Über artarium

Seit Herbst 07 "das etwas andere Kunnst-Biotop" in der Radiofabrik und seit Anfang 09 daselbst "im Schatten der Mozartkugel" als Artarium unterwegs. Immer auf der Suche nach neuen Gästen, Themen und Gestaltungsformen... Hochfrequenter Wortwetz- und Mundwerksmeister zwischen Live-Unmoderation und Poesie-Performance. Psychodelikate Audiocollagenkunst, stimmungsexzessive Hörweltendramaturgie, subversiver Seelenstriptease, unverzichtbares Urgewürz und... In diesem Unsinn zeig ich euch hier einen tieferen! Ab- und hintergründige Neu- und Nettigkeiten aus der wundersamen Welt des Artarium, seinen Gästinnen und Hörerichen. Kunnst mi eigntlich gern ham. So do mi - i di a! Bussal...

vom echten reden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. FebruarAuf gute Nachbarschaft! Begegnen wir einander, indem wir uns gegenseitig einladen und mitsammen “vom echten reden”. Die Kleinschreibung ist hier auch programmatisch, denn ob unsere Sendung heute “vom echten Reden” handelt oder ob wir mehr “vom Echten reden” oder ob beides halt zwei Aspekte von dem sind, was wir mit unserer Kollegin Mickey gemeinsam haben, das soll sich in unserem gegenseitigen Sendungsbesuch dann live und spontan ergeben. Wir (die Hasen) werden also heute bereits um 16:00 Uhr bei “What’s Next – Diskussion? Musik? Interview? Unvorhersehbar” zu Gast sein, danach gibts zur Entspannung die BBC-News, und schwuppdiwupp haben wir schon die Plätze getauscht, um unsere neue Sendeplatznachbarin bei uns zu bewirten

vom echten redenUnvorhersehbar, das sind wir ja sowieso gern (unlängst erst haben wir “das Unverfügbare” vorgestellt) und es ist auch ein gutes Stichwort für die einzigartigen Möglichkeiten, die Freies Radio (im Gegensatz zum privat-kommerziellen oder öffentlich-rechtlichen) der Entwicklung der Sendungsmacher_innen und ihrem Gestalten bietet. Hier wird nicht zuerst berechnet, was die “relevanten Zielgruppen” hören wollen (sollen) und daraufhin ein geschmeidig gleichklingendes Beliebtheitsformat erzeugt, damit am anderen Ende des Empfängnisgeräts die erwünschten Ergebnisse eintreten: “Österreich ist schön! Geiz ist geil! Schuld ist nur der Sündenbock!”

In der Radiofabrik sind Menschen am Werk, die so verschieden sind wie ihre vielen Interessensgebiete. Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen etwas davon mitteilen, was sie beschäftigt. Die das deswegen tun, weil sie es von sich aus wollen und weil sie dadurch andere Menschen mit etwas aus ihrem Leben berühren können. Dass sich das je nach Lebenssituation und Stimmungslage immer wieder mal anders anfühlt und eben auch anhört, das ist eigentlich selbstverständlich. Hier begegnen einander also Menschen, die man beim Hören noch spüren kann. Und das tut gut!

Daher freuen wir uns schon auf die Begegnung mit einer jungen Kollegin, die dieses Alleinstellungsmerkmal des Freien Radios, nämlich einfach “zu reden, wie ihr der Schnabel gewachsen ist”, auf ihre ganz eigene Art verwirklicht. Und das wollen wir diesmal mit ihr zusammen: Darüber reden, wie das so ist mit dem “darüber reden”. Schauen wir einmal, was dabei zu hören sein wird – und eben auch zu spüren. Wir sind davon überzeugt, dass die unsichtbaren Berührungen und Verbindungen, die so zustande kommen, Germ der Gesellschaft sind. Und das ist mehr als nur Radio.

Einen solchen gesellschaftlichen Mehrwert oder neudeutsch “Public Value” kann man auch wissenschaftlich erklären. Und wir sind daran beteiligt, ihn zu erschaffen!

 

Wenn Worte reden könnten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Februar“Ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass ein Bühnenprogramm von mir auch immer energetisch zu sein hat. Es muss Druck aufgebaut werden. Dann bleiben die Leute wach, wenn man Glück hat, wobei ich hier ein bißchen Pech habe, glaub ich, in der ersten Reihe, aber das ist mir ganz wichtig, es muss knallen, weißte, alles andere kann man sich auch im Fernsehen ankucken find ich…” So sprach Jochen Malmsheimer bei unserer ersten Begegnung nach einem seiner furiosen Auftritte in der ARGEkultur. Und seitdem ist er in unseren Sendungen immer wieder als Beitragstäter aus der Welt des entfesselten Worts gut zu hören gewesen – und das wird er auch heute wieder: “Wenn Worte reden könnten oder Vierzehn Tage im Leben einer Stunde” macht Literatur zum Bühnenerlebnis.

Wenn Worte reden könntenDass er diesmal auch prominent in der Nachtfahrt vorkommt, das hat mit der inneren Auswirkung seiner Wortfluten zu tun. Die reißen einen nämlich geradezu mit hinein in einen Strudel aus Szenen, Stimmen und Stimmungen, dazu noch in derart mehrfacher Gleichzeitigkeit, dass es einem beim bloßen Zuhören die Glückshormone durch sämtliche Synapsen spült. Jochens präzise formulierte Beobachtungen aus dem seltsamen, bizarren und absurden Verhaltenszoo der an- und verwesenden Menschenleute sind für sich allein schon köstliche Kunst, entfalten jedoch durch die Übersteigerung ins Phantastische noch eine weitere Wirksamkeitsebene, mit der wir unvermittelt in die unendliche Bilderwelt unserer Vorstellungskraft eintreten. Vor allem aber müssen wir immer und immer wieder lachen, zumal wir die meisten der hier dargestellten Schrägheiten aus dem Menschentum schon selbst beobachtet und dabei innerlich kommentiert haben, nur eben nicht so verdichtet ausformuliert.

Der Witz ist das Zusammentreffen einer möglichen mit einer unmöglichen Ebene. Es von der Bühne herab (oder aus dem Ohrenkopf) präsentiert zu bekommen, dass wir den unsäglichen und oft unerträglichen Irrwitzigkeiten des uns umplempernden Weltgedümmels durchaus auch wortgewaltsam entgegentreten können, das lässt uns, jedenfalls in der Phantasie, Selbstwirksamkeit erfahren. Erinnern wir uns dabei an das Mediopassiv (Hartmut Rosa), so stellen wir fest, dass wir weder allmächtig noch ohnmächtig sind, sondern sowohl aktiv als auch passiv am Dasein beteiligt.

Wir sind grundsätzlich der Ansicht, dass Jochen Malmsheimer erlebt gehört. Es muss knallen, weißte, alles andere kann man sich auch im Radio anhören. Daher rufen wir: Treten sie zu – im Hörtheater unseres Vertrauens! Wenn Worte reden könnten, dann könnten Zahlen rechnen? Worte können unsere Welt verwandeln, wenn man sie lässt.

Radio Artarium feat. Gunkl & Malmsheimer

 

Kommando Pimperle

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. FebruarInbetween, inbetweener, inbetweenst. Zwischen Wintersonnenwende und Weiberfastnacht steigern wir uns mit gepflegtem Weltuntergangshumor in ein erlösendes Lachen. “Mein Über-Ich hat Übergwicht” – eine interessante Beschreibung der depressiven Schräglagen des Seins – und ein Fall für unsere paradoxe Intervention aus Musik, Lyrik und angewandter Weltsatire. Was das ist? Na eben Kunnst (mit zwei N) oder “Kunnst dir was ganz anderes vorstellen?” Ungeahnte Abzweigungen mäandern im menschlichen Gehirn – und warten nur darauf, dass sich endlich wieder was bewegt. Und abgesehen von seinen erheiternden Wortassoziationen (wenn man selbst daran rumdreht), kann ein Kinderspiel wie “Kommando Pimperle” auch sonst so einiges …

Kalksburger NockerlnWillkommen in unserer begehbaren Hörkunstwelt mitten zwischen dem Lebensaufbegehren in uns allen – und dem Niedergang nicht nur des Abendlands ringsumher. Draußen vor der Tür regiert das Schwein von Kotzbühel und es befällt einen die Einsicht, dass sich die Auswüchse des “ökonomischen Diktats”, dem wir alle unterworfen sind, auch beim besten Willen schlicht nicht mehr schönsaufen lassen. Und es gibt darüber hinaus viele gute Gründe, bei dem ganzen Umpfzirkus im Weltgedümmel von Konsumwichtelhausen nicht mehr mitspielen zu wollen: “Leckts mi doch olle am Oasch!“ Das ist die eine Seite dessen, was in uns wirkt. Und was naturgemäß unsere Wirklichkeit (und wie wir sie wahrnehmen) formt und bestimmt. Eh klar, was auf uns einwirkt, wirkt sich in uns aus. Und wirkt sich wiederum durch uns auf die Welt um uns aus. Ein Teufelskreis, in dem sich die Katze, die auf dem Vulkan tanzt, fortwährend in den eigenen Schwanz beißt. Absurdes Theater in der French Disko.

Kein Ende in SichtAber halt! Wollen wir uns wieder einkriegen. Es gibt ja noch eine andere Seite – die innere. Die ist ein ebenso vielgestaltiges Hupftheater wie die äußere. Und wer da nicht alles mit- und durcheinander reden, gestikulieren und sich aufführen möchte! Ganze Vogelschwärme an inneren Stimmen und Stimmungen – die wir zumeist mit eigenen Gedanken und Gefühlen verwechseln, weil sie so gut verkleidet sind. Ich sag ja: “Mein Über-Ich kriegt Übergwicht – ganz langsam und ich merk es nicht.” Und je nachdem, was da alles auf dessen langen Listen zur richtigen Anpassung steht, kommt da und dort unmerklich ein Quentchen Stress dazu, so dass sich das innere Gleichgewicht schwupps in eine schiefe Ebene verwandelt, auf der man nur noch in den Abgrund rutscht. Die verinnerlichten Anweisungen “zum richtigen Verhalten” sind ja nicht alle so erkennbar unsinnig, dass sie sich von den “eigenen guten Ideen” unterscheiden ließen – und etliche davon sind zudem auch noch durchaus sinnvoll und brauchbar. Nur wie durch Zauberhand verhext und verteufelt brüllen sie alle zugleich auf uns ein wie ein einziges vermaledeites Kommando. Da kann einem ganz schön Pimperle werden dabei. Kopf oder Geier! Wer kann da auseinander halten, was in ihm tobt?

Kommando PimperleWer kann sich überhaupt selbst auseinanderhalten? Niemand! Ein weiser Seelenforscher (und da war er schon weit über 80 Jahre alt) hat einmal zu mir gesagt, dass Literatur und Kunst, so bedeutsam sie auch fürs Empfinden und Verstehen sein mögen, genau dabei ans Ende ihrer Wirksamkeit kommen. Nach seiner Erfahrung sei das Gesundwerden der eigenen inneren Verletztheit nur mit Hilfe von außenstehenden Personen möglich – etwa im Rahmen einer Therapie oder einer Liebesbeziehung. Ich nehme dann mindestens beides (weil sich das gegenseitig schwer befruchtet) und die Literatur und die Kunst gleich dazu (weil ich mich selbst auch weiterhin neugierig erkunden möchte). Und weil wir alle (graduell unterschiedlich schwer) traumatisiert sind, allein schon durch den Zwang zur Anpassung an das Nichthinterfragbare, und weil wir alle (nicht nur im Gehirn) voneinander verschieden verkabelt sind, sollten wir uns auf das kleine Kind einigen, das in uns allen lebenwollend herumstoffwechselt.

Hey, hey – meine Freunde vom leidenden Leben …

 

Das Unverfügbare

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Januar – Zwischen der Versenkung in den Abgrund der Endlichkeit und dem ausgewachsenen Weltuntergangshumor gibt es einen Übergang, der mitunter kaum wahrnehmbar ist. Ähnlich wie derjenige zwischen Euphorie und Depression, der sich im winzigkleinen “synaptischen Spalt” abspielt. Oder überhaupt der zwischen Wollen und Vollbringen. Überall dort, wo es zu einem Übergang zwischen dem Einen und einem Anderen kommt, ist das Unverfügbare. Der Soziologe Hartmut Rosa (dessen Arbeiten über Beschleunigung und Resonanz wir bereits eine Sendung widmeten) hat inzwischen ein wohltuend gescheites Buch über das Phänomen der Unverfügbarkeit geschrieben, dem wir uns heute in einigen Aspekten zuwenden wollen, etwa im Vergleich der Druckausgabe mit dem Hörbuch.

Das UnverfügbareGetreu unserem bekannten Bestreben, einen Autor auch jenseits seiner Bücher erlebbar zu machen, stellen wir die von Axel Wostry gelesene Hörprobe einem von Hartmut Rosa vor Studenten gehaltenen Vortrag gegenüber. Einem Vortrag übrigens aus der Ringvorlesung der Europa-Universität Flensburg, deren zweiteiliger Aufbau (jeweils vor und nach der Corona-Pandemie) das Thema Unverfügbarkeit auf drastische Weise veranschaulicht. Der Wettbewerb “Eine Uni – ein Buch” (aus dem die Veranstaltung in Flensburg hervorging) ist sowieso ein Höhepunkt an fächerübergreifender Bildungsvermittlung, wie er hierzulande leider nirgends, und zwar nicht einmal in Ansätzen, stattzufinden scheint. Warum ist das so?

An dieser Stelle (gar nicht unabsichtlich) zurück zur Versenkung in den Abgrund des Endlichen und zu der restlos unguten Stimmung, die beim Betrachten der eigenen Ausweglosigkeit aufkommt. Noch dazu inmitten einer Welt, die an allen Ecken und Enden von Betrügern und Berserkern zugrunde gerichtet wird, dass es nur so kracht. Wie heilsam wäre in dieser Situation ein herzhaftes Lachenkönnen und das Gefühl, sich mit Sprachwitz und Verstand zumindest gegen eine der Erscheinungsformen der allumbrodelnden Verblödungsindustrie zur Wehr setzen zu können! Versuchen wir es diesfalls mit Jochen Malmsheimer und seiner fulminanten Parodie einer Radio-Talk-Show zum Thema “Hebe-Kipp-Fenster und Schiebe-Dreh-Türen”. Inmitten all des uns zerquasselnden Entertainzements so etwas wie “Weltuntergangshumor”.

 

Wir Spätmodernen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Januar – Es war einmal ein Büchermensch, der in ein Gefängnis gesperrt worden war, mitten zwischen all die Berufsverbrecher mit ihren unterschiedlichen Gewaltausbildungen. Eines Tages fragte ihn der Anführer einer Einbrecherbande: “Was sollen wir mit dir anfangen, du blasses Bürscherl?” Worauf er antwortete: “Vielleicht bringt euch das eine oder andere, von dem ich euch erzähle, auf neue Gedanken. Vielleicht sogar dort, wo ihr bisher noch nicht hingedacht habt. Wenn nicht, ist es einfach Unterhaltung.” Und mit der Zeit wurde er, ob er wollte oder nicht, zu einem angesehenen Mitglied der Häfenbruderschaft. Was können wir daraus lernen? Die Moral von der Geschicht – ist die Geschicht. (Axel Corti). Und alles ist relativ – auch das mit der Freiheit und der Unterhaltungsindustrie. (frei nach Albert Einstein).

Wir SpätmodernenWir stehen doch alle im Fluss des Lebens und suchen nach dem einen oder anderen Körnchen WahrheitWillkommen in der Metapher – das für uns von besonderem Wert sein könnte. Nach einem neuen Impuls, der uns über den Stillstand hinaus befördert und uns glücklich macht. Nach dem nächsten Thema oder einfach einer winzigkleinen Idee, damit wir unserem Leben jenseits des “da kommt eh nichts mehr” wieder einen Sinn geben können. Und wenn nicht, dann befinden wir uns im Suchen selbst schon mitten “im Flow” und von Natur aus im Glückszustand zwischen Überforderung und Langeweile. Ein vielfach Hoch auf die daran (auch ganz ohne äußere Drogen) beteiligte Hirnchemie. Wir sind allesamt Kinder, die allein schon in der Tätigkeit des Goldwaschens oder Perlentauchens oder eben Sinnsuchens aufgehen. Betrachten wir also, was meist unbeobachtet vor sich geht – und zeigen wir einander, was wir dabei alles entdecken können.

In unserem Fall sind das Bücher, Gedanken und Themen, die wir in uns aufnehmen und die wir durch uns weiter entwickeln. Gedichte und Geschichten, die etwas in uns zum Klingen bringen und die sich dadurch auch in etwas Eigenes verwandeln, das wir wiederum weitergeben können. Und Musikstücke, die in ihrer Stimmung dazu beitragen, die vielen einzelnen Gedankenfäden zu einem größeren Erzählteppich zu verweben und Gefühlszustände, Erinnerungsfragmente sowie innere Bilderfluten mit dem Außenwelttheater in Zusammenhang zu bringen. Was hast du so gemacht?

Ach ja – Jeff Beck ist jetzt auch gestorbenDoch Venus in Furs wird uns bleiben.

 

Lou Reed – New York Songs

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Januar“Well I know one thing that really is true: This here’s a zoo and the keeper ain’t you – and I’m sick of it. I’m sick of you!” Lou Reed war immer schon beides zugleich: Beißend und liebevoll. Auch in seinem wohl gesellschaftskritischsten Album “New York” aus dem Jahr 1989, welches wir hier fast zur Gänze vorstellen. Liebe Österreicherl und -innerln, der sagenumrankte Gründer der Velvet Underground, langjährige Freund von Andy Warhol und schlussendliche Ehemann von Laurie Anderson serviert der Welt und uns darauf ein Lied über den verlogenen Schönsprech von politischem Personal, der als freundliche Fassade dessen innere Bosheit überdeckt: “Good Evening Mr. Waldheim”. Oder haben wir längst vergesserln, dass “damals” nur sein Pferderl bei der SA gewesen sein soll?

Lou Reed & John CaleIllustrieren wollen wir die heutige Songsammlung allerdings mit dem Cover der kurz darauf – anlässlich von Warhols Tod – entstandenen “Songs For Drella”. Und um der sensiblen Seite des Rockpoeten gerecht zu werden, haben wir auch den Titel “Hello it’s Me” in unsere Playlist eingearbeitet. Wie heißt es im Rolling Stone: “Reed verfolgte fortan das Ziel, die Empfindsamkeit des Romans in die Rockmusik zu übersetzen.” Dem haben wir nicht viel hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass wir davon überzeugt sind, es tut einer in alle Richtungen auseinander fallenden Welt gut, wenn Menschen in ihr leben, die vermeintliche Gegensätze miteinander in Verbindung bringen können. Oder die sich zumindest daran abarbeiten, dieses wieder und wieder zu versuchen. Und so stellen wir diese knappe Stunde, in der lyrischer Text und expressive Musik verschmelzen, genau zwischen eine Spontanerzählung und eine Klangweltreise – um wieder einmal einen Zusammenhang zu stiften inmitten einer Radiofabrik, von der man oft sagt, zwischen ihren Sendungen gäbe es “die härtesten Übergänge”.

Heute, bald 10 Jahre nach seinem Tod (an den Folgen einer Lebertransplantation) befindet sich Lou Reed fraglos unter den ganz großen Poeten und Propheten der Musikwelt, wie zum Beispiel Leonard Cohen, Patti Smith oder Bob Dylan, eine gar beachtliche Ahnenreihe unserer Generation, die allesamt jenseits ihrer jeweiligen Einordnung in irgend einen Verwertungszweck zeitlose Schönheit und Wahrheit erschufen, an denen sich jede wie auch immer geartete Weltwidmung bis in alle Zukunft die Zähne ausbeißen wird. So ist das nämlich, nicht nur mit der Poesie!

I’m sick of you.

 

Rolle seitwärts

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Januar – Es geht wieder aufwärts. Die Nacht der Nächte ist vorüber. Welche das jetzt genau ist? Geh, bitte! Auf jeden Fall tauchen wir wieder auf und stellen zufrieden fest, dass der Sender noch funktioniert. Mitunter ist es ausgesprochen hilfreich, eine Rolle seitwärts zu vollführen, um dem Zerquetschtwerden zu entgehen. Oder dem Zerquatschtwerden durch das Dauergeplärr und Geklingel aus verheimlichter Absicht. In der Mitte unseres Lebens (des weiten Landes, das wir gern wieder selbst in Besitz nehmen möchten) steht ein riesiger Sendeturm, aus dessen Lautsprechern unaufhörlich Anweisungen dringen, wie wir gefälligst angepasst zu funktionieren haben, weil sonst… Doch in dem Turm ist nichts weiter als ein verstaubtes Abspielgerät. Das ist aber tatsächlich unerhört!

Rolle seitwärts - ein Kind im KopfDa mag die Weltherrschaft uns niederzwingen mit Ukrainekrieg und Fernsehwerbung (beides brutale Gewalt), gegen das Kind im Kopf ist kein Kraut gewachsen. Und wenn es wieder einmal seitwärts aus dem Dickicht der Depression aussteigt, sich auf die nächstbeste Erhebung setzt und uns einladend anlacht – dann kann es uns dazu verhelfen, alles ganz anders, ganz uralt und neu zugleich zu betrachten. Denn das bin ja ich selbst. Grüß mich! Wie schön, dass ich mich wieder mal treff. Ich hab mich schon fast vergessen. Aber es gibt mich noch. Und auch die anderen. Die ganz anderen sogar. Die Queraussteiger aus dem Programm der Zugrundenutzung. Die Funkrelaisstation und die trianguläre Peilung sind eben auch auf die menschliche Kommunikation anwendbar. Insbesonders auf die mit sich selbst. Oder wie willst du dich selbst erkennen ohne innere Distanz oder ohne dabei verschiedene Blickwinkel einzunehmen? Alles eine Frage der Perspektive, fragen sie ihren Martin Buber oder…

Rolle seitwärts - ein SchlumpfMichael Köhlmeier! Ich gebe zu, dass mich das Eintauchen in sein Hörbuch “Matou” geradezu durch die dunkelsten Nächte hindurch gerettet hat. So viele Wandlungen, Verwandlungen, Zeitwechsel und -sprünge, Positionsänderungen und Assoziationen, wie er dabei vollführt, das ist atemlosmachend, verführerisch, inspirierendund zu allen erdenklichen Abenteuern im wahrsten Sinn mitreißend. Der geniale Kunstkniff ist der lesende, der schreibende, der vor sich hin sinnierende und erzählende Kater! Er schreibt heftig… schwach… schwelgerisch… und kommt dabei zu keinem Ende (schließlich hat er ja sieben Leben) oder zugleich zu hunderttausenden (denn soviele Fäden hat sein Erzählgewebe aus fliegendem Teppich und Philosophie), letztendlich aber doch zu einem (wir müssen alle sterben), das vielleicht gar nicht das Ende ist (weil auch die Vollendung des siebten Kreises zu einem großen Kreis wiederum nichts anderes ist als der Beginn eines weiteren, noch größeren Kreises, in dem die anderen dann enthalten sein werden, was wir aber jetzt und von hier aus nicht sehen können).

Rolle seitwärts - einer ist zufriedenEin Geschichtenerzähltiger und Mythenmetzreaktor, dem wir uns schon in einem Artarium auf die Fährte gesetzt haben. Gefährten des Lebens trotz Lebensgefahr! Woraus seine inneren Brennstäbe bestehen, das zu ergründen und zu erklären interessiert hier nicht. Das begreift man entweder eh – oder lass es! Denkprozesse, die nicht rechtshemisphärisch dominiert ablaufen, sind mir zu flach und zu langweiligeine Befehlszeile nach der nächsten, ohne erkennbaren Gefühlsanteil. Menschenleute, die sich wie Roboter (nicht) anfühlen und dabei dreinschauen wie semantische Leerzeichen, mit denen das Nichts dazwischen kaschiert werden soll. Entkernte Seelen auf dem Weg ins Nirgendwo warten auf die nächste Anweisung und schlagen ihre viel zu lange Lebenszeit mit abgestandenem Entertainment tot. Oder in Ermangelung von Irgendwas halt stellvertretend das nächstbeste Leben. Maschinen mit Emotionen. Künstliche Intelligenz? Dass ich nicht lache, liebes Kind!

Es sind schon ganz andere beiseitegetreten (worden).

 

Ein unkastrierter Kater

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. JanuarMichael Köhlmeier hat es also wieder getan: Er hat ein Buch geschrieben. Einen weit ausladenden Roman. Noch dazu aus der Perspektive eines Katers, der in seinem siebten Leben seine sechs vorangegangenen erzählt, also quasi seine Memoiren schreibt, die wir auf knapp 1000 Seiten lesen oder (fast noch besser) als gut 40-stündiges Hörbuch von ihm selbst vorlesen lassen können. Der Kater heißt Matougenauer Monsieur Matou – und das bedeutet, dass er ein unkastrierter Kater ist, worauf er großen Wert legt, wie wir in seinem Bericht, unter vielem anderen, erfahren. Denn die sieben Leben dieses sprechen und schreiben könnenden Katers fangen bei der französischen Revolution an – und reichen bis zur studentischen Gegenwart in Wien und Berlin.

Katzen und ein unkastrierter KaterInklusive seiner jeweils dazwischen liegenden Aufenthalte “im Weggemachten”, einer von uns Menschen eher unbeholfen als “Jenseits” beschriebene Dimension. Eine Zwischenwelt des Übergangs von einem vergangenen in ein neues Leben, das sich die darin befindlichen Katzen selbst aus einem “Katalog” auswählen können. Hier berührt uns der in dieses Buch verdichtete Schatz aus all den verschiedenen Lebensthemen und Arbeiten seines Autors – und den wollen wir in dieser Sendung endlich zu Gespür bringen. Denn nichts ist sinnloser und missverständlicher als die unbeholfenen Versuche, diesen vielschichtigen Roman, der viel mehr als nur die Summe seiner Teile ist, auf irgendeine pseudosachbezogene Weise vorstellen, verkaufen, kritisieren oder interpretieren zu wollen. Diesem vielfach vollzogenen Schuss ins eigene Knie (gern auch in den Ofen, lieber Matou, der du dich sieben Leben lang an der Verwendung von Metaphern durch uns Menschen abarbeitest) liegt ein weltumspannender Irrtum zugrunde – nämlich das Nichtverstehen und somit das Nichtunterscheidenkönnen von rechtshemisphärisch und linkshemisphärisch geprägten Denkprozessen. In linkshemisphärisch geprägten Kategorien ist Köhlmeiers Welt nicht zu begreifen.

Was in vielen Rezensionen als ermüdender Mangel an Ordnung und Struktur beklagt wird (etwa das sprunghafte Erzählen des Katers Matou quer durch philosophische Gedanken, spontane Einfälle, Erinnerungen sowie geruchs-, geräusch-, gefühls- und vorstellungsbedingte Assoziationen, in Vor- und Rückblenden und sich zeitlos dehnenden Augenblicken undsoweiter), das ist die rechtshemisphärisch gestaltete Vielwelt aus Wechselwirkung und Gleichzeitigkeit, mit der das vielleicht gar nicht so geheime Leben der Phantasie im Erzählen wie im Zuhören Wirklichkeit wird

Michael Köhlmeier – Take a walk on the wild side

 

Lauf, Hase, lauf …

> Sendung: Artarium vom Weihnachtssonntag, 25. Dezember – Und wieder einmal ist es soweit: Christentum, Brauchtum, Konsumall das ineinander geschichtet und übereinander aufgetürmt, so undurchdringlich zuviel und alles auf einmal – da möchte manch Menschenkind gern die Flucht ergreifen oder lieber gar nicht dabei gewesen sein. Lauf, Hase, lauf … Es war übrigens Georg Danzer, der zusammen mit Wilfried Scheutz erstmals die Perspektive des Hasen in einen Popsong einführte, um so das ohnmächtige Ausgeliefertsein angesichts von Gewalt und Verfolgung deutlich zu machen. “They crept on your tail, I know you wonder why, you’re so easy to hurt” heißt es in der englischen Version. Und das veranschaulicht auf erschreckende Weise, wie schutzbedürftig wir alle wären – als Kinder, die wir immer sind – oder eben als Hasen.

Der Gott allerdings, der da im Text “der Jagd ein Ende macht” muss etwas ganz anderes sein als all die blöden (und bösen!) Bilder, die uns andauernd von ihm gemacht werden, egal von welcher Über-Ich-kompatiblen PR-Abteilung oder Weltanschauungsindustrie. Es geht doch stets ums Ausgenutztwerden, um falsche Heilsversprechen oder um den mit Todesstrafe drohenden Kinderschreck. Das “Fest der Liebe” ist, so wie es sich den Empfindsamen heute oft tatsächlich darstellt, eher eine Gefahr, der es zu entrinnen oder die es zu überleben gilt. Liebe Mitopfer der Menschenvernichtungsmaschine, wir sind auf eurer Seite – weil wir “die dunkle Seite” von Weihnachten genauso erleiden wie ihr. Wir können euch leider das Leid über die Ungerechtigkeit auf der Welt nicht einfach wegblasen, auch wenn wir nur allzu gern den Frieden auf Erden ausrufen und ihn von dem Moment an zusammen mit euch erleben möchten. Wir können euch leider auch den Schmerz über die Gemeinheit und Gefühllosigkeit von Menschen, die euch Schaden zufügen, nicht einfach so wegmachen. Aber wir können unseren Schmerz und unser Leid mit euch teilen, um auf diesem Weg gemeinsam durch die Finsternis unserer Einsamkeit zu gelangen.

Wollen wir dem Abgrund in uns standhaltendenn noch leben wir – und uns ein paar wirklich “besinnliche” Betrachtungen rund um die speziellen Seinszustände gefühlsmenschlicher Nachtfahrten zu Gemüte führen. Die eigenen Kinder nicht “in den Krieg geben zu wollen” etwa. Oder als Jugendlicher mit Elektroschocks ”von der Homosexualität geheilt werden zu sollen”. Im Rückblick eine Lebensbilanz voll von vergeblichen Versuchen zu entdecken. Und plötzlich ratlos und bestürzt vor dem drohenden Ende der Welt zu stehen: “We must stop this mindless consuming!”

United Vibrations – I am we

 

Frieden auf Erden und …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. DezemberGibt es so etwas wie eine “Weihnachtsthematik”? Wir wollen an diesem 4. Adventsonntag unserer Sehnsucht nach Frieden nachspüren. Mit “Frieden” kann dabei vielerlei gemeint sein – nicht bloß (aber durchaus auch) die oft zitierte “Abwesenheit von Krieg”. Das Einvernehmen mit sich selbst etwa. Das Wissen um ein für sich selbst und andere sinnerfüllendes Leben. Das Wahrgenommen- und Ernstgenommenwerden als Mensch auf dieser Welt. Das nicht von vorn herein zu irgendeinem Nutzzweck abkommandiert werden. Das nicht missbraucht, nicht geschlagen, nicht terrorisiert, nicht verletzt werden. Wir sehen schon – das sind eigentlich Selbstverständlichkeiten, die in der Welt, in der wir leben, so überhaupt nicht selbstverständlich sind. Jedes Kind müsste daran verzweifeln

Frieden auf ErdenWenn es nicht das Grauen, in das es hinein blickt, durch Abspaltung eines Teils seiner Gefühlswelt (und damit auch seiner Persönlichkeit) zu neutralisieren vermöchte, um weiter leben, um überhaupt überleben zu können. Seitdem, liebe Kinder und Mitkrüppel, leben wir teilamputiert und befangen im Zwischendrin von Über-Ich und Es, von Anpassung und Rebellion. Das klingt zunächst eher betrüblich und ausweglos. Ist es auch. Jedoch müssen wir für unsere Betrachtung unbedingt die Perspektive des Kindes einnehmen, um nachvollziehen zu können, wie sich das Nichtvorhandensein von Frieden und der verzweifelte Wunsch und die abgrundtiefe Sehnsucht danach anfühlen. Schließlich sind wir alle nach wie vor Kinder, ist all unser Erleben als Kind in unserer Erinnerung, auch in unserem Körpergedächtnis, dauerhaft abgespeichert. Und ganz egal, was wir da erlebt und erlitten haben (und durch welches Ereignis die einstige Ohnmacht und Ausgeliefertheit wieder hervorgerufen wird) – wir sehnen uns nur nach einem: Es soll endlich Frieden sein. Frieden auf Erden und Frieden in uns.

“Ich küsste gerne Mädchen. Ich küsste gerne Jungs. Und nach jedem Kuss habe ich mich gefragt, warum man sich da entscheiden muss.” Rainald Grebe formuliert diese tröstliche Wahrheit als Rückblick auf seine Kindheit und Jugend in einem schönen Lied namens “In Between” und legt uns damit eine erste Spur zum Frieden mit sich selbst. Und Max Prosa nimmt in seinem unter dem Eindruck von Krieg und Gewalt gedichteten “Wann könnt ihr endlich friedlich sein” konsequent die Position eines bedürftigen Kindes ein. Diese Sichtweise könnte der Beginn einer Lösung für das Problem mit dem nichtvorhandenen Frieden auf der Welt sein. Ein Kind weint

Wir sehnen uns nach Frieden.