Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 12. September um 22:06 Uhr – “Listening to You” ist zuallererst ein Thema, das die Besonderheit der Radiosituation verkörpert. Erleben wir uns dabei doch einerseits als Erzählende, andererseits als Zuhörer*innen des uns jeweils Dargebrachten – je nach dem, ob wir gerade eine Sendung machen oder eine solche als Publikum zu uns nehmen, auf uns wirken lassen, einfach gesagt anhören. In beiden Fällen geschieht (merklich und/oder unmerklich) einiges in unserer Innenwelt, das uns zu ganz neuen Sichtweisen der Wirklichkeit herausfordern kann. Der BBC-Pionier John Peel hat diese gewaltige Kraft – ein Alleinstellungsmerkmal des Mediums Radio – einmal so beschrieben: “It allows the imagination of the listener to flourish.” Doch das ist nur ein Aspekt unserer Betrachtungen rund ums “Hören”.
Ein anderer ist die Herkunft unseres diesmaligen Sendungstitels. Der stammt nämlich aus der Rock-Oper “Tommy” von The Who – genauer gesagt aus dem für die persönliche Entwicklung ihres Protagonisten wesentlichen Schlüsselsong, und zwar “See Me, Feel Me – Listening To You”, der das furiose Finale des wegweisenden Werks bildet – hier in der filmischen Umsetzung aus dem Jahr 1975:
See me, feel me
Touch me, heal me
Listening to you, I get the music
Gazing at you, I get the heat
Following you, I climb the mountain
I get excitement at your feet
Right behind you, I see the millions
On you, I see the glory
From you, I get opinions
From you, I get the story
Womit wir bei einer weiteren Inspirationsquelle angelangt wären, der Ausstellung 8 Milliarden, kuratiert von Andrea Lacher-Bryk, aus deren Installation “Silentium?” diesmal die Fotos zum Artikel (mit freundlicher Genehmigung) herkommen. Zwischen “the deaf, dumb and blind kid” (Tommy) und den Allzuvielen gar nicht mehr Vorstellbaren hier auf unserem Planeten gibt es ein Bedürfnis, einen Drang, eine Notwendigkeit, nämlich Kommunikation im Sinn einer dialogischen Verbindung jenseits des breitwandigen Massengeplärrs, das uns allerorten umtost, des multimedialen Dauertinnitus, der uns rund um die Uhr bemarktschreiert, des pseudofröhlichen Unterhaltungslärms, der uns von außen wie von innen bedrängt und belästigt und der nur einem einzigen Zweck zu dienen scheint – uns von jeglicher Resonanz mit Menschen, mit Tätigkeiten und so auch letztendlich mit uns selbst abzulenken. “Denken ist Zwiesprache mit sich selbst.” So hat Hannah Arendt das beschrieben.
“Sich selbst spüren” wäre dann was?
Denn die weiteren Aspekte des Begriffs “Listening” – oder eben “zuhören”, jemand oder etwas “anhören”, auf jemand oder etwas “hören” im Sinn von “aufmerken”, “beachten”, also “achtsam sein” und überhaupt “wahrnehmen” – gehen weit über die gebräuchlichen Beschreibungen des Hörvorgangs hinaus: Trommelfell, Hammer, Amboß, Dingdingbummbumm! Vielmehr dringt die Vielheit der Bedeutungsschattierungen tief in die Bereiche des wesensmäßigen Hörens, des Hörens als Haltung, als innere Einstellung, man könnte auch sagen “des Hörend Seins” vor – und berührt dort so gleichnishafte Darstellungen wie das Jesuswort “Wer Ohren hat zu hören, der höre …” Lassen wir uns von der Vielschichtigkeit der möglichen daraus entstehenden Zusammenhänge zu derartigen Wahrnehmungen inspirieren, die nicht “auf den ersten Blick” zu verstehen sind, sondern die uns eine Geschichte erzählen, die sich uns erst im Dialog (auch jenseits der Worte) erschließt.
Mit allen (anderen) Sinnen hören also …