Flüchtiges Glück im Sonnenland

Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. JuliDas Sonnenland ist das, was uns in der sommerlichen Jahreszeit begegnet. Glücksmomente jedweder Beschaffenheit: Laue Nächte, Schatten unter Bäumen, Baden am Fluss, Nacktheit in der Natur, Vogelgezwitscher, Blumen, Freunde, Wind in den Haaren, Überraschendes und Vertrauen in einer warmen Welt. Beseligende Berührungen eines leichteren Lebens, die zwar befördert werden können, aber letztendlich nicht festzuhalten sind. Am Horizont ziehen die Wolken auf, die Stimmung schlägt plötzlich um, der Abschied naht – und an die Tür unserer Fröhlichkeit klopfen Sorge und Angst. Wir sind fließend und wälzen uns durch die Landschaft. Wir sind der Fluss und nehmen vieles in uns auf. Wir sind dauernd unterwegs, doch am Ende strömen wir unaufhaltsam ins Meer.

Flüchtiges Glück im Sonnenland“Mach es wie die Sonnenuhr – zähl die heiteren Stunden nur.” Für sich genommen steckt da durchaus was wahres drin. Andererseits ergibt erst das Zusammenspiel von Licht und Schatten eine Gesamtschau aufs große Ganze. Innehalten im Glück und doch um seine Vergänglichkeit wissen, das könnte uns frei machen vom anstrengenden Wegschauen und Verdrängen. Erst wenn wir die Freude wie auch die Traurigkeit in unserem Gefühlsleben stattfinden lassen, werden wir uns zu “ganzeren” Menschen entwickeln. (Naturgemäß lässt sich “ganz” nicht steigern – gemeint ist hier allerdings das Ideal von “Ganzheit”, das wahrscheinlich nie “ganz” erreicht werden kann, das es aber nichtsdestoweniger anzustreben gilt.) Wrdlbrmpfd. Jedenfalls wollen wir auf dieser Nachtreise quer durch den Gefühlegarten die Ambivalenz der Empfindungen rund ums Glück im Sonnenland und seine gleichzeitige Unverfügbarkeit darstellen. Eine Stimmungsdramaturgie aus Gedanken, Gesprächen, Musik und Literatur

Flüchtiges Glück im SonnenlandEin gutes Abendessen gemeinsam mit lieben Menschen und wir haben das Gefühl, rundherum satt zu sein. In so einem Augenblick voll Glück und Zufriedenheit kämen wir doch nie auf den Gedanken, dass schon bald wieder Hunger, Durst und der Drang zum Stoffwechselkabinett unser Dasein dominieren könnten. Und doch ist es so. Kein halbwegs vernünftiger Mensch käme auf die Idee, den Zustand der Erfüllung nach erfolgreich gehabtem Sex dauerhaft festhalten zu wollen. Und doch gibt es eine Menge unglaublicher Trotteln, die wie hirndrogensüchtige Halbaffen mit Wahlrecht und Führerschein durch die Welt orgeln und dabei genau das versuchen: “Augenblick, verweile doch, du bist so schön.” Je mehr du im Leben einzementierst, desto weniger kannst du dich bewegen. Je mehr du zu haben versuchst, desto weniger wirst du sein. “Ich bin ein harter, viereckiger Klumpen und meine einzige Aufgabe besteht darin, auf meinem Platz zu bleiben.” So denken die humanoiden Hohlziegel der Gesellschaft.

Flüchtiges Glück im SonnenlandVieles steckt vermeintlich fest im Fluss des Lebens. Und doch birgt das bewegte Wasser in sich schon die Veränderung der Verhältnisse. Es umfließt jedes Hindernis, spiegelt das Licht – und erschließt uns (wenn wir denn mitfließen) neue Wege. Die Lebenskunst, die uns das Hiersein als Menschen abverlangt, ist nicht zu unterschätzen: Jeden Moment möglichen Glücks auszukosten, als gäbe es nichts anderes auf der Welt – und ebenso davon auszugehen, ja zu wissen, dass er höchst vergänglich ist und sogar sehr schnell wieder verwehen kann. Dies scheint zunächst eine ziemlich schwierige Aufgabe zu sein (und wer hat überhaubt gesagt, dass es leicht sein wird?), für uns ist diese Herangehensweise jedoch der Wirklichkeit am entsprechendsten. Für andere ist gerade diese Haltung (das Miteinbeziehen beider Wahrnehmungen) um jeden Preis zu vermeiden. Da stellt sich doch die Frage, wer in diesem Fall den Preis bezahlen soll. Sie selbst? Die anderen? Die Natur? Der Stoascheißer Koarl?

Memento mori, Kasperltheater!

Und einen schönen Sommer …

 

In memoriam Paul Arzt

Der Platz am Mikrophon 1 wird nun leer bleiben. Eine große Trauer ergreift mich angesichts dieser Gewissheit. Völlig unerwartet ist mein Freund und Ko-Moderator Paul Arzt am 25. Juni 2023 durch einen Unglücksfall ums Leben gekommen.

Seit 2014 haben wir gemeinsam die Sendung „Tuning Up – die Musicbox mit Reflekto(h)ren“ jeden 1. und 5. Montag im Monat gestaltet. Ausgewiesenes Motto war, Musik aus allen Genres zu einem ausgewählten Thema vorzustellen. Und so vielfältig wie die Musikzusammenstellungen waren, so vielfältig habe ich Paul erlebt.

Immer interessiert an neuen Ideen und Strömungen, netzwerkend auf allen Ebenen, ob beruflich, privat oder gesellschaftspolitisch motiviert: seine freundlich bestimmte Art, seine Verbindlichkeit, die Entwicklung von vielen besonderen Projektideen und sein Engagement in den unterschiedlichsten Kontexten habe ich sehr geschätzt.

Legendär war auch sein Ruf als ausgewiesener Zappa-Experte. Neben der profunden Kenntnis des gesamten zappaschen Werks, das bekanntlich höchst umfangreich und divers ist, brauchte man Paul nur einen Hinweis zu geben oder ein Ereignis zu erwähnen, so konnte er sofort einen Zappa-Bezug herstellen, zappaeske Anekdoten zum Besten geben oder das Line-Up der Zappa-Band dieser Zeit aufzählen.

Das gemeinsame Lachen im Studio, die charakteristische Handbewegung, um mich an eine radiotechnische Aktion zu erinnern oder das Einpegeln beim Moderieren – das alles wird mir beim Radiomachen sehr fehlen.

Etwa Mitte der 1990er Jahre sind Paul Arzt und ich uns das erste Mal begegnet, im Rahmen seiner Funktion als erster Kinder- und Jugendanwalt des Landes Salzburg. Viele Jahre sind wir gemeinsam im Zug von Bürmoos nach Salzburg gesessen und haben schon bald unser beider Leidenschaft für die Musik geteilt, hier insbesondere jene von Frank Zappa.

Paul wurde 1960 in Friesach in Kärnten geboren und kam zum Studium der Theologie und Religionspädagogik nach Salzburg. Nach seiner Tätigkeit als Kinder- und Jugendanwalt war er im Büro für Frauenfragen und Chancengleichheit tätig und zuletzt im Referat Kunstförderung und Kulturbetriebe, wo er vor sich allem um die Musikförderung kümmerte. Die Vielfalt seiner beruflichen Tätigkeiten spiegelte sich auch in seinen musikalischen Interessen wieder, die zur Grundlage für unser gemeinsames Werken in der Radiofabrik wurde. Aber auch als bildender Künstler trat Paul immer wieder in Erscheinung.

All das führte letztlich dazu, dass wir im Jahr 2014 den Plan fassten, eine gemeinsame Sendung im freien Radio Salzburgs zu gestalten. Seit Oktober gab es dann jeden 1. und 5. Montag im Monat die Sendung „Tuning Up – die Musicbox mit Reflekto(h)ren“. Ausgewiesenes Motto war, Musik aus allen Genres zu einem ausgewählten Thema vorzustellen. Dabei stellte sich die gemeinsame Auswahl nicht immer als leicht heraus. Mir wurde schnell die Rolle einer „Geschmackspolizei“ zuteil, die Pauls zum Teil sehr ungewöhnliche Vorschläge in ein rundes Konzept bringen sollte bzw. wollte.

Als ausgewiesener Netzwerker war Paul immer bestrebt alle möglichen Menschen zusammenzubringen und Synergien herzustellen. Als Radiofabrik-Moderator begab er sich auch immer wieder auf „Ausflüge ins Hörfeld“, betätigte sich als „Berichterstatter“ von Jazzfest Saalfelden oder den Salzburger Festspielen, wo er zum Beispiel ein Interview mit Kent Nagano, auch zu dessen Erfahrungen mit Frank Zappa, führte. Damals hatten wir gewettet, ob er es schaffen würde dieses Interview zu erhalten. Natürlich hatte ich die Wette verloren und Paul nahm dazu gleich auch die Kolleg:innen von FS1 zur Aufnahme mit.

In den letzten Jahren war es Paul leider oft nicht möglich, die Sendungen zu moderieren. Doch wir fanden unterschiedliche Varianten des gemeinsamen Sendungsgestaltens.

Am 25. Juni 2023 ist Paul bei einem unglücklichen Sturz ums Leben gekommen.

Wir werden Dich vermissen!!!

 

Die Gedenksendung vom 3. Juli mit Musik, die Paul geprägt hat, findet sich hier:
https://cba.fro.at/626048

Alle Sendungen von Tuning Up können hier nachgehört werden:
https://cba.fro.at/podcast/tuning-up-die-musicbox-mit-reflektohren

 

 

With a little help from my friends

Artarium am Sonntag, 9. Juli um 17:30 Uhr“John Lennon hat es sehr einfach gesagt: All you need is love. Und genau so ist es auch.” Mit diesen Worten bringt es Oskar Haag auf den Punkt. Auch unser heutiges Hohelied auf die Freundschaft hat viel mit dem Vermächtnis jener vier Herren aus Liverpool zu tun, die wir gemeinhin als “The Beatles” kennen. “I get by with a little help from my friends”. Treffender lässt sich kaum beschreiben, was den Wert “wahrer” Freundschaft im Inneren ausmacht: Dieses bedingungslose Dasein für einander ohne Fragen- oder Erklärenmüssen. Es ist bestimmt kein Zufall, dass Arno Gruen die freischwebende Aufmerksamkeit in einer Psychotherapie mit jener in einer Liebesbeziehung vergleicht. Denn “Liebe” (als Grundkraft des Lebens) ist genau das, was wirklicher Freundschaft innewohnt.

With a little help from my friendsUnlängst hat mich eine Nachbarin dabei ertappt, wie ich vergnügt den Beatles-Song Getting Better vor mich hin zwitscherte. Erst in ihrer Wahrnehmung wurde mir klar, wie depressiv ich während der letzten Jahre durch unser gemeinsames Stiegenhaus geschlichen war. Ich habe es meinen guten Freunden  zu verdanken, dass ich mich heute auch inmitten von einstürzenden Weltgebäuden am Leben weiß – und dass ich das spüren und mich darüber freuen kann. Und meiner Therapeutin, die mir die oben erwähnte Aufmerksamkeit über Jahre hinweg zur Verfügung stellte. Das wohlwollende Wahrgenommensein als der Mensch, der man ist (und den man sich selbst oft nicht mehr glauben mag), in Zeiten des Zusammenbruchs muss das von außen kommen – von Menschen, die einen ohne versteckte Absicht befürworten. Ja, ich habe das Grauen gesehen (und ich sehe es nach wie vor). Doch wie heißt es schon in Apocalypse Now: “Sie sind am Leben. Das ist alles, was zählt.”

In diesem Sinn (und darüber hinaus) wollen wir uns der Weisheit eines weiteren großen Propheten der Popkultur zuwenden, der es auch sehr einfach gesagt hat:

Every heart, every heart
To love will come
But like a refugee

Leonard Cohen

 

Und ganz einfach:

I love to be loved

Peter Gabriel

 

Letzte Generation: – Als Demokratieidealist*innen vom Staat verfolgt

Sendetermin: Dienstag, 4. Juli 2023 um 20 Uhr auf der Radiofabrik Salzburg

Die Klimakrise ist in aller Munde. Nicht nur die Politik, sondern auch normale Bürger*innen und vor allem Aktivist*innen setzen sich mit dem Thema auseinander. Besonders bekannt ist derzeit die Gruppe „Letzte Generation„, die in Österreich und Deutschland durch Klebeaktionen auffällt.

climate activists behind bars as abstract pencil drawing

Zusätzliche Aufmerksamkeit bekommt die Gruppe durch den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Organisation in Deutschland.

Wir wollen versuchen herauszufinden was die Ziele der Letzten Generation sind, wie sie diese umsetzen wollen und wie die Politik darauf reagiert.

Nachhören: Ich mache meinen Bachelor für christliche Propaganda an der Uni Salzburg

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Der Sommer kann beginnen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. JuniDie Welt ist im Begriff aus den Fugen zu geraten – und wir freuen uns, dass es Sommer wird. Leben wir nicht alle in diesem Zwiespalt zwischen Lebensfreude und Vergehen? Zwischen Wachstum und Zerfall? Zwischen “Moi, is des scheee!” und “Geh, bitte – ned des a nu!” Es ist an der Zeit, den Sommer zu begrüßen und mit ihm zu feiern, weil wir kostbar sind. Zerbrechlich, aber wunderschön. Trügerisch wie das Idyll und tief vertraut mit uns. Wenn wir uns wirklich ausliefern, dann werden wir uns auch nicht umbringen. Wir sind ihre Hasen des Guten, Wahren und Schönen. Der Rest ist Geschichten. Womit wir auch schon bei jenem “schönen Ort” angekommen sind, “wo das Leben zur Sprache kommt”, dem Salzburger Literaturhaus und seinem heurigen, ganz speziellen Sommerfest.

Die dort gemachte Aussage: “und ausnahmsweise keine Literatur.” ließ uns innerlich aufhorchen (oder fast schon erschrecken) Waaaas? Ein Fest im Literaturhaus OHNE Literatur? Ja, dürfens denn das? Doch dann erfuhren wir unter der Hand, dass die da angekündigte “Überraschung” aus so einer Art Textpotpourri oder anders gesagt “Sommersprachblütenstrauß” bestehen wird, was wunderbar zu unserer ursprünglichen Idee für diese “Sendung als Sommerfest” passt, wollten wir doch ebenfalls eine “Blütenlese” aus sommerthematischen Audiocollagen und Musikstücken präsentieren und dazu die eine oder andere “Überraschung” bereitstellen. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich stattfindenden Wirklichkeiten ist ebenso beabsichtigt wie auch frei erfunden. Alles andere wäre rein zufällig – und das ist es eh oft. Wobei “rein” … aber lassen wir das!

Es fällt jedenfalls auf, dass in unseren Artarien, Nachtfahrten und Perlentauchereien immer wieder jahreszeitliche Schwerpunkte auftauchen. Das begann schon 2008 mit der mehrteiligen Reihe “Sommerkunst”, die in einer Radioschorsch-Auszeichnung zum 10-jährigen Jubiläum der Radiofabrik kulminierte. Im Juli 2013 hinterfragten wir den Salzburger Festspielzirkus einmal sprach- und gesellschaftskritisch: Sommer Textase Reloaded. Und am 12. Juni 2015 “eröffneten wir uns einen H. C. Artmann Platz. Feierlich. Live. Im Radio.” Unter dem passenden Titel Sommernachtstraum.

Zuletzt soll sich der Kreis noch thematisch schließen. In unserer Sendung Dunkelbunt Sommertag haben wir die eingangs skizzierte Zugleichheit aufgezeigt: “Sommertag assoziiert ja seit Erfindung der Sommerferien alles Vorstellbare rund um Freibad, Freiheit und Freizügigkeit. Oder lieber Freibier? Dennoch wohnt dem Sommersein oft nicht nur Schönes und Helles inne, sondern auch Abgründiges.” Und weiter: “Jede Extase trägt immer auch den Absturz in sich, so wie im Leben das Süße auch immer mit dem Bitteren vermengt ist.”So riecht, so schmeckt, so fühlt sich Sommer an.

Ein frohes Fest. Wir sehen uns …

PS. Jochen Distelmeyer, den wir in der Signation hören und den wir als einen ganz herausragenden deutschen Dichter verstehen, hat mit Jenseits von Jedem die fast 15-minütige Ballade eines realsurrealen Sommerfests verfertigt, die wir euch jetzt zu jedweder Einstimmung – und überhaubst – heftig ans Herz legen wollen.

 

Dem Niedermähen widerstehen

< Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Juni – Stell dir vor, es ist Sommer und du verweilst genussvoll zwischen Vogelgezwitscher und Windgesäusel auf deiner Insel des Sonnenscheins. Ein Gefühl von eins sein mit dir und der Natur, als plötzlich ein gewaltiger Krach die Stimmung zerreißt und jegliches Empfinden niedermäht. Ob Rasentraktor, Motorsense oder Laubsauger – die Invasion der Krawallerie in dein stilles Glück ist ebenso unentrinnbar wie destruktiv. Was ist dein erster Gedanke? “I bring di um, Oida!”, wäre naheliegend. Du willst dich wehren, willst widerstehen – aber wie? Dem alles durchdringenden Gehörknöchelchenmassaker zu entgehen, ohne deine nachvollziehbare Wut unmittelbar in Mord und Totschlag gegen deren Urheber zu verwandeln, das ist die große Aufgabe, die sich in unserer Kultur stellt.

Dem Niedermähen widerstehen (Petsch Moser)Das etwas andere Kunnst-Biotop bietet ein paar “innere Bilder” zur Verbearbeitung der Lärmirritation in schöpferischer Gestaltung (und mit Wort und Klang anstatt mit der Pumpgun). Da wäre zum Beispiel “Rasenmäher” von Hans Söllner, der das aggressive Mähgerät des Nachbarn in ein für diesen kaum noch beherrschbares Renngefährt umwidmet. Oder auch “Irgendein Depp mäht irgendwo immer” von Reinhard Mey, der den Aggressor mit phantasievollen und präzisen Ausdrücken wie “Halmvernichter, Gänseblümchenkiller, Heckenscharfrichter, Motormäherwüterich, Zweitaktstinker, Gräserausrotter, Pflanzenhenker beschimpft. Und nicht zu vergessen die geistigen Queraussteiger aus der Gewaltwelt des Wettbewerbs, Petsch Moser, die in ihrem “Rasenmähermann” zum endgültigen Ausdruck von Wut und Widerstand kommen, ohne dabei die Konfrontation mit den Verursacher*innen in der Außenwelt zu suchen:

Da waren Tänzer, Lügner und Lehrer,
ins Gegenteil Verkehrer,
Gaukler, Spinner und Träumer,
Lebensraumabräumer,
gegen die du dich zu wehren hast,
deren Bild neben deinem verblasst.
Doch du kannst fühlen,
du kannst vor Wut glühen …

Natürlich stellt sich die Gefühlslage aus der Sicht der/des Rasenmähenden davon vollkommen verschieden dar. Während wir hier das zunehmende Überflutetwerden mit aggressiv in uns eindringendem Gedröhn, Geplärr und Gekreisch als Sinnbild der Weltzerstörung auffassen, soll es Menschen geben, die sich Endlosaufnahmen mit Rasenmähersound zum besseren Einschlafenkönnen verabreichen. Ein Bild für ein Gefühl zu haben ist gut – jedoch nicht, sich selbst damit zu verwechseln.

 

Attwenger – Drum

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. JuniDie Schwierigkeit ist, etwas möglichst Eigenständiges zu schreiben. Immer. Und gerade im Hinblick auf eine “Band” (ein Musikprojekt, das mehr als nur ein Musikprojekt ist), über die schon so viel gesagt und geschrieben wurde, dass es geradezu ein Gestrüpp ist aus Worten, fast schon eine Überflut aus Sprachbildern und Stimmungen. Was also macht (für uns – hier und jetzt) das Außerordentliche, das Besondere, das Einzigartige von Attwenger aus? Kollege Andreas Woldrich hat 2011 ihr Album “Flux” gepriesen und Bernhard Flieher hat 2010 ihren ARGE-Auftritt als “Die Goaß” rezensiert, alles höchst löbliche Versuche, der flirrenden Vielschicht rund um, über und hinter den Kunstwelten der zwei Herren Markus Binder und Hans Peter Falkner beizukommen.

Attwenger - DrumFür den Verfasser dieses Artikels (ist er auch ein Kollektiv?) besteht die bemerkenswerteste Eigenart von Attwenger (die es inzwischen seit mehr als 30 Jahren sowie 12 Alben gibt) darin, nach wie vor die eigenen Wurzeln zu pflegen (als da sind Volksmusik, popkulturelle Zitate und “Punk” als Philosophie) und gleichzeitig immer wieder neue Einflüsse, Stilrichtungen, akute Ideen in ihre Produktionen hinein zu verbearbeiten – wodurch ihre Songs auch über so viele Jahre hinweg nie langweilig klingen und zugleich als durch und durch attwengerisch wiederzuerkennen sind. Das allein wäre schon mehr als nur erstaunlich inmitten dieser zunehmend gleichförmig daherwabernden Eintönig-, ja Autotunigkeit, mit der wir allerohren umschwappt und zugeschoben werden – und Exitinnitus! Diesem Mehrheitsklonglumpert aus allerlei Massenblödien, Quasselödien und Kassenschmähdien wird eine hochkomplexe Individualphantasie zuwider gesetzt, dass es eine feste Freude ist, auch heute wieder nicht untergegangen zu sein. Lieder wie Rettungsinseln im Strom

Wir stellen euch also das aktuelle Attwenger-Album “Drum” vor. Und – bei wem auch immer – wir tun das aus tiefster Überzeugung. Und wir verneigen uns innerlich vor den immer wieder aufs neue erhellenden und zum eigenen Dichten und Denken anstiftenden Attwenger-Texten (welche auf deren hervorragender Homepage alle zum Mitlesen dargereicht werden). Kein Fall fürs Urheber- und Rechtsmuseum! Stattdessen spüren wir, wie H. C. Artmann lebendig fortwirkt, und wir erleben Ernst Jandl beim wunschgemäß weiter gejandlt werden. Ein therapeutischer Auszug:

bodeschlapfm oabeitsgwaund
zeidunglesn kontoschtaund

regnschirme schdromverbrauch
flaummenwerfer goatnschlauch

nudlsuppm lippmschdift
propaganda gegngift

einbaunschdrossn mehrwegfloschn
gleidahogn töllawoschn

unterhosn oberflächn
und wos soi ma nu besprechn

klimawaundl schwiegermuada
lebenswaundl voglfuada

hauffmweise emotionen
tonnenweise emissionen

bisness class economy
fliagd der kas jetz ohne mi

mir wird des olles zu real
i brauch an aundaren kanal
mir wird des ois zu realistisch
mir wird des olles zu real

die realität is a skandal
die realität is so real
mir is des ois zu offensichtlich
mir is des olles zu real

i brauch auf jedn foi
a zweite realität
wei mit ana ala
si des niemois ausged

mit ana ala
jo do kum i ned aus
mit ana ala
na do hob i ka chance

diese realität doda
die ged mi so au
dera realität doda
der renn i davau

waun des nur so weidaged
immer a realität
i sogs aso wias is
des mocht mi voikommen bled

Attwenger – real

Lesenswert: Zum Songtexten und drum herum Markus Binder im mica-Interview

 

Ein Kind ist kein Kübel

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. JuniIst das nicht eine seltsame Vorstellung, ein Kind als eine Art leeres Gefäß zu begreifen, das man mit allerlei “Bildung” befüllen müsse, damit es als Erwachsener “richtig” funktioniert? Eine sehr einseitige Sichtweise. Denn wiewohl jedes Menschenkind im Verlauf seiner Entwicklung die unterschiedlichsten Künste erlernen kann, um später einmal gutes Essen zuzubereiten (um hier nur ein Beispiel zu nennen), so ist doch das Vollstopfen mit den unerfüllten Wünschen seiner Vorfahren gelinde gesagt grober Missbrauch. Ein Kind nimmt von Anfang an alles wahr, was da ist. Damit umzugehen lernt es ein Leben lang. Es irgendwie “abrichten” zu wollen, auf dass es willenlos “gehorcht”, das entlarvt vor allem die Absicht seiner “Erziehenden”, es “besitzen” zu wollen.

Ein Kind ist kein Kübel Hubert von Goisern erzählt von einer Fronleichnamsprozession auf dem Hallstätter See, zu der er mit seinen Kindern zusammen in einem Boot hinfuhr. Plötzlich wendete sich die Aufmerksamkeit der Leute auf den “berühmten” Musiker und es wurde ihm so unangenehm, dass er sich lieber wieder zurückgezogen hätte. Sein Sohn hingegen, der das Geschehen gern weiter beobachten wollte, schrie den Vater im Verlauf des nun folgenden Interessenskonflikts lauthals an: “Du wolltest doch immer berühmt sein, und jetzt ist dir das auch nicht recht!” Diese so gnadenlos offen zum Ausdruck gebrachte und, wie er sagt kompromisslose Wahrheit (die ihm zunächst einfach nur peinlich war), versteht Hubert von Goisern mittlerweile als wesentlichen Beitrag zu seiner eigenen Lebendigkeit. Als “Mitteilung”, die ihn zugleich auf dem Boden der Tatsachen hält und eben auch befreit, bereichert und zu neuen Einsichten inspiriert. Erlösende Selbsterkenntnis aus dem Mund eines Kindes kann die Welt verwandeln.

Ein Kind ist kein KübelUnd wenn es uns überraschend aus dem Schatten heraus anfällt und uns das vernichtende Urteil “nicht mit uns selbst überein zu stimmen” ins Gesicht schmeißt? Halten wir dem stand? Halten wir das aus? Wofür halten wir uns? Unsere Kinder (und damit sind auch unsere inneren gemeint) haben das Recht, zornig zu sein, verzweifelt, wütend und kompliziert. Und wir haben genau zwei Möglichkeiten: Kommen wir in Bewegung oder erstarren wir vor Angst. Entwickeln wir uns weiter oder verharren wir im erreichten Stillstand. Es gibt wirklich nur zwei Richtungen. Zum Leben – oder zum Tod. Solang wir aber leben, warum sollten wir dem, was unsere Zukunft ist, den Tod auferlegen, den wir selbst verdrängen, etwa weil wir ihn nicht wahrhaben wollen? Vielleicht ist ja “das vernichtende Urteil”, das da in uns steckt und das unsere Kinder unbefangener ausdrücken können als wir selbst, ein “vermeintlich vernichtendes” und wir sind verfangen in einem Gespinst aus falschen Vorstellungen vom Leben?

Ein Kind ist kein KübelUnd wenn diese Vorstellungen in uns zusammenbrechen, wenn “die Welt, wie wir sie kennen” plötzlich aufhört zu existieren – was dann? Können wir scheitern? Können wir danach, damit weiter leben? Arno Gruen übersetzt aus John Colliers 1947 erschienenem Buch Indians of the Americas: “Der Indianer hatte das Ziel, ein volles Leben – trotz materieller Not – zu haben – und dies aus einer tiefen Unsicherheit heraus, welche er in seiner Weisheit gar nicht aufgeben wollte. Diese Unsicherheit wohnte nicht im Inneren seiner Seele oder in seinem gesellschaftlichen Leben. Sie entstand durch Kriege, Stürme und Krankheiten. Seine Bräuche und der kreative Umgang halfen ihm, äußere Unsicherheit in einen Zustand nach innen gerichteter Sicherheit zu verwandeln. Die weißen Invasoren kamen, es gab Krieg und die Unsicherheiten der Indianer nahmen zu. Aber ihr Gleichmut brach nie zusammen.

Freunde … das Leben ist lebenswert