Appear Disappear

Artarium am Sonntag, 16. November um 17:00 UhrZum 40. Bandjubiläum von The Young Gods aus der Schweiz ist schon so gut wie alles gesagt. “Nur halt noch nicht von allen.” (Karl Valentin). Auch wir haben uns ja in den vergangenen Jahren über das eine oder andere Werk dieser angenehmst vielseitigen Grenzüberschreiter und Genrezerleger schon weiterführend ausgelassen. Also wollen wir diesmal ihren eigenen Kommentaren zur Weltlage und zu ihrem bisherigen Schaffen Raum geben: Hören wir einfach ihr aktuelles Album “Appear Disappear” oder noch besser, lassen wir uns davon in ihre Zwischenwelt mitnehmen, in der sie jugendliche Wut über die Ungerechtigkeit mit abgeklärter Weisheit im Umgang mit den Wechselfällen des Lebens zu einer bemerkenswert beidseitigen Soundsynthese verbunden haben.

Appear DisappearEs ist ein eher seltenes Phänomen, dass ein wie auch immer geartetes Kunstkollektiv (speziell in der Welt der musikantischen Popkultur) nicht in jener Pose, die sich einmal als einträglich erwiesen hat, verharrt, sondern über Jahrzehnte hinweg immer wieder nach neuen Themen, Konzepten und Ausdrucksformen sucht – und diese alle in einer stets wiedererkennbaren Gestalt, einem “stilistisch gemeinsamen Nenner” darbietet – ja, geradezu verkörpert. Um unserer Dankbarkeit dafür und unserer Freude darüber Ausdruck zu verleihen, spielen wir nicht nur das, wie gesagt bemerkenswert beidseitige Album “Appear Disappear” (und was mit “bemerkenswert beidseitig” gemeint ist, erschließt sich sicherlich im hörenden Erleben) – nein, wir geben auch dem “Kopf des Projekts” Franz Treichler Gelegenheit, seinen Kommentar zu Text und Inhalt des titelgebenden Stücks auszubreiten, der weit in die Zeitgeschichte zurückblickt und auf die bekannte Begegnung von Jean Ziegler mit Che Guevara verweist (hier der Kontext dazu):

 

Appear Disappear speaks about a person’s place in today’s society. When do we feel in sync with the world around us, and when do we no longer align with its values?

“I spend my time in the brain of the monster”

When Jean Ziegler was young, he was assigned to drive Che Guevara from one place to another in Geneva. In the car, Ziegler told Guevara that he wanted to support his cause, go to Cuba, and join the revolution. Guevara replied: “You live in Switzerland, right? Then stay here to support us – you are in the brain of the monster.” This phrase left a deep impression on me. It highlights the unease I feel as I become more aware of Switzerland’s indirect implications in global issues and conflicts. My country and its ghost nets (“my ghost net nation”) – a reference to fishing nets left in the oceans by industrial trawlers, causing massive damage to marine life.

Appear – disappear from society, engage – disengage. How do we react? How do we contribute constructively?

“I can ride the snake or get back on the tiger”

Escape into other worlds, other realities? (The snake is a recurring image in shamanic cultures.) Or ride the tiger—stay active, never give up, always start again?

Appear Disappear also reflects the fleeting nature of human life in the grand scheme of time.

“Hold your hand until you disappear” Holding someone’s hand until their last breath.

“You told me lover, matter doesn’t matter, flames and fires appear and disappear” My love, you showed me that flames come and go, and that matter does not matter.

Appear Disappear

This year marks the 40th anniversary of our band’s existence. The Young Gods have always had a unique relationship with the music industry: over 40 years, the band has often disappeared and reappeared.

 

Die heilige Johanna

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. Oktober – Diesmal stellen wir euch ein im angenehmsten Sinn “etwas anderes” Theaterprojekt vor, das uns darauf neugierig gemacht hat, endlich wieder einmal eine Aufführung mit allen Sinnen zu genießen – und nicht einfach nur brav blökend das sonst übliche Überangebot zu konsumieren (wovon wir uns aber ohnehin lieber fernhalten). Wir besehen das Stück “Die heilige Johanna der Schlachthöfe” von Bertolt Brecht, das schon bald in der Inszenierung von Cassandra Rühmling an verschiedensten Orten in Stadt und Land Salzburg zu sehen sein wird. Allein schon die Auswahl der Spielstätten ließ uns aufhorchen – so findet etwa die Vorpremiere am 1. 11. um 19:30 Uhr in der altkatholischen Kirche statt – das ist schon einmal erfrischend anders als “Theater immer nur im Theater”.

Die heilige JohannaBeim Schreiben dieses Artikels stelle ich fest, dass ich hier keine wie auch immer gearteten Interpretationen, Brecht-Traditionen oder sonsterlei ideologische Vereinnahmungen seines Werks anführenja, nicht einmal verlinken möchte. Das hat wohl mit der unrühmlichen Brecht-Verdammung hierzulande (in der Zeit des kalten Krieges) zu tun und mit der bizarren Geschichte rund um seine Staatsbürgerschaft. Die ihm vor 75 Jahren verliehene österreichische hat er ungeachtet der damit verbundenden Skandale und Hysterien zeitlebens beibehalten. Das freut uns (im nachhinein) am heutigen Nationalfeiertag, der einst Tag der Fahne hieß und von fähnleinschwenkenden Kindern mit “von oben” verordneter Freude “begangen” wurde. Seither widerstrebt es mir, vorgegebene Deutungen und Be-deutungen (von wem bitte, von wem?) aufgetragenerweise wiederzugeben. Und so fühle ich mich bei “echt lebensnachspürenden Inszenierungen” wesentlich wohler.

Denn Cassandra Rühmling dringt gemeinsam mit ihrem engagierten Ensemble in die tieferen Schichten der heiligen Johanna vor. Wiewohl die politische Aktualität von ungerechter Ausbeutung deutlich zur Sprache gebracht wird, steckt in dem recht komplexen Stoff doch noch einiges mehr an psychologischem Erkenntnisgewinn, etwa über das Kommunizierenwollen und das Verstandenwerdenkönnen oder die Rückbesinnung auf ein in allen Kämpfen mit inneren wie äußeren Verhältnissen fortwirkendes “Mensch sein”, ohne das weder Überleben noch Verstehen gelingt.

Wir freuen uns also schon auf die erwähnte Vorpremiere am 1. November und ganz speziell auf die Regisseurin und zugleich Hauptdarstellerin, die bei uns im Studio zu Gast sein und uns mehr als nur einige Einblicke in “die heilige Johanna” sowie ihre faszinierende Arbeit durch die vielen Schichten des Dramas bieten wird. “Diese Frau macht kein Theater – sie ist eins.”, sagt man über sie. So eine Verkörperung dessen, was Theater ausmacht, selbst zu erleben, das empfehlen wir naturgemäß ausdrücklich. Alle Termine und Tickets elegant auf dieser Seite: Theaterplatz.at

 

Und Thomas Oberender empfiehlt: “Hören sie genau hin!”

 

Kolonialwaren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Oktober – Wenn heute jemand das N-Wort (für Menschen dunkler Hautfarbe) nicht verwenden will, dann hoffentlich deshalb, weil es (und seine noch abwertendere Variante, die schwarze Menschen als rechtlosen Besitz weißer Plantagenbesitzer bezeichnet) nach wie vor die Geschichte eines über Jahrhunderte verübten Verbrechens gegen die Menschlichkeit weiter erzählt – und zwar so, als wäre es ganz normal gewesen, mit Menschen wie mit Kolonialwaren zu handelnSachen, die einem gehören und mit denen man machen kann, was man will. Und wenn wir uns heute so umschauen auf der Welt, dann wird genau die Geschichte – von höheren und niedrigeren Menschen und vom Recht der einen, die anderen zu besitzen und zu beherrschen – vielerorts wieder traurige Realität.

Nun haben wir in Österreich keine böse Kolonialgeschichte (wie etwa die belgische eine war) … möchte man immerhin meinen. Doch wenn wir unser Augenmerk von Afrika oder überseeischen Gebieten auf den benachbarten Balkan richten, dann sieht das schon wieder anders aus. Auch wenn es dabei nicht um den allseits begehrten Kaffee ging, um Kolonialwaren und deren billige Inbesitznahme ging es auch im Fall von Bosnien-Herzegowina. Meine eigene Familiengeschichte kann davon Finsteres berichten – und zwar von Seiten der Täter*innen. Noch heute preist man etwa den Holzreichtum Bosniens als gewaltige natürliche Ressource. Zur Zeit der Okkupation (und später Annexion) durch Österreich-Ungarn (von 1878 bis 1918) wurde mein Urgroßvater als ein Mitglied der “k.u.k. Landesregierung” in hohen Positionen der “Forstabteilung” damit beschäftigt, so viel Holz als möglich aus den bosnischen Wäldern “zu gewinnen”, und zwar um Schwellen für den Eisenbahnbau in der gesamte Monarchie bereit zu stellen. Hier ein Video seiner Villa in Sarajevo.

Man kann ihn also durchaus als einen privilegierten Ausplünderungsbeauftragten bezeichnen. Und jetzt schauen wir uns einmal das Verhältnis der Österreicher*innen zu den Einwohner*innen Ex-Jugoslawiens an – wie es sich seit damals entwickelt hat – und wie es sich heute darstellt und vor allem anfühlt (und zwar für beide Seiten). An diesem Punkt der Überlegung kommt unweigerlich das österreichische T-Wort, nämlich “Tschusch”, ins Spiel. Danke, Lukas Resetarits! Und die bemerkenswerte Beobachtung, wie sich die Ausgegrenzten “der ersten Generation” verwandelten …

Im Grunde handelt diese Sendung auch “vom Hausneger” und “vom Lakai” – zwei weiteren zutiefst abwertenden Bezeichnungen für zwei längst überholt geglaubte gesellschaftliche Positionen – in die wir jedoch zu unseren Lebzeiten persönlich hineinvergewaltigt wurden, wovon wir in Gestalt von zwei anschaulichmachenden Anekdoten noch berichten werden. Und davon ausgehend wollen wir versuchen, die unselige Spirale der Gewalt zu durchbrechen, in der viele frühere Opfer später zu Tätern werden (fast schon zwangsläufig). Und ja, hier sind das speziell Täterinnen.

 

“De Frauen san de Tschuschn vo da Wöd” (John Lennon auf Wienerisch)

 

PS. Mwita Mataro (At Pavillon) hat uns durch seinen Film “Austroschwarz” und mit seinem Song “Schwarzer Hase” zum Nachdenken über die Kolonialwaren angeregt – und somit des weiteren auch zur Gestaltung der heutigen Signation inspiriert.

 

Peter Gabriel geht in seiner Arbeit am jüngst erschienenen “Live and Let Live” der Frage nach, inwieweit “Forgiveness” im Sinne von Nelson Mandela beim der für uns alle so notwendigen Befreiung aus den Verstrickungen von Schuld und Rache eine wesentliche Rolle spielt – ja, geradezu unverzichtbare Voraussetzung dafür ist.

 

Lieber Konstantin,

“Der Liebe zuliebe”, so heißt dein jüngstes Buch, das ich soeben gelesen habe. Und als ich damit angefangen hatte, drängte sich mir sogleich der Wunsch ins Bewusstsein, dir zu schreiben. Du wirst dich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern, doch wir sind uns einmal in Salzburg begegnet, das war 1979 anlässlich deines Konzerts im großen Festspielhaus. Im Anschluss daran haben wir gemeinsam gesoffen bis in den Morgen und du hast mir all dein Geld geschenkt, das du dabei hattest, für die damals geplante “Initiative Buntes Salzburg”. Und heute lese ich in diesem Buch, dass du Alkoholiker bist und vor ungefähr 4 Jahren, ziemlich zur selben Zeit wie ich, beschlossen hast, nicht mehr zu trinken, also deine Sucht der Liebe zuliebe nicht mehr auszuleben. Das, lieber Konstantin, berührt mich zutiefst – und verbindet uns noch einmal ganz neu

Lieber KonstantinDenn schon seit vielen Jahren bezeichne ich dich (auch ohne dass du davon weißt) als einen meiner wichtigsten Sprachlehrer. Deine Texte und vor allem deine Art, sie auszudrücken, dein Mut, auch die  erschreckenderen Abgründe des Gefühlslebens anzuschauen und in Worte, oft auch in unerwartete und zugleich berührende Klänge zu fassen – das alles und noch viel mehr hat mich immer wieder dazu angestoßen und herausgefordert, meinen eigenen Abgründen sowie ihren Spiegelungen in der Welt um uns herum mit Worten, in Klangbildern und Inszenierungen Gestalt zu geben, um andere auf sie aufmerksam zu machen und um sie (nüchtern betrachtet mehr denn je) in mir und nicht zuletzt für mich selbst zu verbearbeiten. Du komponierst und dichtest und gehst auf Tournee. Ich dichte auch und komponiere Radiosendungen, die gehen dann für mich “im Äther” auf Tournee. In denen bist du auch schon öfter vor- und, wie ich meine, ganz gut weggekommen. Es gibt Verbindungen jenseits des Sichtbaren

Lieber Konstantin, heute sind es im Rückblick nicht mehr nur die vielen Anregungen und Einflüsse, die wir beide gemeinsam haben und denen ich in deinem Buch wieder begegnet bin. Ich will hier zwei wesentliche Personen erwähnen, denen ich ungemein Gutes verdanke: Den großen Pier Paolo Pasolini und den wunderbaren Arno Gruen. Heute ist es vor allem der Weg, auf den du dich im Augenblick des Zerrbruchs (einer der kreativsten Druckfehler, denen ich je begegnen durfte) gemacht hast: Poetisches Wandeln und politisches Handeln durch spirituelle Entwicklung in Einklang bringen.

(Mitschnitt): Im Artarium am Sonntag, 28. September gehen Christopher Schmall und ich der Frage nach, wie sich der Weg des Konstantin Wecker in seinem Werk und in unseren jeweils eigenen Werdegängen wiederspiegelt und was für uns dabei “ein roter Faden” sein kann. Weil in jeder gesättigten Lösung aus Poesie und Widerstand, Wut und Disziplin, Vergebung und Aufbegehren, kurz gesagt in jedweder kreativen Ursuppe eine erste Struktur aus Lebensordnung und dem Wunsch nach Gestaltung der Utopie zu finden ist, an der sich längst vorhandene Elemente herauskristallisieren:

 

Das ist Poesie

 

Tantes Inferno

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. August“Wir müssen unsere Eltern in ihrem historischen Kontext verstehen.” Dieses Zitat von Peter Hodina erweist sich als umso zutreffender, je mehr und je länger ich mich mit der Geschichte meiner Familie beschäftige. Und dabei habe ich über die Jahre so einiges entdeckt, was man vor mir unbedingt hätte geheimhalten wollen. So etwa die Verstrickungen meiner Tante in die Ideologie des Nationalsozialismus, deren schädigende Auswirkungen auf mich und meine Mutter ich erst langsam (im Rahmen einer Traumatherapie) zu verstehen beginne. Noch vor einigen Jahren habe ich einen viel zu euphemistischen Nachruf auf sie verfasst. Heute sage ich rückblickend: “Es war die Hölle.” Das Kind darf sich wieder spüren – und auch das titelgebende Wortspiel mit “Dantes Inferno” machen …

Tantes InfernoEs gilt also einiges zu berichtigen und auch die Geschichte(n) so zu erzählen, dass sie nie mehr hinter dem muffigen Vorhang des Schweigens und Vergessens zum Verschwinden gebracht werden können. Es gilt, sich selbst wieder zu begegnendort, wo man im tiefsten Inneren schon immer gewusst hat, was gespielt wird, wo man sich aber schon zu lange nicht bewusst hinzuschauen getraut hat, weil die eingeflößte Todesangst vor der Wahrheit viel zu groß war. Wie zersetzend sich eine nationalsozialistische Erziehung von frühester Kindheit an auswirkt, das hat Sigrid Chamberlain in ihrem Buch “Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind” minutiös dargestellt. Der eigentliche Skandal aber besteht darin, dass jener zutiefst menschenverachtende “Erziehungsratgeber” von Johanna Haarer, der darin die Hauptrolle spielt, auch nach Kriegsende immer wieder neu aufgelegt wurde (zuletzt 1987), bis in die 2000er Jahre als Lehrmaterial für die Ausbildung in Säuglingspflege verwendet wurde, und dass die kinderfeindlichen Erziehungsmethoden, die solchem auf Gehorsam und Funktionieren abzielenden “Kinderabrichten” innewohnen, nach wie vor von einigen sogenannten Experten als sinnvolle Maßnahmen angepriesen werden. DAS macht hilflos – und wütend.

Dabei muss es aber nicht bleiben: “Denn ist ein Buch, das geschrieben werden muss, erst einmal geschrieben, ist das Grauen in Worte gebannt. Das bedeutet nicht unbedingte Heilung, doch Linderung für die Seele. Schreiben ist selbstbestimmtes Handeln, es befreit aus der Opferrolle.” Zitat aus Misha Schoenebergs “Mein Vater, Auschwitz und der 7. Oktober”. Ein solches Buch, das ich gerade lese, ist der Roman “Wenn das der Führer wüsste” von Otto Basil (ein sträflicherweise kaum bekannter österreichischen Publizist und Schriftsteller), der mir Tantes Inferno zu lindern vermag.

Meine eigene Erzählung beginnt mit dieser RadiosendungWas hat es mit dem von mir erlebten und überlebten Inferno – und mit meiner Tante – auf sich?

Wir öffnen eine Zeitkapsel …

 

Das untergehende Festspielhaus

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. August — “Die Felsenreitschule fühlt sich an wie ein schwarzes Loch, das einem, sofern man dort tagein, tagaus arbeitet, die Lebensenergie aussaugt … to be honest, es ist ein sinkendes Schiff.” So ungefähr beschrieb der Hase seine gesammelten Eindrücke als Kantineur im Festspielhaus, und zwar in unserer jüngsten Nachtfahrt (das ganze Gespräch ist hier ab 02:08:27 gut zu hören). Von dieser Wahrnehmung ausgehend machen wir uns auf die Suche nach den Ursachen für derlei im wahrsten Wortsinn kraftraubende Gegebenheiten. Ist das Haus vielleicht verhext? Sind wieder mal die Nazis schuld? Welche blutigen Rituale fanden dort statt? Worin besteht das Menschenopfer, das wie unter einem Wiederholungszwang alltäglich dargebracht wird – und von dem niemand spricht?

Das untergehende FestspielhausMeine Tante war nazistisch und meine Mutter war narzisstisch gestört – könnte darin womöglich eine Erklärung für den in diesem schönen Salzburg und in seinem weltberühmten Festspielhaus konzentrierten Weltwahnsinn liegen? Ich meine den Eindruck des aussaugenden Abgrunds, der den totalitären Narzissmus prägt. Die Weltmacht Wirtschaft funktionierte dann ebenso wie eine narzisstische Persönlichkeitdu musst um dein Leben ihre Wünsche erfüllen bis du ausgesaugt bist, während sie sich auf deine Kosten ihren schönen Schein poliert (hinter dem sie nichts anderes ist als schlicht Nichts (und dieses Nichts saugt alles, was nicht Nichts ist, in sich auf, um wenigstens vorgeben zu können, irgendwas zu sein). Und aus all der von uns geraubten Lebenskraft bastelt sich die narzisstische Weltherrschaft dann ein scheinbar sauberes Image, das vorgibt, bedeutsam und wichtig zu sein, geradezu unverzichtbar für unser Wohlergehen. Aber all das ist nichts als Lüge

 

Jedermanns Totentanz

 

Im Schatten der Mozartkugel
ein schönes Bühnenbild vergangener Zutodequälung
versteinerte Herrlichkeit kunstsinniger Kirchenfürsten

Wir halten inne und atmen Salzburg
in aller Stille tief in unsere Seelenlungen ein
und fühlen dabei stets ein seltsames Befremden
in dieser Stadt, in deren Trubel Freiheit schon Ersticken ist und Luftholen zum Leben den Beigeschmack vermorschter Knochen birgt

 

*asthmatisches Röcheln*

 

Gleich füllt sich unser Sein mit Friedhof
und auf den Urnen der verbrannten Kinder tanzt Frau Moloch die bösen Fackelumzüge wieder für die dauernde Macht der Räuber, mit klapperndem Gebein ihre Eisenreifen, Ketten, Schlösser schwingend.

Mumifizierte Brüste hängen gummigleich von den Balkonen und spenden ledrig längst verdorrt den Dürstenden die Milch des Geldes: Stinkende Milch von früher, wir trinken dich morgens, wir trinken dich abends, wir trinken dich nachts, wir trinken und trinken, wir tanzen ein Loch in die Zukunft, wir tanzen und tanzen, der Tod ist ein Meister aus Salzburg, ihre Augen sind braun, sie spielt mit den Kunden und ruft:

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und belabert seid, ich will euch begütern. Ich will euch das Gewissen erleichtern und euch die Vergangenheit ungeschehen machen. Ich will euch die Steuern abziehen wie eine zweite Haut und mir feuchtfröhlich einen Lampenschirm daraus basteln zur höheren Ehre Gottes und zur Freude des zahlenden Publikums. Und fürchtet euch nicht, es ist alles herzig und putzig hier – und überhaupt nur Theater, das man als solches erkennt. Denn denen, die da schon besitzen, wird auch noch alles andere gegeben werden, vor allem aber das, was genommen wird jenen, die sowieso nichts mehr haben. Und so wird über die Weltbühne kommen ein ewiges Friedensreich, in welchem Gerechtigkeit herrschet nach meiner Facon – nämlich dass alles so bleibt, wie es immer schon war. Und das ist dann ein Theater, wie wir es hier haben wollen. Amen.“

Das letzte Licht ist verlöscht. Kein Raunen geht durch die Menge. Regungslos sitzen die Festspielgäste auf ihren Polstersesseln. Sie sind in diesem einzigen, unendlich lang atmenden Augenblick endgültig ganz und gar zu Stein geronnen. Und niemand vermisst sie! Wenn in hundert Jahren ein neugieriger Mensch die Saaltüren öffnen wird und wenn der erste Sonnenstrahl mit einem Hauch frischer Luft ihre erstarrten Körper berührt, dann werden sie zu Staub zerfallen und sich in ihrem ewigen Nichts auflösen.

 

This is Capitalism …

 

Golden Years

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. August – Die Band Tocotronic ist seit ihrer Mitbegründung der Hamburger Schule ein nicht wegzudenkender Beitrag zur sowohl selbstdenkorientierten als auch gefühlsganzheitlichen Lebenswahrnehmung vielster Mitmensch*innen geworden. Vor allem aber sind sie eine Band, die nie in einer Pose verharrte, um jahrzehntelang als Folklorezombie ihrer selbst (und ihrer Szene) zur Gaudi ihres Stammpublikums (und zum Klingeln der Kassen) wiederaufzuerstehen. Untote Endlosschleifner immer einunddesselben gibt es eh schon zum Speiben zuviel. Spätestens seit ihrem enigmatischen Song/Video “Ich tauche auf” (gemeinsam mit Soap&Skin Anja Plaschg) wissen wir, dass Tocotronic irgendwie “out of the box” sind. Und somit stellen wir euch (und uns) heute ihr aktuelles Album “Golden Years” vor.

Golden Years von TocotronicWenn ich da hineinhöre und mir die Texte von Dirk von Lowtzow durchs Bewusstsein wehen lasse, dann bin ich mir nie so ganz sicher, was das jetzt eigentlich ist … Philosophie? Selbstaufdieschaufelnehmung? Spiritualität? Lebenserfahrung? Weisheit? Verlorensein? Glück? Abgrund? Oder alles zusammen? Über all die Jahre sind uns immer wieder einzelne Aufblitzungen ihres fürwahr vielgestaltigen Schaffens begegnet, haben sich eingebrannt oder sind leise in uns eingesunken, nur um dann andernorts, andernzeits wie wohlvertraut wieder aus uns aufzutauchen. Das eine oder andere Mal haben wir davon berichtet, so wie wir im Radio immer von dem berichten, was sich gerade in uns ereignet. Zu Beispiel in den Sendungen “Songtexte auf deutsch” oder “Zwischen Leben und Überleben”. Abgesehen von den ganzen Alben “Schall und Wahn”, “Nie wieder Krieg” und eben jetzt “Golden Years”. Und auch Musikalben wollen, so wie Gedichte, erlebt werden.

Denn die zuvor aufgeworfene Frage, was das jetzt eigentlich ist, diese unserem Hirn und seiner Arbeitsweise so tief innewohnende Suche nach dem Vergleichbaren, nach Einteil- und Zuordenbarkeit, sie muss an der flirrenden Vielgestalt tocotronischer Verweise zerschellenund führt so zwangsläufig ins Leere. Oder ins Unendliche. Ist da, jenseits der vorgegebenen Bedeutung, jenseits der vermeintlichen Sicherheit, jenseits der vielleicht lebenslang falsch verstandenen Systeme womöglich doch auch ein Urgrund – unter dem grund- und bodenlosen Abgrund? Das Leben spüren …

Das Leben lebt … Golden Years.

 

Die Fahne der Freiheit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Juli – Eine erweiternde und vertiefende Fortsetzung unserer ersten Erinnerungssendung “Living in the Past”, die sich dem gemeinsam erlebten Heranwachsen im Salzburg der 70er Jahre widmete. Diesmal richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die uns damals umgebende Atmosphäre des politischen Aufbruchs und wie diese Stimmungslage unsere Hoffnungen und Perspektiven beflügelte. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass sich da ein Begriff wie “Freiheit” ganz vortrefflich auf unser pubertäres Hormongefüge gereimt hat – und dass sich dieser Umstand bis heute in unserer Musikauswahl wiederfindet. Neben dem, was “Österreich modernisieren” für uns Jugendliche damals bedeutete, sei auch darauf hingewiesen, wie geradezu revolutionär die damalige Rockmusik war.

Die Fahne der FreiheitZu deren einstiger Sprengkraft (sowie heutigen Beliebigkeit) hat Bernhard Torsch unlängst eine feinsinnige Betrachtung verfasst. Sie stimmt weitgehend mit unserer Lebenserfahrung überein, wobei wir den stilistischen Schwerpunkt mehr beim “Progressive-” als beim “Blues-Rock” setzen – doch das ist letztendlich Geschmackssache. Die Grundtendenz der Kulturgeschichte ist hier wie dort die selbe. Jedenfalls beweist mir der erste Einfall beim Vorbereiten dieser Sendung (als nämlich die Frage auftauchte: “Was wollen wir jetzt spielen von dem, was wir damals immer wieder gehört haben?”) die Richtigkeit seiner “revolutionären” Zuschreibung. Denn was haben wir damals, unter dem Einfluss der Hormone wie auch der “politischen Großwetterlage”, rauf und runter gehört? Es war “Spartacus” von Triumvirat. Auch Nummern wie “Do The Strand” von Roxy Music, später das erste Album der Nina Hagen Band mit dem legendären “Pank” (“du alte Sau, gelle!”). All das ist eine Kampfansage ans unterdrückerische Establishment.

Naturgemäß bekamen wir in jener Zeit auch die realen Gewaltausbrüche mit und sie wurden Teil unserer Lebensgeschichte. So waren einige unserer Freunde Chilenen, die wegen des Militärputschs 1973 ihr Land verlassen mussten, um nicht umgebracht zu werden. 1977 veröffentlichten die Schmetterlinge ihr Album Proletenpassion, auf dem sie einem der damals zu Tode gefolterten, dem chilenischen Volkssänger Victor Jara, ein beeindruckendes Denkmal setzten: “Companero Victor Jara : presente” Und wir waren, und sind heute noch, zwischen Aufbruch und Untergang unterwegs.

Was uns zu der Frage führt, wie wir angesichts der gegenwärtigen Weltlage mit ihren widerwärtigen Auswüchsen guten Gewissens und mit uns selbst übereinstimmig, also hier und jetzt, leben wollen. Dazu ist mir in einer Facebook-Gruppe (was für ein Auswuchs!) eine interessante Aussage begegnet. Dort beklagt ein Mitglied all die von Hass und Engstirnigkeit triefenden Kommentare zu (wie wir dieses Wort früher verstanden) “progressiven” Themen und bezeichnet dabei die anderen Teilnehmer als “alte Säcke, die der Vergangenheit angehören”. Darauf antwortet ein anderer:

“Wir alten Säcke sollten die Fahne der Freiheit (ja klingt überzogen) hochhalten, (sollten) dagegenhalten und nicht abtauchen. Wer wenn nicht wir. Prog ist Freiheit und Vielfalt!”

 

PS. Ist der Rock’n’Roll jetzt tot oder nicht?

 

Alles muss repariert werden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Juni —– Alles Antilopen Gang

Also jetzt mal ganz spekulativ
Ich nutze ganz bewusst lieber den Konjunktiv
Ich schriebe einen Text, der im Konflikt mit dem Gesetz
Behauptet, Strache sei ein Reptiloid
Und angenommen, der Text gipfelte in einem
Aufruf, die Welt von den Faschisten zu befreien
Und sie zurück in ihre Löcher reinzuprügeln noch und nöcher
Statt ihnen Rosen auf den Weg zu streuen

Antilopen Gang - Alles muss repariert werdenJuristisch wär die Grauzone erreicht

Doch vor Gericht machte ich es mir wieder leicht

Zeig mich an und ich öffne einen Sekt

Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt

Danger Dan – Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Volkstheater Wien Version)

 

Es wird früher dunkel, in den Straßen schwarzer Rauch
Zorniges Geschrei, die Fassaden flackern blau
War das jetzt ein Böller oder war das schon ein Schuss?
Stolpersteine werden dieses Jahr nicht mehr geputzt
Es ist kalt geworden, sie macht die Heizung an
Und bringt die Kleinen dann ins Bett, sagt ihnen: „Keine Angst“
Dann nimmt sie die Mesusa aus dem Türrahmen
Dafür steht hinter der Tür jetzt ein Schürhaken
Mein Taxifahrer redet wie ein Nazi
Führe lieber keine Diskussionen auf der Party
Freunde und Freundinnen mit starken Überzeugungen
Hamas-Propaganda an Kreuzberger Häuserwänden
Osama wird auf TikTok zum Superstar
Linke Tasche Pepperspray, rechte Tasche Kubotan
Zieht sich die Kapuze tiefer ins Gesicht
Omas Kette mit dem Stern trägt sie lieber wieder nicht

Antilopen Gang – Oktober in Europa

 

Wir kennen nicht den Weg, wir fühlen uns verloren
Wir wissen nicht mehr weiter, sind müde geworden
Wir haben keinen Plan, wir drehen uns im Kreis
Aber sind immer noch die besten im direkten Vergleich
Wir werden beschimpft, wir ecken nur an
Den Punkern zu Rap, den Rappern zu Punk
Und wir werden sogar von der Springer-Presse gehypt
Aber sind immer noch die besten im direkten Vergleich

Antilopen Gang – Direkter Vergleich

 

Die verwaltete Welt

Artarium am Sonntag, 8. Juni um 17:00 UhrWir werden verwaltet – und wir verwalten uns selbst. Wie meinen? Zwischen unseren letzten zwei Sendungen, die einigermaßen begeistert über die Leseperformance “NORMAL – Eine Besichtigung des Wahns” berichteten, und unseren kommenden Radioarbeiten, die sich auf den anstehenden Sommer mit seinen illustren Festen beziehen, möchte ich quasi als Nachtrag zu all der “Kritischen Theorie” und “Dialektik der Aufklärung”, die uns an jenem denkwürdigen Abend im Literaturhaus regelrecht “einverdichtet” wurden, ein legendäres Gespräch mit dem Titel “Die verwaltete Welt” von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Eugen Kogon (aus dem Jahr 1950) zu Gehör und vor allem zu Gespür bringen. Denn es kommt sehr darauf an, wie sich die Herren dabei anfühlen:

Die verwaltete Welt“Herr Professor Horkheimer, Herr Professor Adorno, ich wollte unser Gespräch über die verwaltete Welt beginnen mit der Feststellung, dass der moderne Mensch herumirrt – suchend nach seiner Freiheit. Und die Art, wie ich eben zu unserem Gespräch gekommen bin, und wie ich weiß, dass auch sie kamen, die erinnert mich sehr an diesen Zustand.

Jetzt, vor einer halben Stunde, sollte ich bereits woanders sein. Und von ihnen, Herr Professor Horkheimer, weiß ich, dass sie in einer Viertelstunde bereits in Bad Nauheim sein sollen. Und wir wollen uns doch ausgiebig, ruhig und vernünftig über dieses so enorm wichtige Thema unterhalten: Die verwaltete Welt. Und da sitzen wir also, sozusagen zitternd, nervös, weil andere Termine auf uns warten. Von diesem Zustand müssen wir frei werden.

Ich für meine Person werde also jedenfalls bei unserem Gespräch jetzt so tun, als ob ich beliebig Zeit hätte. Und ich denke, dass aus diesem “als ob” eine Wirklichkeit werden kann. Und das ist, glaube ich, genau das Thema unserer Unterhaltung: Ob es möglich ist, eine solche Haltung einzunehmen, und daraus eine neue Wirklichkeit zu machen …”

 

Es fasziniert doch immer wieder, wie aufmerksam die drei Herren in ihrem Gespräch auf einander Bezug nehmen und wie präzise, ja geradezu druckreif sie nach all der Erniedrigung und Lebensgefahr, die sie während der Nazizeit erlebt haben, hier ihre Überzeugungen ausdrücken. Dies mitanzufühlen, macht auch jüngeren Menschen, die nicht fachspezifisch in Geschichte, Philosophie oder Sozialkritik vorgebildet sind, eine Denkweise zugänglich, die uns allen immer noch dabei helfen kann, uns in der zunehmend unübersichtlich werdenden Welt, in der wir leben, zurecht zu finden …

Wie aktuell ihre Gedanken für unseren Umgang mit Zeitnot, Termindruck und Stress sein können, das erklärt sich aus dem oben abgedruckten Einstieg in jenes Gespräch sozusagen von selbst.

 

Hören sie genau hin …