Licht und Schatten

Artarium am Sonntag, 21. Dezember um 17:06 UhrLicht und Schatten ist ja nun wirklich ein vortreffliches Thema zur Wintersonnenwende, weil es die physikalischen Gegebenheiten dieses Phänomens auf den naturwissenschaftlichen Punkt bringt. Nichtsdestoweniger sind rund um diesen winterlichen Wendepunkt im Verhältnis von (Erd)Schatten und (Sonnen)Licht auch allerhand andere Aggregatzustände, etwa in der menschlichen Psyche und auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen wahrnehmbar. So berichten Artgenoss*innen verschiedentlich von einem Schwinden der Lebenskraft oder einem Gefühl des Ausgezehrtseins. Und auch von einer Art Zuspitzung innerer Konflikte, sozusagen von dramaturgischen Höhepunkten im inneren Ringen mit ihren willkommeneren und auch unangenehmeren Anteilen.

Licht und SchattenUm jedoch diese Betrachtungen nachhaltig zu entlangweiligen, wird die Hüterin der Licht-Schatten-Verhältnisse bei der Radiofabrik-Bildbearbeitung, Luca Standler, ein paar ergänzende und erweiternde Ebenen in die hier angefangenen Überlegungen einbringen.

Es ist durchaus erstaunlich, was auch nur eine kleine Veränderung in Helligkeit oder Kontrast für den Gesamteindruck des endgültigen Bildes bewirken kann! In dem Zusammenhang sei den Obermoralisten und Leistungszauber*innen des Persönlichkeitsentwicklungsperfektionissimus (und vielleicht sind das auch nur ein paar mir selbst innewohnende Schattenkinder) folgende Überlegung ins Stammhirn geschnitzt: “Je heller du das Licht machst, desto dunkler (und also schärfer, schwärzer – aber eben auch deutlicher) werden die Schatten.” Und sind das nicht deine eigenen schattigen Stellen, der/die du ein leuchtendes Leben uns vorzuführen versuchst? Oder eigentlich besser bloß dir selbst? Denn wir sind in dem Fall nichts anderes als dein sichtbares Publikum. Allerdings ungern – denn wie heißt es schon seit Goethe: “Man merkt die Absicht und man ist verstimmt.” Wenn wir bemerken, wir wurden nur zum Bejasagen deines Richtigseins abkommandiert …

Soweit unser Einblick in die “Dark Side”. Und weil diese Sendung ziemlich genau eine Stunde nach der planetarischen Umkehr von “immer noch dunkler” zu “ab jetzt wird es wieder heller” stattfindet (was wir auch durchaus zu feiern vorhaben), wenden wir uns jetzt wieder der “Bright Side” zu: Schlussnummer zur heurigen Finsterwerdung (wusstet ihr, dass es einen Unterschied zwischen Finsternis und Dunkelheit gibt?) soll demnach “Let’s Not Shit Ourselves (to Love and to Be Loved)” von den Bright Eyes sein, worin Conor Oberst eine der schönsten Liebesgeschichten ever erzählt:

 

And my father was there
In a chair by the window
Starin‘ so far away
I tried talking just whispered
So sorry so selfish
He stopped me and said
Child, I love you regardless
There’s nothing you could do
That would ever change this
I’m not angry, it happens
But you just can’t do it again

 

Darkness?

 

Everybody Scream

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. Dezember – Die Vorstellung dieses Albums entsprang zunächst einem internen Auffassungsunterschied: Unentrinnbar deutlich sind Wut und Verzweiflung und damit einhergehend zornige Aggression und brutale Gewalt in der Stimme von Florence Welch wahrzunehmen, was die einen erschreckt, verängstigt und verstört – andere hingegen anzieht, neugierig macht und fasziniert. Nur eine Wendung weiter, gleich hinter den sich allzu leicht anbietenden Urteilen über Gut und Böse wohnt erfreulicherweise die Weisheit des Werdens und ermöglicht uns eine umfassendere Perspektive auf das Menschsein in seinen Zusammenhängen. Weil uns die Opulenz von “Everybody Scream” hier wenig Zeit gewährt, erzählen wir uns die Geschichte(n) dahinter in der Perlentaucher Nachtfahrt “Lost and Found”.

everybody screamchristopher schmall:

Everybody Scream

tanzfiebrig
bühnenekstatisch entgrenzt
geplatzter eileiter
dosenvoll blut in dir
spürst du nicht im rausch der musik
bist frei und mächtig
brauchst nichts zu verbergen
der tod küsst dich
seine brombeerlippen
beflecken dein kleid
er schmeckt nach leben

unter deiner zunge
ätzt wut aus schmerz
fleisch für stückchen fleisch entfernt
zellhaufen unbenannt
im garten vergräbst einen schrei
siehst zu wie er wächst
zu einem roten baum
er strahlt mit schartigen ästen
zerklüfteten blättern die jaulen im wind
zehn tage später wieder im rampenlicht
selbstprophetisches märchen
du folgst dem hexenlied meilenweit
den schreienden frauen hinter dem vorhang
sturm und donner und schlamm
wo kommst du an? kommst du denn an?
vielleicht in einem haus am waldrand
und suchst dort trost in der wortlosen sprache
der blumen und tiere und siehst zu wie das weltenrad
sich dreht und wie dein körper die jahreszeiten
mimt und fühlst nach und nach etwas an dir ziehen
einen sog ins chaos oder bloß einen hauch
der dich lockt mit fremdvertauten düften?
egal denn du rennst schon los
bist getrieben getragen von chören
jammergeheul gekreische flüstergesängen
anrufungen alter gewissheiten
sie lallen und torkeln
und verpuffen als rauch
gebete sind zaubersprüche
und liebe ist nicht was du glaubst
ist nicht wie in mythen und märchen
nicht wie in filmen und büchern
nicht wie dir beigebracht wurde und
nicht wie du dir selbst weismachen wolltest
du hältst inne umzüngelt von stimmen
willst schrumpfen verschwinden
in der menge dich auflösen
im rauschen verwehen
und bist doch himmelweit
unzähmbar gewaltig
voll der hingabe bringst du dar
opfer für opfer am altar der kunst
trinkst leer den kelch aus deinen knochen geschnitzt
trinkst leer den kelch mit deinen tränen gefüllt
trinkst leer den kelch und brichst deinen leib
verteilst ihn unter uns hungrigen seelen
rufst uns den tod ins gedächtnis
in bunten blüten ist er gewandet
samtig schmiegt er sich an uns
umfasst uns liebkost uns
schweigt mit uns
schreit mit uns
blickt uns aus
den augen
du singst
und alle
schreien
dir zu alle
schreien deinen
namen alle schreien
mit dir gemeinsam singschreien
deine lieder gemeinsam du nimmst anlauf
und springst ins händemeer lässt dich treiben
vielleicht trägt es dich durch die stadt
die hauptstraße runter über den platz vorm gericht
an deinem haus deinen träumen vorstellungen
selbstlügen und verzerrten spiegelbildern vorbei
weiter am fluss entlang und durch
die vergessenen viertel schließlich
hinaus auf die schlachtfelder
und du fragst: „Did I get it right?
Do I win the price? Do you regret
bringing me back to life?“
das meer kreischt
und versiegt
nun liegst du im gras
hörst nichts als das säuseln der halme
die sterne schwingen der mond zwinkert dir zu
„A shimmering landscape, widen my eyes
Can I keep all this beauty forever inside?
du weißt wir alle verlieren den verstand
fliegen hoch übers kuckucksnest
dein lachen schallt durch die nacht
du krümmst dich und trommelst auf erde
und entflammst einen rhythmus
lachst in dem rhythmus deine laute
melodisch fängst an zu singen und
spürst das keimen der nächsten idee
dem kreativen fluss widerstehen kannst du nicht
dir selbst entkommen kannst du nicht
am ende am anfang bleibt nichts
als ein tanz auf messers schneide
oder haben wir vergessen wie
man auf der ganzen klinge tanzt?
du streifst deine schichten ab
steckst dir zweige und blumen ins haar
webst einen mantel aus nebel mit knöpfen
aus silbernem licht und wanderst den hügel hinauf
es dämmert allmählich
du wartest noch
wegbereitverwegen
verwandelnd verzaubernd verheilend

 

Everybody Scream

 

Lost and Found

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Dezember – Damit hier kein Mistverständnis aufkommt: So einfach ist es auch wieder nicht. Lost and Found ist nicht irgend ein Fundbüro, wo verloren gegangene oder vergessen geglaubte Sachen sich ansammeln, auf dass man sie irgendwann später vielleicht einmal wieder anfindet. Aber irgendwie halt schon auch. Nur nicht ausschließlich. Das wäre uns einfach zu eindimensional. Schließlich begehen wir mit dieser Sendung unser feinsinniges 15-jähriges Bühnenjubiläum auf den Frequenzen, die nicht nur uns die Welt bedeuten. Und da hat sich durchaus so einiges angelagert, das wir in der bewährten Weise einer näheren Betrachtung unterziehen wollen: Themen, Ideen, Konzepte, rote Fäden, sich wiederholende Formulierungen, ausgefranste Versuche, ein paar lose Enden

Lost and Foundund ein Sack voll ambivalenter Gefühle: Der Geist des Hasen ist uns erschienen. Die Vergangenheit wirft ihre Schatten voraus und die Dämonen der Nazizeit lassen sich nicht so einfach abschütteln. Eine Verschwörung des Verschweigens, die uns über Generationen hinweg derart gefühlsbehindert sein lässt, dass wir den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge gar nicht mehr spüren, geschweige denn lebensecht ausdrücken können. Was auch dazu führt, dass wir uns selbst hassen und diese Grundhaltung (oft sogar in aller Freundlichkeit) an andere Menschen weitergeben. In Familien führt dies zu einer tragischen Vererbung von lebensfeindlichem Verhalten und weltweit führt dies zur Vernichtung der Natur. Wie ist der Gedankensprung von der Naziideologie zur globalen Lebensfeindlichkeit erklärbar? Nun: “Alle Schweinderln sind aus Nazipan.” Anders gesagt: “Auschwitz war von Anfang an als Möglichkeit in unserer Kultur enthalten.” Vilém Flusser

Lost and FoundDer Boden, auf dem wir stehen (unsere Kultur) ist also morsch. Und dennoch leben und arbeiten wir weiter IN BETWEEN zwischen den Möglichkeiten des Aufgebens, des sich Fallenlassens in den Untergang (das wäre der eine Tod) und jenen des Verdrängens, des sich Ablenkens bis zur totalen Unbewusstheit (das wäre dann der andere). Da dazwischen gibts aber noch einen, den eigenen, der naturgemäß am Ende unserer physischen Existenz auf uns wartet. Der lässt sich sowieso nur er-leben (und nicht vermeiden, egal wie sehr man ihn auch ausblendet). Also leben wir, möglichst echt, möglichst intensiv und möglichst unserer Natur entsprechend (Natur steht hier auch ganz bewusst als Gegenpol zu “Kultur”) uns entgegen und dem, was unser Leben ist. Mit allen Fragen, die noch offen sind, beantworten wir uns selbst und einander und verurteilen wir uns nicht. Das haben, wie bereits angeführt, eh schon andere. Wir sind lebenswertes Leben … und mit unserer Suche nach den Leerstellen der Geschichte(n) und mit der Frage nach den Aufgaben der nachfolgenden Generationen (den heutigen Zeitzeugen) in der Artarium-Ausgabe “Unzerstörbar” für den heurigen Radiopreis der Erwachsenenbildung nominiert. Mich bestärkt das in meiner Absicht, den “Pakt des Schweigens” zu durchbrechen.

Lost and FoundDazu, sowohl Familienforschung als auch Traumatherapie in der Richtung eines selbstbestimmten Akts sprachlichen Ausdrucks mit der Radiogestaltung zu verbinden, hat mich einerseits meine Arbeit an Misha Schoenebergs Manuskript “Mein Vater, Auschwitz und der 7. Oktober” – andererseits auch das Buch “Sag du es deinem Kinde” über Nationalsozialismus in der eigenen Familie von Friedemann Derschmidt inspiriert, das auf einem noch viel umfänglicheren und vielschichtigeren Kunst- und Forschungsprojekt namens “Reichel komplex” aufbaut. Für mich als ebenfalls von einigermaßen komplexer Familienvererbung Betroffenen eines der fruchtbarsten, bringendsten und zum Selbstweiterforschen anregendsten Bücher zu diesem Themenkreis. Schauen wir einmal (gern auch mit den Ohren), was aus dieser Art von Entdeckungsreise in die angeblich nichtvorhandenen Abgründe unserer Familien noch so alles entsteht …

 

You found what was lost … and now?

 

Lebens Geschichten

> Sonntag: Artarium vom Sonntag, 30 November Geschichten, die das Leben erzählt, spiegeln sich in den Menschen, die sie erlebt haben – nein, eigentlich auch immer noch erleben. Und wenn sie das tun, also von ihrem Erleben erzählen, dann verlebendigen sie ihre Erfahrungen für uns andere und der sprichwörtliche Funke” kann regelrecht überspringen. Seit einiger Zeit geht die Sendereihe Gesprächsfunken – Facetten vieler Leben diesem Phänomen nach und verwirklicht die Darstellung von persönlich erzählten Lebensgeschichten auf eine, wie wir finden, bemerkenswert berührende Art und Weise. Davon haben wir bereits einmal in der Sendung “Echte Menschen, Live!” berichtet. Und ich selbst habe mich, daraufhin neugierig geworden, mit meinen Geschichten vom Leben in eine Gesprächsfunkensendung eingeladen.

Lebens GeschichtenDabei ist eine Folge mit dem Titel “Live and let live: Vergeben lernen – mit den inneren Kindern an der Hand” entstanden – und ich konnte in diesem Selbstversuch feststellen, dass Birgit Brandners Konzept tatsächlich funktioniert. Und zwar nicht nur mit Frauen, sondern auch mit Männern und, wie das bei mir der Fall ist, mit einem Mann, der Gewalt von weiblicher Seite erlebt hat. Nun, wodurch hat sich dieser Eindruck bei mir in Richtung eines Beobachtungsergebnisses verfestigt? Ganz einfach – beim Nachhören der fertigen Sendung ist mir aufgefallen, dass ich mich in der Gesprächssituation (von mir während der Aufnahmen noch unbemerkt) “geöffnet” und mich “der neugierigen Fragestellerin anvertraut” haben muss. Das machte ich am Klang meiner Stimme fest, den ich inzwischen schon in verschiedenen Settings zu beurteilen gelernt habe. Ich hörte dabei auf einmal viel mehr Klangfarben als sonst, eine feiner abgestimmte Sprachmelodie, und was vielleicht am bedeutendsten ist, ich spürte Begeisterung, Leidenschaft und Lebendigkeit in meiner Erzählweise, und dies im Vergleich mit anderen, durchaus gelungenen Auftritten, noch intensiver. Das alles macht mir Lust auf mehr … und ich will verstehen, wie das funktioniert

Peter Levine, dessen Somatic Experiencing ich bereits des öfteren als wesentlich für meine Traumatherapie angesprochen habe, beschreibt in seinem grundlegenden Buch “Sprache ohne Worte” ein interessantes Phänomen: Sobald sich uns ein Mensch in einer Weise aufmerksam zuwendet, dass ein sicherer Ort des Vertrauens entsteht, löst dies in uns eine umfassende Selbstregulation des gesamten Nervensystems sowie der an diesem Prozess beteiligten Biochemie aus und wir können von jetzt auf gleich wieder gänzlich “gesund und selbstentsprechend” denken und reden.

Das ist definitiv eine interessante Spur, die wir näher beleuchten wollen. Es würde nebenbei auch erklären, warum “industrielle 3-Minuten-Medizin” so frustrierend und oft auch wirkungslos ist – und warum jedwede Zuwendung im Heilungsbereich, die mit urteilsfreier Aufmerksamkeit und “sich Zeit nehmen” einhergeht, rein schon im Entstehen dieses “intuitiven Vertrauensfeldes” als irgendwie gesundend erlebt wird. Machen wir die Probe aufs Exempel oder Wiederholen wir unser Experiment: Also, diesmal neu im Artarium: Selbstversuch die Dritte mit Birgit Brandner Live On Air.

 

Wir sind ein geiles Institut

 

Rebellen und Revolutionäre

Artarium am Sonntag, 23. November um 17:06 Uhr – Wenn wir an Rebellen denken, dann kommen uns zunächst die rebellischen Posen all der “angry young men” aus der Popkultur in den Sinn, des weiteren wohl auch allerlei gegen irgendein Unrecht Aufbegehrende und nicht zuletzt unzufriedene Frauen wie zum Beispiel Pussy Riot. Wenn allerdings von Revolutionärenja, bitte auch *innen – die Rede ist, fällt leider schnell die Assoziationsklappe zu den Bedeutungen, die in einer ausschließlich aufs Äußerliche fixierten Gewaltwelt flächendeckend verbreitet sind (und werden). Wir aber wollen uns diesmal den revolutionären Umstürzen im Inneren zuwenden, die für viele praktische Anwender*innen des Menschseins als die wesentlichen und für eine eigeninitiative Gestaltung des Lebens unverzichtbaren gelten

Rebellen und RevolutionäreDer wegweisende Psychologe und Schriftsteller Arno Gruen schreibt in seinem Buch “Der Verlust des Mitgefühls: Über die Politik der Unmenschlichkeit” in dem Kapitel “Linke und rechte Rebellen” über die Ursachen von sich fortwährend wiederholenden rebellischen Posen sowie fruchtlosen, weil nämlich stets in Gewaltexzessen erstickenden Revolutionen: “Um aus dieser Verwirrung auszusteigen, muss man erkennen können, was man als Kind tun musste, um seine fürchterliche Angst zu überleben.” Und weiter: “Um diese Problematik in einer Psychotherapie aufzuarbeiten, muss diese alte Angst – der Terror, den das Kind als Vernichtung seiner selbst erlebte – erneut durchlebt werden.” Na, habediehre! Willkommen im Abgrund, aber eben auch und gerade dort, wo hinter der Todesangst das Leben lauert, das wunderschön ist und gesund, die wirkliche Liebesfähigkeit für uns selbst und für andere – das wir jedoch in weiten Teilen zu spüren verlernt haben. Florian Friedrich weiß, worum es hier geht.

Was mich an Arno Gruens Psychologie von Anfang an fasziniert hat, war dieser selbstverständliche Zusammenhang zwischen den Lebensproblemen einzelner Menschen und den gesellschaftlichen Gegebenheiten, in denen sie stattfinden. So zeigt er nicht nur die sozialen Verursachungen von seelischen Verstrickungen auf, sondern auch die Auswirkungen, die deren therapeutische Verarbeitung auf die gesamte Gesellschaft (und somit auf die Welt, in der wir leben) unweigerlich haben. Er verknüpft also das Innen mit dem Außen auf der Ebene von Ursache und Wirkung:

“Wir suchen nach dem Besseren, verfallen aber immer wieder Führern, die uns unterdrücken, uns zwingen, unsere individuelle Geschichte der Unterdrückung und Rebellion zu wiederholen. So wird unsere Leidensgeschichte immer weitergegeben. Sie mag zwar unterschiedlich verlaufen, aber der Inhalt des Leidens und der Unterdrückung bleibt. Dennoch bleiben die Hoffnung auf das Gute und der Wille, Gutes zu tun, bestehen. Sie flackern immer wieder auf. Ich spreche hier nicht von organisierten politischen Bewegungen, sondern von Individuen, die zu sich selbst gefunden haben und der Gewalt und der Verlogenheit die Stirn bieten. Ob dies auf dem Weg des inneren Wiederstands oder in Form von offener Rebellion geschieht, ist dabei unerheblich. Wichtig ist, dass die Individuen zu ihrem Menschsein stehen.”

 

I look at you all, see the love there that’s sleeping

 

 

Appear Disappear

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. November – Zum 40. Bandjubiläum von The Young Gods aus der Schweiz ist schon so gut wie alles gesagt. “Nur halt noch nicht von allen.” (Karl Valentin). Auch wir haben uns ja in den vergangenen Jahren über das eine oder andere Werk dieser angenehmst vielseitigen Grenzüberschreiter und Genrezerleger schon weiterführend ausgelassen. Also wollen wir diesmal ihren eigenen Kommentaren zur Weltlage und zu ihrem bisherigen Schaffen Raum geben: Hören wir einfach ihr aktuelles Album “Appear Disappear” oder noch besser, lassen wir uns davon in ihre Zwischenwelt mitnehmen, in der sie jugendliche Wut über die Ungerechtigkeit mit abgeklärter Weisheit im Umgang mit den Wechselfällen des Lebens zu einer bemerkenswert beidseitigen Soundsynthese verbunden haben.

Appear DisappearEs ist ein eher seltenes Phänomen, dass ein wie auch immer geartetes Kunstkollektiv (speziell in der Welt der musikantischen Popkultur) nicht in jener Pose, die sich einmal als einträglich erwiesen hat, verharrt, sondern über Jahrzehnte hinweg immer wieder nach neuen Themen, Konzepten und Ausdrucksformen sucht – und diese alle in einer stets wiedererkennbaren Gestalt, einem “stilistisch gemeinsamen Nenner” darbietet – ja, geradezu verkörpert. Um unserer Dankbarkeit dafür und unserer Freude darüber Ausdruck zu verleihen, spielen wir nicht nur das, wie gesagt bemerkenswert beidseitige Album “Appear Disappear” (und was mit “bemerkenswert beidseitig” gemeint ist, erschließt sich sicherlich im hörenden Erleben) – nein, wir geben auch dem “Kopf des Projekts” Franz Treichler Gelegenheit, seinen Kommentar zu Text und Inhalt des titelgebenden Stücks auszubreiten, der weit in die Zeitgeschichte zurückblickt und auf die bekannte Begegnung von Jean Ziegler mit Che Guevara verweist (hier der Kontext dazu):

 

Appear Disappear speaks about a person’s place in today’s society. When do we feel in sync with the world around us, and when do we no longer align with its values?

“I spend my time in the brain of the monster”

When Jean Ziegler was young, he was assigned to drive Che Guevara from one place to another in Geneva. In the car, Ziegler told Guevara that he wanted to support his cause, go to Cuba, and join the revolution. Guevara replied: “You live in Switzerland, right? Then stay here to support us – you are in the brain of the monster.” This phrase left a deep impression on me. It highlights the unease I feel as I become more aware of Switzerland’s indirect implications in global issues and conflicts. My country and its ghost nets (“my ghost net nation”) – a reference to fishing nets left in the oceans by industrial trawlers, causing massive damage to marine life.

Appear – disappear from society, engage – disengage. How do we react? How do we contribute constructively?

“I can ride the snake or get back on the tiger”

Escape into other worlds, other realities? (The snake is a recurring image in shamanic cultures.) Or ride the tiger—stay active, never give up, always start again?

Appear Disappear also reflects the fleeting nature of human life in the grand scheme of time.

“Hold your hand until you disappear” Holding someone’s hand until their last breath.

“You told me lover, matter doesn’t matter, flames and fires appear and disappear” My love, you showed me that flames come and go, and that matter does not matter.

Appear Disappear

This year marks the 40th anniversary of our band’s existence. The Young Gods have always had a unique relationship with the music industry: over 40 years, the band has often disappeared and reappeared.

 

Phantastische Gefühlswesen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. November …und wo sie zu finden sind? Phantastische Gefühlsfische (die wir diesmal mit freundlicher Erlaubnis der Autorin verwenden) könnt ihr in dem Buch “Heute bin ich” von Mies van Hout aus dem aracari Verlag finden. Und hoffentlich geht es euch dabei so wie mir, als ich diese Bilder zum ersten Mal sah. Die dargestellten Emotionen “sprangen mich regelrecht an”, so dass ich (und das in einem Arztwartezimmer!) lauthals drauflos lachen musste. Später erfuhr ich, dass es das Buch auch als Legespiel gibt und dass das sowohl in Kindergruppen als auch in Rehakliniken angewandt wird, um so “über Gefühle ins Gespräch zu kommen”. Das trifft sich wieder mal ausgezeichnet mit dem Konzept der Perlentaucher-Sendereihe, “eine musikliterarische Gefühlsweltreise” zu sein.

Phantastische Gefühlswesen

© Mies van Hout

“Na, wie gehts dir?” Das werden wir öfter gefragt und der Versuch einer Antwort auf die umfassende Verallgemeinerung, die hinter dieser Fragestellung lauert, überfordert uns naturgemäß immer. “Wie gehts dir jetzt gerade?” Das ist eine bessere Frage, von der ausgehend wir noch tiefer in die dunkle Unterwasserwelt eintauchen können, in der allerlei uns vielleicht seltsam, ungewohnt oder sogar peinlich vorkommende Emotionen ihr Wesen und auch Unwesen treiben. Und so wie es in den Ozeanen “thermische Schichten” gibt, unter denen man etwa mit Sonargeräten nichts mehr erkennen kann, so gibt es auch in unserer Gefühlswelt Barrieren, hinter denen wir mit dem uns zur Verfügung stehenden Erkenntnisapparat keine klare Wahrnehmung (geschweige denn Einschätzung) mehr von dem gewinnen können, was da in uns ist. Was wir nicht erkennen, können wir auch nicht benennen. Darüber können wir auch nicht reden, nicht einmal mit uns selbst. Irgendwie ein Gefühl von sprachloser Wut

Phantastische Gefühlswesen

© Mies van Hout

Eigentlich brauchen wir ja die Informationen, die uns all unsere Gefühle liefern könnten (wenn wir sie denn erkennen und verstehen würden), um unseren Weg durchs Leben sicher und selbstbewusst zu gehen … doch gibt es eben auch verschiedenste Veranlassungen, meist aus früheren Verletzungen, die es uns verunmöglichen, unsere Gefühle zu erkennen, von einander zu unterscheiden und für unseren Lebensweg entsprechend einzuordnen. Weil sie womöglich gar nicht jetzt stattfinden sondern uns durch einen Schlüsselreiz ausgelöst “wie damals” überfluten und zu verschlingen drohen. Oder aber sie scheinen überhaupt nicht da zu sein, weil sie zu spüren mit einer solchen Todesangst verbunden war, dass unser weises System des Überlebens ihre Wahrnehmung sozusagen “komplett ausgeschaltet” hat. Was auch immer uns jetzt, noch, eine Zeit lang, unter diesen Umständen, in dieser Situation (das sind die Zauberworte) dabei behindert … es ist zunächst einmal verwirrend

Phantastische Gefühlswesen

© Mies van Hout

Wir alle sind phantastische Gefühlswesen. Das bedeutet auch, dass wir die gesamte Weisheit des Lebens in uns tragen. Und das ist alles, was es braucht, um im Chaos der Gefühle wieder die Ordnung zu erschaffen, die für ein gedeihliches Lebenswegbeschreiten notwendig ist. Klingt blöd? Nach esoterischem Schnickschnack? Heilsversprechen aus dem Schwurbelsack? Geh bitte! Ich bin ein lebendiger Mensch und ich habe eine Geschichte (die aus vielen Geschichten besteht), nämlich meine. Du kannst mir begegnen und mich befragen. Ich rieche, schmecke und ich fühle mich an. Ich forsche schon mein Leben lang und frage Warum? in den Abgrund. Ich weiß, wovon ich rede. Und mein ebenso lebendiger Kollege Christopher Schmall kann das bezeugen. In unserem Tikun-Olam-Kastl zur Reparatur der Welt findet sich auch die eine oder andere Methode zum Wiederbegegnen mit verlorenen Gefühlszuständen. Beim Somatic Experiencing entdecke ich, dass ich sogar Zufriedenheit aushalte

 

Phantastische Möglichkeiten!