Scheiterhaufen – O.K.! (Album)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. MärzWir sind Perlentaucher. Und manchmal stellt sich die Frage, wo so ein im Strom der Gezeiten angefundenes Kleinod (die wir in unseren Radiobiotopen gern vorstellen) ursprünglich herkommt. Höchste Zeit für eine Berichtigung. Die Rede ist von dem sehr besonderen Album “O. K.!” von Scheiterhaufen, das auch wir immer wieder fälschlicherweise einem gleichnamigen DJ-Kollektiv aus dem Salzburger Innergebirg zugeordnet haben. Nachdem wir uns unlängst entschieden hatten, dieses fürwahr außergewöhnliche Werk endlich einmal in seiner ganzen Gesamtheit zu spielen, machten wir uns auf die Suche nach den eigentlichen Urhebern desselben. Und – wir sind wirklich fündig gewordenim benachbarten Deutschlandin der Zeit der Jahrtausendwende

Scheiterhaufen OK (Cover)Dort und damals entschlossen sich zwei Freunde, die sich für selbst geschriebene und vorgetragene Texte begeisterten, damit etwas ganz eigenes zu machen. Sie waren einerseits fasziniert von all den Ausdrucksmöglichkeiten, die das in jener Zeit aufkommende HipHop-Genre mit sich brachte, andererseits aber zutiefst abgestoßen von dem, was sich daraufhin als zunehmend populär werdender Deutschrap” oder eben deutscher HipHop in ihre und unsere Gehirne drängen sollte. In dieser Situation schufen sie ein (in unseren Ohren) Meisterwerk der Sprachkunst, das noch dazu aufgrund seiner alle gängigen Klischees des kommerziellen HipHop ad absurdum führenden Beats so etwas wie “genresprengend” wurde. Einer von den beiden, Kamal Nicholas, kann sich an den Entstehungsprozess und die ersten Aufnahmesessions dieses Albums erinnern und erzählt dabei Erstaunliches: Zwei Freunde texten (jeder für sich) zu einem jeweils gemeinsamen Thema und verbinden ihre Beiträge sodann in spontanen One-Take-Aufnahmen zu den einzelnen Tracks.

Scheiterhaufen - OK (Album)Das ist eine Herangehensweise, die unserem eigenen “Workflow” beim Radiomachen und unserem Umgang beim spontan-assoziativen “sich zusammenfinden lassen” von Musik- und Textstimmungen sehr nahe kommt. Auch deshalb ist uns derart zustande Gekommenes in seiner endgültigen Gestalt (was immer wieder nur eine Momentaufnahme sein kann) so sympathisch. Wenn wir eine Themensendung wie “Triptychon zur Traurigkeit” erschaffen, dann ereignen sich dabei sowohl im Vorfeld als auch Live On Air ganz ähnliche Prozesse wie beim heute mit Freude vorzustellenden Scheiterhaufen. Und dass wir deren bemerkenswertes Mund- und Klangkunstwerk in sendetauglicher Qualität mit euch teilen können, verdanken wir Klaus Donarski, der als DJ Zapotek an der Produktion einer im nachinein herausgekommenen CD-Version beteiligt war.

Weiterführende Links:

Kamal Nicholas aka Soda auf Bandcamp

Mnemotrauma – Der Audiopath (von Klaus Donarski)

Homepage von subversive*rec (offbeaters)

Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Mozartkugeln scheiß …

 

Triptychon zur Traurigkeit

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. März“Und, wie fühlst du dich jetzt nach diesen Übungen?”, fragt der freundliche Arzt aus dem Internet. Mir fällt spontan eine Antwort heraus: “Ich habe Angst. Angst vor meinen Schmerzen. Und Angst vor meiner Traurigkeit.” Da schau her. Das heutige Sendungsthema ist eines der schwierigsten und unzugänglichsten von all den Gefühlskonglomeraten, die wir bislang in unseren Perlentauchereien untersucht haben. Eine Herausforderung, die sich aber auch zunehmend aufdrängt. Seit einiger Zeit kommen mir nämlich vermehrt Menschen unter, die eine geradezu traurigkeitsvermeidende Überlebensstrategie zu verfolgen scheinen. Die also alles, was sie in diesen Gefühlszustand versetzen könnte, von vorn herein von sich fernhalten. Die vielleicht, so wie ich, Angst davor haben?

Triptychon zur Traurigkeit 1Traurigkeit ist wie ein Schleier. Ich hab mal versucht, mir etwas zugleich so ungreifbares wie auch massives vorzustellen wie “bleiernen Nebel” (der sich über die Seele legt oder so ähnlich). Ein sich beinah unmerklich ausbreitendes Gespinst, das in uns eindringt und uns von allen Seiten umgibt, sich in weiterer Folge zu einer immer undurchdringlicheren Barriere verdichtet, die uns von dort, wo wir unser Lebendigsein spüren würden, regelrecht abtrennt. Da kommen mir Bilder von Betonbunkern und Kernkraftwerken in den Sinn, von eingesperrtem Lebenwollen, das bei jedem Versuch, nach außen durchzudringen, an seinem Gefangensein scheitert. Da steht eine Wand zwischen mir und der Welt, zwischen ich und du, zwischen einem traurigen Kind und der unendlichen Landschaft seiner Träume. Das ist wie damals, als du mich nicht verstandennicht gesehen, nicht gespürt, nicht wahrgenommenhast. Es fühlt sich heute noch so an, wenn ich enttäuscht bin. Oder ist es “nur” ein Flashback?

Triptychon zur Traurigkeit 2Traurigkeit erzählt Geschichten. Natürlich nicht gerade dann, wenn wir in ihr versinken. Doch sobald wir uns wieder lebendig fühlen, können wir ganz ohne Zwang zuhören. Als ich gestern in den ziemlich genialen Dokumentarfilm “Was tun” geraten bin, hat sich mir so eine Geschichte geradezu elementar ereignet, dass ich wieder ganz neu neugierig auf das unendliche Land hinter meiner Traurigkeit geworden bin. Der Film behandelt die Situation von Sexarbeiterinnen in den Bordellen von Bangladesh, an und für sich ein zutiefst trauriges Thema, und mir fiel auf, dass ich dabei nichts von dem empfand, was ich sonst als das traurige Gefühl bei mir kenne. Ich wunderte mich darüber – und ging innerlich auf die Suche. Kurz darauf begegnete mir Redoy, den Regisseur Michael Kranz als “meinen besten Freund” und “mein bengalisches Herz” bezeichnet – und ich erkannte mich selbst. In einer heftigen Erschütterung von zugleich Weinen und Lachen endlich wieder ganz.

Triptychon zur Traurigkeit 3Traurigkeit kann eine Spur sein. Dorthin, wo sich Räume auftun und neue Wege eröffnen. Neu insofern, als sie vielleicht schon lang nicht mehr betreten worden sind. Weil wir gelernt haben, sie zu vermeiden. Weil wir überlebt haben (und das ist definitiv ein Grund zum Feiern). Nichtsdestoweniger sind es unsere Wege, auf denen wir als glückliche Kinder im Sonnenschein unserer Neugier herumtrubeln und dabei auch die Abenteuer des Waldes und der Finsternis entdecken und bestehen. Es kommt nur darauf an (und zwar scheißegal wie alt wir sind), neugierig zu bleiben und sich schon auch mal überraschen zu lassen. Oder wollt ihr die totale Langeweile? Den schleichenden Erstickungstod durch immer dieselbe Reiz-Reaktions-Routine? Den Schleier der Traurigkeit anheben, die Geschichte dahinter verstehen wollen, der Spur ihres Rätsels folgen und das Geheimnis ergründen. Mit sich selbst auf Du – das ist ein guter Anfang für das Frage-und-Antwort-Spiel mit der Welt da draußen.

Lust auf mehr? Einfach mittauchen und gut zu hören.

 

Like A Complete Unknown

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. März“Kommst du mit ins Kino?”, frug ich den Hasen – und schon waren wir mittendrin in der Diskussion unserer inzwischen recht verschiedenen Zugangsweisen: “Ich ertrage keine Synchronfassungen mehr, weil ich mir Filme und Serien seit Jahren nur noch in ihrer Originalsprache anschaue.”, erklärte er. “Für mich stellen Übersetzung und Synchronisation eine eigene Kunstform dar, die ich zusätzlich zum Film an sich genieße.”, erwiderte ich. Dabei läuft “Like A Complete Unknown” im Filmkulturzentrum DAS KINO sowieso in der Originalversion mit deutschen Untertiteln. Und ist aufgrund seiner “etwas anderen” Erzählweise auch in dieser Gestalt überaus zugänglich, weil er die Entwicklung des jungen Bob Dylan vom akustischen Folk zum elektrifizierten Rock in vielen seiner Songs live zeigt.

Like A Complete UnknownUnd seine Songs sind eben genau so bekannt, wie His Bobness (oder wie immer er genannt werden mag) sie selbst singt, auf Englisch. Ich habe mich also in das Original mit Untertiteln hinein begeben und war einigermaßen erstaunt, wie ein über zweistündiger Film die Geschichte einer zunehmenden Deutungsverweigerung in 23 Songs sowie Ausprobiersituationenen erzählt, gefühlt über die Hälfte der gesamten Zeit. Und dabei durch die Dialoge dazwischen, die aufeinanderfolgenden Ereignisse rund um die immer enigmatischeren Aussagen einen insgesamt glaubhaften, nachvollziehbaren Entwicklungsweg zeichnet. Ich bin aus dem Film wieder aufgetaucht und war – ja, waszufrieden. Wie nach einem guten Essen, wo nichts zwickt, drückt oder übrigbleibt. Like A Complete Unknown – man kann die Geschichte des Rätselhaften erzählen. Ohne zu versuchen, sie aufzulösen. Ein offenes Ende, das sich nicht nervig anfühlt und keine losen Fäden herumhängen lässt. Chapeau! Timothée Chalamet, der sich die Person von Bob Dylan derart anverwandelt, als wäre es keine Rolle und er auch kein Schauspieler, sondern alles zusammen, der Film, die Geschichte und auch er selbst eine fortwährende Verwandlung, wächst dabei geradezu über sich hinaus.

Im Vorfeld der Veröffentlichung dieses eigenwilligen Filmprojekts war viel darüber zu erfahren, wie er sich mit Techniken des Method Acting über einen Zeitraum von 5 Jahren in den großen Unbekannten oder eben in der Originalversion “A Complete Unknown” einlebte, um ihn möglichst selbstverständlich verkörpern zu können. Wir haben jenen Artikel des Rolling Stone Magazine gefunden, auf den sich die meisten dieser Berichte beziehen. Und wir haben ein Salzburger Musikprojekt entdeckt, das sich als “Madagascar – A Bob Dylan Phantasmagoria Bootleg Series” bezeichnet.

Das Rätselraten geht also weiter. Und die Antwort auf alle Fragen (it’s blowing in the wind, you know) sind wir selbst. Fragen, auf die wiederum Fragen antworten …

 

It’s all over now, Baby Blue

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Februar – Wie umgehen im Leben? Wie umgehen mit der Angst? Unlängst drang Ungeheuerliches aus der Verhandlerei von FPÖ und ÖVP, etwa zum Thema Medienpolitik: So sollten die gesetzlich verankerten Förderungen für den Freien Rundfunk massiv gekürzt werden. Statt dessen sollten sogenannte “Alternative Medien” mit öffentlichen Geldern versorgt werden, der FPÖ nahestehende Propagandaplattformen, die jenseits jedweder journalistischer Qualitätsstandards hauptsächlich faktenferne Volksverwirrung verbreiten, gepaart mit parteilicher Lobhudelei im Sinne eines seltsamen Personenkults um den kleinen Mann, der die Partei des kleinen Mannes anführt. Kunnst dir vorstellen, dass sich Bob Dylans “Baby Blue” auf den kleinen blauen Brillenschlumpf anwenden ließe?

Baby BlueUnmittelbar nach dem Scheitern der Kollisionsverhandlungen zur Bildung einer blauschwatzen Bundesgierung ging bei mir der nächste Angstfilm an den Start: Es wird Neuwahlen geben und dadurch werden die Wahnsinnigen noch stärker werden… Doch dann gelang es mir, für einen Moment das wohlig warme Gefühl der Erleichterung aus meinem Bauch aufsteigen zu spüren und ich beschloss, jetzt und hier zunächst einmal diesen Augenblick zu genießen. Und mich von jeder auf mich einstürmenden (und in mir hochsteigenden) Katastrophenhysterie zu distanzieren. Ich habe weit wichtigeres zu tun, als mich von geisteskranken Kriegsgewinnlern des menschlichen Abgrunds in denselben mitreißen zu lassen. Zum Beispiel meine eigenen Abgründe auszuloten und die vielen vernachlässigten Kinder in mir selbst in Sicherheit zu bringen. Denn niemand anders kann mir meine Welt reparieren… Und nirgendwo anders beginnt die Welt, in der wir alle miteinander verbunden sind.

Ich habe die Nazis überlebt und daher weiß ich auch, wie naheliegend und verlockend es ist, den eigenen Schmerz nicht fühlen zu müssen, indem man ihn jemand anderem zufügt. Genau da beginnt die Täter-Opfer-Umkehr – als Opfer-Täter-Umkehr in einem selbst. Du kannst dir selbst als Baby begegnen (und das ist eine Herausforderung) oder du wirst als aufgeblasenes, wutverstopftes und ständig unzufriedenes Riesenbaby in der Welt herumsausen und andere Unzufriedene um dich versammeln, die so wie du keinen Gefühlszugang zu sich selbst haben und unweigerlich Unheil anrichten.

Das Sympathische bei Bob Dylan dagegen ist, dass seine Wortbilder sich seit jeher jeglicher Definition entziehen. So rätselt die Gemeinde der Dylandeuter:innen immer noch daran herum, wer mit Baby Blue eigentlich gemeint sein könnte. Das Schöne am gefühlsdenkerischen Zugang, wie wir ihn pflegen, ist wiederum, dass sich dieser Text bei jeder neuen Betrachtung wie von selbst interpretiert: Christopher Schmall – blau, gewesen. Und so geht auch das mit dem Brillenschlumpf. “Ach, geh mir doch weg.” Prinzessin Dylia weiß intuitiv, wie man den garstigen Gnom wieder los wird.

PS. Es gibt einen neuen Dylan-Film, der bezeichnenderweise “Like A Complete Unknown” heißt und hier im BR-Magazin Capriccio herzallerliebst vorgestellt wird. Ab Donnerstag, 27. Februar jeweils um 17:00 und danach um 20:15 im DAS KINO.

“Sie sollten dich wie lassen?” – “Wie auch immer sie mich nicht haben wollen.”

 

Gisbert zu Knyphausen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Februar“Ich hab euch Blumen und Pralinen vom Arsch der Hölle mitgebracht.” Mit diesem ziemlich speziellen Zitat aus “Das Leichteste der Welt” von Kid Kopphausen eröffnen wir die heutige Sendung. Und das ist kein Zufall, erschien doch das Video dazu zwei Tage nach dem jähen Tod von Nils Koppruch, der zusammen mit Gisbert zu Knyphausen dieses innige und intensive Bandprojekt verkörperte. Auf dem fünf Jahre später erschienenen Album “Das Licht dieser Welt”, dem wir diesfalls in voller Länge obliegen wollen, verbearbeitet der lyrische Melancholiker den Verlust seines Freundes auf vielen verschiedenen Ebenen. Triggerwarnung: Hier geht es ohne Schminke um Tod und Trauer. Doch eben darum zeigt sich hier auch das Leben selbst ganz unverstellt.

Gisbert zu Knyphausen - Das Licht dieser WeltDas auf diesem Album enthaltene Lied “Etwas besseres als den Tod finden wir überall” verdeutlicht die lebenszugewandte Verwegenheit des Gisbert zu Knyphausen, der ursprünglich als Musiktherapeut auf die Abenteuerreise nach Ausdruck und Authentizität aufbrach und im Verlauf seiner Musikerkarriere viele Höhenflüge ohne Verleugnung der schwarzen Löcher in und um uns vollführte. Beispielhaft hierfür sein früher Erfolg “Sommertag”, mit dem er mich mitten ins Sowohlalsauch zwischen rasendem Verliebtsein und träger Nichterfüllung hinein traf. Es war ein Stürzen, ein Gestürztwordensein, das sich rückblickend – und im Annehmen des Schmerzes – ebenso langsam wie überraschend als ein Fliegenkönnen entpuppte. Es ist wirklich große Kunst, die zwei Seiten ein und desselben Lebens in einer Musik und in einem Text so unverkrampft und selbstverständlich miteinander zu verbinden – ja, zu versöhnen. Davon lassen wir uns auch in unserer nächsten Nachtfahrt “Wer du bist” inspirieren – und wir sind uns da aus Erfahrung sicher, dass es “auf geheimnisvolle Weise” funktionieren wird.

Die Musik von Gisbert zu Knyphausen entfaltet (abgesehen davon, dass sie einfach schön ist) auch eine therapeutische Wirkung, so viel steht fest. Sie erreicht dies auf einer unbewussten Ebene, die viel wirkmächtiger ist als alles, was wir mit unserem Verstand erfassen können, nämlich in einer Sprache ohne Worte, wie Peter Levine die von ihm als Somatic Experience zur Traumatherapie eingesetzte Körpererfahrung beschreibt. Wie Musik ohne Worte den gesamten Song verändert und uns dabei eine ganz eigene Geschichte erzählt, das ist auf “Cigarettes & Citylights” gut zu hören.

“Es ist ein Mittwoch kurz vor Herbst …”

 

Bluescafe vol. 4

Am 1. Februar startete das Bluescafé in Hallein unter der Leitung von Michel Widmer und Erik Esterbauer in das zweite Jahr. Dabei kommen Interessierte, Spiel- und Singfreudige zusammen, um gemeinsam alte und neue Stücke aus dem Blues- und Rhythm’n’Blues-Repertoire zu spielen. Alles was klingt ist willkommen, natürlich aber Gitarren, Mundharmonika oder Rhythmusinstrumente. Man kann auch nur zum Zuhören kommen. Von 15-19 Uhr in der Zone11, Mauttorpromenade beim Parkplatz Pernerinsel.

Eine Auswahl der Stücke aus dem Bluescafé werden in dieser vierten Sendung im Original als auch in Coverversionen vorgestellt. Mit dabei sind Big Bill Broonzy, J.J. Cale, Otis Rush oder John Mayall.

Nachzuhören unter: ttps://cba.media/695740

Mit Esoterik und rechter Politik gegen Zensur und Unterdrückung?

Sendetermin: Dienstag, 4. Februar 2025 um 20 Uhr auf der Radiofabrik Salzburg

Esoterik und rechte Politik im Salzburger Festspielhaus? Anfang März findet Shen Yun – die Bühnenshow der chinakritischen Falun Gong (Falun Dafa) Bewegung statt. Auf der Radiofabrik Salzburg wurde 2022 in einer Sendung sehr positiv über diese Bewegung gesprochen.

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Ausgangspunkt genug, um sich genauer anzusehen, was diese esoterische Bewegung mit der Epoch Times – einer als äußerst rechts geltenden Zeitung – und New Tang Dynasty Television – einem amerikanischen antichinesischen TV Sender, welcher auch mal Verschwörungstheorien und Antiimpfpropaganda betreibt – zu tun hat.

 

Wer du bist

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Februar – Auf die Frage, wie sie als hochsensible Kunstschaffende die immer zudringlicheren Nachrichten von der immer noch schrecklicheren Weltlage überhaupt aushalte, gab Laurie Anderson darüber Auskunft, wie sie von einem buddhistischen Mönch gelernt hatte, alle tiefen Gefühlsregungen (also auch das Leid und den Schrecken) so zu empfinden, dass sie diese zwar voll und ganz mitfühlen, aber als “von ihrem Ich getrennt” wahrnehmen könne. Und auf diesem Weg seien sogar die sprachlosmachendsten Katastrophen zu verkraften. Nun könnte man diese Aussage als nicht unübliche Nebenwirkung fernöstlicher Meditationspraxis abtun und gschwind darüber hinweg gehudelt zum Tagesgeschäft übergehen. Doch die Frage nach dem “Ich” fragt weiter Wer?

Wer du bistWir haben uns bereits im Artarium “Botschafter aus anderen Welten” darüber Gedanken gemacht. Und wir werden dem in der Sendung heute ein paar Gedanken, Gefühle sowie Stimmungsassoziationen folgen lassen: “Wer oder was ist dieses Ich, von dem wir üblicherweise glauben, dass wir es sind? Und – kunnst dir vielleicht vorstellen, dass alles ganz anders … ?” Ausgehend von Peter Gabriels Einschätzung, das Wesen eines wirklich gelungenen Kunstwerks bestehe aus der richtigen Mischung zwischen Verhülltem und Hergezeigtem, könnten wir unser Ich ja auch als ein von uns selbst erschaffenes und jeder neuen Situation entsprechend ausgestaltetes Kunstwerk oder eben Kunnstwerk begreifen. Die Persönlichkeit, eine Frage des Auftritts. Es geht einfach darum, sich darauf einzulassen, dieses Ich einmal nicht als abgeschlossene Einheit, vollkommen fertiggestellt und schicksalhaft unhinterfragbar zu erleben, sondern vielmehr als ein ziemlich lustiges Spielzimmer unendlicher Möglichkeiten.

Wer du bistEine andere Erscheinungsform (ein anderer Aggregatzustand) des inneren Wesenskerns zeigt sich in Momenten absoluter Resonanz wie zum Beispiel in der Liebe, wenn uns jemand bedingungslos bejaht. Oder im sich eins fühlen mit allem ohne dass es dafür irgendwelcher Worte bedarf. Alles in mir weiß dann ohne Rest um den Sinn des Lebens. Bin das ich? Die Frage stellt sich in den Augenblicken des Einsseins nicht mehr, denn das, was da plötzlich um alles weiß, ist so selbstverständlich das, was es ist, dass es ihm gar nicht in den Sinn käme, sich von irgendwem oder irgendwas zu unterscheiden. Ha! Das Ich, wie wir es alltagsgebräuchlich verstehen, wohnt hinter Grenzen. Es besteht geradezu aus ihnen. Denn das, was Ich ist, endet dort, wo Nicht-Ich beginnt. Und umgekehrt. Definition heißt ja auch (von lat. definitio) Abgrenzung. Jetzt kommen wir allerdings an den Punkt, wo gefragt werden muss, inwieweit ein so aufgefasstes Ich sich nicht in einem Gefängnis befindet, unverrückbar umgrenzt

Wer du bistWenn wir uns überlegen wollen, wie verrückt jemand ist, der die Grenzen des eigenen Ichs überschreitet und durchlässig macht, erweitert oder auflöst, dann sollten wir zunächst nachschauen, welcher Zustand des Ichs an sich zuerst da war, egal was wir gewohnt sind oder für “normal” halten. Entsteht das “Ich” erst durch Grenzen oder ist es schon vorher da? Das Grenzenlose, das mich lebt – und das ich bin. Fein.

Rainer Maria Rilke hat das mit den Definitionen so formuliert:

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.