Umcingulum

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. Januar – In seinem Buch “Sprache ohne Worte” über eine von ihm entwickelte Traumatherapie-Methode namens “Somatic Experiencing” erklärt der Biophysiker und Psychologe Peter Levine das Zusammenwirken von körperlicher Wahrnehmung und oft unbewusst ausgelösten Gefühlszuständen. Das Verständnis der daran beteiligten Hirnareale und ihrer Funktionsweise ist insofern von Bedeutung, als es bei traumatisierten Menschen zu auffallend anderen Eindrücken führt als dies bei “gesunder” natürlicher Entwicklung eigentlich vorgesehen wäre. So kann allein der Versuch, den eigenen Körper zu spüren, ein Gefühl von so umfassender Angst bewirken, dass wir uns nachgerade umzingelt fühlen. Daraus erwuchs das heutige Wortspiel Umcingulum.

Umcingulum 1Denn die beiden sowohl an der Wahrnehmung als auch bei der Interpretation des Körpergefühls beteiligten Hirnareale heißen Insula und Cingulum (Gyrus Cinguli). Und weil in deren Wechselwirkung die allerabsurdesten Fehlermeldungen zustande kommen können und sich dabei der Eindruck verfestigt, wir Traumatisierte (und wer wäre das eigentlich nicht?) seien irgendwie “falsch” verkabelt (zumindest was “das gute Leben im Hier und Jetzt” anbelangt), wollen wir diese Landkarte unseres neuronalen Netzwerks zum Bühnenbild einer Schatzsuche im Unbekannten erklären. Zu verstehen, welche biologischen Funktionen unserer Selbstwahrnehmung in der Welt zugrunde liegen und wie genau diese durch (auch längst vergangene) seelische Verletzungen “entgleisen” können, ist aber nur ein (wenn auch wesentlicher) Teil der Geschichte. Ein anderer besteht darin, dass diese auf den ersten Blick als störend, ja geradezu verhindernd erlebten Verschaltungen unser Überleben ermöglicht haben.

Umcingulum 2Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That’s how the light gets in

Leonard Cohen – Anthem

Umcingulum, Umcingulum – und wo ist jetzt der Ausweg aus der Traumatorte? In unserer Zivilisationsgesellschaft ein Schicht auf Schicht zusammengebackenes Konglomerat aus Angst, Schuld und Scham, ein Blätterteig wäre gerade mal eine Andeutung. – Forgiveness? Eine Art transgenerationaler Entkettung – mit der Macht, die Endloswiederholungsschleife der Ohnmacht zu durchbrechen jenseits der christlichen (oder kapitalistischen oder esoterischen oder nationalsozialistischen oder egal welcher) Heilsversprechungen? Wie könnte so etwas funktionieren, das ist doch eine ganz heiße Spur … Dergleichen beschäftigt mich schon seit geraumer Zeit – und auf ein Mal sehe ich den Dortmund-Tatort (mit meinem Lieblingstraumatisierten Kommissar Faber) “Made in China”, in dem plötzlich und sprichwörtlich mittendrin eine Tür aufgeht und die selbst schwer gezeichnete Rosa Herzog das diesbezügliche Wunderwort “Es ging nicht besser!” ausspricht …

Umcingulum 3Noch wirkmächtiger wird der Satz in einer von mir für den persönlichen Gebrauch verfassten Übertragung: “Es ist nicht besser gegangen.” Hilft mir immer wieder dabei, mein eigenes Mehrgenerationentrauma zu bewältigen, speziell in den Nächten, in denen ich von den Dämonen der Vernichtungskriegsfamilie verfolgt werde, bis in mein eigenes Denken und Empfinden hinein … Grauslich! Ein lieber Freund, der in den USA lebt, berichtete vor einiger Zeit von speziellen Ritualen aus der Lakota-Tradition, mit denen ihre Heiler und Schamanen schon seit urdenklicher Zeit jene Krieger, die am Töten anderer Menschen beteiligt waren, wieder in Übereinstimmung mit dem Leben bringen, bevor diese in ihre Gemeinschaften zurückkehren und sich in ihren Familien auswirken dürfen. Welch tiefe Weisheit, über viele Generationen hinaus gedacht! Ich wünsche mir ein Zusammenwirken dieser spirituellen Erfahrung mit den eingangs erwähnten wissenschaftlichen Erkenntnissen – zum Wohl aller menschlichen Seelen.

Als eine mögliche Annäherung an die Spiritualität der Lakota-Völker stellen wir im Artarium am Sonntag das Album “Enigmamania” von Hubert Bognermayr und Harald Zuschrader vor, das auch vorab unter dem Namen “Red Sky Beat” gut zu hören ist …

 

Concerti passati

In Tuning Up gibt es diesmal einen sehr persönlichen Konzertrückblick zum Jahr 2024.
Zu hören gibt es u.a. Walter Trout, Blank Manuskript, Pierre-Laurent Aimard,
Werke von Schönberg, Luigi Nono
Improvisiertes von Feichtmair, Harnik und Polaschegg

Nachzuhören unter: https://cba.media/691193

In memoriam Hermes Phettberg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. DezemberHermes Phettberg ist tot … Eigentlich ist Josef Fenz, wie der Hervorbringer der legendären Kunstfigur diesseits seiner öffentlichen Performances hieß, am 18. Dezember im Krankenhaus gestorben. Die Verkörperung all dessen, was ihn umgetrieben hat, und was Menschen wie mich innerlich erreicht, berührt und inspiriert hat, das bleibt in uns allen erhalten und lebt in all seiner Monstrosität und kindlichen Zartheit durch uns weiter. Melancholie und Gesellschaft oder “Alles, was du siehst, gehört dir”, um es mit PeterLicht zu sagen. “Sehen” im Sinn eines umfänglicheren Wahrnehmens als es der Sprachgebrauch des Schnelldrüberhin nahelegt. “Sehen” als ein “unverstelltes in sich aufnehmen” etwa wie ein Traumbild unkontrolliert und ohne Urteil in uns empor steigt und so

In memoriam Hermes PhettbergTatsächlich habe ich hier noch ein Bild gefunden aus jenem Jahr, in dem mir “Phettbergs Nette Leit Show” zum ersten Mal aus dem Fernseher heraus direkt ins Herz “einfuhr” und mich darin ermutigte, auch in diesem “Land of Confusion”, das zwischen Marktwirtschaft und Verdrängung zu zerreißen drohte, doch um einiges mehr für verwirklichbar zu halten, als es in der damals alles verklebenden Normalmoral (die gern als “die Sittlichkeit” oder auch “das gesunde Volksempfinden” daher gestelzt kommt) überhaupt möglich zu sein schien. Ich möchte sagen, dass mir die Selbstinszenierung von Hermes Phettberg im Rahmen der Netten Leit Show die Grenzen in Geist und Seele dahin- gehend ver-rückt, also zurecht gerückt hat, dass es mir wieder möglich wurde, an einen tieferen Sinn in all den widerstreitenden und zunehmend fragmentierten Erfahrungen meines Lebens zu glauben – und zwar ohne den demonstrativ vor mir her zu tragenden Endsieg” über meine Homosexualität, der mir eingeimpft war …

Von solch inwendiger Belebung ergriffen pilgerte ich kurz darauf schnurstracks nach Wien, um dem Beförderer derselben anlässlich des Erscheinens von “Die Krücke als Zepter” höchstselbst und in all seiner Leibhaftigkeit zu begegnen. Und dieses Treffen von Mensch zu Mensch vertiefte in mir jenen Eindruck, den ich zuvor schon aus seiner Bühnenpräsenz gewonnen hatte: Ein Maßloser, in seinem Ringen um Anerkennung an allen Grenzen längst Verzweifelter, der dabei dennoch eine schier unglaubliche Würde besaß, ein seiner geradezu barocken Anmutung um nichts nachstehendes Mitgefühl.

Lieber Hermes, du warst in vielem sehr anders als ich es bin. Und zugleich bist du mir zutiefst vertraut, ich möchte sagen, wesensverwandt. Ich bin erstaunt, wie vieles von dir ich in mir wiederfinde, wenn ich mit mir unterwegs bin. Unlängst hat ein Freund gesagt, ich hätte etwas Monströses an mir. Das habe ich im ersten Moment als nicht zutreffend zurückgewiesen. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto mehr neige ich dazu, es mir (und uns allen) zuzugestehen. Indem ich dir auch in mir begegne, soll es lauten: Im Phettberg’schen Sinn kann ich dieser Monstrosität etwas abgewinnen.”

Und in diesem Sinn – Danke.

 

Battle&Hum#145

Samstag 21.12.2024 (Stairway zum Nachhören)

Eine Rorate des Lichts im Stall zu Battlehum, da liegt auch Stroh Rum!

 

MC Randy Andy’s Finsternis:

  1. Death Fuck Oasch Zipfi (tba) – peter in the dark
  2. Lumpenthron (erstling) – desillusion
  3. Salò & Ikkimel (single) – männergefühle
  4. Leber (EP gladis) – gladis

 

DJ Ridi Mama’s Wintersonnen:

  1. Element of Crime (OST robert zimmermann wundert sich über die liebe ) – ein hotdog am hafen
  2. Smashing Pumpkins (mellon collie and the infinite sadness) – bullet with butterfly wings
  3. Die Fantastischen Vier (long player) – long player
  4. Shirin David (bitches brauchen rap) – ich darf das

 

„Hallo, hallo! Hier Radio Wien! Auf Welle 530!“ (1. Oktober 1924, die ersten offiziellen Worte die in Österreich vor 100 Jahre über den Äther gingen.)

 

 

Zur Abstimmung folget dem LINK!

 

 

Diagonal durch die Szenerie

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Dezember – Wir kriegten Weihnachtspost vom Almblitz-Wolfgang, darin dieses zum eigenen Freispruch einladende Zitat von Viktor Frankl: “Wenn du den Raum zwischen Reiz und Reaktion betreten kannst, dann bedeutet das Freiheit.” (Und bitte, der Mann hat sich solche Gedanken im Überleben des KZ-Grauens erkämpft.) Von einem kurzen Aufblitzen dieser Art von Äquidistanz werde ich euch erzählen, nämlich wie ich mitten im Vorweihnachtssalzburg zwischen Mozartsteg und Kaigasse zu der Einsicht gelangte, es wäre zuträglicher, “diese Stadt diagonal zu bereisen”. Was das wiederum mit den Kriegszuständen zu tun hat, die in der Adventszeit überall lauern und die sich am Heiligabend (meist im unentrinnbaren Kreis der Familie) noch steigern können, das soll diese Sendung veranspürlichen

Diagonal durch die SzenerieMeiner verstorbenen Cousine (die sich bis zuletzt Jahr für Jahr durch ein zum leblosen Ritual erstarrtes Familienweihnachtsfest kämpfte) habe ich etwas in ihren Nachruf geschrieben, das mir gerade jetzt, quasi als Grundbedingung, wieder aufgefallen ist – den Freispruch zu Beginn jeder Beziehung und jedes Gesprächs. Im Artikel zur Sendung “Erinnerung an Elke Mader” steht:

2) Teilnehmendes Beobachten. Eine vorurteilsfreie Grundhaltung, die Elke nicht nur in ihren Feldforschungen einnahm, sondern die ihr gesamtes Leben prägte. Mir in jedweder Lebenslage sowie uns in unserer Freundschaft und Arbeit gegenüber hat sie stets diese eigentlich ambivalent anmutende und dabei so überaus angenehme Haltung eingenommen. So sollte generell jede zwischenmenschliche Begegnung sein: Dass man zur Begrüßung freigesprochen wird von der Schuld des Rollenspielens.

Genau so etwas ist mir kurz vor der eingangs erwähnten Situation wiederfahren (als ich mir dachte, es wäre besser, diese Stadt diagonal zu bereisen). Es befreite mich dazu, meine Wege durch den Vorweihnachtstrubel selbst zu bestimmen und eben nicht als wehrloses Opfer dem Gedränge und Geschiebe von ferngesteuerten Menschenmassen ausgeliefert zu sein. Stattdessen erlebte ich etwas, das Hartmut Rosa als “diagonale Resonanz” beschreibt, nämlich dieses zutiefst lebendige “Hineinkippen, in den Flow geraten” mit einer Sache, vollkommen darin verloren, zugleich vollkommen kontrolliert.

Und weil es (wie jedes Jahr wieder) Weihnachten wird und wir ein starkes Verlangen nach Versöhnung spüren, wollen wir noch etwas vom Wesentlichen hervorholen, das uns im Lauf des (fast schon wieder) vergangenen Jahres untergekommen ist. Zu guter Letzt kommt ein Mann mit der Gitarre und singt (von mir aus unterm Weihnachtsbaum) ein Lied von der Befreiung – vom Krieg, von der Schuld, und von allen damit tragisch verketteten Zwängen. Und das tut er auf Russisch, damit es noch der letzte Kämpfer in der Ukraine versteht. Der General spricht seine Soldaten frei, was für ein Anfang.

Ein frohes Radio euch allen!

 

Nick Drake zum 50. Todestag


By Keith Morris https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=141161522

Tuning Up erinnert in dieser Sendung an den englischen Sänger und Songerfinder Nick Drake, der 1974 mit 26 Jahren verstorben. Nur drei Alben hat Nick Drake veröffentlicht, die von bezaubernder Schönheit und Melancholie zeugen. Ein erstes oder erneutes Eintauchen in die musikalische Welt von Nick Drake – eine einprägsame Stimme, komplexes Gitarrenspiel in vielfältigen Stimmungen, geheimnisvolle Texte.

Nachzuhören unter: https://cba.media/688758

Fairy Tales for Cyborgs

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Dezember – Das lang erwartete neue Album von SoundDiary ist nunmehr erschienen – und mit großer Freude stellen wir es euch hier und heute und in voller Länge vor: FourWord – Fairy Tales for Cyborgs (dessen Gesamtlänge von über 58 Minuten uns zur kürzesten Signation aller Zeiten anregte). Ich gebe zu, dass der Titel (und die von mir dahinter vermutete Geschichte) zunächst einiges an Abwehr hervorrief, so im Sinn von: “Geh bitte, jetzt kommen die auch noch mit diesem inflationären KI-Thema daher.” Und ich muss mich ausdrücklich bei meinem unerschrockenen Sendungspartner, dem Hasen, bedanken, dass er mir durch seine Eindrücke vom Probehören, die er mir geduldig schilderte, ein erweitertes Eindringen in die Fairy Tales for Cyborgs (hier das CD-Booklet) ermöglichte. Und, siehe da

SoundDiary - FourWord (Album Cover)SoundDiary haben sich nicht nur musikalisch weiterentwickelt – eine recht ordentliche, weil auch inhaltlich detailgenaue Rezension findet sich auf “Just for Kicks Music” – auch die Komplexität ihrer Konzeptarbeit hat mit diesem Album wieder eine neue Dimension erreicht. Oder wie wir den Einstieg in die Story hinter dem Konzept des Albums möglichst auf den Punkt zu bringen versuchen: “Eine vielschichtige Geschichte.” und “Ein Ringen um Identität.” Alles, was darüber hinaus noch zu entdecken wäre, entnehmen sie bitte (und hier wird das gern gebrauchte Wortspiel zur Wirklichkeit) der Packungsbeilage. Sowie dem Anhören des Albums selbst natürlich. Womit wir ja immer ein Eintauchen, ein sich vom Hörerlebnis mitnehmen und so zu eigenen Gedanken, Bildern und Phantasien anregen lassen meinen. Da taucht (jedenfalls im Fall dieser Fairytales) so einiges auf, von dem wir gar nicht gewusst haben, dass es überhaupt da war. Oder wissen wir das alles schon immer, nur unsere Verbindung dorthin ist uns irgendwie nicht zugänglich? “Der Verstand kann es nicht begreifen, doch der Körper weiß, wie wir überlebt haben.”

Die “vielschichtige Geschichte” lässt sich nämlich auf verschiedene Weise verstehen oder erleben oder (um in der Sprache des Erzählers zu bleiben) entschlüsseln. Dazu haben wir den Weg über die Worte gewählt und uns beim Hören auch in den Text der einzelnen Songs vertieft. Dabei war uns das Download-Booklet eine große Hilfe, weil es die Texte ohne weitere Grafiken vorstellt. Was mich da angesprungen hat, was mich letztendlich davon überzeugt, dass es sich hier definitiv nicht um eine simple “Robotergeschichte” handelt, das müssten die folgenden Textauszüge aufzeigen:

Mem0r1es:

It seems the pain has left me, I’m surrounded by the people I love.
Although my heart hasn’t stopped bleeding, the wounds are turning into scars.
But still I’m scared about the hours when I’m alone and think about our days.
In every single piece of me you remain a painful thorn that’s stuck in me.

Dreaming of you makes me sweat and cry my tears.
Thinking of you makes me bitter and stunned.

Blame:

Still sorrow in my eyes, still pain I cannot hide.
And still a soul, that dies, I am about to change the side.
We feel a common pain, but our escape route is blocked,
our efforts are in vain, and so we all stay shocked.

Let us out. We’re afraid, there must be something to blame.
Let us out. We’re exposed, falling out of the frame.

J0urney t0 0’0ne:

The closer I get to the center the further away I feel.
I am going to enter the essence of what once was real.
The closer I get to the center the better I see
this black hole that once seemed to matter so much to me.

We are one and we know our journey has just begun.

What’s beyond this strange horizon?
My focus finally lies on the fact that
I don’t owe you anything.

 

Also, ja – Fairy Tales – nicht nur für Cyborgs …

 

lt96 – Wasserkraft / Kaplanturbine

Wasserkraft / Kaplanturbine

In einem Vortrag und Interview mit dem Enkel des Erfinders der Kaplanturbine, dem Physiker Gunter Weber werden Hintergründe der Stromerzeugung mit Wasserkraft und auch die oft beschwerlichen Wege von einer Idee zur Umsetzung einer Erfindung aus erster Quelle beschrieben. Daneben gibt es natürlich auch Information über die Geschichte der Wasserkraftnutzung, etwas technische Hintergründe und natürlich auch aktuelle Entwicklungen.

Lassen Sie sich mit Wasser und Informationen berieseln und lauschen Sie der Sendung.

Ausstrahlung hier auf der Radiofabrik Salzburg: Fr. 6.12.2024 18:00