Ein Sackerl Gemischtes

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Mai – Es gibt sehr viele sehr verschiedene Menschen auf der Welt. Und die haben oft sehr unterschiedliche Gefühlslagen und Bedürfnisse, zudem auch sehr unterschiedliche Möglichkeiten, ihr Leben auf dieser Welt zu gestalten. Ein Sackerl Gemischtes wie diese Sendung, die sich den schönen Seiten des Lebens widmet – inmitten all der Vergeblichkeit ringsumher. Für einige sind bereits Nachrichten eine Bedrohung, Werbejingles ein Luftangriff und tägliche Einkäufe eine Flucht mitten durch Feindesland. Ein Brief vom Finanzamt kann da schon den Weltuntergang bedeuten. “Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heut noch – einen Freund umarmen.” Apfelbäumchen geht sich für mich nicht mehr aus. Umarmungen sind zur Zeit sowieso die stabilere Währung.

Ein Sackerl GemischtesImmer mehr Menschen auf der ganzen Welt haben Depressionen und das wundert mich jetzt nicht allzu sehr (auch wenn die genauen Ursachen noch weithin unerforscht sind), denn das geistige Klima des uns umrasenden Leistungsterrors kann für niemanden gesund sein. In Österreich ist eine Partei an der Macht, deren Politikdarsteller von den Wünschen “der Wirtschaft” daher raunzen, die funktionstüchtig abgerichtetes Menschenmaterial (ohne Sinn und Verstand) verlangt. Die Arbeitgeberverbände befürworten Benimmunterricht. Doch auch der Mensch besteht aus Natur – und ist genau wie diese ein endlicher Rohstoff. Wir leben alle in einem fragilen Gleichgewicht, das durch “die Wirtschaft” längst aus demselben gekippt ist. Die ganze Welt ist außer sich. Wie sollten wir da “bei uns” bleiben? “Das Volk” (wer auch immer das jeweils ist) hat sich irrlichternde Durchschwurbler als “Regierung” gewählt. Jetzt schauts mehrheitlich dumm drein.

Aber Obst ist gesund, otto holt obst heißt es, ich erinnere mich: In den 70er Jahren besuchte ich eine fundamental deprimierende Erziehungsanstalt, in der Nazis und Katholiken als Lehrer ihre Bernhard’schen Urzuständ an uns auslebten. Einer der raren Lichtblicke war eine wohlwollende Obstfrau (die Tante eines Mitschülers) am benachbarten Grünmarkt. Zu ihr gingen wir in der großen Pause obst zu schlingen aus dem legendären “Sackerl Gemischtes um 5 Schilling”. Liebevoll wie ein Sack Äpfel beglückte sie uns jedes Mal mit ihren schönsten Öbstern. Fruchtgeschmack!

Depressionen? Umarmungen? Ein Sackerl Gemischtes in finsterer Zeit? Torsten Sträter und Kurt Krömer haben dazu ein paar Anregungen aus der grauen Praxis.

Shalom, ihr Volkskoffer!

 

Battle&Hum#118

Samstag 21.05.2022 (Stairway zum Nachhören)

Traditionelle Arbeiterliedsendung im Mai, wir halten die rote Fahne trotzki hoch!

the playlist:

MC Randy Andy’s Arbeiterstaat:

  • 3. Bruce Springsteen (darkness on the edge of town) – factory

 

DJ Ridi Mama’s arme Fraktion:

  • 1. Sido feat. Helge Schneider (single) – arbeit
  • 2. John Lennon (plastic ono band) – working class hero
  • 3. Ostbahn Kurti & Die Chefpartie (liagn&lochn) – arbeit
  • 4. Hannes Wader (singt arbeiterlieder) – einheitsfrontlied

 

“ Seid’s vuasichtig und losst’s eich nix gfoin!” (Ostbahn Kurti aka Willi Resetarits)

 

 

 

Alles in allem ein Arschloch

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. MaiWut ist gut und Scheiße schrein im Quetschkontext der Beherrschkultur: Jede Regierung in Form von Herrschen und Beherrschtwerden ist fortwährende Grenzverletzung. Arschloch! Wir untersuchen seine Funktion und Bedeutung für das menschliche Dasein vom Stoffwechsel über den Lustgewinn bis zur Wienerischen Mund(un)art. Sind wir im Oasch daham oder geht uns das alles am Oasch vorbei? “Schleich di, du Oaschloch!” hätte man sagen sollen, und das schon viel früher, viel öfter. Arschloch – jeder hat eins, nur niemand will eins sein. Heißt es. Doch warum sind dann so viele genau das – und verhalten sich so, dass man meint, es habe einem jemand “auf den Kopf geschissen”? Für was soll der ganze Scheißhaufen gut sein? Und wie nicht zum Arschloch werden heutigentags?

Alles in allem ein ArschlochWut ist gut, wenn sie als Emotion anerkanntund dort ausgedrückt werden kann, wo sie entsteht. Das jedenfalls zeigt uns die Autorin und Gerichtsgutachterin Heidi Kastner in einigen Interviews und Büchern. Ein großartiges Beispiel solcherart gelungenen Wutausdrucks ist die Szene aus Franz Antels Film “Der Bockerer”, in der sich der grantige Fleischhauer dem Verursacher all seiner Wut gegenüber in diese für seinen Berufsstand unüberbietbare Kulmination hineinsteigert: Adolf Hitler, der ihm im Fieber erscheint, wird von ihm ultimativ mit “Du Vegetarier!” abqualifiziert. Nun werden – und das völlig zu Recht – die Pflanzenfresser unter den Mitlebewesen einwenden, dass “Vegetarier” doch keineswegs als Schimpfwort aufgefasst werden kann, wie zum Vergleich etwa “Arschloch”. Hierbei wird allerdings deutlich, dass einzelne Ausdrücke immer nur in ihrem Kontext (ihrem szenischen Zusammenhang) verstanden werden können. Sie aus demselben herauszulösen und für sich allein stehend zu be- oder gar verurteilen zeugt von mangelnder Intelligenz. Erst recht dann, wenn sie als diese vielgepriesene “künstliche Intelligenz” daherkommt, die in den “Hidden Layers” der Algorithmen irgendwem seine “Gemeinschaftsstandards” schützen soll in der tumben Tradition der bigotten Dirty-Words-Listen. Der Metastasenstaat feiert fröhliche Prohibition.

Moment, ich erhalte gerade eine Anweisung von oben. Wobei – “von oben herab” mag ich eigentlich nicht behandelt werden. “Can’t hear you – Mouthful of Shit“ Und lehrt uns die Herrschaftskritik nicht auch, dass in jeder Hierarchie immer das größte Arschloch ganz oben sitzt? Quasi das Oberarschloch. Quasi im eigenen Gehirn? Wer kann uns bloß mit dem postmodernen Arschloch in uns selbst versöhnen?

Ich vergebe mich mir.

 

Kraina FM – Resistance Radio

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Mai – Ein ursprünglich auf kommerziellen Erfolg ausgerichteter Radiosender in der Ukraine findet sich seit Kriegsbeginn in bester Piratentradition wieder: Kraina FM sendet seitdem dezentral aus versteckten Studios ins ganze Land – und hat auch sein Programm dementsprechend verändert. Zwar war es schon immer als ein rein ukrainisch-sprachiges Radio konzipiert, und das nicht nur in den Wortbeiträgen, sondern auch in der Musikauswahl, allerdings eher dem hitradioartigen Gutelaunetum verpflichtet. Der russische Überfall am 24. Februar hat ihnen die gute Laune zunächst einmal verdorben, jedoch fanden sich einige der Betreiber*innen auf der Flucht wieder und erschufen ein Programm des nationalen Widerstands. Dieser Podcast (auf Englisch) erzählt anschaulich davon.

KRAINA FMEigentümer des Senders ist (über eine niederländische Medienholding) der hierzulande nicht unbekannte Karl Habsburg-Lothringen, wovon die Journalistin Corinna Milborn unlängst in der ZEIT (Hinfort mit dieser Paywall!) berichtete. Nun mag man derlei Unternehmertum in der Ukraine gegenüber eingestellt sein wie auch immer, Kraina FM hat sich jedenfalls zu einem Sprachrohr des nationalen Widerstands entwickelt – und das zeigt sich speziell daran, was da gesendet wirdund wie sich das beim Zuhören anfühlt:

Die (ausschließlich ukrainische) Musikauswahl ist inzwischen, wenn auch nach wie vor auf ein “möglichst breites Publikum” abzielend, derart angenehm Rock- und Folk-orientiert, dass sie auch in unseren niveauverwöhnten Ohren durchaus interessant klingt – und nicht so grausam penetrant wie das sonstübliche Kommerzgeplärr der konsumistischen Marktschreier. Darüber hinaus gibt es (dezent mit Musik und/oder Geräusch untermalte) Geschichten und Lyriklesungen (was uns ja besonders freut). Wir verstehen zwar kein Wort – aber das alles kommt so gefühlvoll rüber, dass wir gar nicht anders können, als dabei in heftige Sympathie zu verfallen. Слава Україні!

Und statt angestrengter Verlautbarungen, die andernorts “News” heißen und sich wie pseudofröhliche Werbesendungen für den schönen Schein anhören, gibt es hier nützliche Informationen über sichere Fluchtrouten sowie sinnvolle Aufrufe zur Versorgung der Kämpfenden mit allem, was gerade fehlt. Naturgemäß jeweils mit entsprechend patriotischem Unterton/Überschwang – doch wer möchte ihnen derlei in Zeiten des Krieges verdenken? Bemerkenswert erscheint uns die beobachtbare Veränderung im gesamten “Soundbild” des Sendersin Richtung unaufgeregtes kulturelles Selbstbewusstsein. Form follows Functionund das lässt sich hören!

So wollen wir diesmal den Livestream von Radio Kraina FM übernehmen und diesen feinen Sender auch bei uns bekannt machen, vor allem im Hinblick auf die nach wie vor wachsende ukrainische Community. “Kannst du auch hier bei uns hören. Klingt wie Heimat – und klingt überhaupt gut.” Gemäß unserem Leitspruch “Gut zu hören.” Und wir leisten hiermit unseren Beitrag zum Blühen und Gedeihen der ukrainischen Kulturlandschaft und widmen folgendes Gedicht von Christopher Schmall mit dem Titel “Blaugelbe Fahnen” (gern auch zum Übersetzen, Vorlesen im Radio etc.) dem tapferen Radiosender, der seinen selbstgewählten Auftrag einfach nicht aufgibt:

blaugelbe fahnen
hängen
noch

entblütete rosen
liegen
am ufer

keine schwäne
keine küsse
kein heiliges wasser

wo bleib ich wenn winter ist?

zwischen ruinen
im erdschatten
sprachlos und kalt

PS. Sehr gut gefallen uns die emotionalen Reportagen von Anne Levine, die dafür mit Kraina FM zusammenarbeitet und über das Pacifica Network gut zu hören ist …