> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Mai – Zum bevorstehenden Geburtstag des ältesten KZ-Überlebenden und jahrzehntelang nimmermüden Zeitzeugen erinnern wir an unsere gemeinsamen Projekte – und denken darüber nach, wie Geschichte auch in zukünftigen Generationen lebendig bleiben kann. Marko Feingold hat dies immer durch engagiertes Erzählen in der Begnung mit jungen Menschen ermöglicht. Doch wie lassen sich die persönlichen Erfahrungen seiner Generation weiterhin vermitteln, wenn ihre letzten noch lebenden Vertreter nicht mehr selbst dafür einstehen können? Dabei haben wir das beim heurigen “Tag gegen Gewalt und Rassismus” am 4. Mai vorgestellte Jugendprojekt “Dialog des Erinnerns” der KZ-Gedenkstätte Mauthausen entdeckt, das uns auch als Geburtstagsgruß an Marko Feingold geeignet erscheint.
Unter dem Motto “Geschichten brauchen Stimmen” haben sich einige junge Menschen mit den Lebensgeschichten von im KZ Mauthausen zu Tode gebrachten Menschen beschäftigt und daraus jeweils eigene Gegenwartstexte erarbeitet. Diesem Projekt gelingt es, längst verstummte Stimmen aus den Todeslisten mit viel Mut und Mitgefühl wieder ein gutes Stück “ins Leben zu schreiben”. Vor allem die phantastische Elodie Arpa, zuletzt Gewinnerin beim mehrsprachigen Redewettbewerb “Sag es MULTI”, hat uns mit ihrer Bearbeitung der Biographie von Peter van Pels tief berührt – und überzeugt – weshalb wir diese Darbietung für die heutige Sendung ausgewählt haben. Die darin vorgestellte reale Person, welche am 10. Mai 1945 in Mauthausen verstarb, ist genau jener “Peter van Daan”, der auch im Tagebuch der Anne Frank beschrieben wird. Diese zusätzliche Verbindung lässt Elodie Arpa auf geradezu magische Weise in ihren Text über “den heutigen Peter” einfließen, ein emotional ansprechender und rundherum mutmachender Beitrag!
Nun freuen wir uns naturgemäß besonders, wenn gerade so eine hochoffizielle Einrichtung wie die KZ-Gedenkstätte Mauthausen bei der jugendgerechten Vermittlung von Zeitgeschichte nach neuen Ausdrucksformen strebt. Auch wir haben auf diesem Gebiet schon so manches bewirkt. Die Radiofabrik im allgemeinen mit ihrem Projekt “Hörstolpersteine” und den damit verbundenen Schulworkshops. Die Artarium-Redaktion wiederum im speziellen mit dem Marko Feingold Projekt 2013, aus dem ein zweistündiges Radiofeature hervorging. Zudem wurde eine Begehung des Jüdischen Friedhofs und ein Besuch der Salzburger Synagoge dokumentiert, jeweils gemeinsam mit Marko Feingold, der dabei interessierten jungen Menschen vom jüdischen Leben in Salzburg und vom Überleben in den Konzentrationslagern berichtet. Eine Intention des Projekts war, zumidest etwas von seinem umfänglichen Wissen “für die Nachwelt zu erhalten”, und zwar in einem Live-Setting, das seinen ungebrochenen Humor und seine Schlagfertigkeit für alle Zeiten erlebbar macht.
Sodann haben wir uns auch noch an Bernhard Jennys Performance/Buchprojekt “100x NIEWIEDER für Marko Feingold” beteiligt. Der Textbeitrag dazu von Norbert K.Hund steht jetzt da, stellvertretendend für alles, was noch gedacht werden kann:
Als ich 1966 in Salzburg in den Kindergarten kam, zeichnete ich unter dem Einfluss vieler neuer Eindrücke ein Bild. In der Mitte befand sich ein Fleischwolf, in dessen Trichter wir Kinder von oben hinein geschlürft wurden. Unten kamen auf drei Förderbändern Dosen mit Fleisch, Flaschen mit Blut und Pakete mit Knochen heraus, welche sogleich auf Lastwagen verladen und anschließend ausgeliefert wurden. Zuhause erklärte ich meiner Mutter voller Stolz diese Zeichnung und sagte: „Das ist die Menschenvernichtungsmaschine.“ Sie nahm das Bild wortlos an sich und räumte es in einen Kasten. Auch auf späteres Nachfragen hin hat sie nie wieder etwas darüber gesagt. Ein schreckliches Schweigen.
Wenn wir heute darüber nachdenken, wie wir kommende Generationen erziehen, wie wir sie insbesonders gegen Gewalt und Grausamkeit schutzimpfen können, dann müssen wir uns ein Beispiel an Menschen wie Marko Feingold nehmen. Denn nur wer den Mut hat, auch von seinen abgründigsten Gefühlen wie Angst oder Schmerz freimütig zu erzählen, der vermag in jungen Menschen deren ohnehin bereits vorhandenes Mitgefühl anzuregen – und zu bestärken! Gerade ein solches Einfühlungsvermögen – ohne Abspaltung von „negativen“ Emotionen – wird es dringend brauchen, wenn wir nicht neuen menschenverachtenden Ideologien auf den Leim gehen sollen. Also, nie wieder Schweigen – auch über das Schreckliche.