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Archiv der Kategorie: Uncategorized
Das Sternenkind
> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. April – “Du soist nie aufhean zum lernen, oabeit mit da Phantasie”, so singen André Heller und Wolfgang Ambros in ihrer Bob-Dylan-Adaption “Für immer jung”. Und das drückt eigentlich eh schon alles aus, was zum Thema “Märchen für Erwachsene” gesagt sein sollte. Wir hören in der heutigen Ausgabe des ganzen Albums ein solches Kunstmärchen von Oscar Wilde, nämlich “Das Sternenkind” in einer Aufnahme der überaus umtriebigen Schauspielerin Maja Chrenko. Das ist starker Tobak und kann zu erheblichen Nebenwirkungen führen, wenn man das inwendige Abenteuer mit den äußeren Realitäten falsch vermischt -oder gar verwechselt. Doch keine Angst – lassen wir uns einfach einmal darauf ein – wer Mitgefühl für den armen Hasen zeigt, wird alle Schätze in sich entdecken …
Ein Bild, das wohl zunächst das genaue Gegenteil von blühenden Landschaften darstellt (aber eine wunderbare Punk-Location sein könnte), das vor sich hin verfallende Hotel Phantasie in Eisenach, habe ich aus diesem Lost-Places-Blog von Coola Irrgang hervorgestöbert. Aber sind wir nicht alle irgendwie “auferstanden aus Ruinen” – und seitdem auf der Suche nach dem wirklichen Frieden? Nach einem Neubeginn ohne Verleugnung? Nach der sprichwörtlichen friedlichen Koexistenz? Was müsste in uns stattfinden, damit wir außen nicht mehr lebensfeindlich herumzerstören? Solcherlei Fragen drängen sich auf, wenn wir uns überlegen, welchen Wert unsere Phantasien für die Gestaltung unserer Welt besitzen. Wenn wir überhaupt einmal zulassen, dass Märchen und andere ausgedachte Geschichten nicht bloß Unterhaltungsschmarrn fürs Beruhigen, Beschwichtigen und Behupfdudeln lästiger Nichterwachsener sind.
Das Sternenkind von Oscar Wilde erzählt von einer inneren Entwicklung (die gewiss nicht ohne Schmerzen vor sich geht) und nimmt uns mit auf die Lebensreise eines Menschen, der wir alle immer auch selbst sind. Ein Schlüssel zur Verwandlung des Protagonisten ist dabei wohl das Mitgefühl (es wird oft gesagt, dass gute Literatur uns zum Mitgefühl befähigt, weil durch sie das Einfühlen in andere angeregt wird). Offen bleibt, in welche Dickichte und Verknotungen inneren Erlebens wir dabei individuell geraten. Doch eins steht für uns fest – es wird ein weiterer Schritt auf dem Weg sein.
The Spirit carries on
> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 19. April — Ist da ein tieferer Sinn hinter dem Scheinbaren? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist das Leben überhaupt und ist da nicht doch mehr als das, was wir jeweils gerade erkennen können? Die großen Menschheitsfragen widerspiegeln sich im kleinen Welttheater unserer Radiokunst. Ausgehend von einem alten Hadern der Band Dream Theater mit dem Titel The Spirit carries on versammeln wir Beiträge und Gedanken, die das Entstehen und Vergehen verschiedener Welten ansprechen. Und die darüber hinaus den einen oder anderen Zusammenhang erahnen lassen. In der Gespensterbahn der Weltgeschichte wohnt ein wissendes Kind und zündet einen potemkinschen Schreck nach dem anderen an, um jeden Untergang in ein fruchtbares Land zu verwandeln.
Das ist schon ein Vermächtnis des inneren Kindes, dass es weiß, was es gebraucht hätte, um sich seinem Leben und seinen Anlagen gemäß zu entwickeln. Daher weiß es auch, wie die Welt, auf die es gekommen ist, beschaffen sein müsste. Und so können wir ihm schon vertrauen, wenn es den Zustand der Welt, in der es jetzt als Erwachsener lebt, kritisiert und sogar verurteilt. Die Aufgabe, die sich uns im Umgang mit ihm stellt, ist der liebevolle Dialog. Hannah Arendt hat es einmal so formuliert: “Denken ist Zwiesprache mit sich selbst.” Das ist zutreffend beobachtet und doch möchte ich an dieser Stelle hinzufügen: “Nicht alles, was sich in deinem Geist abspielt, ist erwachsen.” Nur wer sein oder ihr inneres Kind (die eigene Kindheit, die nach wie vor in uns umgeht) nicht abweist, wenn es sich bemerkbar machen will, kann die Welt da draußen so reparieren, dass auch tatsächlich neue Kinder (im obigen Sinn) in ihr leben wollen. Wer seine Kindheit ablehnt, wird von ihren unerlösten Geistern verfolgt.
Nun sind aber im Leben von vielen von uns schlimme Dinge passiert, die uns schon in der Kindheit dazu veranlasst haben, einen Teil unserer Gefühlswahrnehmung nicht mehr stattfinden zu lassen, um nicht den Verstand zu verlieren. Wir haben den Tod überlebt – und doch fehlt uns oft irgendwo im Innersten ein “guter Vater”, eine “gute Mutter” oder sonst eine das Urvertrauen herstellende Instanz. Irgendwas in uns schreit nach der liebevollen Zuwendung, die wir anstelle des Verlassenseins gebraucht hätten und die wir trotz aller Verdrehung und Verdrängung nach wie vor zum Lebendigsein brauchen. Für ein Kind ist jede Art von Missbrauch/Misshandlung ein lebensgefährliches Fallengelassenwerden. Wir sehnen uns nach dem verlorenen Sinn. Hier sind wir offenbar schon mitten in die Traumatherapie hinein geraten und so verweise ich auf das sehr schlüssige Konzept “Das Innere-Kinder-Retten” von Gabriele Kahn. Es atmet diesen gewissen Spirit.
Unterwegs im Unfertigen begegnen wir in uns wie auch außerhalb den zu rettenden Kindern. Und erfinden über magische Kräfte verfügende Phantasiegestalten, die sie retten. Die Idee dahinter ist, dass wir das, was in uns zerstört wurde, wieder finden und für uns lebensfreundlich machen. So verwandeln wir uns mit der Zeit in die Menschen zurück, die wir von Anfang an waren, bevor wir der Schwindligmachung zum Opfer fielen und vom Gespensterkarussell der Realitäter*innen eingeschlürft wurden. In die Menschen, die wir schon immer sind. Ja, dürfens denn das? Aus der Bastelkiste der Kulturgeschichten, aus dem Fundus aller denkbaren Religionen, aus der Ursuppe hinter jedweder Mythologie einfach so, freihändig und ganz nach eigenem Bedarf die jeweils entsprechenden Gestalten aufrufen, verändern und zur Selbstrettung ins eigene Seelenleben stellen? Ist dafür nicht irgendein Gott zuständig? The Great Spirit oder eine andere das Urvertrauen (wieder) herstellende Instanz? Man wird sehen …
Nachhören: Querdenker*innen == Beleidigte Leberwürste?
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Piratenradio gegen den Nazistaat
> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. April – Am 30. März dieses Jahres wäre Walter Klingenbeck 100 Jahre alt geworden. Doch er wurde 1942 zum Tod verurteilt und 1943, im selben Jahr wie die ungleich bekanntere Sophie Scholl, hingerichtet. Er hatte gemeinsam mit drei weiteren Freunden ein sogenanntes Piratenradio errichtet, um von der gleichgeschalteten Nazipropaganda abweichende Informationen (etwa über den Kriegsverlauf) zu veröffentlichen. Das galt damals als Wehrkraftzersetzung und Hochverrat und führte in den meisten Fällen zu einem Todesurteil. Schon das bloße Weitersagen von im Radio Gehörtem (wenn es zum Beispiel Nachrichten aus dem Ausland waren) konnte lebensgefährlich sein, wie die Geschichte des Wiener Schülers Josef Landgraf zeigt, der diesen Naziwahnsinn zum Glück überlebt hat.
Walter Klingenbeck war ebenfalls 17 Jahre alt, als er sich entschloss, gegen die angebliche Allmacht der Diktatur aufzutreten. Wir wollen sein Beispiel in Erinnerung rufen, zumal gerade in unserer Zeit nicht wenige wieder mit dem braunen Erbe jener menschenverachtenden Ideologie liebäugeln oder gar herumzündeln. Für die Gestaltung der Sendung verwenden wir Auszüge des 2018 anlässlich seines 75. Todestags live dargebotenen “Akustischen Denkmals für Walter Klingenbeck” von “die grenzlandreiter” (Gerald Fiebig) und lesen aus verschiedenen Zeitdokumenten (Todesurteil, Abschiedsbrief). Doch wollen wir den Themenbogen noch darüber hinaus spannen. Zur besonderen Ausprägung jugendlichen Aufbegehrens und daraus erwachsenden Widerstands empfehlen wir diesen hervorragenden Artikel von Jürgen Zarusky. Und was den Bezug zur gefährdeten Gegenwart anbelangt, mag uns das Vater-Sohn-Gespräch, von dem Konstantin Wecker in “Vaterland” berichtet, zum Weiterdenken anregen. Das Vermächtnis Verstorbener “ins Leben erzählen” ist poetisches Erschaffen.
Dass da einer ausgerechnet das Radio als geeignetes Mittel zum Durchdringen des staatsgewaltlichen Normkonformismus ausgewählt hat, das ruft uns nicht zuletzt in Erinnerung, dass auch unser Sender, die Radiofabrik, aus einem Piratenradio heraus entstanden ist. Inzwischen ist es gesetzlich gesichert, dass “Personen und Gruppen, die in den öffentlich-rechtlichen oder kommerziellen Medien unterrepräsentiert sind” hier eine Meinungsäußerungs- und Veröffentlichungsplattform haben. Was wiederum aufzeigt, wie lebensnotwendig der Kampf für eine freie Gesellschaft generell ist.
PS. Zudem noch ein feiner Vortrag von Jürgen Zarusky über Walter Klingenbeck.
Welchen guten Rat geben die Engelchen der Engelhorn?
Sendetermin: Dienstag, 2.April 2024 um 20 Uhr auf der Radiofabrik Salzburg
Anfang Januar 2024 erschütterte eine Nachricht ganz Österreich – ganz Österreich? Nein, 10.000 Menschen erhielten einen Brief für eine Einladung zum „Guten Rat“ von Marlene Engelhorn. Aus allen Interessierten wurden 50 Menschen ausgewählt und diese 50 Menschen dürfen jetzt gemeinsam an mehreren Wochenenden entscheiden, was mit dem Millionenerbe von Marlene Engelhorn geschieht.
Sich selbst die 25 Millionen Euro in die Tasche stecken? Das ist den 50 Auserwählten nicht erlaubt. Ihr Auftrag und das Ziel des „Guten Rat“ ist klar festgelegt: Sie sollen diese 25 Millionen nutzen um die Ungleichverteilung in Österreich zu reduzieren. Denn gerade diese Ungleichverteilung des Reichtums in Österreich hat Marlene Engelhorn dazu gebracht ihr Millionenerbe an diesen „Guten Rat“ abzugeben.
Als die Aktion bekannt wurde, erschütterte sie doch ganz Österreich und darüber hinaus (siehe Kurier, derStandard, BBC, ORF, New York Times, Der Spiegel). Doch der geneigten Leserin wird aufgefallen sein: Ein Qualitätsmedium fehlt in dieser Liste. Denn kein Thema ist abgeschlossen, ohne dass wir bei Engelsgeflüster auch darüber gesprochen haben!
Eure Engelchen wollen sich ansehen wie dieser „Gute Rat“ genau funktioniert, was Engelhorns Motivation für diese Form von Aktivismus ist und welche gesellschaftlichten Machtverhältnisse bereits akzeptiert und abgenickt wurden, wenn die Kritik erst beim Thema Ungleichverteilung ansetzt.
Burn The World
> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. März – Um das Jahr 1990 herum tauchte in Salzburg ein junger Mann aus England auf, der uns mit Hingabe und Begeisterung von einem Musiker namens Roy Harper erzählte. Dieser sei schon seit den 60ern in der britischen Musikszene aktiv und habe einige der erfolgreichsten Rockgrößen maßgeblich beeinflusst, ja sogar mit ihnen zusammen gespielt, ohne jedoch selbst jemals “berühmt” geworden zu sein (außer in Insiderkreisen). Wer denn da so alles dabei gewesen sei, fragte ich, und hörte Namen wie Led Zeppelin, Pink Floyd, Jethro Tull, Kate Bush und Paul McCartney. Davon durchaus beeindruckt kaufte ich mir eine (damals noch) Schallplatte, auf der das eigenartige Stück “Burn The World (Part 1)” enthalten war, das auch der Ausgangspunkt für unsere heutige Hörreise sein wrd …
Denn der gute Mann da auf dem Cover ist nicht nur eine sozusagen unberühmte Berühmtheit. Es hat sehr gute Gründe, weshalb ihn so viele anerkannte Größen aus der Wunderküche der Rockmusik als einen wesentlichen Ideengeber für ihr künstlerisches Schaffen und ihre Weiterentwicklung begreifen. Nicht nur, dass er ein beachtlicher Gitarrist und ein hochkomplexer Lyriker ist, nein, da ist nocht etwas anderes: Roy Harper ist eine Art nimmermüder Ideenschleuderer, ein Darstellungsschamane seiner eigenen Innenwelt, der einfach nur einen Entwurf nach dem anderen “raushaut” zur freien Entnahme und “to whom it may concern”. Der Begriff Ent-Wurf ist hier wichtig, denn seine Werke sind irgendwie unfertig, sind Skizzen, Andeutungen, Ideen, gerade so weit ausgearbeitet, dass man erkennen kann, worum es geht – und doch zugleich so interpretationsoffen und zum Selbstweiterbasteln einladend, dass man sie gern aufgreift, sich anverwandelt und zu etwas Neuem und Eigenem umformt, gestaltet, transformiert. So gelangt das, was einer sieht, durch viele andere nach außen …
Burn the World – ein Verwandlungsphänomen. Und gerade diese 1990 entstandene Arbeit über das Verbrennen der Welt – was wird hier angesprochen – Klimawandel? Revolution? Gewalt? Hass? Vergebung? Tod? Auferstehung? Wiedergeburt? – diese Collage aus Bildern und Visionen, aus An- und Bedeutungen, aus Klängen, Schreien, rasenden Empfindungen und einem offenen Ende – dieses im Jahr 1990 als gut 18minütiges Livesolo in London aufgezeichnete Inspirationskonglomerat kann uns zum Verwandeltwerden wie zum selbstmächtigen Verwandeln anregen.
Burn the World – es ist höchste Zeit.
I killed my mother
> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. März – Es kommt sehr darauf an, wozu man “hässliche Bilder” verwendet. Indem man etwa über die Beschaffenheit von Gewalt berichtet, wie sie entsteht, gegen wen sie sich richtet und was sie letztendlich bewirkt. Der junge Regisseur Xavier Dolan ist ein Meister in der Darstellung des Abgründigen und führt uns vor Augen, wie sich weitgehend verheimlichter Missbrauch von Macht für seine Opfer anfühlt und auf ein ganzes Gemeinwesen auswirkt. In seinem ersten Spielfilm “I killed my mother” flößt er uns fast unmerklich ein Gefühl dafür ein, auf welch verzweifelt tragische Weise die unerkannte Schuld der Verursacherin mit dem alles Lebendige bedrohenden schlechten Gewissen des ihr Ausgelieferten kollidiert. Dabei hat sich die Mutter doch nur Enkelkinder von ihrem schwulen Sohn gewünscht.
Über die Bildwelten des queeren Kino-Wunderkinds mag man sich aus Geschmacksgründen streiten, zu den von ihm gewählten Themen passen sie allerdings stets wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, wie das Video zu “College Boy” von Indochine eindrucksvoll zeigt. Dieser Kurzfilm/Clip wurde wegen seiner drastischen Gewaltdarstellung noch dazu in Verbindung mit “christlicher Symbolik” vehement kritisiert und ist daher im Zuge der Mundgerechtmachung des kommerziellen Internets (andere nennen es Zensur) kaum irgendwo im Original zu finden. Ähnlich ergeht es auch vielen Videos der französischen Anarchistenband Achab, deren “Un Monde formidable” wir uns und euch im heutigen Kontext nicht vorenthalten wollen. Thomas Bernhard, Edward Snowden, Julian Assange? – Als Nestbeschmutzer (und Schlimmeres) gilt, wer auf verborgene Verbrechen hinweist.
Womit wir wiederum beim eingangs erwähnten Film “I killed my mother” ankommen. Was auf der einen Seite als völlig normal gilt, als ganz und gar natürlicher Wunsch “jeder Mutter”, nämlich von ihren Kindern Enkelkinder “zu bekommen”, das erweist sich auf der anderen Seite als unerkannter emotionaler Missbrauch, der bei seinen Opfern Schuldgefühle gegenüber ihrem eigenen Gesundsein und Lebenwollen hervorruft. Eine klassische Täter-Opfer-Umkehr also, die aufzudecken, zu benennen und einer sie weitgehend ignorierenden Gesellschaft ins Bewusstsein zu stellen, sicher kein Verbrechen ist – sondern ein unschätzbarer Verdienst am Gemeinwohl.
Noch dazu unter Zuhilfenahme von so wunderbarer Musik wie etwa dieser hier.
PS. Portrait von Xavier Dolan aus dem Jahr 2011, das auch die recht spezielle Entstehungsgeschichte seines ersten Films “I killed my mother” beleuchtet.
Ariadne von Schirach
> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. März – Vorab erst mal von Schirach. Dieser Name. Da war doch was, abgesehen von dem von uns sehr geschätzten Schriftsteller Ferdinand von Schirach. Genau, der böse Baldur, der zur Zeit des 2. Weltkriegs als Gauleiter von Wien für die Judendeportationen verantwortlich war und der deshalb auch im Nürnberger Prozess verurteilt wurde. Der war ihr Großvater. Als ebenfalls Nachfahr von zumindest angebräunten Ahnen interessierte es mich zunehmend, wie die Kinder und Enkel der damals Verantwortlichen mit ihren Familiengeschichten umgehen. Und da stieß ich auf einen Vortrag von Ariadne von Schirach, in dem sie einen überaus bemerkenswerten Satz prägte: “Martin Heidegger, den wir trotz seiner Angebräuntheit und sehr schlimmer Verfehlungen als klugen Denker achten wollen…”
Ungefähr zur selben Zeit entdeckte der Hase ihr Buch “Du sollst nicht funktionieren” und davon angeregt auch seine Liebe zur Philosophie. Spätestens als er ihr nächstes Werk “Die psychotische Gesellschaft” zu sich genommen (und mir weiter empfohlen) hatte, beschlossen wir, irgendwann einmal unbedingt eine Sendung über diese Denkerin zu machen, die zugleich lebensfroh und verwegen in Erscheinung tritt. Man kann es auch so sagen: Bei ihr wohnen Gefühl und Verstand sehr nah beieinander und kommen wie zwei benachbarte Saiten auf einem Instrument auch gemeinsam in Schwingungen. Diesen Umstand erkennt, ja erspürt man besonders dann, wenn man sie live lesen oder eben vortragen hört. Für die vielen, die das nicht persönlich unmittelbar erleben können, haben wir diese Buchvorstellung aus dem Literaturzentrum Hamburg als Beispiel gewählt. Es geht dabei um ihre jüngste Veröffentlichung “Glücksversuche”, einen Essayband mit dem schönen Untertitel “Von der Kunst, mit seiner Seele zu sprechen.” Die Autorin lädt uns darin ein, ihre Selbstversuche nachzuvollziehen.
Das ist insofern erfrischend, als hier nicht “eine Bescheidwissende” daher ratgebert, wie wir, genau nach Rezept und erstens, zweitens, drittens glücklichere Menschen werden könnten oder gar müssensollen. Stattdessen denkt, spürt und erlebt sie uns hier dar, was für sie zur Entwicklung einer sinnvollen Lebensweise beitragen kann, die nicht in Gehorsamkeit gegenüber was auch immer für Autoritäter*innen, sondern die in eine selbst zu entdeckende, selbst zu erschaffende und selbst zu gestaltende Daseinsform mündet – die noch dazu imstande ist, ihre Ambivalenzen auszuhalten.
Es ist also eine Ansammlung von Angeboten, auf die wir uns einlassen können, sie auszuprobieren oder auch nicht, aus der wir auswählen können, was sich für uns als stimmig anfühlt, was entsprechend sein könnte, was uns neugierig macht, hier und da tiefer einzudringen und (das erinnert mich jetzt an die Kreisky-SPÖ in den 70ern) “ein Stück des Wegs gemeinsam zu gehen.” Nicht zuletzt (und hier schließt sich ein Kreis) habe ich mich in ihre Stimme verliebt, die viel von dem fühlbar macht, was sie mit ihren Gedanken ausdrückt. Fühlen und Denken ergänzen einander vortrefflich.
Und überhaupt, einen Ariadnefaden können wir doch alle gut gebrauchen …
Querdenker*innen == Beleidigte Leberwürste?
Sendetermin: Dienstag, 5.März 2024 um 20 Uhr auf der Radiofabrik Salzburg
Der Protest der Querdenker*innen, Massnahmengegner*innen und Co wirft immer noch Fragen auf. Wie kommt deren Feindschaft zum „System“ zustande? Das 2022 veröffentlichten Buch „Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus“ von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey stellt die These auf, dass sich diese Feindschaft durch ein übersteigertes Bedürfnis nach individueller Souveränität erklären lässt. Der Protest, der sich daraus ergibt, wird als demokratiegefährdend gesehen.
Anhand lobender und kritisierender Rezensionen des Buches zeichnen wir die zentrale These des Buchs nach und diskutieren, was wir davon halten.