sondern das Gewirr von inneren und äußeren Stimmen, die uns beeinflussen, Anklage und Verteidigung im inwendigen Strafgericht wie bei “Mea Culpa” von David Byrne und Brian Eno.

Kommen wir jetzt zu einem weiteren Sinnbild: “Die Hure Babylon” illustriert ein zum nicht mehr hinterfragbaren System gewordenes “Sich prostituieren”. Sich verkaufen, die eigene Haut zu Markte tragen, sich dem Meistbietenden andienen, sich für Geld ficken lassen – der Sprichwörtlichkeiten hierzu sind einige, und wir alle wissen, was damit gemeint ist. Globale Zwangswirtschaft und Arbeitsstrichservice sind weitere Wortentwicklungen zu diesem weltweiten Machtklotz, der uns allen aufsitzt und uns innen wie außen die Türen zur Freiheit zuhält. Der Zuhälter in vielerlei Gestalten

Den letzten Rahmen (die finale Zwiebelschicht) einer Verbindung von Ja, Panik mit Babylon Berlin muss nun ein Großmeister des Dandytums herstellen: Bryan Ferry, dessen Roxy-Music-Klassiker “Bitter-Sweet” sie einst auf DMD KIU LIDT gecovert haben, und der, nunmehr gepflegt gealtert, in besagter Serie den zeitlosen Song im Stil der 20er Jahre zum Allerbesten gibt. Nur, welche Version passt in die Sendung?

PS. Wir beglückwünschen unsere wackere Kollegin Mirjam Winter (bei der wir beide das Radiomachen gelernt haben) zum Ehrenschorsch der RadiofabrikAlles Gute!

PPS. Das in der Sendung zum Fluchtstück von PeterLicht erwähnte Videoportrait aus unserer Anfangszeit gehört schon auch wieder mal gesehen!

 

IndiePop

Eigentlich mag ich keine Schubladen, keine Einteilungen von Musik, doch es ist schon a bisserl leichter über seinen Musikgeschmak zu streiten.

Heute Abend kam mit Lord Huron, Dayglow, Cloe Moriondo Indie-Pop vom feinsten.

Dayglow (https://dayglowband.com/) ab April 2022 im nördlichen Deutschland zu bestaunen.
Lord Huron (https://www.lordhuron.com/) kommt laut eventim.de ab Feb. 2022 nach Deutschland.
&
Cloe Moriondo (https://chloemoriondo.bandcamp.com/releases) ist auch ab März 2022 in Deutschland zu sehen & hören.

Das ist doch nicht normal

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. Mai – Das Gesunde Volksempfinden ist wieder da! Die Entscheidung darüber, was normal (und daher erlaubt) ist, wurde an den Volksgerichtshof der Sozialen Medien ausgelagert. Fürderhin urteilt Richterin Shitstorm darüber, was geht – und was ganz sicher nicht. Solches dem schnöden Pöbel dann auch noch als demokratisch zu verkaufen, das riecht nach Stephen Bannon und den Neuen Rechten. Deren Strategie heißt: “Flood them with Shit!” Und die breite Masse besorgt sichs selbst. So schnö konnst goa ned schaun. Da wird gejubelt und vernichtet wie bei den Gladiatoren. Das ist doch nicht normal! Was jetzt? Sprechen sie Sprache? Können sie Kontext? Gibt es nicht sowas wie Übertreibung als Stilmittel? Scherz? Satire gar? Ironie und tiefere Bedeutung?

Das ist doch nicht normalDerzeit haben es sogar Menschen mit Kommunikationshintergrund nicht leicht, ihre Aussagen ins Ziel des Verstandenseins zu bringen, bevor irgendeine Meinungsflut sie nach völlig Woandershin umlenkt. Noch viel schwerer haben es aber jene Menschen, die aufgrund einer schon vorhandenen Überflutetheit durch innerseelische Vorgänge gar keine Möglichkeit zu so etwas wie regelkonformer Ausdrucksweise mehr haben. Sie sind auf unser aller Verständnis der jeweiligen Situation wie deren Begleitumstände angewiesen. Und bekommen sie das auch – etwa wenn sie vor Gericht stehen? Da treffen sie nur allzu oft auf Richter oder Richterin Gnadenlos und werden flugs in den Maßnahmenvollzug abgeschoben. Potentiell lebenslänglich. Like, Dislike, erledigt, R. Ächzstaat. Du sollst normal sein. Abweichler an die Wand! Wir wenden uns daher lieber der “experimentellen Psychose” zu, wie sie im Rausch, in der Kunst, überhaupt im Exzess (und sei der auch noch so leise) anzutreffen ist.

Der bekannte deutsche Raptilienforscher Danger Dan (Antilopen Gang) hat, ganz in der Tradition des großen Satirikers Georg Kreisler, einen Beitrag zur Kunstfreiheit gestaltet, den wir euch ungeachtet der zu erwartenden Online-Meinungsrülpser nicht vorenthalten möchten. Und ich wär nicht wirklich Norbert K.Hund, wenn ich nicht Lust hätte auf ein Publikum, das die Grenzen auszuloten, was erlaubt und was verboten ist, als Einladung versteht, dies auch zu tun

Satire ist, die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit zu entstellen. Das linke Hosenbein ist weiter, hat ein weiser Schneider gesagt (oder wer auch immer). Im Namen des Wahnsinns, sie sind verhaftet! Sie haben zu laut und zu weit gedacht. Verzieren wir die Apokalypse mit einer dezenten Provokation. Pro-vocare, das heißt hervor rufen”. Das ist doch ein geeigneter roter Faden für dieses querassoziative Sammelsurium zum neoliberalen Status Quo. Dankwart ist Tankwart. Exzentrisch betrachtet.