Tantes Inferno

Artarium am Sonntag, 24. August um 17:06 Uhr“Wir müssen unsere Eltern in ihrem historischen Kontext verstehen.” Dieses Zitat von Peter Hodina erweist sich als umso zutreffender, je mehr und je länger ich mich mit der Geschichte meiner Familie beschäftige. Und dabei habe ich über die Jahre so einiges entdeckt, was man vor mir unbedingt hätte geheimhalten wollen. So etwa die Verstrickungen meiner Tante in die Ideologie des Nationalsozialismus, deren schädigende Auswirkungen auf mich und meine Mutter ich erst langsam (im Rahmen einer Traumatherapie) zu verstehen beginne. Noch vor einigen Jahren habe ich einen viel zu euphemistischen Nachruf auf sie verfasst. Heute sage ich rückblickend: “Es war die Hölle.” Das Kind darf sich wieder spüren – und auch das titelgebende Wortspiel mit “Dantes Inferno” machen …

Tantes InfernoEs gilt also einiges zu berichtigen und auch die Geschichte(n) so zu erzählen, dass sie nie mehr hinter dem muffigen Vorhang des Schweigens und Vergessens zum Verschwinden gebracht werden können. Es gilt, sich selbst wieder zu begegnendort, wo man im tiefsten Inneren schon immer gewusst hat, was gespielt wird, wo man sich aber schon zu lange nicht bewusst hinzuschauen getraut hat, weil die eingeflößte Todesangst vor der Wahrheit viel zu groß war. Wie zersetzend sich eine nationalsozialistische Erziehung von frühester Kindheit an auswirkt, das hat Sigrid Chamberlain in ihrem Buch “Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind” minutiös dargestellt. Der eigentliche Skandal aber besteht darin, dass jener zutiefst menschenverachtende “Erziehungsratgeber” von Johanna Haarer, der darin die Hauptrolle spielt, auch nach Kriegsende immer wieder neu aufgelegt wurde (zuletzt 1987), bis in die 2000er Jahre als Lehrmaterial für die Ausbildung in Säuglingspflege verwendet wurde, und dass die kinderfeindlichen Erziehungsmethoden, die solchem auf Gehorsam und Funktionieren abzielenden “Kinderabrichten” innewohnen, nach wie vor von einigen sogenannten Experten als sinnvolle Maßnahmen angepriesen werden. DAS macht hilflos – und wütend.

Dabei muss es aber nicht bleiben: “Denn ist ein Buch, das geschrieben werden muss, erst einmal geschrieben, ist das Grauen in Worte gebannt. Das bedeutet nicht unbedingte Heilung, doch Linderung für die Seele. Schreiben ist selbstbestimmtes Handeln, es befreit aus der Opferrolle.” Zitat aus Misha Schoenebergs “Mein Vater, Auschwitz und der 7. Oktober”. Ein solches Buch, das ich gerade lese, ist der Roman “Wenn das der Führer wüsste” von Otto Basil (ein sträflicherweise kaum bekannter österreichischen Publizist und Schriftsteller), der mir Tantes Inferno zu lindern vermag.

Meine eigene Erzählung beginnt mit dieser RadiosendungWas hat es mit dem von mir erlebten und überlebten Inferno – und mit meiner Tante – auf sich?

Wir öffnen eine Zeitkapsel …

 

Sendung 8: Von wilder Musik und Lebensgeschichten

„The Rime of the Ancient Mariner“ von Iron Maiden, erschienen auf dem fünften Studioalbum der Band, „Powerslave“, bildet das Intro zur heutigen Sendung. So richtig. Über 13 Minuten ist die Nummer lang und guess, ja natürlich habe ich sie ausgespielt.

Wilde Musik, inspiriert von einer wilden Geschichte. „The Rime of the Ancient Mariner“ ist die Vertonung des gleichnamiges Gedichts von Samuel Taylor Coleridge, erstmals erschienen 1798. Die Geschichte handelt von einem Seemann, von Schuld und von Sühne und wer, wenn nicht Iron Maiden kann diese Stimmung musikalisch umsetzen.

In dieser achten literarischen Stunde sprechen wir über „Journeymen“, über das Reisen und warum es sich unterwegs einfach besser schreiben lässt. „Einfach mal raus“ wie man so schön sagt, ist für jede/n hilfreich fürs Schreiben? Ich glaube schon, doch kann das „einfach raus“ ja auch bedeuten, sich zum Schreiben in ein Cafè zu setzen.

Mein Studiogast, Bestsellerautorin Marie Alessi, kann von beidem berichten. Sie ist vor 20 Jahren nach Australien ausgewandert, hat dort eine Familie gegründet und arbeitet zurzeit an ihrem vierten Buch. Doch auch sie mag ab und an mal wieder einen Tapetenwechsel und arbeitet dann vorzugsweise in einem Coworkingspace. Worum es in Maries Büchern geht, sei hier nicht verraten, hört selbst rein und lasst Euch von meinem Studiogast mitnehmen auf eine Lebensreise der ganz besonderen Art.

 

Studiogast

Marie Alessi, Autorin

 

Buchtipps

Marie Alessi: Loving Life after Loss

Marie Alessi: Happy Healing

Marie Alessi: Sparks of Joy

Alle erhältlich auf Amazon Kindle

 

Musik

Iron Maiden: The Rime of the Ancient Mariner

Iron Maiden: Journeyman

Bad Company: The Way I Choose

Nora Jones: Come Away with Me

Crowded House: Weather with You

 

Linktipps

https://en.wikipedia.org/wiki/Dance_of_Death_(album)

https://de.wikipedia.org/wiki/The_Rime_of_the_Ancient_Mariner

https://www.mariealessi.com/

Battle&Hum#153

Samstag 16.08.2025 (Stairway zum Nachhören)

Diesmal gibt’s keine Abstimmung, es gab ja auch nur exquisite Musik!

 

MC Randy Andy’s Brandblasen:

 

LINGUA IGNOTA (caligula) – may failure be your noose

Danzig (danzig III: how the gods kill) – dirty black summer

Nick Cave and the Bad Seeds (the firstborn is dead) – tupelo

DAF (alles ist gut) – rote lippen

The Prodigy (the fat of the land) – smack my bitch up

Koenig (messing) – sesselleiste

Frank Zappa (hot rats) – willie the pimp

Black Uhuru (sinsemilla) – sinsemilla

 

„The sun‘s not yellow, it’s chicken“ (Bob Dylan, Tombstone Blues)

 

Das untergehende Festspielhaus

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. August — “Die Felsenreitschule fühlt sich an wie ein schwarzes Loch, das einem, sofern man dort tagein, tagaus arbeitet, die Lebensenergie aussaugt … to be honest, es ist ein sinkendes Schiff.” So ungefähr beschrieb der Hase seine gesammelten Eindrücke als Kantineur im Festspielhaus, und zwar in unserer jüngsten Nachtfahrt (das ganze Gespräch ist hier ab 02:08:27 gut zu hören). Von dieser Wahrnehmung ausgehend machen wir uns auf die Suche nach den Ursachen für derlei im wahrsten Wortsinn kraftraubende Gegebenheiten. Ist das Haus vielleicht verhext? Sind wieder mal die Nazis schuld? Welche blutigen Rituale fanden dort statt? Worin besteht das Menschenopfer, das wie unter einem Wiederholungszwang alltäglich dargebracht wird – und von dem niemand spricht?

Das untergehende FestspielhausMeine Tante war nazistisch und meine Mutter war narzisstisch gestört – könnte darin womöglich eine Erklärung für den in diesem schönen Salzburg und in seinem weltberühmten Festspielhaus konzentrierten Weltwahnsinn liegen? Ich meine den Eindruck des aussaugenden Abgrunds, der den totalitären Narzissmus prägt. Die Weltmacht Wirtschaft funktionierte dann ebenso wie eine narzisstische Persönlichkeitdu musst um dein Leben ihre Wünsche erfüllen bis du ausgesaugt bist, während sie sich auf deine Kosten ihren schönen Schein poliert (hinter dem sie nichts anderes ist als schlicht Nichts (und dieses Nichts saugt alles, was nicht Nichts ist, in sich auf, um wenigstens vorgeben zu können, irgendwas zu sein). Und aus all der von uns geraubten Lebenskraft bastelt sich die narzisstische Weltherrschaft dann ein scheinbar sauberes Image, das vorgibt, bedeutsam und wichtig zu sein, geradezu unverzichtbar für unser Wohlergehen. Aber all das ist nichts als Lüge

 

Jedermanns Totentanz

 

Im Schatten der Mozartkugel
ein schönes Bühnenbild vergangener Zutodequälung
versteinerte Herrlichkeit kunstsinniger Kirchenfürsten

Wir halten inne und atmen Salzburg
in aller Stille tief in unsere Seelenlungen ein
und fühlen dabei stets ein seltsames Befremden
in dieser Stadt, in deren Trubel Freiheit schon Ersticken ist und Luftholen zum Leben den Beigeschmack vermorschter Knochen birgt

 

*asthmatisches Röcheln*

 

Gleich füllt sich unser Sein mit Friedhof
und auf den Urnen der verbrannten Kinder tanzt Frau Moloch die bösen Fackelumzüge wieder für die dauernde Macht der Räuber, mit klapperndem Gebein ihre Eisenreifen, Ketten, Schlösser schwingend.

Mumifizierte Brüste hängen gummigleich von den Balkonen und spenden ledrig längst verdorrt den Dürstenden die Milch des Geldes: Stinkende Milch von früher, wir trinken dich morgens, wir trinken dich abends, wir trinken dich nachts, wir trinken und trinken, wir tanzen ein Loch in die Zukunft, wir tanzen und tanzen, der Tod ist ein Meister aus Salzburg, ihre Augen sind braun, sie spielt mit den Kunden und ruft:

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und belabert seid, ich will euch begütern. Ich will euch das Gewissen erleichtern und euch die Vergangenheit ungeschehen machen. Ich will euch die Steuern abziehen wie eine zweite Haut und mir feuchtfröhlich einen Lampenschirm daraus basteln zur höheren Ehre Gottes und zur Freude des zahlenden Publikums. Und fürchtet euch nicht, es ist alles herzig und putzig hier – und überhaupt nur Theater, das man als solches erkennt. Denn denen, die da schon besitzen, wird auch noch alles andere gegeben werden, vor allem aber das, was genommen wird jenen, die sowieso nichts mehr haben. Und so wird über die Weltbühne kommen ein ewiges Friedensreich, in welchem Gerechtigkeit herrschet nach meiner Facon – nämlich dass alles so bleibt, wie es immer schon war. Und das ist dann ein Theater, wie wir es hier haben wollen. Amen.“

Das letzte Licht ist verlöscht. Kein Raunen geht durch die Menge. Regungslos sitzen die Festspielgäste auf ihren Polstersesseln. Sie sind in diesem einzigen, unendlich lang atmenden Augenblick endgültig ganz und gar zu Stein geronnen. Und niemand vermisst sie! Wenn in hundert Jahren ein neugieriger Mensch die Saaltüren öffnen wird und wenn der erste Sonnenstrahl mit einem Hauch frischer Luft ihre erstarrten Körper berührt, dann werden sie zu Staub zerfallen und sich in ihrem ewigen Nichts auflösen.

 

This is Capitalism …

 

Dirty Black Summer Mix

Battle&Hum #153 am Samstag, 19.07.2025, 22:00 Uhr, diesmal mit ohne Abstimmung!

Noch einmal krach ich wie ein Donnerschlag in euren blöden Sommertag. Fast der ganze Satz ist geliehen, von der Antilopen Gang, der letzte Sendungsanheizer war aus 24 Songs diverser Interpret:innen gebastelt. Im Schweiße meines Angesichts ist so eine Art Hommage/Pastiche entstanden, der eigentliche Impuls ging vom Song „Direkter Vergleich“ der Antilopen Gang aus, also von dem Textfragment da oben. Ich habe mich damals auf die Einladung ins Artarium vorbereitet und da fiel es mir wie Tomaten aus den Ohren. Eine Collage sollte es werden und es wurde dicht. Der rote Faden führte mich diesmal wie ein Schweißrinnsal Richtung Gesäßspalte, auf die dunkle Seite des Leibes und des Geistes. Amen.

Waldrapp (© Alf Altendorf)

Der Schweiß bringt jedes Sommerloch zum Überlaufen und er gehört zum Sommer wie die Waffel zum Eis, der Sonnenbrand zum Hautkarzinom und STS zu Griechenland. Der Schweiß gehört auch zu einem ordentlichen Rockkonzert (das Genre kann beliebig getauscht werden, auch bei einem klassischen Konzert im Mozarteum schwitzt das Publikum heimlich in die Abendrobe). Jeder gute Beischlaf wird unter gehöriger Transpiration vollzogen womit das Ganze auch noch schön glitschig wird. Halleluja, möchte ich rufen, wie ein Reverend in der Kirche der Verderbtheit.

Der Mensch will sogar in der Freizeit schwitzen und baut sich extra Hütten zum Schwitzen, wir sind die Meisterschwitzer:innen im Tierreich. Einige Anthroplog:innen gehen davon aus dass uns die Fähigkeit zu Schwitzen und damit unsere Körpertemperatur zu regulieren einen evolutionären Vorteil bei der Jagd geschaffen hat. Wohl gemerkt zu Homo erectus Zeiten, da dürften wir mehr oder weniger die Antilopen zu Tode gehetzt haben, da die Waffenkunde damals noch nicht so fortgeschritten war.

Der erhöhte Konsum tierischer Proteine könnte wiederum die Entwicklung der grauen Masse im Oberstübchen förderlich gewesen sein. Schlau durch Fleisch, das wäre doch mal ein Werbeslogan für die Fleischlobby. Obwohl das war vor 2 Millionen Jahren, jetzt könnte man durchaus anfangen wieder weniger Fleisch zu essen. Ich halt es eher wie die Schweine: mit einer ausgewogenen Ernährung fühl ich mich sauwohl. Übrigens, die können gar nicht schwitzen bzw. haben keine dings, no…… ja genau, ekkrine Schweißdrüsen, hauptsächlich deswegen suhlen sich die in der Erde.

Schwitzer:innen, alle miteinander sind wir, aber kommen wir nun zur dunklen Seite des Sommers. Der Sonnenstich und Brand, der Hitzeschlag der unbändige Durst und manchmal auch der verdammte Regen, Überschwemmungen, Katastrophen und der Tod lauern hinter jeder Ecke.

Wir haben keinen Nil oder Mississipi aber eine Salzach, einen Inn und die Donau. Die kommen auch  immer wieder übers Ufer und schwemmen die Sünden hinweg. Übrig bleibt stinkender Schlamm ein Haufen blutsaugender Mücken hin und da eine verloren gegangene Sandale, Blasen an den Händen vom Sand und Dreck schaufeln und verbrannte Haut vom Sonnenbad. Es sollte doch ein Sommer wie damals werden, drüben am Hügel wollten wir uns treffen. Alles weg, keine Vögel scheißen mehr vom Himmel, aus der Sommer ist aussi, so hush little baby don’t cry!

 

MC Randy Andy

Veröffentlicht unter Teaser

Golden Years

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. August – Die Band Tocotronic ist seit ihrer Mitbegründung der Hamburger Schule ein nicht wegzudenkender Beitrag zur sowohl selbstdenkorientierten als auch gefühlsganzheitlichen Lebenswahrnehmung vielster Mitmensch*innen geworden. Vor allem aber sind sie eine Band, die nie in einer Pose verharrte, um jahrzehntelang als Folklorezombie ihrer selbst (und ihrer Szene) zur Gaudi ihres Stammpublikums (und zum Klingeln der Kassen) wiederaufzuerstehen. Untote Endlosschleifner immer einunddesselben gibt es eh schon zum Speiben zuviel. Spätestens seit ihrem enigmatischen Song/Video “Ich tauche auf” (gemeinsam mit Soap&Skin Anja Plaschg) wissen wir, dass Tocotronic irgendwie “out of the box” sind. Und somit stellen wir euch (und uns) heute ihr aktuelles Album “Golden Years” vor.

Golden Years von TocotronicWenn ich da hineinhöre und mir die Texte von Dirk von Lowtzow durchs Bewusstsein wehen lasse, dann bin ich mir nie so ganz sicher, was das jetzt eigentlich ist … Philosophie? Selbstaufdieschaufelnehmung? Spiritualität? Lebenserfahrung? Weisheit? Verlorensein? Glück? Abgrund? Oder alles zusammen? Über all die Jahre sind uns immer wieder einzelne Aufblitzungen ihres fürwahr vielgestaltigen Schaffens begegnet, haben sich eingebrannt oder sind leise in uns eingesunken, nur um dann andernorts, andernzeits wie wohlvertraut wieder aus uns aufzutauchen. Das eine oder andere Mal haben wir davon berichtet, so wie wir im Radio immer von dem berichten, was sich gerade in uns ereignet. Zu Beispiel in den Sendungen “Songtexte auf deutsch” oder “Zwischen Leben und Überleben”. Abgesehen von den ganzen Alben “Schall und Wahn”, “Nie wieder Krieg” und eben jetzt “Golden Years”. Und auch Musikalben wollen, so wie Gedichte, erlebt werden.

Denn die zuvor aufgeworfene Frage, was das jetzt eigentlich ist, diese unserem Hirn und seiner Arbeitsweise so tief innewohnende Suche nach dem Vergleichbaren, nach Einteil- und Zuordenbarkeit, sie muss an der flirrenden Vielgestalt tocotronischer Verweise zerschellenund führt so zwangsläufig ins Leere. Oder ins Unendliche. Ist da, jenseits der vorgegebenen Bedeutung, jenseits der vermeintlichen Sicherheit, jenseits der vielleicht lebenslang falsch verstandenen Systeme womöglich doch auch ein Urgrund – unter dem grund- und bodenlosen Abgrund? Das Leben spüren …

Das Leben lebt … Golden Years.

 

Drawing the Line

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. August – Ich sitze vor einem leeren Blatt Papier und weiß nicht mehr, was ich mit diesem Sendungstitel eigentlich vorgehabt habe: “Drawing the Line”. Und ich zeichne eine vertikale Linie, ungefähr in der Mitte des quer liegenden Blattes, von oben nach unten. Und das Bild, das ich sehe, ist ein anderes geworden. Zuvor noch unendlich weiße Weite, die sämtliche Möglichkeit in sich trägt – und mich zugleich doch verunsichert, welchen von all den noch nicht sichtbaren Schritten ich gehen soll. Mit einer einzigen Linie wird aus der Leere ein Buch, ein Behältnis, eine Einladung zum Einsortieren. Links und Rechts sind auf einmal gut zu unterscheiden und zugleich auch wieder Teil eines größeren Ganzen. Es erscheint mir wie ein Wunder – eine Verwandlung aus dem Unbewussten.

Drawing The LineAuf ähnliche Weise funktioniert wohl auch “das Trennen”, von dem mir ein alter Freund unlängst erzählte. Gemeinsam mit seiner ersten Frau geriet er unmerklich (schleichend, wie er es nannte) in einen Zustand des Hinunterschluckens von vielen zunächst als störend empfundenen Wesensunterschieden, nur um die Harmonie der Verbundenheit oder der Symbiose nicht zu gefährden. Nach vielen Jahren stellte sich dann heraus, dass solches Vermeiden die Verbundenheit nicht nur nicht schützt, sondern sie sogar, ebenso unmerklich oder schleichend, geradezu zielstrebig zersetzt. Hmm. Abgesehen davon, dass wir über seinen Vorschlag “Wir sollten uns noch viel öfter trennen!” herzlich lachen mussten (und sofort beschlossen, dies im Rahmen unserer Freundschaft tatsächlich zu tun) – was ließe sich aus diesen Beobachtungen lernen? Kann es nicht sein, dass “Drawing the Line” als sanfter Akt der Selbstaussage oder als Einladung zum Unterscheiden unsere Beziehung zum jeweils anderen bereichert?

In unmittelbarer Nachbarschaft zu unserem Radiokunnstbiotop findet gegenwärtig in der Berchtoldvilla die Ausstellung 8 Milliarden statt, die uns einige Inspirationen rund ums Thema “Verschmelzen und Unterscheiden” bescherte. Speziell die Arbeiten von Johanna Hartung bringen es meiner Ansicht nach auf den Punkt: Unserem Werden und Entstehen liegt ein Naturprinzip zu Grunde. Aus der Verschmelzung von zwei Keimzellen wird durch fortwährende Zellteilung ein zuletzt einzigartiger Organismus. Sie (die Zellen) müssen sich trennen/unterscheiden, um die hoch spezielisierten Aufgaben des Systems Mensch zu erfüllen. Und in jeder einzelnen Zelle befindet sich die selbe DNA, die durch die eine ursächliche Verschmelzung zweier verschiedener Stränge entstanden ist – und die sich bei jeder weiteren Zellteilung als die immergleiche und zugleich wieder neu abbildet. Faszinierend. Wir sind also alle ohne Ausnahme bis in die einzelste Zelle hinein schon immer zugleich gleich und dabei genauso verschieden. Und wenn das so ist – und es ist tatsächlich so – dann sollte das doch auch für die anderen Aspekte unseres Lebens gelten: Für unsere Beziehungen, für unser Verhältnis zu uns selbst, für unsere Sicht auf die Welt und für unsere Kunst. Ich sitze vor einem leeren Blatt Papier und ich zeichne eine Linie

Drawing The LineDu kannst dich fast nicht mehr bewegen
Ich will mich wieder zu dir legen
Es gibt noch etwas zu erledigen
Bleib am Leben

Du hast dich fast schon aufgegeben
Aus dem Staub und in den Regen
Doch ich muss ganz deutlich sein
Ich lass dich nicht allein

Bleib am Leben

Drawing the Line. Damit man etwas trennen kann, muss es doch vorher verbunden gewesen sein, oder etwa nicht? Was aber, wenn dort, wo allgemein und üblicherweise davon ausgegangen wird, dass da unser “Urvertrauen” (aus der Geborgenheit bei der Mutter und in der Familie) herrührt, auf das wir im Verlauf unseres Lebens angeblich jederzeit zurück greifen können, nichts ist als das nackte Grauen? Können sich zwei zutiefst bindungsgestörte Menschen überhaupt jemals voneinander unterscheiden? Da ist es zunächst einmal gut, mit sich selbst entschieden “per Du” zu sein, finde ich.

Drawing the Line …

 

lt-2506

GRAVITATIONAL WAVES

Joseph Taylor won the nobel prize for physics together 40 years ago (1993) with his colleague and former student Russell Hulse for the the indirect prove of gravitational waves in binary pulsars.

Therefore we bring in this program facts about gravitational waves and comments and interview with the nobel prize winner Joseph Taylor.

With radio contributions from the own broadcast 2019.