Wer straft wen, warum und wieso? Und was sind eigentlich Gefangenenschreiben?

Sendetermin: Dienstag, 3. Juni 2025 um 20 Uhr auf der Radiofabrik Salzburg

Wer sitzt eigentlich im Gefängnis – und aus welchen Gründen? Nicht zum ersten Mal werfen wir einen kritischen Blick auf das System Strafvollzug und hinterfragen, wer von unserer Gesellschaft bestraft wird – und wer nicht. Dabei werden wir in dieser Sendung Gefangenenschreiben als Akt der Solidarität und politischen Haltung und Anlaufstellen für Beratung und Unterstützung genauer vorstellen.

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Eine Besichtigung des Wahns

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. Mai – Gestern waren wir dann also leibhaftig im Salzburger Literaturhaus, um dem entschieden “unsalzburgischen” Programm NORMAL – Eine Besichtigung des Wahns beizuwohnen. Wir wollten wissen, wie sich so ein “Abend gegen Irrationalismus und instrumentelle Vernunft” anfühlen würde, wenn wir ihn livehaftig erleben. Und natürlich auch, wie sich diese dichte Darbietung von Erlesenem, Empfundenem und Selbstweitergedachtem im nachhinein auf unser Selbst- und Weltverständnis auswirkt. Waren unsere beschwingten Erwartungen aus der Sendung vom letzten Sonntag doch übertrieben begeistert ausgefallen? Diese Frage beantwortet am besten ein anderer Besucher, der zum Abschied anmerkte: ­“Da fühlt man sich auf ein Mal nicht mehr so allein auf der Welt.” Ja, es hat uns berührt

Eine Besichtigung des Wahns (Christopher Schmall)“Wirklichkeit zur Kenntlichkeit entstellen – das ist Satire. Von wem auch immer dieses Zitat erstmalig stammt, es ist ebenso wahr wie auf diesen Abend, der sich “Besichtigung” nennt, zutreffend. Zumal wir im Zuge unserer Teilnahme die uns tagtäglich aufs Grausigste umbrausenden “Realitäten” nicht nur durch die Brille der kritischen Theorie sondern auch durch die Sichtweisen der Herren Ebermann, Mense und Thamer besichtigen durften, was eine sehr angenehme “ironische Distanz” zu den doch einigermaßen verstörenden Schrecknissen des Weltgeschehens bewirkte, auf dass sich ganz neue Freiräume im Denken, Fühlen und Handeln öffneten, ein zugleich poetischer wie auch therapeutischer Akt! Auf die Art und Weise möchte man “die Realität” (ein von den Realitätern dieser Welt gekaperter und für ihre Interessen uminterpretierter und somit missbrauchter Begriff), möchte man “die Realität” also noch viel öfter als das wahrnehmen, was sie ihrem Wesen nach eigentlich ist: “unsere Wirklichkeit, die wir selbst bestimmen und gestalten können. Und weil der Mensch ein Mensch ist, braucht er dazu was zum Fressenaber keine Moral. Die Richtschnur menschlichen Handelns kam im Programm kurz vor der Pause zum Ausdruck, und zwar wörtlich so:

“Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.”

Sie wollten die Aufklärung vor sich selbst retten. Sie wollten eine Idee von Vernunft entwerfen, die Auschwitz unmöglich machen würde.

Ja, ich weiß … aber ich glaube, das funktioniert nicht oder es funktioniert nicht mehr. Die Vernunft ist nicht mehr zu retten.

Aufklärung?

Was bleibt uns denn sonst … aber auch die stößt hier überall jeden Tag an ihre Grenzen.

Was brauchts dann?

Empathie

Solidarität

Zärtlichkeit

Naturschönheit genießen können

Die Fähigkeit, sich und andere zu lieben

Die Fähigkeit, selbst zu denken

Gesellschaftlichen Reichtum ganz anders denken

Verweigerung – die Fähigkeit zum Widerspruch

Widerständigkeit

Ungehorsam

Unangepasstheit

Unanständigkeit

Unvernunft

Unvernunft im Dienste der Vernunft

…..

 

Rings und Lechz

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Mai – – Ernst Jandl hat die Frage nach der Unterscheidbarkeit von Links und Rechts einmal mit folgendem Gedicht beantwortet: “manche meinen, rinks und lechts sind schwel zu velwechsern. werch ein illtum!” Und dem wäre nun auch wirklich nichts mehr hinzuzufügen, wenn die Frage nach Links und/oder Rechts sowie der ganze Wahnsinn (nicht nur der Sprache) sich nicht doch immer wieder aufdrängte und nach einem eigenen Standpunkt verlangte. Ich zum Beispiel habe vor Jahren, angespürs der mich umflutenden Verhältnisse, die ein von der Norm abweichendes Leben mit aller Gewalt zu verhindern trachten, jenes Gedicht in meine Situation übersetzt und quasi weiter gejandlt: “Verzweifelt blick ich rings und lechz – nur Angepasste links und rechts.” Sogar ein Schüttelreim, schau her …

Rings und LechzNun haben einige wackere Streiter für das Gute, Wahre und Schöne (sand de Buam ned fesch?) aus der Radiofabrik zu Salzburg eine sehr unsalzburgische Veranstaltung an Land gezogen, und zwar “NORMAL – Eine Besichtigung des Wahns” von und mit Thomas Ebermann, Thorsten Mense und Flo Thamer. Und dankenswerterweise gleich als szenische Lesung ins Literaturhaus gebracht, wo dieses satirisch und multimedial gesellschaftskritische Programm mit dem Untertitel “Ein Abend gegen Irrationalismus und instrumentelle Vernunft” am Donnerstag, 22. Mai um 19 Uhr stattfinden wird. Sowas dürfen wir uns nicht entgehen lassen, zumal die unglaublich dichte, dabei zugleich weise und witzige Machart des Vorgängerprogramms “Heimat – Eine Besichtigung des Grauens” nicht nur persönliche Erkenntnis (mit bewusstseinserweiternder Wucht) verspricht, sondern eben auch rings im Publikum alles andere als angepasste, gleichförmige, ignorante und sonstwie hässliche, abtörnende Menschen erwarten lässt. Ringsund Lechz!

Gestern hab ich mir die ganze zweieinhalbstündige Heimatveranstaltung reingetan. Im ersten Teil bin ich verdauungsbedingt kurz weggedöst, nur um dann kurz vor der Pause mitten in einer ungemein dichten Text- und Bildcollage beim Thema “Heimat ist ein zutiefst faschistischer Kampfbegriff” im wahrsten Wortsinn hochzuschrecken und meiner Nazifamiliengeschichte zwischen Heimatwerk und Heimatkunde wieder zu begegnen. Verstörend! Und wenn wir den Bogen zu “normal” spannen, landen wir bei Bedeutungen wie “der Vorschrift entsprechend” aber auch “geistig gesund”

 

Der Wahnsinn der Normalität

 

Bluescafe vol. 5

In der fünften Folge des Bluescafe, das wieder auf den Songs basiert, die beim Live-Bluescafe in Hallein gemeinsam musiziert wurden, finden sich diesmal:
Big Bill Broonzy, Sleepy John Estes, Freddie King, Ray Charles oder Taj Mahal.
Auch einen spontanen Live-Besuch im Studio hat es diesmal gegeben – aber leider ohne musikalische Kostprobe.

Nachzuhören unter: https://cba.media/709051

Hit Me Hard and Soft

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Mai – Heute begeben wir uns in ein noch nie zuvor gewagtes Experiment: Wir spielen ein ganzes Album, und zwar “Hit Me Hard and Soft”, das aktuelle Werk von Billie Eilish, das bei uns beiden doch einigermaßen unterschiedliche Gefühlsreaktionen hervorgerufen hat. Und außerdem auf unserer konsumismuskritischen Grundeinstellung ambivalent flirrend herumtanzt wie ein zutiefst liebenswerter Andenkenstandler im allerfürchterlichsten Souvenirshop des Weltmarktwahnsinns. Einigen wir uns auf einen gemeinsamen Blickwinkel: Das popkulturelle Phänomen oder die Kunstperson als schillernde Figur, auf die jeder/jede/jedes auch wirklich jegliches projizieren kann, was möglicherweise kaum erkannt in uns allen schlummert und unbewusst längst feuchtfröhlich in uns umgeht.

Billie Eilish - Hit Me Hard and SoftDenn die sympathische Seite der globalen Merchandiselerin ist ihre Ab- und Hintergründigkeit, mit der sie den allzu platten Bedeutungs- und Zuordnungsmechanismen in immer neuen Selbsterfindungen entkommt, eine Kunnst, die auch wir nur allzu gern anwenden oder die wir uns immerhin sehnlichst herbei wünschen. Grund genug, unsere unterschiedlichen Gefühle “auf einander los zu lassen” und dabei völlig ungeplant zu erleben, was geschiehthard and soft

“She’s the headlights, I’m the deer”

wiedereinmal dieses zaubermächtige gefühl, mit wucht und völlig ungeplant erfasst zu werden, fast schon umgerissen, von musik, von klangkunst, die mich mit jeder neuen wendung weiter in so vertraut-eigensinnliche sphären beamt, dass ich zu schwingen und vibrieren beginne : HIT ME HARD AND SOFT trifft mich hartzart, traumklar, lebhaft-still : nimmt mich in den arm und wirft mich ins weite oder ich sinke hinauf zu den gipfeln der see, in die wolkenschluchten, dort weiß ich dich tanzen, dort sind wir uns nahrung, öffnen wir uns wie türen : wie viele türen im inneren, im zwischen, zwischen uns, zwischen uns und dem schwirrenden glück? sind wildblumenwiesen, wenn wir wollen und gleichgefiedert im freien hall, im heilenden fall ins blau der augen des drachen, in angst und verzweiflung, doch wir scheuen nicht zurück : fühlt sich an wie sterben : fühlt sich wie liebe an : fühle dann nichts mehr oder denke das nur : fühle mich hundertfach im raum und sehe mich hundertfach im raum fühlen, wie ich hundertfach im raum sehe, was ich kaum zu fühlen bereit bin, aber ich vertraue – auf was oder wen? auf dich? mich? unsere liebe? aufs vertrauen? den zufall? auf den ominösen fluss des lebens? fuck it! eh wurscht! egal was mich bei verstand hält oder mir mut gibt weiterzumachen, zuversicht, es quillt aus mir : ich quelle aus mir und verwandle, was auch immer an zerbrochenem, verletztem, abgespaltenem oder eingepflanztem durchs gedärm wuselt : du, schmetterling, du, was kannst du uns von der leere erzählen? liebst du die sonne, so wie ich? und das meer? hinterlässt du abdrücke im sand? lügt der wind, hier, am kap, wo mich jede*r kennt? mein gesicht auf den globus gepinselt als wäre ich mehr als ich weiß, dass ich sein könnte : und größer : das größte ich, das ich sein möchte?

“Did I cross the line?”

Billie Eilish, in erneuter zusammenarbeit mit ihrem bruder FINNEAS, ist ein herrlich vielseitiges und musikalisch anspruchsvolles album gelungen, das durch die detailverliebte produktion der soundstimmstimmungsschichten besticht, aber mit den texten, die verschiedenste facetten von liebe thematisieren, die wunderschönen, lustvollen und glücklichen, wie auch die abgrundtief schmerzenden, gewaltvollen, übergriffigen, verlogenen und obsessiven seiten, noch dieses eine besondere, etwas andere gewürz beinhaltet, durch das es zu einem herausragenden werk wird :
Billie Eilish ist eine ungewöhnliche persönlichkeit in der pop-maschinerie, die sie gekonnt zu bedienen gelernt hat und gleichzeitig mit ihrer unverstellten, eigenwilligen art fast ad absurdum führt : sie ist und bleibt sie selbst, mit ecken und kanten und dunkelheiten und leerstellen : wie wir alle

 

Hit Me Hard and Soft (Deutschlandfunkkultur)

 

Kunnst und Krempel

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. MaiKunnst schreiben mit zwei “n”. Das ist das Mantra der Möglichkeitsform, das sich von Anfang an durch unsere gemeinsamen Sendungen zieht wie ein roter Faden (nicht zu verwechseln mit einem faden Roten). Und Kunnst in diesem Sinn ist es auch, aus den zahllosen am Ufer unserer Seinsinseln aufgetauchten Artefakten die eine oder andere Collage zu zaubern, die all den irgendwo anders verschwundenen und auf verschlungenen Wegen zu uns gelangten Seltsamkeiten der Menschheitsgeschichte einen bislang noch nicht gesehenen Sinn, eine sonst so nicht übliche Sichtweise oder gar einen frei erfundenen Zusammenhang verleiht. Auf dass uns die Bretter vor den Köpfen nicht die Welt bedeuten, sondern Baumaterial unserer eigenen Schöpfung werden.

Kunnst und Krempel“Kunnst da des amoi gonz ondas vuastölln?”, hieße das im Dialekt und darin wird unsere Sinnstiftung deutlich: Kunst als “könntest du” nicht nur auszusprechen, sondern auch von vornherein so zu denken. Dadurch wird alles, was wir hier im Radio (und anderswo) aufführen, zu einer Einladung, sich auf neue Sichtweisen einzulassen und dabei die Erfahrung zu machen, etwas bislang nicht für möglich gehaltenes aus sich selbst heraus und völlig eigeninitiativ zu erschaffen. Wir machen also das, was uns Freude bereitet, nennen wir es “unsere Kinder zur Welt bringen, ihnen beim Aufwachsen zuschauen und sie selbständig ihren Weg finden lassen”. Und wir tun das öffentlich und zugleich geborgen (im Schutzraum unseres Radiostudios – es könnte auch in einem Film oder auf einer Bühne sein). Für uns selbst und für alle, die dabei sind indem sie mit(er)leben und so wiederum

Kunnst und KrempelImmer noch werden Hexen verbrannt
Auf den Scheitern der Ideologie
Irgendwer ist immer der Böse im Land
Und dann kann man als Guter und die Augen voll Sand
In die heiligen Kriege ziehn

Konstantin Wecker schrieb seinen Text “Hexeneinmaleins” in den 1970er Jahren. Kurz nach dem “Anschluss” Österreichs an Nazideutschland 1938 verbrannte man am Salzburger Residenzplatz symbolisch die Bücher jener Autor:innen, denen die damals herrschenden Verbrecher so etwas wie “undeutschen Geist” unterstellten. In der Sendereihe Artarium haben wir heuer unter dem Titel “Unzerstörbar” an dieses “Vorspiel zur späteren Menschenverbrennung” (wie es auf der Gedenktafel heißt) erinnert – und dabei ins Hier und Heute der nachfolgenden Generationen geschaut.

Kunnst und KrempelWenn wir nun das Gerümpel der Geschichte mit dem seelischen Sperrmüll vergleichen, der uns allen innelebt, dann stellen wir fest, wie gar nicht so verschieden sie sind. Was sich da über Generationen durch Miterleben wie Verdrängen in uns angesammelt hat, das geht (wenn wir uns wiederum als Inseln betrachten) auf keinen Humboldtstrom. Wie gerne würden wir das alles in die Tonne mit der Aufschrift “hat sich nie ereignet” treten – doch worin sollten sich dann unsere Menschenmitkinder spiegeln, um sich zu erkennen? In der Fernsehwerbung? Der Influencer-Pandemie? Der vergangenheitsbefreiten Scheinwunscherfüllung aus der Propagandaküche der globalen Heilsversprecher/Heilsverbrecher? Hinfort, Konsumissimus! Im Angesicht des unendlichen Hasenspiegels (Spiegelhasen?) werden wir den Unterschied zwischen künstlich und Kunst wahrnehmen. Kunnst?

 

Wenn Kunnst von Kommerz käme, würde sie Wurrst heißen.

 

PS. Mit lieblichsten Nachdruck empfehlen wir den Dokumentarfilm NONKONFORM (ZDF Mediathek) über Dietrich Kuhlbrodt, der als Staatsanwalt Nazitäter verfolgte, mit Rainer Werner Fassbinder flirtete, über Die tödliche Doris philosophierte und in Schlingensiefs “Das Deutsche Kettensägenmassaker” eine Hauptrolle spielte (um hier nur einiges anzustupsen). Kongenial begleitet mit Musik von Helge Schneider

 

Unzerstörbar

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. April – Und wieder einmal jährt sich (am 30. April) die Salzburger Bücherverbrennung. Nachdem wir dieses uns immer wieder sprachlosmachende Thema von verschiedenen Seiten her angeleuchtet haben, wollen wir heute einmal in die Gegenwart schwenken. Denn auch in unserer Zeit tobt ein unerbittlicher Kulturkampf ums Zugänglichmachen oder Verschwindenlassen von geistigen Inhalten, wie sie eben in Büchern (und anderen Medien) aufbewahrt sind. So erleben wir etwa in den USA ein zunehmend fanatisiertes Aussortieren von für manche Kreise “unerwünschten” Themen aus vornehmlich Schul-Bibliotheken. Im Video “The Unburnable Book” mit Margaret Atwood werdem derlei Praktiken sowie mögliche Gegenmaßnahmen erörtert. Genau, unzerstörbar muss es sein

UnzerstörbarUnd unzerstörbar ist es auch – das Überleben. Wenn wir bedenken, wie Trauma entsteht und wie sich unser “Feststecken” in den natürlichen Reaktionen darauf (Flucht, Kampf, Totstellen) wieder auflösen ließe, dann geraten wir unweigerlich in einen Bereich unseres Daseins, der weder durch analytisches Denken noch durch Sprache, wie wir sie kennen, aufgedeckt werden kann. Manche nennen diese Dimension und das, was sich in ihr abspielt, die “Weisheit des Überlebens”, die im Gedächtnis unserer Körper abgespeichert ist und mit der es nunmehr wieder in Verbindung zu kommen gilt. Da dies offenbar nicht auf dem Weg bewusster Einflussnahme möglich ist, bieten sich sinnliche Erfahrungen und emotionale Reaktionen aus den evolutionsgeschichtlich uralten Untiefen unseres limbischen Systems als ein weit offener wie zugleich verborgener Zugang zu uns selbst an. Peter Levine beschreibt die Grundlagen dafür als “Sprache ohne Worte”.

Was verbindet nun die “Leerstellen” in den Bücherregalen mit den “Leerstellen” in unserer Persönlichkeitsentwicklung – und in unseren Familiengeschichten? Was kann uns “ein roter Faden” durch diese Sendung sein, die den Versuch unternimmt, die retrospektive Musealisierung der Vergangenheit (Gedenkkultur) zu verlassen und eine spürbare Verbindung mit den heute lebenden Kindern und Enkeln der Zeitzeugengeneration herzustellen? Das Überleben? Das ist seinem Wesen nach unzerstörbarandernfalls gäbe es auch keine Nachkommen von Überlebenden.

In unserem Radiodenkmal der Geschichte(n) wenden wir uns Erfahrungsberichten und textlichen Experimenten der nächsten und übernächsten Generation zu. Anders gesagt jener Generation, die das Überleben ihrer Eltern und Großeltern (sowie die damit einhergehenden Traumatisierungen) überlebt haben. Hören wir Ausschnitte aus “Das Schweigen meines Vaters – 104517” von Misha G. Schoeneberg aus Berlin, das schon bald erscheinen wird. Und begleiten wir Christopher Schmall auf der Suche nach dem, was in seiner (und wohl in unser aller) Vorgeschichte “verschwunden” ist.

 

Kann man “das Unsagbare” überhaupt sagen? Und wenn ja – wie?

 

PS. Materialien zur Salzburger Bücherverbrennung vom Friedensbüro Salzburg sowie die Veranstaltungen zum aktuellen Gedenken (heuer) am Residenzplatz.

 

Jenseits von Ostern

> Sendung: Artarium vom Ostersonntag, 20. April“Das Persönliche ist politisch – und das Politische ist persönlich.” Mit diesem Wort zum Ostersonntag, welches 1970 erstmals öffentlich aufkam, begeben wir uns mitten hinein in eine Jahreszeit, die wie keine andere vom Verkörpern des Überlebens geprägt ist. Jenseits der Religion zum Zweck der Machtausübung begegnen uns die gewaltigen Kräfte der Natur in einer bislang noch kaum verstandenen Wirksamkeit. Dieses Ostern verbindet uns mit dem Urzustand unseres Lebens, aus dem wir alle entstanden sind und aus dem wir nach wie vor alle bestehen, siehe diesen hervorragenden Beitrag: “Biotop Mensch”. Indem wir die Etymologie des Begriffs Religion betrachten – und dabei einmal alle ­übernatürlichen Aspekte weglassen – (rück)verbinden wir uns mit unserer Natur!

Jenseits von OsternDanke. Bitte. Bitte. Danke. Ostern ist bestimmt kein Fest, für das wir Hasen uns vom Papst Benefiz oder sonst irgend einem Eiermann eine Bedeutung aufdrängen, umhängen oder dazuzwängen lassen. “Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen.Das versteht jeder Alkoholiker, auch wenn manch ein Kind länger dazu gebraucht hat. Was uns der Dichter damit sagen will? Dass wir mit den unendlichen Angeboten des Lebens selbst etwas machen müssen (und auch können), denn weder der Herr Präsident noch die gute Mutter oder gar “G*tt” wird es für uns tun (und es würde sich dann auch nicht gut, wahr oder sonstwie schön anfühlen). Sowohl der Feind als auch der Retter sind schon immer in dir daheim, du bist sie sogar selbst, kannst dich aber auch mit ihnen unterhalten und (aber hallo!) auf sie einwirken. Du bist allmächtig und ausgeliefert zugleich und kannst das Verhältnis zwischen dir und deinen zwei Seiten in all ihren Schattierungen verändern, gestalten. Willkommen bei der eigenen Auferstehung

Mitten dazwischen, dahinter, darunter und darüber hinaus, bin ich auch das Kind. Das Kind, das sich nicht auskennt. Das Kind, dem immer wieder mal alles zuviel wird. Das traurige Kind. Das erschrockene Kind. Das Kind, das sich fürchtet. Und das Kind, das Angst hat davor, in seiner Angst unterzugehen, weil da niemand ist, der (und vor allem die!) ihm beisteht, ihm hilft, es in den Arm nimmt – und es tröstet. Das Kind, das mit den anderen Kindern spielen will. Das andauernd Einfälle und Ideen hat und unendlich lustig ist Das mit der Sprache spielt bis sie schmilzt.

 

Frohstern, nicht Verrohstern!

 

Nachhören: Hart am Limit: Engelsgeflüster besucht die Robert Jungk Bibliothek

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Jenseits von Jedem

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. April – Wie es inzwischen zur guten Gewohnheit geworden ist (“Es muss feste Bräuche geben, sagte der Fuchs”), spielen wir auch am heutigen Sonntag nach der Perlentaucher-Nachtfahrt wieder ein ganzes Album. Die bis zum Prädikat ­epochemachend stilprägende Band Blumfeld rund um den Autor und feinwahrnehmenden Musikpoeten Jochen Distelmeyer veröffentlichte anno 2003 eine hochverdichtete Gefühlsweltsynthese namens Jenseits von Jedem. Und auf diese Reise quer durch die ambivalentesten Mehrdeutigkeiten der darauf beschriebenen (und meisterlich in Musik umrahmten) Szenarien wollen wir uns und euch diesmal entführen (lassen). Dabei entdecken wir, dass wir alle Teil der selben Bewegung sind, sowohl von ihr bewegt werdend, als sie eben auch bewegend

Blumfeld - Jenseits von JedemGenau so ein “mediopassives Selbstverständnis”, von dem auch Hartmut Rosa spricht, das kommt in den verschiedensten Liedern auf diesem Album immer wieder zum Ausdruck. Was das über die Jahre mit mir gemacht hat (und was ich daher damit mache) und – warum uns gerade diese Musik in unserer letzten Perlentaucher-Nachtfahrt mit dem nicht ganz “eindeutigen” Titel “Ein multifaktorielles Umfangen” besonders beschäftigt, das sollen die einzelnen Stücke am besten selbst erzählen. Denn, wie schon der große Axel Corti in seinem letzten Schalldämpfer bemerkte: “Die Moral von der Geschicht IST die Geschicht.” Jenseits von jeglichem von wem wie auch immer zugeschriebenen Schachterl, in das eine Begegnung, ein Berührtwerden, eine Erschütterung oder eben auch eine Geschicht, die sich daraus erzählt, einsortiert werden soll, wohnt, lebewest, geht ein Prozess vor, werdendes wie vergehendes Verwandeln, dem wir sowohl ob- als auch unterliegen. Und in der minimalen Zeit, die es brauchen würde, um das gerade Stattfindende in irgendeine Definition zu befördern, hat sich das Leben in mehrere Richtungen zugleich weiter entwickelt.

Kurz nach der Auflösung von Blumfeld habe ich anlässlich der Vorstellung seines ersten Soloalbums “Heavy” mit Jochen Distelmeyer gesprochen – über Depression, die Ungerechtigkeit auf der Welt und die eventuelle Möglichkeit, durch öffentliches Ausdrücken der eigenen radikalen Selbstwahrnehmung wenigstens ein Stück von dieser immer in wechselseitiger Beziehung stehenden Innen-Außenwelt zu gestalten. Damals hatte ich den Eindruck, er antworte irgendwie ausweichend. Heute jedoch verstehe ich ihn als jahrelang gegen ihm auferlegte Kategorisierungen kämpfend.

Und als jemand, der sich entwickelnd seinen Weg geht. Der bis jetzt (soweit ich das aus der Ferne sehen kann) den meisten der über ihm abgeworfenen Käfigfallen in der Art von “Er ist dies, er ist das” entkommen konnte. Das macht mir Mut zu mir selbst, dazu, mir beim Entwickeln meiner Möglichkeiten wohlwollend und gelassen zuzuschauen. Die schlimmsten (und am schwersten zu entkräftenden) Verurteile sitzen ja schon längst tief in einem (oder einer) selbst. Denen wollen wir entgehen.

 

Jenseits von Jedem

 

Arielle wirft sich in Schale
Sie geht mit ihren Schwestern aus
Ihr Ex, der alte Egomane
Masturbiert und bleibt zu Haus
Und wer sie sieht, gerät ins Schwärmen
Was niemand weiß, sie ist verliebt
Sie möchte den DJ kennenlernen
Der zur Eröffnung Shanties spielt
Der Rabensohn ist auf der Flucht vor seinen Eltern
Er geht zum Karneval, verkleidet als Vampir

 

Lass uns nicht von Sex reden