Knotzen und rumspielen

> Sendung: Artarium am Sonntag, 8. Januar – Wir gehen das neue Jahr genauso gemütlich an wie zwei irgendwelche Buben, die am letzten Tag der Weihnachtsferien gemeinsam herum knotzen und mit all ihren Neuentdeckungen vor sich hin spielen. Wie ließe sich dieser Tag auch besser verbringen als mit seinem besten Freund, dem man schon längst alles erzählen will, was einem über die Feiertage widerfahren ist? Und so packen wir eins nach dem anderen aus und zeigen einander, was uns in der Zwischenzeit mit uns allein belebt und bewegt hat, ganz in der Art einer klassischen Weihnachtsgeschenkevorführung, nach dem Motto: “Schau amoi, wos i do hob”. Naturgemäß zelebrieren wir dieses Beinondasein in vertrauter Stimmung vor allem mit jenen Fundstückerln, die sich zur hörbaren Zubereitung im Radioraum eignen.

Ganz abgesehen davon, dass der schöne Begriff Knotzen in unseren Breiten dem breiteren Publikum nur in einer viel schmäleren Bedeutung geläufig sein dürfte, als sich etwa im Wienerischen aus ihm herausholen ließe. So wollen wir durchaus auch dem Volkstum mal wieder auf seine Gedankensprünge helfen – und im Zuge des uns selbst verliehenen Bildungsauftrags einige zusätzliche Assoziationen anbieten. Knotzen ist eben ein wunderbares Wort für alle nur möglichen Gelegenheiten, Jahreszeiten.und sonstigen Zustände. Zur Einstimmung im Einzelnen: Schleim knotzt oft hartnäckig in den Atemwegen, wie sich auch Suchtstoffe im Leben von Menschen festsetzen können. Man kann sich in die Heidelbeeren knotzen, wenn einem das Fanatentum ringsumher zuviel wird. Oder auf eine Bank in der Höllensauna, wenn einen der Teufel nicht mehr hinaus lässt. Reinhold Messner zum Beispiel knotzt vorzugsweise in den Bergen herum, Hasen inzwischen sogar auch in der Stadt – und die Sonne sowieso am Himmel. Weshalb sich allerdings die fidelen Landräuber stets genau dort festfressen, wo die schönsten Schätze im Boden knotzen, dazu hören wir am besten Buffy Sainte-Marie – und/oder machen uns selbst einen Reim drauf

 

Farewell Leonard

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. DezemberKein Nachruf auf Leonard Cohen, der im November dieses Jahres von uns gegangen ist, wer weiß, wohin. Und der uns noch kurz vor seinem Abschied mit “You Want It Darker” ein großes, geistreiches und wie immer auch geheimnisvolles Alterswerk überlassen hat. Wir begeben uns auf die Suche nach Spuren, die den zumeist viel zu einseitig als Dichter des Düsteren aufgefassten Sänger und Schriftsteller deutlicher erscheinen lassen, speziell in den Arbeiten anderer Zeitgenossen. Der Umweg ist ja oft der direktere Zugang. Wie rezensierte etwa die New York Times Cohens erstes Album: Auf einer Skala der Entfremdung rangiere er “irgendwo zwischen Bob Dylan und Schopenhauer, zwei weiteren prominenten Poeten des Pessimismus.” Soviel zu normalen Menschen…

Farewell LeonardAls ich dieses Album mit 15 zum ersten Mal hörte, da war es genau jenes fühlbare Fremdsein in der vorgeblich viereckigen Welt, die uns von all den Realitätern der Öffnungszeit von 8 bis 18 Uhr vorbetoniert war, das mich aus dem Nichtverstandensein heraus riss – und mir die Gemeinschaft anderer sympathischer Sonderlinge als neue Möglichkeitsform eröffnete. Ein warmes, ein versöhnliches, ein endlich heimkommendes Gefühl jenseits der Vernormtrottelung.

Vor zwei Jahren hatten wir bereits einen der vielen Reisegefährten zu Gast, in dessen Lebenswerk sich die Spuren von Leonard Cohens Lyrik seit Jahrzehnten wiederfinden: Misha Schoeneberg, der in einer Perlentaucher-Spezialausgabe über die Arbeit an den Texten für das Tribute-Album “Poem – Leonard Cohen in deutscher Sprache” sowie dessen Entstehen erzählt: “Anfang der 90er ist die Idee entstanden. Damals kam grade The Future” heraus, die Poesie eines bösen, dunklen, wütenden und empörten alten Mannes. Das ist ein Meisterwerk für mich! So etwas ins Deutsche zu übertragen ist sicher einmal etwas Missionarisches, dass man möchte, dass er verstanden wird. Aber auch etwas Literarisches, weil ja alle Klassiker in alle Sprachen übersetzt worden sind, und das heißt: Cohen-Gedichte müssen auch ins Deutsche übersetzt werden.”

Für das Leonard-Cohen-Portrait von 2008 danken wir Rama@Wikimedia Commons

 

Die gute Nachricht

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Dezember – Kommet her zu uns alle, die ihr mühselig belabert seid von immer ähnlicheren Nachrichtenformaten, wir werden euch kräftig erquicken! Denn fürwahr, es gibt sie noch – die gute Nachricht – inmitten von Quotenjagd und Quasselmedien, versteckt zwischen schlagzeiliger Erregung und seichtfasslicher Entertainerei. Zum Beispiel holt ORF Journalist Armin Wolf in einem Interview der Video- und Diskussionsplattform dbate auf die Frage nach der “postfaktischen Gesellschaft” zunächst zu einem klugen Exkurs über Neil Postmans Buch “Wir amüsieren uns zu Tode” aus, bevor er zur aktuellen Politik (Donald Trump) Stellung bezieht – und daraus dann das phantastische Szenario eines Wahlkampfs von Dieter Bohlen gegen Angela Merkel entwirft. Eine echte Perle! Und hier das Video.

Wir freuen uns darüber hinaus über das 20-jährige Jubiläum der zutiefst unabhängigen Nachrichtensendung Democracy Now!, welche tagtäglich gut recherchierte Information aus der amerikanischen Zivilgesellschaft verbreitet und über den Widerstand gegen die scheinbar Allmächtigen berichtet. Why Independent Media? Die ohne jedwede staatliche oder kommerzielle Finanzierung arbeitende Sendung wird derzeit von weltweit über 1.400 Radio- und TV-Stationen ausgestrahlt. Die gute Nachricht für alle Salzbürger_innen: Auch “wir” bieten dieses Qualitätsprodukt jetzt regelmäßig an. Und zwar mindestens einmal wöchentlich auf der Radiofabrik sowie täglich aktuell auf FS1, dem Freien Fernsehen zum selber machen, das inzwischen österreichweit im Kabelnetz von A1 verfügbar ist, siehe A1 TV Plus Senderplatz 436.

Immer auf der Suche nach dem Brauchbaren, Gehaltvollen und Zeitlosen in all dem Treibgut der Informatinsüberflut, entdecken die Artariumhasen und Nachtfahrt-Perlentaucher manch kostbares Kleinod, das geradezu nach seiner Sinnzusammenhangstiftung durch unsere interpretative Verwendung schreit. So wie etwa das wundersame Video der Sami-Gruppe Adjágas, dessen Fund wir der schönen Okto-Sendung Poplastikka verdanken. Dieser Joik-Gesang erinnert stark an die Klangwelt nordamerikanischer Ursassen (Native Americans), womit wir auch schon bei der besten guten Nachricht dieser Sammelsendung angelangt sind: Wesley Clark Jr. (Sohn des früheren Nato-Generals) bittet öffentlich um Vergebung für die vielen Verbrechen der weißen Eroberer: Hier im Democracy Now Video.

Was folgern wir nun daraus? – Es kommt darauf an, was du daraus machst!

Leonard Cohen – Democracy

 

Das etwas andere R.E.M. Biotop

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Dezember R.E.M. waren eine wichtige Band, soviel steht allgemein fest. Doch warum eigentlich? Weil sie international erfolgreich waren und dabei eine Unmenge an Tonträgern verkauft haben? Geh bitte, wir sind ja nicht vom Förderverein der Entertainment-Industrie! Vielleicht, weil sie dem zuvor eher randständigenen Genre des Alternative-Rock zu weitreichender Popularität verhalfen – und dadurch auch das Erstarken der Independent-Musikproduktion mit anschoben? Das geht unseres Erachtens schon mehr in die richtige Richtung, denn wie heißt es in Justin Sullivans Nachruf auf John Peel (BBC), den Hervorzauberer sogar noch des Entlegensten an klanglicher Inspiration: “Music is music and the cult of celebrity is something totally irrelevant to it (or to anything else).” – Unterschreiben wir sofort!

r-e-m-michael-stipeSo ist es wohl in der Hauptsache die zum Mitgestalten einladende Haltung, wie sie besonders vom nimmermüden Multikünstler und Hansdampf in allen möglichen Grassroots-Aktivismen, R.E.M. Sänger Michael Stipe, verkörpert ward, die den feinen Unterschied ausmacht zwischen bloßem Erfolg und wirklicher Bedeutung für die Gefühlswelt originärer Menschen. Wir sind ihm über die Jahre nicht nur als Frontman einer in diesem Sinne wichtigen Band begegnet, sondern eben auch als Filmproduzent des Glam-Rock-Spektakels Velvet Goldmine (Trailer), als Leonard-Cohen-Interpret (First we take Manhattan), als Gesangspartner von Patti Smith (E-Bow the Letter, LIVE) oder von Dashboard Confessional (Hands Down, LIVE), um hier nur ein paar Beispiele zu nennen. Und passend zum Adventsonntag basteln wir uns eine sehr persönliche Best-Of-Auswahl von R.E.M. Songs (in chronologischer Abfolge) aus diesen Studio-Alben: Document, Green, Out of Time, Automatic for the People, Around the Sun, Accelerate sowie Collapse into Now. Den Schlusssegen hierzu spricht Bruder Justin von New Model Army (und der stammt ebenfalls aus dem eingangs erwähnten Nachruf auf John Peel):

“There would always be something that you’d never heard before, a sound, a song, a riff or a beat that would set off all kinds of creative ideas. And … RADIO is and always will be a more powerful medium than television because it allows the imagination of the listener to flourish.”

 

Fvonk dich frei mit dem Chor d’accord

Großartige Premiere für uns Fvonk dich frei-Moderatorinnen – wir haben einen wunderbaren, bunten Live-Act im Studio. Der Chor d’accord hat uns besucht und uns vom Einsingen bis zu einer Auswahl toller Songs entzückt und nebenbei viel von der Chor-Entstehung und Intention hinter der vielfältigen Stimm- und Klangkombo erzählt. Der Chor d’accord arbeitet mit der Methodik des Soundpaintings, entwickelt werden die Lieder in einem gemeinsamen, bewusst demokratischen Miteinander. Voraussetzung für ein Mitmachen im Chor ist die Lust am Singen und am Experimentieren. Vom Jodler bis zum Beatboxen oder der Vocalpercussion sowie Liedern aus der ganzen Welt in verschiedenen Sprachen hat der Chor d’accord eine Riesen-Portfolio an Rhytmik, Sound und Stimmung zu bieten. Wir freuen uns sehr, diese in Salzburg einzigartige Chor-Gruppe begrüßen zu dürfen und laden euch alle ein, mit uns zu lauschen und sind sicher, ihr könnt auch nicht ruhig sitzen bleiben – Mitschunkel-Alarm!

FVONK Dich FREI – Der Radiotalk mit AlltagsheldInnen. Am Fr, den 02.12.2016 im Studio: Der Chor d’accord unter der Leitung von Anita Biebl, live von 18.00-19.00 Uhr auf der Radiofabrik, 107,5 und 97,3 MHz, und im Livestream.Chor d'accord Salzburg

Heather Nova – Redbird

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. November – Als Gegenpol zur schwelenden Herbstschwermut entführen wir uns heute in die lichtdurchfluteten Bermudas. Das Album Redbird von Heather Nova vereint in sich so viele Gefühlsnuancen und Stilrichtungen wie das bisherige Lebenswerk der Dichterin, Malerin, Komponistin und Sängerin sonst auch. Dabei ist es stimmig, rund und ausgewogen, wohl das am meisten “wie aus einem Guss” wirkende Studioalbum der Künstlerin. Das hat auch sehr viel mit der Geburt ihres Sohnes Sebastian während der Entstehung der Songs und Arrangements zu tun. “Ich war das Verwundbarste und zugleich das Stärkste, das ich je gewesen bin.” So beschreibt sie ihren Seinszustand beim Songschreiben, wie es die nachfolgende Interviewpassage (auf Englisch halt) wiedergibt:

redbird“It was probably the most difficult album I have ever made because for the first time I had something else besides music (my baby) taking up my time and attention. So instead of having endless days with nothing to do but write, I had 2–3 hours on a good day. And that meant focusing in and working very intensely in a way I hadn’t done before. It was a challenge, but at the same time I was incredibly inspired to write for this album. I had just had a life-altering experience! I felt like my heart had been blown wide open and I was the most vulnerable and yet the strongest I had ever been…”

Insbesondere der dritte Track “Motherland” (den wir in unseren Sendungen ja schon des öfteren verwendet haben) offenbart eine gefühlsambivalente Grundhaltung, die etwas vom Gesündesten darstellt, das in der Popmusik je über die Beziehung von Müttern zu ihren Kleinkindern ausgesagt wurde: Das Heilsame und Kraftvolle dabei ist das erstaunliche Gleichgewicht von zwei gleichzeitig spürbaren Impulsen – sowohl zum Beschützen als auch zum Freilassen. Und wie in diesem Lied verbinden sich Freude UND Schmerz auf dem Album Redbird (und auch im gesamten Schaffen der schönen Frau mit der schönen Stimme) zu einer ganzheitlichen Gefühlswelt, die dem Frieden in der Seele merkbar auf die Sprünge hilft. Dieses Album ist gute Medizin, sagte der Hund, bevor er schließlich noch die Refrainzeilen aus “Motherland” hinzufügte:

The waves roll in, I help you swim
You take my hand
And through the years and through the fears
I’ll be your rock, the motherland

 

Demand the Impossible

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Oktober – Das vorläufig letzte Album der schwedischen Musikerin Jenny Wilson überwindet bescheuerte Zuschreibungen wie “Elektro-Pop-Queen” durch seinen existenziellen Tiefgang. Daran hat vermutlich auch ihre Auseinandersetzung mit der Brustkrebsdiagnose erheblichen Anteil. Fragen in dem Zusammenhang pariert sie aber höchst charmant, so etwa in diesem Interview:

“Would you say you wrote this album as a way of fighting for your life and also against the cancer?” – “Maybe. But most, I guess, because it’s the most natural way to stay alive in general, for me, through creating. And, as a matter of fact, I never had such hunger for kicking ass, for do what ever I wanted in the studio. I never felt so alive and brave while recording an album. I think you can hear that. Demand The Impossible! is a nasty knock!”

demand-the-impossibleMich hat da sogleich das spezielle Artwork des Grafikkünstlers Finsta in seinen Bann gezogen. Es lohnt sich auch, seinen diversen Arbeiten eine nähere Würdigung zukommen zu lassen, die hier auf Finstafari und Finsta Graphics zu sehen sind. Da mischen sich Graffiti, StreetArt und Gebrauchsgrafik mit Einflüssen von Robert Crumb und Keith Haring zu einem unverwechselbar eigenen Stil. Inspirierend, erfrischend, bereichernd und im allerbesten Sinn eigen-artig!

“How did the artwork for the album come about? It’s very different to what you have aesthetically done before.” – “I had this artist, Finsta, in mind for many years. He has something very urban to his drawings. So I contacted him long before the album existed. The woman on the cover is this warrior, this street prophet. I love it!”  (selbes Interview)

Auf der Radiofabrik war schon Wilsons Vorgängerwerk Blazing (2011) in der Reihe Hörenswert als Album der Woche vertreten. Damals schrieb der Kollege Nikolaj Fuchs aus der Musikredaktion noch: “Mit Blazing schenkt uns Jenny Wilson ein im besten Sinne vorhersehbares und gänzlich durchhörbares Pop-Album.” Es kann also nur (noch viel) besser werden! – Denn wie heißt es inzwischen auf ihrer Homepage?

“FREEDOM AND POETRY TO THE PEOPLE!”

 

Es war einmal die Musicbox

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. OktoberNachruf auf eine ORF-Sendung, der viele vieles verdanken. Vor genau 49 Jahren entstand die Musicbox mitsamt ihrem dazugehörigen Sender. Vor gut 22 Jahren verschwand sie aus dem Programm von Ö3. Was bleibt, ist Erinnerung. Und Bedeutung für Unzählige, die Popkultur nicht nur konsumieren, sondern erforschen, definieren und so selbst mitgestalten wollten. “Wenn um 15 Uhr, präziser: fünf Minuten nach 15 Uhr, die Signation der Musicbox ertönte, schaltete halb Österreich auf die Regionalwellen um. Die andere Hälfte aber lauschte entweder gebannt oder irritiert dem Wort- und Musikschwall, der da folgte.“ Soweit Ex-Musicbox-Redakteur Walter Gröbchen, zitiert in diesem hilfreichen Artikel des Kulturpool zur Veröffentlichung einiger Cassetten-Mitschnitte aus den 80ern.

musicboxMmmm, “Wort- und Musikschwall”, das gefällt uns eh schon mal gut! Auch wenn man mit derlei nicht mehr die Radionation in zwei Hälften spalten kann (dieses Zeitfenster ist längst wieder zu), so knüpfen wir doch gern immer wieder daran an, diese Art einer “Wall of Sound” entspricht der Gestaltung unseres zweisamen Kopftheaters

Nicht nur eine ganze Kultur des Musikjournalismus hat das längst legendäre Magazin hierzulande befruchtet, auch Kunstschaffende jedweder Richtung und Staatsnähe (oder -ferne) zur fortwährenden Verbearbeitung der Wirklichkeit zwischen allen Genres und Generationen angestiftet. Literaturen entdeckt, Musikstile hinterfragt, politische Entwicklungen verfolgt, Geschmäcker und Gewohnheiten kritisiert, Neues begeistert vorgestellt und Zeitloses wieder hervor gekramt. Was hat diese Sendung in den 27 Jahren ihres Gehörtwerdens eigentlich nicht angefasst, ausgespuckt, oder einfach gegen den Strich gebürstet? Weshalb sollten wir da versuchen, dem recht reichlichen Œvre der Herren Gröbchen (Blog), Blumenau (Blog) oder Ostermayer (Portrait) hier noch Fußnoten hinterher zu schreiben? Sie alle waren ja die Musicbox.

Wollen wir also bei unserem Leisten bleiben und euch eine schöne Andenkensendung schustern. Mit eigenen Anekdoten vom damals durchaus prägenden Hinhören und mit Beispielen dafür, wie dortselbst einst Vorgebrachtes die Zeitgrenzen zur Gegenwart überspringt und – verbearbeitet – weiter wirkt. Unter Beihilfe von Michael Köhlmeier & Reinhold Bilgeri, Bob Dylan, Patti Smith sowie naturgemäß Laibach. Allesamt einst vehement vertreten in und von jenem Höreignis, man frage bloß mal die Archivpiraten!

 

Let Yourself Be Huge

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. SeptemberGewaltig endet der Sommer, gewaltig geistern die Arme des Herbstes, komm zu mir liebes Kätzchen, ich nehm‘ dir die Furcht, die alte, die gräßliche; fühle mich manchmal als Teschek, indes singen Blätter und Zweige von Tausch und Täuschung, wer pflückt dereinst die Gaben? Wir glätten die Wellen, nein, lass es uns lassen, was mir halt so ein- und zufällt, zufällig auf Zufälle vertrauend, und ihre verwegene Braue, das Herz der Harpyie frisch gebraten, ein Baby im Schlaf, es schmelzen Gesichter unscheinbar, grau melierte Kinder in Armani-Anzügen die hektisch ihre Smartphones betouchen; darf ich mich aufsprengen?

cloudkickerWelch viskoser Fall, mir scheint alles träge und dämmrig, es zirkuliert = heil(ig)e Welt! Schwalbentanz, ein Blick in die Wolken, weit fort zu gehen, oh Lady of Shalott, dein Leib, dein Lied, stets Schatten im Spiegel / Gemütsaquarelle, schleichende Färbung, der gesichelte Mond gleitet aus Baumkronentrichtern, scheue Laternen, das Finster ruft mit wächsernen Stimmen, so seidene Stimmchen : gekrauste Sturm= orchidee. Theodizee zwischen Tür und Engel, oder der Blutakt weicher Uhren, indes nachmittägliche Ausflüchte, umgeben von einem Rauschen unbekannter Art, mehr Holundersaft aus der Bierflasche … Collagenleben und Splitterkunst, unzähmbarer Sanftmut; ich werde gewaltig.

Wie aus alldem unschwer zu erkennen ist, präsentieren wir diesmal das ganze Album “Let Yourself Be Huge” von Cloudkicker, einem One-Man-Projekt von Ben Sharp, der seine mittlerweile 8 Alben und 4 EPs nach wie vor im Eigenvertrieb anbietet. Auf diesem speziellen Album gewährt der sonst im Progressive-Metal beheimatete Musiker allerdings durch diverse Themenskizzen einen geradezu intimen Einblick in das Entstehen seiner komplex geschichteten Klangwelt, was zudem vom Artwork (oben die vergriffene Pink-Vinyl-Version) kongenial begleitet wird. Auch der längste uns bekannte Songtitel vom Album Subsume stammt aus seiner Denkstatt. Es ist ein Zitat aus dem Roman 1Q84 von Haruki Murakami. Dazu fällt mir ja sofort DIE Löffler ein…

„He would be riding on the subway or writing formulas on the blackboard or having a meal or (as now) sitting and talking to someone across a table, and it would envelop him like a soundless tsunami.“

 

Nils Petter Molvaer – Khmer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. AugustHaltet ein, haltet ein! Bloß weil da als Musikgenre Jazz oder Elektronic geschrieben steht, müsst ihr weder frohlocken noch die Flucht ergreifen. Denn das heute hier zu hörende Album enthält wohl diese beiden Elemente, geht allerdings in seiner Gesamtheit noch weit darüber hinaus. Der norwegische Jazz-Trompeter Nils Petter Molvaer hat sich schon früh auf die Suche nach den unterschiedlichsten psychoakustischen Klanglandschaften begeben. Und so ist auch sein Debutalbum Khmer (1997) eine abenteuerliche Expedition in allerlei Möglichkeitsformen des Hörens und Erlebens jenseits von schon längst Bekanntem. Was wurde diesem Werk nicht alles zugeschrieben, Cool-Jazz à la Miles Davis etwa, gechillt treibende Lounge-Beats à la mode, Grenzgängerei à la Brian Eno, whatever.

khmerDabei lässt sich unendlich viel mehr aus dieser grenzgenialen Klangsammlung heraus hören, akustische Perkussion, Ethno-Beats, ein Anton-Bruckner-Zitat, innovativste Gitarrensounds, Meeresbrandung, Nebel, Traum, Weite… Oder wie es dem Meister himselbst also nachgesagt wird:

„Für ihn gebe es diese Grenzen zwischen Klassik, Pop und Jazz nicht, wenn die Musik gut sei.“

Ich begegnete dieser inspirierenden Instrumentalmusik zum ersten Mal durch den Musikfeingeist David Reger (Gamelan Altenberg, Maracatu Minimal, Daisy O’Hara) und hatte schon kurze Zeit später die Gelegenheit, Nils Petter Molvaer und Band im Salzburger Jazzit livehaftig beizuwohnen. Nur ein einziges Mal zuvor war ich mir beim Eintauchen in eine Musikperformance nicht mehr sicher gewesen, welche Drogen da plötzlich auf mich einwirkten, wiewohl ich ja eigentlich vollends nüchtern war – und das war 1987 bei Peter Gabriel in der Wiener Stadthalle.

Molvaer

Vielschichtige Klänge, vereinnahmende Rhythmen und überraschende Übergänge, welche sich im Zusammenspiel als ebenso hypnotisch, psychedelisch und verzaubernd erweisen wie ein Kopfsprung in den Kaninchenbau von Alice im Wunderland, das Befreitwerden aus der Matrix oder ein mehrtägiger Aufenthalt in einem wirklich guten Phantasy-Roman.

Vor allem aber wird hier eins verstanden und auch vermittelt: Die Balance zwischen dem Aufmerksamsein und dem Abdriftenkönnen. Die Vermessung der Welt mag ja lustig sein, doch sie kann warten! Inmitten von klar umgrenzten Klangräumen darf sich die Seele ihr eigenes Neuland erschließen – und dabei zugleich im Unvermessenen verweilen.

Im Unermesslichen…