Attwenger – Drum

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. JuniDie Schwierigkeit ist, etwas möglichst Eigenständiges zu schreiben. Immer. Und gerade im Hinblick auf eine “Band” (ein Musikprojekt, das mehr als nur ein Musikprojekt ist), über die schon so viel gesagt und geschrieben wurde, dass es geradezu ein Gestrüpp ist aus Worten, fast schon eine Überflut aus Sprachbildern und Stimmungen. Was also macht (für uns – hier und jetzt) das Außerordentliche, das Besondere, das Einzigartige von Attwenger aus? Kollege Andreas Woldrich hat 2011 ihr Album “Flux” gepriesen und Bernhard Flieher hat 2010 ihren ARGE-Auftritt als “Die Goaß” rezensiert, alles höchst löbliche Versuche, der flirrenden Vielschicht rund um, über und hinter den Kunstwelten der zwei Herren Markus Binder und Hans Peter Falkner beizukommen.

Attwenger - DrumFür den Verfasser dieses Artikels (ist er auch ein Kollektiv?) besteht die bemerkenswerteste Eigenart von Attwenger (die es inzwischen seit mehr als 30 Jahren sowie 12 Alben gibt) darin, nach wie vor die eigenen Wurzeln zu pflegen (als da sind Volksmusik, popkulturelle Zitate und “Punk” als Philosophie) und gleichzeitig immer wieder neue Einflüsse, Stilrichtungen, akute Ideen in ihre Produktionen hinein zu verbearbeiten – wodurch ihre Songs auch über so viele Jahre hinweg nie langweilig klingen und zugleich als durch und durch attwengerisch wiederzuerkennen sind. Das allein wäre schon mehr als nur erstaunlich inmitten dieser zunehmend gleichförmig daherwabernden Eintönig-, ja Autotunigkeit, mit der wir allerohren umschwappt und zugeschoben werden – und Exitinnitus! Diesem Mehrheitsklonglumpert aus allerlei Massenblödien, Quasselödien und Kassenschmähdien wird eine hochkomplexe Individualphantasie zuwider gesetzt, dass es eine feste Freude ist, auch heute wieder nicht untergegangen zu sein. Lieder wie Rettungsinseln im Strom

Wir stellen euch also das aktuelle Attwenger-Album “Drum” vor. Und – bei wem auch immer – wir tun das aus tiefster Überzeugung. Und wir verneigen uns innerlich vor den immer wieder aufs neue erhellenden und zum eigenen Dichten und Denken anstiftenden Attwenger-Texten (welche auf deren hervorragender Homepage alle zum Mitlesen dargereicht werden). Kein Fall fürs Urheber- und Rechtsmuseum! Stattdessen spüren wir, wie H. C. Artmann lebendig fortwirkt, und wir erleben Ernst Jandl beim wunschgemäß weiter gejandlt werden. Ein therapeutischer Auszug:

bodeschlapfm oabeitsgwaund
zeidunglesn kontoschtaund

regnschirme schdromverbrauch
flaummenwerfer goatnschlauch

nudlsuppm lippmschdift
propaganda gegngift

einbaunschdrossn mehrwegfloschn
gleidahogn töllawoschn

unterhosn oberflächn
und wos soi ma nu besprechn

klimawaundl schwiegermuada
lebenswaundl voglfuada

hauffmweise emotionen
tonnenweise emissionen

bisness class economy
fliagd der kas jetz ohne mi

mir wird des olles zu real
i brauch an aundaren kanal
mir wird des ois zu realistisch
mir wird des olles zu real

die realität is a skandal
die realität is so real
mir is des ois zu offensichtlich
mir is des olles zu real

i brauch auf jedn foi
a zweite realität
wei mit ana ala
si des niemois ausged

mit ana ala
jo do kum i ned aus
mit ana ala
na do hob i ka chance

diese realität doda
die ged mi so au
dera realität doda
der renn i davau

waun des nur so weidaged
immer a realität
i sogs aso wias is
des mocht mi voikommen bled

Attwenger – real

Lesenswert: Zum Songtexten und drum herum Markus Binder im mica-Interview

 

Ein Kind ist kein Kübel

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. JuniIst das nicht eine seltsame Vorstellung, ein Kind als eine Art leeres Gefäß zu begreifen, das man mit allerlei “Bildung” befüllen müsse, damit es als Erwachsener “richtig” funktioniert? Eine sehr einseitige Sichtweise. Denn wiewohl jedes Menschenkind im Verlauf seiner Entwicklung die unterschiedlichsten Künste erlernen kann, um später einmal gutes Essen zuzubereiten (um hier nur ein Beispiel zu nennen), so ist doch das Vollstopfen mit den unerfüllten Wünschen seiner Vorfahren gelinde gesagt grober Missbrauch. Ein Kind nimmt von Anfang an alles wahr, was da ist. Damit umzugehen lernt es ein Leben lang. Es irgendwie “abrichten” zu wollen, auf dass es willenlos “gehorcht”, das entlarvt vor allem die Absicht seiner “Erziehenden”, es “besitzen” zu wollen.

Ein Kind ist kein Kübel Hubert von Goisern erzählt von einer Fronleichnamsprozession auf dem Hallstätter See, zu der er mit seinen Kindern zusammen in einem Boot hinfuhr. Plötzlich wendete sich die Aufmerksamkeit der Leute auf den “berühmten” Musiker und es wurde ihm so unangenehm, dass er sich lieber wieder zurückgezogen hätte. Sein Sohn hingegen, der das Geschehen gern weiter beobachten wollte, schrie den Vater im Verlauf des nun folgenden Interessenskonflikts lauthals an: “Du wolltest doch immer berühmt sein, und jetzt ist dir das auch nicht recht!” Diese so gnadenlos offen zum Ausdruck gebrachte und, wie er sagt kompromisslose Wahrheit (die ihm zunächst einfach nur peinlich war), versteht Hubert von Goisern mittlerweile als wesentlichen Beitrag zu seiner eigenen Lebendigkeit. Als “Mitteilung”, die ihn zugleich auf dem Boden der Tatsachen hält und eben auch befreit, bereichert und zu neuen Einsichten inspiriert. Erlösende Selbsterkenntnis aus dem Mund eines Kindes kann die Welt verwandeln.

Ein Kind ist kein KübelUnd wenn es uns überraschend aus dem Schatten heraus anfällt und uns das vernichtende Urteil “nicht mit uns selbst überein zu stimmen” ins Gesicht schmeißt? Halten wir dem stand? Halten wir das aus? Wofür halten wir uns? Unsere Kinder (und damit sind auch unsere inneren gemeint) haben das Recht, zornig zu sein, verzweifelt, wütend und kompliziert. Und wir haben genau zwei Möglichkeiten: Kommen wir in Bewegung oder erstarren wir vor Angst. Entwickeln wir uns weiter oder verharren wir im erreichten Stillstand. Es gibt wirklich nur zwei Richtungen. Zum Leben – oder zum Tod. Solang wir aber leben, warum sollten wir dem, was unsere Zukunft ist, den Tod auferlegen, den wir selbst verdrängen, etwa weil wir ihn nicht wahrhaben wollen? Vielleicht ist ja “das vernichtende Urteil”, das da in uns steckt und das unsere Kinder unbefangener ausdrücken können als wir selbst, ein “vermeintlich vernichtendes” und wir sind verfangen in einem Gespinst aus falschen Vorstellungen vom Leben?

Ein Kind ist kein KübelUnd wenn diese Vorstellungen in uns zusammenbrechen, wenn “die Welt, wie wir sie kennen” plötzlich aufhört zu existieren – was dann? Können wir scheitern? Können wir danach, damit weiter leben? Arno Gruen übersetzt aus John Colliers 1947 erschienenem Buch Indians of the Americas: “Der Indianer hatte das Ziel, ein volles Leben – trotz materieller Not – zu haben – und dies aus einer tiefen Unsicherheit heraus, welche er in seiner Weisheit gar nicht aufgeben wollte. Diese Unsicherheit wohnte nicht im Inneren seiner Seele oder in seinem gesellschaftlichen Leben. Sie entstand durch Kriege, Stürme und Krankheiten. Seine Bräuche und der kreative Umgang halfen ihm, äußere Unsicherheit in einen Zustand nach innen gerichteter Sicherheit zu verwandeln. Die weißen Invasoren kamen, es gab Krieg und die Unsicherheiten der Indianer nahmen zu. Aber ihr Gleichmut brach nie zusammen.

Freunde … das Leben ist lebenswert

 

Rinteltitintel

> Sendung: Artarium vom Pfingstsonntag, 28. Mai – Dem kalendarischen Anlass entsprechend umkreisen wir das unglaublich Mögliche sprachlicher Verständigung. Und zugleich auch das glaublich Unmögliche in den verschwitzten Versuchen der Zwischenmenschen, einander redend zu verstehen. Allerorts findet babylonische Sprachverwirrung statt und Chatbots spielen mit sich selbst Stille Post: “Was der eine sagt und der andere versteht, muss für den dritten nicht unbedingt richtig sein. Denn was dieser draus macht und dem zweiten erzählt, hat der erste nie gemeint.” Schon der Fuchs sagt ja zum kleinen Prinzen: “Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse.” Wäre es also nicht gerade jetzt höchste Zeit, durch die uns von einander trennende Membran des Unwirklichen hindurch zu ….. “Rinteltitintel”

RinteltitintelEs ist nämlich genauso zutreffend, dass Verständigung ohne Sprache (jedenfalls zwischen uns Menschen) nicht hinreichend möglich ist. Und das befördert uns geradewegs zur Kraft der Verwandlung, die dem gesprochenen Wort innewohnt. Wie weltbewegend kann “nur ein Wort” sein, wenn wir dadurch von unserer Angst befreit werden, ein vernichtendes Urteil könnte über uns verhängt sein. Ein gnadenlos fortbestehendes Nichtgenügen, ein ausweglos unentrinnbares “Nein” zu all unseren Versuchen, für unsere Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle endlich Anerkennung zu erfahren, Annahme, Bestätigung, Verständnis: Der Freispruch des Lebens in Gestalt eines anderen Menschen – der in menschlicher Sprache zu uns spricht. Zum Beispiel: “Es tut mir leid.” Oder: “Du bist mir wichtig.” Und womöglich sogar: “Es ist gut, dass es dich gibt. Und zwar genau so, wie du bist.” Derlei Reden als eine Antwort ins Dasein des Gegenübers kann selbst Tote zum Leben erwecken.

“Es tut mir leid, dass ich dein Bild von mir zerstört habe. Aber irgendwann war es mir einfach nicht mehr möglich, ihm noch weiter zu entsprechen. Wobei ich durchaus eine erhebliche Veranlagung dazu in mir trage, die ist geradezu gefickt eingeschädelt. Ich versuche mich dadurch den unausgesprochenen Wunschvorstellungen der Menschen anzugleichen, die mir viel bedeuten, deren Liebe und Anerkennung ich nicht verlieren will. Doch ich begreife, dass es nicht gut für mich ist, wenn ich mich zwischen mir selbst und dem, was ich gern für jemand anderen sein möchte, zerreiße. Bitte, verzeih mir …”

Er stand auf, fühlte die Traurigkeitund machte sich trotz alledem auf den Weg.

Die Worte Pfingstwunder und Literatur müsste man hier gar nicht mehr herschreiben – man kann es aber.

Der Geist weht, wo er will.

 

 

Ich mache meinen Bachelor für christliche Propaganda an der Uni Salzburg

Sendetermin: Dienstag, 6. Juni 2023 um 20 Uhr auf der Radiofabrik Salzburg

Über Loretto haben wir bereits mehrfach gesprochen [1, 2, 3]. Die jungen christlichen Missionar*innen sind in Salzburg (Stichwort: HomeBase) stark vertreten.
Doch es wäre unfair, immer nur über den modernen Touch von konservativen Christ*innen zu lästern.

a young woman teaching a university class wearing a cross and holding a bible as a cartoon

Dieses Mal lästern wir zusätzlich über den neuen Bachelor „Christliche Kultur, Transformation und Kommunikation“ an der Theologischen Fakultät der Uni Salzburg, welcher in Kooperation mit den Lorettos stattfindet.

Dazu haben wir uns David eingeladen, der bereits 2020 einen ausführlichen Artikel über Loretto für die Unipress Salzburg geschrieben hat und sich aktuell wieder mit deren Aktivitäten auseinandersetzt.

Das Testosteron Problem

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Mai – Der Film “Close” des belgischen Regisseurs Lukas Dhont (wurde in Cannes ausgezeichnet und war heuer für die Oscars nominiert) lenkt unser Augenmerk auf “diesen exakten Moment im Leben, wenn der Übergang zwischen Kindheit und Pubertät beginnt”. Das scheint zunächst nicht besonders weltbewegend zu sein – ist es aber. Denn wenn wir uns umschauen auf dieser Welt voller Gewalt und Unterdrückung, erleben wir doch immer wieder eine “Unheimliche Begegnung” mit “dem Menschen, der alles zerstört”. Da fragt man sich zu Recht, woran das liegen mag, dass unsere feinste Gefühlsglasbläserei viel zu oft unter den dreckigen Stiefeln einer angeblichen “Realität” zertrampelt wird. Am Patriarchat? An der Ungerechtigkeit? Womöglich gar am Testosteron?

Das Testosteron ProblemLukas Dhont sagt dazu in einem Interview: “Es ist genau der Moment, wenn sich für diese Jugendlichen Sprache und Ausdruck verändern, weil gesellschaftlicher Druck zu wirken beginnt.“ Und dabei muss ich schon auch an den Moment denken, an dem der Testosteronspiegel in männlichen Heranwachsenden den Schwellwert erreicht, ab welchem es zu gewaltigen psychischen Auswirkungen und zur Veränderung des Verhaltens kommt. Danach ist nämlich für alle Beteiligten nichts mehr so, wie es vorher war. Vom Inneren eines vielleicht 13-jährigen heraus beschrieben bricht seine bisherige Welt zusammen. Sein gesamtes Leben, in dem er sich über all die Jahre als Kind eingerichtet hat, funktioniert mit einem Mal nicht mehr. Und er weiß nicht, warum. Denn die Veränderungen haben sich unbemerkt ereignet, sind geradezu heimlich in sein Dasein gelangt – und jetzt fühlt und handelt er so, wie er sich gar nicht kennt.

Das kommt tatsächlich einem vorübergehenden Persönlichkeitsverlust gleich und ist eine massive Lebenskrise. Inmitten dieser fundamentalen Erschütterung und einer damit einhergehenden radikalen Verunsicherung müsste er sich jetzt quasi von Grund auf “neu erfinden”. Doch das ist im Zustand der Angst vor dem Verlust der eigenen Persönlichkeit nachgerade unmöglich, da dies eine Todes- und Vernichtungsangst ist, die einen innerlich paralysiert. Wir sehen also, dass wir uns hier einem überaus heiklen Thema annähern, das die Welt, in der wir leben, durchdringt und prägt

“Die Überraschung aber ist – im Grunde wissen wir ja, dass heranwachsende Jungs ihre Emotionalität und ihre Verletzlichkeit übertünchen. Was wir nicht wussten – sie hatten den vollen Zugang dazu in ihrer frühen und mittleren Pubertät. Sie verfügten über diese ausgesprochen intimen Freundschaften – und sie beginnen sie in ihrer späteren Pubertät zu verlieren, sobald der “Männlichkeitsdruck” stärker in ihr Leben dringt. So verlieren sie die Verbindung zu genau den Beziehungen, die so wesentlich für sie sind, um (wie sie es ausdrücken) nicht verrückt zu werden.”

Niobe Way über “Deep Secrets – Boys’ Friendships and the Crisis of Connection”

 

Patti Smith – Horses (Album)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. Mai – Patti schnappt sich ihren schwarzen Mantel. ihre Wollmütze. ein Buch, Stift, Notizblock, und den Glücksbringer des Tages. draußen schneit es oder auch nicht. es regnet oder auch nicht. sie beeilt sich. sie lässt sich Zeit. sie fühlt sich bereit und hinterfragt diese Kraft. jung ist sie. eine alte Seele. vom Leben mehrfach geprüft. dem Tod schon oftmals begegnet. hat Legenden getroffen und die Samen ihrer eigenen gesät. zuversichtlich. leidenschaftlich. voll der Liebe zur Kunst. keinen Plan B im Gepäck. alles auf eine Karte gesetzt. glückliche Zufälle. Schicksalsfügungen. Lichtmenschen. und im Herzen der unaufhaltsame Drang zu dichten. atemlos. intensiv. gemeinsam zu improvisieren. Sprache ist Musik ist Sprache ist Musik ist Göttliches auf Erden ist ein Blatt, das den Spiegel eines Sees rührt ist das Surren von Verstärkern ist das Platzen einer Arterie ist der Flügelschlag eines Schmetterlings ist ein ungehörter Schrei ist das Kratzen des Stifts am Papier ist ein Kuss ist Windhauch ist Herzschlag ist Stille zwischen den Tönen, den Worten.

Patti Smith Horsesam 2. September 1975 öffnet Patti Smith die Tür zum Electric-Lady-Studio. sie denkt an Jimmy Hendrix. im Studio A wartet am Mischpult ihr Produzent John Cale. im Aufnahmeraum baut die Band das Equipment auf. 5 Wochen später ist ihr erstes Album geboren: Horses. Rock’n’Roll und Poesie. zu einer mächtigen Einheit verschmolzen, die ihresgleichen sucht. sie singt und rezitiert von Verwandlung und Verantwortung. vom Sterben und Lieben. eine Deklaration der selbstbestimmten Existenz. Visionen zu Sound und Rhythmus geronnen. und ahnt naturgemäß nicht, dass sie eines der bedeutendsten Alben der Rockmusikgeschichte gefertigt hat. dass dieses Album unzählige Menschen begleiten und inspirieren wird. dass sie eines Tages zur „Godmother of Punk“ gekrönt wird. oder, dass zwei Radiopiratenhasen, fast 50 Jahre nach der Veröffentlichung, dieses Album als Muttertagsgeschenk in voller Länge zu Gehör bringen. das nicht minder geniale Coverfoto stammt von Robert Mapplethorpe, einem der wichtigsten Menschen in Patti Smiths Leben, über den sie in „Just Kids“ schreibt: „Am Ende wird man die Wahrheit in seinem Werk finden, der eigentlichen Verkörperung des Künstlers. Sein Werk wird nicht vergehen. Es entzieht sich dem menschlichen Urteil. Denn die Kunst besingt Gott und ist letztlich sein.“ 

Wie sehr und wozu Patti Smith uns und andere Salzburger Kunstkinder über viele Jahre inspiriert hat, das zeigen zum Beispiel die Sendungen “Female. Feel male.” vom August 2011 (hier das Programm zu lesen) oder “Horses” über ein geniales Theaterstück vom April 2017. Zudem ein unlängst wiederentdeckter Text namens “Male. Feel female? Fuck!”

Alles Liebe!

 

Violett

Tuning Up stellt diesmal in der Programmreihe „Farben“ musikalische Verarbeitung des Themas „Violett“ vor.

Mit Musik von: Barigozzi Group, Hole, Miles Davis.

Außerdem „Brandaktuell“ von den Wittener Tagen für neue Kammermusik ein Stück von Carola Bauckholt für zwei Staubsauger.

Nachzuhören unter: https://cba.fro.at/618791

Maibam Oida

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 5. MaiWir vorverlegen uns diesmal um eine Woche, weil die Radiofabrik zum Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai 2023 eine “Lange Nacht der Pflege” der Pflegestützpunkt-Redaktion von Radio Helsinki übernimmt/ausstrahlt. Da stellen wir keinen Bam auf – das werden wir auf jeden Fall unterstützen. Abgesehen davon – Maibam oder mei Bam? Oder hängt das nicht eh alles unentwirrbar zusammen mit der allgemeinen Selbstermächtigung des Frühlings? “Des is mei Bam”, rief ich aus, als ich ihm unlängst wieder begegnete. Ich hatte ihn nämlich in den 60ern (da waren wir beide noch sehr klein) gemeinsam mit meinem Vater aus einer entlegenen Fichtenplantage befreit und ihn danach in den Garten meiner Tante verpflanzt. Dort steht er noch heute: Lebendiges Trotz alledem.

Maibam Oida KirchenturmOb Bam, Bimbam oder Maibam – wir spüren jener Lebenskraft nach, die allfrühlinglich das Wachsen, Werden und Wiederauferstehen in der Natur (auch in der Natur des Menschen!) bewirkt. Und jenen Kräften, die dem Austrieb entgegen wirken und die uns vom fröhlichen Erigieren himmliger Fruchtbarkeitssymbole abzubringen trachten. Das wird ein Reigen der widersprüchlichen Gefühlszustände, jedoch mit Betonung auf dem Kraftvollen, das eher nicht in äußerlichem Protz besteht (hihi), viel mehr in innerer Bewegung. Oder – was macht das Gras wachsen? Was genau? Eben. Und in diesem Sinn einer Hinwendung zum Kern der Kulturgeschicht’ kannvom Penis bis zum Glockenturm – alles vorkommen, was zu einer ordentlichen Emanzipation von den erfundenen Beherrschvereinen taugt. Hoch die internationale Maibamfeier und Freundschaft dem Frühlingserwachen! Keine noch so perfekte Weltausbeutung kann das Leben an sich zerstören. Doch sie kann es für uns unerträglich machen – und dagegen gilt es nicht enden wollend anzusenden – was wir hiermit wieder tun.

Maibam Oida ÖtscherpenisIm Freien Radio – was ja schon insofern sympathisch ist, als es demokratische Entscheidungen ermöglicht, die sich einer falsch verstandenen Sprachhygiene (“Dirty Words”) verweigern und uns so genügend Freiraum für den legendären Schwanz aus der “Alt-Wiener Futoper” bereitstellen. Es geht hier um Lebenskraft, auch im Widerstand gegen die drohende Auslöschung. Und angesichts des schon bald bevorstehenden 100. Geburtstags von Ernst Jandl müssen wir uns mit aller Entschiedenheit seiner eigenen Forderung anschließen: “Ich will, dass meine Sprechgedichte weiter ertönen, auch über die kurze Dauer meiner Stimme hinaus.” Dabei meinte er die “kurze Dauer” seiner Lebenszeit. Entschuldigen sie hin oder her – es muss weiter gejandelt werden! Wesentliches auch jenseits des “kommerziellen Mainstream” wieder beleben – und bewahren, das ist unser subjektives Interesse. Ähnlich gestaltete derlei Brita Steinwendtner

Maibam Oida PhantasieDie Welt der Kunst, Musik, Literatur bietet sich darüber hinaus zur freien Entnahme in Gestalt einer inneren Zeitreise an. Du wanderst durch dein Leben und nimmst, je nachdem, was dich gerade anspricht, etwas aus den Regalen der unendlichen Möglichkeit, eine Geschichte, ein Lied, eine Lesung, ein Gedicht, ein Stück, ein Bild, ein Erlebnis … Und du nimmst es in dich auf, spiegelst dich darin, erkennst dich selbst wieder in etwas, das jemand ganz anderer vor langer Zeit, oder erst unlängst, aufgenommen, aufgeschrieben, aufgezeichnet hat. Ziemlich zufällig und ohne vorherigen Plan entdeckst du deine Welt in der Welt vieler Welten und wirst dadurch immer reicher an Erfahrung, die du mit ihnen allen teilst. Du hast Gefühle (sind es deine oder sind es ihre?) und willst sie ausdrücken (so wie die anderen oder so, wie es für dich stimmig ist?). Du sprichst vom Zauber der Verwandlung und vollführst (ist es dir bewusst oder ereignet es sich einfach so?) magische Phantasie. Denn in der Imagination steckt schon die Magie. Und in der Vorstellungswelt der Vielen, wie auch in deiner eigenen, warten längst viele Ausdrucksformensprungbereit wie die Knospen der Bäume im Frühling.

Alles was du siehst gehört dir.

 

Auslöschung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. April – An diesem Sonntag im April jährt sich zum 85. Mal die “Salzburger Bücherverbrennung”, die kurz nach dem “Anschluss” Österreichs 1938 von fanatisierten Salzbürgern (und -innen!) inszeniert worden ist. Und auch in diesem Jahr lädt die Inititive Freies Wort wieder zum Gedenken an die Auslöschung von Gedanken, Worten und eben auch menschlichen Existenzen ins Literaturhaus – zum “Widerstand” (am Sonntag, 30. April um 11:00 Uhr). Wir fragen uns, wer damals alles “verbrannt” worden ist und was die da so geschrieben haben, dass es gar so dringend “ausgemerzt” werden sollte. Wir bieten Innenansichten aus dem Werk von Stefan Zweig und überlegen uns, was das mit einem Autor (oder einer Autorin) macht, wenn er/sie in Todesangst aus der eigenen Sprachheimat weg muss.

Licht am Ende

“Aber wenn auch nur ein Wahn, so war es doch ein wundervoller und edler Wahn, dem unsere Väter dienten, menschlicher und fruchtbarer als die Parolen von heute. Und etwas in mir kann sich geheimnisvoller Weise trotz aller Erkenntnis und Enttäuschung nicht ganz von ihm loslösen. Was ein Mensch in seiner Kindheit aus der Luft der Zeit in sein Blut genommen, bleibt unausscheidbar. Und trotz allem und allem, was jeder Tag mir in die Ohren schmettert, was ich selbst und unzählige Schicksalsgenossen an Erniedrigung und Prüfungen erfahren haben, ich vermag den Glauben meiner Jugend nicht ganz zu verleugnen, dass es wieder einmal aufwärts gehen wird trotz allem und allem. Selbst aus dem Abgrund des Grauens, in dem wir heute halb blind herumtasten mit verstörter und zerbrochener Seele, blicke ich immer wieder auf zu jenen alten Sternbildern, die über meiner Kindheit glänzten, und tröste mich mit dem ererbten Vertrauen, dass dieser Rückfall dereinst nur als Intervall erscheinen wird in dem ewigen Rhythmus des Voran und Voran.” So beschreibt Stefan Zweig im Exil rückblickend seine verlorene Welt der Sicherheit – in seinen posthum erschienen Erinnerungen eines Europäers Die Welt von Gestern. Traurig, aber wahr.

Und die Frauen? Wir haben eine Dichterin entdeckt, die nach ihrer Vertreibung dort geblieben ist, wo man sie aufgenommen hat – und die das Tragische des Dichters im Exil in ihrem gleichnamigen Gedicht meisterhaft zum Ausdruck bringt. Damit wollen wir euch jetzt euren Zuständen überlassen – und euch zugleich zum Zuhören einladen, denn in unserer Sendung gibt es noch mehr zu entdecken von und mit Bertolt Brecht, Theodor Kramer, Stefan Zweig, Carl Zuckmayer und eben jener Stella Rotenberg:

Der Dichter im Exil

Mir muss Vergessenes reichen;
mit Verschollenem halte ich Haus.
Aus Verdämmerndem klaube
ich Scherben von Silben zu Wörtern heraus.

Das sind noch gesegnete Tage.
Scherben sind endlicher Hort.
Wo hole ich, wenn die Verstummung kommt
Buchstaben für mein Wort?

 

PS. Empfehlenswerte Materialsammlung, bereitgestellt vom Friedensbüro Salzburg – rund um die Salzburger Bücherverbrennung und durchaus noch darüber hinaus.

 

Urwald und Gefühle

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. April – Es war mein Freund und Kollege Christopher Schmall, hier besser bekannt als der Hase, der beim Betrachten von einigen wundersamen Fever-Ray-Videos zu ihrem Album “Radical Romantics” ein wiederkehrendes Motiv entdeckte: In eine von technischen Geräten und Abläufen geprägte Welt dringt immer wieder elementare Natur als ungezähmte Wildnis ein. Und dieses Element wild wuchernden Lebens, das da auftaucht, das beglückt und auch verstört, das drängt sich als gelungene Metapher für unser Gefühlsleben auf. Schon bei unserem ersten Gespräch über diesen Umstand erinnerte ich mich sofort an meine intensiven Gefühle, die ich vor Jahrzehnten im Urwald von Dürrenstein” erlebt habe – und die mich in ihrer abgründigen Ambivalenz seither beschäftigen.

Urwald und GefühleSind wir heutigen Menschen nicht immer in zwei unterschiedlichen Welten zugleich zuhause? In der technisierten Welt, in der wir die Summe vieler Errungenschaften der gesamten Menschheit im Umgang mit der Natur wie selbstverständlich anwenden. Und in der Gefühlswelt, in der uns nach wie vor die selben Elementarereignisse umtreiben wie zu Beginn der Kulturgeschichte oder als Kind: Freude ist und bleibt Freude, Angst ist und bleibt Angstdas Unwägbare ist und bleibt unwägbar, auch wenn wir noch so viel Sicherheit einziehen. Wir können unsere elementare Gefühlsnatur nicht portionieren und in Dosen abfüllen – jedenfalls nicht, wenn wir in elementare Situationen unseres Lebens geraten, so wie jene, mit denen sich Fever Ray auseinandersetzt. Etwa gewohnte Sicherheiten loslassen zu müssen, um sich einem anderen Menschen rückhaltlos anzuvertrauen, um Liebe zu erleben, eine neue (oder eh immer schon die eigentliche) Identität einzunehmen.

Die Kunst besteht darin, in beiden Welten zu leben, ohne die eine gegen die andere auszuspielen. Ohne die eine auf Kosten der anderen als die einzig wahre, als allein seligmachend zu begreifen. Sie verstehen lernen, sie verändern und gestalten, und sie nicht zerstören. Das ist meine Idee von so etwas wie Frieden, der bei sich selbst beginnt. Einmal habe ich mich sehr gleichzeitig in diesen beiden Welten befunden: Und zwar als ich eines Nachts in einem fahrenden Auto einer Bärenmutter mit zwei Jungen begegnet bin, die in der selben Richtung die Straße entlang gelaufen sind …

und ich einen Moment innehalten konnte.