Keine Fußballsendung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. Juni – Wir wollten gerade jetzt, wo “da draußen” wieder einmal “die Europameisterschaft” ausgebrochen ist, absichtlich keine Fußballsendung machen. Oder zumindest eine Sendung mit dem Titel “Der Fußball ist tot. Zumal es gute Gründe gibt, die chauvinistische Unkultur, die solch penetrant umworbene Geldspektakel mit sich bringen, mit umfassender Abscheu zu quittieren. Ihr seht, uns lässt das Thema auch nicht kalt. Weshalb wir uns auf die Suche nach den schönen Seiten des Fußballs machen wollen und dabei hoffentlich etwas von jener Fußballkultur wieder entdecken, die uns selbst zu berühren und zu inspirieren vermag. Denn in der Leidenschaft, die mit dem Spiel verbunden ist, lebt eine ganze Gefühlswelt, die es vor den gefräßigen Allesverwertesten zu retten gilt.

Keine FußballsendungBeginnen wir folgerichtig mit den etwas leiseren Tönen. Da gibt es zum Beispiel zwei Jugendfreunde aus Norwegen, die als Kings Of Convenience” eins der schönsten Musikvideos geschaffen haben, in dem das Fußballspielen sich ganz natürlich im Feingefühl der Kunst bewegt: “Misread”. Es gibt sie also, die Freunde, die das Spiel mit dem Ball zu einer gemeinsamen Welt in friedlicher Verbundenheit verweben. Das möchte man auch den eigenen Kindern wünschen und da stimmt selbst Stephan Weidner, sonst Bassist der Böhsen Onkelz, ein eher gefühlvolleres “Lied für meinen Sohn” an. Ach ja, wenns ums Umarmen des Lebens geht und nicht ums Auslachen, Verächtlichmachen und noch schlimmer Feindseliges, dann schau ja auch ich gern den Nachbarskindern beim Kicken zu, hör sie lachen und lehn mich zufrieden zurück in die beruhigende Melodie ihrer Unterhaltung, in der nichts Boshaftes mitschwingt, nur Freundliches, einander Aufbauendes, Wohlgesonnensein und Lebensfreude.

Wenn wir jetzt schon “keine Fußballsendung” machen und dennoch “das Phänomen Fußball” aus dem Blickwinkel der Liebe heraus betrachten, dann darf einer der größten Liebenden der Fußballgeschichte auf keinen Fall fehlen: Predrag Pašić, der mitten im Bosnienkrieg eine Fußballschule für Kinder im belagerten Sarajevo gründete. Hier in der legendären Doku “Rebellen am Ball” von Eric Cantona wird ausführlich davon erzählt. Mitten in der Schlammlawine des internationalen Konsumismus und der mit ihm verbundenen postkolonialen Kolonialkriege leuchtet die Wahrheit des Liebens.

Schon Pier Paolo Pasolini hat ja kurz vor seinem Tod beschrieben, wie diese globale Fusion aus Geldmacht, Religion und Ideologie jedwede Kultur (und er erwähnt dabei auch die Fußballkultur) in einem erstickenden Einheitsbrei aus Missgunst, Neid und Käuflichkeit zugrunde richtet. Die Poesie des Widerstands gegen eine so ausweglos erscheinende Weltgewalt besteht in der menschlichen Phantasie, deren imaginative Kraft aus der inneren Unendlichkeit ihrer Bilder gespeist wird. Fürwahr ein Füllhorn an Lebensformen, das denen, die mit dem Ende drohen, immer überlegen sein wird.

Wagen wir noch eine Prophezeihung: Das seltsame Ausblenden des Themas “Liebe und Zärtlichkeit, womöglich sogar Sexualität zwischen Männern” in der Fußballwelt ist ein letztes ungustiöses Aufrülpsen einer längst überholten Gefühlsgewohnheit, die von vielen noch immer als naturgegeben geglaubt wird, ihnen in Wirklichkeit aber von (siehe oben) Geldmacht, Religion und Ideologie gefickt eingeschädelt wurde und wird. Vor einigen Jahren veröffentlichten Sigur Rós dazu ein beeindruckendes Statement. Und Marcus Wiebusch von Kettcar ist sich absolut sicher: “Der Tag wird kommen.”

Keine Fußballsendung? Doch eine Fußballsendung …

 

Pantheressenz

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Juni – Auf der Suche nach dem Bilddenken wurde ich jetzt endlich über ein phänomenales Buch gestolpert: In “Legasthenie als Talentsignal” erklärt Ron Davis den Begriff der Orientierung (im Hinblick auf äußere Gegebenheiten) und wie man als Bilddenker oder (was nahe verwandt ist) als visuell-räumlicher Lerntyp zu einem Gleichgewicht der Wahrnehmung gelangen kann, das in speziellen Situationen wie beim Lesenlernen, aber auch beim Tanz oder Sport von einem selbst aktivierbar ist. Im Grunde geht es bei seinen “Orientierungsübungen” um das Finden eines optimalen Orts für die bei Bilddenkern gern umherwandernde “Kameraposition”, durch die wir die Welt wahrnehmen. Wie kann ich etwas nennen, das da plötzlich über meinem Kopf schwebt? Ich nenne es meine Pantheressenz

PantheressenzIn der heutigen Sendung geht es also ums Gleichgewicht, um die Balance inmitten von einander widerstrebenden, sich andauernd verändernden und auf den ersten Blick paradox wirkenden Gegenpolen. Und es ist erstaunlich, was für eine im wahrsten Sinn ausgleichende Wirkung so eine genau über der eigenen Symmetrieachse schwebende Wahrnehmung auf das bekannte Hin- und Hergeworfensein in den Turbulenzen des vielen Gleichzeitigen entfaltet. Natürlich versuchte ich mir auch davon ein Bild, eine Vorstellung zu machen, und heraus kam ein schwarzes, rundes, nach oben gewölbtes Etwas in der Größe eines Eishockeypucks. Und weil es sich auf mich förderlich auswirkte und ich ihm zunehmend zu vertrauen lernte, verband ich seine Wesensart mit der meiner Leoparden und Panther, als die ich mir die mich immer begleitenden “guten Kräfte” darstelle, die auf mich aufpassen und die mir ihre Lebendigkeit geben oder die meine Lebendigkeit sind, aber wer will das schon so im Detail auseinander fitzeln und sehr wahrscheinlich trifft hier ohnehin wieder einmal beides zu. Über zunächst als widerstreitend erlebten Gegensätzen schwebt ein ordnendes Drittes, dessen einstweiliger Name Pantheressenz wäre …

Auf dem Weg hierher haben wir einiges an Text und Musik gefunden, mit dem sich das soeben Beschriebene atmosphärisch untermalen und sogar veranschaulichen lässt. Ein Musikstück ragt dabei besonders heraus, weil es das in sich verstrickte Gegensatzpaar von Nähe und Distanz textlich wie musikalisch perfekt miteinander verschmilzt und zugleich als darüber schwebendes Drittes einen magischen Satz, nämlich “I wish you well” zum Tragen bringt, der eine sonst nicht auszuhaltende Ausweglosigkeit aufzulösen vermag. Reines Wohlwollen. Das ist Pantheressenz.

Wir besprechen den bislang völlig zu Unrecht unveröffentlichten Track “Wish U Well feat. Trennungsagentur” des Musikprojekts Illy Bidol vom Herrn Noir Trawniczek.

Sehr zum Wohl, Bilddenker.

 

Ein paradoxes Album

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Juni – Wie es mittlerweile schon seit Jahren Tradition ist, kommt bei uns immer am Sonntag nach der Nachtfahrt ein ganzes Album zu Gehör. Und weil die Perlentauchersendung diesmal “Das angewandte Paradoxon” heißt, schicken wir gleich noch “Ein paradoxes Album” hinterdrein. Was immer das bedeuten mag. Denn was für den einen überhaupt nicht zusammen passt, das ist für die andere eine logische Abfolge von einander bedingenden Unterschiedlichkeiten. Oder umgekehrt, dazwischen und außerhalb. Wie dem auch sei, mit diesem selbst zusammengebrauten Album greifen wir die liebenswerte Gepflogenheit wieder auf, einander sogenannte Mixtapes zukommen zu lassen. Heute würde man individuell zusammengestellte Playlists dazu sagen, die irgendwo in einer Cloud existieren.

Ein paradoxes AlbumFrüher waren das real existierende Musikcassetten, auf denen man nicht nur ganz speziell für einen besonderen Menschen und auch im Hinblick auf eine ausgewählte Gefühlslage verschiedene Songs, Sounds und Spokenwords zu einer Art von Collage zusammenfügte. In weiterer Folge dekorierte man das Cover (die Cassettenhülle) auch mit allerlei entsprechendem Bildwerk und gegebenenfalls sogar mit dem Verzeichnis der enthaltenen Titel. Aufgrund der Gegebenheiten der analogen Aufnahmetechnik waren dafür mehrere Stunden an Arbeit erforderlich, eine Zeitspanne, während der man im Inneren sowohl mit der eigenen Botschaft als auch mit der Person beschäftigt war, die sie empfangen sollte. Davon ausgehend, “dass Liebe ein angewandtes Paradoxon ist” und unter Einbeziehung der Formel “Liebe ist Energie mal Zeit” lässt sich leicht erspüren, was die Qualität der Selbstoffenbarung in der Beziehung zu nicht einfach nur real existierenden, sondern sogar tatsächlich lebendigen Menschen ausmacht. Die immer noch schnellere Verfügbarmachung von allem und jedem ist eine Illusion.

Kommen wir nun zum Inhalt dieses allein schon deswegen paradoxen Albums, weil es eine Tradition aufgreift, mit der man nicht nur vielsagend sein, sondern eben auch viel sagen konnte. Und das wird die heutige Dreiviertelstunde an Musik, Text und Collage sicherlich. Nur halt nicht jedem dasselbe. Das Feuer als Element der Verwandlung, die Sehnsucht nach sich selbst, der Verlust von Geborgenheit, mitten drin Rilkes Panther und die Frage, was überwiegt, Resignation oder Lebenskraft? In every Dreamhome a Heartache und nicht zuletzt die Verletzten, die eigentlich die Ärzte sein sollen

The Geek (shall inherit)

 

Wilde Lieder

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. Juni“Ein Gespenst geht um in Salzburg…” und die meisten anderen dieser Schmähs sind auch schon gemacht. Haben wir doch seit kurzem einen “kommunistischen Vizebürgermeister”, genau gesagt Kay Michael Dankl von der Liste KPÖ PLUS. Der gelernte Historiker antwortet auf die wiederholte Frage, ob er Marxist sei und ob er Karl Marx gelesen habe, erstaunlich elegant mit eigenen Gedanken über eine “gerechtere Gesellschaft”, in der “Geld nicht mehr derart im Mittelpunkt steht”. Das geht doch in eine interessante Richtung, nämlich verstehen zu wollen, was den Menschen Karl Marx umgetrieben, was ihn beeinflusst und beschäftigt hat. Wir gehen gleich noch einen Schritt weiter und begeben uns in die Zeit seiner Studentenjahre. Und wir hören Die wilden Lieder des jungen Marx.

Die wilden Lieder des jungen MarxEs ist ja nur logisch – wenn ich verstehen möchte, was heute für mich, für uns bedeutsam ist, was hilfreich und sinnvoll anzuwenden wäre – von all den Gedanken und Ideen, die ein gescheiter Mensch niedergeschrieben und uns damit hinterlassen hat – dann sollte ich zunächst einmal wissen, wer da eigentlich spricht. Da schau her, ein junger Student, verliebt, voll romantischer Begeisterung, der erste Lieder und Gedichte schreibt, beginnt sich schon sehr bald an den Machtverhältnissen im Deutschen Bund der 1830er Jahre (der “Vormärz”, der in die Revolution von 1848 führen wird) zu reiben, wird selbstverständlich Teil einer größeren Bewegung, die das Joch der absolutistischen Herrschaft abschütteln will und stattdessen eine selbstgewählte demokratische Regierungsform anstrebt. Die weitreichende Umwälzung des bisher Bestehenden – das nennt sich Revolution. In der Vorstellung des Musikalbums der Grenzgänger bringt es der Deutschlandfunk auf den Punkt: “Revolution als Akt der Liebe”. Hier finden die innere Einstellung und die äußeren Handlungen zusammen.

Um sich ein Bild machen zu können, das dicht und deutlich genug ist, um die eigene Phantasie zur Entfaltung kommen zu lassen, ist es notwendig, sowohl die äußeren Umstände als auch die inneren Beweggründe des Menschen zu begreifen, den wir da betrachten. Nachdem über die jenen Karl Marx umbrandende Weltgeschichte in unzähligen Quellen viel zu hören und zu lesen ist, freuen wir uns desto mehr über die ausführliche Darstellung seiner Lieder und vertonten Gedichte und die Homepage der Grenzgänger. Oder auch über diese schöne Ausgabe vom “Weltgericht” (1837).

Immer schön kritisch bleiben Pustekuchen

 

Hinter den Spiegel

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. Mai – Der Spiegel scheint eine letzte Grenze zu sein. Und er kann viel bedeuten: Wie wir uns selbst sehen. Wie andere uns wahrnehmen. Wie wir gelernt haben, uns selbst zu begreifen. Aber der Spiegel ist tückisch, zeigt er uns doch alles spiegelverkehrt. Und nicht nur das, unser Gehirn glaubt, aus den einzelnen Eindrücken des Spiegelbilds eine allgemeingültige Aussage über unsere Wesensart hochrechnen zu müssen. Und bald stecken wir fest – in einem Selbstbild, das nur noch wenig mit dem zu tun hat, wer wir eigentlich sind. Dieses Phänomen lässt sich bei einem Besuch im Spiegelkabinett recht einleuchtend nachvollziehen. Oder beim Versuch, der Zahnärztin ohne hinzuzeigen zu erklären, wo es weh tut. Doch, wie gesagt, Spiegelungen betreffen nicht nur unser äußeres Abbild.

Hinter den SpiegelWir widmen uns in dieser Sendung verschiedensten Versuchen, die wahrnehmbare Wirklichkeit so zu verändern, dass ein Betreten von Räumen jenseits der gewohnten Vorstellungswelt möglich wird. So formuliert der Künstler Alexander Schreilechner: “Spiegelbilder von dreidimensionalen Objekten ….. lassen Objekte und Zeichnungen magisch, lebendig und in einem völlig neuen Licht erscheinen.”

Das Abenteuer, in uns selbst neue Welten zu erschaffen, enthebt uns nicht nur aus der frustrierenden Mühsal, einzig und allein in der immer bevölkerteren Außenwelt um unseren Platz zum Leben zu kämpfen. Viel mehr noch befähigt es uns endlich auch dazu, die unendlichen Räume unseres inneren Seins nach unseren Bedürfnissen zu gestalten und die dabei hinderlichen Täuschungen (Fehleinschätzungen und Lügen), die von außen in uns hinein gespiegelt wurden, umfassend unschädlich zu machen.

Hinter den SpiegelDas klingt doch zu schön, um wahr zu sein. Ist es aber, auch wenn alle auf uns einprasselnden Unkenrufe, Fernsehwerbungen und schlechten Gewissensbisse immer und immer wieder das genaue Gegenteil behaupten. Man kann sich im Labyrinth der Spiegelwelt so sehr verirren, dass man durchaus nicht wieder “nachhause” findet. Doch hinterfragen wir an diesem Punkt einmal das uns innewohnende Welt- und auch Selbstbild. Auf welches Abenteuer sollen wir uns auf keinen Fall einlassen? Auf uns selbst und die unendlichen Möglichkeiten unserer Entwicklung? Oder auf das andere, das (ich sage das hier einmal frei heraus) keines ist. Oder was soll an einem sklavischen Dasein als Befehlsempfänger vererbter Verhaltensweisen mit einem minimalen Spielraum für Veränderung überhaupt abenteuerlich sein? So etwas riecht nach Langeweile und zunehmender Depression, nach gähnender Leere genau dort, wo eine Frage nach dem Sinn gestellt werden könnte. Geh bitte! Und noch eins: Wer spricht denn da in deinen, meinen, unseren Gedanken? Wer soll das sein, der/die uns Angst macht vor uns selbst? Es ist das Wesen des Abenteuers, ein Wagnis einzugehen, sich auf das Schreckliche wie auf das Schöne einzulassen, ohne den Ausgang vorher zu kennen.

Hinter den SpiegelMancherlei Methoden, Techniken und Kunst-Kniffe können uns dabei helfen, die Einschränkungen des alltagsüblichen Bewusstseins zu überwinden und sozusagen hinter den Spiegel vorzudringen. Nicht immer ist es ratsam, diese allein und ohne gute Begleitung anzuwenden. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, haben wir auf dieser Reise einen Weggefährten aus der Welt der inneren Entdeckungen mit an Bord, der es uns ermöglichen wird, zwischen den Zerrbildern und Projektionen eine dritte Perspektive zu etablieren. Die Methode der triangulären Peilung wird hier im Gespräch und in der Sendungsgestaltung zur eigenen Positionsbestimmung im oft undurchdringlichen Dickicht innerseelischer Störsignale angewandt. Über diese Metapher hinaus freuen wir uns ganz allgemein auf “einen frischen Wind” sowie auf jedwede Einlassung, die unser neuer Mitnachtfahrer Matteo aus dem unendlichen Unverfügbaren mitbringen wird. Das Abenteuer dieser Sendung kann beginnen

Wir sind ein geiles Institut

 

Der Tapir zum Sonntag

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. AprilDer Schriftsteller Peter Hodina veröffentlicht seit Jahren auf seinem Facebook-Profil einen “Tapir zum Sonntag” – und das unbeirrbar an jedem einzelnen. Doch was bei oberflächlicher Betrachtung eine liebenswerte Marotte zu sein scheint, erweist sich bei genauerem Hinsehen als geradezu programmatisch. Denn Peter Hodina zelebriert die Wesensart seines selbst gewählten Wappentiers und verschmilzt derart mit dessen Persönlichkeit, dass er in seinen Texten auch die entlegeneren Früchte erschnüffelt und sich einen eigenen Weg durchs Dickicht des Denkens bahnt. Daher fragen wir uns, wie diese offenbar so befruchtende Beziehung zwischen dem Dichter und seinem Tapir entstanden ist – und welche Rolle das doch sehr besondere Tier in seinem Leben sonst noch spielt.

Der Tapir zum SonntagPünktlich zum World Tapir Day (am Samstag) und zum Erscheinen von Peter Hodinas “Beitrag zur Lage” kommt er endlich erstmals zu uns in die Sendung und liest höchstselbst und livehaftig aus eigenen Werken.

Wir kontrastieren seine Texte mit Liedern von Stiller Hasund wir vertrauen dem Spürsinn unseres unsichtbaren Publikums, hierbei die eine oder andere Resonanz zu erfahren. Denn so fest steht viel (oder wie das heißt) – “unbeirrbar” ist der Schlüsselbegriff, wenn man das Gemeinsame in der Lebens- und Arbeitsweise der Herren Hodina und Anaconda zu beschreiben sucht. Und wenn man das mit den charakteristischen Merkmalen des Tapirverhaltens in Verbindung bringen möchte … In eigenen Worten: Wenn da jemand seinen ureigenen Weg geht, auf eine Art und Weise denkt, fühlt, sein Leben gestaltet, die seinem inneren Wesen entspricht und sich dabei von nichts und niemand beirren lässt (also nicht ablenken, drausbringen oder gar verbehindern) – dann ermutigt mich das zu meinem eigenen Lebensentwurf. Stolz darauf, von ureigener Art zu sein

Solch erfreuliche Eigenart zieht sich wie ein roter Faden durch das Gesamtwerk von Peter Hodina. Zum Beispiel Steine und Bausteine 1: “Aphorismen, Traumprotokolle, Lesefrüchte, gleichnishafte Erzählprosa, manchmal ein Gedicht. Griffe ins Volle, ins Leere, ins Dazwischen. Je nachdem. Es kommt auch auf den Lesenden an.” Oder in Spalier der Farne. Notate: “Wenn ich nur die andere Welt denke, sucht sich bereits etwas einen Weg. Es sind Versuche. / Selbst bist du Teil eines insgesamt Prozessierenden. Ein Regentropfen, ein Hagelkorn, Funke.” Rezension Richard Wall

Und wir machen mehr als nur

 

Das Sternenkind

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. April“Du soist nie aufhean zum lernen, oabeit mit da Phantasie”, so singen André Heller und Wolfgang Ambros in ihrer Bob-Dylan-Adaption “Für immer jung”. Und das drückt eigentlich eh schon alles aus, was zum Thema “Märchen für Erwachsene” gesagt sein sollte. Wir hören in der heutigen Ausgabe des ganzen Albums ein solches Kunstmärchen von Oscar Wilde, nämlich “Das Sternenkind” in einer Aufnahme der überaus umtriebigen Schauspielerin Maja Chrenko. Das ist starker Tobak und kann zu erheblichen Nebenwirkungen führen, wenn man das inwendige Abenteuer mit den äußeren Realitäten falsch vermischt -oder gar verwechselt. Doch keine Angst – lassen wir uns einfach einmal darauf ein – wer Mitgefühl für den armen Hasen zeigt, wird alle Schätze in sich entdecken

Das Sternenkind - Ein Fall für die PhantasieEin Bild, das wohl zunächst das genaue Gegenteil von blühenden Landschaften darstellt (aber eine wunderbare Punk-Location sein könnte), das vor sich hin verfallende Hotel Phantasie in Eisenach, habe ich aus diesem Lost-Places-Blog von Coola Irrgang hervorgestöbert. Aber sind wir nicht alle irgendwie “auferstanden aus Ruinen” – und seitdem auf der Suche nach dem wirklichen Frieden? Nach einem Neubeginn ohne Verleugnung? Nach der sprichwörtlichen friedlichen Koexistenz? Was müsste in uns stattfinden, damit wir außen nicht mehr lebensfeindlich herumzerstören? Solcherlei Fragen drängen sich auf, wenn wir uns überlegen, welchen Wert unsere Phantasien für die Gestaltung unserer Welt besitzen. Wenn wir überhaupt einmal zulassen, dass Märchen und andere ausgedachte Geschichten nicht bloß Unterhaltungsschmarrn fürs Beruhigen, Beschwichtigen und Behupfdudeln lästiger Nichterwachsener sind.

Das Sternenkind von Oscar Wilde erzählt von einer inneren Entwicklung (die gewiss nicht ohne Schmerzen vor sich geht) und nimmt uns mit auf die Lebensreise eines Menschen, der wir alle immer auch selbst sind. Ein Schlüssel zur Verwandlung des Protagonisten ist dabei wohl das Mitgefühl (es wird oft gesagt, dass gute Literatur uns zum Mitgefühl befähigt, weil durch sie das Einfühlen in andere angeregt wird). Offen bleibt, in welche Dickichte und Verknotungen inneren Erlebens wir dabei individuell geraten. Doch eins steht für uns fest – es wird ein weiterer Schritt auf dem Weg sein.

Wir sind ein geiles Institut.

 

The Spirit carries on

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 19. April — Ist da ein tieferer Sinn hinter dem Scheinbaren? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist das Leben überhaupt und ist da nicht doch mehr als das, was wir jeweils gerade erkennen können? Die großen Menschheitsfragen widerspiegeln sich im kleinen Welttheater unserer Radiokunst. Ausgehend von einem alten Hadern der Band Dream Theater mit dem Titel The Spirit carries on versammeln wir Beiträge und Gedanken, die das Entstehen und Vergehen verschiedener Welten ansprechen. Und die darüber hinaus den einen oder anderen Zusammenhang erahnen lassen. In der Gespensterbahn der Weltgeschichte wohnt ein wissendes Kind und zündet einen potemkinschen Schreck nach dem anderen an, um jeden Untergang in ein fruchtbares Land zu verwandeln.

The Spirit carries onDas ist schon ein Vermächtnis des inneren Kindes, dass es weiß, was es gebraucht hätte, um sich seinem Leben und seinen Anlagen gemäß zu entwickeln. Daher weiß es auch, wie die Welt, auf die es gekommen ist, beschaffen sein müsste. Und so können wir ihm schon vertrauen, wenn es den Zustand der Welt, in der es jetzt als Erwachsener lebt, kritisiert und sogar verurteilt. Die Aufgabe, die sich uns im Umgang mit ihm stellt, ist der liebevolle Dialog. Hannah Arendt hat es einmal so formuliert: “Denken ist Zwiesprache mit sich selbst.” Das ist zutreffend beobachtet und doch möchte ich an dieser Stelle hinzufügen: “Nicht alles, was sich in deinem Geist abspielt, ist erwachsen.” Nur wer sein oder ihr inneres Kind (die eigene Kindheit, die nach wie vor in uns umgeht) nicht abweist, wenn es sich bemerkbar machen will, kann die Welt da draußen so reparieren, dass auch tatsächlich neue Kinder (im obigen Sinn) in ihr leben wollen. Wer seine Kindheit ablehnt, wird von ihren unerlösten Geistern verfolgt.

The Spirit carries onNun sind aber im Leben von vielen von uns schlimme Dinge passiert, die uns schon in der Kindheit dazu veranlasst haben, einen Teil unserer Gefühlswahrnehmung nicht mehr stattfinden zu lassen, um nicht den Verstand zu verlieren. Wir haben den Tod überlebt – und doch fehlt uns oft irgendwo im Innersten ein “guter Vater”, eine “gute Mutter” oder sonst eine das Urvertrauen herstellende Instanz. Irgendwas in uns schreit nach der liebevollen Zuwendung, die wir anstelle des Verlassenseins gebraucht hätten und die wir trotz aller Verdrehung und Verdrängung nach wie vor zum Lebendigsein brauchen. Für ein Kind ist jede Art von Missbrauch/Misshandlung ein lebensgefährliches Fallengelassenwerden. Wir sehnen uns nach dem verlorenen Sinn. Hier sind wir offenbar schon mitten in die Traumatherapie hinein geraten und so verweise ich auf das sehr schlüssige Konzept “Das Innere-Kinder-Retten” von Gabriele Kahn. Es atmet diesen gewissen Spirit.

The Spirit carries onUnterwegs im Unfertigen begegnen wir in uns wie auch außerhalb den zu rettenden Kindern. Und erfinden über magische Kräfte verfügende Phantasiegestalten, die sie retten. Die Idee dahinter ist, dass wir das, was in uns zerstört wurde, wieder finden und für uns lebensfreundlich machen. So verwandeln wir uns mit der Zeit in die Menschen zurück, die wir von Anfang an waren, bevor wir der Schwindligmachung zum Opfer fielen und vom Gespensterkarussell der Realitäter*innen eingeschlürft wurden. In die Menschen, die wir schon immer sind. Ja, dürfens denn das? Aus der Bastelkiste der Kulturgeschichten, aus dem Fundus aller denkbaren Religionen, aus der Ursuppe hinter jedweder Mythologie einfach so, freihändig und ganz nach eigenem Bedarf die jeweils entsprechenden Gestalten aufrufen, verändern und zur Selbstrettung ins eigene Seelenleben stellen? Ist dafür nicht irgendein Gott zuständig? The Great Spirit oder eine andere das Urvertrauen (wieder) herstellende Instanz? Man wird sehen

Danke, Stiller Has!

 

Peter Gabriel – i/o (das Album)

> Sondersendung: Artarium vom Sonntag, 10. MärzJa, da schau her, eine Doppelstunde. Warum denn das? Weil Peter Gabriel (nicht der evangelische Pfarrer aus Hallein) ein neues Album herausgebracht hat. Und das ist uns eine Betrachtung wert, die über das übliche Vorstellen und Abspielen desselben hinaus geht. Nicht, dass wir es nicht spielen würden – allerdings erst in der zweiten Stunde, nachdem wir zuvor einige inhaltliche Anregungen aus dem Gabriel’schen Gesamtwerk beleuchten wollen. Über das Album i/o selbst (das bei uns im Dark-Side-Mix stattfinden wird) ist eh schon allerhand Sinnvolles gesagt worden. Über seine eigenartige Entstehung lässt sich auch auf Wikipedia noch einiges erfahren. Dass Peter Gabriel uns sowohl im Artarium als auch bei der Nachtfahrt schon länger begleitet, dürfte bekannt sein.

Peter Gabriel i/o CoverDas erste, was uns aus dem neuen Album ins Auge sprang, war das KI-generierte Video zu “Panopticom”. Allein dieser Begriff und die dazu angestellten Überlegungen aus der wundersamen Welt im Kopf des Erfinders würden längere Studien erfordern. Die Ideen dahinter sind aus einer selbstermächtigenden Umkehrantwort auf jenes im 18. Jahrhundert von Jeremy Bentham erdachte “Panopticon” entstanden, das später als Grundkonzept für die Gefängnisarchitektur diente und als Urstruktur jedweder zentralisierter Überwachung gilt. Dass sich ein ausgewiesener Menschenrechtsaktivist wie Peter Gabriel, immerhin Mitbegründer von Organisationen wie Witness und The Elders, für die Umkehrung oder besser noch Auflösung unterdrückerischer Machtverhältnisse einsetzt, liegt auf der Hand. Dass er uns in seine vielschichtigen Überlegungen dazu, dahinter und noch darüber hinaus einlädt, das ist eine Herausforderung an unsere Phantasie – und erfordert eben ausführlichere “Studien” im Sinn eines Überwindens von überkommenen Vorstellungen, Denkstrukturen und Gefühlsgewohnheiten

Doch wie soll das gehen? Hier kommt die andere Seite von Peter Gabriel ins Spiel, die uns schon immer fasziniert und beeindruckt hat. Und hier tut sich eine mögliche Verbindung zwischen der Innenwelt jedes Einzelnen und der “Welt da draußen” mit all ihren scheinbar so unverrückbaren Gegebenheiten auf. “Sind es die falschen Geschichten, die wir uns kollektiv erzählen?” fragt sich der Biologe und Genetiker Johannes Vogel. Der selbst- und therapieerfahrene Musikkünstler Peter Gabriel hat sich in seinen Arbeiten immer wieder dort hinein versetzt, wo diese entstehen.

In der Psyche von Menschen in Extremsituationen wird deutlich, was da alles aus dem Abgrund des Unbewussten empor steigt, um uns entgegen aller Absichten “fernzusteuern”. Zum Beispiel “Intruder” (1980) oder “Mercy Street” (1986) oder auch “Darkness” (2002)immer wieder lebt sich Peter Gabriel als Protagonist innerseelischer Vorgänge dar, die mit seiner eigenen Gefühlswelt verbunden sind, und das spürt man auch. Jetzt führt er auf “Live and let live” einen neuen Begriff ein – “Forgiveness”, einen Schlüssel zur persönlichen wie auch kollektiven Befreiung.

 

Wie auch immer das gemeint sein sollte, wir wollen es uns genauer anschauen.

 

PS. Mitlesen macht schlau: Die Songtexte zum ganzen Album von Peter Gabriel.

 

Frieden ohne Krieg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. Februar — In unserer letzten Nachtfahrt über Verdrängungen (etwa bei 1:25:35) stellt Christopher Yevgeniy Breygers neues Buch “Frieden ohne Krieg” vor – und mir fährt die ganze seit zwei Jahren angestaute Wut über dieses tagtägliche Verbrechen namens “Ukrainekrieg” aus dem Gesicht. Kurze Zeit später ist auch mir klar, dass ich diesen Autor, der etwas in Worte gefasst hat, das ich so lange Zeit in mir gespürt habe und dabei nie sprachgedanklich zum Ausdruck bringen konnte, unbedingt livehaftig erleben will. Und so besuchten wir am Montag seinen feinerweise von prolit organisierten Auftritt im Literaturhaus, um den Menschen hinter den Gedichten kennen zu lernen. Was wir dabei erlebt haben – und wozu uns diese Begegnung inspiriert – davon erzählen, spielen und lesen wir heute.

Yevgeniy Breyger - Frieden ohne KriegDie doch recht plötzliche Bewusstwerdung der Tatsache, dass es nun schon zwei Jahre sind, seit wir erstmals vom ungezügelten Ausbruch der russischen Gewalt gegen die Ukraine sprachlos geworden sind, nötigt uns nachgerade zu einer neuerlichen Betrachtung unserer damaligen Reaktionen. Und zur Überlegung, auf welchen Weg wir uns seitdem gemacht haben, ja, wohin uns das alles inzwischen führt. Ich erinnere mich an unser fast schon verzweifeltes Festhalten am Werk einzelner Künstler aus den “betroffenen” Ländern, an das Herbeizitieren exemplarischer Reaktionen aus aller Welt, die wir als irgendwie “gegen den Strom” empfanden – und an einige Ausblicke hinter den “kyrillischen Vorhang”, die uns mit der Gefühlswelt der Menschen in Verbindung bringen sollten, von denen wir so viel hörten – und die wir doch so wenig verstehen. Da fällt mir die unlängst erst in einem Dokumentarfilm erläuterte дедовщина ein. Die russische Gesellschaft ist von dieser “Häfenhierarchie” schon so durchsetzt wie ein Brot von einem Schimmelpilz. Die Begrifflichkeit dieses Gewaltsystems kommt in deutschsprachigen Medien kaum jemals zur Erwähnung. Ob das vielleicht damit zusammen hängt, dass die allermeisten von uns nicht sehen, nicht spüren und auch lieber gar nicht wahrhaben wollen, von was für schädlichen Myzelen unsere eigenen Gesellschaften durchwuchert sind? Um bei der Pilzmetapher zu bleiben – wir sitzen alle im selben Brot. Das Brot ist voll.

Von Yevgeniy Breyger heißt es, in ihm seien zwei Persönlichkeiten zugange, eine traumatisierte und eine kindlich verspielte. Diese beiden Seiten seiner selbst derart in Balance zu bringen und auch zu halten, das macht die Faszination seiner Sprache als ein Unterwegssein zu sich selbst aus, dem man ohne abspaltende Verrenkungen des Geistes begleitend beiwohnen kann. In Frieden ohne Krieg tritt uns der Mensch hinter dieser Sprache als jemand entgegen, der sich entschlossen hat, auf dem Weg zu sich selbst zu bleiben, ohne Maskierung und künsltiche Pose, einfach offen …

“Frieden ohne Krieg” – das ist ein richtiger Denksprengstoff für die Gegenwart.

Danke.