Eine Besichtigung des Wahns

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. Mai – Gestern waren wir dann also leibhaftig im Salzburger Literaturhaus, um dem entschieden “unsalzburgischen” Programm NORMAL – Eine Besichtigung des Wahns beizuwohnen. Wir wollten wissen, wie sich so ein “Abend gegen Irrationalismus und instrumentelle Vernunft” anfühlen würde, wenn wir ihn livehaftig erleben. Und natürlich auch, wie sich diese dichte Darbietung von Erlesenem, Empfundenem und Selbstweitergedachtem im nachhinein auf unser Selbst- und Weltverständnis auswirkt. Waren unsere beschwingten Erwartungen aus der Sendung vom letzten Sonntag doch übertrieben begeistert ausgefallen? Diese Frage beantwortet am besten ein anderer Besucher, der zum Abschied anmerkte: ­“Da fühlt man sich auf ein Mal nicht mehr so allein auf der Welt.” Ja, es hat uns berührt

Eine Besichtigung des Wahns (Christopher Schmall)“Wirklichkeit zur Kenntlichkeit entstellen – das ist Satire. Von wem auch immer dieses Zitat erstmalig stammt, es ist ebenso wahr wie auf diesen Abend, der sich “Besichtigung” nennt, zutreffend. Zumal wir im Zuge unserer Teilnahme die uns tagtäglich aufs Grausigste umbrausenden “Realitäten” nicht nur durch die Brille der kritischen Theorie sondern auch durch die Sichtweisen der Herren Ebermann, Mense und Thamer besichtigen durften, was eine sehr angenehme “ironische Distanz” zu den doch einigermaßen verstörenden Schrecknissen des Weltgeschehens bewirkte, auf dass sich ganz neue Freiräume im Denken, Fühlen und Handeln öffneten, ein zugleich poetischer wie auch therapeutischer Akt! Auf die Art und Weise möchte man “die Realität” (ein von den Realitätern dieser Welt gekaperter und für ihre Interessen uminterpretierter und somit missbrauchter Begriff), möchte man “die Realität” also noch viel öfter als das wahrnehmen, was sie ihrem Wesen nach eigentlich ist: “unsere Wirklichkeit, die wir selbst bestimmen und gestalten können. Und weil der Mensch ein Mensch ist, braucht er dazu was zum Fressenaber keine Moral. Die Richtschnur menschlichen Handelns kam im Programm kurz vor der Pause zum Ausdruck, und zwar wörtlich so:

“Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.”

Sie wollten die Aufklärung vor sich selbst retten. Sie wollten eine Idee von Vernunft entwerfen, die Auschwitz unmöglich machen würde.

Ja, ich weiß … aber ich glaube, das funktioniert nicht oder es funktioniert nicht mehr. Die Vernunft ist nicht mehr zu retten.

Aufklärung?

Was bleibt uns denn sonst … aber auch die stößt hier überall jeden Tag an ihre Grenzen.

Was brauchts dann?

Empathie

Solidarität

Zärtlichkeit

Naturschönheit genießen können

Die Fähigkeit, sich und andere zu lieben

Die Fähigkeit, selbst zu denken

Gesellschaftlichen Reichtum ganz anders denken

Verweigerung – die Fähigkeit zum Widerspruch

Widerständigkeit

Ungehorsam

Unangepasstheit

Unanständigkeit

Unvernunft

Unvernunft im Dienste der Vernunft

…..

 

Rings und Lechz

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Mai – – Ernst Jandl hat die Frage nach der Unterscheidbarkeit von Links und Rechts einmal mit folgendem Gedicht beantwortet: “manche meinen, rinks und lechts sind schwel zu velwechsern. werch ein illtum!” Und dem wäre nun auch wirklich nichts mehr hinzuzufügen, wenn die Frage nach Links und/oder Rechts sowie der ganze Wahnsinn (nicht nur der Sprache) sich nicht doch immer wieder aufdrängte und nach einem eigenen Standpunkt verlangte. Ich zum Beispiel habe vor Jahren, angespürs der mich umflutenden Verhältnisse, die ein von der Norm abweichendes Leben mit aller Gewalt zu verhindern trachten, jenes Gedicht in meine Situation übersetzt und quasi weiter gejandlt: “Verzweifelt blick ich rings und lechz – nur Angepasste links und rechts.” Sogar ein Schüttelreim, schau her …

Rings und LechzNun haben einige wackere Streiter für das Gute, Wahre und Schöne (sand de Buam ned fesch?) aus der Radiofabrik zu Salzburg eine sehr unsalzburgische Veranstaltung an Land gezogen, und zwar “NORMAL – Eine Besichtigung des Wahns” von und mit Thomas Ebermann, Thorsten Mense und Flo Thamer. Und dankenswerterweise gleich als szenische Lesung ins Literaturhaus gebracht, wo dieses satirisch und multimedial gesellschaftskritische Programm mit dem Untertitel “Ein Abend gegen Irrationalismus und instrumentelle Vernunft” am Donnerstag, 22. Mai um 19 Uhr stattfinden wird. Sowas dürfen wir uns nicht entgehen lassen, zumal die unglaublich dichte, dabei zugleich weise und witzige Machart des Vorgängerprogramms “Heimat – Eine Besichtigung des Grauens” nicht nur persönliche Erkenntnis (mit bewusstseinserweiternder Wucht) verspricht, sondern eben auch rings im Publikum alles andere als angepasste, gleichförmige, ignorante und sonstwie hässliche, abtörnende Menschen erwarten lässt. Ringsund Lechz!

Gestern hab ich mir die ganze zweieinhalbstündige Heimatveranstaltung reingetan. Im ersten Teil bin ich verdauungsbedingt kurz weggedöst, nur um dann kurz vor der Pause mitten in einer ungemein dichten Text- und Bildcollage beim Thema “Heimat ist ein zutiefst faschistischer Kampfbegriff” im wahrsten Wortsinn hochzuschrecken und meiner Nazifamiliengeschichte zwischen Heimatwerk und Heimatkunde wieder zu begegnen. Verstörend! Und wenn wir den Bogen zu “normal” spannen, landen wir bei Bedeutungen wie “der Vorschrift entsprechend” aber auch “geistig gesund”

 

Der Wahnsinn der Normalität

 

Unzerstörbar

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. April – Und wieder einmal jährt sich (am 30. April) die Salzburger Bücherverbrennung. Nachdem wir dieses uns immer wieder sprachlosmachende Thema von verschiedenen Seiten her angeleuchtet haben, wollen wir heute einmal in die Gegenwart schwenken. Denn auch in unserer Zeit tobt ein unerbittlicher Kulturkampf ums Zugänglichmachen oder Verschwindenlassen von geistigen Inhalten, wie sie eben in Büchern (und anderen Medien) aufbewahrt sind. So erleben wir etwa in den USA ein zunehmend fanatisiertes Aussortieren von für manche Kreise “unerwünschten” Themen aus vornehmlich Schul-Bibliotheken. Im Video “The Unburnable Book” mit Margaret Atwood werdem derlei Praktiken sowie mögliche Gegenmaßnahmen erörtert. Genau, unzerstörbar muss es sein

UnzerstörbarUnd unzerstörbar ist es auch – das Überleben. Wenn wir bedenken, wie Trauma entsteht und wie sich unser “Feststecken” in den natürlichen Reaktionen darauf (Flucht, Kampf, Totstellen) wieder auflösen ließe, dann geraten wir unweigerlich in einen Bereich unseres Daseins, der weder durch analytisches Denken noch durch Sprache, wie wir sie kennen, aufgedeckt werden kann. Manche nennen diese Dimension und das, was sich in ihr abspielt, die “Weisheit des Überlebens”, die im Gedächtnis unserer Körper abgespeichert ist und mit der es nunmehr wieder in Verbindung zu kommen gilt. Da dies offenbar nicht auf dem Weg bewusster Einflussnahme möglich ist, bieten sich sinnliche Erfahrungen und emotionale Reaktionen aus den evolutionsgeschichtlich uralten Untiefen unseres limbischen Systems als ein weit offener wie zugleich verborgener Zugang zu uns selbst an. Peter Levine beschreibt die Grundlagen dafür als “Sprache ohne Worte”.

Was verbindet nun die “Leerstellen” in den Bücherregalen mit den “Leerstellen” in unserer Persönlichkeitsentwicklung – und in unseren Familiengeschichten? Was kann uns “ein roter Faden” durch diese Sendung sein, die den Versuch unternimmt, die retrospektive Musealisierung der Vergangenheit (Gedenkkultur) zu verlassen und eine spürbare Verbindung mit den heute lebenden Kindern und Enkeln der Zeitzeugengeneration herzustellen? Das Überleben? Das ist seinem Wesen nach unzerstörbarandernfalls gäbe es auch keine Nachkommen von Überlebenden.

In unserem Radiodenkmal der Geschichte(n) wenden wir uns Erfahrungsberichten und textlichen Experimenten der nächsten und übernächsten Generation zu. Anders gesagt jener Generation, die das Überleben ihrer Eltern und Großeltern (sowie die damit einhergehenden Traumatisierungen) überlebt haben. Hören wir Ausschnitte aus “Das Schweigen meines Vaters – 104517” von Misha G. Schoeneberg aus Berlin, das schon bald erscheinen wird. Und begleiten wir Christopher Schmall auf der Suche nach dem, was in seiner (und wohl in unser aller) Vorgeschichte “verschwunden” ist.

 

Kann man “das Unsagbare” überhaupt sagen? Und wenn ja – wie?

 

PS. Materialien zur Salzburger Bücherverbrennung vom Friedensbüro Salzburg sowie die Veranstaltungen zum aktuellen Gedenken (heuer) am Residenzplatz.

 

Jenseits von Ostern

> Sendung: Artarium vom Ostersonntag, 20. April“Das Persönliche ist politisch – und das Politische ist persönlich.” Mit diesem Wort zum Ostersonntag, welches 1970 erstmals öffentlich aufkam, begeben wir uns mitten hinein in eine Jahreszeit, die wie keine andere vom Verkörpern des Überlebens geprägt ist. Jenseits der Religion zum Zweck der Machtausübung begegnen uns die gewaltigen Kräfte der Natur in einer bislang noch kaum verstandenen Wirksamkeit. Dieses Ostern verbindet uns mit dem Urzustand unseres Lebens, aus dem wir alle entstanden sind und aus dem wir nach wie vor alle bestehen, siehe diesen hervorragenden Beitrag: “Biotop Mensch”. Indem wir die Etymologie des Begriffs Religion betrachten – und dabei einmal alle ­übernatürlichen Aspekte weglassen – (rück)verbinden wir uns mit unserer Natur!

Jenseits von OsternDanke. Bitte. Bitte. Danke. Ostern ist bestimmt kein Fest, für das wir Hasen uns vom Papst Benefiz oder sonst irgend einem Eiermann eine Bedeutung aufdrängen, umhängen oder dazuzwängen lassen. “Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen.Das versteht jeder Alkoholiker, auch wenn manch ein Kind länger dazu gebraucht hat. Was uns der Dichter damit sagen will? Dass wir mit den unendlichen Angeboten des Lebens selbst etwas machen müssen (und auch können), denn weder der Herr Präsident noch die gute Mutter oder gar “G*tt” wird es für uns tun (und es würde sich dann auch nicht gut, wahr oder sonstwie schön anfühlen). Sowohl der Feind als auch der Retter sind schon immer in dir daheim, du bist sie sogar selbst, kannst dich aber auch mit ihnen unterhalten und (aber hallo!) auf sie einwirken. Du bist allmächtig und ausgeliefert zugleich und kannst das Verhältnis zwischen dir und deinen zwei Seiten in all ihren Schattierungen verändern, gestalten. Willkommen bei der eigenen Auferstehung

Mitten dazwischen, dahinter, darunter und darüber hinaus, bin ich auch das Kind. Das Kind, das sich nicht auskennt. Das Kind, dem immer wieder mal alles zuviel wird. Das traurige Kind. Das erschrockene Kind. Das Kind, das sich fürchtet. Und das Kind, das Angst hat davor, in seiner Angst unterzugehen, weil da niemand ist, der (und vor allem die!) ihm beisteht, ihm hilft, es in den Arm nimmt – und es tröstet. Das Kind, das mit den anderen Kindern spielen will. Das andauernd Einfälle und Ideen hat und unendlich lustig ist Das mit der Sprache spielt bis sie schmilzt.

 

Frohstern, nicht Verrohstern!

 

Living in The Past

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. März – – – Überraschendes von und mit einem Überraschungsgast. Soviel sei vorab verraten: Unlängst manifestierte sich ein jahrzehntelang aus meinem Blickfeld geratener Jugendfreund als wieder öfterer Gesprächspartner und es stellte sich heraus, dass uns viel mehr verbindet als lange Zeit angenommen. Dass wir, jeder für sich, über einzelne Erinnerungsbilder an eine gemeinsam verbrachte intensive Jugendzeit in den 70er Jahren verfügen, die erst in ihrem einander erzählen, untereinander vergleichen und wieder zu einem größeren Ganzen zusammenführen so etwas wie “lebendiges Wissen von dem, was damals wirklich war” erzeugen können. Daher nennen wir diese Sendung selbstironisch und in Bezugnahme auf das gleichnamige Jethro-Tull-Album auch “Living in The Past”.

Living in The PastWobei die Betonung auf “Living” liegt. Wir wollen hier definitiv keine sentimentale Ü-60 Nostalgie zum alleinigen Zweck besoffenen Schwelgens im “damals war alles schöner” ausrufen. Vielmehr sollen unsere Anekdoten jene Zeit dahingehend wieder lebendig werden lassen, dass erkennbar wird, welche Umstände unsere ganze “Generation von Kriegsenkeln” geprägt haben – und was für Gegebenheiten für unser Leben und unsere Entwicklung damals bedeutsam waren. Dabei ist naturgemäß ein absoluter Fixpunkt unseres Aufbruchs in die Gemeinschaft der Gleichaltrigen zu nennen, das inzwischen legendäre Mark (Markusheim) am Franz-Josefs-Kai. Die dort regelmäßig am Wochenende stattfindenden Musik- und Tanzpartys (dabei wurde Progressive-Rock vom feinsten zelebriert) waren für uns “unverzichtbare Gelegenheiten zur sicheren Zwischenlandung auf unseren riskanten Expeditionen in die uns umgebende wie die uns innewohnende Welt. Ein überaus wertvoller, kaum zu unterschätzender Beitrag zur Bewältigung der Unendlichkeit für uns als 15- bis 18-jährige.” Anders als die wohl der gesellschaftlichen Akzeptanz wie dem Wohlwollen potentieller Geldgeber geschuldete Darstellung als sozialarbeiterischer Interventionsraum

… haben wir diese Einrichtung als Probebühne des Selbstausdrucks, als Freiraum für unsere Versuche von Annäherung und Abgrenzung (außerhalb von Schule und Familie) sowie als Experimentierlabor für noch nicht definierte Möglichkeitsformen erlebt. Inwieweit die “politische Großwetterlage” Mitte bis Ende der 70er Jahre dazu beigetragen hat, eine positive Entwicklung jugendlicher Selbsterforschung in die gesamtgesellschaftliche Integration zu begünstigen – und was dabei (und wodurch manches) auf der Strecke geblieben ist – darüber machen wir uns eben Gedanken.

Wie wir zusammen zu einem gleichzeitig erlebten Moment des Einsseins mit dem Universum (und zwar nach einer gemeinsam durchdichteten Nacht ohne Alkohol oder sonstige Drogen) gelangten, auf welchem Weg das damals für uns eine bedeutsame Rolle spielende Album “Spartacus” von Triumvirat an unser Gehör (und in unsere Gehirne) gekommen ist, worin wir uns bei unseren ersten Versuchen, Sexualität mit Beziehung in Einklang zu bringen, gut widergespiegelt fanden und, was derartige Erfahrungen im Kontext damaliger Musikstile ins Heute übertragen sein könnten

 

Living in The Past!

 

Scheiterhaufen – O.K.! (Album)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. MärzWir sind Perlentaucher. Und manchmal stellt sich die Frage, wo so ein im Strom der Gezeiten angefundenes Kleinod (die wir in unseren Radiobiotopen gern vorstellen) ursprünglich herkommt. Höchste Zeit für eine Berichtigung. Die Rede ist von dem sehr besonderen Album “O. K.!” von Scheiterhaufen, das auch wir immer wieder fälschlicherweise einem gleichnamigen DJ-Kollektiv aus dem Salzburger Innergebirg zugeordnet haben. Nachdem wir uns unlängst entschieden hatten, dieses fürwahr außergewöhnliche Werk endlich einmal in seiner ganzen Gesamtheit zu spielen, machten wir uns auf die Suche nach den eigentlichen Urhebern desselben. Und – wir sind wirklich fündig gewordenim benachbarten Deutschlandin der Zeit der Jahrtausendwende

Scheiterhaufen OK (Cover)Dort und damals entschlossen sich zwei Freunde, die sich für selbst geschriebene und vorgetragene Texte begeisterten, damit etwas ganz eigenes zu machen. Sie waren einerseits fasziniert von all den Ausdrucksmöglichkeiten, die das in jener Zeit aufkommende HipHop-Genre mit sich brachte, andererseits aber zutiefst abgestoßen von dem, was sich daraufhin als zunehmend populär werdender Deutschrap” oder eben deutscher HipHop in ihre und unsere Gehirne drängen sollte. In dieser Situation schufen sie ein (in unseren Ohren) Meisterwerk der Sprachkunst, das noch dazu aufgrund seiner alle gängigen Klischees des kommerziellen HipHop ad absurdum führenden Beats so etwas wie “genresprengend” wurde. Einer von den beiden, Kamal Nicholas, kann sich an den Entstehungsprozess und die ersten Aufnahmesessions dieses Albums erinnern und erzählt dabei Erstaunliches: Zwei Freunde texten (jeder für sich) zu einem jeweils gemeinsamen Thema und verbinden ihre Beiträge sodann in spontanen One-Take-Aufnahmen zu den einzelnen Tracks.

Scheiterhaufen - OK (Album)Das ist eine Herangehensweise, die unserem eigenen “Workflow” beim Radiomachen und unserem Umgang beim spontan-assoziativen “sich zusammenfinden lassen” von Musik- und Textstimmungen sehr nahe kommt. Auch deshalb ist uns derart zustande Gekommenes in seiner endgültigen Gestalt (was immer wieder nur eine Momentaufnahme sein kann) so sympathisch. Wenn wir eine Themensendung wie “Triptychon zur Traurigkeit” erschaffen, dann ereignen sich dabei sowohl im Vorfeld als auch Live On Air ganz ähnliche Prozesse wie beim heute mit Freude vorzustellenden Scheiterhaufen. Und dass wir deren bemerkenswertes Mund- und Klangkunstwerk in sendetauglicher Qualität mit euch teilen können, verdanken wir Klaus Donarski, der als DJ Zapotek an der Produktion einer im nachinein herausgekommenen CD-Version beteiligt war.

Weiterführende Links:

Kamal Nicholas aka Soda auf Bandcamp

Mnemotrauma – Der Audiopath (von Klaus Donarski)

Homepage von subversive*rec (offbeaters)

Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Mozartkugeln scheiß …

 

It’s all over now, Baby Blue

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Februar – Wie umgehen im Leben? Wie umgehen mit der Angst? Unlängst drang Ungeheuerliches aus der Verhandlerei von FPÖ und ÖVP, etwa zum Thema Medienpolitik: So sollten die gesetzlich verankerten Förderungen für den Freien Rundfunk massiv gekürzt werden. Statt dessen sollten sogenannte “Alternative Medien” mit öffentlichen Geldern versorgt werden, der FPÖ nahestehende Propagandaplattformen, die jenseits jedweder journalistischer Qualitätsstandards hauptsächlich faktenferne Volksverwirrung verbreiten, gepaart mit parteilicher Lobhudelei im Sinne eines seltsamen Personenkults um den kleinen Mann, der die Partei des kleinen Mannes anführt. Kunnst dir vorstellen, dass sich Bob Dylans “Baby Blue” auf den kleinen blauen Brillenschlumpf anwenden ließe?

Baby BlueUnmittelbar nach dem Scheitern der Kollisionsverhandlungen zur Bildung einer blauschwatzen Bundesgierung ging bei mir der nächste Angstfilm an den Start: Es wird Neuwahlen geben und dadurch werden die Wahnsinnigen noch stärker werden… Doch dann gelang es mir, für einen Moment das wohlig warme Gefühl der Erleichterung aus meinem Bauch aufsteigen zu spüren und ich beschloss, jetzt und hier zunächst einmal diesen Augenblick zu genießen. Und mich von jeder auf mich einstürmenden (und in mir hochsteigenden) Katastrophenhysterie zu distanzieren. Ich habe weit wichtigeres zu tun, als mich von geisteskranken Kriegsgewinnlern des menschlichen Abgrunds in denselben mitreißen zu lassen. Zum Beispiel meine eigenen Abgründe auszuloten und die vielen vernachlässigten Kinder in mir selbst in Sicherheit zu bringen. Denn niemand anders kann mir meine Welt reparieren… Und nirgendwo anders beginnt die Welt, in der wir alle miteinander verbunden sind.

Ich habe die Nazis überlebt und daher weiß ich auch, wie naheliegend und verlockend es ist, den eigenen Schmerz nicht fühlen zu müssen, indem man ihn jemand anderem zufügt. Genau da beginnt die Täter-Opfer-Umkehr – als Opfer-Täter-Umkehr in einem selbst. Du kannst dir selbst als Baby begegnen (und das ist eine Herausforderung) oder du wirst als aufgeblasenes, wutverstopftes und ständig unzufriedenes Riesenbaby in der Welt herumsausen und andere Unzufriedene um dich versammeln, die so wie du keinen Gefühlszugang zu sich selbst haben und unweigerlich Unheil anrichten.

Das Sympathische bei Bob Dylan dagegen ist, dass seine Wortbilder sich seit jeher jeglicher Definition entziehen. So rätselt die Gemeinde der Dylandeuter:innen immer noch daran herum, wer mit Baby Blue eigentlich gemeint sein könnte. Das Schöne am gefühlsdenkerischen Zugang, wie wir ihn pflegen, ist wiederum, dass sich dieser Text bei jeder neuen Betrachtung wie von selbst interpretiert: Christopher Schmall – blau, gewesen. Und so geht auch das mit dem Brillenschlumpf. “Ach, geh mir doch weg.” Prinzessin Dylia weiß intuitiv, wie man den garstigen Gnom wieder los wird.

PS. Es gibt einen neuen Dylan-Film, der bezeichnenderweise “Like A Complete Unknown” heißt und hier im BR-Magazin Capriccio herzallerliebst vorgestellt wird. Ab Donnerstag, 27. Februar jeweils um 17:00 und danach um 20:15 im DAS KINO.

“Sie sollten dich wie lassen?” – “Wie auch immer sie mich nicht haben wollen.”

 

Botschafter aus anderen Welten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. Januar – Wer könnte das sein? Und was ist mit “anderen Welten” gemeint? Begriffsbestimmung: Ein Botschafter (naturgemäß auch eine Botschafterin, wie auch immer – hey, ein Botschafty, um das nach Hermes Phettberg zu entgendern) ist also jemand, der wichtige Mitteilungen überbringt. In der Ringsumwelt sind das meist Diplomaten aus einem anderen Land. Wenn wir jedoch in unserer Innenwelt wichtige Mitteilungen empfangen (etwas, das uns berührt oder bewegt, in Resonanz versetzt und verwandelt), dann haben wir zunächst den Eindruck, derlei dringe “aus einer anderen Welt” zu uns. Ihr Ursprung scheint in Bereichen zu liegen, die uns (noch) weitgehend unbekannt sind (wobei wir hier außer Acht lassen wollen, inwieweit diese “anderen Welten“ sich nicht vielleicht aus unserem eigenen Unterbewusstsein gemeldet haben). Auf jeden Fall hat uns eine Botschaft erreicht …

Botschafter aus anderen WeltenIn unserer nächsten Perlentaucher-Nachtfahrt mit dem Titel “Wer du bist” werden wir mit einigen dieser Botschaften spielen, und zwar mit solchen, die unsere Vorstellungen von einem festgefügten und klar abgegrenzten “Ich” in Bewegung bringen können, unser Ichkonzept oder das, was wir gemeinhin für unsere Persönlichkeit zu halten gewohnt worden sind. Und daher packe ich in dieser Sendung ein paar Beiträge aus dem Nachtfahrtvorbereitungsprozess aus, auch um euch damit Appetit zu machen aufs demnächstige Mitfahren, Selbsttauchen – und Zuhören. Könnte es nicht sein, dass unser “Ich” viele sind? Dass es ein nach allen Richtungen offenes Resonanzorgan ist, das sich noch dazu fortwährend verändert, je nachdem mit wem oder was es gerade kommuniziert? Dass es nicht nur mit unserem Körper verbunden ist und so in regem Austausch mit ihm steht, sondern genauso mit der gesamten uns umgebenden Natur und auf diesem Weg mit der spirituellen Welt?

Das “Ich” als Instanz der Bewusstwerdung einer einzigen, universellen Welt, die sich in immer wieder anderen Aspekten ihrer selbst zum Ausdruck bringt. Und wir könnten antworten, mitreden und ja, wirklich mitgestalten, wenn wir nicht glaubten, unser jeweiliges “Ich” sei nichts anderes als ein Aufbewahrungsort für irgendwelche Eigenschaften. Ein Adjektivspeicher für die (möglicherweise irrige) Vorstellung von der eigenen Einzigartigkeit – nach dem Bild von wem auch immer. Glaubst du noch oder lebst du schon? Als Einführung in die Zwiesprache mit sich selbst: Werbistich?

Das wär schon mal unser erster Botschafter. Dann gäbe es da noch jemand, der uns erinnert: “Etwas besseres als den Tod finden wir überall.” Und jemand, der seine schlaflose Prinzessin “Ach, geh mir doch weg!” sagen lässt (woraufhin auch wir die aktuelle Weltlage poetisch kommentieren wollen). Geheime Zauberworte, mit denen wir unsere Welt verwandeln. These Words” (wie schon im vorigen Artarium zitiert). Und die Magie der allumfassenden Liebe, wie sie die wunderbare Zaho de Sagazan verwendet, um “Menschen zum Weinen und zum Tanzen zugleich zu bringen.”

Modern Love

 

In memoriam Hermes Phettberg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. DezemberHermes Phettberg ist tot … Eigentlich ist Josef Fenz, wie der Hervorbringer der legendären Kunstfigur diesseits seiner öffentlichen Performances hieß, am 18. Dezember im Krankenhaus gestorben. Die Verkörperung all dessen, was ihn umgetrieben hat, und was Menschen wie mich innerlich erreicht, berührt und inspiriert hat, das bleibt in uns allen erhalten und lebt in all seiner Monstrosität und kindlichen Zartheit durch uns weiter. Melancholie und Gesellschaft oder “Alles, was du siehst, gehört dir”, um es mit PeterLicht zu sagen. “Sehen” im Sinn eines umfänglicheren Wahrnehmens als es der Sprachgebrauch des Schnelldrüberhin nahelegt. “Sehen” als ein “unverstelltes in sich aufnehmen” etwa wie ein Traumbild unkontrolliert und ohne Urteil in uns empor steigt und so

In memoriam Hermes PhettbergTatsächlich habe ich hier noch ein Bild gefunden aus jenem Jahr, in dem mir “Phettbergs Nette Leit Show” zum ersten Mal aus dem Fernseher heraus direkt ins Herz “einfuhr” und mich darin ermutigte, auch in diesem “Land of Confusion”, das zwischen Marktwirtschaft und Verdrängung zu zerreißen drohte, doch um einiges mehr für verwirklichbar zu halten, als es in der damals alles verklebenden Normalmoral (die gern als “die Sittlichkeit” oder auch “das gesunde Volksempfinden” daher gestelzt kommt) überhaupt möglich zu sein schien. Ich möchte sagen, dass mir die Selbstinszenierung von Hermes Phettberg im Rahmen der Netten Leit Show die Grenzen in Geist und Seele dahin- gehend ver-rückt, also zurecht gerückt hat, dass es mir wieder möglich wurde, an einen tieferen Sinn in all den widerstreitenden und zunehmend fragmentierten Erfahrungen meines Lebens zu glauben – und zwar ohne den demonstrativ vor mir her zu tragenden Endsieg” über meine Homosexualität, der mir eingeimpft war …

Von solch inwendiger Belebung ergriffen pilgerte ich kurz darauf schnurstracks nach Wien, um dem Beförderer derselben anlässlich des Erscheinens von “Die Krücke als Zepter” höchstselbst und in all seiner Leibhaftigkeit zu begegnen. Und dieses Treffen von Mensch zu Mensch vertiefte in mir jenen Eindruck, den ich zuvor schon aus seiner Bühnenpräsenz gewonnen hatte: Ein Maßloser, in seinem Ringen um Anerkennung an allen Grenzen längst Verzweifelter, der dabei dennoch eine schier unglaubliche Würde besaß, ein seiner geradezu barocken Anmutung um nichts nachstehendes Mitgefühl.

Lieber Hermes, du warst in vielem sehr anders als ich es bin. Und zugleich bist du mir zutiefst vertraut, ich möchte sagen, wesensverwandt. Ich bin erstaunt, wie vieles von dir ich in mir wiederfinde, wenn ich mit mir unterwegs bin. Unlängst hat ein Freund gesagt, ich hätte etwas Monströses an mir. Das habe ich im ersten Moment als nicht zutreffend zurückgewiesen. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto mehr neige ich dazu, es mir (und uns allen) zuzugestehen. Indem ich dir auch in mir begegne, soll es lauten: Im Phettberg’schen Sinn kann ich dieser Monstrosität etwas abgewinnen.”

Und in diesem Sinn – Danke.

 

Diagonal durch die Szenerie

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Dezember – Wir kriegten Weihnachtspost vom Almblitz-Wolfgang, darin dieses zum eigenen Freispruch einladende Zitat von Viktor Frankl: “Wenn du den Raum zwischen Reiz und Reaktion betreten kannst, dann bedeutet das Freiheit.” (Und bitte, der Mann hat sich solche Gedanken im Überleben des KZ-Grauens erkämpft.) Von einem kurzen Aufblitzen dieser Art von Äquidistanz werde ich euch erzählen, nämlich wie ich mitten im Vorweihnachtssalzburg zwischen Mozartsteg und Kaigasse zu der Einsicht gelangte, es wäre zuträglicher, “diese Stadt diagonal zu bereisen”. Was das wiederum mit den Kriegszuständen zu tun hat, die in der Adventszeit überall lauern und die sich am Heiligabend (meist im unentrinnbaren Kreis der Familie) noch steigern können, das soll diese Sendung veranspürlichen

Diagonal durch die SzenerieMeiner verstorbenen Cousine (die sich bis zuletzt Jahr für Jahr durch ein zum leblosen Ritual erstarrtes Familienweihnachtsfest kämpfte) habe ich etwas in ihren Nachruf geschrieben, das mir gerade jetzt, quasi als Grundbedingung, wieder aufgefallen ist – den Freispruch zu Beginn jeder Beziehung und jedes Gesprächs. Im Artikel zur Sendung “Erinnerung an Elke Mader” steht:

2) Teilnehmendes Beobachten. Eine vorurteilsfreie Grundhaltung, die Elke nicht nur in ihren Feldforschungen einnahm, sondern die ihr gesamtes Leben prägte. Mir in jedweder Lebenslage sowie uns in unserer Freundschaft und Arbeit gegenüber hat sie stets diese eigentlich ambivalent anmutende und dabei so überaus angenehme Haltung eingenommen. So sollte generell jede zwischenmenschliche Begegnung sein: Dass man zur Begrüßung freigesprochen wird von der Schuld des Rollenspielens.

Genau so etwas ist mir kurz vor der eingangs erwähnten Situation wiederfahren (als ich mir dachte, es wäre besser, diese Stadt diagonal zu bereisen). Es befreite mich dazu, meine Wege durch den Vorweihnachtstrubel selbst zu bestimmen und eben nicht als wehrloses Opfer dem Gedränge und Geschiebe von ferngesteuerten Menschenmassen ausgeliefert zu sein. Stattdessen erlebte ich etwas, das Hartmut Rosa als “diagonale Resonanz” beschreibt, nämlich dieses zutiefst lebendige “Hineinkippen, in den Flow geraten” mit einer Sache, vollkommen darin verloren, zugleich vollkommen kontrolliert.

Und weil es (wie jedes Jahr wieder) Weihnachten wird und wir ein starkes Verlangen nach Versöhnung spüren, wollen wir noch etwas vom Wesentlichen hervorholen, das uns im Lauf des (fast schon wieder) vergangenen Jahres untergekommen ist. Zu guter Letzt kommt ein Mann mit der Gitarre und singt (von mir aus unterm Weihnachtsbaum) ein Lied von der Befreiung – vom Krieg, von der Schuld, und von allen damit tragisch verketteten Zwängen. Und das tut er auf Russisch, damit es noch der letzte Kämpfer in der Ukraine versteht. Der General spricht seine Soldaten frei, was für ein Anfang.

Ein frohes Radio euch allen!