Diener des Volkes

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. MärzEs ist Medienkrieg. Seit dem 24. 2. wird jetzt reizüberflutet. Auf allen Kanälen. Und das meiste davon ist nur schwer zu ertragen, so viel reißerisches Aktualitätsgehechel, überforderndes Dahergeplapper, pseudoauthentisches Social-Media-Gefuchtel und penetrantes Meinungsgequengel, dass einem sogar das Leben im Hals stecken bleiben will. Was also noch anschauen zum Thema “Ukraine”, ohne dass einem gleich der Hasskasper ins Gemüt scheißt? Wir empfehlen dazu zwei weiterführende Filmwerke, die uns ein bisschen mehr über die Gefühlslage in jenem “tapferen Land” erzählen, von dem zur Zeit überall so viel zu hören ist. Speziell die Serie “Diener des Volkes”, durch deren Wucht Wolodymyr Selenskyj ins Präsidentenamt geweht wurde (und die Wladimir Putin bestimmt hasst).

Diener des VolkesKurz nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine sah ich die ersten paar Folgen dieser ganz hervorragend gemachten Serie, die mit Witz und Verstand sowohl intellektuell als auch volkstümlich funktioniert. Und ich dachte bei mir: “Kein Wunder, dass Putin da jetzt einmarschiert und alles zerstört! Wenn so etwas wie diese Satire mitsamt der daraus entstehenden Politkampagne je in Russland um sich greifen sollte, dann weiß er, dass er endgültig einpacken und zusperren kann.” Selenskyj, der seine Karriere als Komiker (und seine Popularität als Fernsehstar) ja von Moskau aus entwickelt hat, ist wiewohl Hauptdarsteller zuallererst jedoch Autor und Erfinder der Geschichte rund um den Geschichtslehrer Holoborodko. Und als solcher versteht er es meisterlich, Sympathie mit dem “kleinen Helden” auszulösen. Da hat einer seinen Charlie Chaplin aber gut verstanden! Oder, wie ein Wähler einst sagte: “Wenn jemand gute Witze macht, ist diese Person ein kluger Mensch.”

Unsere zweite Filmempfehlung, die vielfach ausgezeichnete Kurzdokumentation “Winter in Lviv” aus dem Jahr 2017, beleuchtet das schwere Leben ganz anderer Diener (hier tatsächlich Dienerinnen) des Volkes, nämlich der “Engel am Boden”. Das eindrücklich ruhige Portrait der Rotkreuzschwestern vom Medico-Sozialen Zentrum in Lviv sowie einiger ihrer Klientinnen bietet uns einen gut fühlbaren Eindruck von deren täglichem Kampf. Der Einrichtung, die für die Überlebenden von Nazi-KZs wie von Sowjet-Gulags da ist, gehen Geld und Medikamente aus…

Thematische Klammer des beeindruckenden Films ist ein ukrainisches Sprichwort:

       “Nicht die alten Leute frage um Rat, sondern die, die gelitten haben.”

 

One another

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. März – Zwischen “Love one another” und “Die Hölle, das sind die anderen” begeben wir uns auf die Suche nach dem ganz anderen. One? Another? Oder an other? “There is no big other”, meinte Jaques Lacan. “Is there überhaupt any other?”, fragen wir uns – und einander – und wenn ja, wo nicht? Das Eigene im Anderen entdecken (und das Andere im Eigenen) ist ja schon mal ein Beitrag zur Völkerverständigung (wie man früher zu sagen pflegte) und eine Friedensstiftung im Hier und Jetzt. Jetzt, wo der real existierende Irrsinn von Krieg und Zerstörung alles Schöne und Zarte umpflügt zu einer Trümmerwelt des Todes und der Angst, muss man erst recht mit der Macht der Poesie antworten. Und genau das tun wir hier in unserer Begegnungswelt des Einander – gemeinsam.

oneAtemlos hechelt das Abendland: “Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los” und versinkt in seiner eigenen Behauptung. Das Unendliche ist was ganz anderes als die Quersumme zweckdienlicher Definitionen. Das Unendliche ist spürbar im Erleben von Liedern und Gedichten: “Das Luftholen  im richtigen Moment ist unwiederholbar und verdichtet einen Augenblick zur Ewigkeit” wie Konstantin Wecker bereits bemerkt. – So steht es geschrieben im Evangelium des Propheten Hund, im Kapitel “Unendliche Gedichte …” vom 3. Februar 2020.  Es ist jene poetische Kraft, die vom Beginn der menschlichen Entwicklung an immer wieder von irgendwo hervor leuchtet, und die von den jeweiligen Arschetypen (den Herrschfiguren) der “Weltgeschichte” ebenso immer wieder unterdrückt wird. Warum wohl? Weil der glückliche Moment des Musenkusses der Macht unverfügbar bleibt?

anotherWie lassen sich Erscheinungen wie Vorstellungskraft oder Erinnerung  wissenschaftlich erfassen? Oder hat nur die Poesie selbst diese Macht? Und das Recht und die Pflicht (ich kann nicht anders), sich selbst über sich selbst auszusagen? Dann sind hier also Mächte zugegen, die noch unberechenbarer sind als etwa ein wildgewordenes Atomkraftwerk. Und im Unterschied dazu nicht so zerstörerisch, wenn auch gewaltig. “Alle Macht der Poesie!” bezieht sich eben nicht auf die Dichtung, sondern auf ihre mangelnde Umsetzung in den Gestaltungen der Welt. “Die Waffen nieder!” war nie als “einfach nur irgendein Buchtitel” gemeint, sondern als ernst zu nehmender und gefälligst auch umzusetzender Beitrag zu unser aller Lebenswirklichkeit. Wieso ist Bertha von Suttner aber heute eine verblassende Erinnerung auf der 2-Euro-Münze und nicht allgemein anerkannt als die “Mutter des Friedens” auf der ganzen Welt?

an otherWirtschaft ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln – und umgekehrt. Und dafür, dass es “da draußen” so ist, wie es ist, sind die jeweiligen Urheber dieses Zustands verantwortlich. Keine Realität ohne ihre Realitäter. Warum werden die Verursacher des Unmenschlichen nicht zur Verantwortung gezogen – die sie ja angeblich haben – für die ganze Welt – und “über” uns? Und es ist mir persönlich scheißegal, ob die Zugrunderichtung meiner Lebensperspektiven im Namen der Wall Street oder des KGB oder des brunzdepperten Möchtegern von Irgendwo veranstaltet wird. Ob im Namen des Sowiesogottes, des Sowiesoismus oder der Sowiesoideologie, es ist doch immer dasselbe – und deswegen langweilig. Todlangweilig. Die Banalität des Blöden. Lassen wir one another Poesie walten – und geben wir so dem Leben seine Möglichkeit, immer wieder neu zu seinunglaublich, unverhofft, unverfügbar

“Wenn ich einen Krieg siach, kunnt ich speiben.” Lukas Resetarits

 

Lyapis Trubetskoy

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. MärzHierzulande weiß man wenig über die Lebenswelt und Kultur jenseits des kyrillischen Vorhangs. Eigentlich nur das, was uns die jeweiligen Welterklärer in den staats- und marktnahen Medien beibringen. Oder das, was sich aufgrund hoher Reichweite in sozialen Netzwerken durchsetzt. Dabei gibt es in den postsowjetischen Ländern, von denen derzeit dauernd die Rede ist, durchaus kritische Kunstschaffende, die uns vermitteln können, wie sich das Leben dort seit 30 Jahren anfühlt. Die Innenwelt wohlgemerkt, die Phantasien und Gefühle jenseits von Staatsmacht und Kommerz. Die belarussische Band Lyapis Trubetskoy zum Beispiel, die 2014 am Maidan in Kiew aufspielte, und der russische Videokünstler Alexey Terehoff, der einige ihrer besten Musikvideos produziert hat.

Lyapis Trubetskoy AgitpopSchon die Schreibweisen Ляпіс Трубяцкі (belarussisch) und Ляпис Трубецкой (russisch) bereiten uns gewisse Suchmaschinenprobleme. Hinter der digitalen Hemmschwelle jedoch tut sich ein bilderflutender Kosmos auf, der uns unmittelbar ins Fühlen und Verstehen jener ach so geheimnisvollen Gesellschaften hinein zieht, die dort hinter dem ehemaligen eisernen Vorhang ihr ganz eigenes Wesen entwickeln … Immer aus der Sicht jener nicht im herrschaftlichen Mainstream des verordneten Funktionierens leben wollenden “Abweichler und Widerständler” bieten sie tiefe Einblicke in die feuchten Träume der Machthaberer und auch in die Albträume der Ausgepressten. Wie so ein Post-KGB-Kapitalismus funktioniert, haben sie in ihrem legendären “Kapital” gezeigt (das daher auch in Russland verboten wurde). Verschwitzte Allmachtsphantasien aller Arten werden in “Bolt” atemlosmachend vorgeführt. Gewaltsexuelle Räusche und Verlustängste, die uns schon beim “Aufmarsch der Zipfelmänner” inspirierten.

Was uns die Dichter damit sagen wollen, das entzieht sich (eben weil es Poesie ist) der “offiziellen” Interpretation – das können (und sollen) wir selbst entdecken. Was ist die Botschaft von Броненосец und seiner Verschmelzung von Sergej Eisenstein mit politischer Stencil-Art? Ты ни при чём? Sind wir gefühllos gepanzert gegen das Leiden der Welt? Oder Воины Света, das als “Warriors of Light” zur Hymne des ukrainischen Maidanaufstands verklärt wurde, wie ist der Text zu verstehen?

Verstehe, wer will – hier ein paar mögliche Übersetzungen – wer Ohren hat, zu sehen, der spüre! Was für Drogen nehmen diese Leute? Oder, wie Ostap Bender das in “Zwölf Stühle” weiter gedacht hat: “Was kostet das Opium für das Volk?”

Путинарода (Putinaroda)

Und hier noch das (in unserer Signation verwendete) 12 обезьян von Sänger Sergej Michaloks aktueller Band BRUTTO. Wir finden, SO kann sich der Frieden anfühlen

 

Da Stascheißa Koarl

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Februar – Die fast schon legendäre Antwort auf die zu vermeidende Frage “Wer?” aus Josef Haders Soloprogramm “Privat” führt uns in die entlegeneren Gegenden angewandter Dialektologie. Mundartwischensaft sozusagen. Ich verwende hier die wienerische Fassung, wie man sie etwa auf der CD (Live im Audimax Wien) findet. Weit verbreitet ist auch der “Stoascheißer Koarl”, eine allgemeinbajuwarische Variante, die weder Dirk Stermann noch Peter.W. richtigrum aussprechen können, ganz ähnlich wie “Oachkatzlschwoaf”. Daher soll Josef Hader in Teilen Deutschlands auch vom “Steinscheißer Karli” erzählt haben. Wie all dem sei (mit den Feinheiten der phonetischen Schreibweise wollen wir gar nicht erst anfangen), dem Hervorbringer desselben sei jedenfalls herzlich zum 60. Geburtstag gratuliert.

Da Stascheißa KoarlDas ist uns ein Bedürfnis und so spielen wir einige Ausschnitte aus seinem wegweisenden Programm “Privat”, mit dem vor nunmehr über 25 Jahren das Kabarettgenre einer regelrechten Revolution ausgesetzt wurde. Es ist bestimmt kein Zufall, dass genau dieses Programm das meistgesehenste der heimischen Satireszene wurde. Ich kann mich auch noch erinnern, wie es in jeder gut sortierten Wohngemeinschaft der 90er Jahre anzutreffen war und für viele meiner Bekannten ein inspirierendes Vademecum durch die Irrungen und Wirrungen der damals um sich greifenden Globalisierung darstellte. Erlösendes Lachen inmitten erodierender Weltbilder drang tröstlich vergnügt durch ein österreichisches Seelenvakuum, das sich seiner eigentlichen Bodenständigkeit im Dreck des Menschlichen weitgehend entfremdet hatte. Eine Anstiftung zum Heimischwerden in sich selbst – trotz alledem.

Meiner Meinung nach lebt dieses Programm (das in Wirklichkeit ein “Stück” ist) von den zahllosen Begegnungen und Interaktionen seines Autors mit einem Publikum, das er in den 80ern immer wieder spontan auf der Straße “bespielte”. Die immense Tiefe und Weite von “Privat” (die mir gerade beim Wiederhören auffällt) schöpft aus einem so breiten Spektrum von verschiedenen Gestalten, wie sie einem eben nur “auf der Straße” widerfahren können. Diese alle in den Stimmungen, Handlungen und Personen seines Kopftheaters zu verdichten ist seine wahre Meisterleistung.

Oder wie Uwe Dick über sein Einpersonenstück “Der Öd” sagte: “Es gibt kein Ich und in jedem von uns streiten sich mehrere Stimmen. Ein Psychodrama. Die Summe vieler, die ich täglich aushalten muss.” Wir sehen, die Idee ist nicht neu – doch die Umsetzung ist einzigartig – und “Privat” ist nach wie vor hoch wirksam. Daher empfehlen wir die Einnahme dieses Gewaltheilmittels wiederholt durchzuführen, am besten ohral (also über die Ohren), weil beim bloßen Hören (ohne begleitendes Bild) unsere Vorstellung dazu angeregt wird, sich die phantastischen Szenarien in aller Dichtheit auszumalen.

Und wie erscheint Josef Hader selbst die heutige politische Großwetterlage?

“Einerseits wissen wir genug, um uns zu fragen, was das Ganze soll. Andererseits sind wir zu deppert, um eine Antwort darauf zu finden. Das ist eigentlich eine Gemeinheit.”

Auf dem Weg in die Altersweisheit hier im profil-Artikel. Wie gesagt, wir gratulieren.

 

Heidelbeeren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Februar – Eine Sendung für den Frieden. Was das mit Heidelbeeren zu tun hat, wird sich noch zeigen. Homo sapiens soll ja eigentlich “gescheiter Mensch” heißen – doch wenn man sich so umschaut auf der Welt, wären Homo rapiens, Homo destruktivus oder auch Homo Bscheißerle die viel trefflichere Beschreibung. Vor allem, wenn wir das Phänomen Krieg betrachten: “Seit Beginn unserer Zeitrechnung gab es weltweit zusammengerechnet nur etwa 18 Monate Frieden. Frieden? Abwesenheit definitiv kriegerischer Auseinandersetzungen, möchten wir ergänzend hinzufügen. Ausbeutung und Unterdrückung der Schwächeren durch die Stärkeren gab es ja wohl trotzdem. Also, wie verhält sich Krieg zu Nichtkrieg – und was wäre wirklich Frieden – womöglich?” Aus “Krieg und Frieden” von 2014.

HeidelbeerenDie meisten Menschenleute würden sich wohl lieber in die Heidelbeeren setzen und mit ihren Zehen spielen, als mitsamt ihrer jeweiligen “kleinen Welt” in einem Krieg verwüstet und zerstört zu werden. Und das betrifft jede Art von Krieg, nicht nur den der einen gegen die anderen, sondern auch den des Menschen gegen das biologische Gleichgewicht der Erde. Krieg ist immer gegen die Natur.

Und Frieden? Was wäre das, wenn nicht die bloße Abwesenheit von dem, was wir als Krieg zu verstehen gelernt – wurden? Müssen wir den Krieg bekämpfen? Müssen wir uns organisieren, um Krieg zu führen – gegen den Krieg? Oder genügte es nicht schon, wenn wir uns alle dem Krieg verweigern und uns stattdessen in eine friedliche Metapher setzen, “in Ruhe gelassen sein” wollen von jederlei fanatischem Geplärr – und mit all dem betrügerischen Vorherrschaftsgeschwurbel nichts zu tun haben? Wollen wir uns das titelgebende Bild von Arik Brauer einmal etwas näher anschauen:

I hea im Woid den Auerhohn und setz mi hinta an Buschn
Da siech i zwa Fanatika voi Zuan ins Dickicht huschn
Und wia sa se donn rafn, die Messan einestechn
Do friss i a boa Heidlbeern und spü mi mit die Zechn

Oho – o, halalali

 

André Heller – Mein Hauskonzert

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Februar“So, ein Lied übers Sterben – Sterben, eines meiner freudigsten Themen.” Der Wiener Allroundkünstler und Zeit seines Lebens Poet und Chansonnier André Heller feiert demnächst seinen 75. Geburtstag. In einem jetzt schon legendären Hauskonzert (es war am 6. Januar auf ORF III zu sehen), von dem es bald hieß, es sei “das eigentliche Neujahrskonzert” gewesen, gelingt ihm die erstaunliche Verschmelzung der Genres und Generationen, die seinen musikalischen Lebensweg geprägt haben. Und zwischendrin erzählt er Geschichten, die alle Grenzen zwischen damals und heute, Diesseits und Jenseits, Realität und Phantasie auflösen – in dem einen rauschhaften Moment gelingenden Lebens, der wie das Leben selbst hier und jetzt stattfindet. So wie in “Papirossi”

André Heller - Mein HauskonzertDas inwendige “Sowohl als auch” von Freude und Traurigkeit, Liebe und Verlust, Wehmut und Seligkeit in der Themenauswahl verdankt er auch der Wiederentdeckung seiner jüdischen Kulturtradition. In Liedern wie “Leon Wolke”, “Onkel Jakob” oder einem genial neu arrangierten “Dem Milners Trern” kommt jene Lebensweisheit ganz unaufgeregt wieder zum Vorschein, die wir heute in Österreich so schmerzlich vermissen. Und weil das schöpferische Grenzgängertum des André Heller auch an den eigenen Übergängen von Leben und Tod rüttelt, und wir gerade unseren lieben Kollegen Roman Reischl verloren haben, spielen wir diesmal einen Zusammenschnitt von besonderen Momenten aus dem besonderen Hauskonzert. Live und unplugged mit Robert Rotifer, Ernst Molden, Der Nino aus Wien, Voodoo Jürgens, Marwan Abado und den Neuen Wiener Concert Schrammeln et cetera pp.

Ebenfalls zu hören André Hellers Anekdote vom “toten Hundertwasser”, in welcher er mehrfach vom Wienerischen ins Hochdeutsch wechselt – und wieder zurück:

I bin in a Taxi eingstiegn – jedes Wort ist wahr, das ich jetzt erzähle – und da Taxler schaut mi on und sogt: „So a Ehre fia mi, doss sie mit mia foan, Herr Hundertwasser.“ I sog goa nix. I sog goa nix und denk ma, wonna wü, doss i da Hundertwasser bin, bin i da Hundertwasser.

Wir foan los, i schau – in seinem Rückspiegel die Entwicklung seines Gesichtes an – ea foad, und plötzlich merk i – da braut sich ein Gedanke zusammen in dem Taxifahrer – und i waaß ned, denk ma, boid wiada irgendwos sogn, vielleicht kummda auf wos drauf oda wos – und dann macht er was ganz Gefährliches: während ea so foad dreht er sich so um zu mir – und sogt: „Es is mia jetz so unongenehm – sie sand jo scho tot.“

Und i bin weidagfoan und ea woa sicha, do hintn sitzt da dode Hundatwossa und die Gschicht hod si.

In diesem Sinn …

 

Bürgerkrieg im Herzland

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. FebruarGespaltene Gesellschaft. Die Parteien stehen sich unversöhnlich gegenüber. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Oder Böse und Gut? Das Ringen um die Macht. Aus dem Keller der Geschichte hört man den Endsieg kichern. Den Gottesstaat. Das Reich. Das Richtige wird triumphieren. Und das Falsche wird vernichtet. Im Namen der jeweiligen Versprechungen. Davon versprechen wir uns aber genau nichts. Jede Erlösung hat es nicht weit bis zur nächsten Endlösung. Jeder Feind, der uns vor Augen gestellt wird, ist längst ein Teil von uns. Jeder Krieg gegen “die Anderen” widerspiegelt unsere innere Zerrissenheit. Wir sollen einen Teil von uns ausrotten, um im anderen Teil als strahlende Sieger zu erstehen. Bürgerkrieg im Herzland.

Zwei Seelen, achJede “Erziehung zum Guten” (die wir bisher gesehen haben) bedeutet die “Austreibung des Bösen” und beruht auf äußerlicher Anpassung an das jeweilige Verhaltensideal. Die dabei angestrebte Abtötung der unerwünschten Seelenregungen führt unweigerlich zur Verdrängung, Verleugnung und Abspaltung ganz erheblicher Persönlichkeitsanteile und so in weiterer Folge zu einer in sich gespaltenen Persönlichkeit. Diese dümmliche Abrichtung zu einem “richtigen Funktionieren” erzeugt genau die mit sich selbst im Krieg befindlichen Menschen, die es braucht, um einen Krieg in der Außenwelt zu führen. Gesellschaften, die aus solcherart gespaltenen Persönlichkeiten bestehen, sind naturgemäß von vornherein gespaltene Gesellschaften. Und das dauernde innere Zerren und Reißen zwischen “Gut” und “Böse”, also der fortwährend in diesen Menschen stattfindende Krieg zwischen dem einen und dem anderen Anteil ihrer selbst bewirkt wiederum Krieg.

Bürgerkrieg im GlaubenNun ist es wohl so, dass in jedem von uns Güte, Wahrheit und Hilfsbereitschaft vorhanden sind, die nach Ausgestaltung streben – aber eben auch Bosheit, Lüge und Zerstörung. Von der Rettung der Welt bis zu Mordlust und Quälerei ist das alles in unseren Gedanken und Gefühlen angelegt. Die Frage ist nur, wie wir damit umgehen, sowohl in unserem Inneren als auch in der Wirklichkeit der Außenwelt. Und – welche Regeln und Gesetze für unser gedeihliches Miteinander sinnvoll sind. Ein Autor, der es versteht, die damit verbundenen Abgründe in seinen Geschichten aufzuzeigen, ist Ferdinand von Schirach. Erfreulicherweise formuliert er keine Erziehungsziele, sondern stellt die Beschaffenheit des Menschen in seinen jeweiligen Lebensumständen dar, so dass wir uns darin als etwas Ganzes erkennen.

Bürgerkrieg im HerzlandWenn wir nicht wollen, dass unser inneres Zerrissensein zwischen Ideal und Peinlichkeit weiterhin als Treibstoff für den Krieg benutzt wird, dann müssen wir nach einer echten Versöhnung der sich in uns befindlichen Gegensätze forschen. Und nicht nach noch ausgefeilteren Methoden, irgendwelche “Gegner” zu übervorteilen. Dadurch würden wir uns ja wiederum nur selbst (und vor allem um uns selbst) betrügen. Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg – sie wäre aber eine sehr angenehme Begleiterscheinung, wenn Frieden endlich stattfindet. Eine Erziehung zum Ganzen – und nicht nur zum “Guten” – könnte ein Anfang sein. Oder die logische Folge. Doch wie Frieden schaffen – ohne Waffen? In einer Welt voller hochtechnisierter Säugetiere, die Uwe Dick einmal als “Drüsensklaven selbsterhöhter Abkunft” und “Serienköpferl aus der Nutzmenschenbatterie” bezeichnet hat? Erfreulicherweise formulieren auch wir keine Erziehungsziele – sondern regen zum Weiterdenken an.

“Ich sagte zu ihm: In dir wohnen zwei Seelen – eine, die tötet, und eine, die liebt. Und er sagte zu mir: Ich weiß nicht, ob ich ein Tier bin oder Gott.” ….. “Aber ihr seid beides!”

 

Geschichten und Geschichte

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. JanuarEs gibt Geschichten, die uns Menschen erzählen, die etwas selbst erlebt haben. Und es gibt “die Geschichte”, die in Büchern steht, weil sie eine ominöse “Schreibung” irgendwann festgehalten hat. Die von Menschen selbst erzählten Geschichten wirken wie eine Schutzimpfunggegen die Ansteckung mit irgendwie willkürlich oder einseitig “uminterpretierter Geschichte”. Die Entwicklung des österreichischen Geschichtsverständnisses im Hinblick auf die NS-Vergangenheit – vom Opfermythos über die Waldheim-Affäre bis hin zur Anerkennung der Mittäterschaft – beweist ihre Abhängigkeit von den jeweils vorherrschenden “gesellschaftlichen Strömungen”. Die erzählten Geschichten von Zeitzeug*innen stellen Ankerpunkte dar, um “die Geschichte” daran festzumachen.

Arik Brauer GeschichtenUnd so begegnen uns heute drei Menschen, die, wiewohl jüdischer Herkunft, auf unterschiedlichste Weise dem Vernichtungswahn der NS-Verbrecher entrinnen konnten. Ihre Geschichte(n) übermitteln wir ebenso unterschiedlich ins Hier und Jetzt. In eine Gegenwart, die vor allem Anwesenheit bedeutet. In die Begegenwart sozusagen. Etwa Arik Brauer, dessen Kindheit (und Überleben) in Wien die wunderbare Helene Maimann in einem intimen Filmportrait nachzeichnet. Endlich, nach über 50 Jahren, erfahren wir die Geschichte, die hinter dem Lied vom Spiritus steckt. Damals, vor 50 Jahren, zu Beginn der sagenhaften 70er, einer Zeit der Aufbrüche und Umwälzungen, entdeckte ich noch ein anderes Lied des phantastischen Realisten, das meine Welt gründlich verändern sollte: Sein Köpferl im Sand. In dieser von mir erlebten Geschichte kommt der zweite Überlebende zum Vorschein, nämlich Bruno Kreisky, dessen Geschichte von einer rundum befreienden Atmosphäre alle hier erzählten Geschichten verbindet. “Österreich modernisieren” ist ja derart paradox, es könnte ein jüdischer Witz sein.

“Wie Österreich ausgschaut hat, bevor der drankam, das könnts ihr Jüngeren euch gar nicht vorstellen.” Das sagt der Dritte im Bund, André Heller, über jene Aufbruchszeit. Und erst kürzlich beschrieb er den Aberwitz seines Daseins – im Rahmen von “Mein Hauskonzert”“Wenn der Mussolini nicht 1938 meinen Vater aus dem Gefängnis gerettet hätte, dann würd ich heut nicht dastehen und singen können.” Wie wesentlich wird sein Dasein für die nachfolgenden Generationen und weit über den jüdischen Kulturkreis hinaus sein? Hören wir dazu die Neufassung von Dem Milners Trern.

Weiterführend empfehlen wir die Zeitschrift “Alpendistel” sowie die dazugehörige Sendereihe, wo man sich über die Entwicklung von Erinnerungskultur, auch über den Tod der Zeitzeug*innen hinaus, nützliche Gedanken macht. Zum Beispiel ein Feature mit Robert Kleindienst über seinen aktuellen Roman “Zeit der Häutung”.

 

Lieber Augustin

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Januar“Wie sie sehen, bin ich sehr beschäftigt. Ich habe eine Epidemie draußen wüten.”, erklärt sich Gevatter Hein dem Volkssänger Augustin bei ihrer Begegnung in der “Roten-Dachl-Schenke”. Doch ungeachtet der unheimlichen Szenerie bringt dieser den Tod (der als Person auftritt) dazu, mit ihm Brüderschaft zu trinken. Und überlebt daraufhin sogar seinen Sturz in eine offene Pestgrube. Nun meinen manche, diese alte Überlieferung aus Wien habe einen durchaus aktuellen Bezug zur gegenwärtigen Corona-Pandemie und sollte gerade jetzt wieder aufgegriffen werden. Chapeau! Wir wiederholen daher das sozialsatirische Hörspiel “Augustin” von Ambros, Tauchen, Prokopetz aus dem Jahr 1980, das wir schon einmal unter dem Titel Weine Frohnachten spielten.

AugustinDer Dreh- und Angelpunkt dieser (so unnachahmlich dargebotenen) Volkssage ist die bereits erwähnte Begegnung von Augustin mit dem Tod: Sich verbrüdern, dem anderen ins Gesicht schauen und erkennen, wer er ist, das alles sind Symbole des Dialogs auf Augenhöhe. Man kann das auch als “vorbehaltloses Annehmen der eigenen Endlichkeit” verstehen – in einer Gesellschaft, die zum Thema Tod und Sterben ein hoch ambivalentes Verhältnis pflegt: Einerseits verdrängen und abschieben ins Krankenhaus und ins Hospizandererseits aber überhöhen und zelebrieren mit Totengedenken und Friedhofskult. Die sprichwörtlich “fröhliche Morbidität” des speziell wienerischen Umgangs mit der Vergänglichkeit (und ihre Verbearbeitung durch Ambros/Prokopetz während der 70er Jahre) hat inzwischen ihren festen Platz in der Literaturkritik wie auch in der Wissenschaft gefunden. Heute jedoch fragen sich manche, ob solch “halblustig verblödelte” Darstellung von Lebensrausch und Seuchentod überhaupt noch gesendet werden DÜRFE – angesichts des Ernsts der Lage ringsin und um uns

Tatsächlich jährt sich der Beginn der Pandemie gerade zum zweiten Mal (am 23. Januar 2020 wurde die erste COVID-Infektion außerhalb Asiens nachgewiesen). Gerade deshalb tut es gut, mit einer gewissen ironischen Distanz auf jedwedes Infektionsgeschehen zu blicken – und dabei hemmungslos, heimlich, verschrullt (oder wie auch immer) zu lachen. Gerade die Karrikatur einer Situation (und sei diese noch so unangenehm) kann uns dabei helfen, ihr gelassener gegenüber zu treten. Und so tun wir, was der ORF (aus unerfindlichen Gründen) nicht tut: Die CD einlegen, auf “Play” drücken – und geht dahin! Fürchtet euch nicht und bedenket:

“Des Leben überleb ma ned.”